Wer A sagt, muss auch B sagen: Audi 10/28 PS von 1912

Woran erkennt man eigentlich einen frühen Vorkriegswagen der Marke Audi? Dieser scheinbar einfachen Frage gehen wir heute nach – wie gewohnt anhand bisher unpublizierter Originalfotos.

Um die Antwort vorwegzunehmen und zugleich maximale Verwirrung zu stiften – ein früher Vorkriegs-Audi ist vor allem daran zu erkennen, dass gut leserlich der Schriftzug “Audi” vorn auf dem Kühler prangt.

Moment, werden jetzt alle diejenigen rufen, die sich unter einem Vorkriegs-Audi einen Wagen vorstellen, der wie heute vier ineinandergreifende Ringe trägt, z.B. dieser hier:

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DKW “Reichsklasse”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

So naheliegend es auch vielen erscheint, hier einen frühen Audi zu vermuten, bleibt es dabei: Die vier Ringe waren vor dem Krieg nie ein typisches Merkmal eines Audi – sie verwiesen schlicht auf den übergeordneten AUTO-UNION-Verbund.

Dazu gehörten neben Audi die ebenfalls sächsischen Marken DKW, Horch und Wanderer. Deshalb findet man die vier Ringe stets in Kombination mit dem Emblem der jeweiligen Konzernmarke – im vorliegenden Fall DKW:

DKW_Reichsklasse_Standesamt_Reserverad

Das typische DKW-Logo ist über den “Auto-Union”-Ringen recht gut zu erkennen.

Interessant ist bei diesem Ausschnitt der Hinweis auf dem Reserverradbezug, dass es sich um die Basisvariante “Reichsklasse” eines der frontgetriebenen Zweizylinder-Zweitakter handelt, die in den 1930er Jahren enorm populär waren.

Offenbar wurde die “Reichsklasse” nicht als minderwertig gegenüber der besser ausgestatteten Version “Meisterklasse” empfunden. Kann jemand sagen, was unterhalb des Schriftzugs Reichsklasse zu sehen ist – eventuell der Aufkleber oder Aufdruck eines Autohauses?

Zurück zum Thema: Auch der folgende Wagen ist kein Audi, obwohl zumindest eine gewisse “Verwandschaft” besteht:

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Horch 830; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier verraten das gekrönte “H” und die Kühlerfigur in Form einer geflügelten Weltkugel, dass wir einen Horch vor uns haben, und zwar einen vom Typ 830.

Damit kommen wir Audi schon etwas näher, denn August Horch hatte nach seinem Weggang aus dem nach ihm genannten Unternehmen im Jahr 1910 unter der lateinischen Bezeichnung “Audi!” (“Horch!”) eine neue Firma gegründet.

Der Vollständigkeit halber sei hier ein weiterer Audi-Kandidat gezeigt, der trotz vier Ringen bzw. gerade deshalb ebenfalls keine Chancen hat:

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Wanderer W24; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme zeigt einen Wagen der vierten Marke der Auto-Union, Wanderer. Bei näherem Hinsehen ahnt man ein geflügeltes “W” auf der Spitze der Motorhaube, das auf den Hersteller hinweist.

Ja, woran könnte man dann einen Audi der Zwischenkriegszeit erkennen? Könnte es eine stilisierte “1” gewesen sein? Immerhin ist “A” der erste Name im Alphabet und “Audi” kam so gesehen der erste Rang im Auto-Union-Verbund zu.

Tatsächlich hat es genau so etwas gegeben:

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Audi Typ 225 Luxus; Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Damit sind wir zwar etwas weiter, aber beileibe noch nicht am Ziel.

Tatsächlich verwendete man bei Audi die “Eins” als Kühlerfigur bereits ab 1923 – also lange bevor die Firma Teil des Auto-Union-Verbunds wurde. Doch war eingangs nicht von frühen Vorkriegs-Audis die Rede?

Genau – Freunde der sächsischen (!) Marke denken bei Vorkriegs-Audis nämlich nicht nur an Gefährte der Zwischenkriegszeit, sondern auch an vor dem 1. Weltkrieg entstandene Autos.

Und da stellten sich die Dinge völlig anders da, nämlich so:

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Audi Typ B 10/28 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das war nun ein ziemlicher Umweg bis zum Audi Typ B 10/28 PS, der im Titel des heutigen Blogeintrags angekündigt wurde.

Nebenbei wird so deutlich, wie verschlungen die Wege waren, auf denen der Markenname Audi und das vertraute Emblem bis in die Gegenwart gelangt sind.

Tatsächlich ist es alles andere als einfach, einen der ganz frühen Audis zu erkennen, wenn man kein Markenspezialist ist. So verstrich einige Zeit vom Erwerb dieses schönen Fotos bis zur Identifikation von Marke und Typ.

Dabei erscheint der Fall auf den ersten Blick ganz einfach: Sind von der Kühlerpartie nicht genügend Details zu erkennen, kann man dort nicht den Markennamen lesen?

Nein, lautet die Antwort, kann man leider nicht:

Audi_Typ_B_Tourenwagen_vor_1914_Frontpartie

Dummerweise hat unser Fotograf vor über 100 Jahren den Schärfenbereich des Kameraobjektivs zu knapp bemessen bzw. die Entfernung falsch eingeschätzt.

So sind nur die fein dekorierten Holzfenster im Hintergrund scharf abgebildet – nebenbei Exemplare im späten Jugendstil, die von einem untergegangenen Sinn für handwerkliche Qualität und formale Gestaltung künden.

Immerhin kam dem Verfasser nach einigen Recherchen – besser: ziellosem Durchblättern von Automobilliteratur – der Gedanke, dass dies ein Audi aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg sein könnte.

Darauf brachte ihn die Abbildung eines Audi Typ “A” von 1910-12 im Standardwerk “Audi-Automobile 1909-1940” von Kirchberg/Hornung. Dort fand sich ein Wagen mit ganz ähnlicher Kühlerpartie.

Zwar fehlte Audis Erstling vom Typ A in dem Buch noch der stufenlose Übergang von der Motorhaube über den Windlauf zur Frontscheibe. Doch wer “A” sagt, muss auch “B” sagen, so das Sprichwort.

Schon Ende 1911 ließ Audi auf den Typ “A” den ähnlichen, aber auf 28 PS erstarkten Typ B erscheinen, außerdem die noch leistungsfähigeren Typen C und D.

Von diesen Wagen gibt es in der Literatur nur wenige historische Originalfotos. Der Audi Typ B ist in besagter Publikation in einem Exemplar von 1916 dokumentiert, das sogar noch existiert.

Dessen Frontpartie sieht aber eher wie diese hier aus:

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Audi Typ C, Baujahr: 1919; Bildrechte: Michael Schlenger

Bei diesem auf Schloss Dyck anlässlich der Classic Days 2017 präsentierten Audi Typ C von 1919 ragt die ovale Plakette mit dem diagonal verlaufenden “Audi”-Schriftzug in das Kühlernetz hinein, auch wirkt der Kühler hier höher als auf dem Foto.

Dennoch hilft uns diese Aufnahme bei der Eingrenzung des Wagentyps auf dem historischen Foto. Denn Audis der unmittelbaren Vorkriegszeit, also 1913/14, besaßen dasselbe Markenemblem wie der auf Schloss Dyck gezeigte Wagen, nur ragte es noch nicht in das Kühlernetz hinein:

Audi_Typ_B_Tourenwagen_vor_1914_Frontpartie2

Man sieht die Ähnlichkeit des schön gewölbten oberen Kühlerabschlusses und man kann auch erkennen, dass die ovale Markenplakette einen schräg nach oben verlaufenden Schriftzug aufweist.

Auch die vier nach hinten versetzten niedrigen Luftschlitze in der Motorhaube weisen auf einen Audi jener Zeit hin.

Der recht niedrige Kühler lässt vermuten, dass wir es mit dem kleinen Typ B zu tun haben. Denn bei den Schwestermodellen C, D und E (mit 35, 45 bzw. 55 PS) baute der Motor bei identischer Grundkonstruktion deutlich höher.

Gut nachvollziehen lassen sich die Größenunterschiede anhand einer im erwähnten Audi-Standardwerk auf S. 25 wiedergegebenen Abbildung der vier Aggregate, die Audi 1914 im Programm hatte.

Nachfolgende Aufnahme zeigt das typische Erscheinungsbild der Audi-Motoren der Typen B bis E mit den paarweise zusammengegossenen Zylindern:

Audi_Typ_C_ClassicDays_2017_Motor

Motor eines Audi Typ C von 1919; Bildrechte: Michael Schlenger

Die 28 PS des im Audi Typ B verbauten Motors mit 2,6 Liter Hubraum waren für die 1,2 Tonnen wiegende Tourenwagenversion ausreichend. Rund 70-80 km/h Höchstgeschwindigkeit waren damit erzielbar.

Die meisten Käufer der rund 350 bis 1917 gebauten Exemplare dürften eine eher gemächliche Gangart geschätzt haben. Auch die Insassen des Audis auf unserem Foto machen nicht den Eindruck, dass sie es sonderlich eilig hatten:

Audi_Typ_B_Tourenwagen_vor_1914_Insassen

Das waren Leute des gehobenen Bürgertums, die in der Lage waren, rund 10.000 Goldmark für einen solchen Manufakturwagen auf den Tisch zu legen.

Die aufpreispflichtigen Scheinwerfer scheinen sie sich aber verkniffen zu haben. Offenbar durfte man damals  bei Tage auch so herumfahren – eine aus heutiger Sicht sympathisch wirkende unbürokratische Regelung.

Übrigens können wir nicht ganz ausschließen, dass wir hier sogar eine rare Aufnahme des Vorgängertyps A 10/22 PS vor uns haben, von dem zwischen 1910-12 nur 137 Stück entstanden.

Ein Blick unter die Haube ist uns leider verwehrt – aber vielleicht kann ein Spezialist für ganz frühe Audis ja weiterhelfen.

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

 

 

 

 

 

https://klassiker-runde-wetterau.com/2017/05/30/downsizing-im-jahr-1914-audi-typ-g-822-ps/

1926: An die Ostsee und zurück im Dixi 6/24 PS Tourer

Zu den schönen Seiten des Bloggens in Sachen Vorkriegsautos gehören die Reaktionen Gleichgesinnter, denen man außer im Netz vermutlich nicht ohne weiteres begegnet wäre.

Da gibt es immer wieder wertvolle ergänzende oder korrigierende Hinweise, einige Leser steuern auch etwas aus der eigenen Fotokiste bei, was anderen ebenfalls Freude macht und manchmal erstaunliche Folgen zeitigt (Beispiel).

Heute geht es wieder einmal um die altehrwürdige Marke, die einst in Eisenach unterhalb der Wartburg beachtliche Autos baute – Dixi. Dabei ist es weniger der Wagentyp, der uns bewegt – wir sind dem 6/24 PS-Modell schon wiederholt begegnet – sondern die Situation, in der er einst fotografiert wurde.

Denn so unscheinbar der Moment wirkt, in dem das Auto nebst Insassen festgehalten wurde, so viel verrät er über die Bedingungen, unter denen diese heute so unvollkommen erscheinenden Autos im Alltag genutzt wurden.

