Die Freunde und Kenner der tschechischen Automarke Praga müssen es mir nachsehen, wenn ich heute die von ihnen geschätzten Wagen nicht zum Gegenstand einer akribischen Betrachtung mache, wie das sonst meist zu tun pflege.
Das liegt zum einen daran, dass ich mangels Literatur bislang nur eine oberflächliche Kenntnis der unterschiedlichen Praga-Typen und ihrer vielen aufeinanderfolgenden Generationen erlangt habe.
Zum anderen nutze ich geeignete Fotos bisweilen gern dazu, eher auf die Wirkung der alten Aufnahmen einzugehen und mir Gedanken grundsätzlicher Natur zu machen. So geht es auch diesmal eher um Impressionen, die ich quasi am Wegesrand meiner Beschäftigung mit den Automobilen und der Welt der Vorkriegszeit mitnehme.
Eine geschätzte Leserin, die sich im Scherz der Vorstellung hingibt, dass ich diesen Blog allein für sie verfasse, hat mir einmal die Frage gestellt, wo ich eigentlich mein Wissen und mein Urteilsvermögen zu diesem doch ziemlich speziellen Thema erlangt habe.
Nun, die Antwort ist ganz einfach – ganz lässig und vergnügt am Wegesrand:

Wenn man mit gesunder Neugierde ausgestattet ist, die Gegenwart nicht zwangsläufig in allen Belangen für die beste aller Welten hält und gelernt hat, die Dinge mit dem seziererischen Blick eines Gerichtsmediziners zu betrachten, dann stellt sich die Sachkunde nach ein paar Jahren der Betrachtung alter Autofotos ganz von alleine ein.
Allerdings hilft mir das glückliche Zusammentreffen einiger erworbener Fähigkeiten:
Da wäre der klare Blick für die Struktur in allen Dingen. So etwas erwirbt man beispielsweise, wenn man wie ich die Grammatik der lateinischen Sprache gründlich erlernt hat – aber ebenso wenn man mit dem Zerlegen und Zusammensetzen technischer Geräte großgeworden oder gar beruflich befasst ist, was bei mir leider nicht der Fall ist.
Das genaue Beobachten von Details und das Festhalten derselben habe ich über viele Jahre der ehrenamtlichen Arbeit auf archäologischen Ausgrabungen trainiert. Noch heute kann ich im Gewirr der Mauern in historischen Stätten mehrere aufeinanderfolgende Epochen erkennen und ansprechen.
Gerade letzteres ist wichtig: für die Dinge, die man wahrnimmt, auch Begriffe zu haben, um sie beschreiben oder andere auf sie hinweisen zu können.
Genug davon, wir wollen heute ja noch einiges an Strecke zurücklegen und schauen, was wir am Wegesrand an Eindrücken mitnehmen können. Das eingangs gezeigte Bild steht sinnnbildlich dafür ebenso wie das folgende.
Auch dieses ist nur ein eilig gemachter Schnappschuss, denn der Mensch ist ja immer unterwegs und hat es stets eilig, dabei hat er am Ende gar kein Ziel, oder doch? Nun, das bleibt jedem selbst überlassen, aber dass wir bloß auf einer kurzen Wanderschaft auf dem Weg durch die Unendlichkeit sind, darüber dürfte wohl Einigkeit herrschen.
Immerhin gibt es hin und wieder am Wegesrand Anlass zu Ausgelassenheit, dann vergessen wir für einen schönen Moment, dass wir eigentlich unablässig unterwegs sind:

Haben Sie beim ersten Foto Ihren Blick für’s Detail geschult? Was ist ihnen dort als markant aufgefallen, was auf der zweiten Aufnahme ebenfalls zu sehen ist?
Die Doppelstoßstange? Nein, die war nicht markentypisch, die gab es – von US-Modellen inspiriert – bei vielen europäischen Wagen der zweiten Hälfte der 1920er Jahre, und sei es nur als Zubehör.
Dann vielleicht die eingeprägten Sicken in den Vorderkotflügel? Ebenfalls Fehlanzeige. Diese Form der Gestaltung findet sich bei den meisten Automobilen, bis sie gegen Ende der 20er von völlig abgerundeten Schutzblechen ohne eingeprägte Sicken abgelöst wurden.
Dann bleibt nicht mehr viel, genau genommen nur noch eines: Das dachartig gestaltete Blech unterhalb des Kühlergehäuses. Das hätte funktionell nicht so ausfallen müssen, also war es bewusst so ausgeführt worden, um der Kühlerpartie den Eindruck der Beliebigkeit zu nehmen.
Diese Blechpartie, die mit dem oberen Abschluss des Kühlers korrespondiert, findet sich beim Modell “Alfa” von Praga, welches über etliche Jahre mit laufenden Verbesserungen und Änderungen im Formalen gebaut wurde.
Das hilft uns nicht zuletzt deshalb, weil der Markenschriftzug auf den beiden bislang gezeigten Fotos wohl nur dann zu entziffern ist, wenn man bereits ahnt, dass es sich um Wagen von Praga handelt.
Mit diesen am Wegesrand aufgelesenen Details sind wir nun imstande, unsere kleine Reise auf den Spuren des Praga “Alfa” fortzusetzen.
Dabei machen wir ein letztes Mal Halt an einem Ort, der an einer Straße ins Unbekannte liegt. Doch diesmal werden uns dabei Impressionen zuteil, die weit über das bislang Erlebte hinausgehen und die das Auto in den Schatten stellen:

Merkwürdig fremd wirkend ragt diese Villa im späten, geometrisch geprägten Jugendstil im Umfeld eines Straßendorfs auf (das Originalfoto ist weit größer und zeigt die Situation).
1911 wurde sie errichtet, wirkt aber zum Zeitpunkt der Aufnahme 20 Jahre später schon etwas mitgenommen – oder besser: vernachlässigt. Man hat den Eindruck, dass die Besitzer nach Fertigstellung und erst recht nach dem 1. Weltkrieg nicht mehr die Mittel hatten, das Grundstück fertigzugestalten und einen Ziergarten anzulegen.
Der primitive Zaun aus Holzlatten zwischen grob verputzten Pfählen ist sicher erst in den 1920er Jahren entstanden. Möglicherweise hatte die Villa den Besitzer gewechselt und wurde nun anders genutzt, eventuell als Pension.
Doch die Besitzer – offenbar an harte Arbeit gewöhnte Leute – hatten es mit Geschick und Fleiß zu einigem Wohlstand gebracht und präsentieren sich hier mit ihrem Automobil.
Freilich ist auch denkbar, dass bloß ein vermögender Verwandter zu Besuch war und seinen Wagen für diese Aufnahme zur Verfügung gestellt hatte.
Solche Situationen sind des öfteren festgehalten worden, als in Europa der Besitz eines Autos nur wenigen, sehr gut situierten Menschen möglich war. Dann ließ sich die bucklige Verwandtschaft gern auf diese Weise ablichten, so als habe sie selbst “es geschafft”.
Dabei nahm man mit instinktiver Geste Besitz von dem automobilen Wunderwerk und schaute selbstzufrieden in die Kamera:

Freilich zeigte man bei dergleichen Gelegenheiten auch, dass man in Sachen Mobilität auf dem Land nicht auf den Kopf gefallen war. So präsentiert sich hier das Töchterlein selbstbewusst mit seinem Reittier – einem Schaf auf Rädern!
Solche menschlichen Impressionen am Wegesrande sind es, die einem das Herz aufgehen lassen und mit einem Mal sind die motorisierten Gefährte nur noch vergängliches Beiwerk…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Stimmt, da schaue ich auch gern vorbei.
https://pragaglobal.com/praga-history/
recht gut gemacht !
Besten Dank. Kennen Sie eine gute Quelle zu Praga-Automobilen!
Den Praga auf dem untersten Bild würde ich mit ziemlicher Sicherheit als “Piccolo” ansprechen aufgrund seiner geringen Größe. Die anderen könnten Alfas sein, sicher bin ich da aber nicht, da die Modelle sich in fast allen Details sehr ähneln und nur über die Größe äußerlich erkennbar sind. Selbst der kleine Piccolo hatte damals serienmäßis Stoßstangen, 2 Reserveräder in den Kotflügeln und ähnliche hochwertige Ausstattung wie die größeren Modelle “Alfa” und “Mignon”. Der große 8-Zylinder “Grand” spielte da freilich in einer anderen Liga, was auch äußerlich sichtbar war.
Der dachförmige Bereich unter dem Kühler bildet die Form der vorderen Rahmentraverse, die entsprechend gestaltet war und die Führung für die Handkurbel beinhaltete. Sie war mit einem lackierten Frontblech verkleidet.