Stillgestanden! Ein Adler „Coupé de Ville“ von 1908

„Stillgestanden“ – den Befehl kennt jeder, der einst beim „Bund“ gedient hat – schon in der Spätphase des Kalten Kriegs ein als Armee getarnter Beamtenladen, der zum Glück nie gebraucht wurde.

Unvergessen, wenn sich der Feldwebel – nebenbei der Kommandeur des „Marder“-Schützenpanzers, als dessen Richtschütze ich 1988/89 fungierte – vor mir mit rotem Kopf aufbaute und solange kalt musterte, bis ich mir das Grinsen nicht verkneifen konnte.

„Schlenger, eine Runde im Laufschritt um die Ringstraße!“ konnte es dann schon einmal heißen. War mir egal, ich war fit wie bei den Panzergrenadieren üblich und lief vergnügt meine Ehrenrunde. Im Übrigen verstanden wir uns bestens, wenn es darauf ankam.

„Stillgestanden“, das galt auch außerhalb der Kasernenhöfe schon vor dem 1. Weltkrieg, nämlich wenn man sich für Mit- und Nachwelt ablichten lassen wollte. Das Fotomaterial war noch wenig empfindlich und verlangte Belichtungszeiten von einigen Sekunden.

So statisch diese Zeugnisse naturgemäß wirken, so sehr erfreuen wir uns nach weit über 100 Jahren noch daran. Ob das mit den meist rein digitalen Aufnahmen unserer Tage künftig ebenfalls so sein wird, daran darf man zweifeln.

Aber vielleicht wird es irgendwann ja wieder Visionäre wie einst Senator Cassiodor geben, der nach dem Ende des Weströmischen Reichs systematische Kopien bedeutender antiker Schriften in Auftrag gab. Seiner Initiative verdanken wir das weitgehende Überleben des damals schon arg geschrumpften Literaturbestands über das Mittelalter hinweg.

Jedenfalls steht auf den Fotos aus der Frühzeit des Automobils nicht nur das Personal stramm, sondern auch die Zeit still – und das beschert uns großartige Zeugnisse wie das hier:

Adler „Coupé de Ville“ von 1908; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Diese Aufnahme verdanken wir Leser Klaas Dierks, der zusammen mit weiteren Gleichgesinnten solche Dokumente aus der automobilen „Antike“ birgt und sie so vor dem Vergessen und Vergehen zu bewahren versucht – ein wenig wie einst Senator Cassiodor.

Stillgestanden“, diese Anweisung nahm auch der Fahrer dieses ungewöhnlichen Wagens sehr ernst – angestrengt schaut er in die Ferne, während die Fotoplatte belichtet wird.

Die doppelreihige, ein wenig an eine Uniform erinnernde Jacke, die Stulpenhandschuhe und die Schirmmütze weisen ihn als professionellen Fahrer aus. Zwar war er nur Angestellter vermögender Herrschaften, aber als Inhaber exklusiver Expertise sehr geschätzt.

Leider wissen wir gar nichts über den Mann und die Besitzer „seines“ Wagens, zu dem er eine enge Beziehung pflegte. Vielsagend ist die Geste seiner linken Hand, mit welcher er das Auto berührt: „Mein Kamerad auf allen Wegen, durch dick und dünn„.

Dieses Band versteht nur, welcher selbst einmal erlebt hat, wie ein Automobil sorgfältige Behandlung und hingebungsvolle Pflege durch langjährige Treue entlohnt.

Genug der Sentimentalität – was ist das denn nun für ein Wagen? Nun zunächst handelt es sich um ein Fahrzeug, dessen Aufbau man seinerzeit als „Coupé de Ville“ bezeichnete. Dabei saßen die Passagiere in einem zweisitzigen Aufbau, während der Fahrer vor ihnen im Freien seiner Arbeit nachging. So war das schon bei Kutschen über Jahrhunderte der Fall.

„Ja gut, das weiß ich auch“, mag jetzt eine ungeduldige Natur denken, aber was ist das für ein Fabrikat und Typ? Nun, das kann ich nur unter Vorbehalt sagen.

Klar ist für mich, dass wir einen frühen „Adler“ des gleichnamigen Herstellers aus Frankfurt/Main vor uns haben. Das verrät die typische Gestaltung der Kühlerpartie:

Da hier die Motorhaube noch übergangslos auf die Trennwand zum Fahrerraum stößt, kann dieser Wagen kaum später als 1909 entstanden sein.

Ab 1910 setzte sich bei Fabrikaten im deutschen Sprachraum nämlich der „Windlauf“ durch – ein Blech, das für einen strömungsgünstigen Übergang von der Haube zur (hier fehlenden) Windschutzscheibe sorgte.

Die Proportionen der Frontpartie sowie die Gestaltung von Kotflügeln und Rädern finden sich nahezu identisch auf folgender Abbildung, welche der Überlieferung nach einenm Adler 8/15 PS zeigt, wie er 1908/09 gebaut wurde:

Adler 8/15 PS Droschken-Coupé von 1908/09; Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Leider ist das die einzige mir bekannte Vergleichsabbildung eines solchen Adler des Typs 8/15 PS, denn für diese Marke, die einst zu den bedeutensten in Deutschland überhaupt zählte, gilt seit langem ebenfalls das Motto „Stillgestanden“.

Über 40 Jahre ist es her, dass Altmeister Werner Oswald den Versuch einer Gesamtschau aller je hergestellten Adler-Automobile unternahm („Adler-Automobile, 1900-1945„, Motorbuch-Verlag, 1. Auflage 1981).

Seither steht meines Wissens nach die Zeit still in Sachen „Adler“-Dokumentation. Der in mancher Hinsicht so rührige Adler Motor-Veteranen-Club ist in der Hinsicht bislang ebenfalls untätig geblieben, obwohl es es dort Material ohne Ende geben muss.

So bleibt es am Ende bei der Vermutung, dass das exklusive „Coupé de Ville“ auf dem Foto von Klaas Dierks 1908/09 auf Basis eines eher kleinen Adlers entstanden war, und dafür kommt vor allem der 2-litrige Vierzylindertyp 8/15 PS in Betracht.

Wer es genauer weiß, ist aufgerufen, das hier kundzutun und auf Vergleichsstücke zu verweisen. Denn so wenig mich die Gegenwart zu begeistern vermag, wünsche ich mir, dass zumindest in Sachen Adler-Veteranen die Zeit nicht länger stillsteht…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

3 Gedanken zu „Stillgestanden! Ein Adler „Coupé de Ville“ von 1908

  1. In der Tat absolut lesenswert!

  2. Tja, da mußte ich doch gleich wieder das Buch von Otto Julius Bierbaum hervorkramen, „eine empfindsame Reise im Automobil“ die von Berlin nach Sorrent und zurück an den Rhein führte – 1902, mit einem einzylindrigen 8-PS-Adler und 3 Gängen – viel Kultur, wenig Technik, aber schon erstaunlich, was diese ganz frühen Automobile leisten konnten, sogar der Gotthard war kein Hindernis.
    (Das Buch gibt es wieder als Nachdruck)

  3. Zählen kann ich genau 9 Luftschlitze an diesem Coupé de Ville; es verbirgt sich aber vielleicht ein zehnter genau hinter der Karbidleuchtenhalterung. Der schwere und hecklastige Aufbau macht den kleineren 5/8PS unwahrscheinlich, und da gemäß Ihren Berichten von 2018 und 2020 der bereits mit einem Windlauf versehene Adler 7/17 PS auch nur 11 Luftschlitze aufwies, sehen wir hier wohl ein Fahrzeug aus den Jahren 1907-1909 … vielleicht doch einen 6/12, denn das Droschken-Coupé auf der Postkarte sieht mit dem schmalen Eckfenster und der Zierspange auf der C-Säule doch wesentlich eleganter aus.

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