Dafür steht man gerne Schlange: Amilcar C4

Einst gab es in Italien Leute, die man dafür bezahlte, dass sie sich für irgendwelche Behördengänge in die unvermeidbare Schlange stellten. So konnte man sich für wichtigere und ertragreichere Beschäftigungen freikaufen, sofern man das Kleingeld hatte.

Als langjähriger Italienfahrer und immer öfter dort Ansässiger habe ich den Eindruck gewonnen, dass dieses Berufsbild auf dem absteigenden Ast ist. Denn die Italiener haben wie die meisten unserer europäischen Nachbarn bei der Modernisierung der Verwaltung große Fortschritte gemacht.

Wer mag auch für banale Dinge Schlange stehen? Wie nervig das ist, erlebte ich kürzlich wieder auf der örtlichen Postfiliale. Mit aufreizender Langsamkeit wurde dort die bis zur Eingangstür reichende Kundschaft abgefertigt.

Als ich dran war, meinte die Schalterfachkraft doch tatsächlich noch etwas plaudern zu müssen. Offenbar war ich zu freundlich gewesen – weshalb ich ihr dann mit einer Geste in Richtung der Schlange hinter mir entgegnen musste, dass ich den Betrieb nicht unnötig aufhalten möchte (zudem stand ich im Halteverbot).

Natürlich kennt jeder aber auch Dinge, für die man gerne ansteht und sich dabei noch privilegiert vorkommt. Etwa dann, wenn die Gelegenheit besteht, einmal in einem französischen “Amilcar” der frühen 1920er Jahre mitzufahren.

Bei den ersten Ausführungen dieses ab 1921 gebauten Vertreters der Cyclecar-Fraktion – also sehr leichten Wagen mit Reifen in Motorradformat und freistehenden Kotflügeln, aber ohne Differential an der Hinterachse – handelte es sich durchweg um Zweisitzer.

Hier hat es immerhin der Dackel geschafft, den Ehrenplatz als Beifahrer zu ergattern und schaut den ernst dreiblickenden Besitzer dankbar, ja geradezu verliebt an – es muss sich um eine Dackeldame gehandelt haben:

Amilcar Typ CS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Woran man hier erkennt, dass dieser zweisitzige Wagen mit kurzem Radstand und sportlichen “Cantilever”-Federn an der Hinterachse ein “Amilcar” war?

Nun, so sah nur ein Amilcar aus, so einfach ist das. Kein einzelnes Element genügt, um das zu erkennen – es ist die Kombination aus hohen Luftschlitzen in der Motorhaube, mittig gepfeilter Windschutzscheibe und in Holz nach Art eines Bootsrumpfs ausgeführten Karosserie, die Amilcar serienmäßig anbot.

Allerdings findet man diese Gestaltung an mehreren Typen des Herstellers, der im Pariser Vorort St. Denis produzierte. Diese auseinanderzuhalten, kann mitunter schwierig sein.

Wie es scheint, gab es die schicke Kompositkarosserie wie auf dem obigen Foto noch nicht bei Amilcars Erstling – dem Typ CC, obwohl dieser genau solch einen kurzen Radstand aufwies und nur für zwei Personen Platz hatte.

Doch bot Amilcar bereits ein Jahr nach Einführung des CC mit seinem 17 PS leistenden 900ccm-Vierzylinder ergänzend die leistungsgesteigerte Version CS auf weitgehend identischem Chassis an, deren 1 Liter-Aggregat fast 25 PS leistete.

Das war in der ersten Hälfte der 1920er Jahre ein phänomenaler Wert, und an die 100 km/h Spitze waren damit für kühne Lenker erreichbar. Wer es nicht ganz darauf anlegte, kam in den Genuss eines günstigen Leistungsgewichts, denn mit der einfachsten Karosserieausührung wog ein Amilcar CS nur rund 650 kg.

Das erklärt, weshalb die Amilcars auch am deutschen Markt wenig Konkurrenz hatten und bei sportlich orientierten Fahrern sehr begehrt waren – das belegen die zahlreichen Aufnahmen von Amilcar-Sportwagen mit deutscher Zulassung.

Der Typ CS von Amilcar war nach meinem Eindruck im Unterschied zum CC standardmäßig mit besagter Kompositkarosserie erhältlich. Wer sich nur das Chassis liefern ließ, konnte natürlich auch auf Basis des CC alles haben, was die Brieftasche hergab.

Doch einen Nachteil hatten die Amilcars der Typs CC und CS aus Sicht automobil bewegter Mitmenschen gemeinsam – sie boten entschieden zu wenig Platz.

Das änderte sich freilich ebenfalls 1922, als Amilcar parallel die Version C4 mit längerem Radstand anbot, die denselben Antrieb wie der leistungsgesteigerte CS besaß.

