“Eine große Verwirrung…” das mag manchen an den verdatterten Prediger in der Filmsatire “Leben des Brian” erinnern, der die selbsternannten Verkündiger vorgeblicher Glaubenswahrheiten und ihre Anhänger als lächerliche Figuren gnadenlos vorführt.
Wem dieser britische Anarchohumor nicht subtil genug oder gar anstößig ist, der mag es vielleicht mit Franz Kafkas († 1924) zeitloser Erzählung “Die Abweisung“ halten.
Auch sie handelt von der großen Verwirrung der Leute – diesmal wenn es darum geht, der weltlichen Obrigkeit in Form eines Steuereinnehmers die eigenen Belange vorzutragen.
Die nötige innere Sammlung zu einer selbstbewussten Rede will dem Vertreter der Bürgerschaft dort einfach nicht gelingen, zu verwirrend ist die Präsenz des selbstherrlichen Beamten und der ihn begleitenden Uniformierten:
Mit dem “allerdemütigsten Lächeln, das sich vergeblich anstrengte, auch nur einen leichten Widerschein auf dem Gesicht des Obersten hervorzurufen… formulierte er die Bitte um Steuerbefreiung für ein Jahr, vielleicht auch noch um billigeres Holz aus den Wäldern. Dann verbeugte er sich tief und blieb in der Verbeugung.”
Hübsch, nicht? Und wie so oft bei Meister Kafka bleibt man am Ende in einiger Verwirrung zurück – was war das eigentlich, was er da so merkwürdig präzis geschildert hat? Erlebtes, Geträumtes, vielleicht eine Vision der Verhältnisse 100 Jahre später?
Das muss jeder für sich entscheiden, welchen Reim er sich aus solcher literarisch meisterhaft bewirkten Verwirrung macht. Für ebensolche sorgt indessen auch ganz ohne künstlerische Ambitionen das Foto, das ich heute präsentieren möchte:

Schon bei Erwerb der Aufnahme war mir klar, dass diese einen Tourenwagen der sächsischen Marke Horch aus der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg zeigt.
Verflixt, wie kann der Kerl das so einfach erkennen – das mögen Sie jetzt vielleicht denken.
Nun, nach Betrachung einiger tausend solcher Fotos von Autos vorwiegend deutscher Provenienz sammelt sich auch ohne Talent im Kopf zwangsläufig ein Kompendium solcher Abbildungen an, an denen jede neue Aufnahme in Millisekunden abgeglichen wird.
Im vorliegenden Fall genügt für diese Musterkennung, für welche “Künstliche Intelligenz” gigantische Rechenleistung und hochkomplexe Algorithmen benötigt, die Übereinstimmung von genau zwei Elementen:
Das eine sind die schrägstehenden Luftschlitze in der Motorhaube, die es zwar auch bei anderen Herstellern wie etwa Opel gab, aber bei Horch besonders stark geneigt sind (vgl. meine Horch-Fotogalerie:

Das zweite Element ist das Kühleremblem. Davon ist auf den ersten Blick zwar kaum etwas zu erkennen, aber warten Sie einen Moment.
Schneller als jede Künstliche Intelligenz anhand von unzähligen Beispielen mühsam lernt, Übereinstimmungen zuverlässig zu erkennen, kann ich subito das nötige Wissen vermitteln.
Das tue ich anhand einer einzelnen Aufnahme aus meinem Fundus, die noch dazu einen Horch aus völlig anderer Perspektive zeigt:

Dieser Wagen trägt vorn das Horch-Emblem, wie es etwa ab 1910 bis einschließlich 1912 auf flachem Kühler Verwendung fand. Ab 1913 wich dieser einem Schnabelkühler (also mit vorkragendem Oberteil).
Jetzt sehen Sie sich nochmals die Kühlerpartie des eingangs gezeigten Horch an – sicher sehen Sie dort nun ebenfalls genau dieses Markenemblem.
Können Sie mir folgen, oder habe ich bereits für große Verwirrung gesorgt? Falls nicht, folgt diese auf dem Fuße und ich muss zugeben, dass ich ihr selbst zum Opfer gefallen bin.
Bevor ich bekenne, was mich so nachhaltig verwirrt an diesem Horch, dass mir die Worte fehlen (eine eher seltene Situation), sei noch festgehalten, dass die Proportionen dieses Wagens auf einen Horch der untere MIttelklasse hindeuten.
Sehr wahrscheinlich haben wir es mit dem Typ 9/24 PS zu tun, der 1911 eingeführt wurde und einen konventionellen 2-Liter-Vierzylindermotor besaß. Ein gewisse Neuerung stellte bei Einführung die Druckumlaufschmierung dar.
Die besaß auch das Schwestermodell 6/18 PS, das äußerlich kaum zu unterscheiden war. Doch der große Tourenwagenaufbau und die höhere Stückzahl (ca. 900 vs. 200) machen den 8/24 PS zum wahrscheinlicheren Kandidaten.
Für die heutige Betrachtung sind solche Fragen aber zweitrangig, denn für weit größere Verwirrung sorgt hier etwas ganz anderes:

Erkennen Sie, was ich meine? Oder sind Sie noch nicht verwirrt genug? Sieht doch alles ganz normal aus, könnte einer denken.
Vorne gasbetriebene Scheinwerfer, Holzspeichenräder mit demontierbaren Felgen (und Reifen) – ein dazu passendes Reserverad (also nicht nur der Reifen), dahinter die außenliegenden Hebel für Gangschaltung und Handbremse.
In Reichweite des Fahrers befindet sich außerdem eine Ballhupe, die Frontscheibe ist oben ausklappbar und kann außerdem geneigt werden. Was soll da für große Verwirrung sorgen?
Na, dann schauen wir uns doch einmal an, was sich da sonst noch an Gerätschaften findet:

Keine Probleme bereiten die in das Windlaufblech zwischen Motohaube und Windschutzscheibe halb eingelassenen elektrischen Standlichter.
Doch was ist das für ein zylinderförmiges Rohr neben der Ballhupe? Für die Zeitung sicher zu klein und als Behälter für die Fahrzeugpapiere vielleicht etwas ungünstig angebracht.
Um die Verwirrung noch zu vergrößern, möchte ich außerdem auf die kuriose Rohrleitung verweisen, die vom Armaturenbrett aus zunächst nach oben steigt und dann rechtwinklig nach vorne abknickt um schließlich wieder abzutauchen, dabei immer breiter werdend.
Ich habe eine Vermutung, um was es sich bei diesen ominösen Anbauteilen handelt, doch möchte ich meine möglicherweise unbegründete Interpretation für mich behalten.
Daher sind jetzt Sie an der Reihe, liebe Leser. Und ganz gleich wie groß die Verwirrung sein mag, in meinem Blog sind alle gleichberechtigt, ihre Sicht der Dinge vorzutragen.
Wenn ich hier mit meinen tagebuchartigen Gedanken in Vorlage trete (ein Blog ist genau das: ein Online-Diarium, englisch: Web-Log), dann setze ich diese der Prüfung durch eine beeindruckende Zahl an Kennern und Sammlerfreunden aus, die hier mitlesen.
Also nur zu: Lässt sich die Verwirrung auflösen, die sich bei Betrachtung dieses Fotos eines Horch 8/24 PS von ca. 1912 einstellt? Oder bleibt es letztlich bei der Akzeptanz des Gegebenen wie in Franz Kafkas Erzählung “Die Abweisung”?
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Schwenkbarer Suchscheinwerfer
https://www.hupenshop.de/Schiffh%C3%B6rner/Nebelhorn-Pumpe
so etwas ähnliches könnte es gewesen sein.
Ich denke es wird eine zweite Art von Hupe sein oder vielleicht ein sehr frühzeitliches martinshorn. Das obere nach vorn vergrößernde Rohr ist auf jeden Fall ein Schalltrichter. Der untere Zylinder könnte eine mechanische Walze beinhalten ähnlich einer Spieluhr mit immergleicher Tonfolge. Denkbar wäre auch das der untere Zylinder eine Luftkammer ist wie bei einer Luftpumpe. Der Hebel zum Pumpen könnte hinten dran sein was auch die kleine optische Unterbrechung zwischen dem Ball der Ballhupe und dem Schlauch der Ballhupe nach unten erklärt. Von dort wird die Luft im großen Zylinder nach vorn gepresst ,geht durch das kleine Rohr zurück und durch den Schalltrichter wieder nach vorn raus.
Das dachte ich auch erst anfänglich, doch warum sollte man die Rohre dafür außen sichtbar verlegen und warum wird das Rohr nach unten weiter?
Vielleicht eine Art Heizung, da mir scheint, dass die Abwärme des Motors genutzt wird?