Fund des Monats: Ein “Nacke”-Tourer um 1912

Gerade bin ich aus Italien zurückgekehrt, da steht auch schon der Fund des Monats an. Der stammt zwar auch aus dem Süden, aber von dort mitgebracht habe ich ihn nicht.

Immerhin kann ich feststellen, dass man in einer Woche in Umbrien auch Ende November der (nicht nur wettertechnisch) depressionsfördernden Stimmung hierzulande entgehen kann.

Die mittelitalienische Region gilt zurecht als das “Grüne Herz Italiens” – allerdings nicht in politischer Hinsicht. Die Umbrer sind nämlich bodenständige, fleißige und auf die Bewahrung ihrer uralten Kultur bedachte Menschen – dazu gehört auch die Pflege einer traumhaften Landschaft, die sich seit etruskischer Zeit kaum verändert hat:

Blick von Collepino in die Valle Umbra; Bildrechte: Michael Schlenger

Dieser Blick bot sich letzte Woche von der Stadtmauer des mittelalterlichen Kleinods Collepino, wo ich während meiner Umbrien-Aufenthalte zu wohnen pflege, hinab in die vom Nebel bedeckte Ebene.

Dort finden sich von Perugia im Norden über Assisi und Spello im Osten bis nach Spoleto im Süden eine Reihe wunderbar erhaltener und zugleich quicklebendiger Städte, von denen jede mit Bauten aus 2.500 Jahren Geschichte aufwarten kann und dabei jeweils einen ganz eigenen Charakter hat.

Das Ganze eingebettet in eine Kulturlandschaft, die weniger künstlich ist als die der benachbarten Toscana. An die “Valle Umbra” im Osten angrenzend findet sich romantisches Bergland, in dem Burgen und Klöster, Wasserfälle und Wildbäche locken, bevor man ins Gebirge gelangt, in dem die Gipfel Ende November schon schneebedeckt sind:

Blick vom Monte Subasio auf den Appenin; Bildrechte: Michael Schlenger

Um einen derart erhebenden Eindruck zu übertreffen, muss man schon sehr weit nach Süden – so weit nach Süden, dass man fast wieder im Sommer anlangt.

Auf der Südhalbkugel – in Australien um genau zu sein – wird man dann fündig, sofern man findig und ein Oldtimer-Enhusiast ist, der ein so ausgeprägtes Faible für entlegene europäische Vorkriegsmarken hat wie Jason Palmer.

Er liest seit längerem in meinem Blog mit und steuert bisweilen etwas aus seinem Fotofundus bei, wenn ich etwas besprochen habe, das in die Kategorie der absoluten Exoten fällt.

Vor genau einem halben Jahr – Ende Mai 2022 – konnte ich hier erstmals einige bis dato unpublizierte Bilddokumente präsentieren, die Wagen der sächsischen Marke Nacke zeigen.

Dabei bin ich auch auf die Geschichte des Herstellers eingegangen, weshalb ich diese heute nicht erneut erzählen will. Nur ein historischer Aspekt verdient nochmals erwähnt zu werden: Die Firma Nacke beendete den Serienbau von Personenwagen schon 1913.

Daher dürfte das folgende Foto aus der Sammlung von Jason Palmer eines der letzten Exemplare aus der PKW-Produktion von Nacke zeigen – es ist zugleich von einer Qualität, welche dem hohen Anspruch des Herstellers ein würdiges Denkmal setzt:

Nacke Tourenwagen um 1912; Originalfoto aus Sammlung Jason Palmer (Australien)

Ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich hierbei um ein konkurrenzloses Dokument handelt, das keinen Wunsch offenlässt – bestenfalls den, dass es so etwas doch auch von den vielen anderen deutschen Nischenfabrikaten jener Zeit geben möge.

Doch daran arbeiten wir hier gemeinsam – und damit meine ich neben meiner Person die Gleichgesinnten, die nun schon seit mehreren Jahren solche Schätze großzügig dem interessierten Publikum zugänglich machen.

Das gibt es im deutschsprachigen Raum nirgends sonst in dieser Breite und Tiefe, nicht annähernd. Bald 90.000 Besucher kann ich dieses Jahr verzeichnen – mehr als doppelt so viele wie 2021. Da soll jemand behaupten, das Thema interessiere keinen mehr!

Zurück zum Nacke, der sich auf denkbar eindeutige Weise als solcher zu erkennen gibt:

Ohne die Kühlerplakette wäre es wohl unmöglich gewesen, diesen sonst unauffälligen Tourer als Produkt der Automobilfabrik E. Nacke aus Coswig in Sachsen zu identifizieren.

Mangels Vergleichsfotos müssen wir uns bei der Eingrenzung von Herstellungszeitraum und Modell mit plausiblen Überlegungen behelfen.

So zeigt eine Nacke-Reklame von 1911 in “Ahnen unserer Autos” von Kirchberg/Gränz auf S. 133 einen ähnlichen Tourenwagenaufbau, allerdings noch mit altertümlicher Gestaltung der Vorderkotflügel und gasbetriebenen Positionslampen.

Das Fahrzeug auf dem Foto von Jason Palmer ist in beiderlei Hinsicht moderner, was für eine Datierung “um 1912” spricht – vielleicht haben wir es sogar mit einem Wagen aus dem letzten Produktionsjahr 1913 zu tun.

Jedenfalls besitzt dieses Exemplar bereits elektrische Standlichter, die auf folgendem Ausschnitt ansatzweise im “Windlauf” hinter der Motorhaube zu sehen sind:

Solche genialen Posen sind nur mit Vorkriegautos möglich, welche opulent geschwungene Formen völlig selbstverständlich mit nüchternstem Funktionalismus vereinten.

Vom Kot”flügel”, auf dem es sich dieser junge Mann bequem gemacht hat, ist nur der inhaltsleer gewordene Begriff geblieben. Die raffiniert gestaltete, auch akustisch eindrucksvolle Hupe, auf die er seinen rechten Arm stützt, ist einem banalen elektrischen Horn gewichen, welches unter die Motorhaube gewandert ist. Reserveräder fahren dermaßen auffallend nur noch Besitzer klassischer Geländewagen durch die Gegend.

Passé ist auch die Sorgfalt, die man einst dem äußeren Erscheinungsbild widmete. Es muss kein steifer Kragen und keine Krawatte sein, aber zumindest am Vermeiden des Herzeigens unschöner oder gar ungepflegter Körperpartien dürfte sich heute mancher aus meiner Sicht ein Vorbild nehmen – speziell wenn man selbst im Oldtimer unterwegs ist.

Das beherrschte doch einst jedes Kind! So will es uns auch dieser Ausschnitt sagen:

Kinder als kleine Erwachsene zurechtgemacht – das mag heute bei einigen für Stirnrunzeln sorgen, war aber der Normalfall in der Menschheitsgeschichte.

Die Kindheit als besondere, von den Forderungen des Alltags abgeschirmte Lebensphase, das ist eine Errungenschaft der Neuzeit. Sie sollte aber nicht über Gebühr ausgedehnt werden – Elternsprechstunden an Universitäten sind jedenfalls eine bedenkliche Entwicklung.

Handwerkerkinder erwerben ihre Lebenstüchtigkeit früher, das stellte ich im Wehrdienst fest, als berufserfahrene Kameraden motiviert an Aufgaben herangingen, während Abiturienten zu Diskussionen und Drückebergertum neigten, oft auch mental und körperlich wenig belastbar waren.

Erwachsen zu werden, das stellt keine Bedrohung dar, der es möglichst lange aus dem Weg zu gehen gilt – Erwachsensein heißt die ganze Fülle des Daseins ausschöpfen zu können, und das umfasste für mich als 18-jährigen unter anderem, selbst ein Auto lenken zu dürfen.

Schon früh ahmen Kinder auf alten Fotos spielerisch die Posen der Erwachsenen am Volant nach – weil sie selbst so sein wollen wie der Fahrer dieses Nacke-Wagens, der sich hier gerade in die nächste Kurve hineinträumt:

Was das genau für ein Modell war, das muss vorerst offenbleiben. Um 1912 waren Nacke-Automobile mit mindestens fünf Motorisierungen verfügbar.

Ich würde bei diesem Exemplar aufgrund der Höhe der Motorhaube auf ein stärkeres Modell mit einer Leistung von 35 bis 40 PS tippen.

Für heute lassen wir es aber vielleicht einfach beim Staunen bewenden…

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Mit 7 PS über’n Pass? Passt. Ein Peugeot um 1904

Das Automobil steckte noch in den Kinderschuhen und war ein teures Vergnügen – doch früh verlockte es seine Besitzer dazu, abseits der Eisenbahnstrecken und unabhängig von Fahrplänen die Wunder der Welt aufzusuchen.

Magische Anziehungskraft übte in Mitteleuropa das an Kulturschätzen so reiche und von der Natur gesegnete Italien aus. Tatsächlich war das Auto schon kurz nach 1900 so weit ausgereift, dass man sich damit auf eigene Faust ins Land der Sehnsüchte begeben konnte.

So unternahm anno 1902 der Journalist und Schriftsteller Otto Julius Bierbaum mit seiner Frau eine Italienreise in einem 8 PS-Adler, den ihm das Werk in Frankfurt/Main in vollem Vertrauen auf die Qualitäten des Wagens zur Verfügung gestellt hatte.

Wie ein Adler-Auto damals aussah, davon vermittelt folgende Reklame aus dem Jahr 1902 eine Vorstellung:

Adler-Reklame von 1902; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Über den Gotthardpass bis hinunter nach Sorrent am Golf von Neapel trug der Adler damals seine Insassen. Verewigt hat Otto Julius Bierbaum dieses Abenteuer sehr lesenswert in seinem Buch “Empfindsame Reise im Automobil“.

Den Deckel der heute verfügbaren Ausgabe ziert zwar ein Adler von ca. 1912, aber das tut dem Lesevergnügen keinen Abbruch. Über das Auto verliert der Autor übrigens kaum ein Wort, ihn interessierten nur Land und Leute – der Adler war reines Mittel zum Zweck.

Jedenfalls gilt Bierbaum hierzulande als erster Automobiltourist, der nicht zu sportlichen Zwecken, sondern aus Reiselust die Alpen überwand – vielleicht ist einem Leser aber eine noch frühere solche Episode bekannt.

Solche Geschichten weckten natürlich in vermögenden Reisenden das Interesse, sich ebenfalls im eigenen Wagen gen Süden aufzumachen. Dazu muss auch dieser Herr gehört haben, der es im Gebirge schon hoch hinausgebracht hatte, als seine Begleitung dieses Foto anfertigte:

Peugeot um 1904, wohl Typ 63; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Es ist rund 25 Jahre her, dass ich mit meinem treuen 1200er VW Käfer die Paßstraße über den Gotthard auf dem Weg in die italienischen Marken nahm. Daher kann ich mich nicht mehr genau erinnern, wie es dort oben aussah.

Ich würde aber nicht ausschließen, dass dieses Foto ebenfalls auf dem Gotthard entstand – wer weiß es genau?

Meine Recherchen galten auch mehr dem sportlich karossierten Zweisitzer. Der Wagen wirkt mit seinem senkrecht im Wind stehenden Kühler schon ein ganzes Stück moderner als der Adler von 1902, der Otto Julius Bierbaum zur Verfügung stand.

Autos mit solchen Kühler, die oben einen eckigen Wasserkasten besaßen, gab es ab etwa 1903 einige. Den Hersteller dieses Wagens konnte ich anhand der Form der Plakette identifizieren, die sich mittig auf der Schottwand befindet, welche Motor- und Fahrerraum voneinander trennt:

Das müsste ein Peugeot sein, dachte ich. Ein Blick in Wolfgang Schmarbecks deutsches Standardwerk zu der Marke (Motorbuch-Verlag, 1. Auflage 1980) bestätigte dies.

Die erwähnte Kühlergestaltung findet sich bei Peugeot-Wagen erstmals bereits 1903, ich tippe hier aber eher auf ein Modell von 1904 und zwar speziell den 7 PS leistenden Typ 63.

Im erwähnten Buch findet sich nämlich ein – abgesehen vom dort viersitzigen Aufbau – praktisch identisches Fahrzeug. Das auf den ersten Blick recht ähnliche Modell 69 “Bébé” von 1905 möchte ich aufgrund der Proportionen ausschließen.

Auf jeden Fall haben wir es hier mit einem der kompakteren damaligen Peugeot-Typen zu tun, die meist noch deutlich weniger als 10 PS Höchstleistung aufwiesen. Maximal 40 bis 50 Stundenkilometer konnten damit erreicht werden.

Der entscheidende Vorteil war aber die Unabhängigkeit des Reisens und der unmittelbare Genuss der Landschaft – was beides mit der Eisenbahn nicht möglich war. Schon früh müssen sich geschäftstüchtige Leute gefunden haben, welche die Benzinversorgung entlang der von den Automobilisten bevorzugten Routen gesichert haben.

Das hat sich alles damals in raschem Tempo quasi von selbst entwickelt. Wir betrachten diese Strukturen heute als selbstverständlich, profitieren dabei immer noch von der Pionierarbeit unserer Altvorderen, welche damals den Aufstieg des Autos ermöglichten.

Daran will ich denken, wenn ich morgen selbst wieder für einige Tage gen Süden reise und wenn es dabei durch den Gotthard-Tunnel geht, dann ziehe ich meinen imaginären Hut vor diesen Wegbereitern des modernen Reisens.

Solange herrscht im Blog Sendepause. Vielleicht vertreiben Sie sich unterdessen die Zeit mit Recherchen zu Otto Julius Bierbaums Italientrip – dazu gibt es im Netz einiges…

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Bloß keine Illusionen: Ein “Hansa”-Tourer von 1912

Ende November, die Tage werden kürzer und kürzer, fast jeden Tag fällt Regen von einem bleigrauen Himmel. Gestern zogen die letzten Zugvögel über die Wetterau – meine Heimatregion in Hessen – gen Westen, bevor sie am Taunus-Gebirge nach Süden abbiegen.

Sie machen sich keine Illusionen: höchste Zeit, in angenehmere Gefilde aufzubrechen, auch wenn das eine enorme Kraftanstrengung bedeutet – überhaupt: Was Zugvögel zu leisten vermögen, ist atemberaubend.

Die nächsten Monate werden unerfreulich, machen wir uns keine Illusionen. Auch Mitte Februar nächsten Jahres wird es günstigstenfalls ebenso demoralisierend vor der Haustür und anderswo aussehen wie derzeit, auch wenn die Tage dann wieder länger sind.

Mitte Februar vor knapp 110 Jahren war es, als diese Postkarte nach Lübeck geschickt wurde – die Stimmung darauf war miserabel, aber das Foto ist dennoch großartig:

Hansa Typ A oder B von 1912/13; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wer die Automobil-Prospekte der Zeit vor dem 1. Weltkrieg kennt, sieht in Gedanken endlose Aufreihungen von der Seite abgebildeter Wagen in diversen Karosserieausführungen vor sich – leblos, ohne jede Spannung.

Die Wirklichkeit sah abwechslungsreicher aus, die freien Fotografen, die nicht die Vorlagen für die Herstellerbroschüren liefern mussten, waren weit einfallsreicher. Viele wählten die Perspektive “schräg von vorn”, bei welcher die Kühlerpartie abgebildet wurde, die damals praktisch das einzig Markentypische war.

Auf obiger Aufnahme hat jemand aber eine andere Auffassung vertreten: Das Automobil wird interessant erst durch den Menschen, der es beherrscht und damit Zeit und Raum überwindet. Ohne ihn bleibt es eine leblose Schöpfung, die nutzlos herumsteht.

Also muss so ein Wagen auch aus denkbar ungünstiger Perspektive wirken, solange jemand am Lenkrad sitzt und unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht:

Keine Illusionen – das scheint der kalte Blick des Fahrers auszusagen, der uns hier schmallippig fixiert. Seine Arbeit war eine durchaus exklusive und gut bezahlte im Vergleich zu vielen anderen Tätigkeiten, aber sie war auch mit Härten verbunden.

Im Februar die Herrschaften im offenen Tourenwagen umherzufahren, das gehörte zu seinem Geschäft, wobei der Fahrer mit seiner Nähe zum wärmespendenden Motor und Getriebe sowie der Position hinter der Windschutzscheibe die bessere Position hatte.

Keine Illusionen machte sich dieser Mann für den Fall, dass er die Besitzer des Wagen irgendwo “abliefern” musste, wo es es warm und auch sonst angenehm war – während er mit seinen Chauffeurskollegen draußen auf die Rückkehr der Herrschaften wartete.

Was aber war das überhaupt für ein Auto, welches dieser Fahrer seinerzeit lenkte und mit erheblichem Aufwand und Können betriebsfähig hielt?

