Impressionen am Wegesrand: Praga “Alfa”

Die Freunde und Kenner der tschechischen Automarke Praga müssen es mir nachsehen, wenn ich heute die von ihnen geschätzten Wagen nicht zum Gegenstand einer akribischen Betrachtung mache, wie das sonst meist zu tun pflege.

Das liegt zum einen daran, dass ich mangels Literatur bislang nur eine oberflächliche Kenntnis der unterschiedlichen Praga-Typen und ihrer vielen aufeinanderfolgenden Generationen erlangt habe.

Zum anderen nutze ich geeignete Fotos bisweilen gern dazu, eher auf die Wirkung der alten Aufnahmen einzugehen und mir Gedanken grundsätzlicher Natur zu machen. So geht es auch diesmal eher um Impressionen, die ich quasi am Wegesrand meiner Beschäftigung mit den Automobilen und der Welt der Vorkriegszeit mitnehme.

Eine geschätzte Leserin, die sich im Scherz der Vorstellung hingibt, dass ich diesen Blog allein für sie verfasse, hat mir einmal die Frage gestellt, wo ich eigentlich mein Wissen und mein Urteilsvermögen zu diesem doch ziemlich speziellen Thema erlangt habe.

Nun, die Antwort ist ganz einfach – ganz lässig und vergnügt am Wegesrand:

Praga “Alfa”, aufgenommen im September 1930; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wenn man mit gesunder Neugierde ausgestattet ist, die Gegenwart nicht zwangsläufig in allen Belangen für die beste aller Welten hält und gelernt hat, die Dinge mit dem seziererischen Blick eines Gerichtsmediziners zu betrachten, dann stellt sich die Sachkunde nach ein paar Jahren der Betrachtung alter Autofotos ganz von alleine ein.

Allerdings hilft mir das glückliche Zusammentreffen einiger erworbener Fähigkeiten:

Da wäre der klare Blick für die Struktur in allen Dingen. So etwas erwirbt man beispielsweise, wenn man wie ich die Grammatik der lateinischen Sprache gründlich erlernt hat – aber ebenso wenn man mit dem Zerlegen und Zusammensetzen technischer Geräte großgeworden oder gar beruflich befasst ist, was bei mir leider nicht der Fall ist.

Das genaue Beobachten von Details und das Festhalten derselben habe ich über viele Jahre der ehrenamtlichen Arbeit auf archäologischen Ausgrabungen trainiert. Noch heute kann ich im Gewirr der Mauern in historischen Stätten mehrere aufeinanderfolgende Epochen erkennen und ansprechen.

Gerade letzteres ist wichtig: für die Dinge, die man wahrnimmt, auch Begriffe zu haben, um sie beschreiben oder andere auf sie hinweisen zu können.

Genug davon, wir wollen heute ja noch einiges an Strecke zurücklegen und schauen, was wir am Wegesrand an Eindrücken mitnehmen können. Das eingangs gezeigte Bild steht sinnnbildlich dafür ebenso wie das folgende.

Auch dieses ist nur ein eilig gemachter Schnappschuss, denn der Mensch ist ja immer unterwegs und hat es stets eilig, dabei hat er am Ende gar kein Ziel, oder doch? Nun, das bleibt jedem selbst überlassen, aber dass wir bloß auf einer kurzen Wanderschaft auf dem Weg durch die Unendlichkeit sind, darüber dürfte wohl Einigkeit herrschen.

Immerhin gibt es hin und wieder am Wegesrand Anlass zu Ausgelassenheit, dann vergessen wir für einen schönen Moment, dass wir eigentlich unablässig unterwegs sind:

Praga “Alfa”; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Haben Sie beim ersten Foto Ihren Blick für’s Detail geschult? Was ist ihnen dort als markant aufgefallen, was auf der zweiten Aufnahme ebenfalls zu sehen ist?

Die Doppelstoßstange? Nein, die war nicht markentypisch, die gab es – von US-Modellen inspiriert – bei vielen europäischen Wagen der zweiten Hälfte der 1920er Jahre, und sei es nur als Zubehör.

Dann vielleicht die eingeprägten Sicken in den Vorderkotflügel? Ebenfalls Fehlanzeige. Diese Form der Gestaltung findet sich bei den meisten Automobilen, bis sie gegen Ende der 20er von völlig abgerundeten Schutzblechen ohne eingeprägte Sicken abgelöst wurden.

Dann bleibt nicht mehr viel, genau genommen nur noch eines: Das dachartig gestaltete Blech unterhalb des Kühlergehäuses. Das hätte funktionell nicht so ausfallen müssen, also war es bewusst so ausgeführt worden, um der Kühlerpartie den Eindruck der Beliebigkeit zu nehmen.

Diese Blechpartie, die mit dem oberen Abschluss des Kühlers korrespondiert, findet sich beim Modell “Alfa” von Praga, welches über etliche Jahre mit laufenden Verbesserungen und Änderungen im Formalen gebaut wurde.

Das hilft uns nicht zuletzt deshalb, weil der Markenschriftzug auf den beiden bislang gezeigten Fotos wohl nur dann zu entziffern ist, wenn man bereits ahnt, dass es sich um Wagen von Praga handelt.

Mit diesen am Wegesrand aufgelesenen Details sind wir nun imstande, unsere kleine Reise auf den Spuren des Praga “Alfa” fortzusetzen.

Dabei machen wir ein letztes Mal Halt an einem Ort, der an einer Straße ins Unbekannte liegt. Doch diesmal werden uns dabei Impressionen zuteil, die weit über das bislang Erlebte hinausgehen und die das Auto in den Schatten stellen:

Praga “Alfa”, aufgenommen 1931; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Merkwürdig fremd wirkend ragt diese Villa im späten, geometrisch geprägten Jugendstil im Umfeld eines Straßendorfs auf (das Originalfoto ist weit größer und zeigt die Situation).

