Turbulent mit Ricardo-Patent: Skoda 4R Tourer

Wie heute bisweilen verwirrende Titel meiner Blog-Einträge – und deren Inhalt – haben mir die augenzwinkernde Frage eines Lesers eingetragen, ob ich auf bewusstseinserweiternde Substanzen zurückgreife.

Zwar nehme ich morgens bewusstseinsherstellende Substanzen ein – erst einen kräftigen Kaffee, dann einen kalten Orangensaft – und schon ist Betriebsfähigkeit gegeben.

Doch um nach getaner Arbeit am Schreibtisch, in Garten oder Werkstatt abends noch zu später Stunde kreativ tätig sein zu können, genügt mir ein reichliches Abendessen, dazu ein Glas Wein, danach gibt es eine Filmkonserve (Fernsehen niemals) – und ein zweites Glas.

Dem Geist auf die Sprünge hilft anschließend etwas anderes: Das sind in 35 Jahren angesammelte Schallplatten und CDs aus der Welt der Alten und Klassischen Musik. Gerade laufen Motetten von J.S. Bach, aufgenommen 1981 mit dem Monteverdi Choir und den English Baroque Soloists unter John Eliot Gardiner.

Wer solche altbewährten Rauschmittel im Schrank hat, braucht schlicht keine Drogen. Jetzt aber auf in die turbulente Zeit der späten 1920er Jahre!

Skoda Typ 4R; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Dieses schöne, wenn auch etwas grobkörnige Foto sandte mir kürzlich mein langjähriger Sammlerkollege Klaas Dierks.

Das leider unscharf wiedergegebene Kühleremblem erinnerte ihn an Audi – und tatsächlich besteht eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Markenschriftzug des sächsischen Herstellers.

Doch der Wagen hat ansonsten kaum etwas mit den Audis der 1920er Jahre gemein, es musste also etwas anderes sein.

Ich erinnert mich, wohl unter dem Einfluss bewusstseinserweiternder Musik, an ein wunderbares Foto aus meiner Sammlung, dass ich vor einigen Jahren hier vorgestellt hatte:

Skoda Typ 430; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

„Adam und Eva nach dem Sündenfall“ könnte man diese Aufnahme betiteln, wenn man ein ideologisches Problem mit der Individualmotorisierung hat. Wir Verbrennerfreunde beneiden dagegen das glückliche Paar um seinen vierrädrigen Freiheitsbringer.

Der abgebildete Wagen war ein Skoda des Typs 430 – etwas jünger als das Auto auf dem eingangs gezeigten Foto – doch das Kühleremblem ist dasselbe.

Nach dem Genuss dieser Frucht vom Baum der Erkenntnis blieb noch die Identifikation des exakten Typs. Meine kleine Privatbibliothek weist in punkto tschechische Marken zwar beklagenswerte Lücken auf, doch auch so kam ich auf den Skoda 4R von anno 1928.

Dabei handelte es sich – zusammen mit dem Sechszylindertyp 6R – um die erste Neukonstruktion nach der Übernahme des böhmischen Traditionsherstellers Laurin & Klement im Jahr 1925.

Die beiden Modelle unterschieden sich äußerlich vor allem durch die Abmessungen – hier sehe ich eher einen Vierzylinder-Wagen:

Mit seinem 2 Liter-Motor, der offiziell 32 PS leistete, war der Skoda 4R für eine Spitzengeschwindigkeit von 90 km/h gut.

Ich könnte mir aber vorstellen, dass der Wagen tatsächlich eine höhere Leistung hatte.

Mindestens 35 PS waren in Europa Ende der 1920er Jahre Standard bei Motoren mit seitlich stehenden Ventilen, etwa beim Adler „Favorit“ 8/35 PS und dem Mercedes-Benz 8/38 PS, erst recht beim Wanderer W10-II 8/40 PS

Für spürbar mehr Pferdestärken beim Skoda 4R spricht auch Folgendes:

Nach einer tschechischen Quelle nutzte Skoda bei den Typen 4R und 6R ein Patent des noch heute existierenden britischen Motorenspezialisten Ricardo, das bei Seitenventilern für eine verbesserte Verwirbelung des angesaugten Gemischs sorgen solllte.