Der Aspekt, dass die Wagen der Vorkriegszeit einst jahraus, jahrein eine sonst unerreichbare individuelle Mobilität ermöglichten, wurde dem Verfasser jüngst beim Bericht eines niederländischen Ford “T”-Besitzers wieder bewusst, der im August 2017 zu einem Veteranentreffen in Motala/Schweden aufbrach.

Bei einer einfachen Wegstrecke von 1.200 km war sich der Fahrer der “Tin Lizzie” sicher, den Pokal für die weiteste Anfahrt einheimsen zu können. Doch weit gefehlt – den Vogel schoss ein Paar ab, das mit einem offenen AGA anreiste – und zwar aus München

Was soll uns diese kleine Geschichte mitteilen, die jüngst im Leib- und Magenblatt des Verfassers, “The Automobile” (Heft Oktober 2017, S. 10), zu lesen war? Nun, so banal die Botschaft klingt – diese Autos wurden genau für solche Aktionen gemacht!

Hunderte Kilometer auf unasphaltierten Landstraßen abspulen, ohne Heizung, aber dafür begleitet vom Duft von Wiesen und Wäldern, Vogelgezwitscher und vielleicht einer Reifenpanne, davon erzählt dieses alte Foto, wenn man sich darauf einlässt:

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Dixi 6/24 PS (Typ G2); Originalfoto aus Sammlung Helmut Kasimirowicz

Diese schöne Aufnahme und noch eine weitere desselben Autos hat Dixi-Spezialist Helmut Kasimirowicz beigesteuert.

Der Wagentyp lässt sich eindeutig identifizieren, auch das Baujahr ist genau bestimmbar, dazu später. Es handelt sich auf jeden Fall schon einmal um einen Dixi des ab 1923 gebauten Typs G2.

Der konventionelle, d.h. seitengesteuerte Vierzylinder leistete maximal 24 PS, was ein Spitzentempo von 75 km/h ermöglichte. Was heute bescheiden klingt, war einst vollkommen bedarfsgerecht, wie wir noch sehen werden.

Gut zu erkennen ist auf dieser Aufnahme die nach dem 1. Weltkrieg eingeführte Kühlerfigur eines Kentauren, auch wenn dieser hier wie ein Steinbock wirkt:

Dixi_Grömitz_nach_Hildesheim_1928_Kasimirowicz_Frontpartie.jpg

Das Fabelwesen aus halb Mensch, halb Pferd findet man nicht auf allen Dixi-Wagen jener Zeit. Möglicherweise gefiel die Figur nicht jedem Besitzer oder sie gefiel öfters irgendwelchen Nicht-Besitzern…

Festzuhalten sind außerdem die schrägen Luftschlitze in der Haube – zwölf an der Zahl – und die serienmäßigen Drahtspeichenräder mit Zentralverschluss nach Rudge-Patent, bei deutschen Autos die Ausnahme.

Die vorderen Trommelbremsen waren beim Dixi 6/24 PS erst ab 1925 verfügbar, damit können wir das Baujahr auf 1925-28 einengen. Es geht aber noch genauer.

Denn auf der Rückseite des Abzugs ist das Entstehungsjahr des Fotos von alter Hand ein Sütterlin-Schrift vermerkt: 1926. Und dort ist außerdem vermerkt: “Fahrt von Grömitz nach Hildesheim – Vati, Mama und ich”.

Damit wird die Situation irgendwo auf einer Pflasterstraße an einem hochsommerlichen Feld lebendig. Denn vom Seebad Grömitz an der Ostsee bis ins niedersächsische Hildesheim sind es auf Landstraßen rund 300 km Fahrt.

Auf der Autobahn ist die Strecke heute in unter drei Stunden zu absolvieren. Doch für die Landstraßenroute gibt “Google Maps” bis zu fünf Stunden Fahrt an. Damit wären wir einem Durchschnittstempo von nur 60 km/h.

Demnach braucht der Reisende, der sich für die gemütlichere Landpartie entscheidet, heute ebenfalls keine 80 oder 100 Pferdestärken. Mit 25 bis 30 PS käme man wohl kaum langsamer am Ziel.

Einen halben Tag dafür veranschlagen muss man ohnehin. Wirft man dann noch einen Blick auf das Kopfsteinpflaster, wird vollends klar: Vor dem Bau der Autobahnen brauchte niemand auf dem flachen Land mehr Leistung.

Anders sah das aus, wenn man sein Auto für Reisen in gebirgigem Gelände einsetzen wollte. Für diesen Bedarf wurden bereits früh eindrucksvoll motorisierte Wagen konstruiert. Auch Dixi hatte schon vor dem 1. Weltkrieg den bis zu 60 PS starken Hubraumriesen U 35 im Programm, der auf über 100 km/h kam.

Doch im beschaulichen Niedersachsen konnte man Mitte der 1920er Jahre auch mit dem Dixi 6/24 PS mühelos reisen.

Stückzahlen sind nicht überliefert, doch die recht häufigen Aufnahmen dieses Typs lassen vermuten, dass einige hundert Exemplare verkauft wurden.

“Unser” Dixi 6/24 PS – bzw. der von Helmut Kasimirowicz “gespendete” Wagen – wurde auch zu Ausflügen ins nähere Umland genutzt. Folgender Schnappschuss zeigt das Auto laut Beschriftung 1928 im “Hildesheimer Wald”.

Dixi_Hildesheimer_Wald_1926_Kasimirowicz

Dixi 6/24 PS (Typ G2); Originalfoto aus Sammlung Helmut Kasimirowicz

Ungewöhnlich ist diese gelungene Aufnahme, weil sie den Dixi 6/24 PS Tourer mit geschlossenem Verdeck und montierten Seitenscheiben zeigt.

Nebenbei fällt auf, wie aufwendig, dauerhaft und individuell die Kleidung unserer Fotomodelle wirkt. Sollten unsere Altvorderen tatsächlich damit Wind und Wetter getrotzt haben, ohne sich nach formlosen (aber mit Marke versehenen) Plastikumhängen billigster Machart zu sehnen? Nun, jede Zeit hat ihre Plagen…

Die Bäume im Hintergrund deuten ebenfalls auf eine Situation in der kühlen Jahreszeit hin – doch das war einst kein Grund, von einer Ausfahrt abzusehen. Wie gesagt: diese Autos wurden für den Alltagseinsatz gebaut und konnten dank ihrer stabilen Leiterrahmen und großen Bodenfreiheit einiges wegstecken.

Kein Wunder, dass auch heute noch gusseiserne Enthusiasten solche Zeugen der Vergangenheit nicht zum Daueraufenthalt in einer klimatisierten Halle verdammen, sondern sie beherzt “rannehmen”.

Gerade im Flächenstaat Schweden mit weiten unwegsamen Gebieten haben sich viele der zähen Autos der Zwischenkriegszeit erhalten, meistens amerikanische Großserienmodelle von Buick, Chevrolet, Dodge oder Ford, die bei erstaunlich zivilen Preise noch heute eine gute Ersatzteillage bieten.

Hier eine Auswahl solcher Veteranen bei der eingangs erwähnten Veranstaltung (ab 4:30 min kommt übrigens Bewegung in die Sache):

© Videoquelle: YouTube; Urheberrechte: hva118

Eine Sache noch: Der erwähnte AGA Tourenwagen aus München ist ab 6:28 min zu sehen. Von diesen bedeutenden Autos aus Berliner Produktion harren etliche Originalfotos im Fundus der Veröffentlichung – nur Geduld!

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

Charakterstark: Austro-Daimler “ADM” Tourer

Aus schwer erklärlichen Gründen sind die Spitzenprodukte österreichischer Autohersteller der Vorkriegszeit in Deutschland kaum bekannt.

Gerade die hiesige Presse, die keine Gelegenheit auslässt, Großserienwagen der Firma Porsche als “smartes Investment” anzupreisen, sollte imstande sein, zur Abwechslung öfters auch die Geniestreiche des namengebenden Professors aus der Vorkriegszeit zu würdigen.

Nein, die Rede ist nicht vom Volkswagen, dessen Konzept in den 1930er Jahren ohnehin in der Luft lag und zu dem etliche Konstrukteure beitrugen.

Dem Kenner fällt vielmehr eine bedeutende österreichische Marke ein, die dem Einfluss von Prof. Porsche mit ihre besten Konstruktionen zu verdanken hatte. Die Rede ist von Austro-Daimler aus Wien.

Der letzte Austro-Daimler, der noch von Impulsen von Porsche vor seinem Wechsel zu Mercedes profitierte, war der 1923 vorgestellte 6-Zylindertyp ADM. Mit ihm haben wir uns in diesem Blog bereits zweimal befasst.

Der erste Blogeintrag zum Austro-Daimler zeigt einen ADM bei einem winterlichen Ausflug in den Bergen. Im zweiten begegnen wir demselben Wagen auf einer Ausfahrt im Frühjahr.

Von diesen Wagen mit ihrem feinen Sechszylindermotor, der nebenbei in Rennversionen enorme Leistungen entfaltete, kann man nicht genug bekommen.

Passend zur Jahreszeit, in der die Tage kürzer werden, schauen wir uns heute einen weiteren Austro-Daimler ADM auf einem Originalfoto an, das an den Sommer erinnert, der 2017 zeitweise aber eher wie ein vorgezogener Herbst daherkam:

Austro-Daimler_ADM_Tourer_Galerie

Austro-Daimler Typ “ADM” Tourer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auf dieser über 90 Jahre alten Aufnahme hat sich eine wunderbar warme Stimmung erhalten – mit den langen Schatten, die nicht enden wollende Sommerabende so magisch machen – wenn es nicht gerade kühl und regnerisch ist.

Der Abzug hat über die Jahrzehnte etwas gelitten, aber man erkennt, dass der Fotograf in dieser nicht einfachen Belichtungssituation alles richtig gemacht hat. Die letzten Sonnenstrahlen lassen die Chromteile des Wagens aufleuchten und setzen Glanzlichter auf Kleidung und Gesichter der Menschen, die mitabgelichtet wurden.

Zur Identifikation des Wagens muss man nicht viele Worte verlieren, einen Austro-Daimler der 1920er Jahren erkennt man an der markant geschnittenen Kühlermaske und dem Schriftzug unterhalb des Kühlwasserstutzens:

Austro-Daimler_ADM_Tourer_Frontpartie

Der Markenname ist hier kaum lesbar, aber alle übrigen Details – vom Teddybären einmal abgesehen – passen zu einem Austro-Daimler des bis 1928 nur in einigen  hundert Exemplaren gebauten Typs ADM.

Vom optisch ähnlichen, aber technisch weitgehend neuentwickelten Nachfolgertyp ADR lässt sich der ADM aus dieser Perspektive unter anderem durch die Positionierung der Reibungsstoßdämpfer an der Vorderachse unterscheiden.

Die Kennung “II B” auf dem Nummernschild steht übrigens für den Zulassungsbezirk Oberbayern. Die fortlaufende Nummer “1199” verrät einiges über die damalige Auto”dichte” in dieser ländlichen Region.

