Experten unter sich: Ein Adler Tourer um 1907

Heute lasse ich Sie an einem Moment teilhaben, bei dem eigentlich die Kenner unter sich bleiben wollen. Als bei den meisten Vorkriegsmarken nur Halbgebildeter kenne ich aber keinen Respekt vor Autoritäten und mische mich gern frech ein.

Mir passt es nämlich gar nicht, wenn die Experten ihr Wissen am liebsten für sich behalten wollen, damit sie nicht vom gemeinen Pöbel belästigt werden. Dergleichen Attitüden legen keineswegs nur Sprösslinge alter Adelsgeschlechter, Kirchenfürsten oder sonstige Vertreter der jeweils herrschenden Priesterkaste an den Tag.

Schlimmer sind die eifrigen Aufsteiger, die sich einbilden, es noch besser zu wissen als die bis dato Mächtigen und sich umgehend die Aura der Unantatstbarkeit zulegen, sobald sie höhere Sphären erreicht zu haben glauben als der erdverbundene Fußgänger.

In der Frühzeit des Automobils waren dieser Versuchung insbesondere diejenigen ausgesetzt, welche einen der neuartigen und enorm komplexen Kraftwagen beherrschten.

Diese Experten – wichtigtuerisch Chauffeure genannt – wussten, was sie ihren vermögenden Brötchengebern wert waren und blieben nach Dienstschluss gern unter sich. Mit dem übrigen Personal wollte man wohl nichts zu tun haben.

Hier haben wir zwei Exemplare dieser benzingetriebenen Elite ins Fachgespräch vertieft:

Adler Tourenwagen um 1907; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ist das nicht ein hübscher Schnappschuss, der hier einem frühen Vertreter der Paparazzi gelungen ist? Wir dürfen sicher sein, dass die eigentlichen Besitzer dieses mächtigen und kolossal teuren Tourenwagens irgendeine Form von Prominenz genossen.

Wie komme ich als bloßer Betrachter – keinesfalls Eingeweihter – dieser Szene zu einer derart kühnen Vermutung? Sagen wir, dass ein gesundes Halbwissen meist schon reicht, um in diesen Kreisen einigermaßen bestehen zu können.

Das erforderliche Mindestmaß an Bildung kann man sich mit etwas Disziplin im Selbststudium aneignen. Dazu schule man sich am besten an hochkarätigem Material – beispielsweise diesem:

Adler-Reklame von 1907; Original: Sammlung Michael Schlenger

Wen diese Reklame eher verwirrt als orientiert, dem sei zweierlei empfohlen:

Erstens das Studium der Kühler- und Haubenpartie, zweitens die genaue Betrachtung der Armlehne der vorderen Sitzbank mit dem auffallenden Haltegriff. Den übrigen Aufbau vergisst man am besten – der war weder typ- noch markenspezifisch.

Die Frontpartie entspricht derjenigen stark motorisierter Wagen der Adlerwerke aus Frankfurt am Main, wie sie zwischen 1906 und 1908 gebaut wurden. Diese Autos verfügten über kolossale Hubräume von über sieben Liter, welche eine Spitzenleistung von 40 bis 50 PS bereits bei Drehzahlen von etwas über 1.000 Umdrehungen pro Minute abwarfen.

Hier ein Adler-Landaulet dieses Kalibers, welches 1908 in Wandlitz abgelichtet wurde:

Adler Landaulet um 1907; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Sicher erkennen Sie die weitgehende Übereinstimmung von Kühler- und Haubenpartie – typisch für Adler-Wagen aus der Zeit kurz vor 1910.

Der vor dem Landaulet abgelichtete Fahrer war ebenfalls ein Experte seines Fachs, doch immerhin zeigt er sich uns zugewandt – von ihm hätten wir vermutlich alles über “seinen” Adler erfahren, was wir wissen wollen.

Doch leider kann er nicht mehr zu uns sprechen – ganz wie die beiden Kollegen auf dem eingangs gezeigten Foto. Dabei hätten wir gern einiges von ihnen erfahren, und sei es nur, welcher der am Armaturenbrett aufgereihten Öler für welchen Schmierpunkt zuständig war:

Dergleichen Details werden die beiden Magier des Motorwagens vermutlich als Berufsgeheimmis für sich behalten haben wollen.

Dabei hätten wir doch bloß gewusst, ob wir mit der Vermutung richtig liegen, dass es sich bei dem großzügig dimensionierten Automobil tatsächlich um einen Adler mit 40 PS aufwärts handelte, wie er ab 1906 im Programm auftaucht.

Dazu ist freilich das Votum eines Kenners der frühen Adler-Modelle vonnöten. Wäre doch schade, wenn die heutigen Experten dieser einst so bedeutenden deutschen Marke unter sich blieben und ihr zweifellos vorhandenes Wissen für sich behielten – die mir bekannte Literatur dazu ist nämlich über 40 Jahre alt (Werner Oswald, Adler Automobile, 1981)…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

2 Gedanken zu „Experten unter sich: Ein Adler Tourer um 1907

  1. So ist es: ein eindrucksvolles Automobil aus der Frühzeit und zwei Männer, welche diese neue Technik beherrschten – man vergisst gern, was wir unseren Altvorderen in dieser Hinsicht verdanken. Das Auto hat auch Probleme geschaffen, kann sogar eine Plage sein – keine Frage. Aber letztlich überwiegt doch der Gewinn an individueller Mobilität, welche die wenigsten missen möchten. Da ist schon ein wenig Verehrung dieser einstigen Magier des Motorwagens angebracht, meine ich.

  2. Ein tolles Foto vom Adler mit den beiden fachsimpelnden Chauffeuren!
    KD

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