1911 wurde sie errichtet, wirkt aber zum Zeitpunkt der Aufnahme 20 Jahre später schon etwas mitgenommen – oder besser: vernachlässigt. Man hat den Eindruck, dass die Besitzer nach Fertigstellung und erst recht nach dem 1. Weltkrieg nicht mehr die Mittel hatten, das Grundstück fertigzugestalten und einen Ziergarten anzulegen.

Der primitive Zaun aus Holzlatten zwischen grob verputzten Pfählen ist sicher erst in den 1920er Jahren entstanden. Möglicherweise hatte die Villa den Besitzer gewechselt und wurde nun anders genutzt, eventuell als Pension.

Doch die Besitzer – offenbar an harte Arbeit gewöhnte Leute – hatten es mit Geschick und Fleiß zu einigem Wohlstand gebracht und präsentieren sich hier mit ihrem Automobil.

Freilich ist auch denkbar, dass bloß ein vermögender Verwandter zu Besuch war und seinen Wagen für diese Aufnahme zur Verfügung gestellt hatte.

Solche Situationen sind des öfteren festgehalten worden, als in Europa der Besitz eines Autos nur wenigen, sehr gut situierten Menschen möglich war. Dann ließ sich die bucklige Verwandtschaft gern auf diese Weise ablichten, so als habe sie selbst “es geschafft”.

Dabei nahm man mit instinktiver Geste Besitz von dem automobilen Wunderwerk und schaute selbstzufrieden in die Kamera:

Freilich zeigte man bei dergleichen Gelegenheiten auch, dass man in Sachen Mobilität auf dem Land nicht auf den Kopf gefallen war. So präsentiert sich hier das Töchterlein selbstbewusst mit seinem Reittier – einem Schaf auf Rädern!

Solche menschlichen Impressionen am Wegesrande sind es, die einem das Herz aufgehen lassen und mit einem Mal sind die motorisierten Gefährte nur noch vergängliches Beiwerk…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Braucht keinen Titel: Praga “Lady” von 1935

Ein Mensch, der sich seiner Kompetenz bewusst ist, und ein Charakter, der mit sich selbst im Reinen ist, braucht keinen Titel.

Davon war ich früh überzeugt, wissend wie sehr mancher in der Familie nach einem “Doktor” gierte oder sich gar adlige Abkunft herbeiphantasierte.

Nichts gegen einen durch solide Forschung oder das Glück einer uralten Familientradition erworbenen Titel. Doch nichts ist erbärmlicher als ein erschwindelter oder gekaufter.

Geistesadel braucht ohnehin kein “von und zu” und professionelle Exzellenz kommt ohne die angloamerikanischen Funktionstitel “Manager”, “Director” usw. aus, die man heute durch eine gewisse Spezialisierung mehr oder minder automatisch erwirbt.

Mit dem Foto und dem darauf abgebildeten Automobil, um das es heute geht, verhält es sich ähnlich. Beide brauchen keinen Titel, sie sagen über sich selbst schon alles:

Praga “Lady” von 1935; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Na, wissen Sie, was wir hier von uns haben? Auf die “Lady” wäre wohl jeder selbst gekommen, aber dass damit das Auto gemeint sein könnte, wer hätte es gewusst?

Ich jedenfalls hatte keine Ahnung davon, als ich begann, mich mit dem frisch erworbenen Abzug der 5 Euro-Billigklasse zu beschäftigen. Wenn man ständig nach solchen Sachen sucht, wird man etwas knauserig – doch oft genug zahlt sich das aus.

Mein Bauchgefühl sagte mir, dass es sich um ein tschechisches Fabrikat handeln muss. Es ist schwer zu beschreiben, aber die Tschechen pflegten speziell in den 1930er Jahren einen eigenen Stil in der Autogestaltung, den ich schätze.

Zunächst dachte ich an einen Skoda Popular “Rapid” ähnlich dem hier abgebildeten Cabrio:

Skoda Popular Rapid; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Letztlich beschränkte sich die Übereinstimmung jedoch nur auf die Gestaltung des Luftauslasses in der Motorhaube.

Das für Skoda typische Emblem bzw. die entsprechende Kühlerfigur – ein Pfeil mit stilisierter Schwinge – fand sich nämlich nicht auf der Frontpartie des Wagens auf meinem Foto.

Leider stand die “Lady” mit dem bis in die 1950er Jahre typischen Kleid nicht mehr für eine Auskunft zur Verfügung. Dass sie heute noch gute Figur neben dem Automobil macht, hätte ihr sicher gefallen.

Sorgfältig frisiert, mit Lippenstift, großen Ohrsteckern und auffälliger Halskette wusste sie das Beste aus sich zu machen und wirkte selbstbewusst genug, um der Neugier eines größeren Publikums standzuhalten.

Ich könnte mir sie gut als Opernsängerin vorstellen beispielsweise. Ganz gleich, was Ihnen zu dieser Lady einfällt, wir konzentrieren uns jetzt auf das Markenemblem des Autos, ja?

Praga “Lady” von 1935; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

“Das ist das Kühleremblem von Praga”, weiß man, wenn man entweder ein Kenner tschechischer Vorkriegsmarken ist oder öfters auf der fabelhaften Website von Claus Wulff herumstöbert, wo man einige prächtige Exemplare davon findet.

Von hier ist der Weg nicht weit zur endgültigen Identifikation des Wagens als Praga mit dem Namen “Lady”, den man sich hier kaum passender vorstellen könnte.

Dieses ab 1935 gebaute Auto war trotz bescheidener Dimensionen und moderater Leistung – es besaß einen 1,7 Liter-Vierzylinder mit 35 PS (gerade 3 mehr als der Mercedes 170 W15) – ein absolutes Schmuckstück.

Das mag bei der Betrachtung des heute vorgestellten Fotos übertrieben anmuten, auf dem man die “Lady” neben dem Auto für attraktiver halten würde als den gleichnamigen Praga.

Schuld an diesem Eindruck ist aber nur, dass die wahren Qualitäten der “Lady” mit vier Rädern im Schwarz-Weiß-Modus und auf diesem Dokument entschieden unterbelichtet bleiben.