Mit solch einem österreichischen Luxusprodukt fiel man damals erst recht auf und möglicherweise hat sich hier ein örtlicher Charakterkopf vor dieser raren Erscheinung fotografieren lassen:

Austro-Daimler_ADM_Tourer_Insassen

Der selbstbewusst dreinschauende und braungebrannte Bursche wirkt jedenfalls nicht wie der typische Besitzer eines Austro-Daimler, der seinen Wohlstand sicher keiner Tätigkeit unter freiem Himmel zu verdanken hatte.

Insofern bleibt die Aufnahme gemeinsam mit den fünf eher städtisch wirkenden weiblichen Insassen im Austro-Daimler rätselhaft.

Dem Verfasser gefällt diese Aufnahme gerade wegen dieses Kontrastes aus einer jahrhundertealten regionalen Tradition, wie sie in Bayern vor dem Krieg noch lebendiger war als heute und dem Boten aus der großen weiten Welt, der aber ebenfalls alles andere als das austauschbare Produkt einer Massenkultur war.

So wie einem gestandenen Mannsbild die Aufmerksamkeit der Mitmenschen sicher ist, wenn er – abseits des Oktoberfests und im passenden ländlichen Umfeld – die “Krachlederne” und wollene Kniestrümpfe über strammen Waden präsentiert, so macht auch ein “Porsche” aus dem Hause Austro-Daimler heute noch Eindruck.

Überzeugende Exemplare beider Kategorien dürften heute aber Raritäten sein…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

Amerikaner in Hessen: DeSoto “Eight” von 1930

Amis in Hessen  – da denkt der eingeborene oder auch vor längerem zugereiste Landsmann zuerst an Soldaten der US-Besatzungsmacht, die über 50 Jahre lang in Orten wie Hanau, Friedberg oder Butzbach präsent waren.

Nebenbei: Die Standorte der US-Kasernen in Hessen fielen in den meisten Fällen mit einstigen römischen Militärstützpunkten zusammen – die strategische Bedeutung eines Orts bleibt oft über Jahrtausende dieselbe.

Die US-Militärs sind längst wieder aus Hessen abgezogen. Doch in Straßennamen und neu besiedelten “Housing Areas” sind sie nach wie vor präsent – so wie heute etliche Verkehrsverbindungen in der Region noch römischen Straßen folgen.

Der Heimatort des Verfassers – Bad Nauheim – ist ein Beispiel dafür, dass die US-Soldaten in der Wetterau unvergessen sind, zumindest einer davon: Elvis Presley, der seinen Wehrdienst einst in Friedberg ableistete und in der benachbarten Kurstadt Bad Nauheim residierte, und zwar hier.

Genug davon, dieser Oldtimerblog befasst sich ja mit Vorkriegsautomobilen. Davon waren aber einst etliche hierzulande ebenfalls amerikanischer Herkunft, z.B. dieser:

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DeSoto “Eight”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das ist ein Foto von beachtlicher Qualität. Hier stimmen nicht nur die technischen Dimensionen wie Belichtung, Tiefenschärfe und Kontrast.

Es ist zugleich eine Aufnahme, die zum Nachdenken anregt. Das geringere Problem stellt das eindrucksvolle Automobil dar, eine Sechsfensterlimousine der 1929 gegründeten Chrysler-Tochter “DeSoto”.

Zwei Fragen wirft dieses Foto auf: Wann genau entstand dieses Modell und – weit schwieriger – worin liest der auf dem Trittbrett sitzende Chauffeur?

DeSoto_CF_8_1934_Frontpartie

Der Schriftzug auf dem Kühlergrill verrät, dass wir es mit einem der 1930 erstmals vorgestellten 8-Zylindertypen der Marke zu tun haben. 70 PS leistete der konventionelle Reihenmotor bei 3.400 Umdrehungen pro Minute.

Der DeSoto “Eight” galt damals als billigster Achtzylinderwagen in den USA. Rund 20.000 Exemplare wurden davon 1930/31 produziert, knapp die Hälfte entfiel auf die Limousine, die wir auf unserem Foto sehen.

Ein umwerfender Erfolg war der DeSoto “Eight” nach US-Maßstäben nicht, doch am europäischen Markt bot das Modell die Möglichkeit, sich mit dem repräsentativ wirkenden und gut ausgestatteten Wagen abzuheben.

Details wie Drahtspeichenräder und hydraulische Stoßdämpfer ließen erkennen, dass man es mit einem hochwertigen Automobil zu tun hatte.

Wieviel davon wohl einst nach Deutschland gelangten? Mehr als einige Dutzend werden es kaum gewesen sein. Man begegnet auf historischen Fotos nur äußerst selten einem Vorkriegs-DeSoto mit deutscher Zulassung. 

Unklar ist wie gesagt auch, in welche Lektüre der auf dem Trittbrett sitzende junge Mann vertieft ist:

DeSoto_CF_8_1934_Seitenpartie

Das Betriebshandbuch des Wagens wird es wohl kaum gewesen sein. Denn den DeSoto wird unser “Trittbrettfahrer” wie aus seiner Westentasche gekannt haben, wenn man das stark abgefahrene Ersatzrad als Indikator dafür nimmt.

Dass wir es bei dem stattlichen Burschen mit dem Chauffeur zu tun haben, lässt die zweireihige Uniform vermuten – vermutlich waren die gutsituierten Eigner des Autos schon ältere Leute und nicht im Besitz eines Führerscheins.

Über die Aufnahmesituation wissen wir nur, dass das Foto 1934 entstand. Das Nummernschild mit der Kombination aus der römischen Ziffer “I” und dem Buchstaben “T” weist auf eine Zulassung in der Provinz Hessen-Nassau hin.

Wie so oft bei Fotos mit “Amerikaner”-Wagen, die vor dem Krieg in Deutschland liefen, fragt man sich: “Wo sind sie geblieben?”

Natürlich gibt es Kenner hierzulande, die die Qualitäten der US-Großserienautos der späten 1920er und frühen 1930er Jahre auch heute zu schätzen wissen.

Diese Wagen sind nicht ganz billig, ihre Preise sind aber weit entfernt von den Summen, die für massenhaft gebaute Nachkriegsautos aufgerufen und bezahlt werden.

Wer heute in Deutschland einen “Big Six” oder “Eight” aus einstiger US-Produktion fährt, hat das Auto meist aus den Vereinigten Staaten importiert, mitunter auch aus der Schweiz oder Schweden, wo sie zahlreich vertreten waren.

Doch gibt es heute noch überlebende US-Autos jener Epoche, die einst für den deutschen Markt produziert oder gar sogar hier gefertigt wurden?

Über entsprechende Hinweise würde sich der Verfasser freuen. Eine gut dokumentierte Historie und aussagefähige Bilder vorausgesetzt könnte man auch einen eigenen Blogeintrag daraus machen.

Es muss auch nicht unbedingt ein Amerikaner aus Hessen sein…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

 

Fund des Monats: “Piccolo” Voiturette von 1905

Heute dürfen sich die Freunde von Veteranen-Automobilen besonders freuen, denn dem Verfasser ist ein Originalfoto ins Netz gegangen, das eine Rarität aus der Pionierzeit darstellt.

Dabei war das abgebildete Auto selbst einst ein ausgesprochener Erfolg und seine Entstehungsgeschichte ist in der Literatur gut dokumentiert. Nur historische Aufnahmen sind nahezu unauffindbar – aber das ändert sich zum Glück hiermit:

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Apollo “Piccolo”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser über 110 Jahre alte Abzug mag auf den unbefangenen Betrachter erst einmal wenig eindrucksvoll wirken.

Der einstige Fotograf hatte sehr wahrscheinlich bis dato nur wenig Gelegenheit, sich einem automobilen Motiv zu nähern – entsprechend uninspiriert wirkt die Situation.

Hinzu kommen einige Beschädigungen des Abzugs, die sich nur teilweise retuschieren ließen – dennoch wird man im Folgenden das Auto ohne größere Beeinträchtigungen studieren können.

Die Zahl der Leser, die dieses Gefährt auf Anhieb identifizieren können, dürfte überschaubar sein. Auch der Verfasser hatte zunächst keine Ahnung, was ihm da vor die Flinte gelaufen war. Die mit Autoliteratur aus den letzten 50 Jahren bestückte Bibliothek half aber am Ende weiter.

Machen wir es kurz: Das ist ein “Piccolo” 5 PS-Modell der Firma Ruppe & Sohn aus dem thüringischen Apolda – später firmierte man unter dem wohlklingenden Namen “Apollo” – der Einfachheit bleiben wir im Folgenden dabei.

Nachdem man sich 1902/03 im Bau eines Motorrads versucht hatte, stellte man schon Ende 1904 einen komplett selbstkonstruierten Wagen vor. Die Produktion des Modells lief 1905 an.

Dieser Apollo “Piccolo” sollte auf Anhieb ein Erfolg werden, obwohl oder gerade vielleicht weil man dabei ein eigenständiges Konzept verfolgte.

Über der Vorderachse des Vehikels war ein luftgekühlter V2-Zylindermotor angebracht, der zusätzliche Kühlung durch einen davor montierten Ventilator erhielt. Der Antrieb der Hinterräder erfolgte mittels Kardanwelle – zu einer Zeit, als viele andere Hersteller noch Kettenantrieb bevorzugten.

Das 5 PS leistende Aggregat mit 700ccm Hubraum ermöglichte dem leichten Wagen ein Spitzentempo von 50 km/h. In Verbindung mit einem günstigen Preis vermochte der “Piccolo” den damals als “Voiturette” bezeichnenden Kleinwagen ausländischer Provenienz Paroli zu bieten.

Schon 1906 entstand der tausendste “Piccolo” – in der Pionierära ein enormer Erfolg – die Qualitäten des robusten Wagens sprachen sich offenbar rasch herum.

Damit die Zuschreibung des Autos auf unserem historischen Abzug nachvollziehbar ist, hier eine ältere Abbildung eines “Piccolo” 5 bzw. 6 PS von 1906, die aus der verkehrsgeschichtlichen Sammlung in Dresden stammt:

Apollo_Piccolo_5-6_PS_1906_Galerie_seitenverkehrt

Apollo “Piccolo” 5 bzw. 6 PS Voiturette; Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Zu beachten ist, dass diese Abbildung seitenverkehrt ist, um den Vergleich mit dem Originalfoto zu erleichtern – deshalb befinden sich Lenksäule und Bremshebel in Fahrtrichtung links statt rechts.

Exkurs: Wieso waren eigentlich die frühen Automobile rechtsgelenkt – und das nicht nur in Großbritannien?

  • Nun, vor der Erfindung des pferdelosen Wagens saß der Kutscher rechts, weil er so besser die Peitsche schwingen konnte. Die meisten Menschen sind bekanntlich Rechtshänder.
  • Bei frühen Autos lagen Schalt- und Handbremshebel noch außerhalb des Aufbaus. Um sie bedienen zu können, waren sie ebenfalls in Fahrtrichtung rechts montiert – damit war zugleich die Sitzposition des Fahrers festgelegt.

