Kann ein Klassiker unterhaltsam sein? Oder muss das Schöne, Wahre, Gute stets mit gemessenem Schritt und großem Ernst daherkommen?
Mir fallen dazu zwei Beispiele ein – das eine aus Deutschland, das andere aus Frankreich. Beispiel Nr. 1 ist Heinrich Heine, dessen Werk von einem feinen Humor durchzogen ist wie wohl bei keinem seiner Zeitgenossen aus deutschen Landen.
Hier mein Lieblingsbeispiel – eine perfekte Parodie auf romantische Dichterseligkeit:
Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.
Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.
Bei diesem alten Stück von Heine mit schön verstolpertem Versmaß am Ende triumphiert gesunder Pragmatismus über die in Deutschland oft übermächtige Gefühlsseligkeit.
Entstanden ist dieses Gedicht im Jahr 1832, im Todesjahr von Goethe und genau 100 Jahre bevor ein anderes altes Stück für die Nachwelt festgehalten wurde.
Und das ist mein Beispiel Nr. 2 für einen unterhaltsamen Klassiker, diesmal aus Frankreich:

Diese klassische Limousine im Stil der späten 1920er Jahre wurde 1932 am Laacher See aufgenommen – damals gab es offenbar ein harmonisches Miteinander deutscher und französischer Tradition.
Denn auch wenn der Wagen auf den ersten Blick wenig Individualität an den Tag legt, verraten der geschwungene hintere Abschluss der Motorhaube und die ganz leicht geneigten Luftschlitze in derselben, dass wir es mit einem Citroen zu tun haben, wie er damals mit vier bzw. sechs Zylindern verfügbar war.
Die beiden Modelle C4 und C6 auseinanderzuhalten, auch das ist ein altes Stück, wie langjährige Leser meines Blogs wissen. Ich überlasse das Urteil den Sachkundigeren unter Ihnen und freue mich über Hinweise in der Richtung.
Mir gefällt vor allem die lässige Inszenierung auf diesem Dokument, die bei Autofotos aus Deutschland nach meiner Erfahrung eher die Ausnahme darstellt.
Diese Leute posierten mit ihrem Citroen vor über 90 Jahren ganz entspannt und heiter – bis auf den Herrn ganz vorn, der wirkt, als ob ihn die Blase drückt.
Verzeihen Sie den kleinen Scherz unterhalb der Gürtellinie – doch auch bei den lebensfrohsten unserer deutschen Klassiker, Heine und Goethe, finden sich dergleichen Anspielungen auf Menschliches und Allzumenschliches zuhauf.
Bloß in der Schule hat man uns manches unterhaltsame alte Stück vorenthalten – doch hier im Blog holen wir das eine oder andere davon nach…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Besten Dank – die spezielle Gestaltung der Sonnenblende war mir auch aufgefallen.
Ich würde den Wagen als C4F oder G ansprechen, vermutlich aus Kölner Produktion. Der C6F hätte die Radschrauben unter größeren Radkappen versteckt und die Reihe der Luftschlitze ginge bis an die Vorderkante der Motorhaube. Dass es ein “F” oder “G” ist erkennt man an der Sonnenblende, die eine V-förmige Prägung besitzt. Die Stoßstangen weisen auf ein besser ausgestattetes Modell hin.