Dass der kompakte Praga auch “ohne Titel” exzellente Klasse aufwies, das wird deutlich, wenn man ihn in Farbe und in der zweitürigen Ausführung betrachtet:

Praga “Lady”; Fotoquelle: www.garaz.cz; Bildrechte: Tomáš Kopečný

Wenn diese “Lady” Appetit auf mehr macht, dann nehmen Sie sich etwas Zeit für sie. Denn 50 wunderbare Bilder von ihr gibt es hier zu sehen!

Klicken Sie dort auf das große Foto und blättern Sie dann unten weiter. Dieses Auto mit seinen feinen Details begeistert. Das ist tschechische Automobilbaukunst, bei welcher der Name schon Programm ist: Diese Lady … hat keinen Titel nötig!

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Nur wer die Sehnsucht kennt: Ausflug im Praga “Mignon”

“Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß was ich leide” – diese Liedzeile singt die geheimnisvolle Figur “Mignon” in Goethes Roman “Wilhelm Meisters Lehrjahre”.

Mignon ist schwer zu fassen, einiges lässt sich über sie in Erfahrung bringen, doch letztlich bleibt ihre Identität nebulös – was letztlich ihre Faszination ausmacht.

So verhält es sich auch mit dem “Mignon”, um den es heute geht, obwohl es sich nicht um ein Kind des Südens handelt, sondern um das gleichnamige Produkt einer kaum minder geheimnisvollen tschechischen Automobilfirma – Praga.

Sicher, die Eckdaten dieses Herstellers aus Prag sind bekannt: Seit 1909 wurden – nach einer kurzen Phase, in der man Lizenznachbauten von Darracq und Renault fertigte – unter diesem Namen selbstentwickelte Automobile gefertigt.

Auch die Bezeichnungen der einzelnen Typen sind geläufig. Doch wie Mignon aus Goethes Roman waren sie enorm wandelbar, unter ein und demselben Namen wurden stetig weiterentwickelte Fahrzeuge auf den Markt gebracht, die schwer zu fassen sind.

Hier haben wir gleich zwei Beispiele auf einem Foto von Leser Matthias Schmidt (Dresden):

Praga “Alfa”; Ausschnitt aus Originalfoto von Matthias Schmidt (Dresden)

“Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide” – das gilt auch, wenn ich solche wunderbar aufgenommenen Wagen auf alten Fotos sehe und mich schwertue, die Typen genau zu benennen.

Die beiden kompakten Praga-Tourenwagen scheinen sich bis auf die Ausführung des Kühlers fast vollkommen zu entsprechen. Rechts haben wir eine ältere Version mit “Schnabelkühler”, links eine neuere mit glatter Kühlerfront.

Was wir hier vor uns haben, ist typisch für die Marke Praga – nämlich die stetige Weiterentwicklung eines Typs, der in zahlreichen aufeinanderfolgenden Kleinserien über viele Jahre gebaut wurden, die sich in oft nur schwer greifbaren Details unterschieden.

Im vorliegenden Fall sind wir wahrscheinlich Zeuge des Übergangs von einer frühen Serie des kleinen Praga “Alfa”, der seit 1913 gebaut wurde, zu einer späteren.

Das konnte wie im vorliegenden Fall mit einer nur kosmetischen Modernisierung einhergehen, jedoch auch mit einem deutlichen Wachstum von Radstand, Hubraum und Leistung, ohne dass man eine neue Typbezeichnung für nötig hielt.

So ist es bei Praga nicht ungewöhnlich, dass ein Modell im Lauf der Jahre aus seiner ursprünglichen Klasse herauswuchs. Das war auch beim “Alfa” der Fall, sodass man dem ursprünglich in der Kleinwagenklasse angesiedelten Typ ab Mitte der 1920er Jahre ein kleineres Schwestermodell zur Seite stellte, den “Piccolo”.

Oberhalb der beiden angesiedelt war – wenn ich es richtig sehe – der Praga “Mignon”.

Dieser war bei seiner Einführung 1911 noch ein Fahrzeug der unteren Mittelklasse, doch schon kurz nach dem 1. Weltkrieg hatte er beachtliche Ausmaße angenommen und wartete mit 30 PS statt anfänglich gut 20 PS auf.

Wenn ich mich nicht täusche, haben wir hier ein Exemplar davon:

Praga “Mignon” um 1920; Ausschnitt aus Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Stilistisch entspricht dieser beachtliche Tourenwagen weitgehend dem Erscheinungsbild des kleineren Praga Alfa auf dem eingangs gezeigten Foto.

Doch seine Dimensionen sind deutlich erwachsener und er dürfte sechs bis sieben statt nur vier Insassen Platz geboten haben. Der Schnabelkühler verrät, dass es sich noch um ein frühes Exemplar handelt – spätestens Mitte der 1920er Jahre verschwand dieses Relikt.

Es ist nun fast 100 Jahre her, dass dieser Wagen so prominent inmitten einer Gruppe von Automobilisten platziert wurde. Diese genossen das damals rare Privileg, ihren Sehnsüchten im Automobil nachjagen zu können.

“Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß was ich leide” – dieser Ausruf von Mignon im Werk von Goethe galt und gilt sinngemäß für all die, die einem nüchternen Alltag durch Flucht auf Zeit entkommen wollen.

Im vorliegenden Fall können wir davon ausgehen, dass der Praga “Mignon” seine Insassen ihren Sehnsüchten näherbrachte, zumindest was die Flucht aus beengten städtischen Verhältnissen hinaus in eine grandiose Natur angeht:

Praga “Mignon” um 1920; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Leider ist die schillernde Geschichte der Praga-Automobile meines Wissens bislang nirgends in deutscher Sprache aufgearbeitet, weshalb ich bei den durchaus zahlreichen Fotos von Wagen dieser Marke in meinem Fundus oft auf Vermutungen angewiesen bin.

So bleibt auch der Praga “Mignon” für mich in mancher Hinsicht ein Mysterium – und im Fall solcher fabelhaften Fotos auf Vermutungen angewiesen zu sein, das macht mir zu schaffen.

“Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß was ich leide” – wenigstens gibt es eine Vertonung des Lieds von Mignon, die keine Wünsche offen lässt, nämlich die von Franz Schubert.

Welche Interpretation davon zu bevorzugen ist, das ist eine ganz eigene Herausforderung.

Es gibt eine Version der amerikanischen Sopranistin Barbara Bonney, an der es nichts auszusetzen gibt, außer dass sie ein wenig zu steril ist. Nach einiger Überlegung habe ich dem raffinierteren Vortrag von Gundula Janowitz den Vorzug gegeben:

Videoquelle: YouTube; hochgeladen von: Lector Kreuzritter Kleinbittersdorf

© Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Zeuge böhmischer Geschichte: Praga “Piccolo”

Nach langer Abstinenz präsentiere ich heute wieder einmal ein Automobil des traditionsreichen Fahrzeugbauers Praga.

Leider sind diese Wagen heute außerhalb Tschechiens kaum noch bekannt, was zum Teil an der Sprachbarriere liegt. Während es viele Tschechen gibt, die ausgezeichnet Deutsch sprechen, ist das umgekehrt nur sehr selten der Fall.

Das hat historische Gründe, denn bis 1918 waren die Tschechen Untertanen der Habsburger Monarchie und ihre Geschichte ist daher eng mit der Österreichs verwoben.

Somit sind die Autohersteller auf dem Boden der späteren Tschechoslowakei zugleich Teil der österreichischen Fahrzeugtradition. Dennoch verbinden viele Vorkriegsfreunde hierzulande kaum etwas mit diesen Marken, obwohl diese bis Ende des 1. Weltkriegs im deutschsprachigen Raum eine bedeutende Rolle spielten.

Taucht man einmal in diese Welt ein, begegnen einem fremdartig klingende Namen wie Nesselsdorfer Wagenbau-Fabrik oder Laurin & Klement. Vertrauter sind kurioserweise die tschechischen Nachfolgeunternehmen Tatra und Skoda.

Ein weiterer Hersteller behielt über die Zäsur von 1918 hinaus nicht nur seinen Namen, sondern blieb auch bei deutschen Käufern recht beliebt – die Rede ist von Praga.

Unter dem Markennamen Praga entstanden in der Folge solide konstruierte Autos, die sich im Alltag bewährten, aber nie sehr große Stückzahlen erreichten. Eines dieser Modelle – den Praga “Piccolo” habe ich vor längerer Zeit hier vorgestellt:

Die Geschichte der Marke reicht bis ins Jahr 1907 zurück, als sie als Prager Automobilgesellschaft GmbH gegründet wurde. 1909, ein Jahr nach Vorstellung des ersten, nicht sehr erfolgreichen Automobils, ging das Werk ganz in den Besitz der schon seit 1871 existierenden Böhmisch-Mährischen Maschinenfabrik aus Prag über.

Praga “Piccolo” von ca. 1926; Ausschnitt aus Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Größenvergleich mit den abgelichteten Personen lässt bereits erkennen, dass Praga mit der Bezeichnung “Piccolo” (der Kleine) Realitätssinn bewies.

Mit dem 1924 vorgestellten Piccolo bot Praga bewusst ein Einstiegsmodell unterhalb des über die Jahre gewachsenen Praga Alfa. Wie dieser verzichtete auch der Piccolo auf jedwede technische Raffinesse.

Der seitengesteuerte Vierzylinder mit knapp 825 ccm leistete lediglich 12,5 PS. Für einen internationalen Erfolg, wie er Fiat damals in der 1-Liter-Klasse gelang, war das Gebotene zu wenig. Hinzu kam, dass es bei Praga keine Großserienproduktion gab.

Für einen lokalen Erfolg in der Tschechoslowakei und im benachbarten Österreich genügte es aber allemal. So begegnet einem der Praga “Piccolo” auf alten Fotos immer wieder, so auch auf dieser schönen Aufnahme:

Praga “Piccolo” um 1926; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ich habe hier bewusst den ursprünglichen Bildausschnitt beibehalten, auch wenn der Wagen nur eine Randerscheinung darstellt.

Die Einbeziehung des freundlich in die Kamera blickenden älteren Herrn ganz rechts gefiel mir so gut, dass ich diese Situation nicht dem Vergessen anheimgeben wollte. In welcher Beziehung mögen die Personen auf diesem Foto zueinandergestanden haben?

Handelt es sich um zufällig Anwesende, die der Fotograf gern mit in das Bild einbezog? Jedenfalls können wir uns heute gleichermaßen an dem Umfeld wie an dem Wagen selbst erfreuen:

Dass wir hier ebenfalls einen Praga “Piccolo” vor uns haben, leite ich wiederum aus den Größenverhältnissen ab. Die Frontpartie stimmt mit der des Wagens auf dem eingangs gezeigten Foto überein – der stärkere Praga “Alfa” sah allerdings von vorn ähnlich aus.

Übrigens ist die Form der Kühlermaske mit dem mittigen “Knick” nach unten typisch für die ab 1926 gebaute Serie des “Piccolo”.

Wir begegnen diesem Detail gleich wieder, dann aber am Beispiel eines Wagens, der sich für eine Typansprache aus geradezu idealer Perspektive präsentiert – und zugleich Mittelpunkt einer hübschen Inszenierung ist:

Praga “Piccolo” um 1926; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ich tendiere bei diesem Tourenwagen ebenfalls zu einem Praga “Piccolo”, da seine Motorhaube weniger Luftschlitze als die zeitgleichen Versionen des 20 PS-starken “Alfa” aufweist, dessen 1,2 Liter-Motor einen größeren Kühlungsbedarf hatte.

Ganz ausschließen möchte ich den “Alfa” zwar nicht – die Doppelstoßstangen könnten auf ihn hindeuten, sie können aber auch ein Zubehör gewesen sein. Die größere Verbreitung lässt aber an den “Piccolo” denken, der nicht zuletzt weniger Kraftstoff benötigte.