Zurück zum Thema: Hier sehen wir in der Ausschnittsvergrößerung den V2-Motor des “Piccolo” mit dem davor sitzenden Lüfter:

Apollo_Piccolo_5-6_PS_1906_Galerie_seitenverkehrt_Frontpartie

Gut zu erkennen ist außerdem der schwungvolle vordere Abschluss der “Karosserie” mit der “vis-a-vis” angebrachten Passagiersitzbank.

Die Aussagen in der Literatur, wonach der Wagen “höchstens” zwei Personen Platz bot, treffen wohl nur auf die erste Ausführung von 1904 zu.

Auch auf unserer Originalaufnahme sieht man zumindest einen dritten Platz – der wie ein Kinder- oder Notsitz wirkt:

Apollo_Piccolo_5_PS_von_1905_Frontpartie

Die Übereinstimmungen in den technischen Details und in der formalen Gestaltung erlauben den Schluss, dass wir hier eine der ganz seltenen zeitgenössischen Originalaufnahmen eines Apollo “Piccolo” vor uns haben.

Auffallend sind zwar die Holzspeichenräder – die Abbildungen in der Literatur zeigen durchweg Drahtspeichenräder – doch diese Ausführung könnte auf eine Ausführung des “Piccolo” von 1906/07 hinweisen, die bereits ein Verdeck besaß.

Wer genau hinsieht, kann einen Zylinder des V2-Motors und das davor befindliche Lüftergehäuse erkennen.

Nach der Lage der Dinge haben wir es tatsächlich mit einem Originalfoto eines 5 oder 6 PS “Piccolo” der Apollo-Werke (vormals: Ruppe & Sohn) zu tun.

Hier sehen wir das einstige Besitzerpaar, das für diese frühe Aufnahme wohl etwas länger stillhalten musste – die Belichtungszeiten waren damals noch recht lang:

Apollo_Piccolo_5_PS_von_1905_Heckpartie

Interessant ist die am Wagenheck angebrachte Kofferbrücke, die in vertikaler Stellung arretiert ist. Man sieht aber die herunterhängenden Bänder, die sie bei Benutzung fixierten.

Demnach wurde dieser “Piccolo” auch für Reisezwecke verwendet. Flexibler als mit der Eisenbahn war man damit allemal, wenn es auf dem Lande zu Verwandten ging. Und schneller als mit dem Pferdegespann war man auch unterwegs.

So verrät dieses uralte Foto bereits etwas von der Verheißung der individuellen und fast schrankenlosen Mobilität, die in unseren Tagen von kleinen, aber einflussreichen “pressure groups” in Frage gestellt wird – ausgerechnet in einer Zeit, in der das Automobil mit Verbrennungsmotor so sauber, laufruhig, leistungsfähig, komfortabel und für jedermann erschwinglich ist wie nie zuvor.

Es hat schon seinen Grund, dass sich Benzin- und Dieselfahrzeuge bei der Motorisierung der breiten Bevölkerung weltweit durchgesetzt haben und nicht die weit ältere Technologie des Elektroautos, die schon immer ein teures, Vermögenden vorbehaltenes Vergnügen mit begrenztem Alltagsnutzen war…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

Auf “Undercover”-Mission in Berlin: Austin 10-4

Bei Klassikerveranstaltungen in Großbritannien kann sich der Besucher darauf verlassen, dass er hochkarätige Vorkriegsautos in allen möglichen Zustandskategorien zu Gesicht bekommt.

Zu den üblichen Verdächtigen gehören Wagen von Alvis, Bentley, MG, Rolls-Royce, Rover und Talbot.

Auch beim Goodwood Revival 2017 waren Vertreter dieser Marken schon auf dem Besucherparkplatz zu bewundern:

Doch neben solchen Zeugen einstiger britischer Automobilbaukunst sind stets auch Vertreter der “Brot und Butter”-Fraktion dabei, vor allem von Austin.

Der Hersteller aus Longbridge in der Nähe der Industriemetropole Birmingham baute bereits “Volkswagen”, als der Begriff hierzulande nur ein theoretischer war und abwegige Konstruktionen wie das “Kommissbrot” von Hanomag inspirierte.

Den meisten Liebhabern von Vorkriegsautos im deutschen Sprachraum ist in erster Linie der Kleinwagen Austin “Seven” bekannt, der über den Umweg der Dixi-Lizenzproduktion die Basis für die ersten BMW-Automobile wurde:

Austin_Seven_Classic_Days_2017_Galerie

Austin 7 Tourer; Bildrechte: Michael Schlenger

Hier haben wir ein Exemplar, das 2017 bei den Classic Days auf Schloss Dyck ausgestellt war – der mutmaßliche “Besitzer” hat es sich daneben bequem gemacht.

Dass Austin auch durchaus erwachsene Wagen baute, wird einem erst bewusst, wenn man einem Exemplar dieser Gattung auf der Insel begegnet.

Das nachfolgend abgebildete Fahrzeug der oberen Mittelklasse ist ein Austin 12-4, wie er Ende der 1920er Jahre in großen Stückzahlen gebaut wurde:

Taxi_2

Austin 12-4; Bildrechte: Michael Schlenger

Speziell im Taxigewerbe erfreuten sich diese als unzerstörbar geltenden Autos einiger Beliebtheit. Beim alljährlichen Goodwood Revival verrichten solche Austins auch nach rund 90 Jahren immer noch klaglos ihren Dienst als stilvolle Taxis.

Heute soll es jedoch um ein Modell gehen, das zwischen den beiden genannten Austin-Typen angesiedelt war – den Austin 10.

Ein spätes Exemplar davon haben wir hier vor geraumer Zeit schon einmal vorgestellt, und zwar in der Ausführung als Austin “Cambridge”:

Austin_10_Cambridge_Galerie

Austin 10 “Cambridge”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die schrägstehende und abgerundete Kühlermaske sowie die seitlichen Schürzen an den Vorderschutzblechen weisen auf eine Entstehung in den fortgeschrittenen 1930er Jahren hin.

Äußerlich hatten diese Austins kaum noch etwas mit ihren technisch weitgehend identischen Vorgängern zu tun, die ganz dem sachlichen Stil der 1920er Jahre entsprachen.

So fällt es schwer, sich vorzustellen, dass die folgende Aufnahme ebenfalls einen Austin 10 zeigt, der nur wenige Jahre vorher entstand:

Austin_10-4_vor 1935_Galerie

Austin 10-4; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Offen gesagt bereitete diese Aufnahme dem Verfasser einiges Kopfzerbrechen.

Das war jedoch nicht den Schneeresten geschuldet, die hier ebensowenig zu irritieren vermögen wie das Weihnachtsgebäck, das viele Zeitgenossen Mitte September im Supermarkt vorzufinden wünschen (sonst stünde es nicht dort).

Vielmehr war das Einzige, was einigermaßen vertraut wirkte, die zwei voneinander getrennten Reihen Luftschlitze in der Motorhaube. Die Kühlermaske ist ja leider jahreszeitlich bedingt “under cover” und gibt uns keine Hinweise:

Austin_10-4_vor 1935_Frontpartie

Aufmerksame Leser dieses Blogs und Kenner deutscher Vorkriegautos werden dabei an folgende Fahrzeuge denken –  den Wanderer W10/II und den Hanomag 3/16 PS.

Doch zwei Dinge wollen nicht zu diesen deutschen Mittelklassewagen passen – die auffallend hohe Frontscheibe und die Drahtspeichenräder.

Letzere sind ein guter Indikator für eine ausländische Herkunft, auch wenn die meisten deutschen Anbieter Drahtspeichenräder als Option im Programm hatten. Doch aus irgendeinem Grund blieben sie die Ausnahme hierzulande.

Was nun? Da wir angesichts der Abmessungen ein amerikanisches Auto ausschließen können und für österreichische, französische oder italienische Hersteller die Raffinesse fehlt, bleibt als Arbeitshypothese ein britischer Wagen.

Nach Durchsicht des Anzeigenteils einiger Ausgaben von “The Automobile” – nach Ansicht des Verfassers die einzige gedruckte Publikation, die die Bezeichnung als “Oldtimer”-Magazin verdient – war der Fall klar.

Unser geheimnisvoller “Undercover”-Wagen ist ein Austin 10-4 in einer vor 1934 entstandenen Karosserieausführung. Das Modell besaß einen 1,1 Liter-Vierzylinder mit seitlich stehenden Ventilen, der etwas mehr als 20 PS leistete.

Mit 6-Volt-Elektrik und Seilzugbremsen war das Modell der unteren Mittelklasse alles andere als seiner Zeit voraus.

Doch wurde es dank entsprechender Konstruktion und rationeller Fertigungsweise in so großen Stückzahlen gebaut, dass es für einen weit größeren Teil der Bevölkerung erschwinglich war als vergleichbare Autos in Deutschland.

Bleibt die Frage: Was machte ein solcher Austin 10-4 im Berlin der 1930er Jahre?

Austin_10-4_vor 1935_Frontpartie2

Das Nummernschild ist eindeutig – der Wagen war im Großraum Berlin zugelassen (Kennung: “I A”).

Auch die nüchterne Architektur im Hintergrund und die arg banale Gestaltung des Zauns wirken sehr “deutsch” – und typisch für die 1930er Jahre.

Ob die Besitzer dieses Wagens mit den auffallend abgenutzten Reifen wirklich Einheimische waren?

Der Verfasser könnte sich vorstellen, dass dieser eigenwillige Austin einst von Engländern gefahren wurde, die dienstlich in Berlin zu tun hatten – eventuell war es Botschaftspersonal.

Das Foto hat vermutlich ein Berliner gemacht, dem das ungewöhnliche Auto auffiel.  Abgesehen von einer örtlichen Produktion des Austin 7 in Kleinserie blieben die Konstruktionen aus Longbridge im damaligen Berlin Raritäten.

Wenn ein Leser eine einleuchtende Erklärung für diesen Briten in “Undercover”-Mission im Berlin der 1930er Jahre hat, nur zu. Ergänzungen und Klarstellungen fließen selbstverständlich in diesen Blog ein.

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Ansichtssache: Steyr Typ VII mit Spitz- oder Flachkühler?

Der Sonderweg, den ein Großteil der deutschen Autohersteller nach dem 1. Weltkrieg einschlug, machte sich nicht nur im Festhalten an technischen Konzepten der Vorkriegszeit bemerkbar.

Auch äußerlich knüpfte man vielfach an die Vergangenheit an. Das augenfälligste Element war der Spitzkühler, der in den Nachbarländern und erst recht in den USA längst zum alten Eisen gehörte.

Nur wenige deutsche Marken wie zum Beispiel Steiger aus Burgrieden verknüpften die “schneidige” Optik der Bugpartie auch mit sportlichen Fahrleistungen ihrer Serienwagen.

Ansonsten überwogen eher schwerfällige, wenngleich im Detail sehr sorgfältig gearbeitete Fahrzeuge. Im benachbarten Österreich mit seiner von reizvollen Kleinserienherstellern geprägten Autoindustrie sahen die Dinge anders aus.

Speziell die Tourenwagen der Waffenfabrik Steyr gehören zum Feinsten, was im deutschen Sprachraum nach dem 1. Weltkrieg mit Spitzkühler zu bekommen war.

