Heute befasse ich mich wieder einmal mit der Frühzeit des Autombilbaus bei den einst hochberühmten Brennabor-Werken in Brandenburg/Havel.
Vielleicht erinnern Sie sich an dieses Prachtexemplar, das ich vor längerer Zeit bereits vorgestellt habe – damals als Typ 10/28 von 1911/12 angesprochen:

Ob es sich nun tatsächlich um das damalige Spitzenmodell F 10/28 PS handelte, das auch international einen ausgezeichneten Ruf genoss, oder vielleicht doch um den etwas kleineren Paralleltyp 8/22 PS, sei dahingestellt.
Eventuell spricht die Zahl der Radspeichen (10) für das schwächere Modell, Abbildungen ähnlicher Brennaborwagen jener Zeit mit 12 Speichen könnten dann auf den Typ F hindeuten. Es muss aber nicht zwingend ein solcher Zusammenhang bestanden haben.
Stilistisch sehr ähnlich, wenn auch wegen des offenen Aufbaus nicht ganz so mächtig erscheinend, ist der nachfolgend abgebildete Brennabor:

In diesem Fall besteht jedoch eine gute Chance, den genauen Typ noch herauszufinden.
Zunächst sei festgehalten, dass bei Brennabor der steil aufragende “Windlauf” hinter derm Motorhaube erstmals 1911 im Serienbau auftaucht. Wie bei anderen deutschen Herstellern auch fand diese strömungsgünstige Lösung jedoch bereits früher bei Sportwagen Verwendung, im Fall von Brennabor anlässlich der Prinz-Heinrich-Fahrt 1909 (Quelle).
Anfänglich war der Windlauf (bisweilen auch als Windkappe bezeichnet) einfach ein auf die sonst unveränderte Karosserie aufgestülptes Element.
Nachzuvollziehen ist dies anhand der Brennabor-Wagen, die zusammen mit dem eingangs gezeigten Auto abgelichtet wurden und auch sonst ausgeprochen interessant sind:

Dies ist ein Ausschnitt aus einem noch größeren Original, das den Stempel eines Fotografen aus Brandenburg trägt.
Ich vermute, dass diese Szene vor einem Gebäude des Brennabor-Werks abgelichtet wurde und das hauseigene Sportteam zeigt. Jedenfalls scheinen die vier Wagen rechts auf das Wesentliche reduzierte Varianten des Serienfahrzeugs ganz links zu sein.
Nach dem Motto “Weniger ist mehr” hat man hier auf alles verzichtet, was unnötiges Gewicht auf die Waage bringt, und realisierte im Unterschied zum serienmäßigen Tourer reine Zweisitzeraufbauten.
Daran lässt sich nachvollziehen, dass der Windlauf tatsächlich einfach nur ein zusätzlich angebrachtes Bauteil war, das an die vorhandene Struktur angesetzt wurde. Des Windlaufs entledigt stehen diese Wagen ziemlich nackt dar – Fahrer und Beifahrer sitzen praktisch ganz im Freien und der Fahrtwind kann so schön den Unterleib kühlen:

Das stellt gewissermaßen eine Rückkehr zu den Sportwagen der Pioniertage dar und man fragt sich, was der Grund dafür gewesen sein könnte.
Bei einer Zuverlässigkeitsprüfung wie den über tausende Kilometer reichenden Prinz-Heinrich-Fahrten wäre eine solchermaßen reduzierte Karosserie unvorteilhaft gewesen. Daher vermute ich, dass Brennabor mit diesen Fahrzeugen an einer rein auf Geschwindigkeit ausgelegten Veranstaltung teilnahm.
Interessant und wohl der Schlüssel zur Auflösung sind die nahe beieinander liegenden Kennzeichen, die von IE-05 bis IE-10 reichen. Dabei scheint es sich um dem Werk vorbehaltene Nummernschilder gehandelt zu haben, die wohl öfters und an verschiedenen Fahrzeugen zum Einsatz kamen.
So findet sich in meiner Originalausgabe der im Frühjahr 1912 vom Reifenhersteller Continental herausgegebenen Broschüre “Bilder aus dem Sportleben” mit Schwerpunkt auf der Prinz-Heinrich-Fahrt 1911 auf S. 107 die folgende Abbildung:

Offenbar schickte Brennabor zwei als Tourer karossierte Wagen auf die Russische Kaiserpreisfahrt 1911 – hier ausgestattet nach dem Motto “Viel hilft viel”.
Diese Wagen stimmen – vom Toureraufbau abgesehen – äußerlich mit den zuvor gezeigten Werksportwagen von Brennabor überein. Es könnte sich hier aber angesichts der besonderen Herausforderungen der Fahrt um den Spitzentyp F 10/28 PS handeln.
Bleibt die Frage, welche Modelle Brennabor einst nach dem Mottto “Weniger ist mehr” auf einen sicher weniger fordernden Einsatz schickte.
Kann ein Leser anhand des Foto und der Kennzeichen das Rätsel lösen?
Dann bitte die Kommentarfunktion nutzen und am besten die Quelle angeben. Ich bin nahezu sicher, dass sich dieser Fall lösen lässt und dann kann meine Brennabor-Autogalerie – die größte ihrer Art überhaupt – weiteren Zuwachs verzeichnen. Und dort gilt ganz gewiss nicht das Motto “Weniger ist mehr”….
Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Danke für die fachkundige Erläuterung!
Das tolle Bild entstand tatsächlich im Brennabor Werk, im Hof der Automobilproduktion. Heute befindet sich dort das Arbeitsamt und das Stadt-Archiv.
Meiner Meinung nach handelt es sich bei den hier besprochenen Wagen um das Modell A1 (3,5/8PS), der bis 1911 im Angebot war. Beim Wagen mit Kennzeichen IE 05 kommt auch Modell C1 (6/18 PS) in Frage. Demnach handelte es sich nicht um “nackte Modelle”, die auf dem Weg zum Karosseriebau waren. Diese Modelle waren genauso im Angebot, es waren auch keine speziell für Rennen u.ä. umgebaute Wagen.
Der hier beschriebene Windlauf wurde durch die Positionierung des Tanks notwendig. Vorherige Modelle hatten diesen u.a. unter dem Sitz.
Spannende Themen.
Gruß Mario Steinbrink
http://www.brennabor-brb.de
In der Literatur findet sich ein kleiner Hinweis, wonach alle Teile (außer den Reifen) der Brennabor-Wagen im Werk hergestellt wurden. Das muss die Karosserien aber nicht zwingend umfassen. Vielleicht haben wir hier ein Foto, das Erprobungsfahrten mit einem neu entwickelten Modell zeigt. Frisch aus der Produktion sehen die Fahrzeuge übrigens nicht aus.
Ebenfalls eine Möglichkeit – vielleicht ist die Szene ja noch anderweitig dokumentiert, um es wirklich klären zu können.
Valide Argumente! Fragt sich bloß, weshalb eigens ein Profifoto von einer dann ganz alltäglichen Situation angefertigt wurde.
Es könnte sich auch um die Teilnahme an einem Bergrennen handeln, wo weniger Höchstgeschwindigkeit als viel mehr Gewicht und Steigfähigkeit gefragt waren.
Moin,
Nachtrag: in der oben genannten Liste sind einige Kennzeichen für Brennabor nachweisbar, darunter 6 in Brandenburg. 3x im 200er Bereich, 3x im Bereich 1800er. Es gibt außerdem extra gekennzeichnete Wagen mit der Funktion Probewagen/Kennzeichen. Auch hier gibt es für Brennabor Treffer, es sind aber eben nicht die abgebildeten Kennzeichen.
KD
Moin,
in der Liste der deutschen Kraftfahrzeugbesitzer mit Redaktionsschluß spätestens im Dezember 1909 ist das Kennzeichen IE 3277 noch nicht vergeben (wohl aber das davor und das danach), IE 05 gehörte zu einem Luxuswagen eines Zimmermeisters aus Treptow, IE 06 zu einem Motorrad eines Tischlermeisters und IE 10 zu einem Motorrad eines Jurastudenten aus dem Grunewald. Ich denke, die meisten Kennzeichen wurden daher nach diesem Datum (12/09) neu vergeben, oder es handelt sich tatsächlich um Überführungskennzeichen, die parallel existierten.
Gruß,
KD
Ich würde auch die These vom Werk zum Karosseriebauer unterstützen. Die Kennzeichen sind nur provisorisch befestigt. Der Aufbau der Sitze ist für ein Geschwindigkeitsrennen zu hoch. Diese einfachen Aufbauten mussten solide, wetterfest sein und ein Minimum an Gepäckraum für persönliche Dinge enthalten. Sie konnten dann entweder mit der Bahn oder mit einem Sammeltransport zum Werk zurücktransportiert werden. Wenn ich jetzt sage dass Steyr um 1925 jeden Wagen mit einem ähnlichen Aufbau auf eine kurze Erprobungsfahrt schickte so ist das zwar nicht zeitgleich aber zeigt eine 2.Möglichkeit für dieses Bild auf.
Daran hatte ich zeitweilig auch gedacht. Aber: Genau dieselben Kennzeichen wurden ja auch an den Werkswagen bei der Russischen Kaiserpreisfahrt eingesetzt. Außerdem: Die fraglichen Wagen haben ja schon einen – keineswegs improvisierten – Aufbau als Zweisitzer. Von daher würde ich erst einmal nicht der These folgen, dass diese Wagen bloß zum Karosseriebauer gingen.
Die deutschen Kfz-Kennzeichen sind in den letzten 120 Jahren immer wieder verändert worden, aber eines blieb unverändert – die Überführungs- bzw. Probefahrtkennzeichen. Die waren bereits damals rot und hatten hinter der Ortskennung eine – meist recht kurze Zahl mit einer “0” vorne.
Meine Vermutung ist, dass die 4 “nackten” Fahrzeuge auf dem Weg zu einem Karosseriebauer sind.