Das mag ein wichtiges Argument für die einstigen Besitzer gewesen sein. Bei ihnen handelte es sich ausweislich der Beschriftung des Abzugs um in Böhmen ansässige Deutsche, die nach 1918 unter tschechischer Herrschaft wenig zu lachen hatten.

Entstanden ist dieses Foto einst im nordböhmischen Reinowitz, einem Ortsteil von Gablonz an der Neiße. Nach der Vertreibung der deutschen Bevölkerungsmehrheit ab 1945 wurde der Ort in Rýnovice umbenannt.

Die Welt der prachtvollen Individuen auf dem Foto ist vor langer Zeit untergegangen und heute kümmern sich die tschechischen Bewohner vorbildlich um das ansehnliche architektonische Erbe der Stadt.

Ob der Praga die Irrungen und Wirrrungen des 20. Jahrhunderts als Zeuge böhmischer Geschichte überstanden hat? Vielleicht steht er ja heute herausgeputzt bei einem tschechischen Sammler, der selbst gern wüsste, was sein Auto wohl alles erlebt hat…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Fund des Monats: Ein Raba “Praga Grand” aus Ungarn

Heute beschäftigen wir uns mit einer Rarität, von der zumindest im deutschen Sprachraum vermutlich kaum jemand etwas gehört – geschweige denn gesehen – hat.

Kurios dabei ist, dass die Identifikation der Marke kaum einfacher sein könnte, auch der Typ lässt sich präzise benennen. Ein wenig geheimnisvoll ist der Wagen dennoch, da bislang nur widersprüchliche Angaben zur Motorisierung verfügbar sind.

Es wäre aber nicht das erste Mal, dass ein sachkundiger Leser auch dieses Detail klären kann. Selbst wenn das nicht gelingen sollte, kann man dieses grandiose Originalfoto genießen:

Raba_Praga_Galerie

Raba Praga; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese über 100 Jahre alte Komposition verdanken wir Heinrich Schuhmann, seines Zeichens k.u.k. Hoffotograf in Wien. 

Ob es sich um Heinrich Schuhmann senior (gestorben 1914) oder den gleichnamigen Sohn handelt, der im 2. Weltkrieg als Kriegsberichterstatter fiel, ist nicht ganz klar. Beide tauchen als zeitgenössische Pressefotografen bei bedeutenden Anlässen auf.

Jedenfalls dürfen wir davon ausgehen, dass einer der beiden die Aufnahme vor Beginn des 1. Weltkriegs machte. Nach 1918 wäre ein solches Foto sehr wahrscheinlich nicht mehr von einem einstigen k.u.k-Hoffotografen aus Wien geschossen worden.

Der Abzug zeigt nämlich zwei Autos aus Ungarn, das nach dem 1. Weltkrieg aus der einstigen Donaumonarchie herausgelöst wurde. Den entscheidenden Hinweis darauf geben die beiden Wagen selbst:

Raba_Praga_1 Der Schriftzug “RABA” verweist auf den gleichnamigen Maschinenbaukonzern im ungarischen Gyor, der heute noch existiert (Stand: 2018).

Nach eigenen Angaben erwarb Raba im Jahr 1913 (fremde Quellen nennen das Jahr 1912) eine Lizenz der Prager Automobilfabrik – kurz Praga – zur Fertigung von deren Automodellen.

Neben dem kompakten Typ Alfa mit 15 PS leistendem 1,1 Liter Motor fertigte Raba auch das Spitzenmodell von Praga, den Typ “Grand”.

Neben der technischen Spezifikation wurde auch die typische Gestaltung der Kühlermaske übernommen:

Raba_Praga_1_detail

Im Unterschied zum Vorbild war auf der Kühlerplakette ebenfalls “Raba” in kursiver Schrift zu lesen – hier leider nur ansatzweise zu erkennen.

Ein interessantes Detail ist die Kühlerfigur auf dem kronenförmigen Kühlwassereinfüllstutzen. Der Verfasser meint hier einen liegenden Hund oder Wolf zu erkennen – bessere Ideen sind willkommen.

Dass dieser Kühlerschmuck ein nicht-markentypisches Zubehör ist, zeigt die nähere Betrachtung des zweiten Wagens.

Bevor wir uns diesem zuwenden, sei auf die nach oben gezwirbelte Schnauzbärte des Beifahrers und des Herr mit Melone im Hintergrund verwiesen – auch sie sind ein Hinweis auf eine Entstehung des Fotos vor Ausbruch des 1. Weltkriegs.

Die beeindruckenden Ausmaße des Raba “Praga” werden bei Betrachtung des zweiten Wagens deutlich:

Raba_Praga_2

Auch wenn sich der Aufbau hinter der Windschutzscheibe unterscheidet – das Verdeck ist hier in einem zur Karosserie gehörenden Kasten versteckt – dürfte der Vorderwagen identisch sein.

Den Dimensionen nach zu urteilen, haben wir einen Lizennachbau des Praga “Grand” vor uns. Für einen Praga Alfa sind die Abmessungen zu groß und auch die Zahl der Luftschlitze (neun an der Zahl) spricht dagegen.

Für den 1912 vorgestellten Praga Grand werden hier folgende technische Daten angegeben:

  • 3,8 Liter großer Vierzylinder mit Seitensteuerung,
  • Spitzenleistung: 55 PS bei 2.000 U/min,
  • Vierganggetriebe, Höchstgeschwindigkeit: 100 km/h

Davon abweichend nennen andere Quellen für den Lizenznachbau Raba “Grand” einen Hubraum von 4,2 Liter und eine Leistung von 58 PS.

Denkbar, dass man sich bei Raba für einen etwas größeren Hubraum entschied – wer weiß etwas dazu?

Reizvoll wäre auch, etwas über den Anlass der Aufnahme zu erfahren – der Verfasser vermutet, dass hier zwei Raba Praga nach erfolgreicher Absolvierung einer Fernfahrt oder eines anderen Wettbewerbs zu sehen sind.