Zuletzt hatten wir hier den Steyr Typ 12/40 PS vorgestellt, der 1924/25 gebaut wurde. Folgende Aufnahme zeigt den Wagen in besonders dynamischer Pose:

Steyr_Typ_V_Galerie

Steyr Typ V; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der 6-Zylindermotor mit 3,3 Liter Hubraum, obenliegender Nockenwelle und V-förmig angebrachten Ventilen war kennzeichnend für die fortschrittliche Konstruktion der Steyr-Typen der frühen 1920er Jahre.

Zur echten “Waffe” wurde aber erst der Steyr Typ VI “Sport”, der bei gleicher Motorenkonstruktion 60 PS leistete und für ein Spitzentempo von 120 km/h gut war. Die darauf basierenden Rennversionen leisteten 90, 110 und 145 PS. Mit Kompressor ausgestattet waren sogar kurzzeitig 150 bzw. 180 PS drin.

Ein gewisser Enzo Ferrari fuhr als junger Mann 1922 ebenfalls einen Steyr-Rennwagen. Eine zivile Version des erfolgreichen Typs VI haben wir hier:

Steyr_Typ_VI_Galerie.jpg

Steyr Typ VI Sport; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Man sieht: Bei Steyr bekam man in den 1920er Jahren nicht nur eine rassige Optik geboten – hier war auch das Leistungsvermögen beeindruckend.

Das galt auch für den Nachfolger des Typs V 12/40 PS, den ab 1925 gebauten Steyr Typ VII 12/50 PS. Seine Konstruktion basierte auf den bewährten Prinzipien, wurde aber mit einem optimierten Fahrwerk und mehr Leistung verknüpft.

Nun gab es auch Vorderradbremsen, die die Unterscheidung vom optisch ganz ähnlichen Vorgängertyp V ermöglichen. Der Steyr Typ VII ist uns als Limousine bereits einmal begegnet, und zwar hier:

Steyr_Typ_VII_Limousine_Galerie

Steyr Typ VII 12/50PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Wagen wirkt hier alles andere als dynamisch, was dem Aufbau als mächtige 6-Fenster-Limousine geschuldet ist. Doch ist gerade diese Variante interessant, weil sie nur selten zu finden ist – Steyr-Anhänger bevorzugten schon vor über 90 Jahren die offenen Versionen.

Tatsächlich sind historische Fotos von Tourenwagen des Typs VII leichter zu bekommen. Wobei man anmerken muss, dass Steyr von 1925-29 überhaupt nur 2.150 Exemplare dieses Typs herstellte – so gesehen darf man sich über jedes Foto, das die Zeiten überdauert hat, fast so freuen wie über ein originales Fahrzeug.

Und heute genießen wir den Luxus, uns gleich zwei “neue” Fotos eines Steyr Typ VII zu Gemüte führen zu können. Als erste haben wir eine schöne Aufnahme, die bei Franzensbad in Böhmen (heute Tschechien) entstand:

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Steyr Typ VII 12/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das ist eine prachtvolle Urlaubsaufnahme, die auf August 1929 datiert ist. Die Beschriftung “Strandbad Franzensbad” irritiert zunächst, weil ein Strandbad so ziemlich das letzte ist, woran bei dem mondänen böhmischen Kurort denkt.

Doch tatsächlich gibt es noch heute unweit von Františkovy Lázně, wie Franzensbad seit 1945 heißt, Seen mit Strand, an denen man Ferien machen kann. Dort wird “unser” Steyr einst im Sonnenschein abgelichtet worden sein.

Wo sich heute ein Campingplatz befindet, erholten sich einst offenbar betuchte Leute, denn solch ein Tourenwagen von Steyr war einst nur für eine hauchdünne Schicht der Bevölkerung erschwinglich.

Steyr_Typ_VII_Franzensbad_08-1929_Ausschnitt2

Der scharfgeschnittene Spitzkühler mit dem Steyr-Emblem, das ein stilisiertes Fadenkreuz zeigt, dürfte damals einen enormen Prestigewert gehabt haben.

Da sah man auf Anhieb, dass wohlhabende Leute unterwegs waren, die über zwei unterschiedliche Reifen an der Vorderachse großzügig hinwegsehen konnten.

Oder haben wir es vielleicht mit einer nicht mehr ganz solventen Gesellschaft zu tun, die sich 1929 inmitten der Weltwirtschaftskrise abgesehen von dem gebrauchten Steyr nicht mehr viel leisten konnte?

Allerdings macht der Wagen von den Reifen abgesehen einen gepflegten Eindruck – man beachte, wie sich der in Fahrtrichtung rechte Frontscheinwerfer auf dem Schutzblech spiegelt. Auch hat man in eine Stoßstange als Zubehör investiert.

Ein Film in der Kamera war ebenfalls noch drin und die Kleidung wirkt makellos. Offenbar sind diese Leute ganz gut durch die damalige Krise gekommen. Doch wie wir wissen, sollten noch turbulentere Zeiten folgen, die Arm und Reich unterschiedslos verschlangen…

Was wohl aus den Menschen wurde, die uns mit einem Abstand von über 90 Jahren auf diesen alten Aufnahmen ansehen, auf welchen Irrwegen diese Abzüge zu uns gelangten, das fragt man sich unwillkürlich auch bei folgendem Foto:

Steyr_Typ_VII_Flachkühler_Heimfahrt_aus_den_Ötztaleralpen_Galerie

Steyr Typ VII 12/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

“Heimfahrt aus den Ötztaler Alpen, 1928”, das ist von alter Hand auf der Rückseite des Abzugs vermerkt.

Auch hier haben wir es mit einer Urlaubserinnerung zu tun. Doch wirkt der eindrucksvoll dimensionierte Wagen völlig anders als der zuvor gezeigte Tourer. Dabei handelt es sich um praktisch das gleiche Modell, einen Steyr Typ VII.

Was lässt das Auto so anders erscheinen? Die hohen Luftschlitze in der hinteren Hälfte der Motorhaube gleichen sich ebenso wie die verchromten Nabenkappen, die großen Bremstrommeln vorn und die auffallend glattflächigen Kotflügel.

Der einzige Unterschied ist der Flachkühler, der zwar stimmig wirkt, aber den Wagen beliebig wirken lässt. Ohne den Steyr-Schriftzug auf den Nabenkappen wäre es schwierig, Marke und Typ zu identifizieren:

Steyr_Typ_VII_Flachkühler_Heimfahrt_aus_den_Ötztaleralpen_Ausschnitt1Ungewöhnlich sind hier die Weißwandreifen des österreichischen Herstellers Reithoffer, der später von der Semperit AG übernommen wurde.

Ob das Ersatzrad von Michelin älteren Ursprungs oder moderner war, kann vielleicht ein sachkundiger Leser sagen. Auch hier hatte man jedenfalls kein Problem damit, im Zweifelsfall einen Reifen mit anderem Profil zu montieren.

Dass es bei diesem Steyr eher auf die Leistung am Berg als in der Ebene ankam, lässt die Situation erahnen. Beim Ausflug in die Ötztaler Alpen waren die acht Herren in dem Steyr in einer der höchstgelegenen Regionen des Landes unterwegs.

Man sieht selbst auf dem Schwarzweiß-Foto, dass sie ordentlich Sonne abbekommen haben müssen:

Steyr_Typ_VII_Flachkühler_Heimfahrt_aus_den_Ötztaleralpen_Ausschnitt2Acht Mann in einem offenen Wagen auf Tour in den Alpen – man wüsste gern, wie und wo die Herren genächtigt und gegessen haben. Platz für allzuviel Gepäck bot der Steyr ja nicht, das Nötigste wurde in einem Leinensack am Heck mitgeführt.

Und selbst damit waren diese Urlauber noch in einer heute unvorstellbaren Weise privilegiert. Überhaupt die heimatliche Region für einige Zeit zu verlassen, zum reinen Vergnügen, und das mit einem eigenen Automobil!

Ob man da einen Steyr Typ VII mit Spitz- oder Flachkühler bevorzugt – ein Luxusproblem und reine Ansichtssache…

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Immer noch bewegend – Packard Tourer in Deutschland

Betreibt man einen Oldtimerblog speziell für Vorkriegsautos, sind einige Artikel erst einmal ein “Schuss ins Blaue”. Wen man wo erreicht und was man damit bewirkt, ist ungewiss.

Natürlich hat man eine Reihe regelmäßiger Leser – von manchen Zeitgenossen bisweilen als “Follower” bezeichnet – und freut sich über zustimmende, ergänzende und manchmal auch korrigierende Kommentare von ihrer Seite.

Doch am schönsten ist es, wenn man aus ganz unerwarteter Richtung Hinweise, Materialien und Impulse erhält. So war das auch mit folgender, hier jüngst gezeigter Aufnahme:

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Packard “Eight” Tourenwagen; Bildrechte Michael Schlenger

Dieser unrestaurierte Packard Achtzylinder von 1929 war 2017 bei den Classic Days auf Schloss Dyck zu bestaunen.

Einem solchen Zeitzeugen zu begegnen, ist ein Erlebnis, das Spuren hinterlässt. Das gilt nicht nur für den Verfasser, der das Glück hatte, den Packard just bei seiner Ankunft im Schlosspark fotografieren zu können.

An dieser Stelle kommt Alan Ballard ins Spiel bzw. zu Wort:

“Es freut mich zu sehen, dass dieses Auto nicht dazu bestimmt wurde, in einem Museum einzustauben. Es wurde nach dem 2. Weltkrieg von William Folwell erworben, der es mehr als zehn Jahre als Alltagsfahrzeug nutzte. Es galt damals als einer der besterhaltenen, originalsten und leistungsfähigsten Packards.

Anschließend verbrachte das Auto einige Jahre in einer Scheune in Pennsylvania. Dabei alterten der Lack und die Chromteile, außerdem hinterließ ein herunterfallender Balken eine Delle auf der Motorhaube.

In den 1950er Jahren übernahm Hyde Ballard – der Schwager des bisherigen Besitzers und Experte für Vorkriegs-Packards – den Wagen und fuhr ihn ebenfalls für ein paar Jahre im Alltag. Er hatte übrigens im Sommer 1929 während seiner Zeit im College am Fließband von Packard gearbeitet und kannte diese Autos sehr genau. Nach ihm fuhr der Verfasser (also: Alan Ballard) den Wagen mehrere Jahre lang.  

Es handelt sich um einen der am besten laufenden Packard “Eight” und er beeindruckt seit jeher das Publikum mit seiner ausgezeichneten Leistung. Er wurde nie geschont und stets schnell gefahren. Das Verdeck ist alt, wurde aber wohl in den 1930/40er Jahren erneuert.”

Diesen Bericht eines der früheren Besitzers des herrlichen Packard “Eight” verdanken wir der Präsentation des Wagens auf der Website www.prewarcar.com.

Doch sollte es nicht bei dieser Reaktion bleiben.

Denn in dem Blogeintrag zum Packard Eight war auch folgende historische Originalaufnahme eines etwas älteren Sechszylindermodells der Marke eingebunden, das einst auf Gut Schrevenborn in Norddeutschland entstand:

Packard_Six_1931_Gut_Schrevenborn_Galerie

Packard “Six”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das Foto elektrisierte eine Leserin, denn ihrer Aussage nach ist darauf ihr Urgroßvater zu sehen. Ihre Mutter wurde einst auf Gut Schrevenborn geboren.

Vermutlich stammt das Foto aus dem Nachlass der einstigen Besitzer des abgebildeten Packard, der in Berlin zugelassen war. Sollte sich die Leserin nochmals melden und Interesse signalisieren, würde der Verfasser ihr gern die Originalaufnahme übereignen.

Ganz am Ende sind wir aber immer noch nicht. So hat uns Leser Klaas Dierks – nebenbei ein versierter Sammler hochwertiger Vintage-Fotografien –  die folgende feine Aufnahme eines weiteren Packard “Six” zur Verfügung gestellt:

Packard_Six_Dierks_Galerie

Packard “Six”; Sammlung Klaas Dierks

Dieses Dokument zeigt einen in der deutschen Provinz Westfalen (Kennung: “IX”) zugelassenen Packard “Six”, der zwischen 1925 und 1927 gebaut wurde.

Ungewöhnlich an diesem Foto ist, dass man die seitlichen Steckscheiben sieht, die bei schlechtem Wetter an Tourenwagen montiert werden. Sie wurden meist als optisch wenig vorteilhaft empfunden und sind bei heutigen Wagen nur ganz selten erhalten.

Von den parallel gebauten Achtzylinder-Modellen ist der Packard “Six” nur an wenigen Details zu unterscheiden. In dieser Ansicht verrät vor allem die relativ kurze Haube, dass wir es mit einem “Six” zu tun haben, der zwischen 60 und 80 PS leistete.

Für amerikanische Verhältnisse wurden diese Autos in recht kleinen Stückzahlen gebaut. Das Standardwerk zu US-Vorkriegswagen – “American Cars” von B.R. Kimes – nennt für Zeit von 1925-27 etwas mehr als 60.000 Exemplare.

Dass offenbar einige davon Käufer am deutschen Markt fanden, spricht dafür, dass es schon damals Kenner gab, die die herausragende Qualität dieser US-Oberklassewagen einzuschätzen wussten.

Umso erfreulicher, dass es hierzulande auch heute noch Enthusiasten gibt, die es nicht nötig haben, sich einen Bugatti-Nachbau oder den x-ten Special auf Bentley- oder Alvis-Basis zuzulegen, sondern schlicht Originalität bevorzugen.

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1934: Der “Diplomat” von Adler setzt neue Standards

Nachdem wir mit den letzten Blog-Einträgen in Großbritannien “fremdgegangen” sind und einige erlesene Vorkriegsautos beim jährlichen Goodwood Revival Meeting  bewundert haben, kehren wir nun wieder in heimische Gefilde zurück.

Darüber werden sich vor allem die Freunde der einstigen Frankfurter Automarke Adler freuen, deren Wagen einst mit am häufigsten auf Deutschlands Straßen unterwegs waren.

Wer nun fürchtet, es würde wieder “bloß” ein Vertreter der im Blog bereits gut repräsentierten Spezies Adler “Standard 6” vorgestellt, liegt daneben – aber nur knapp.

Originales Fotomaterial zu diesem ab 1927 gebauten Modell bietet der Fundus des Verfassers noch in erfreulichem Umfang. Immerhin wurde der den auch hierzulande erfolgreichen US-Sechszylinderwagen nachempfundene Wagen über 20.000mal gebaut.

Da wundert es kaum, dass sich auf alten Aufnahmen immer mal wieder ein Adler “Standard 6” findet – und sei es so versteckt wie auf diesem schönen Bild:

Adler_Standard_6_und_US-Wagen_Bacharach_Galerie

Ansicht aus Bacharach; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese atmosphärische Aufnahme entstand um 1930 im romantischen Bacharach im Mittelhreintal, das von den instinktlosen Verwüstungen der Nachkriegszeit weitgehend verschont geblieben ist.

Das hier abgebildete Restaurant “Altes Haus” aus dem späten 16. Jahrhundert sieht heute noch genauso aus und kündet von der Langlebigkeit und Schönheit alter Baukunst. Bloß in automobiler Hinsicht hat die Szenerie seither gelitten.

Wir Altautofreunde haben aber Glück, denn auf dem historischen Foto finden sich gleich drei Wagen ganz nach unserem Geschmack, neben zwei US-Modellen auch ein Adler Standard 6 (ganz links):

Adler_Standard_6_und_US-Wagen_Bacharach_Ausschnitt

Die Frontpartie mit dem ins Kühlernetz hineinragenden Adler-Emblem verweist auf eine Entstehung spätestens 1930. Die sieben Radbolzen unterscheiden den Wagen vom äußerlich sonst fast identischen Vierzylindermodell “Favorit.

In der Raute auf der Verbindungsstange zwischen den Scheinwerfern ist schemenhaft eine “6” zu erkennen – so schön es auch wäre, hier eines der äußerst seltenen Achtzylinder-Exemplare zu sehen…

Das Auto im Hintergrund ist übrigens ein Buick – wahrscheinlich ein Typ der Serie 121 bzw. 129, die wir hier bereits gestreift haben.

Nun aber genug davon – sollte es heute nicht um den Adler “Diplomat” gehen? Sicher, nur kommt man an dessen Vorgänger “Standard 6” nicht vorbei.

Denn 1933 erschien eine überarbeitete Version des “Standard 6”, die abgesehen von der Motorisierung eine weitgehende Neukonstruktion darstellte. Verantwortlich war dafür war kein geringerer als der brilliante Autodidakt Hans-Gustav Röhr.

Nachdem er mit seiner eigenen Automobilfirma an wirtschaftlichen Zwängen gescheitert war (Bildbericht), fand er mit seinem Entwicklerteam ein neues Betätigungsfeld bei Adler.

Die Frankfurter Traditionsmarke verdankte Röhrs Gespür und Führungsqualitäten nicht nur das erfolgreiche Frontantriebsmodell “Trumpf”, sondern auch den “runderneuerten” Standard 6.

Dieser zeichnete sich durch eine drastisch verbesserte Straßenlage aus, die dem tiefliegenden Chassis und der Einzelradaufhängung vorn zu verdanken war.

Unterstrichen wurde die Modernisierung des Modells durch eine Formgebung, die ein wenig an britische Wagen mit sportlicher Anmutung erinnerte:

Adler_Diplomat_1934_Galerie

Adler “Diplomat”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Geliefert wurde dieser makellos gezeichnete Aufbau von der Berliner Firma Ambi-Budd, die einen guten Ruf für ihre Ganzstahlkarosserien genoss.

Wer sich nun fragt, woran man denn erkennt, um was für ein Modell es sich überhaupt handelt, legt eine berechtigte Skepsis an den Tag. Denn genau betrachtet haben wir hier gar keinen Adler “Standard 6” der 1933 neu vorgestellten Baureihe vor uns.

Das verrät folgender Bildausschnitt:

Adler_Diplomat_1934_Frontpartie

Adler “Diplomat” lässt sich auf der Radkappe des Ersatzrads entziffern. Was ist denn davon zu halten?

Nun, formal haben wir es immer noch mit einem Adler Standard 6 neuerer Bauart zu tun – er wurde bloß 1934 umbenannt in “Diplomat”, was anspruchsvoller klang.

Äußerlich war dies nur an den seitlichen “Schürzen” der Vorderschutzbleche erkennbar, wenngleich die letzten noch als “Standard 6” verkauften Modelle dieses beim Graham “Blue Streak” erstmals auftauchende Detail ebenfalls erhielten.

Übrigens wurde der Adler “Diplomat” in der Ausführung auf unserem Foto so nur 1934 gebaut. Im Folgejahr bekam er eine weiter überarbeitete Karosserie, die wir bei einer anderen Gelegenheit besprechen werden.

Vom Adler “Diplomat” wurden bis 1940 rund 3.000 Exemplare gebaut. Von der hier gezeigten Ausführung des Jahrs 1934 dürfte es bloß einige hundert gegeben haben.

Ob davon auch nur ein einziger überlebt hat? Vielleicht weiß jemand vom Adler Motor-Veteranen-Club (AMVC) etwas darüber. Auf dessen Website findet sich jedenfalls nichts Verwertbares über das eindrucksvolle Modell Diplomat von 1934…

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Vermächtnis zweier Brüder: Dodge “Four” Series 116

Hand auf’s Herz: Welchem Freund von Vorkriegsautos hierzulande fällt etwas zur US-Marke “Dodge” ein? Vermutlich irgendetwas mit gesichtsloser Massenproduktion, ein Hersteller unter vielen in den Staaten…

Der Verfasser hatte zugegebenermaßen bislang auch kein klares Bild davon, was die Autos der “Dodge Brothers” einst besonders machte. Dass sich das geändert hat, ist folgender Aufnahme und dem Besuch des Goodwood Revival 2017 zu verdanken:

Dodge_Sedan_1925_Brothers_Stoßstange_Galerie

Dodge Series 116 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Foto fand eigentlich nur aus Mitleid Eingang in die Sammlung des Verfassers. Wäre ja schade, wenn es an ein paar Euro scheitern würde, den stellenweise schon angegriffenen Abzug nicht in digitalisierter Form zu konservieren.

Was da für ein Auto zu sehen ist, blieb erst einmal im Ungefähren. Klar war nur, dass es einst in Deutschland aufgenommen wurde. Das verraten die Häuser im Hintergrund (das Originalfoto zeigt mehr davon) und das Erscheinungsbild des Herrn mit “Zweifinger”-Bart und Ledergamaschen über den Halbschuhen.

Das Bauchgefühl sagte zwar “US-Fahrzeug”, doch schien hier zunächst nichts Markentypisches erkennbar zu sein:

Dodge_Sedan_1925_Brothers_Stoßstange_Frontpartie

Weder die Stoßstange noch die Scheibenräder sind für sich genommen einzigartig, solches Zubehör war prinzipiell für viele Autos der 1920er Jahre verfügbar.

Auch die Scheinwerfer, das elektrische Horn und die Positionsleuchten auf den  Kotflügeln liefern keinen Anhaltspunkt. Ein Detail merken wir uns aber vorerst: die ungewöhnliche Ausbuchtung auf der Oberseite der Schutzbleche. 

Zeitsprung: Gut 90 Jahre, nachdem obige Aufnahme entstand, fand sich anlässlich des Goodwood Revival Meeting 2017 auf dem “Vintage Car Park” dieses Fahrzeug:

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Dodge “Four” Series 116 Tourer; Bildrechte: Michael Schlenger

Dieser großzügige Tourenwagen war leicht als Dodge der frühen 1920er Jahre zu identifizieren.

Formal betrachtet hätte das Auto alles Mögliche sein können, wenn man einmal vom flachen Kühler absieht. Den hätte man an einem Wagen aus dem deutschen Sprachraum nach dem 1. Weltkrieg kaum zu sehen bekommen – hier waren stattdessen Spitzkühler in allen möglichen Varianten groß in Mode.

Ein näherer Blick auf die Kühlermaske und wir erkennen den Hersteller:

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Dodge Brothers-Emblem; Bildrechte: Michael Schlenger

Nun beginnt die Sache spannend zu werden. Das Emblem verweist auf die Brüder John und Horace Dodge aus Detroit, die kurz vor dem 1. Weltkrieg beschlossen, Autos zu bauen.

Bis dahin waren sie als Zulieferer von Ford tätig, sahen aber die Bemühungen ihres Kunden mit Sorge, einen immer größeren Teil der Wertschöpfungskette aus eigenen Kräften abzudecken.

Der Entschluss, in die Offensive zu gehen, fiel den beiden leicht – die Brüder Dodge waren zeitlebens ein Herz und eine Seele. Das auf den ersten Blick an einen Davidstern erinnernde Emblem bringt das zum Ausdruck: Tatsächlich zeigt es zwei griechische “Deltas”, die einander umschlingen (Quelle).

Ihr 1914 vorgestelltes Vierzylindermodell mit 35 PS war auf Anhieb ein Erfolg. Schon 1916 waren die Dodge Brothers auf Rang 4 der größten US-Autohersteller aufgerückt. Kein anderer Wagen seiner Klasse galt damals als dermaßen robust.

1920 erreichten die nur behutsam weiterentwickelten Dodge-Automobile Platz 2 der Zulassungsstatistik in den Vereinigten Staaten – ein wohl einzigartiges Ergebnis für eine Firma, die noch keine zehn Jahre alt war.

Im selben Jahr starben die Brüder Dodge kurz nacheinander. Doch ihr Vermächtnis sollte noch einige Zeit Erfolge zeitigen. 1922 brachte Dodge den weltweit ersten Wagen mit Ganzstahlkarosserie auf den Markt.

Eine 12-Volt-Elektrik war bereits damals Standard bei Dodge, ab 1921 war außerdem eine Heizung verfügbar. 1922 wurden erstmals Scheibenräder verbaut, Stoßstangen vorne und hinten gab es als Extra.

Scheibenräder, Stoßstangen? Hatten wir die nicht auf dem ersten Foto? Und wie war das mit den auffallend gewölbten Schutzblechen? Zumindest die finden wir hier wieder:

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Dodge “Four” Series 116; Bildrechte: Michael Schlenger

Der Fall ist klar: Die historische Aufnahme zeigt ebenfalls einen Dodge “Four” der ab 1923 gebauten Serie 116, bloß als Limousine statt als Tourenwagen.

Der lange Radstand und die senkrechten Luftschlitze in der Haube verweisen auf das Modelljahr 1924/25. Scheibenräder und Stoßstangen gab es – wie gesagt – als Zubehör. Luxusausführungen besaßen außerdem vernickelte Kühler.

In der Literatur zum Dodge “Four” Series 116 ausdrücklich erwähnt wird die von viertelkreisförmigen Haltern getragene Sonnenblende, die wir hier sehen:

Dodge_Sedan_1925_Brothers_Stoßstange_Seitenpartie

Beim näheren Hinsehen kann man zudem die Initialien “DB” auf der Nabenkappe des Hinterrads entziffern, die sich auch auf dem Kühleremblem des in Goodwwod abgelichteten Wagens wiederfinden.

Letztlich ist die Handschrift der “Dodge Brothers” also auch auf dem anfangs so rätselhaft anmutenden Foto zu erkennen.

Dass ein Exemplar des Dodge “Four” Series 116 einst ein Deutschland landete, verwundert kaum. Weit über 500.000 Exemplare dieses Modells wurden an verschiedenen Standorten gefertigt.

Davon haben auch in Europa eine ganze Reihe überlebt, wie der makellose Tourer in Goodwood zeigt:

Dodge_Series_116_Tourer_4_Galerie

Dodge “Four” Series 116; Bildrechte: Michael Schlenger

Wer schon immer davon träumte, sich einen erschwinglichen Tourenwagen der frühen 1920er Jahre zuzulegen, das Model T von Ford aber zu simpel findet, der kommt am Dodge “Four” wohl kaum vorbei.

In den USA sind gute Exemplare ab 10.000 Dollar zu haben – wie war das noch einmal mit angeblich unbezahlbaren Oldtimern? Genau: Wer auf Prestige pfeift, bekommt zum Gebrauchtwagentarif auch heute noch echte Klassiker!

Literatur: “Standard Catalog of American Cars”, von B.R. Kimes, 3. Ausgabe, 1996, S. 459-465

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Über 90, aber noch rüstig statt rostig: Rolls-Royce 20HP

Würde man eine Umfrage unter Freunden von Vorkriegsautos starten, welcher Marke der Rang gebührt, einst die majestätischsten Wagen gebaut zu haben, dürfte die Antwort einhellig ausfallen: Rolls-Royce.

Und tatsächlich kann man sich auch heute der schieren Präsenz eines klassischen Rolls-Royce kaum entziehen:

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Rolls-Royce Phantom I; Bildrechte: Michael Schlenger

Dieses grandiose Gefährt beispielsweise war 2017 bei den Classic Days auf Schloss Dyck zu bestaunen.

Dort herrscht nicht gerade Mangel an historischen Automobilen von Rang, doch ein Rolls-Royce Phantom I wie dieser ist selbst inmitten hochkarätiger Klassiker “truely outstanding”.

Vor lauter Ehrfurcht vor diesen herrlichen Geschöpfen einer untergegangenen Ära wird gern vergessen, dass ein Rolls-Royce der Vorkriegszeit keineswegs ein kapriziöses Vehikel war, das nur zum mondänen Auftritt vor Schlössern und Opernhäusern taugte.

Nein, diese Wagen waren von einer solchen Qualität, Zuverlässigkeit und Langlebigkeit, dass der kühne Slogan der britischen Firma “The Best Car in the World” nicht unglaubwürdig wirkte.

Mit einem gut gewarteten Rolls-Royce ließen sich in den 1920er Jahren Fernreisen mühelos meistern. Dass sich die Besitzer nicht auf ein engmaschiges Netz an Werkstätten verließen, sondern tausende Kilometer auf den damals kaum ausgebauten Straßen absolvierten, daran erinnert folgende historische Aufnahme:

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Rolls-Royce Phantom I; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses mächtige 2-türige Cabriolet – weiß jemand, welche Karosseriefirma es baute? – dürfte vor einem See in der Schweiz oder in Oberitalien abgelichtet worden sein.

Nachtrag: Leser Norbert Andrup hält Erdmann & Rossi als Hersteller des Aufbaus für wahrscheinlich.

Auf solchen Touren durfte nichts an dem monumentalen Wagen kaputtgehen, denn auf sachkundige Hilfe war unterwegs nirgends zu hoffen. So verließ man sich auf die bis heute beeindruckende Robustheit der Rolls-Royce-Konstruktionen.

Wieso bis heute beeindruckend? Das mag sich einer fragen, für den Vorkriegsautos Gefährte von fragwürdiger Verlässlichkeit sind, die besser in einem Museum oder auf lokalen Schönwetterveranstaltungen aufgehoben sind.

Nun, folgendes Foto verrät, dass man einem gut erhaltenen Rolls-Royce der Zwischenkriegszeit selbst heute ohne weiteres längere Strecken zumuten kann:

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Rolls-Royce 20 h.p.; Bildrechte: Michael Schlenger

Dieser Rolls-Royce des “Einstiegs”typs 20 HP stand inmitten zahlloser anderer Klassiker auf dem “Vintage Car Park” des Goodwood Revival Meetings 2017.

Wer angesichts der glänzenden Karosserie auf einen Neuaufbau tippt, liegt gründlich daneben. Wir sehen hier das originale Aluminiumblech, mit dem dieser Wagen im Jahr 1926 ausgestattet wurde.

Möglicherweise plante der Erstkäufer – ein Offizier der britischen Besatzungstruppen in Indien – den Wagen in der tropischen Region einzusetzen, wo Alukarosserien langlebiger waren als lackierte Stahlaufbauten.

Doch ausweislich des Aushangs am Wagen blieb der Rolls-Royce zeitlebens in England. Bis in die 1950er Jahre verweilte der Wagen in Familienbesitz. Dann kaufte ihn ein Architekturfotograf, der ihn für seine Dienstreisen einsetzte.

Erst in den 1990er Jahren wechselte das Auto wieder den Besitzer, wurde aber weiterhin regelmäßig gefahren. Die heutigen Eigentümer erwarben das Fahrzeug 2001 und nehmen damit beinahe jährlich an Langstreckenfahrten teil.

Erst 2013 –  nach fast 90 Jahren – war erstmals eine Motorüberholung fällig. Seither verrichtet der Rolls-Royce wieder unaufällig seinen Dienst. Die rund 100 Kilometer aus seiner Heimat in der Grafschaft Oxfordshire zum Goodwood Revival wird für den Wagen unter die Rubrik “lokale Ausfahrt” gefallen sein.

Bei solchen Gelegenheiten dürfen sich die Insassen des Tourers neben dem famosen Rundumblick auch an der Ästhetik des Instrumentenbretts erfreuen:

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Rolls-Royce 20 h.p.; Bildrechte: Michael Schlenger

Ja, das ist schon eine feine Sache, so ein Rolls-Royce aus den 1920er Jahren, der dem Ideal des ewigen Lebens so nahekommt wie vielleicht sonst kein anderes Auto.

Aber ist das denn nicht fürchterlich teuer, so ein antikes Luxusgefährt? Sagen wir so: Billig sind auch die Rolls-Royce des “kleinen” Typs 20 HP nicht. Aber für den Gegenwert eines klassischen Porsche 911 bekommt man immerhin zwei davon.

Welches der beiden Autos mehr “Value for Money” bietet, bleibt dem Urteil des Lesers überlassen. Für den Verfasser zumindest ist der Fall klar…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

Wie aus einer anderen Welt: GN Cyclecar um 1920

Die faszinierende Gattung der Cyclecars ist auf diesem Oldtimerblog für Vorkriegsautos anhand etlicher Originalfotos vertreten.

Eine der bekanntesten Hersteller dieser leichten Sportwagen mit agilem Charakter war die französische Firma Amilcar.

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Amilcar; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Amilcar war mit seinen Modellen in den 1920er Jahren dermaßen erfolgreich, dass sie etliche Lizenznachbauten inspirierte.

Im deutschsprachigen Raum baute neben Pluto aus Thüringen auch der österreichische Hersteller GROFRI Wagen in Amilcar-Lizenz.

Hier ein Schnappschuss eines GROFRI-Besitzers beim Basteln an seinem Wagen:

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GROFRI Cyclecar; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Amilcars wie ihre Lizenznachbauten waren Vierzylinderautos, denen nichts Improvisiertes anhaftete. Bei ihnen fiel lediglich alles ein wenig kompakter und leichter aus als bei den großen Sportwagen ihrer Zeit.

In dieselbe Kategorie gehören die Wagen der französischen Marke Rally, die zeitweise als “Bugatti des kleinen Mannes” galten.

Hier eine feine zeitgenössische Aufnahme eines solchen Wagens, die der Verfasser vor einigen Jahren beim Goodwood Revival Meeting in Südengland erstand:

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Rally Cyclecar; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das Gros der Cyclecars machten einst jedoch ganz auf’s Wesentliche reduzierte Zweizylindergefährte aus.

