Bei der Beschäftigung mit Vorkriegsautomobilen speziell deutscher Provenienz stößt man früher oder später auf das schwer begreifbare Nebeneinander einer an Sinnlichkeit kaum überbietbaren Karosseriegestaltung in den 1930er Jahren und dem Einsatz solcher Fahrzeuge in der lebensfeindlichsten Betätigung schlechthin – im Krieg.
Heute möchte ich ein Originalfoto vorstellen, dass diesen unauflösbaren Widerspruch zwischen der Feier der Schönheit und dem Regiment des Todes ohne Worte verkörpert.
An dieser Aufnahme waren naheliegenderweise auch einige andere Enthusiasten interessiert, was einen beherzten finanziellen Einsatz erforderte. Dabei war das Fahrzeug als solches gar nicht so selten – knapp 1.400 Exemplare davon wurden gebaut.
Die Rede ist vom BMW 327, welcher ab 1937 als offener bzw. geschlossener Zweisitzer gefertigt wurde und einen kopfgesteuerten Sechszylindermotor besaß, dessen 55 PS ein Spitzentempo von 125 km/h ermöglichten.
Damit war der Wagen für den Einsatz auf den Reichsautobahnen geradezu ideal geeignet. Nur sehr wenige Konkurrenten aus deutscher Produktion konnten da mithalten.
So erscheint es konsequent, ein Exemplar in der Ausführung als Cabriolet einsam auf der Autobahn abgelichtet zu finden:

Wenn es einen BMW gibt, der für mich diese Automarke in Vollkommenheit verkörpert, dann ist es der Typ 327.
Man darf davon ausgehen, dass diese aus jedem Blickwinkel perfekt gestaltete Skulptur auf vier Rädern im Urteil des Publikums noch heute alle Konkurrenten aus dem gleichen Hause in den Schatten stellen würde – selbst den Typ 507, der zwar ebenfalls sensationell aussah, aber formal gesehen keine deutsche Karosseriebautradition verkörpert.
Der BMW 327 dagegen repräsentierte eine zur Vollkommenheit gebrachte Linie, die sich bis auf den Typ 303 von 1933 zurückführen lässt. Wohl nie zuvor und nie wieder danach hat ein Serienhersteller binnen so kurzer Zeit eine so steile Lernkurve absolviert.
Man fragt sich, ob der Höhepunkt des gestalterischen Könnens – nicht nur in Deutschland – nur zufällig einem zivilisatorischen Absturz ohnegleichen vorausging, der sich übrigens bereits mit dem Wetterleuchten des Spanischen Bürgerkriegs ab 1936 ankündigte.
Jedenfalls fand die grandiose Automobil-Entwicklung spätestens dann ihr Ende, als mit der fast zeitgleichen Invasion Polens durch das Deutsche Reich und die Sowjetunion im September 1939 der Zweite Weltkrieg begann.
Der BMW 327 auf dem heute präsentierten Foto wurde allerdings in einer deutlich fortgeschritteneren Phase des Kriegs abgelichtet – zu einer Zeit, als die rücksichtslose Kriegführung Deutschlands und seiner Verbündeten im Osten seine Entsprechung im gnadenlosen angloamerikanischen Bombenkrieg gegen Zivilisten im Westen fand.
Von dem ausdrücklich auf Vernichtung der städtischen Bevölkerung angelegten “area bombing” ausgenommen blieben bis kurz vor Kriegsende nur die weit östlich gelegenen Gebiete, insbesondere Nieder- und Oberschlesien.
Der Grund dafür war die mangelnde Reichweite der alliierten Bomberverbände. Erst im späteren Kriegsverlauf – etwa ab Sommer 1944 – begannen dann Angriffe auch auf die bis dato völlig verschonten schlesischen Siedlungs- und Industriegebiete.
Aus dieser Zeit dürfte diese Aufnahme stammen, wie zwei Details verraten:

Da wäre zunächst das Kennzeichen zu nennen, das auf eine Zulassung in der schlesischen Metropole Breslau verweist.
Diese besaß übrigens – wie das naheliegende Liegnitz (die Heimatstadt meiner Mutter) – einen Autobahnanschluss, was dafür spricht, dass das Foto im Raum Breslau entstand.
Entscheidend ist aber das Abzeichen unterhalb des “Notek”-Tarnscheinwerfers am Kotflügel in Fahrtrichtung links. Darauf ist eine stilisierte Fliegerbombe zu sehen – ein Abzeichen, das dem Wagenbesitzer Vorrangrechte in von Luftangriffen betroffenen Gebieten einräumte (Quelle).
Demnach dürfte es sich um den Wagen einer kriegswichtigen Privatperson gehandelt haben, die ab Sommer 1944 in Schlesien in unbekannter Mission unterwegs war. Vielleicht handelte es sich um jemand, der zu Reorganisation wichtiger von Luftangriffen betroffenen Industrien benötigt wurde.
Wie dem auch sei – als dieses Dokument entstand, hatte man es wohl nicht eilig. So hielt man in der fortgeschrittenen Phase des Kriegs einen friedlichen Moment auf der leergefegten Reichsautobahn fest. Noch einmal triumphiert hier die reine Schönheit.
Es ist bloß ein Stück belichtetes Papier, doch was darauf an Zeitgeschichte festgehalten ist, ist schwer in Worte zu fassen. Wie immer interessieren mich die Gedanken meiner Leser dazu.
Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Mit einigen aussagefähigen Fotos und Angaben zu weiteren Besonderheiten ließe sich vielleicht etwas erreichen.
Hallo
Ich bin Besitzer eines 327/28 im Orginalzustand.
Er ist in Wehrmachtsgrau überlackiert und wurde in schwarz/grau nach Berlin geliefert. Er sieht dem Wagen sehr ähnlich, hat aber Standartenhalter auf den Kotflügeln und Zentralverschlußfelgen.
Es wäre interessant, ob sich jemand an den Wagen erinnert, oder sich ein Besitzer ermitteln lässt. Bin für jede Nachricht dankbar.
Danke!
“Es ist bloß ein Stück belichtetes Papier, doch was darauf an Zeitgeschichte festgehalten ist, ist schwer in Worte zu fassen.” (…)
Treffend ausgedrückt. Danke für diesen Artikel.
Nach dem Ableben meines Vaters vor 2 Jahren fand ich in einer alten Foto-Kiste diverse Aufnahmen, welche der im hiesigen Beitrag ähneln.
Über die Arbeit meines Großvaters (väterlicherseits) vor (und in) dem Krieg wurde in der Familie nie gesprochen. Anhand der alten Bilder, privaten Recherchen und anderer Unterlagen habe ich mittlerweile herausgefunden das er zu den “Privilegierten” gehörte, welche auch während des Krieges einen Kraftwagen zur Verfügung hatten. Eintrag – Fahrzeugschein: “Fahrzeug ist bewinkelt”. Damit gab es Kraftstoff, trotz aller Knappheit.
Als “Dienstwagen” diente ein Hanomag Sturm. Damit pendelte man zwischen der Erprobungsstelle – Rechlin (Luftwaffe) und der HVA Peenemünde.
Ein Bild, welches den Hanomag an der Abfahrt Hornskrug (Richtung Stettin) zeigt, lässt mich den selben Notek-Tarnscheinwerfer erblicken.
Zum hiesigen Protagonisten: der “327” ist auch für mich, neben dem Stoewer Arkona, eine Ikone der Formgestaltung.
Zuerst einmal fallen mir da EMW und Bristol ein, und daß es aber die Limousine 321/2 war, die 1945 das Eisenacher Werk vor der Demontage bewahrte. Als EMW wiederaufgelegt, erlebte der BMW 327 ab 1952 seine sozialistische Renaissance. So muß es wohl auch seine zeitlos schöne Ästhetik gewesen sein, die ihn die schrecklichsten und umwälzendsten Jahre des 20. Jahrhunderts überstehen ließ. Danke auch für den Link zur Erläuterung des Fliegerbombensymbols ! So ist diese Aufnahme ein wertvolles Zeitdokument, das vielleicht sogar genau die richtige Anregung zur authentischen Umgestaltung eines maßstabsverkleinerten Vitrinenexemplars des BMW 327 gibt !