In Frage kommt dafür insbesondere die anspruchsvolle Alpenfahrt 1913, bei der ein Raba Praga zu den wenigen Fahrzeugen gehörte, die straffpunktfrei das Ziel erreichte. Als Fahrer wird Johann Sirutschek genannt, der sonst für Praga Rennen fuhr.

Folgende Detailansicht zeigt nicht nur Fahrer und Beifahrer, denen man einen harten Wettkampf gegen Automobile anderer Marken durchaus zutraut:

Raba_Praga_2_detail

Hier erkennt man auch den bereits erwähnten kronenförmigen Verschluss des Kühlwassereinfüllstutzens – diesmal ohne Kühlerfigur.

Ein merkwürdiges Detail ist das Element unterhalb des Kühlers. Diente es dazu, mehr Luft zum Kühler umzuleiten? Oder sollte es der Verschmutzung oder Beschädigung empfindlicher Bauteile an Achse und Lenkung vorbeugen?

Auch hier hofft der Verfasser auf zündende Ideen von Lesern.

Wie es scheint, entstanden bei Raba in Ungarn nur wenige dieser PKW nach Praga-Lizenz, wichtiger scheint die Verwendung von Praga-Motoren für Nutzfahrzeuge gewesen zu sein.

Umso bedeutender ist jedes “neue” Foto dieser raren und eindrucksvollen Wagen, die vor über 100 Jahren verständlicherweise für einen Menschenauflauf sorgten. Heute wäre ein solcher Raba Praga “Grand” erst recht ein spektakuläres Fahrzeug…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

Ideal als Zweitwagen: Der Praga “Piccolo”

Einer der Gründe, weshalb der Verfasser seit Jahren keine deutschsprachige Oldtimer-Zeitschrift mehr bezieht, ist das beschränkte Markenspektrum, das dort abgebildet wird.

Das mag aus Sicht der Redaktionen durchaus Gründe haben, die hier nicht bewertet werden sollen. Wer nach Alternativen sucht, wird beim britischen Magazin “The Automobile” fündig.

Die Engländer “beschränken” sich dort konsequent auf Fahrzeuge bis Ende der 1950er Jahre. Tatsächlich wird dem Leser aber eine unglaubliche Vielfalt an Marken, Typen und Karosserievarianten präsentiert.

Im deutschsprachigen Raum gibt es keine annähernd vergleichbare gedruckte Publikation. Im Internet finden sich aber immerhin einige wenige Anlaufpunkte für die Freunde ungewöhnlicher Fahrzeuge der Vorkriegszeit.

Eine Fundgrube speziell für französische und britische Wagen der 1920er Jahre ist der bekannte Blog von Michael Buller.

Wer sich daneben für deutsche, österreichische und italienische Marken interessiert, mag den Oldtimer-Blog des Verfassers als Ergänzung betrachten.

Als geradezu ideale Illustration eignet sich folgende zeitgenössische Aufnahme, mit der wir uns heute beschäftigen:

Praga_Piccolo_Fiat_509_Prellenkirchen_Galerie

Fiat und Praga der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Solche Aufnahmen transportieren uns in die Zeit zurück, in der die heute gehegten und gepflegten überlebenden Vehikel noch im Alltag genutzt wurden. 

Heute würde kein Mensch mehr die Familie vor der Garage versammeln, um sich mit seinen vierrädrigen Gefährten ablichten zu lassen.

Von den heutigen Autos wird es daher solche Bilder in 90 Jahren kaum geben – abgesehen davon, dass sie zwischenzeitlich längst der x-ten Datenrevolution oder einem banalen Computervirus zum Opfer gefallen wären.

Nun wollen wir aber schauen, womit genau wir es hier zu tun haben. Beginnen wir mit dem klein wirkenden Wagen links:

Praga_Piccolo_Fiat_509_Prellenkirchen_Fiat

Ungeachtet der mangelnden Schärfe wird Lesern dieses Blogs die klassisch durchgeformte Frontpartie mit der Kühlermaske im Stil antiker Tempelfassaden bekannt vorkommen.

Der vorn herausschauende Dynastarter komplettiert das Bild: Das ist ein Fiat 509, von dem zwischen 1925 und 1929 über 90.000 Exemplare entstanden. Kein deutscher Hersteller vermochte damals, in diesem industriellen Maßstab zu fertigen.

Dabei handelte es sich keineswegs um eine unscheinbare Konstruktion, die auf billige Fertigung getrimmt war. Nein, beim Fiat 509 mit gerade einmal 1 Liter Hubraum wurden die Ventile von einer obenliegenden Nockenwelle gesteuert.

Diese moderne Konstruktion erklärt die Leistungsreserven des Aggregats. In der Serienausführung begnügte man sich mit 22 PS, doch bei den heißgemachten Sportversionen waren bis zu 36 Pferde drin.

Doch halt, hier geht es ja gar nicht um das Volumenmodell der Turiner Marke, von dem man in der deutschen Oldtimerpresse selten bis nie etwas lesen wird.

Uns soll vielmehr der größer wirkende Wagen daneben interessieren:

Praga_Piccolo_Fiat_509_Prellenkirchen_Praga

Hier haben wir einen Bildausschnitt, der für sich bereits ein ganz entzückendes Motiv abgeben würde.

Die ganze Familie mit Hund hat sich um den Wagen eingefunden. Während die Erwachsenen eher geduldig auf den Auslöser zu warten scheinen, schaut das kleine Mädchen in einer Mischung aus Freundlichkeit und Schüchternheit in die Kamera.

Das ist eine schöne Momentaufnahme, wie man sie bei Vorkriegsaufnahmen nicht oft findet – meist schaut dort einer etwas kariert drein oder kann nicht stillhalten. Auch Belichtung und Perspektive sind nicht immer ideal gewählt.

Nun aber zu dem Wagen, der äußerlich eine Nummer größer wirkt als der Fiat:

Praga_Piccolo_Fiat_509_Prellenkirchen_Praga_Front

Den Namen des Herstellers – Praga – verrät der Schriftzug auf dem Grill.

Die Kühlereinfassung mit dem eigentümlichen Knick nach unten sowie das markante Abdeckblech zwischen den vorderen Rahmenauslegern ist typisch für das Modell “Piccolo”, und zwar in der ab 1926 gebauten 4.-6. Serie.

Mit dem 1924 vorgestellten Piccolo wollte Praga ein Einstiegsmodell unterhalb des über die Jahre gewachsenen Praga Alfa anbieten. Technisch bot der Piccolo dabei allerdings keine dem Fiat vergleichbare Raffinesse.

Der seitengesteuerte Vierzylinder mit knapp 825 ccm leistete lediglich 12,5 PS. Für einen internationalen Erfolg wie bei den Italienern war das Gebotene zu wenig. Hinzu kam, dass Praga auf keine Großserienproduktion eingestellt war.

Wenn man den Quellen trauen kann, wurden vom Praga Piccolo in der hier gezeigten Ausführung nur rund 1.500 Stück gefertigt. Umso rarer und interessanter ist das Modell natürlich aus heutiger Sicht.

Was einst den Fiat 509 und den Praga Piccolo auf unserem Foto zusammengeführt hat, wissen wir nicht. Überliefert ist auf der Rückseite des Abzugs nur der Aufnahmeort: Prellenkirchen in Niederösterreich.

Die Kennzeichen der beiden Wagen verweisen auf eine Zulassung im Raum Wien (Fiat) bzw. Niederösterreich (Praga). Möglich, dass ein Besuch von Verwandten oder Bekannten der Anlass dieser schönen Aufnahme war.

Wenn die beiden Autos einst zusammengehörten, hätte der Praga neben dem Fiat einen guten Zweitwagen abgegeben, der durchaus respektabel daherkam.

Dass man sich bei Praga neben solchen Brot-und-Butter-Autos auch auf automobile Leckerbissen verstand, beweist der Blogbeitrag zum Praga Grand 8

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

FUND DES MONATS: Ein Praga “Grand 8”

Der Januar 2017 neigt sich seinem Ende entgegen – mancher Leser dieses Oldtimerblogs mag schon ungeduldig auf das “Fundstück des Monats” warten.

Zur Erinnerung: In dieser Rubrik präsentiert werden Originalfotos von Vorkriegswagen, die entweder besonders selten, außergewöhnlich schön oder in einer einzigartigen Situation abgebildet sind.

Der Wagen auf folgendem Foto erfüllt gleich zwei dieser Kriterien, auch wenn sich das nicht unmittelbar erschließt:

praga_grand_olmutz_1930_galerie

Diverse Wagen beim Autokurs in Ölmütz 1930

Mindestens sieben konventionell erscheinende Limousinen und Tourenwagen der späten 1920er Jahre sind hier vereint.

Aus der Entfernung wirkt das Ganze wie eine Ansammlung irgendwelcher US-Fahrzeuge. Dem Anbieter des Fotos fiel dazu entsprechend wenig ein, angegeben wurde lediglich die umseitige Aufschrift “Autokurs Ölmütz 1930”.

Wer das Glück hatte, die Defizite staatlicher Bildungsanstalten in puncto europäischer Geografie und Geschichte durch familiäre Umstände, Reisen oder pures Interesse ausgleichen zu können, dürfte hier aufmerken.

Ölmütz ist der deutsche Name der tschechischen Stadt Olomouc in Mähren, das bis 1918 zu Österreich-Ungarn gehörte. So bunt das Völkergemisch in dieser Region einst war, so abwechslungsreich war auch das Straßenbild in automobiler Hinsicht.

Entsprechend stößt man auf Autobildern der Vorkriegszeit aus den Gebieten des einstigen K.u.K-Reichs auf alle möglichen Wagen deutscher, österreichischer, tschechischer und – unvermeidlich – amerikanischer Hersteller.

Zwar erschien die Qualität unseres Abzugs zunächst mäßig, doch sprach die Wahrscheinlichkeit dafür, dass etwas Interessantes darauf zu sehen ist.

Dass wir es tatsächlich mit einem unglaublichen Glücksfall zu tun haben, zeigte sich erst unter der Lupe:

praga_grand_autokurs_olmutz_1930_ausschnitt

Der Wagen ganz rechts fällt nicht nur durch seine majestätische Größe aus dem Rahmen – er lässt auch nicht den geringsten Zweifel an seiner Identität.

Dieses trotz seiner enormen Abmessungen perfekt proportionierte Automobil gehört zum Großartigsten und zugleich Seltensten, was die an Sensationen nicht gerade arme tschechische Autoindustrie hervorgebracht hat.

So etwas, werte Leser, dürften die meisten nicht einmal aus der Literatur kennen – schon gar nicht aus den sich ewig um dieselben Marken und Typen drehenden deutschsprachigen Klassiker-Magazinen.

Dieses kolossale Automobil ist eines von nur 299 gebauten Exemplaren des Praga “Grand 8” – das Spitzenprodukt des traditionsreichen, auf Qualität bedachten Prager Fahrzeugbauers.

Wer’s nicht glaubt, findet alle nötigen Informationen am Wagen selbst. Auf der Abdeckung des Ersatzrads steht die Modellbezeichnung “Praga Grand” und die “8” vor dem Kühler schafft endgültige Klarheit hinsichtlich der Motorisierung:

praga_grand_autokurs_olmutz_1930_frontpartie

Der 3,6 Liter messende 8-Zylinder-Reihenmotor des Wagens war auf möglichst weichen Lauf und anstrengungslose Kraftentfaltung hin optimiert, nicht auf Maximalleistung.

Wer von der reinen Papierform ausgeht – das Aggregat leistete 70 PS bei bloß 3.000 Umdrehungen –  gewinnt keine wirkliche Vorstellung davon, wie anstrengungslos sich so ein Wagen unter den damaligen Verhältnissen fuhr.

Die über 5 Meter lange und fast 2 Tonnen schwere Limousine bot ihren Insassen allen damals erdenklichen Luxus, reichlich Leder und Plüsch – verbunden mit ruhigem Motorlauf in allen Lagen.

Die Spitzengeschwindigkeit von 120km/h war für die Besitzer eines solchen Luxuswagens ebenso irrelevant wie es das theoretische Beschleunigungsvermögen moderner Prestigewagen im Alltag ist.

Wer diesen mächtigen Praga in Mähren einst fuhr, muss offen bleiben. Ein Auto, von dem zwischen 1927 und 1933 keine 300 Stück gebaut wurden, war jedenfalls etwas für echte Gourmets.

Denkbar ist, dass beim “Autokurs 1930 in Ölmütz”, bei dem unser Foto entstand, der Chauffeur des Praga mit von der Partie war. Doch wer von den Personen auf der Aufnahme könnte das gewesen sein?

praga_grand_autokurs_olmutz_1930_teilnehmer

Von den sechs Personen, die hier posieren, wissen wir leider nichts – außer dass jeder von ihnen individueller wirkt als all’ die “Hipster” unserer Tage, die ängstlich darauf achten, dieselbe Markenkleidung und dasselbe Brillengestell zu tragen…

Tja, auch die Welt der Automobile war einst unendlich “vielfältiger”, um einmal den vielstrapazierten Begriff zu bemühen, als das überschaubare heutige Angebot, das den doch angeblich so “einzigartigen” Zeitgenossen vollauf zu genügen scheint.

Selbst Käufer von Großserienwagen der Marken Jaguar, Saab und Volvo galten hierzulande lange als Sonderlinge. Wer würde da erst einen Neuwagen kaufen, von dem pro Jahr ein paar Dutzend in Prag in Handarbeit zusammengebaut werden?

Nun, das ist der Unterschied zwischen Luxus und Pseudo-Exklusivität von der Stange – zwischen echtem Enthusiasmus und risikofreiem Modemitläufertum. Ein über 80 Jahre altes Foto eines Praga Grand 8 erinnert uns daran…

Ein “Alfa” der 1920er Jahre aus Prag…

Alfa-Freunde sind auf diesem Oldtimerblog bisher zu kurz gekommen. Der Grund ist keineswegs in einer Abneigung des Verfassers gegen die einst stolze Turiner Marke zu sehen.

Es ist leider so, dass Vorkriegswagen von Alfa-Romeo auf alten Fotos nur selten zu sehen sind, wenn man von Sportwagenmodellen wie dem folgenden absieht:

alfa-romeo_rl_super_sport_1925_galerie

© Alfa-Romeo RL Super Sport von 1925; originales Kosmos-Zigarettenbild aus Sammlung Michael Schlenger 

Was dagegen die “zivilen” Typen von Alfa angeht, müssen sich die Leser dieses Netztagebuchs noch ein wenig gedulden. Das alte Jahr 2016 soll aber nicht ganz ohne “Alfa” ausklingen, auch wenn wir dabei etwas mogeln müssen.

Liebhaber echter Alfas werden es hoffentlich verzeihen, wenn sie statt eines  sportlichen Coupés oder einer kultivierten Limousine mit dem markanten Logo folgendes Gefährt vorgesetzt bekommen – das ebenfalls ein “Alfa” ist:

praga_alfa_limousine_galerie

© Praga “Alfa” der 1920er Jahre, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wer die Qualität des Abzugs bemängeln zu dürfen meint, hat das Original noch nicht gesehen, an dem der Zahn der Zeit heftig genagt hat. Die Partie oberhalb des Ersatzrads vermittelt eine Vorstellung von der Ausgangsbasis…

Mit aufwendigen Retuschen ließ sich viel von der ursprünglichen Anmutung wiederherstellen. Das lohnt sich, denn diese Limousine im US-Stil der 1920er Jahre ist eine Rarität, ein Wagen des Typs “Alfa” des tschechischen Herstellers Praga.

Diesmal geht es also nicht um sportliche Wagen aus Mailand, sondern um soliden Maschinenbau aus Prag…

Den entscheidenden Hinweis zur Identifikation gab die Aufschrift auf dem Überzug des Reserverads:

praga_alfa_limousine_ausschnitt

In Verbindung mit der Kühlerfigur und den Scheibenrädern erlaubte dieses Detail eine eindeutige Ansprache als Praga “Alfa” der 1920er Jahre. Allerdings baute die Firma schon vor dem 1. Weltkrieg ein Modell Alfa – daher erst einmal eine Rückblende:

Am Anfang der Marke Praga steht eine Gründung des Unternehmers Franz Josef Ringhoffer im Jahr 1907 – also noch zu Zeiten der Donaumonarchie.

Zunächst baute Praga in Lizenz Wagen von Charron, doch ab 1911 fertigte man selbstentwickelte Wagen. Den Anfang machte der Praga Mignon, ein 30 PS starker Vierzylinder der gehobenen Mittelklasse, der bis 1924 im Programm blieb.

1913 taucht erstmals ein Modell “Alfa” im Angebot von Praga auf. Das war ein solider Kleinwagen mit 1,1 Liter Motor und 15 PS. Dessen Produktion wurde ab 1922 wieder aufgenommen und damit nähern wir uns dem Fahrzeug auf unserem Foto.

In den 1920er Jahren leistete der Praga “Alfa” bereits 20 PS aus 1,2 Liter Hubraum. 1927 wurde dann parallel ein äußerlich ähnlicher 6-Zylindertyp angeboten, dessen 1,5 Liter Motor für knapp 30 PS gut war.

Ob der Wagen auf unserem Foto einer der Vierzylinder oder ein 6-Zylindertyp ist, muss vorerst offen bleiben. Sicher ist: Praga setzte von den “Alfa”-Modellen bis 1929 nur wenige tausend Exemplare ab. 

Man hat den Eindruck, dass die PKW-Produktion beim frühzeitig in andere Fahrzeugkategorien ausgreifenden Maschinenbaukonzern Praga eher nebenher lief. Umso erfreulicher, einem solchen raren Fahrzeug zumindest auf einem historischen Foto zu begegnen…