Regelmäßige Leser meines Blogs für Vorkriegsautos auf alten Fotos wissen, dass ich fast jedem Automobil bis in die 1940er Jahre etwas abgewinnen kann.
Seien es die faszinierenden Schöpfungen der Frühzeit, als technisch und formal noch vieles offen war, seien es die Manufakturwagen der Zwischenkriegszeit mit ihren oft atemberaubenden Aufbauten oder auch auch die amerikanischen Großserienmodelle, die individuelle Mobilität für’s Volk ermöglichten.
Doch einige Vorlieben kann ich nicht verbergen: Die eine gilt den schnittigen Spitzkühlermodellen der frühen 1920er Jahre aus deutschen Landen, die andere den hochmodernen Wagen italienischer Provenienz.
Neben dem fabelhaften Lancia Lambda – einem der Meilensteine im Automobilbau schlechthin – haben es mir vor allem die Fiat-Wagen der 1930er Jahre angetan.
Fiat hatte sich schon kurz nach dem 1. Weltkrieg als ein nach Technologie und Stückzahlen führender europäischer Hersteller etabliert. Damit konnte es lange Zeit kaum ein deutscher Hersteller aufnehmen.
Doch auch noch kurz vor dem 2. Weltkrieg, als deutsche Marken aufgeholt hatten, kamen von Fiat Modelle, die fast konkurrenzlos waren. Ihre eindrucksvolle Präsenz auf den Straßen im deutschsprachigen Raum erzählt davon:

Fiat 1100 am Traunsee; Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger
Die Ansicht des Traunsteins in Österreich wäre auch so grandios, doch setzt der schmucke Wagen an der Seeuferstraße einen willkommenen Kontrapunkt.
Während die reine Natur überwältigend wirken kann, ist für mich das maßvolle Nebeneinander natürlicher und menschlicher Schöpfungen von größerem Reiz – die Weinberge an Rhein und Mosel etwa geben der urwüchsigen Landschaft erst den entscheidenden Schliff.
Ähnliches mag sich der Fotograf dieser Ansichtskarte gedacht haben. Ob er auf ein so harmonisches Fahrzeug gewartet oder dies eigens “bestellt” hat, wer weiß?
Klar ist nur, dass es sich bei der Cabriolimousine um einen Fiat 1100 handelt:
Außer Peugeot bot in den 1930er Jahren kaum ein anderer europäischer Hersteller einen Mittelklassewagen mit dermaßen gelungener “Stromlinienform” an.
Am deutschen Markt kommt einem nur der Stoewer “Greif Junior” in der Ausführung ab 1936 in den Sinn, den ich bei Gelegenheit ausführlich vorstellen werde. Das Modell “Sonderklasse” von DKW ging in eine ähnliche Richtung, blieb aber konventioneller.
Hinzu kam, dass Fiat unter Leitung von Chefkonstrukteur Dante Giacosa – dem Schöpfer des unsterblichen Topolino – auch technisch einige Raffinesse aufbot.
Der auf 1,1 Liter vergrößerte Motor des Vorgängers Fiat 508 Balilla verfügte im Zylinderkopf hängende (also nicht mehr strömungsungünstig seitlich stehende) Ventile, was der Effizienz des Aggregats deutlich zugutekam.
Die serienmäßigen 32 PS des Motors bewegten sich am unteren Ende des Möglichen – das wahre Potential dieses Entwurfs kam erst in den weit stärkeren Sportversionen zutage, die auf dieser Basis bis in die Nachkriegszeit entstanden.
Auch das Fahrwerk mit Einzelradaufhängung vorne war ganz auf der Höhe der Zeit. Das Ganze kombiniert mit hydraulischen Bremsen und Ganzstahlkarosserie – so sah ein moderner Mittelklassewagen Ende der 1930er Jahre aus:

Fiat 1100; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Auffallend ist, wie sparsam die Turiner mit Chromschmuck umgingen. Bei deutschen Modellen wären auf jeden Fall die Scheinwerferringe und die Fensterrahmen ebenfalls verchromt gewesen.
Diese Schlichtheit bei zugleich großer Spannung der Karosseriearchitektur nimmt die Schöpfungen der italienischen Manufakturen der 1950er/60er Jahre voraus, die ebenfalls fast ohne Sicken und Chromleisten auskamen. Man denke nur an das Coupé der Lancia Aurelia…
Nur behutsame verspielte Akzente erlaubte sich Fiat beim 1100er, die einem “zu glatten” Erscheinungsbild entgegenwirken.
Zu nennen ist vor allem das Art-Deco-Emblem in der Mitte der Stoßstange, das in reduzierter Form auf der Rückseite des Innenspiegels wiederkehrt. Letzteres Detail behalten wir im Hinterkopf – wir kommen darauf zurück.
Nebenbei: Wer kann etwas zu dem merkwürdigen Kennzeichen des Fiat etwas sagen?
Auf der nächsten Aufnahme steht der hochmoderne Fiat 1100 – der übrigens auch im einstigen NSU-Werk in Heilbronn gebaut wurde – in denkbar großem Kontrast zu einem anderen Produkt der Moderne:

Fiat 1100; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Wer diesen Vertreter des Beton-Brutalismus irgendwann in den 1970er Jahren verorten würde, irrt sich gewaltig.
Diese Ausgeburt an Banalität, deren radikale Rechtwinkligkeit dem an natürlichen Formen geschulten Auge spottet, ist ein Produkt der 1930er Jahre.
Die Beschriftung des Abzugs lautet “vor dem Finanzamt” – schon damals also waren öffentliche Bauten besonders abstoßende Beispiele für unmenschliche Architektur, was für ein Gegensatz zum Können der Baumeister vor dem 1. Weltkrieg.
Den Beweis, dass der Bau mit seiner an ein Gefängnis erinnernden Schlitzfassade vor 1945 entstanden sein muss, liefert die Aufnahme selbst:
Hier haben wir eindeutig einen Fiat 1100 vor uns – doch nun mit Überzügen über den Frontscheinwerfern und einem “Notek”-Tarnscheinwerfer, der nachträglich auf einem Bügel an der Stoßstange angebracht wurde.
Diese Details und die überlackierten Chromteile – Stoßstange und Kühlermaske – verraten, dass wir es mit einem Fahrzeug der Wehrmacht zu tun haben.
Wie hunderttausende andere Zivil-PKW wurde offenbar auch dieser Fiat 1100 – wahrscheinlich aus Heilbronner Produktion – nach Kriegsbeginn 1939 eingezogen.
Das Militär wusste die zuverlässigen und leistungsfähigen Fiat-Wagen zu schätzen – sie finden sich entsprechend häufig auf Fotos von allen Fronten des Weltkriegs.
Hier haben wir eines davon:

Fiat 1100; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Wann und wo genau diese Aufnahme entstanden ist, lässt sich wohl nicht mehr klären.
Die Tropenuniform des jungen Wehrpflichtigen, der hier nachdenklich einer ungewissen Zukunft entgegenschaut, spricht für einen Einsatz irgendwo auf dem Balkan bzw. in Griechenland ab Frühjahr 1941.
Denkbar ist auch, dass das Foto während des Afrika-Feldzugs bzw. während des daran anschließenden Rückzugs deutscher Truppen in Sizilien und Italien gemacht wurde.
Dass der Luftwaffenangehörige – das verrät das geschwungene Adleremblem auf dem Hemd – auf einem Fiat 1100 fotografiert wurde, ist an zwei Details zu erkennen:
Zum einen erkennt man hier das bereits erwähnte dekorative Element am Innenspiegel wieder. Zum anderen sieht man an der Beifahrertür den beim Fiat 1100 aus italienischer Produktion in der Karosserie versenkten Türhebel hervorlugen.
Noch später – während des deutschen Rückzugs über den Apennin – entstand folgende Aufnahme einer speziellen Variante des Fiat 1100, aber das ist eine eigene Geschichte…

Fiat 1100 “Furgoncino”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger