Ich weiß ja nicht, wo meine Leser alle wohnen – immerhin rund 4.000 verirren sich im Schnitt pro Monat in meinen Blog, da sollte sich schon eine tüchtige Streuung ergeben. Es sind auch etliche aus Übersee dabei, ansonsten die meisten aus dem deutschsprachigen Raum.
Da würde mich interessieren: Haben Sie dieses Jahr schon mehr als einen kühlen Gruß des Frühlings bekommen? An immerhin zwei sonnige und milde Tage kann ich mich erinnern. Heute nacht gibt es wohl wieder leichten Frost, wie es scheint.
Also alles im Rahmen üblicher Schwankungen im Monat April. Vermutlich denken die armen Schlucker, die sich gegen Bares für Klebstoff-Tests im Berufsverkehr missbrauchen lassen, dass sie im Alleingang den Klimawandel zum Stillstand gebracht haben.
Das passt mir nun gar nicht, und so mache ich mich mit Gleichgesinnten im verfemten Verbrennerauto und mit der Kamera bewaffnet auf die Pirsch nach dem Frühling.
Dabei hoffen wir, durch rücksichtsloses Herumfahren mit Bleifuß und großzügige CO2-Emissionen dem Klima auf die Sprünge zu helfen – allein: es will nicht gelingen:

Der Winter will sich einfach noch nicht geschlagen geben, speziell in höheren Lagen. Das muss dokumentiert werden, mit der Leica natürlich und auch das Datum wird präzis vermerkt: 18. April 1938.
Während wir zunehmend genervt versuchen, den Frühling zur erhaschen, ist unser adretter Wagen vollkommen entspannt und erfreut uns motorenseitig mit thermischer Stabilität.
Denn während manchem wassergekühlten Aggregat seinerzeit solche Verhältnisse ebenso zu schaffen machen konnten wie sommerliche Hitze, ist der luftgekühlte 4-Zylinder-Boxer schnell auf Betriebstemperatur und kennt mangels Wassermantel keine Frostprobleme.
Damit wären wir schon bei der Frage, welchen Wagen wir für unsere erfolglose Fotopirsch dem Frühling entgegen gewählt haben. Nun, so einen schicken luftgekühlten Wagen bauten damals nur die Tschechen, nämlich ab 1933 in Form des Tatra 75.
Der war mit 30 PS für damalige Verhältnisse in Mitteleuropa akzeptabel motorisiert und bot dank Kühlerattrappe das Erscheinungsbild eines eleganten wassergekühlten Automobils:

Ein so kompaktes Fahrzeug mit einer an große Premium-Wagen erinnernden Cabriolet-Karosserie hinzubekommen, das war schon ein kleines Meisterstück.
Ohnehin verdient die Gestaltung tschechischer Automobile der 30er Jahre Bewunderung und es ist schade, dass sie in Deutschland heute nur vereinzelt anzutreffen sind.
Obiges Exemplar war übrigens in Wien zugelassen, wo solche Tatras ebenso wie in Deutschland auch gefertigt wurden (Austro-Tatra bzw. Detra).
Zwar gibt es in der Frontansicht gewisse Ähnlichkeiten mit zeitgenössischen DKWs, doch der Tatra 75 war aus meiner Sicht im Detail noch ein klein wenig raffinierter ausgeführt:

Eine dermaßen filigrane Stoßstange fand sich an keinem deutschen Fabrikat. Rein funktionell betrachtet mag das nicht ideal gewesen sein, aber die optisch prominenteren “Stoßecken” der DKWs waren letztlich auch nur ein notdürftiger Schutz.
Es ist ja gerade die offen vorgetragene Geringschätzung für eine rein sachliche Gestaltung, welche die meisten Kreationen der unmittelbaren Vorkriegszeit heute so faszinierend macht.
Als dieses Foto entstand, Mitte April 1938, hatten sich längst düstere Wolken über Europas politischem Himmel zusammengezogen und speziell in Deutschland rückte der Bedarf der der auf Hochtouren laufenden Rüstungsindustrie immer mehr in den Vordergrund.
Gleichzeitig stößt man immer wieder auf solche Zeugnisse reiner Idyllen, in denen selbst technische Schöpfungen noch ganz den Gesetzen der Ästhetik unterworfen waren.
Für uns Nachgeborene erscheinen solche Dokumente beklemmend, auch wenn unsere Altvorderen damals wirklich nur ganz harmlos auf Fotopirsch nach dem Frühling waren…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Meinen ersten 75er Tatra sah (und photografierte) ich im Sommer ’69 bei einer frühen Veteranenverabstaltung auf dem Ulmer Münsterplatz.
Ein aus der politisch zunehmend unwirtlichen CSSR emigrierte Herr fuhr ihn – natürlich als “Normal”- Fahrzeug .
Man staunte natürlich der Wunsch, den Motor zu sehen mit der schwungvollen Anhebung des kompletten Vorderwagens (!) beantwortet wurde.
Was wunder, daß die “filigrane”
Stoßstange eigentlich die Haupt- aufgabe des Haubengriffes zu erfüllen hatte. Für Auffahr- Kalamitäten war ein solcher Vorbau wenig geeignet, zumal es unter der ” Kühler”- Attrappe nur das Lüftergehäuse gab.
Wie man an den elegant lang ausgeschwungenen Kotflügeln schon erahnt, war die bei den Sonderkarosserien wie diesem Cabrio natürlich nicht möglich
(auch wegen der als Widerlager wenig geeigneten Windschutz- scheibe).
Die kleinen Hebel links und rechts der Maske weisen darauf hin, daß hier die Motorhaube einstückig zwischen den Kotflügeln hochgeklappt wird und sich auf einem zusammen mit der deutlich massiveren durchgehenden Stoßstange auf
einem am vorderen Gabelrahmen gelagerten Unterbau lagert.
Mir scheint, die deutlich vertrauenerweckendere wenn auch schwerere Lösung:!
Naja, Ledwinka und Porsche kannten sich gut und arbeiteten schon vor dem VW an ähnlichen Konzepten, siehe Porsche-Entwurf für Zündapp. Und Ledwinka baute ebenfalls auf Ideen auf, die seit den 1920ern allgemein im Schwange waren.
Ach Ja – Tatra !!
schade, daß die Firma nur noch Nutzfahrzeuge herstellt. Die bauten schon immer etwas “andere” Automobile, der geniale Konstrukteur Ledwinka konstruierte derart zukunftsweisend, dass Zeitgenossen ein Fernglas benötigten um das noch zu erkennen. Man glaubt nicht, wie viel “Volkswagen” Porsche aus Ledwinka’s Arbeiten übernommen hat.