Die für ihren systematischen Ansatz bei der Optimierung von Verbrennungsmotoren renommierte Firma Ricardo vergab nach dem 1. Weltkrieg ein entsprechendes Patent unter der Bezeichnung „Turbulent Cylinder Head“ an etliche europäische Autohersteller.

Sie sehen nun, woher die Inspiration zum Titel dieses Blog-Eintrags kam. Ob mit oder ohne bewusstseinserweiternde Substanzen vermag ich allerdings nicht zu erkennen, wie dem Skoda 4R das für turbulente Verhältnisse sorgende Ricardo-Patent genutzt haben sollte.

Wie gesagt, stockkonservative Konstruktionen anderer Hersteller brachten aus 2 Litern Hubraum locker 35-40 PS zustande – da erscheinen die 32 PS des Skoda mager.

Doch turbulent ging es in einem Tourenwagen auch so zu. Denn bei dieser Bauart sind die rückwärtigen Insassen zwangsläufig den Luftverwirbelungen ausgesetzt, welche die Frontscheibe produziert.

Die Passagiere scheint das aber ebensowenig gestört zu haben wie die Frage, wo die extra PS geblieben waren, welche das teure Ricardo-Patent dem Motor des Skoda 4R einhauchen sollte. Jedenfalls sieht man hier nur gut gelaunte Leute:

Gern würde ich Ihnen noch etwas mehr über diesen netten Tourer erzählen, der einst vor einer mittelalterlichen Stadtmauer Halt gemacht hatte.

Doch weder vermag ich zu sagen, was der Herr auf dem Rücksitz mit der linken Hand umfasst hat, noch was das für ein Aufkleber auf dem Koffer ist, welcher auf dem Trittbrett liegt. Beim Kennzeichen muss ich ebenfalls passen.

Die Bach’schen Motetten begleiten mich noch immer. Gerade läuft von Nr. 227 (BWV) der 9. Satz „Gute Nacht, Ihr Wesen“ – damit will ich heute enden.

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

7 Gedanken zu „Turbulent mit Ricardo-Patent: Skoda 4R Tourer

  1. Kürzlich hat ein Porsche-Kenner Ottocar aus Österreich (Herr Ottokar Jacobs) ein Foto vom 4R auf Facebook gepostet. Als Beifahrer fährt 1928 sein Vater mit. Wegen dem Radstand schätze ich es ist ein 4R und nicht 6R.

  2. Besten Dank! Die Zahl ist auch auf dem Original leider nicht lesbar, der Abzug ist zu grobkörnig ausgefallen.

  3. Verglichen mit dem Laurin & Klement 110 als Vorgänger, der aus 1944ccm 25 PS hervorbrachte, erzeugte der 4R aus demselben Hubraum immerhin 32 PS, und wenn ich mir aus der 4R-Baureihe etwas aussuchen dürfte, wäre es die 4-türige Cabriolimousine von Brožík mit den elegant umrahmten Luftschlitzen gewesen. Das für Seitenventiler entwickelte „Ricardo-Kopf“-Patent mit konkaver Zündkerzenmulde und konvexer Rundung bis über die Kolbenmitte von Sir Harry Ricardo diente dem Erhalt der Klopffestigkeit bei schwankenden Treibstoffqualitäten, um durch optimale Verwirbelung unterschiedlich hohe Oktanzahlen problemloser nutzen zu können (Kirchberg, Motorisierungswellen S.176 ff). Bei Škoda entstand auch die nächste Ottomotorengeneration mit seitlicher Ventilanordnung, jedoch mit mehr Hubraum : 1661, 2492 und 3888 ccm lieferten 22kW/30 PS im 430, 33kW/45PS im 645 und 44kW/60PS im 860

    https://www.samohylmotorveteran.cz/produkt/skoda-4r/

  4. Danke für den Literaturhinweis!

  5. Im L&K-Skoda Buch gibts auf Seite 332 die technischen Daten Skoda 4R/6R, gefolgt von 11 historischen Aufnahmen der Karosserieformen.
    Auf Seite 336 die technischen Daten Skoda 422/430/430D gefolgt von 13 historischen Aufnahmen der Fahrzeuge.
    Leider natürlich ohne „Insassen“ und meist ohne Hintergrund.

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