Nun, sicher ist aus meiner Sicht nur, dass es ein Hansa der gleichnamigen Werke aus der niedersächsischen Kleinstadt Varel (Oldenburg) war. Die in Frage kommenden Typen waren der Hansa A 6/18 PS und das Schwestermodell C 8/20 PS von 1912.

Wie kommt der Kerl darauf? Machen Sie sich keine Illusionen, ich kann nicht hellsehen, aber die Motorhaube mit zwei oben am vorderen und hinteren Ende angebrachten Griffmulden gab es damals so nur bei Hansa-Automobilen.

Und da die Postkarte Anfang 1913 auf die Reise ging, dürfen wir von einem Modell des Jahres 1912 ausgehen. Dazu passen aus meiner Sicht am ehesten die beiden genannten Motorisierungen, wobei man den größeren Typ D 10/30 PS nicht ganz ausschließen darf.

Machen wir uns keine lllusionen: Solange es zu einer deutschen Marke wie Hansa keine umfassende Darstellung der einst verfügbaren Typen gibt – fast schon ein Muster bei deutschen Fabrikaten der zweiten Reihe – solange müssen wir mit der Ungewissheit leben.

Aber das ist im Fall eines dermaßen ausdruckstarken Dokuments verkraftbar…

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Nur ein kurzes Vergnügen… Aero 30 Roadster

Heute ist in meinem Blog nur ein kurzes Vergnügen drin – das aber nicht nur in zeitlicher Hinsicht.

Zunächst gilt es, an ein Porträt des Typs 30 anzuknüpfen, den die reizvolle tschechische Marke Aero ab 1934 mit Vorderradantrieb baute. So hatte ich im Sommer die erste Ausführung dieses auch äußerlich starken Modells hier präsentiert.

Die noch attraktiver gestylte spätere Version des Aero 30 von 1939 konnte ich damals “nur” anhand einer Cabrio-Limousine dokumentieren:

Aero 30, Karosserie Sodomka; Originalfoto aus Familienbesitz (via Johannes Kühmayer, Wien)

Dieser Ausführung ging zwar das klassische Ebenmaß der parallel in Deutschland gebauten Fronttriebler von DKW ab (siehe meinen gestrigen Blog-Eintrag zum Modell F7). Doch die raubtierhafte Spannung des Karosseriekörpers ist auf ihre Art ebenfalls ein Meisterstück.

Dieser kühne Entwurf stammte von der Karosserieschmiede Sodomka, der wir einige der exaltiersten Blechkreationen der 1930er Jahre verdanken. Dort entstand auch der Roadster-Aufbau, mit dem der Aero 30 ebenfalls erhältlich war.

Mir gefällt zwar – wie häufig bei Autos jener Zeit – die coupéhafte geschlossene Version besser, aber zu verachten war dieser Aero-Roadster keineswegs. Im Fall des heute vorgestellten Exemplars tut die “Besatzung” ein übriges:

Aero 30 Roadster, Karosserie Sodomka; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt

Diese Aufnahme transportiert uns ins Frühjahr oder in den Sommer 1939, denn erst in jenem Schicksalsjahr war diese modernisierte Ausführung des Aero 30 erhältlich.

Was hier so heiter erscheint, sollte also nur ein kurzes Vergnügen bleiben, denn wenig später begann mit den zeitlich kurz aufeinanderfolgenden Zangenangriffen des Deutschen Reichs und der Sowjetunion auf Polen der Zweite Weltkrieg.

Ebenfalls ein kurzes Vergnügen sollte die 1938 erfolgte Heraustrennung des überwiegend deutsch besiedelten Sudetenlands aus der Tschechoslowakei und die Einbeziehung ins Deutsche Reich sein.

Das Kennzeichen des Aero 30 Roadsters mit “S” für Sudetengau verweist auf diese kurze Episode, die im Frühjahr 1945 ein für viele unschuldige Zivilisten dort grausames Ende fand.

Wie im Fall der seit 2014 zunehmenden Aggression der Ukraine gegen die Bevölkerung ihrer russisch besiedelten Regionen, welche im Februar 2022 den Einfall russischer Truppen auslöste (keine Entschuldigung, aber eine Erklärung) – ist nüchtern zu konstatieren, dass Vielvölkerstaaten nur bei fairem Miteinander fortbestehen können, gegebenenfalls mit autonomen Regionen, oder aufgespalten werden müssen, um Schlimmeres zu verhindern.

Im Fall des Sudetenlands kam ein solcher Schritt zu spät, und die über lange Zeit sich steigernde Drangsalierung der dortigen deutschen Bevölkerung gab im Reich den radikalen Kräften zusätzlichen Auftrieb, welche dann halb Europa verheerten.

So blieb der Sommerausflug im Aero 30 Roadster mit Kennzeichen Sudetenland ein kurzes Vergnügen – und für viele das letzte vor der Katastrophe. Aus dieser hätte man eigentlich lernen können, ein neues Aufflammen kriegerischer Konflikte entlang der Grenzen zwischen verschiedenen Völker oder Ethnien unbedingt zu vermeiden.

Aber die historische Erinnerung ist leider nur eine kurze – keineswegs ein Vergnügen…

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Glück und Tragik: DKW F7 “Meisterklasse” von 1937

Im Leben gehören Glück und Tragik untrennbar zusammen. Wir können das Dasein göttergleich genießen, solange uns das Glück uns hold ist – doch die Endlichkeit holt uns unweigerlich ein – irgendwann.

Diese Tragik versucht der Mensch seit Urzeiten immer neu zu verarbeiten, irgendwie erträglich zu gestalten, manchmal ihr gar einen Sinn abzuringen.

Die dem Leben zugewandten Griechen konstruierten ihre Mythologie ganz um dieses irdische Menschenschicksal herum – das Jenseits spielte nur eine unerbauliche Nebenrolle.

Der Maßstab für Kunst ist für mich, dem Spannungsverhältnis zwischen flüchtigem Glück und final triumphierender Tragik Ausdruck zu verleihen.

Während ich diesen Blog-Eintrag schreibe, höre ich eine Musik, die ich erst heute kennengelernt habe. So fand ich in der Post eine bestellte CD, die ich vergessen hatte. Darauf befinden sich zwei Werke des englischen Komponisten Henry Purcell (1659-1695).

Das erste strotzt vor Opulenz und Glanz – es ist die Ode “Come Ye Sons of Art”, die Purcell anlässlich des Geburtstags von Queen Mary im Jahr 1694 schrieb.

Das versetzt mich in die rechte Stimmung, um die Schönheit eines Automobils zu preisen, das für mich einen gestalterischen Gipfelpunkt in den späten 1930er Jahren darstellt:

DKW F7 “Meisterklasse” von 1937; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Nie zuvor und nie wieder danach wurde ein Kleinwagen von solcher klassischer Vollkommenheit gebaut. Dieses Auto, dessen Zweitaktmotor gerade einmal 20 PS leistete und das mit Mühe Spitze 85 km/h erreichte, besaß alle äußeren Attribute eines Luxusautomobils, bloß brilliant ins Kleinformat übertragen.

Normalerweise funktioniert so etwas nicht, aber die Gestalter der Auto-Union, welche damals für das Erscheinungsbild der vier unter diesem Dach vereinten Marken Audi, DKW, Horch und Wanderer zuständig waren, vollbrachten das Meisterstück.

So erhielt dieser DKW des Ende 1936 eingeführten Frontantriebstyps F7 verdientermaßen die Bezeichnung “Meisterklasse” – wobei der Zusatz eigentlich nur auf die gehobene Ausstattung mit verchromtem Kühlergehäuse, Chromstoßstangen und Chromradkappen sowie Zweifarblackierung verweisen sollte.

Die ebenfalls verchromte Hutze am oberen Windschutzscheibenrahmen gab es so nur 1937, was eine entsprechend präzise Datierung solcher DKWs erlaubt.

Bevor wir in dieser Ode auf den DKW F7 “Meisterklasse” zum nächsten Stück wechseln, sei noch angemerkt, dass mir bei der ersten Aufnahme das Fehlen von Menschen keinen Nachteil darzustellen scheint. Die ländliche Ruhe mit den grasenden Kühen in Verbindung mit diesem aus idealer Perspektive fotografierten DKW lässt keine Wünsche offen.

Dennoch stellt der DKW auch mit seinen einstigen Besitzern einen erfreulichen Anblick dar – dieses Foto verdanken wir ebenfalls Leser Klaas Dierks:

DKW F7 “Meisterklasse” von 1937; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Passend zur Purcell’schen Geburtstagsode für Queen Mary kommt mir diese adrette junge Dame tatsächlich wie ein kleine Königin vor – sie hat genau studiert, wie die feinen Damen aus altem Erb- und neuem Geldadel sich in der Öffentlichkeit gaben.

Sie macht ihre Sache so gut, dass man glatt vermuten könnte, dass sie auch für Modemagazine ihrer Zeit posierte. Dagegen sieht ihr Partner am Lenkrad etwas naiv in die Kamera, aber er ist hier nur unmaßgebliches Beiwerk.

Dass man besonders faszinierend erscheinen kann, wenn man gerade nicht in die Kamera blickt, das werden wir gegen Ende bestätigt finden.

Vorher werden wir allerdings noch Zeuge einer dritten Situation mit demselben DKW – und hier kündigt sich an, dass gerade dann, wenn alles nach unseren Wünschen zu gehen scheint, das Schicksal unheilvoll dazwischenfunken kann.

Unsere Altvorderen wussten damit freilich umzugehen, zumindest was die allfälligen Reifenpannen betrifft, die auch den bestpräparierten Automobilisten ereilten. Dann ging man(n) unaufgeregt an die Arbeit, während “sie” die Situation fotografisch festhielt:

DKW F7 “Meisterklasse” von 1937; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Passend dazu ist soeben Purcell’s Geburtstagsode an Queen Mary zuendegegangen.

Das nun folgende zweite Werk ist ganz anderen Charakters. Es beginnt mit einem feierlichen Marsch in langsamem Schritt – um was genau es sich handelt, verrate ich zum Schluss.

Damit will ich überleiten zu einer abschließenden Aufnahme eines DKW F7 “Meisterklasse”. Sie zeigt wiederum ein Exemplar aus dem Jahr 1937, diesmal aber nicht als heitere Cabrio-Limousine, sondern als ernster daherkommende Limousine.

Davon abgesehen findet man an dem Wagen alle erwähnten Attribute – bloß der verchromte Kühler ist hier nicht erkennbar, denn ein ernst in die Ferne blickender Mann mit Akkordeon hat darauf Platz genommen:

DKW F7 “Meisterklasse” von 1937; Originalfoto aus Besitz von Heidemarie Valentin

“In the midst of life” – “Mitten im Leben” so singt gerade der unvergleichliche englische Monteverdi Choir unter John Eliot Gardiner im Hintergrund.

Mitten im Leben, so scheint es, ist einst diese Aufnahme irgendwo im Fränkischen entstanden, das lässt die Zulassung im Raum Nürnberg jedenfalls vermuten. Irgendwann zwischen 1937 und 1939 muss das gewesen sein.

Der feierliche Ernst des Mannes auf dem Kühler verleiht dieser Aufnahme seine ganz besondere Aura. Zwar denkt man bei einem Akkordeon zunächst an heitere, gefällige Musikstücke – doch wer schon einmal etwas vom Bandoneon-Großmeister Astor Piazolla gehört hat, weiß dass solche Instrumente zu allem fähig sind.

Zudem wirkt der gebräunte und makellos gekleidete Mann mit der hohen Stirn nicht gerade wie irgendein zur Volksbelustigung aufspielender Musikus.

Gerade hat die letzte Nummer auf der CD begonnen, die mich heute begleitet hat. Wieder ist es ein feierlicher Marsch. Damit endet ein Werk, das Henry Purcell nach dem Tod von Queen Mary 1695 schrieb, also kurz nachdem er sie noch mit seiner Geburtstagsode gefeiert hatte.

Mitten aus dem Leben – mit nur 32 Jahren – riss damals der Tod diese faszinierende Frau. Henry Purcell starb kurz danach, mit Mitte Dreißig, auf dem Höhepunkt seines Könnens.

Mitten aus dem Leben riss der Tod auf dem Schlachtfeld 1944 in Frankreich auch den ernsten Musiker auf dem Kühler des DKW F7. Auf einem deutschen Soldatenfriedhof bei Versailles hat er seine letzte Ruhestätte gefunden, wie man zu sagen pflegt.

Dabei hätte er viel lieber nicht schon so früh geruht und stattdessen mit seiner Tochter noch einige glückliche Jahre gelebt. Sie wurde Ende 1944 geboren und hat ihn nie kennenlernt.

Ihre Mutter heiratete später einen anderen ehemaligen deutschen Soldaten, der nach der Kriegsgefangenschaft auf der Suche nach einer neuen Heimat war – die alte lag unerreichbar im verlorenen Schlesien. Er war der deutlich ältere Bruder meiner Mutter und so ist die Tochter des ernsten Musikanten auf dem DKW F7 “Meisterklasse” meine Stiefcousine.

Streng genommen sind wir gar nicht miteinander verwandt, und doch verbindet uns ein herzliches Verhältnis – ein geheimnisvolles Band, an dem die Zeit unauffällig geknüpft hat. So überwiegt am Ende bei aller Tragik des Geschehenen vielleicht doch ein kleines Glück.

Die Musik dazu: Henry Purcell, Music for the Queen Mary, Monteverdi Choir & Orchestra, J.E. Gardiner, Erato/Warner Classics 1977/2014

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Fuhr auch mit Gas: Dürkopp P 8/24 PS Sport-Zweisitzer

Die deutsche Sprache ist ein merkwürdiges Ding – bisweilen ist sie so verkorkst wie der Gedankenquark mancher ihrer angeblich großen Geister – von Marx über Heidegger bis Habermas. So fällt nicht gleich auf, wenn jemand mit entlegenem Wortschatz und in Schachtelsätzen Banalitäten oder frei erfundene Behauptungen von sich gibt.

Fährt einer mit Vollgas, heißt das noch lange nicht, dass er auch mit Gas fährt – in der Regel dürfte vielmehr Benzin oder Diesel im Tank sein. Mit Gas fährt dagegen, wer seinen Verbrennerwagen auf Betrieb mit Erdgas oder Ähnliches umgebaut hat.

Dass ändert nichts daran, dass ein Verbrennungsmotor in allen Fällen nur mit Gas funktionieren kann – diesmal ist das Kraftstoff-Luft-Gemisch gemeint. Eine weitere Möglichkeit, mit Gas zu fahren und das sogar bei einem Benziner, habe ich jüngst entdeckt.

Ausgangsbasis für dieses Kuriosum war ein Dürkopp des Typs P8 8/24 PS, der von dem Bielefelder Nischenhersteller von 1919 bis 1924 gebaut wurde. Hier haben wir ein eher spätes Exemplar, zu erkennen an der durchgängigen Reihe Luftschlitze:

Dürkopp Typ P8 8/24 PS; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt

Als ich diese schöne Aufnahme aus dem Fundus von Leser Matthias Schmidt vorstellte, wies ich unter anderem auf den eigenwilligen Heckabschluss hin und warf die Frage auf, ob dieser auf eine Spezialkarosserie hindeuten könnte.

Heute kann ich zumindest ein Indiz dafür liefern, dass es sich um eine Werksausführung handelte, wenngleich der von mir vorgeladene Zeuge dies nur indirekt bekunden kann.

Es verhält sich nämlich so, dass ich vor einiger Zeit einen originalen Dürkopp-Prospekt erstanden habe, welcher von Anfang der 1920er Jahre stammt.

Dieser beschreibt neben dem von 1919-24 gebauten Modell P8 8/24 PS auch die stärkeren Typen 10/30 PS, 16/45 PS und 24/70 PS, die jedoch nur bis 1922 angeboten wurden.

Hier haben wir das Deckblatt, das noch in einem Stil gestaltet ist, wie er während des 1. Weltkriegs gängig war:

Dürkopp-Prospekt um 1920 – Vorderdeckel; Original aus Sammlung Michael Schlenger

So etwas ist in vollständigem und guten Zustand eine veritable Rarität und nicht billig zu haben – der Prospekt hat mit 64 Seiten zudem außergewöhnlichen Umfang.

Heute werfen wir einen Blick hinein und befassen uns nochmals mit dem Basismodell P8 8/24 PS, das sich auf zeitgenössischen Fotos etwas häufiger findet als die großen Schwestermodelle und erst recht der eindrucksvolle Sechszylindertyp 24/70 PS.

Hier zunächst die Übersicht der wichtigsten Fahrzeugdaten:

Dürkopp-Prospekt um 1920 – Seite 40; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Während die rein numerischen Daten mit den Angaben in der heutigen Standardliteratur übereinstimmen – aufgrund allfälliger Übertragungsfehler keineswegs selbstverständlich – finden wir hier zusätzlich Interessantes zu den verfügbaren offenen Versionen.

So gab es neben dem gängigen Tourenwagen mit 4 bis 5 Sitzen auch zwei- und dreisitzige sportlich angehauchte Aufbauten, von denen man in der heutigen Literatur nichts liest.

Diese Varianten sind aber in meinem Exemplar des Dürkopp-Prospekts nicht nur beschrieben, sondern auch abgebildet, wie sich das gehört:

Dürkopp-Prospekt um 1920 – Seite 41; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Hier möchte ich die Aufmerksamkeit zunächst auf die mittlere Abbildung lenken: Sie zeigt den erwähnten Sport-Dreisitzer, welche einem zusätzlichen Passagier im offenbar abgerundeten Heck Platz gab.

Um eine solche dreisitzige Version handelt es sich aus meiner Sicht auch bei dem eingangs gezeigten etwas jüngeren Dürkopp P8 8/24 PS.

Wenn Sie jetzt meinen, dass dies nicht sein kann, weil dort inklusive Fotografen vier Personen unterzubringen waren, so kennen Sie den Kontext nicht.

Der war mir ebenfalls unbekannt, bis Matthias Schmidt eine weitere Aufnahme hervorzauberte, auf der rechts derselbe Dürkopp mit zwei bereits bekannten Insassen und eine ganze Menge weiterer Reisebegleiter zu sehen sind, die Fotos machen konnten:

Dürkopp Typ P8 8/24 PS (rechts); Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt

Den hier links zu sehenden Wagen mit Zweisitzer-Aufbau konnte ich übrigens noch nicht identifizieren – wer weiß etwas dazu zu sagen?

Unterdessen wollen wir aber auch den im Prospekt genannten und abgebildeten Sport-Zweisitzer auf Basis des Dürkopp P8 8/24 PS nicht zu kurz kommen lassen, selbst wenn der mit dem kürzesten Aufbau aufwartete.

Werfen Sie noch einmal einen Blick auf die Prospektabbildung und prägen sich die Details des dort ganz oben wiedergegebenen Wagens ein. Fertig?

Dann bin ich gespannt, was Sie hierzu sagen:

Dürkopp Typ P8 8/24 PS Sport-Zweisitzer; originales Werksfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ist das nicht eine großartige Aufnahme?

Hier wurde vom Fotografen die außergewöhnliche, tropfenförmig auslaufende Heckpartie ebenso gewürdigt wie der Innenraum mit dem Instrumentenbrett – das Ganze garniert mit dem im Abzug eingeprägten Stempel der Dürkoppwerke.

Das ist genau der Sport-Zweisitzer aus dem Prospekt, sollte man meinen. Ja und nein. Zweifellos ist es dasselbe Modell, aber einen kleinen Unterschied erkennt man doch.

Was fällt Ihnen hier um Unterschied zur Prospektabbildung auf – und damit meine ich jetzt nicht, dass die Tür offensteht oder Ähnliches?

Sicher haben Sie es bemerkt: Dieser Dürkopp Typ P8 8/24 PS fuhr noch mit Gas!

Die entsprechende Anlage dazu sieht man vorne auf dem Trittbrett – das ist der Karbidentwickler, aus welchem das Gas über eine Leitung unten entlang der Motorhaube weitergleitet wurde.

Aber wohin? Zu den Scheinwerfern natürlich, an deren Oberseite die für Gasbetrieb typischen Abzugslöcher für das verbrannte Abgas zu erkennen sind.

Das ist für mich bei aller Freude über die beiden großartigen Funde zur Marke Dürkopp – Prospekt und Werksfoto – die eigentliche Überraschung. Denn bei Wagen, die nach dem 1. Weltkrieg neu entwickelt wurden, war elektrisches Licht eigentlich Standard.

Eigentlich, denn auch meine kleine EHP-Voiturette von 1921 wurde ursprünglich noch mit Gasscheinwerfern ausgeliefert.

Dass aber bei der weit etablierteren Marke Dürkopp der neue Typ P8 8/24 PS ab 1919 anfänglich auch noch “mit Gas” unterwegs war, das erstaunt mich. Daher würde ich den Wagen auf dem Werksfoto auch als ganz frühes Exemplar ansehen, während der Prospekt dann die Verhältnisse von 1920-22 wiedergab.

Haben Sie es bemerkt? Heute waren wir durchgängig in der Zeit vor rund 100 Jahren unterwegs – und irgendwie kam einem die Thematik merkwürdig bekannt vor: Vollgas, kein Gas, Umstellung auf Elektrizität usw. – aber lassen wir das…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Hamburg-Bogotá und zurück: Ein Buick von 1934

Heute dürfen wir uns doppelt glücklich schätzen. Zum einen unternehmen wir eine Reise von Hamburg ins ferne Kolumbien nach Bogotá – wer könnte um diese Jahreszeit keinen Kurzurlaub am Äquator vertragen?

Zum anderen begegnen wir dort zwei Glücklichen, und wer ohne Neid durch’s Leben geht, kann sich daran ebenso erfreuen wie an dem Automobil, das uns dabei begleiten wird.

Wie aber gelangt man eigentlich nach Bogotá, wenn man sich in Deutschland mit Fotos von Vorkriegswagen befasst, welche die Gezeiten der letzten Jahrzehnte an die Gestade der Gegenwart gespült haben?

Nun, das ist unter anderem das Schöne an dieser Beschäftigung, man unternimmt mitunter ganz erstaunliche Reisen dabei und die Fotos von anno dazumal sind unser Führer.

Zunächst einmal gibt es bereits seit dem 16. Jahrhundert Verbindungen aus deutschen Landen in die an Karibik, Pazifik und Amazonasraum grenzende Region Südamerikas , die nach dem Italiener Cristoforo Colombo (“Kolumbus”) benannt wurde, obwohl er nie dort war.

An der Gründung der Hauptstadt Bogotá 1539 war der Augsburger Nikolaus Federmann beteiligt – später entstanden deutsche Kolonien, die mit eigenen Schulen und protestanischen Kirchen noch lange Traditionen der alten Heimat pflegten.

Die deutschen Auswanderer kamen damals per Schiff von Bremen oder Hamburg, alte Passagierlisten belegen diesen bis in die 1930er Jahre anhaltenden Exodus.

Wenn wir uns für unsere Überseetour für Hamburg als Ausgangspunkt entscheiden, hat das einen einfachen Grund: Dort steht nämlich der Wagen für die Überfahrt bereit!

Buick Modelljahr 1934/35; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Unterwegs nach Bogotá wird dieser eindrucksvolle Buick aus dem Modelljahr 1934/35 einige Veränderungen erfahren. So wird nicht nur das Hamburger Kennzeichen über Bord gehen, auch der offene Aufbau als vierfenstriges Cabrio muss weichen.

Unter der Haube bleibt aber alles gleich – wogegen sollte man auch den Reihenachtzylinder tauschen, der je nach Ausführung ca. 90 bis 110 PS leistete? Damit war man auf jeden Fall gut bedient, ebenso mit dem nochmals verbesserten vollsynchronisierten Getriebe.

Mit Blick auf das tropische Klima am Zielort erscheint es jedoch ratsam, sich nicht der prallen Sonne auszusetzen, sondern einen geschlossenen Aufbau zu bevorzugen.

Auch mit einem der Schnelldampfer der 1930er Jahre war man eine Weile unterwegs von Hamburg nach Bogotá, sodass Zeit bleibt für solche Karosseriekosmetik. Die Kühlerpartie mit der expressiven Figur, die verchromten Scheinwerfer im Tropfenlook sowie die bedrohlich aussehenden Hupen und die geschwungene Stoßstange können aber bleiben.

In Bogotá angekommen bemühen wir uns natürlich um Anschluss an die lokale deutsche Kolonie, man weiß ja praktisch noch nichts über das ferne Land und seine Bräuche.

Allerdings stellen wir rasch fest, dass die Deutschstämmigen bereits zum Teil einheimischen Reizen erlegen sind – und ich muss zugeben, das ist nur zu verständlich:

Buick Modelljahr 1934; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

So trefflich auch die Verwandlung des Buick seit der Abfahrt in Hamburg gelungen ist – der nun geschlossene Aufbau wirkt von vorn sehr stimmig und der helle Lack hilft die Innentemperaturen erträglich zu halten – so wenig kann der Wagen mit dem Charme der schwarzhaarigen Schönheit links davon mithalten.

Auch ihr Gegenüber, wohl der Angetraute, kann nicht die Augen von ihr abwenden. Er dürfte einer der deutschen Auswanderer gewesen sein, und so glücklich hätte er es in der alten Heimat kaum treffen können, dazu hätte er schon einer Spanierin begegnen müssen.

In Bogotá war das viel einfacher, aber das wird nicht der alleinige Grund gewesen sein, das Land der Vorväter hinter sich zu lassen. Offenbar hatte sich für unseren Buick-Besitzer die Reise auch in wirtschaftlicher Hinsicht bezahlt gemacht.

Dazu passt, was auf der Rückseite des Abzugs in deutscher Sprache geschrieben steht: “Zwei Glückliche und ihr Auto”. Dem kann ich heute ausnahmsweise nichts mehr hinzufügen – erfreulich nur, dass dieses schöne Zeugnis später den Weg zurück nach Deutschland fand und dort bis in unsere Tage auf uns wartete.

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Gab’s 1928 schon mit Knautschzone! Stoewer S8

Muss die Geschichte der passiven Sicherheit beim Automobil neu erzählt werden? Wird nicht Mercedes die Einführung der Knautschzone zugeschrieben?

Übrigens eine lebensrettende Erfindung wie zahlreiche andere – splitterfreies Glas, Vierradbremsen, Sicherheitsgurt, ABS usw. – die sich kein Bürokrat am Schreibtisch ausgedacht hat, sondern Entwickler im Wettbewerb stehender Privatunternehmen.

Der Erfindung der Knautschzone bin ich persönlich dankbar, denn sie hat mir zu Studentenzeiten meinen VW Käfer gerettet. Besagte Knautschzone gehörte einem VW Golf, der mir von rechts kommend in Hanau-Steinheim bei voller Fahrt die Vorfahrt nahm.

Die Aufprallenergie schluckte in erster Linie die vordere linke Ecke des Kontrahenten. Bei meinem Käfer waren nur die Stoßstange und deren Halter verbogen, so schien es. Während der Golf auf dem Abschleppwagen und möglicherweise auf dem Schrott endete, setzte ich einfach meine abendliche Fahrt nach Wiesbaden fort, wo ich damals wohnte.

Später stellte meine Werkstatt zwar eine Verformung des Vorderwagens fest, die sich aber in Grenzen hielt und auf Versicherungskosten behoben wurde. So blieb mir der VW bis Kilometerstand 220.000 treu (mit dem ersten Motor).

So zufrieden ich mit dem Ausgang der Episode war, wusste ich natürlich, dass die Sache anders ausgegangen wäre, wenn hier nicht einer “nachgegeben” hätte – nämlich der “Golf” mit seiner Knautschzone an der Front.

Bei Vorkriegswagen – das war der “Käfer” konstruktionsseitig ja auch – endeten solche Kollisionen meist unschön. Es gibt haufenweise Fotos, die davon Zeugnis geben, aber selbst wenn ungewöhnliche Fahrzeuge darauf zu sehen, meide ich es, solche Unfallbilder zu zeigen.

Man ahnt oft, dass dabei Menschen schwere Verletzungen davongetragen haben müssen oder gar zu Tode gekommen sind – so etwas zur Unterhaltung zu zeigen, gehört sich einfach nicht.

Ausnahmen mache ich dann, wenn offensichtlich ist, dass die Insassen mit dem Schrecken oder vielleicht einer Beule oder einem Rippenbruch davongekommen sind.

Ein Beispiel dafür zeige ich heute. Die Sache beginnt harmlos, aber eindrucksvoll:

Stoewer S8; Originalfoto aus Familienbesitz (Andreas Berndt, Dresden)

Diese exzellente Aufnahme zeigt einen Stoewer des nur 1928 gebauten Typs S8 – der den vielleicht kleinsten Achtzylindermotor besaß, der je ein Serienauto angetrieben hat. Das 45 PS leistende Aggregat hatte bloß einen Hubraum von knapp 2 Liter.

Damit hatte sich der Nischenhersteller Stoewer aus Stettin erstmals an die anspruchsvolle Konstruktion eines Achtzylindermodells gewagt – eine beachtliche Leistung, die vom Rang dieser langlebigen Marke zeugt.

Darauf aufbauend entwickelte man in rascher Folge wesentlich größere und stärkere Achtzylinder bis zum Typ S15 15/80 PS “Gigant”.

Der Stoewer S8 auf obigem Foto gehörte übrigens dem Großvater von Andreas Berndt aus Dresden, der mir die Aufnahme in digitaler Kopie zur Verfügung gestellt hat.

Nicht lange scheint der Stoewer seinem Besitzer Freude gemacht zu haben; bald ereilte ihn das Schicksal in Form eines Frontalzusammenstoßes. Und dann sah der eben noch so beeindruckende Wagen einigermaßen zerknautscht aus:

Stoewer S8; Originalfoto aus Familienbesitz (Andreas Berndt, Dresden)

Erstaunlicherweise zeigt sich hier genau das Bild wie bei einem modernen Wagen mit Knautschzone nach solch einem Unfall:

Während die Passagierzelle vollkommen unversehrt erscheint, und die Insassen wohl problemlos aussteigen konnten, ist die Aufprallenenergie fast ganz vom Vorderwagen absorbiert worden.

Dass hier erhebliche Kräfte am Wirken waren, erkennt man an dem nach oben verschobenen Kühler und dem zerstörten Vorderkotflügel. Vermutlich ist der zweite an der Kollision beteiligte Wagen vorn links eingeschlagen – wie einst mein Käfer im “gegnerischen” VW Golf.

Inwieweit der massive Leiterrahmen verbogen wurde, ist schwer zu beurteilen, die linke Vorderradaufhängung scheint aber in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein.

Ob das noch reparabel ist?”, das werden sich die beiden Herren gefragt haben, die hier einigermaßen ratlos vor dem vorn angehobenen Wagen stehen.

“Mit einer dieser neuartigen Stoßstangen, die kürzlich vorgestellt wurden, wäre der Schaden wohl weit geringer ausgefallen, aber das hilft jetzt auch nicht weiter.”

Natürlich waren die Stoßstangen des Stower S8 gestalterisch ganz auf der Höhe der Zeit. Es gab aber im Zubehörhandel Konstruktionen, mit denen man sich zusätzlich eine Art Knautschzone zwischen Stoßstange und Rahmen erkaufen konnte.

So etwas sieht man auf einer dritten Aufnahme, welche ebenfalls einen Stoewer S8 (evtl. auch den stärkeren G14) in einer ganz anderen Situation zeigt:

Stoewer S8; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt, Dresden

Aus dieser wunderbaren Aufnahme, die ich einem weiteren Dresdener verdanke – Matthias Schmidt – ist schon einmal eines ersichtlich: Wenn man das nötige Kleingeld hatte, lebte es sich nicht so schlecht in den späten 1920er Jahren.

Man fuhr mit der Achtzylinder-Limousine komfortabel an die See und stellte den Wagen dort einfach vor den Dünen ab. Das Trittbrett bot dann ausreichende Sitzgelegenheit, wenn man sich man nach dem Bad im Meer von der Sonne trocknen und die bleiche Großstadthaut ein wenig bräunen lassen wollte.

Man könnte es beim Genuss dieser schönen Szene bewenden lassen, die mehr über die Rolle des Automobils verrät als manches nüchterne Kapitel in der Fachliteratur – welche im Fall von Stoewer leider sehr schmal ausfällt (Hans Mai, Stoewer-Automobile 1896-1945).

Aber auf eines muss ich bei der Gelegenheit doch noch hinweisenn, um meine nicht ganz ernstgemeinte “Knautschzonen”-Hypothese zu unterfüttern. Schauen Sie genau hin:

Die Stoewer-Freunde werden wohl zunächst die typische Kühlerfigur – den pommerschen Greif wohlwollend bemerken. Menschlich reizvoll ist daneben der Hintergrund.

Für etwas Irritation mag im ersten Moment die Partie ganz links auf Höhe des Scheinwerfers sorgen: Hier sieh man das Heck eines hinter dem Stoewer abgestellten Motorrads mit gefedertem Soziussattel und beiderseits des Schutzblechs angebrachten Werkzeugtaschen.

Blendet man das aus und wandert mit dem Auge nach unten, sieht man sie – die Knautschzone!

Tatsächlich ist hier die eigentliche Stoßstange viel weiter vorn als werksseitig üblich angebracht, sie ist zudem nicht zweiteilig, sondern besteht aus einem zigarrenförmigen Rohr, hinter dem senkrechte Stangen angebracht sind. Ein scherenförmiger Mechanismus schließlich verbindet diese Konstruktion mit den vorderen Rahmenenden.

Das Ganze war wohl auf Zusammenstöße bei innerstädtischem Tempo ausgelegt – wobei die vertikalen Stangen sicherstellen sollte, dass man auch höher oder niedriger angebrachte gegnerische Stoßstangen auffangen konnte.

Die Aufprallenergie wurde dann zumindest teilweise von dem Scherenmechanismus absorbiert, der vielleicht Reibscheiben wie die damals üblichen Stoßdämpfer enthielt oder einfach darauf ausgelegt war, stark verbogen zu werden.

Sicher gibt es zeitgenössische Werbung zu dieser Frühform der Knautschzone, die beizusteuern ich meinen Leser überlassen möchte. Meine Schuldigkeit habe ich für heute mit dieser Zusammenstellung getan, meine ich.

Denken Sie daran: Sie lesen hier in einem Online-Tagebuch eines Amateurs mit, dem es einfach Vergnügen bereitet, solche Sachen und seine oft spontanen Gedanken festzuhalten. Historische Genauigkeit strebe ich zwar an, sie ist aber nicht das eigentliche Ziel.

Daher entschuldigen die wirklichen Experten bitte meine Behauptung einer “Knautschzone anno 1928”, manchmal ist mir ein treffendes Bild wichtiger als die reinen Fakten.

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Stillgestanden! Ein Adler “Coupé de Ville” von 1908

“Stillgestanden” – den Befehl kennt jeder, der einst beim “Bund” gedient hat – schon in der Spätphase des Kalten Kriegs ein als Armee getarnter Beamtenladen, der zum Glück nie gebraucht wurde.

Unvergessen, wenn sich der Feldwebel – nebenbei der Kommandeur des “Marder”-Schützenpanzers, als dessen Richtschütze ich 1988/89 fungierte – vor mir mit rotem Kopf aufbaute und solange kalt musterte, bis ich mir das Grinsen nicht verkneifen konnte.

“Schlenger, eine Runde im Laufschritt um die Ringstraße!” konnte es dann schon einmal heißen. War mir egal, ich war fit wie bei den Panzergrenadieren üblich und lief vergnügt meine Ehrenrunde. Im Übrigen verstanden wir uns bestens, wenn es darauf ankam.

“Stillgestanden”, das galt auch außerhalb der Kasernenhöfe schon vor dem 1. Weltkrieg, nämlich wenn man sich für Mit- und Nachwelt ablichten lassen wollte. Das Fotomaterial war noch wenig empfindlich und verlangte Belichtungszeiten von einigen Sekunden.

So statisch diese Zeugnisse naturgemäß wirken, so sehr erfreuen wir uns nach weit über 100 Jahren noch daran. Ob das mit den meist rein digitalen Aufnahmen unserer Tage künftig ebenfalls so sein wird, daran darf man zweifeln.

Aber vielleicht wird es irgendwann ja wieder Visionäre wie einst Senator Cassiodor geben, der nach dem Ende des Weströmischen Reichs systematische Kopien bedeutender antiker Schriften in Auftrag gab. Seiner Initiative verdanken wir das weitgehende Überleben des damals schon arg geschrumpften Literaturbestands über das Mittelalter hinweg.

Jedenfalls steht auf den Fotos aus der Frühzeit des Automobils nicht nur das Personal stramm, sondern auch die Zeit still – und das beschert uns großartige Zeugnisse wie das hier:

Adler “Coupé de Ville” von 1908; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Diese Aufnahme verdanken wir Leser Klaas Dierks, der zusammen mit weiteren Gleichgesinnten solche Dokumente aus der automobilen “Antike” birgt und sie so vor dem Vergessen und Vergehen zu bewahren versucht – ein wenig wie einst Senator Cassiodor.

Stillgestanden”, diese Anweisung nahm auch der Fahrer dieses ungewöhnlichen Wagens sehr ernst – angestrengt schaut er in die Ferne, während die Fotoplatte belichtet wird.

Die doppelreihige, ein wenig an eine Uniform erinnernde Jacke, die Stulpenhandschuhe und die Schirmmütze weisen ihn als professionellen Fahrer aus. Zwar war er nur Angestellter vermögender Herrschaften, aber als Inhaber exklusiver Expertise sehr geschätzt.

Leider wissen wir gar nichts über den Mann und die Besitzer “seines” Wagens, zu dem er eine enge Beziehung pflegte. Vielsagend ist die Geste seiner linken Hand, mit welcher er das Auto berührt: “Mein Kamerad auf allen Wegen, durch dick und dünn“.

Dieses Band versteht nur, welcher selbst einmal erlebt hat, wie ein Automobil sorgfältige Behandlung und hingebungsvolle Pflege durch langjährige Treue entlohnt.

Genug der Sentimentalität – was ist das denn nun für ein Wagen? Nun zunächst handelt es sich um ein Fahrzeug, dessen Aufbau man seinerzeit als “Coupé de Ville” bezeichnete. Dabei saßen die Passagiere in einem zweisitzigen Aufbau, während der Fahrer vor ihnen im Freien seiner Arbeit nachging. So war das schon bei Kutschen über Jahrhunderte der Fall.

“Ja gut, das weiß ich auch”, mag jetzt eine ungeduldige Natur denken, aber was ist das für ein Fabrikat und Typ? Nun, das kann ich nur unter Vorbehalt sagen.

Klar ist für mich, dass wir einen frühen “Adler” des gleichnamigen Herstellers aus Frankfurt/Main vor uns haben. Das verrät die typische Gestaltung der Kühlerpartie:

Da hier die Motorhaube noch übergangslos auf die Trennwand zum Fahrerraum stößt, kann dieser Wagen kaum später als 1909 entstanden sein.

Ab 1910 setzte sich bei Fabrikaten im deutschen Sprachraum nämlich der “Windlauf” durch – ein Blech, das für einen strömungsgünstigen Übergang von der Haube zur (hier fehlenden) Windschutzscheibe sorgte.

Die Proportionen der Frontpartie sowie die Gestaltung von Kotflügeln und Rädern finden sich nahezu identisch auf folgender Abbildung, welche der Überlieferung nach einenm Adler 8/15 PS zeigt, wie er 1908/09 gebaut wurde:

Adler 8/15 PS Droschken-Coupé von 1908/09; Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Leider ist das die einzige mir bekannte Vergleichsabbildung eines solchen Adler des Typs 8/15 PS, denn für diese Marke, die einst zu den bedeutensten in Deutschland überhaupt zählte, gilt seit langem ebenfalls das Motto “Stillgestanden”.

Über 40 Jahre ist es her, dass Altmeister Werner Oswald den Versuch einer Gesamtschau aller je hergestellten Adler-Automobile unternahm (“Adler-Automobile, 1900-1945“, Motorbuch-Verlag, 1. Auflage 1981).

Seither steht meines Wissens nach die Zeit still in Sachen “Adler”-Dokumentation. Der in mancher Hinsicht so rührige Adler Motor-Veteranen-Club ist in der Hinsicht bislang ebenfalls untätig geblieben, obwohl es es dort Material ohne Ende geben muss.

So bleibt es am Ende bei der Vermutung, dass das exklusive “Coupé de Ville” auf dem Foto von Klaas Dierks 1908/09 auf Basis eines eher kleinen Adlers entstanden war, und dafür kommt vor allem der 2-litrige Vierzylindertyp 8/15 PS in Betracht.

Wer es genauer weiß, ist aufgerufen, das hier kundzutun und auf Vergleichsstücke zu verweisen. Denn so wenig mich die Gegenwart zu begeistern vermag, wünsche ich mir, dass zumindest in Sachen Adler-Veteranen die Zeit nicht länger stillsteht…

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Ein echtes Bubenstück: Fiat 509 Zweisitzer “Spezial”

Mitte November, nach einem recht milden Herbst wird es in meiner Heimatregion – der hessischen Wetterau – spürbar kälter.

Warm anziehen müssen sich heute auch die Opel-Freunde, die trotz gegenteiligen Titels des gestrigen Blog-Eintrags noch recht gut weggekommen waren beim Vergleich des 1927er Chevrolet und des gleichzeitigen Opel 7/34 PS.

Die Schonzeit für die Freunde des alten Rüsselsheimer Eisens ist nämlich vorbei – die Italiener greifen an! Wer an dieser Stelle überheblich lacht, wird im Folgenden eines Besseren belehrt.

Hier sieht das Nebeneinander der beiden Marken noch sehr harmonisch aus, nicht wahr?

Fiat 509 und Opel 4/12 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Besser kann eine Aufnahme solcher Tourenwagen von der Mitte der 1920er Jahre kaum werden:

Die beiden Autos sind aus attraktiver Perspektive aufgenommen, Besitzer und Mitfahrer sind gut aufgelegt und perfekt darum bzw. darauf platziert, ein reizvoller Hintergrund verleiht dem Bild Tiefe und Dynamik.

Unsere sächsischen Freunde werden die Szene natürlich sofort wiedererkennen – der Fichtelberg im Erzgebirge war von jeher ein beliebtes Fotomotiv bei frühen Automobilisten.

Uns interessieren aber mehr die beiden festgehaltenen Wagen: Rechts haben wir den damals verbreiteten Opel “Laubfrosch”, der 1924 eingeführt worden war, hier in der frühen Ausführung mit moderatem Spitzkühler:

Damit hatte sich die einst Weltruhm genießende Firma nicht mit Ruhm bekleckert. Äußerlich war der Wagen ohne Not ein peinliches Plagiat des etablierten Citroen 5CV, unter der Haube fand sich ein 950ccm-Vierzylinder, der schmale 12 PS leistete.

Das war Anfang der 1920er Jahre Standard in dieser Hubraumklasse, aber nicht mehr Mitte des Jahrzehnts, weshalb man sich bis 1930 mühsam auf 20 PS hocharbeitete.

Mag sein, dass dies bei der simplen Motorenkonstruktion nicht besser ging. Aber es ging wesentlich besser, wenn man auf zeitgemäße Konzepte setzte. Genau das machte ausgerechnet Fiat aus dem damals noch wenig entwickelten Italien.

Die Turiner konnten wie Opel auf eine grandiose Oberklassentradition bis zum 1. Weltkrieg zurückschauen, vollzogen aber schon 1919 eine radikale Kehrtwende. Mit dem kompakten 1,5 Liter-Typ 501 landete man auf Anhieb einen gigantischen Erfolg.

Der 1925 eingeführte Fiat 509 sollte noch einen draufsetzen. Das tat er zum einen optisch mit einer Gestaltung, wie sie klassischer nicht sein konnte:

Was im unteren Kühlerbereich herausragt, ist übrigens die Abdeckung der Lichtmaschine, das gab es bei keinem anderen Fiat – wenn Sie so etwas sehen, wissen Sie: ein 509!

Auf diese Weise lässt sich auch ein auf den ersten Blick ganz anders wirkendes Fahrzeug wie diese Limousine als Fiat 509 ansprechen – der Wagen war im Rheinland zugelassen und einer von vielen, die seinerzeit in Deutschland Käufer mangels Alternative fanden:

Fiat 509 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier lässt sich die damals Fiat-typische Gestaltung der Frontpartie noch besser studieren: Das Profil der Kühleroberseite, die sich an Dreiecksgiebeln antiker Tempelfassaden orientiert, setzt sich in dern Haubenpartie bis zur Frontscheibe fort.

Das findet sich so bei allen parallel angebotenen Fiat-Modellen, auch bei den mächtigen Sechszylinderwagen, welche man mit beachtlichem Erfolg anbot und von deren einstiger Bedeutung man heute kaum noch eine Vorstellung hat, aber das nur nebenbei.

Aufmerksame Leser warten vermutlich immer noch darauf, dass das vor geraumer Zeit verwendete “zum einen” endlich die glückliche Vermählung mit “zum anderen” erlebt.

Genau das soll nun geschehen, denn der Fiat 509 sprach nicht nur durch seine Optik an, sondern auch durch den Motor, der in der Kleinwagenklasse seinerzeit herausragte.

Mit 990ccm war der Hubraum des Vierzylinders ebenso bescheiden wie der des Opel 4 PS-Typs. Aber in Turin war man der Meinung, dass man so einem Minimalagreggat ein paar Pferdestärken extra hineinkonstruieren sollte und so wurden es 20 statt deren 12.

Das war damals zuverlässig am ehesten dadurch zu machen, indem man von der simplen, aber wenig effizienten Verwendung seitlich neben dem Zylinder stehender Ventile Abstand nahm und selbige darüber v-förmig hängend anbrachte.

Bei dieser Lösung blieb man in Turin nicht stehen und verpasste dem Motor noch eine obenliegende Nockenwelle für präziseste Ventilsteuerung und optimalen Gaswechsel im Ansaug- und Auslasstakt.

Das war ein echtes Bubenstück, denn damit hatte man Sportwagentechnik in Großserie realisiert. Kein Wunder, dass Fiat vom 509 über 90.000 Exemplare absetzen sollte.

Hier haben wir ein weiteres Fahrzeug, das in Deutschland begeisterte Käufer fand und dieses Foto passt recht gut zum Stichwort “Bubenstück”:

Fiat 509 Sport-Zweisitzer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bitte prägen Sie sich schon einmal die Frontpartie mit der markanten Haube ein, an deren Flanke eine breite Zierleiste das Scharnier des Seitenteils verbirgt.

Es überrascht kaum, dass die in seiner Hubraumklasse ungewöhnliche Leistungsfähigkeit und Drehfreude des Fiat-Aggregats früh sportlich veranlagte Zeitgenossen inspirierte.

Während Fiat selbst mit dem 509 S.M. (Spinto Monza) eine Werks-Sportausführung anbot, die bei unverändertem Hubraum statt 20 satte 30 PS leistete, dachte sich auch mancher Amateur, dass sich etwas in sportlicher Hinsicht machen lässt, und sei es nur optisch.

Das passende “Beweisfoto” sandte mir kürzlich in digitaler Kopie mein Sammlerkollege Jörg Pielmann zu, wobei er noch nicht wusste, was ihm da ins Netz gegangen war:

Fiat 509 Zweisitzer “Spezial”; Originalfoto aus Sammlung Jörg Pielmann

Dass es sich auch hier um ein lupenreines Bubenstück handelt, liegt auf der Hand – diese Herren waren offensichtlich sehr zufrieden mit ihrem Werk, welches sie in irgendeiner Werkstatt am Stadtrand oder auf dem Lande zuwegegebracht hatten.

Nebenbei: Von Akkumulatoren der Marke “Franka” habe ich noch nie gehört, man lernt nicht aus. Aber “Fulda”-Reifen kennt man noch heute, während mir “Ferodo”-Bremstechnik eher aus England geläufig ist. “Deka” rechts oben steht m.E. für eine verblichene Reifenmarke.

Was aber ist das für ein sportlicher Zweisitzer mit rennmäßiger Bootsheckkarosserie und auf’s Wesentliche beschränkten Koflügeln?

Nun, ich bin der Ansicht, dass es sich um einen Fiat 509 mit für Sportzwecke individuell angefertigter Karosserie handelt. Ja, die Motorhaube ist etwas länger als gewöhnlich – ein geschickter Blechkünstler könnte sie ergänzt haben.

Aber ansonsten scheint mir die Frontpartie identisch zu sein. Zufällig hatte ich selbst das perfekte Vergleichsfoto im Fundus:

Fiat 509 Zweisitzer “Spezial”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn die Buben auf dieser Aufnahme im Hintertreffen sind und die Damen das Heft bzw. das Lenkrad in die Hand genommen haben, bin ich doch der Ansicht, dass genau solch ein Fiat 509 die Basis für das zuvor gezeigte “Bubenstück” lieferte.

Das finale Urteil überlasse ich allerdings gern Ihnen, liebe Leser, und ich bin gespannt, was ich alles übersehen oder falsch interpretiert habe. Sie dürfen mir aber auch rundheraus rechtgeben, damit kann ich ebenfalls umgehen…

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Alles, bloß keinen Opel! 1927er Chevrolet Limousine

Mein Verhältnis zur Automarke Opel ist ein gespaltenes.

Das erste Auto, das ich selbst fahren durfte mit etwa 14 Jahren – eine Strecke auf einem Feldweg – war der Opel Kadett meines Paderborner Großonkels, das vergisst man nicht.

Noch heute sehe ich den hellorangenen Wagen der späten 1960er Jahre vor der Garage seines großzügigen Hauses mit dem schönen Obstbaumgarten stehen. Eine nicht sonderlich attraktive Blechkiste war der Kadett, das fiel mir bereits damals auf.

Onkel Ferdinand, den ich nur mit gestärktem Hemd und Krawatte kannte, hätte sich etwas Schickeres leisten können – zumal er als früher Witwer der holden Weiblichkeit sehr zugetan war und auch sonst allem Schönen.

Aber aus irgendeinem Grund hing er an dem Opel, den er rund 20 Jahre lang besaß.

Wirklich schlimm war dann der Kadett D Diesel meiner Mutter, den ich mir als Führerschein-Novize ab und zu auslieh. Ein Schulkamerad, der über den schicken Mercedes 280 CE seines alten Herrn verfügen durfte, spottete zurecht über meinen “Heizöl-Maserati”.

Diese Krücke wurde nur durch den “Omega”-Kombi des Vaters meiner damaligen Freundin übertroffen – die äußere Gestalt ist wie beim Ford “Scorpio” nicht in Worte zufassen, innen Plastiklandschaften primitiver Machart und fiese Plüschsitze.

Vermutlich war ich zu dem Zeitpunkt schon dadurch verdorben, dass ein Schulkamerad sich als erstes Auto eine Alfa-Romeo Giulia 1600 angeschafft hatte.

Das war Ende der 1980er Jahre zwar schon eine alte Kiste, aber wer einmal mit dem heiseren Klang und der Drehfreude des Doppelnockenwellen-Motors konfrontiert worden war, außerdem mit der beeindruckenden Instrumentensammlung und der knackigen Optik, war für zeitgenössische deutsche Familienkutschen verloren.

Besagte Opels rosteten übrigens alle mindestens so heftig wie die Italiener damals. Für mich war der Fall klar: Alles, bloß kein Opel!

Dass die Rüsselsheimer Firma einst zu den deutschen Oberklasse-Herstellern gehört und höchstes Ansehen genossen hatte, erfuhr ich erst im Zuge meiner Beschäftigung mit den Modellen vor dem 1. Weltkrieg.

Doch auch in der Zwischenkriegszeit sollte es auch noch den einen oder anderen Glanzpunkt geben. Das lernen wir heute am Beispiel eines Chevrolet:

Chevrolet von 1927; Originalfoto aus Familienbesitz (via Joachim Kruse)

Dieses schöne Foto erhielt ich vor einiger Zeit von Joachim Kruse, dessen Großeltern die abgebildete Limousine besaßen. Natürlich wollte er wissen, was für ein Auto das war.

In solchen Fällen helfe ich gern, wenn ich kann. Einzige Bedingung ist, dass ich die Aufnahme im Blog zeigen darf, sofern mich das Foto und der Wagen interessieren.

Nun handelt es sich nicht gerade um eine Rarität, wie wir gleich sehen werden, aber der Wagen ist mitsamt Insassen ausgezeichnet wiedergegeben.

Von der Kühlerpartie sieht man gerade noch genug, um das Auto als Chevrolet von 1927 identifizieren zu können. Nur damals besaßen die Wagen des Ford-Konkurrenten nämlich den “Zipfel”, der mittig von oben in das Kühlernetz hineinragte.

Auch die Scheibenräder und die übrigen Details des Aufbaus passen zu einem Chevrolet des Modelljahrs 1927. Damals überholte man erstmals den Erzrivalen Ford, der mit dem inzwischen veralteten “Model T” ins Hintertreffen geriet.

Während Ford noch am Nachfolgemodell “A” arbeitete, machte Chevrolet mit seinem simplen 30 PS-Wagen 1927 das Rennen. Was die Kräfte des Wettbewerbs vermögen – nicht etwa Bonzen, Bürokraten und Bedenkenträger – illustriert dieses Auto.

Chevrolet setzte von dem 1927er Modell weltweit über 1 Million Exemplare ab – eine noch heute unfassbare Zahl, welche Ford klarmachte, was die Stunde geschlagen hatte.

Selbst in Deutschland, wo es damals nur einen winzigen Markt für Automobile gab, fand der 1927er Chevrolet Anklang. Hier haben wir ein Exemplar aus Halberstadt:

Chevrolet von 1927; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der nächste Kandidat findet sich auf der folgenden Aufnahme, diesmal nicht als Tourer, sondern als viertürige Limousine mit Zulassung im Bezirk Chemnitz.

Dem Wagen und dem jungen Herrn begegnen wir gleich noch einmal:

Chevrolet von 1927; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vom selben Wagen gibt es nämlich eine weitere Aufnahme, welche die Ergänzung des Nummernschilds erlaubt.

Das Foto verdient auch sonst die Wiedergabe, obwohl es sich bei dem abgebildeten Fahrzeug nur um ein simpel gestricktes Massenfabrikat handelt:

Chevrolet von 1927; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vermutlich gibt es Dutzende weiterer solcher Aufnahmen von Chevrolets des Modelljahrs aus Deutschland. Aber – und jetzt kommt Opel wieder ins Spiel – warum kaufte man eigentlich hierzulande so einen 1927er Chevrolet?

Klar, in den Staaten war er so spottbillig, dass wirklich jeder ihn sich leisten konnte.

Doch wenn die Angabe in der alten Ausgabe von Werner Oswalds Klassiker “Deutsche Autos 1920-1945” von 2001 stimmt, kostete der Chevrolet in Deutschland anno 1927 als Limousine dasselbe wie ein Opel 7/34 PS, nämlich rund 4.900 Mark.

Der Opel verfügte aber nicht nur über einen kultivierteren Sechszylindermotor mit einigen PS extra, er war dank des weit geringeren Hubraums von nur 1,7 Liter (statt 2,8 Liter beim Chevrolet) auch steuerlich günstiger und weniger durstig.

Ich kann mir neben der vermutlich weit größeren Elastizität des Chevrolet-Aggregats daher nur ein subjektives Motiv vorstellen: “Bloß keinen Opel!”

Nun sind Sie an der Reihe, geschätzte Leser, was die Gründe dafür angeht, weshalb hierzulande etliche Käufer dem von der Papierform unterlegenen Chevy den Vorzug gaben.

Sie können dabei auch gern Ihre ganz anderen Erfahrungen mit neuzeitlichen Opel-Wagen schildern. Denn ganz gleich wie diese auch waren, für mich steht wie für die Chevrolet-Käufer von 1927 eines unverbrüchlich fest: Alles, bloß keinen Opel!

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Das Ende ist nah: Bergmann-Metallurgique von 1912/13

Bald schreiben wir Mitte November 2022. Die Tage sind schon jetzt unheimlich kurz – man merkt: das Ende des Jahres ist nah.

In diesen Tagen vor 104 Jahren ging auch etwas anderes zuende: der 1. Weltkrieg. Unabhängig von der Frage, wer daran schuld war, oder auch: wer ihn hätte verhindern können – eines war deutlich geworden:

Die Regierungen gleich welcher Couleur auf allen Seiten waren eiskalt bereit, eine ganze Generation junger Männer verbluten zu lassen, einer ganzen Generation unglaubliche Leiden aufzuerlegen – unter dem Vorwand eines wenig bedeutenden Regionalkonflikts.

Für die Muskelspiele der Großmächte war kein Leichenhaufen zu groß. Keine Verwüstung ganzer Landstriche an der Westfront vermochte die Drahtzieher in den Hauptstädten fern des Grauens zur Besinnung bringen, und das vier Jahre lang.

Schon im Inferno von 1914-18 ging das alte Europa unter, nicht erst im Zweiten Weltkrieg, den es ohne den ersten nicht gegeben hätte. Die Zäsur in allen Bereichen ist schon Anfang der 1920er Jahre unübersehbar.

Anfang der 1920er Jahre ging als Folge des 1. Weltkriegs auch eine langjährige fruchtbare Kooperation zwischen belgischen und deutschen Automobilbauern zuende.

Diese hatte ihren Ursprung in der Berufung des deutschen Konstrukteurs Ernst Lehmann im Jahr 1903 zur jungen Autofirma Metallurgique, ansässig in Marchienne-au-Pont in Belgien.

Lehmann machte mit seiner Entwicklungsarbeit die Wagen von Metallurgique binnen kurzem zu einer anerkannten Größe am europäischen Markt. Schon 1907 hatte man sieben Modelle im Programm, die vom Kleinwagen bis zu Luxusautomobilen reichten, welche damals atemberaubende 80 PS leisteten.

Ab 1908 verbaute Metallurgique als wohl erster Hersteller überhaupt v-förmig zulaufende Spitzkühler, welche bei deutschen Fabrikaten erst ab 1913 in Mode kamen.

Eine schöne Abbildung dieses unverwechselbaren Kühlers mit stark nach vorn abfallendem Oberteil findet sich auf folgender Reklame der Österreichischen Deutz-Werke, auf welche mich der Experten für Kühlerembleme Claus Wulff aus Berlin hinwies:

Reklame der Österreichischen Deutz-Werke um 1911; bereitgestellt von Claus Wulff (Berlin)

Während diese Lizenzfertigung von Metallurgique-Wagen in Österreich heute kaum noch bekannt ist, lässt sich das von den in Deutschland gebauten Autos nach Metallurgique-Patent nicht behaupten – diese erlangten ganz erhebliche Verbreitung.

Lizenzinhaber waren die Bergmann-Elektrizitätswerke (Berlin) und die dort ab 1909 zunehmend eigenständig gebauten Metallurgiquewagen firmierte entsprechend hierzulande als “Bergmann-Metallurgique”.

Noch Anfang 1914 – kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs – pries man die sportlichen Erfolge von Metallurgique-Autos auch in deutschen Werbeanzeigen, wobei man kurzerhand auch die Einsätze von Wagen des belgischen Lizenzgebers als eigene ausgab:

Bergmann-Metallurgique-Reklame von Januar 1914; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Nach Kriegsausbruch finden sich Metallurgiue-Automobile natürlich auch an der Westfront. Ob es sich um in Belgien oder Frankreich von deutschen Truppen erbeutete Fahrzeuge oder um Lizenzbauten von Bergmann-Metallurgique handelt, lässt sich kaum bestimmen.

Dem Titel des heutigen Blog-Eintrags entsprechend unternehmen wir nun einen Sprung aus dem Jahr 1914 “dem Ende entgegen”.

So entstand irgendwann im letzten Kriegsjahr 1918 an einem unbekannten Ort diese großartige Aufnahme, die mir Leser und Wk1-Spezialist Klaas Dierks in Kopie zur Verfügung gestellt hat.

Sie zeigt einen Metallurgique im Dienst der 18. Armee des deutschen Heers:

Metallurgique-Tourenwagen von 1912/13; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Hier sehen wir den eindrucksvollen Kühler in ganzer Pracht – sogar das markentypische Emblem (ein sechszackiger Stern) auf dem Kühlwassereinfüllstutzen ist erkennbar.

Ganz rechts sehen wir sehr wahrscheinlich den Fahrer des Metallurgique in typischer Kraftfahrerkluft: mit wärmender doppelreihiger Lederjacke und einem stilisiertem Automobil als Kragenemblem.

Neben ihm könnten wir seinen Chef sehen, für dessen sicheren Transport der Fahrer zuständig war. Den beiden Herren ganz links könnte der Besuch gegolten haben.

Es mag täuschen, aber der Wagen sieht hier schon recht groß aus. Von den kurz vor Beginn des Kriegs verfügbaren wichtigsten Varianten mit 18, 30 bzw. 40 PS würde ich hier mindestens die mittlere vermuten, eher sogar die stärkste.

Ein Hinweis noch: Die sportlichen Drahtspeichenräder waren bei Metallurgique-Wagen recht verbreitet, es gab aber auch robustere Holzspeichenräder. Die Drahtspeichenräder werden uns gleich wieder begegnen, nicht dagegen die kolossalen Gasscheinwerfer.

Das ist auch gut so, denn sonst könnte man glatt meinen, das folgende Foto (aus meiner Sammlung) zeigte denselben Metallurgique, bloß aus entgegengesetzter Perspektive:

Metallurgique-Tourenwagen von 1912/13; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Was hier wie ein Willkommensspalier aussieht, ist fast schon ein Abschied – es geht ganz klar dem Ende entgegen.

Die Soldaten, die hier interessiert den ankommenden Wagen betrachten, haben schon länger keine auskömmliche Mahlzeit mehr bekommen, auch an der Front wurde unverkennbar gehungert wie daheim.

Tatsächlich ist diese Aufnahme von alter Hand auf September 1918 datiert, vielleicht von einem der Männer, die darauf abgebildet sind.

Ich kann die Uniformen nicht genau einordnen, bin aber sicher, dass es sich um solche auf Seiten der deutsch-österreichisch/ungarischen Truppen handelt. Sicher weiß es ein sachkundiger Leser genau (bitte Kommentarfunktion nutzen).

Zwei Dinge fallen beim Vergleich dieses Metallurgique mit dem zuvor gezeigten auf. Das eine sind die offenbar elektrischen Scheinwerfer, die sich ab 1914 durchzusetzen begannen. Das andere ist die gedrungenere Kühlerproportion.

Das Verhältnis von Kühlernetz zu Kühleroberteil weicht hier deutlich von dem vorherigen ab. Ich neige daher dazu, hier ein schwächeres Modell zu sehen, eventuell mit 18 PS-Motor.

Genau klären lässt sich das kaum – die damaligen Automodelle unterschieden sich je nach Motorisierung meist nur den Dimensionen nach und trugen keine typspezifischen Elemente.

Eines ist aber sicher: Als dieses Foto im September 1918 entstand, ging es an der Westfront unaufhaltsam dem Ende entgegen – wenngleich man sich nicht vorstellen mag, welche Opfer es auf allen Seiten noch bis zum Waffenstillstand am 11. November gab.

Autos von Bergmann-Metallurgique gab es danach noch, solange der Teilevorrat reichte, mit der Annullierung der Lizenz durch die Belgier kam dann das Ende…

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Als Cabrio einfach grandios: Mercedes Benz “Nürburg”

Heute ist eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen mein Blog auch den Freunden von Mercedes-Benz etwas zu bieten vermag – so hoffe ich zumindest.

Ich bin der Ansicht, dass diese Marke so hervorragend in der Literatur und im Netz dokumentiert sein muss, dass ich es mir sparen kann, mehr als ab und zu ein Bild davon zu bringen.

Aber ist das eigentlich wirklich der Fall? Ist alles längst bekannt und erschöpfend besprochen, was unter der 1926 aus dem Zusammenschluss von Daimler und Benz entstandenen Marke bis Kriegsausbruch entstand?

Das werden wir vielleicht heute erfahren.

Beginnen will ich mit zwei Abbildungen, die den ab 1928 gebauten Mercedes-Benz 18/80 PS “Nürburg” in recht konventioneller Form zeigen, nämlich als großzügige Limousine. Den Anfang macht dieses Foto aus meiner Sammlung:

Mercedes-Benz 18/80 PS “Nürburg” ab 1929; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vom äußerlich fast identischen Typ 14/70 PS “Mannheim” (kein Witz, der hieß wirklich so) unterschied sich der “Nürburg” vor allem durch die längere Motorhaube.

Schließlich musste der 4,6 Liter große Achtzylinder irgendwo untergebracht werden – beim “Mannheim” war dagegen ein kürzerer Sechszylindermotor mit 3,5 Litern verbaut.

Es gab aber noch eine Besonderheit, welche den “Nürburg” speziell macht und dem Novizen die Identifikation erschwert. Denn im Erscheinungsjahr 1928 sah das Modell noch massiger aus als das eingangs gezeigte Exemplar.

Achten Sie einmal auf die Höhe der Schwellerpartie zwischen Türunterkante und Trittbrett, auch auf die Bodenfreiheit. So niedrig wie auf obigem Foto war der Rahmen erst ab 1929.

Zum Vergleich jetzt ein “Nürburg” in der Ursprungsausführung von 1928:

Mercedes-Benz 18/80 PS “Nürburg” von 1928; Originalfoto aus Familienbesitz (Christoph Strecker)

Zugegeben: Aus dieser Perspektive erscheint der Unterschied nicht so groß, aber er ist wahrnehmbar. Die Schwellerpartie ist hier höher und die Bodenfreiheit ist größer.

Auch die riesigen Parkleuchten auf den Kotflügeln – die bei einem Brennabor Typ S 6/20 PS glatt als Hauptscheinwerfer durchgegangen wären – gab es nach meinem Eindruck nur bei der Ursprungsausführung von 1928.

Damals wurde wohl serienmäßig auch noch keine Stoßstange verbaut, und die Verbindungsstange zwischen den Scheinwerfern scheint ebenfalls erst 1929 aufzutauchen.

Natürlich war der “Nürburg” von Anfang ein sehr beeindruckendes Fahrzeug, aber vom Mercedes-Kühler abgesehen findet sich nichts Eigenständiges daran, wie das bei Limousinen aus deutscher Produktion damals meist der Fall war.

Großartig war so ein Fahrzeug auf jeden Fall – aber grandios eher nicht. Dafür fehlte der Limousine trotz der kolossalen Dimensionen für meinen Geschmack das Exaltierte – eine kontrollierte Übertreibung – nicht komplett irrational, aber daran grenzend.

Genau das findet sich nun auf einem Foto, das Leser Jörg Pielmann aus seinem Fundus beigesteuert hat:

Mercedes-Benz 18/80 PS “Nürburg” ab 1929; Originalfoto aus Sammlung Jörg Pielmann

Als Schüler habe ich manche Schulstunde mit dem Zeichnen von Automobilen verbracht – wenn es keine amerikanischen Straßenkreuzer der 1960er Jahre waren, dann solche Vorkriegsmodelle.

Für mich war schon damals klar: So ein Wagen darf nach einer schier endlosen Motorhaube nur einen kurzen und niedrigen Aufbau besitzen – am besten bloß für zwei Insassen – und muss dann möglichst flach auslaufen.

Dieses Ideal hat meines Wissens damals niemand am deutschen Markt so grandios umgesetzt wie Mercedes-Benz, obwohl man doch bei den kleineren Moodellen sonst so konservativ und maßvoll vorging, dass die Ergebnisse auf mich fast langweilig wirken.

Ob das 2-sitzige Cabriolet auf “Nürburg”-Basis auf dem Foto von Jörg Pielmann wirklich die verchromten Abdeckungen über den Drahtspeichenrädern und den Steinschlagschutz vor dem Kühler für seine Wirkung gebraucht hätte, sei dahingestellt.

Jedenfalls begeistert mich die himmlische Länge dieses Vorderwagens in Kombination mit der niedrigen Frontscheibe – so ein Wagen durfte alles sein, nur nicht funktionell brilliant.

Übrigens sieht man hier die kleineren Standleuchten auf den Kotflügel, außerdem eine Doppelstoßstange und ansatzweise die geschwungene Scheinwerferstange – alles Hinweise auf einen “Nürburg” in der Niedrigrahmen-Ausführung ab 1929, meine ich.

Konsequent finde ich bei der Fülle der individuellen Anpassungen auch, dass der Besitzer den Mercedes-Stern gegen eine Kühlerfigur getauscht hatte, die auf mich ein wenig wie ein neuseeländischer Kiwi wirkt.

Auch wenn ich sonst schnell und mitunter hart in meinem Urteil bin, was ästhetische Qualitäten von Vorkriegswagen angeht, bin ich hier geneigt, davon abzusehen. Dieser Wagen ist so eigenwillig, dass man ihn wohl im Original hätte sehen müssen, um festzustellen, wie stimmig (oder auch nicht) die genannten Veränderungen wirken.

Auf jeden Fall zeigen solche Bilder, dass man einen derartigen Mercedes-Benz heute nicht zwangsläufig in den Zustand ab Werk bringen muss. Ein restauriertes Fahrzeug kann ebenso authentische Wirkung enfalten, wenn es dokumentierte zeitgenössische Individualisierungen aufweist wie dieses Prachtexemplar.

Was könnte das nun für ein Besitzer gewesen sein, der seinen “Nürburg” einem solchen umfangreichen optischen “Tuning” unterzog? Schauen wir ihn uns an:

Wie jemand aus der Halbwelt sieht der sympathisch wirkende, noch recht junge Mann, nicht gerade aus.

Ich könnte mir aber durchaus vorstellen, dass er vor nicht allzulanger Zeit noch als Besucher eines Nachtclubs oder eines vergleichbaren Etablissements unterwegs war und sich nun leicht derangiert am frühen Morgen von einem Begleiter hat ablichten lassen.

Womit er das Geld verdient hatte, das für den Mercedes “Nürburg” hinzublättern war – an die 20.000 Reichsmark – bleibt ebenfalls unserer Fantasie überlassen.

1929 betrug das durchschnittliche Jahreseinkommen (brutto) eines Angestellten in Deutschland 2.110 Mark, also etwas mehr als ein Zehntel des Preises dieses Autos. Übertragen auf heutige Verhältnisse (Durchschnittseinkommen West 2022: 39.000 EUR), würde diese Relation einem Wagenwert von über 350.000 EUR entsprechen.

Dies veranschaulicht, wie teuer solch ein Manufakturfahrzeug einst aus der Perspektive von Otto Normalverbraucher war. Damals wie heute hätte man für den Gegenwert auch ein einfaches Haus in anspruchsloser Lage bekommen.

Aus welcher Manufaktur stammte aber nun dieses grandiose Zweisitzer-Cabriolet auf Basis eines Mercedes-Benz 18/80 PS “Nürburg”?

Das konnte ich mit meinen (in Sachen Mercedes-Benz) bescheidenen Mitteln nicht herausfinden. Es wird kolossale und kostspielige Werke zu dieser Marke geben, in denen solche Karosserievarianten umfassend dokumentiert sind.

Insgesamt sind gut 2.800 Exemplare vom “Nürburg” entstanden, ich vermute aber, dass die meisten davon Limousinen waren. Die selteneren und oft sehr eleganten Cabriolets dürften heute bei Sammlern am geschätztesten sein, weshalb ich davon ausgehe, dass sie sehr weitgehend dokumentiert sind.

Oder irre ich mich am Ende, und auch dies ist eines der vielen unbeackerten Felder, was die deutsche Vorkriegs-Autohistorie betrifft? Ich mag das nicht glauben, wenigstens bei dieser Marke muss doch jemand die ultimative Gesamtschau verfasst haben!

Das wäre dann ein grandioses Werk – würdig den besten Hervorbringungen dieses legendären Herstellers. Daher bitte ich um einschlägige Buchempfehlungen, denn Weihnachten rückt näher und auch als altes Heidenkind gönne ich mir bei der Gelegenheit gern etwas…

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Bote aus einer fernen Galaxis: Ford “Prefect”

Als Kind und Jugendlicher war ich eine Leseratte: Ich habe fast alles verschlungen – erst das, was der elterliche Bücherschrank hergab, dann die Abenteuer- und Reiseliteratur meines Paderborner Großonkels mit Faible für Italien.

Nachdem ich Gustavs Schwabs “Sagen des Klassischen Altertums” verinnerlicht hatte – der siebenjährige Aufenthalt des Odysseus bei der Nymphe Calypso übte auf den Jüngling besondere Faszination aus – landete ich irgendwann bei Science Fiction-Werken.

Mein bevorzugter Autor in diesem Genre war der geniale Stanislaw Lem, was der Qualität der von mir frequentierten Stadtbücherei zu verdanken war – gibt es so etwas eigentlich noch?

Verborgen blieb mir zunächst “Per Anhalter durch die Galaxis” von Douglas Adams – mehr eine Satire über irdische Absurditäten als eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten ferner Welten.

Warum erzähle ich das? Nun, als ich auf das genannte Werk stieß und es auszugsweise las, dachte ich mir nicht viel dabei, dass der außerirdische Held darin “Ford Prefect” hieß.

Heute kehrt Ford Prefect aus seiner fernen Galaxis zurück und wird in diesem Blog eine zwar prominente, doch letztlich fragwürdige Rolle spielen. Mein Verhältnis zu ihm ist nämlich ein distanziertes, das in Lichtjahren zu bemessen ist.

So ist meine Assoziation mit Ford Prefect eher “unterirdisch” statt “außerirdisch”.

Um das nachvollziehbar zu machen, will ich mit einem Dokument beginnen, das in einer Zeit entstand, welche für die meisten von uns so weit entfernt ist wie die benachbarte Andromeda-Galaxis, deren Licht uns mit 2,5 Mio. Jahren Verspätung erreicht.

Zwar sind nur rund 75 Jahre vergangen, seitdem die folgende Aufnahme entstand, aber für jüngere Menschen ist schon die frühe Nachkriegszeit unvorstellbar weit weg:

Ford “Eifel”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Man könnte hier glatt eine moderne Version von Perseus und Andromeda sehen, nachdem die Schrecken des Kriegs gebannt sind und es einer besseren Welt entgegengeht. Statt der geflügelten Sandalen verfügt dieser hünenhafte Perseus über einen Ford “Eifel” und Andromeda scheint mit der Situation sehr zufrieden zu sein.

Dazu hatte sie auch allen Grund, denn wie das Nummernschild verrät, entstand das Foto ab 1948 im von amerikanischen Truppen besetzten Bayern (daher die Kennung AB). Die beiden gehörten zu den wenigen Glücklichen hierzulande, die damals überhaupt ein Kraftfahrzeug besaßen.

Im vorliegenden Fall handelt es sich auch noch um einen formal besonders charakterstarken Wagen – einen Ford “Eifel” in der ab 1937 gebauten Ausführung.

Der Wagen verfügte zwar nur über einen 1,2 Liter-Vierzylinder veralteter Bauart sowie ein primitives Starrachs-Fahrwerk, wirkte aber aufgrund des vom legendären Ford V8 entlehnten Kühlers enorm schnittig.

Die Optik war ein Werk der Kölner Ford-Niederlassung und machte den “Eifel” zu einem der äußerlich gelungensten Wagen seiner Klasse in Deutschland kurz vor Kriegsbeginn.

Beinahe zeitgleich entstand im britischen Ford-Werk in derselben Klasse ein vom “Eifel” unabhängiges Modell – das war der “Ford Prefect”, der ebenfalls über einen 1,2 Liter-Motor verfügte und technisch auch sonst kein Ruhmesblatt darstellte. Er war vor allem billig.

Auch wenn beide Wagen im Ford-Verbund entwickelt wurden, liegen gestalterisch Welten, um nicht zu sagen: Galaxien, dazwischen. Denn der großspurig mit der Bezeichnung eines hohen Magistraten benamte “Prefect” kam reichlich ungeschlacht daher:

Ford “Prefect”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme besitze ich schon eine ganze Weile, aber ich hielt den abgebildeten Wagen zunächst für eine verunglückte Nachkriegsimprovisation.

Wie nachträglich davorgesetzt und wuchtig wirkt die für den kompakten Motor viel zu weit nach vorne auskragenden Kühlerpartie. Zu dem ästhetisch unterirdischen Eindruck tragen freilich auch einige Veränderungen bei, die dem Aufnahmezeitpunkt geschuldet sind.

So ist auch dieser Ford frühestens 1948 fotografiert worden, allerdings in einer – politisch gesehen – anderen Galaxis, nämlich der von der Sowjetunion besetzten Region Leipzig (siehe Kürzel “SL”).

Dort musst man wie im Westen nehmen, was noch an fahrbaren Autos verfügbar war. In diesem Fall hatte man dem Ford Stoßstangen eines DKW (vermutlich) spendiert, die Radkappen waren verlorengegangen und das Trittbrett erscheint “angeflickt”.

Auch im unverfälschten Original war der “Prefect” ein Wagen, den man sich beim besten Willen nicht schönsehen konnte.

Er wurde übrigens nach dem Krieg noch eine Weile im vom Krieg ausgelaugten und von planwirtschaftlichen Experimenten niedergehaltenen England kaum verändert weitergebaut. Auch die modernisierte Fassung des “Prefect” (ab 1953) war Tristesse pur.

Zurück zum “Prefect” in der Ostzone. Wie ist dieser Wagen dort eigentlich hingekommen, fragt man sich? Meines Wissens wurde er in Deutschland offiziell nie verkauft.

Denkbar sind zwei Möglichkeiten: Entweder jemand hatte den Wagen vor Kriegsbeginn aus einem Nachbarland mitgebracht, in dem der “Prefect” vertrieben wurde, eventuell aus Skandinavien.

Oder wir haben es mit einem im Verlauf des deutschen Westfeldzugs ab 1940 erbeuteten Fahrzeug zu tun, das vom britischen Militär genutzt und zurückgelassen wurde. Dann könnte das Auto den Krieg über an der “Heimatfront” gedient haben, bis es nach der Kapitulation einen neuen Besitzer und eine neue Identität erhielt, wie das üblich war.

So oder so muss dieser Ford “Prefect” im Raum Leipzig in der frühen Nachkriegszeit wie aus einer fernen Galaxie gewirkt haben. Ob die freundlich lächelnde Dame daneben ebenfalls von einem anderen Stern kam und sich bloß eine irdische Identität zugelegt hatte wie einst “Ford Prefect” aus “Per Anhalter durch die Galaxis”, sei dahingestellt…

Solche Geschichten finde ich heute ebenso spannend wie einst die Sagen des Klassischen Altertums oder die Bilder, welche Science-Fiction-Literatur im Kopf entstehen ließ. Wie die Antike und das Universum stellt sich die Vorkriegsautowelt mir unendlich faszinierend dar…

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Turbulent mit Ricardo-Patent: Skoda 4R Tourer

Wie heute bisweilen verwirrende Titel meiner Blog-Einträge – und deren Inhalt – haben mir die augenzwinkernde Frage eines Lesers eingetragen, ob ich auf bewusstseinserweiternde Substanzen zurückgreife.

Zwar nehme ich morgens bewusstseinsherstellende Substanzen ein – erst einen kräftigen Kaffee, dann einen kalten Orangensaft – und schon ist Betriebsfähigkeit gegeben.

Doch um nach getaner Arbeit am Schreibtisch, in Garten oder Werkstatt abends noch zu später Stunde kreativ tätig sein zu können, genügt mir ein reichliches Abendessen, dazu ein Glas Wein, danach gibt es eine Filmkonserve (Fernsehen niemals) – und ein zweites Glas.

Dem Geist auf die Sprünge hilft anschließend etwas anderes: Das sind in 35 Jahren angesammelte Schallplatten und CDs aus der Welt der Alten und Klassischen Musik. Gerade laufen Motetten von J.S. Bach, aufgenommen 1981 mit dem Monteverdi Choir und den English Baroque Soloists unter John Eliot Gardiner.

Wer solche altbewährten Rauschmittel im Schrank hat, braucht schlicht keine Drogen. Jetzt aber auf in die turbulente Zeit der späten 1920er Jahre!

Skoda Typ 4R; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Dieses schöne, wenn auch etwas grobkörnige Foto sandte mir kürzlich mein langjähriger Sammlerkollege Klaas Dierks.

Das leider unscharf wiedergegebene Kühleremblem erinnerte ihn an Audi – und tatsächlich besteht eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Markenschriftzug des sächsischen Herstellers.

Doch der Wagen hat ansonsten kaum etwas mit den Audis der 1920er Jahre gemein, es musste also etwas anderes sein.

Ich erinnert mich, wohl unter dem Einfluss bewusstseinserweiternder Musik, an ein wunderbares Foto aus meiner Sammlung, dass ich vor einigen Jahren hier vorgestellt hatte:

Skoda Typ 430; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

“Adam und Eva nach dem Sündenfall” könnte man diese Aufnahme betiteln, wenn man ein ideologisches Problem mit der Individualmotorisierung hat. Wir Verbrennerfreunde beneiden dagegen das glückliche Paar um seinen vierrädrigen Freiheitsbringer.

Der abgebildete Wagen war ein Skoda des Typs 430 – etwas jünger als das Auto auf dem eingangs gezeigten Foto – doch das Kühleremblem ist dasselbe.

Nach dem Genuss dieser Frucht vom Baum der Erkenntnis blieb noch die Identifikation des exakten Typs. Meine kleine Privatbibliothek weist in punkto tschechische Marken zwar beklagenswerte Lücken auf, doch auch so kam ich auf den Skoda 4R von anno 1928.

Dabei handelte es sich – zusammen mit dem Sechszylindertyp 6R – um die erste Neukonstruktion nach der Übernahme des böhmischen Traditionsherstellers Laurin & Klement im Jahr 1925.

Die beiden Modelle unterschieden sich äußerlich vor allem durch die Abmessungen – hier sehe ich eher einen Vierzylinder-Wagen:

Mit seinem 2 Liter-Motor, der offiziell 32 PS leistete, war der Skoda 4R für eine Spitzengeschwindigkeit von 90 km/h gut.

Ich könnte mir aber vorstellen, dass der Wagen tatsächlich eine höhere Leistung hatte.

Mindestens 35 PS waren in Europa Ende der 1920er Jahre Standard bei Motoren mit seitlich stehenden Ventilen, etwa beim Adler “Favorit” 8/35 PS und dem Mercedes-Benz 8/38 PS, erst recht beim Wanderer W10-II 8/40 PS

Für spürbar mehr Pferdestärken beim Skoda 4R spricht auch Folgendes:

Nach einer tschechischen Quelle nutzte Skoda bei den Typen 4R und 6R ein Patent des noch heute existierenden britischen Motorenspezialisten Ricardo, das bei Seitenventilern für eine verbesserte Verwirbelung des angesaugten Gemischs sorgen solllte.

Die für ihren systematischen Ansatz bei der Optimierung von Verbrennungsmotoren renommierte Firma Ricardo vergab nach dem 1. Weltkrieg ein entsprechendes Patent unter der Bezeichnung “Turbulent Cylinder Head” an etliche europäische Autohersteller.

Sie sehen nun, woher die Inspiration zum Titel dieses Blog-Eintrags kam. Ob mit oder ohne bewusstseinserweiternde Substanzen vermag ich allerdings nicht zu erkennen, wie dem Skoda 4R das für turbulente Verhältnisse sorgende Ricardo-Patent genutzt haben sollte.

Wie gesagt, stockkonservative Konstruktionen anderer Hersteller brachten aus 2 Litern Hubraum locker 35-40 PS zustande – da erscheinen die 32 PS des Skoda mager.

Doch turbulent ging es in einem Tourenwagen auch so zu. Denn bei dieser Bauart sind die rückwärtigen Insassen zwangsläufig den Luftverwirbelungen ausgesetzt, welche die Frontscheibe produziert.

Die Passagiere scheint das aber ebensowenig gestört zu haben wie die Frage, wo die extra PS geblieben waren, welche das teure Ricardo-Patent dem Motor des Skoda 4R einhauchen sollte. Jedenfalls sieht man hier nur gut gelaunte Leute:

Gern würde ich Ihnen noch etwas mehr über diesen netten Tourer erzählen, der einst vor einer mittelalterlichen Stadtmauer Halt gemacht hatte.

Doch weder vermag ich zu sagen, was der Herr auf dem Rücksitz mit der linken Hand umfasst hat, noch was das für ein Aufkleber auf dem Koffer ist, welcher auf dem Trittbrett liegt. Beim Kennzeichen muss ich ebenfalls passen.

Die Bach’schen Motetten begleiten mich noch immer. Gerade läuft von Nr. 227 (BWV) der 9. Satz “Gute Nacht, Ihr Wesen” – damit will ich heute enden.

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Raus aus der Nische: Mannesmann W2 5/20 PS

Mehr als drei Jahre ist es her, dass ich hier erstmals einen Wagen der Firma Mannesmann anhand eines zeitgenössischen Originalfotos vorstellen konnte.

Das Gefährt kam mir so exotisch vor, dass ich es seinerzeit als “Fund des Monats” präsentierte.

Das verdiente es auch im Hinblick auf die exklusive Karosserie, der zu verdanken ist, dass sich ebendiese Aufnahme auf S. 266 der Neuauflage des Klassikers “Deutsche Autos 1920-1945” von Werner Oswald (2019) wiederfindet:

Mannesmann Typ M 5/25 PS Roadster; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Inzwischen könnte ich mit den Fotos aus meiner Sammlung und denen Gleichgesinnter ganze Bände füllen. So gesehen hat sich mein 2017 gestarteter Blog ausgezahlt.

Noch nie in der Nachkriegszeit stand einer breiten Öffentlichkeit eine derartige Vielfalt und Masse an Dokumenten zu Vorkriegs-Automobilen im deutschen Sprachraum zur Verfügung – und das kostenlos (für Leser, nicht für uns Sammler, die hier ihre Schätze ausbreiten).

Neben den Kontakten und der Resonanz von mehreren tausend Besuchern monatlich hat mir mein zugegeben laienhafter Ansatz, ohne speziellen Schwerpunkt, aber beharrlich alte Autofotos zu besprechen, selbst eine steile Lernkurve beschert.

Will heißen: Was mir noch vor einiger Zeit exotisch vorkam wie die Automobile von Mannesmann, beginnt immer häufiger zur Selbstverständlichkeit zu werden. Ich mache dies daran fest, dass eine Marke in meinen Fotogalerien plötzlich eine eigene Kategorie erhält.

Das markiert dann das Ende des Nischendaseins, und genau das ist inzwischen mit Mannesmann-Automobilen geschehen, für die es nun eine separate Galerie gibt.

Dazu tragen immer wieder Aufnahmen von Sammlerkollegen aus der ganzen Welt bei, die nicht “Bildrechte” an Papierabzügen reklamieren, die sie auf dem Flohmarkt oder im Netz erstanden haben, sondern einfach herzeigen, was sie an Land gezogen haben.

Ein Beispiel dafür ist dieses Foto, das Jason Palmer aus Australien beigesteuert hat. Er ist selbst Besitzer diverser Vorkriegsfahrzeuge und interessiert sich unter anderem auch für deutsche Fabrikate der zweiten Reihe.

Diese Aufnahme ist seiner Sammelleidenschaft zu verdanken:

Mannesmann W2 5/20 PS Tourer; Originalfoto aus Sammlung Jason Palmer (Australien)

Dass es sich um einen Mannesmann handeln könnte, das vermutete Jason bereits selbst. Ich will nicht wissen, wieviele “Experten” das hierzulande hinbekämen.

Weit davon entfernt, selbst ein Spezialist für solche weniger gängigen Fahrzeuge zu sein, konnte ich nachweisen, dass es sich in der Tat um einen Mannesmann handelt.

Möglich war dies, weil Matthias Schmidt aus Dresden – neben Klaas Dierks und Marcus Bengsch eine meiner wertvollsten Quellen hervorragender Fotodokumente – eine Aufnahme genau eines solchen Fahrzeug beisteuern konnte.

Ich habe schon viel gesehen, aber es macht mich selbst immer noch sprachlos, was nach fast 100 Jahren an Originalmaterial in publikationsfähiger Güte auftaucht – es scheint bloß kaum einen der “Experten” zu interessieren, die mehr daraus machen könnten.

Also machen wir eben hier etwas damit:

Mannesmann W2 5/20 PS Tourer; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Australien)

Der Tourenwagen auf dieser idealen Aufnahme entspricht bis ins letzte Detail – die Insassen ausgenommen – dem Auto auf Jason Palmers Foto.

Genau so sah ein Mannesmann des Typs WII 5/20 PS aus, wie er ab 1923 in unbekannter Stückzahl gebaut wurde. Selbst der Suchscheinwerfer und der Fahrterichtungsanzeiger zu beiden Seiten der Windschutzscheibe stimmen überein.

Sehr schön lassen sich hier Details studieren, welche sich bei anderen solcher Kleinwagen der 20er Jahre nicht finden und so zur Identifikation beitragen.

Bemerkenswert ist zum einen das weit nach oben reichende Blech, welches auf dem hinteren Kotflügel angebracht ist. Markant ist zum anderen die nach innen geneigte statt sonst vertikale Schwellerpartie zwischen Trittbrett und Aufbau mit dem durchbrochen gearbeiteten Schutzblech unterhalb der Tür – wie damals üblich von innen zu öffnen.

Entscheidend für die Identifikation des Wagens als Fabrikat von Mannesmann ist etwas anderes – die eigenwillige Markenplakette auf dem Kühler mit gehämmerter Oberfläche:

Vielleicht hat ein Leser eine Idee zur Bedeutung der beiden “Augen” links und rechts des Markenschriftzugs, die durch die Gestaltung des Kühlerblechs noch akzentuiert werden.

Bei der Gelegenheit sei auch auf das “M” auf der Name der Drahtspeichenräder verwiesen, das ebenfalls typisch für die Marke war. Das war seinerzeit das Detail, das mir den Schlüssel zur Identifikation des Wagens auf dem eingangs gezeigten Foto lieferte.

Bemerkenswert finde ich an dieser Stelle auch das Blech, welches auf der Innenseite des in Fahrtrichtung links befindlichen vorderen Rahmenauslegers angebracht ist. Selbiger war in Form eines auf der Seite liegenden “U” ausgeführt, sodass wir hier eigentlich in den Hohlraum des Rahmens schauen können müssten.

Ein solches Blech zur optischen “Glättung” des Rahmens ist mir noch nicht begegnet. Man lernt nicht aus, was die Automobile der 20er Jahre angeht,

Damals entwuchs das Auto der Nische. Ob es dort wieder verschwinden wird, wie es die heimliche Agenda der Ideologen zu sein scheint, die Verbrennerwagen verbieten wollen, bleibt abzuwarten.

Ich glaube das nicht, bin aber auch bereit, das Benzin künftig wieder in der Apotheke zu kaufen wie einst Bertha Benz, für mich die eigentliche Erfinderin des Automobils.

Mit ihrer kühnen Fahrt sorgte sie 1888 dafür, dass der von ihrem entscheidungsschwachen Ehemann entwickelte Wagen, in den sie ihre Mitgift investiert hatte, endlich raus aus dem Schrauberstadium und dorthin kam, wo er hingehörte – auf die Straße.

Und das gilt für Vorkriegsautos allgemein: Raus aus der Nische – hinein ins Vergnügen!

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Das Beste kommt zum Schluss: Horch 10/50 PS

Erst kürzlich habe ich hier die Aufnahme eines ganz frühen Horch vorgestellt, den ich auf 1901/02 datieren würde.

Von dort war es ein weiter Weg bis zu den atemberaubenden Kreationen der sächsischen Marke in den 1930er Jahren, die das letzte Aufbäumen der reinen Lust am Schwelgen in der puren Opulenz der Formen im Automobilbau repräsentierten.

Bei aller Eleganz speziell italienischer Karosserien der 1950er bis 1970er Jahre – deren vollkommenster Vertreter vielleicht der Ferrari “Dino” war – eine vierrädrige Skulptur wie diesen Horch 853 hat es nicht annähernd jemals wieder gegeben:

Horch 853 Sport-Cabriolet; Bildrechte: Michael Schlenger

So kam bei Horch tatsächlich das Beste zum Schluss – oder zumindest kurz vor Toresschluss anno 1945.

Das gilt auch für den Bilderreigen, mit denen ich Sie, liebe Leser, heute verwöhnen will.

Der automobile Gegenstand desselben ist auf den ersten Blick recht prosaisch – es handelt sich um das Vierzylindermodell Horch 10/50 PS, das um die Mitte der 1920er Jahre entstand und heute im Schatten der großartigen Achtzylinder steht, die darauf folgten.

Wie ich im Folgenden zeigen will, vermag jedoch auch dieses sachliche Modell eine magische Wirkung entfalten, je länger man sich damit beschäftigt. Das liegt aber weniger an dem Fahrzeug selbst als den Situationen, in denen es einst festgehalten wurde.

Dabei kommt das Beste zum Schluss – versprochen! Beginnen will ich mit einer braven Limousine des Typs:

Horch 10/50 PS Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Woran mangelt es diesem Auto außer an einem wirklich markanten “Gesicht”? Natürlich am belebenden menschlichen Element. Die Damen an Bord scheinen uns zwar freundlich gesinnt zu sein, sie sind aber eindeutig zu zurückhaltend, um Leidenschaft zu wecken.

Gut, dann probieren wir es einmal mit dem anderen Extrem, einem von allerlei Volk umlagerten Horch 10/50 PS – hier in der raren Ausführung als Landaulet:

Horch 10/50 PS Landaulet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Man sollte meinen: Hier ist etwas für jeden Geschmack dabei, sogar für die Hundeliebhaber.

Bloß der Horch 10/50 PS kommt hier entschieden zu kurz, was gewiss nicht an seiner beachtlichen Länge von 4,50 Meter lag.

Probieren wir es mit einem besser ausbalancierten Beispiel wie diesem:

Horch 10/50 PS Chauffeur-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Gut, die Inszenierung verdient Anerkennung und wieder einmal muss man feststellen: Solche Fotos lassen sich mit dem heutigen Kfz-Material nicht annähernd realisieren.

Vermutlich würde das in unseren Tagen in die fragwürdige Kategorie “Kunst-Performance” fallen, in der jeder seine Obsessionen publik machen kann. Damals brachte man so etwas aus dem Stegreif im Rahmen einer reinen Privataufführung.

Zu konstatieren ist allerdings, dass der Horch hier ein wenig unvorteilhaft erscheint. Der riesige Passagierraum dominiert, während das Motorabteil, in dem die vier Zylinder die ganze Drecksarbeit für die feinen Herren machten, unverdient im Schatten steht.

Entschieden respektvoller traten diese Burschen auf:

Horch 10/50 PS Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auf diesem Dokument gewinnen wir erstmals einen Eindruck von der respekteinflößenden Frontpartie des Horch 10/50 PS, bei der man sich einiges von den zeitgenössischen Sechszylindermodellen von Fiat abgeschaut hat.

Mit diesem Bild verabschieden wir uns nun von den geschlossenen Versionen des Modells, die weit seltener waren als die offenen Tourenwagenausführungen. Diese werden uns von nun an bis zum Schluss begleiten.

Das erste Exemplar, das mir vor einigen Jahren den Horch 10/50 PS nahegebracht hat, war dieses:

Horch 10/50 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Kühl und wenig freundlich wie der Tag, an dem er einst für die Nachwelt festgehalten wurde, stellt sich dieser Wagen dar.

Wie anders ist das Bild dagegen, wenn man sich ganz den Insassen zuwendet – beispielsweise denen in diesem Exemplar:

Horch 10/50 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Schön und gut, aber hier ist doch von dem Horch kaum etwas zu sehen – interessanterweise aber genug, um den Typ präzise zu identifizieren.

Begeben wir uns also auf die Suche nach einer Aufnahme, bei die Verhältnisse eher zu überzeugen wissen. Wie wäre es mit diesem hier?

Horch 10/50 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ach nein, das ist es auch noch nicht – nun wirkt der Wagen zu dominant und die Insassen erscheinen zu distanziert.

Nebenbei ist dies eine Aufnahme, bei der die Ähnlichkeit mit den großen Fiats jener Zeit besonders ins Auge fällt. Später nahm Horch bei den 8-Zylindertypen an Cadillac genau Maß – eine eigene Formensprache entwickelte man erst in den 1930er Jahren.

Schon ansprechender als zuvor erscheint der Horch 10/50 PS hier:

Horch 10/50 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt

Allerdings entfaltet der Wagen hier nur deshalb Wirkung, weil die Passagiere im Heck von der stocknüchternen Seitenpartie ablenken, an der kein irgendwie geschulter Gestalter mitgewirkt haben kann.

Erschreckend kalt wirkt die Tourenwagenausführung des Horch 10/50 PS, wenn nur noch der Fahrer darin verbleibt – dieses Nichts an Formgebung hinter der vorderen Sitzbank kann man nicht ernsthaft schönreden:

Horch 10/50 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt

Hier hilft wieder einmal nur ein klassisches Ablenkungsmanöver – wir brauchen also Leute, welche das Passagierabteil mit Leben füllen.

Das ist auf folgender Aufnahme doch recht gut gelungen, oder?

Sagen wir: Das kann man als Versuch in die richtige Richtung gelten lassen, aber die abgebildeten Zeitgenossen sorgen noch nicht so recht für Begeisterung.

Dasselbe ist an der folgenden Aufnahme zu beanstanden, so unterhaltsam sie auf den ersten Blick erscheinen mag – was allein der wagemutigen Dame zu verdanken ist:

Horch 10/50 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Mmh, wir scheinen hier an gewisse Grenzen zu stoßen – bislang will keine dieser Aufnahme so richtig umwerfen, so sehenswert sie alle sind.

Wir haben aber zum Glück noch etwas “neueres” Material – sämtliche bisher gezeigten Fotos sind nämlich alte Hüte, die ich schon einmal präsentiert habe.

Wer bis hier durchgehalten hat, wird ab jetzt nur noch bislang unpublizierte Aufnahmen zu sehen bekommen – und nicht vergessen: das Beste kommt zum Schluss.

Schauen wir also, was sich zwischenzeitlich eingefunden hat. Da wäre etwa diese Aufnahme, die in Wiesbaden vor dem mondänen Hotel “Nassauer Hof” entstand:

Horch 10/50 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Horch in der hinlänglich bekannten Tourenwagenversion profitiert in dieser Situation von der palastartigen Fassade, von der einiges bis in die Gegenwart erhalten geblieben ist.

Aber seien wir ehrlich: Vor einer derartigen Kulisse verblasst so ein Gefährt doch. Was tun?

An der sachlichen Gestaltung des Horch 10/50 PS ist nichts mehr zu ändern, also müssen wir einen anderen Blick darauf entwickeln, das hier könnte die Lösung sein:

Horch 10/50 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nach meinem Geschmack ist das eine Annäherung an das perfekte Autofoto.

Der Wagen ist als eigenständiger Charakter wirkungsvoll wiedergegeben, gleichzeitig verleihen ihm mehrere Persönlichkeiten das Leben, das er im Stillstand nicht haben kann.