Drei oder gar vier Sitzplätze waren nun auf einmal verfügbar beim Amilcar C4 – kein Wunder, dass die Leute dafür Schlange standen!

Amilcar Typ C4; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auf den ersten Blick sieht dieser Aufbau fast genauso aus wie der des eingangs gezeigten Zweisitzer des Typs CS. Doch der längere Radstand und der Mann im Heck verraten, dass wir es mit einem C4 zu tun haben.

Details wie die abweichenden Luftschlitze und die Gestaltung der Tür darf man getrost unter damals üblichen Variationen in der Produktion verbuchen, welche unter Manufakturbedingungen stattfand.

Ein hübsches Detail sei am Ende erwähnt: Die Kühlerfigur dieses Exemplars findet sich identisch bei dem folgenden Amilcar des frühen Typs CC wieder:

Amilcar Typ CC; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Die Amilcar-Wagen besaßen meines Wissens keine serienmäßige Kühlerfigur und doch haben wir hier zwei Exemplare mit identischem Maskottchen.

Wer etwas Erhellendes dazu beitragen kann – oder auch generell mehr zu den heute gezeigten Fahrzeugen weiß – ist wie immer eingeladen, uns an seinem Wissen über die Kommentarfunktion teilhaben zu lassen.

Denn so ungern ich Schlange stehe, so oft stehe ich auf dem Schlauch, was Vorkriegsautos angeht, von denen ich wenig weiß – die sportlichen Amilcars sind genauso ein Fall.

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

5 Gedanken zu „Dafür steht man gerne Schlange: Amilcar C4

  1. Besten Dank. Die Pegasus-Kühlerfigur findet sich bei Amicars m.W. erst etwas später.

  2. Bei der Kühlerfigur auf den zwei Amilcars kann ich die Aussage von Herr Weigold noch detaillieren. Es handelt sich um eine Bulldogge deren Details ich noch nicht ganz verstanden habe. Diese Bulldogge trägt ein breites Halsband und in das Halsband sind um den ganzen Hals Strohhalme, Gräser oder ähnliches gesteckt. Da Bulldoggen sehr beliebt waren in der Zeit habe ich diese mit Halskranz schon in mehreren Abbildungen aus den 20er und 30er gesehen. Der den Grund für den Kranz kenne ich jedoch noch nicht.
    Die gleiche Kühlerfigur finde ich in meinem Auto- und Motorrad-Zubehörkatalog von Hans Werner aus Leipzig zu 6.45 Mark das Stück, vernickelt wohl gemerkt.
    Amilcar hatte jedoch meines Wissens vom Werk aus eine markenspezifische Kühlerfigur, nämlich einen Pegasus im art déco-Stil. Die beiden Amilcarbesitzer scheinen aber eher auf den Hund gekommen zu sein, statt aufs (geflügelte) Pferd.

  3. Amilcar ist ein leuchtender Vertreter der Klasse der sogenannten “Cycle Cars”, Automaobile bis 1100 ccm. In dieser Klasse fand der Fortschritt statt: Leichtbau, hochdrehende Hochleistungs-Motoren, moderne Radaufhängungen. Es gab eine extra Renn-Klasse für diese Fahrzeuge, in welche auch z.B. der kleine Apollo “B” gehörte. 100 km/h mit nur 1100ccm – das war für die “Schnellen” damals stand der Technik, schneller als viele Fahrzeuge bis 2.5l Hubraum. Natürlich gab es auch”normale” und kostengünstige Versionen dieser Kleinwagen, aber Amilcar war immer bei den “Schnellen” zu findne.

  4. In der Tat ein weites Feld, das heute noch viele Sammler anzieht. Für kunsthandwerklich herausragende Stücke wurden und werden teils enorme Beträge gezahlt – der Mercedes-Stern hat zwar seine Qualitäten, aber als Kühler”figur” lassen wir den natürlich nicht durchgehen…

  5. Sicher ist , daß es diese Mascotts, Kühlerfiguren oder wie immer man sie nennen will, verschiedentlich Zubehör unterschiedlicher Ausführungen der angebotenen Automobile waren, das sich der Kunde nach eigenem Gusto bzw. dem Charakter des neuen Lieblings, welchen der stolze Besitzer ihm zuschrieb, aussuchen konnte!
    Auch wurden verschiedenste Figuren auf dem freien Zubehörmarkt angeboten.

    Andererseits diente die Kühlerfigur noch lange dem Kraftfahrer als Orientierungs- hilfe beim Anpeilen des Tagesziels (siehe unser aller Lieblungsfabrikat mit dem Stern). Ich kenne selbst noch das erhebende Gefühl, wenn vor einem ein Mercedesstern träge durch die Landschft schwenkt….

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