Wer bei Aufstiegskandidaten reflexhaft an Fußball denkt, kommt heute leider nicht auf seine Kosten – den Kickerclub „Metallurgique Landaulet“ hat es nie gegeben.
Zudem liegt mir der Ballsport fern – ich habe darin nie sonderliche technische Fertigkeiten entwickelt.
Wenn es in der Schule oder danach auf den Bolzplatz ging, bestand mein Können darin, mehr Ausdauer als andere zu haben und Angreifern nicht von der Seite zu weichen, bis sie genervt den Ball abgaben.
Besonders lag mir der „Freistil“ – also vom Verteidiger zufällig selbst zum Angreifer zu werden und aus unmöglichen Situationen zu versuchen, einen Treffer zu erzielen. Denn den Ball gegen andere zu verteidigen, dazu fehlte mir die Technik.
Am besten gefiel mir das regellose Spiel im Bad Nauheimer Freibad mit US-GIs aus der Panzerkaserne im benachbarten Friedberg. Die Jungs aus den Staaten spielten so robust, wie sie das vom American Football kannten – bloß in Badehose und barfuß.
Das war genau mein Ding – nie habe ich mehr Spaß gehabt beim Fußball, als wenn man robust aufeinanderkracht und förmlich miteinander um den Ball ringt. Dabei ging es stets fair zu und an Verletzungen kann ich mich nicht erinnern.
So, das muss genügen, was die Fußball-Assoziationen angeht, die der Titel meines heutigen Blog-Eintrags wecken mag.
Wenn dort von Aufstieg die Rede ist, dann ist tatsächlich etwas ganz anderes gemeint – und der Kandidat dafür war alles andere als für den Sport gekleidet:
Natürlich erkennen langjährige Leser diese Kühlerpartie auf Anhieb – einen solchen Spitzkühler mit pyramidenhaft gestaltetem Wasserkasten besaßen die Wagen der einst berühmten belgischen Marke Metallurgique.
Und wer meine amateurhaften und höchst subjektiv gefärbten Ausflüge in die unerschöpfliche Wunderwelt der Vorkriegsautos erst seit kurzem verfolgt, wird von nun an für immer wissen, woran man einen Metallurgique erkennt:
Haben Sie sich das eingeprägt? – Oder schielen sie mit einem Auge heimlich auf das Smartophon, während ich Ihnen hier etwas beizubringen versuche? Also etwas mehr Konzentration, wenn ich bitten darf.
Ich komme sicher darauf zurück und dann will ich nicht wieder alles von vorne erklären müssen – Metallurgique-Fotos liegen jedenfalls noch etliche auf der Festplatte herum.
Interessant wird ausgerechnet diese belgische Marke unter den Dutzenden, welche das kleine, aber einst industriell hochbedeutende Land hervorgebracht hat – interessant also wird Metallurgique dadurch, dass die Wagen ab 1909 auch unter Lizenz in Berlin gebaut wurden.
Lizenznehmer war die Bergmann-Elektrizitätswerke AG – welche erkannte , dass die Zukunft nicht dem damals noch stark verbreiteten batterieelektrischen Auto gehört , sondern dem in allen Belangen überlegenen Verbrenner – ein zeitloses Thema, wie es scheint.
Man darf jedenfalls getrost davon ausgehen, dass Metallurgique-Fotos aus deutschen Landen meist einen solchen Bergmann-Metallurgique aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg zeigen.
Die ungewöhnlich anmutende Beziehung zu Deutschland hatte den Grund, dass die ersten Wagen der Marke von deutschen Konstrukteuren gebaut worden waren. Auch der markante Kühler war die Idee einer deutschen Firma gewesen.
Nun wird es aber höchste Zeit für den angekündigten Aufstieg und den Kandidaten dafür.
Letzterer war gewiss nicht der mit vornehmer Büroblässe ausgestattete Passagier im Heck dieses prächtigen Landaulets, sondern der gesünder wirkende Fahrer mit dem scharf geschnittenen Gesicht, der hier wie der wahre Herr der Situation dreinschaut:
Nun sehen wir auch, wie das mit dem Aufstieg gemeint war. Der bezog sich nämlich offenbar auf die Stufe hinter der Fahrertür, über welche der Chauffeur an das auf dem Dach angebrachte Gepäck gelangte.
Die Dachreling war im Stil der Zeit verspielt und dem Auge schmeichelnd gestaltet. Wer mit solchem Dekor ein Problem hat, ist schlicht zu bedauern – schöne Details wie diese sind Ausdruck davon, dass man die Sklavenstufe der blanken Notwendigkeit überwunden hat.
Überhaupt ist die Gestaltung des Aufbaus so atemberaubend opulent, wie das nach dem 1. Weltkrieg nie wieder der Fall sein sollte. Nicht umsonst markiert dieser die eigentliche Zäsur im 20. Jahrhundert und wurde von den Zeitgenossen entsprechend wahrgenommen.
Datieren würde ich das Fahrzeug anhand der Frontpartie mit der noch wie aufgesetzt wirkenden Windkappe zwischen Motorhaube und Frontscheibe auf 1910/11.
Wer nun meint, dass der Fahrer des Wagens ein armer Mensch gewesen sein muss, der sich auch noch als Gepäckträger seines Brötchengebers verdingen musste, liegt völlig daneben.
Ein Chauffeur war damals ein hochgeschätzter Könner seines Fachs, der nicht nur die enorme Komplexität der Automobile beherrschen, sondern auch über ausgezeichnete Manieren verfügen musste – damals wie heute nicht jedermann gegeben.
Ihm vertraute man Leib und Leben der ganzen Familie und den enormen Wert des Fahrzeugs ein, das im Fall eines Metallurgique mit einem derartig aufwendigen Aufbau den Gegenwert eines einfachen Hauses auf dem Land repräsentierte.
Über die Jahre meiner Beschäftigung mit tausenden solcher Fotos ist mir aufgefallen, dass die Fahrer solcher Chauffeurwagen fast immer sehr selbstbewusst wirken, ja oft sogar als die interessanteren und sympathischeren Charaktere erscheinen als die Besitzer.
Tatsächlich konnten sie in vielen Fällen einen bemerkenswerten Aufstieg absolvieren – nicht nur vom Fahrersitz auf das Dach des Wagens, auf dem Madames Hutschachtel lag, sondern in beruflich noch höherstehende Gefilde – als Besitzer einer Werkstatt, eines Autohauses oder eines florierenden Taxibetriebs beispielsweise.
In Zeiten, in denen allzuoft über den Verlust von vermeintlichen Privilegien und böse Wettbewerber gejammert wird, erinnern solche Beispiele einstiger Aufstiegskandidaten daran, dass man bei Bedarf mutig loslegen und dabei auch unkonventionelle Wege beschreiten muss, um Erfolg zu haben – die Altvorderen konnten das auch…
Wer sich einredet (oder einreden lässt), dass ihm die Voraussetzungen fehlen oder er die Regeln der Kunst nicht beherrscht und noch üben muss, dem wird nie der Aufstieg gelingen…
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.