Vor allem haben wir es mit einer durchdachten Inszenierung zu tun, bei der die Darsteller im Moment der Aufnahme bewusst zu posieren wissen.

Der Horch gibt hier die Kulisse für ein gelungenes Neben-, Hinter-und Übereinander der Beteiligten ab, so wie im richtigen Leben.

Was kann da noch kommen, fragt man sich? Nun, nach all’ diesen Versuchen und Variationen bleibt am Ende die Reduktion auf das Wesentliche, was das Auto, das menschliche Element und die Aufnahmesituation betrifft.

Das Beste kommt zuletzt, und ich hoffe, das sehen Sie auch (gleich) so.

Nähern wir uns dem letzten Foto behutsam und beginnen mit der Frontpartie des Horch 10/50 PS mit dem gekrönten “H” als einzigem Schmuck auf dem Kühler:

So weit, so unerheblich. Wie steht es um das menschliche Element – sitzt wieder ein einsamer Fahrer am Steuer oder ist der Passagierraum vollbesetzt?

Weder noch – der Chauffeur ist zwar allein, aber er hat sich neben dem ihm anvertrauten mächtigen Wagen aufgestellt und gibt dabei eine Figur ab, wie ich sie so ausdrucksstark selten gesehen habe:

Bald 100 Jahre ist es her, dass dieser noch recht junge Mann so selbstbewusst und hoffnungsfroh in die Zukunft schaute.

Ganz gleich, was aus ihm wurde, seine Zukunft ist längst Vergangenheit und von ihm und dem Horch dürfte kaum mehr geblieben sein als diese Aufnahme.

Solche Zeugnisse sind also immer auch ein Memento Mori und vermögen damit eine heilsame Wirkung auf uns Nachgeborene auszuüben.

Für den Chauffeur des Wagens war dieser Moment womöglich die Höhe seines Lebens – und für uns bislang das Beste, was uns in Sachen Horch 10/50 PS begegnet ist:

Horch 10/50 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Faszination der Symbiose von Mensch und Maschine kann man kaum besser abbilden, meine ich. Wenn Sie aus dem Nachsinnen wieder heraus sind, verraten Sie mir bitte noch, wo einst dieses großartige Foto entstanden ist – ich vermute, irgendwo an der Mosel…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Beute der “Boches”: Ein Bozier von 1913/14

Von den “Boches” – der verächtlichen Bezeichnung der Deutschen in Frankreich – zum einem “Bozier” ist der Weg heute nicht weit, keineswegs bloß wegen den gleichen Anlauts.

Bei der Gelegenheit eine Anmerkung zu Bedeutung von “Boches”: Das Wort leitet sich von “caboche” ab – dem Dickschädel, einem engstirnigen Charakter, der partout mit dem Kopf durch die Wand muss, wenn er sich etwas in selbigen gesetzt hat.

Ohne diese Eigenschaften kann man nicht jahrelang gegen die halbe Welt gleichzeitig Krieg führen – ob aufgenötigt oder selbst angezettelt, spielt keine Rolle.

Zum Kriegführen ist Deutschland heute zum Glück nicht mehr in der Lage – die Schweizer, Österreicher und Dänen könnten den hiesigen Laden mit vereinten Kräften vermutlich binnen einer Woche übernehmen – der Gedanke hat sogar einen gewissen Charme.

Entgegen den Realitäten sich Großes vornehmen – am liebsten im globalen Maßstab – stets besserwisserisch, oft ungeschickt agierend, dabei zu keiner Einsicht imstande, was die begrenzten Kräfte angeht, kein Scheitern zum Anlass für ein Innehalten nehmend, diese teutonische Dickschädelei ist unverändert aktuell.

Belege zuhauf liefert die Tagespolitik, die uns aber hier nicht interessiert, denn mein Blog soll gerade auch von den Zumutungen des Alltags ablenken, was nicht heißt, dass man hier nur dem Edlen, Schönen und Guten begegnet – ganz im Gegenteil.

Doch die Beschäftigung mit der Welt von gestern anhand von Fotos, auf denen Vorkriegsautomobile zu sehen sind, hilft das Spießertum des Hier und Jetzt hinter sich zu lassen und sich auf das zu konzentrieren, was unsere Vorfahren bewegte.

Dabei erkennen wir manches, das ganz anders war als heute, doch seinerzeit völlig normal – daraus ersehen wir, dass unsere Welt nur eine von unzähligen möglichen Variationen des Daseins ist, gewiss nicht der Idealzustand oder gar Endpunkt der Entwicklung.

Anderes wiederum kommt uns so vertraut vor, als trennten uns nicht mehrere Generationen und kolossale Umbrüche vom Leben der Altvorderen. Dazu zählt etwa der Wunsch, sein Konterfei für die Seinen und auch ein wenig für die Nachkommen festzuhalten.

Das haben unserer Vorfahren sogar – oder vielleicht gerade – in den beiden Weltkriegen getan, wo es ging. Diesem Impuls verdanken wir speziell, was die frühen Automobile angeht, unendliche viele wertvolle Dokumente wie dieses beispielsweise:

Bozier von 1913/14; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Mit diesem Tourenwagen ließ sich einst ein deutscher Soldat im 1. Weltkrieg ablichten – ich vermute ein einfacher Mannschaftsdienstgrad.

Solche Fotos gibt es tausendfach in den Alben deutscher Kriegsteilnehmer und die meisten davon zeigen gängige deutsche Fabrikate wie Benz, Hansa, NAG, Opel, Phänomen usw.

Dieses Exemplar ist dagegen außergewöhnlich – und dafür sei dem Besitzer des Fotos, Klaas Dierks, besonders gedankt. Es handelt sich nämlich um ein französisches Fabrikat, das meines Wissens im Deutschen Reich nicht verkauft wurde.

Es muss sich also um ein Beutefahrzeug handeln, das die deutschen Truppen 1914 beim Vormarsch über Belgien und Frankreich dem eigenen Wagenpark einverleibt hatten. Das Fabrikat konnte dann Claus Wulff (Berlin) aufgrund des eigenwilligen Schriftzugs auf dem Kühler identifizieren.

Demnach haben wir es hier mit einem “Bozier” zu tun, einem Wagen der gleichnamigen Marke aus Puteaux westlich von Paris, die ab 1901 Automobile zu bauen begann. Diese wurden anfänglich hauptsächlich von Einbaumotoren von DeDion-Bouton angetrieben, wie damals bei vielen Herstellern üblich.

Später entwickelte Bozier eigenständige Fahrzeuge, blieb aber ein Nischenhersteller, über den ohne größere Recherchen nicht allzuviel in Erfahrung zu bringen ist.

Uns soll heute auch vorrangig interessen, wie der Bozier auf dem Foto von Klaas Dierks einzuordnen ist. Losgelöst von Vergleichsfotos war ich von Anfang an der Ansicht, dass es sich um ein bei Kriegsausbruch recht aktuelles Modell handeln muss.

Denn erst ab 1913/14 findet man bei europäischen Automobilen – und selbst dann längst noch nicht bei allen – eine wie aus einem Guss wirkende Einheit von Motorhaube und dahinterliegendem Windlauf (dem Blech vor der Windschutzscheibe).

Diese Linie verläuft hier fast waagerecht, was sich vor 1913 praktisch nicht findet. Auch der bullige, mittig leicht geknickte Kühler verweist auf eine früheste Entstehung 1913/14.

Ein nahezu identischer Bozier ist auf einem großformatigen Plakat abgebildet, das 2020 vom Auktionshaus Bonhams versteigert wurde:

Bozier-Großreklame; Quelle: Bonhams

Datiert wurde das Plakat seinerzeit von Bonhams auf “um 1912”. Ich halte das aus den erwähnten Gründen aber für zu früh.

Als Indiz dafür lässt sich die Aufnahme eines weiteren Bozier anführen, der 1913 bei der Tour de France als Begleitfahrzeug eingesetzt wurde.

Man darf ausschließen, dass der Hersteller dabei ein Fahrzeug zeigte, das älter als ein Jahr war, denn die Tour de France genoss schon damals enorme Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und eignete sich damit hervorragend für Werbezwecke.

Hier haben wir besagten Bozier noch mit Flackühler und steil ansteigendem Windlauf:

Bozier von 1912/13; Quelle

Demnach kann man ausschließen, dass der von den “Boches” erbeutete Bozier früher als 1913 gebaut wurde – ich würde “um 1914” bevorzugen.

Diese Datierung bezieht nämlich auch die Möglichkeit ein, dass der Bozier sogar noch in der Frühphase des 1. Weltkriegs gefertigt wurde.

Denn Bozier-Automobile scheinen bis 1915 weitergebaut worden zu sein. Das ergibt sich aus einer britischen Quelle von 1917 – dem “Motor, Marine and Aircraft Red Book”, in dem Typen, Baujahr und Preise von Automobilen, Wasser- und Luftfahrzeugen vieler internationaler Hersteller verzeichnet waren.

Dort findet sich in der Sektion “Motor Cars” – daraus wurde übrigens erst später “Cars”, als es praktisch kaum noch nicht-motorgetriebene Wagen gab – ein Eintrag zu Bozier-Automobilen. Diese wurden offenbar in Großbritannien über die nach einem walisischen Unabhängigkeitskämpfer benannte “Glendower Motor Company” vertrieben:

In Großbritannien registrierte Bozier-Stückzahlen ab 1913; aus: “Motor, Marine and Aircraft Red Book 1917”; Quelle: Grace’s Guide

Hieraus sind zumindest die 1914/15 verfügbaren Motorisierungen der Bozier-Autos ersichtlich. Diese reichten von der Kleinwagenklasse mit maximal 12 PS bis hin zur gehobenen Mittelklasse mit immerhin 30 PS.

Ich würde angesichts der moderaten Dimensionen des fraglichen Wagens auf knapp 20 PS Leistung tippen, womit am ehesten der Typ 14/18 PS in Betracht käme.

Ganz werden wir das wohl nicht mehr klären lassen, aber eines ist offensichtlich: Die “Boches” hatten mit diesem Bozier einst eine Beute gemacht, die sich selbst durch einen unübersehbaren “Dickschädel” in Form des bulligen Kühlergehäuses auszeichnet – man sieht, auch auf französischer Seite ging es damals nicht immer lässig und elegant zu…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

“Under Cover”-Agent enttarnt: Ein Auburn von 1929

Nachdem wir zuletzt in die Niederungen deutscher Kleinstwagen-Fehlversuche der frühen 1930er Jahre abgestiegen waren, gibt es heute zum Glück wieder ein richtiges Auto zu besichtigen.

Dabei enttarnen wir nebenbei einen “under cover” operierenden US-Agenten, der einst unter “fremder Flagge” unterwegs war.

Den Anlass zu solchen Wortspielen gab mir Leser und Sammlerkollege Jörg Pielmann mit einer Aufnahme aus seinem Fundus – die eine großartige Wirkung entfaltet, aber nicht auf den ersten Blick erkennen lässt, was darauf zu erkennen ist:

Auburn von 1929/30; Originalfoto aus Sammlung Jörg Pielmann

Sieht dieses mächtige Cabriolet mit seinem an den Kuhfänger einer Dampflokomotive erinnernden Kühler nicht phantastisch aus?

Das muss sich einst auch der Besitzer des Wagens gedacht haben, lenkt dieser Showeffekt doch erfolgreich von einigen anderen Details ab.

Jörg Pielmann wusste zwar, dass er mit diesem geheimnisvollen Fahrzeug etwas Besonderes dingfest gemacht hatte, doch die wahre Identität des Wagens blieb zunächst mysteriös.

Ich muss sagen, dass ich auch eine Weile gebannt war von der expressiven Kühlerpartie, die mich an einen französischen oder tschechischen Exoten der 1930er Jahre denken ließ.

Doch bald setzte sich die nüchterne Betrachtungsweise wieder durch und ich begann, wie ein Ermittler bei der Spurensuche nach Details Ausschau zu halten, die Aufschluss darüber geben könnten, was hier möglicherweise kaschiert werden sollte.

Mir fielen die auf vier Gruppen verteilten schrägstehenden Luftschlitze in der Motorhaube auf, außerdem eine eigenartig über dieselbe laufende dunkle Zierleiste.

Ich ging ich die Kartei mit alten Bekannten aus einigen Jahren “Ermittlungstätigkeit” durch, denn ich erinnerte mich, etwas Ähnliches schon einmal gesehen zu haben.

Dieser “schwere Junge” war mir tatsächlich bereits begegnet – es handelt sich um einen aus Auburn im US-Bundesstaat Indiana stammenden Agenten der amerikanischen Automobilindustrie, der Ende der 1920er Jahre zusammen mit etlichen Kameraden erfolgreich den Markt für Oberklassewagen hierzulande unterwanderte.

Erstmals aufgefallen war mir dieses Individuum, als es zufällig mit einem anderen ebenfalls aus den Staaten stammenden Vertreter seiner Art aufgenommen wurde:

Auburn und Nash Advanced 6 von 1929; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Link ist er schon einmal aufgetreten der Delinquent, hier allerdings noch mit etwas anderem Erscheinungsbild. Die schräg über die Motorhaube laufende Zierleiste verrät ihn aber.

Außerdem ist der Kühlerumriss ganz ähnlich dem auf dem ersten Foto. Doch wurde dort die eigentliche Identität geschickt “under cover” verborgen – und zwar mit einem dem eigentlichen Kühler vorgeblendeten Steinschlagschutz.

Hinter diesem ahnt man die wahren Gegebenheiten wie die markante “Nase”, auf welcher die Markenplakette angebracht war, außerdem ganz unten die runde Abdeckung der Öffnung für die (nur in Notfällen zu verwendende) Anlasserkurbel:

Hier war offenbar ein Auburn aus der gleichnamigen Stadt in Indiana auf einer “under cover”-Operation unterwegs. Doch konnten wir ihn enttarnen, obwohl er zusätzlich unter “falscher Flagge” fuhr.

Denn selbige (auf dem Kühler montierte) weist zwar einige “Stripes” auf, die in den Staaten üblichen 50 “Stars” beschränken sich hier aber auf einen.

In Verbindung mit dem tschechischen Kennzeichen hatte sich dieser Auburn also eine komplett neue Identität zugelegt und versucht mit allerlei weiterem Lametta den Betrachter auf die falsche Fährte zu locken.

Uns ist es aber gelungen, die wahre Täterschaft zu ermitteln und legen zur Unterstützung der Beweisführung die Aufnahme eines weiteren Auburn von anno 1929/30 vor, welche nahelegt, dass es sich um Mitglieder derselben Bande handelt.

Freilich wurde auch hier versucht, von den wahren Verhältnissen abzulenken, indem man sich diesmal einen geschlossenen Aufbau zulegte, welcher den Wagen unauffälliger wirken lässt als das mondän daherkommende Cabriolet mit seinem charaktervollen Kühlergesicht:

Auburn Limousine von 1929/30; Originalfoto aus Sammlung Jörg Pielmann

Selbst die Stoßstange ist hier anders gestaltet, quasi umgekehrt, außerdem hatte man dem Wagen diesmal eine deutsche Zulassung verschafft, wie es scheint. Auch der Fahrer wirkt wie ein einheimischer Biedermann – hier würde man doch keinen Agenten vermuten.

In wessen Auftrag aber der Auburn auf der ersten Aufnahme einst unterwegs gewesen war, das können vielleicht Sie, liebe Leser, herausfinden.

Ich will es bei Angaben zur Motorisierung dieser Wagen belassen: Ab 1929 war der Auburn mit Sechs- bzw. Achtzylindermotoren bestückt, die zwischen 80 und 120 PS leisteten. Damit – und vor allem preislich – bewegte man sich in den Staaten in der oberen Mittelklasse.

In Europa war so ein Auburn dagegen ein Premiumautomobil, das man nur selten zu sehen bekam – so wird sich schon damals mancher Betrachter gefragt haben, was das für ein Fahrzeug ist.

Auf einen “under cover” und unter “falscher Flagge” fahrenden Auburn aus Indiana wird kaum einer gekommen sein…

“Schaut einmal, was ich heute beim Spazierengehen vor dem Außenministerium fotografiert habe – was ist das wohl für ein Automobil” – So mag einst jemand Familie oder Freunde mit dieser Aufnahme konfrontiert haben.

Achselzucken dürfte die Antwort gewesen sein. “Bestimmt einer dieser Amerikanerwagen auf geheimer Mission, die mischen doch überall mit”, so könnte eine verschwörerische Vermutung gelautet haben.

Die Tarnkappe lüften und den Fall klären können wir indessen erst nach über 90 Jahren – so lange herrschte strikte Geheimhaltung…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.