Ein Beispiel dafür, das wir auf diesem Blog bereits vorgestellt haben, ist das österreichische BAJA-Cyclecar:

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BAJA-Cyclecar; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Den ausführlichen Bildbericht zu diesem skurrilen Gefährt gibt es hier zu lesen.

Etwas vertrauenerweckender kam dagegen der DKW Typ PS600 daher, den wir ebenfalls bereits besprochen haben (Bericht).

Bei Erscheinen dieses Typs und des später auf DKW-Basis entstandenen Tornax Rex war die Zeit der Cyclecars jedoch längst vorbei.

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DKW Typ PS600; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ihre Blütezeit erlebte die schillernde Fahrzeuggattung der Cyclecars bereits kurz vor dem 1. Weltkrieg und in den frühen 1920er Jahren.

Auch leichte Sportvarianten des legendären Austin Seven darf man wohl noch dazuzählen.

Hier haben wir ein um 1960 entstandenes Foto, das einen solchen “Seven” in puristischer Ausführung ohne Frontscheibe, mit außenliegendem Auspuff und Schutzblechen nach Motorradart zeigt:

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Austin Seven “Special”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Mit diesem schönen Dokument einstigen Fahrvergnügens lässt sich trefflich überleiten zu einem Cyclecar, das der Verfasser beim Goodwood Revival 2017 – nicht zu verwechseln mit dem “Goodwood Festival of Speed” – entdeckte.

Dabei handelt es sich um ein Gefährt, das selbst auf dem an Überraschungen nicht armen Klassiker-Parkplatz des Goodwood Revival aus dem Rahmen fiel.

Auf der Rasenfläche, die von zahllosen historischen Wagen aus ganz Europa bevölkert war, bot sich dem aufmerksamen Besucher während eines kurzen sonnigen Abschnitts dieses schöne Bild dar:

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GN Cyclecar; Bildrechte: Michael Schlenger

Hinter dem roten Austin Seven Roadster steht ein merkwürdiges Gefährt mit langem Radstand, das gerade von einem Besucherpaar begutachtet wird, das zum Charakter der Veranstaltung passende Kleidung der 1940-60er Jahre trägt.

Das urtümlich wirkende Fahrzeug mit dem Schriftzug “GN” auf der Flanke verdient in der Tat eine genaue Betrachtung.

Nähern wir uns ihm in einer bewusst auf “alt” gemachten Aufnahme:

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GN Cyclecar; Bildrechte: Michael Schlenger

Schmale Reifen auf Drahtspeichenfelgen, die eher zu einem Motorrad der Vorkriegszeit passen würden, simpel geformte und freistehende Schutzbleche, ein außen an der “Karosserie” montierter Auspuff, darüber ein winziges Blech, das den Einstieg erleichtert – da lacht das Herz der Cyclecar-Enthusiasten.

Die in London ansässige Firma GN baute zwischen 1910 und 1923 einige tausend Cyclecars, die sich Ruhm bei Bergrennen erwarben und von denen etliche heute noch existieren.

GN verbaute neben zugekauften Motoren auch Aggregate aus eigener Herstellung. Dabei wurde nicht an Hubraum gespart, wie unser Foto ahnen lässt:

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GN Cyclecar; Bildrechte: Michael Schlenger

Hier sehen wir einen ziemlich großvolumigen V2-Motor, dessen im Zylinderkopf hängenden Ventile über Stoßstangen betätigt wurden.

Für einen zugekauften “Twin” des britischen Motorradherstellers JAP – Anfang der 1920er mit das Beste, was auf dem Sektor erhältlich war – erscheint das Aggregat eine Nummer zu groß.

Neben einer Eigenentwicklung von GN kommt auch eine leistungsstarke Maschine der traditionsreichen Firma Anzani in Betracht – wer weiß mehr dazu?

Vergleichsweise zivil sah der “Arbeitsplatz” desjenigen aus, der einst einen Ritt in einem solchen heftig übermotorisierten Gefährt wagte:

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GN Cyclecar; Bildrechte: Michael Schlenger

Wer schon einmal im Cockpit eines alten Doppeldecker-Flugzeugs gesessen hat, wird hier einige Übereinstimmungen erkennen, nur der Steuerknüppel fehlt.

Die natürlichen Materialien, die handwerkliche Verarbeitung, die Ausstattung mit dem Allernötigsten und ansonsten ein radikales, den Insassen ständig forderndes Freilufterlebnis – das ist es, was einen echten “Veteranen” ausmacht.

Der Verzicht auf (fast) jeden Komfort – das Verdeck bei dem abgebildeten Wagen ist eine Ausnahme – und die funktionell bestimmte und doch mit gefälligen Details aufwartende Ästhetik macht Cyclecars zur perfekten Zeitmaschine.

Und so transportiert uns dieses GN Cyclecar, das 2017 beim Goodwood Revival beiläufig auf dem Klassiker-Parkplatz abgestellt war, mühelos in eine andere Welt:

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GN Cyclecar; Bildrechte; Michael Schlenger

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Überraschungsgast: Ein Lancia Lambda aus Schottland

Der von 1923–31 gebaute Lancia Lambda gehört zweifellos zu den bemerkenswertesten Wagen der Zwischenkriegszeit.

Mit Einzelradaufhängung rundum, hydraulischen Stoßdämpfern sowie selbsttragender Karosserie und niedrigem Schwerpunkt stand er wie kein anderer für die Moderne im Automobilbau (siehe auch Bildberichte hier und hier).

Für die bahnbrechende Rolle dieses Modells steht sinnbildlich die folgende historische Aufnahme, die einen Lancia Lambda am Ausgang eines Felsdurchbruchs irgendwo in den Alpen zeigt:

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Lancia Lambda; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn nur 11.000 Exemplare des Lancia Lambda entstanden, ist es immer wieder erstaunlich, wohin es diese Fahrzeuge einst verschlagen hat.

Bei einer Tour im Gebirge dürfte der Wagen mit seinem niedrigen Schwerpunkt vielleicht nicht so ideal gewesen sein wie bei Sporteinsätzen von Amateuren, wo er zahlreiche Erfolge feierte.

Der Ruhm dieses in der Gesamtheit seiner Qualitäten wohl einzigartigen Fahrzeugs sprach sich jedenfalls rasch herum. Auch in England, wo es nicht gerade an heimischen Sportwagenmarken mangelte, fanden sich begeisterte Käufer.

Und selbst über 90 Jahre nach der Entstehung des Modells gibt es auf der Insel noch Enthusiasten, die ihren Lancia Lambda nicht ängstlich in einer klimatisierten Halle hüten, sondern bestimmungsgemäß bei Wind und Wetter fahren:

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Lancia Lambda; Bildrechte: Michael Schlenger

Dieses gut gebrauchte Prachtexemplar war 2017 beim Goodwood Revival Meeting in Südengland zu bestaunen — auf dem Besucherparkplatz wohlgemerkt.

Die jährlich an der legendären Rennstrecke stattfindende Veranstaltung ist nicht nur wegen ihrer historischen Atmosphäre einzigartig – nirgendwo sonst vermitteln einem tausende stilvoll gekleidete Besucher das Gefühl, in einer Zeitschleife zwischen den 1930er und 1960er Jahren gefangen zu sein.

Auch die Qualität der aus- und abgestellten Fahrzeuge in allen möglichen Zustandskategorien sucht in dieser Konzentration ihresgleichen. Dabei macht sich auf dem Veranstaltungsgelände die Begrenzung der Baujahre auf die Zeit bis 1965 segensreich bemerkbar. Sogenannte Youngtimer wird man dort nicht finden.

In Goodwood kommen die Liebhaber richtig alter Automobile auf ihre Kosten, selbst ausgewiesene Veteranenkenner werden ihre Freude haben. Bei so einem Anblick kann man auch über einen verregneten Vormittag hinwegsehen:

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Lancia Lambda; Bildrechte: Michael Schlenger

Man sieht diesem Lancia Lambda sein langes Leben an, wie sich das für einen Veteranen seines Schlages gehört. Die Lackierung ist verblasst und an ein paar Stellen abgeplatzt – sicher ist sie schon einige Jahrzehnte alt, vielleicht sogar original.

Der rund 90 Jahre alte Wagen macht trotz der Spuren der Zeit einen soliden Eindruck und man glaubt gern, dass sich damit auch längere Strecken über Land recht bequem zurücklegen lassen. Das moderne Fahrwerk und die großen Vorderradbremsen tragen ihren Teil dazu bei.

Der eigentümliche Reiz des Lancia Lambda ist auch seiner klaren, fast strengen Linienführung zu verdanken:

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Lancia Lambda; Bildrechte Michael Schlenger

Dem Lancia Lambda geht die modische Verspieltheit mancher zeitgenössischer Autos ab, damit ist er ein klassisches Automobil im besten Sinne – zeitlos schön.

Gleichzeitig vermeidet die Gestaltung den Eindruck der Einfallslosigkeit – in vielen Details ist der Lancia Lambda eigenwillig – man beachte nur die Form der Scharniere an den Türen:

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Lancia Lambda; Bildrechte: Michael Schlenger

Leider war über die Historie dieses eindrucksvollen Wagens, der auf eigener Achse zum Goodwood Revival angereist war, an Ort und Stelle nichts in Erfahrung zu bringen.

Nur dass der Lancia Lambda einst in Schottland zugelassen wurde, ließ sich aus dem Nummernschild erschließen. Die Buchstabenfolge “DS” verweist auf eine Zulassung vor 1965 in der schottischen Grafschaft Peeblesshire (Quelle).

In Großbritannien dürfen historische Fahrzeuge ihr ursprüngliches Nummernschild ihr ganzes Leben lang behalten, was ihnen Kennzeichenwechsel bei Umzug oder Verkauf und die Montage zeitgenössischer Schilder erspart.

Zwar wissen wir nicht, wo genau der Lancia Lambda heute sein Zuhause hat – eine virtuelle Heimat ist ihm aber auf diesem Blog für Vorkriegsoldtimer sicher.

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

Auf dem Holzweg: Ein Chrysler “Royal” von 1937

Das bekannteste Vorkriegsmodell des US-Großserienherstellers Chrysler dürfte wohl der 1934 vorgestellte “Airflow” gewesen sein. Er bot etliche Neuerungen, von denen die stromlinienförmige Gestaltung die auffallendste war:

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Reklame für den Chrysler Airflow; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Allerdings wurde das hochmoderne Gefährt ein Misserfolg, jedenfalls gemessen an den Verhältnissen des US-Markts (ausführlicher Bildbericht).

Dabei war es keineswegs die windschlüpfrige Form als solche, die dem Publikum missfiel. Denn der vom Modell “Airflow” stark beeinflusste Peugeot 402 wurde ab 1935 hervorragend angenommen. Der Chrysler war schlicht zu plump geraten.

Das Scheitern des “Airflow” scheint bei Chrysler eine Art Trauma hinterlassen zu haben, das sich in der Gestaltung der Folgemodelle bis zum 2. Weltkrieg niederschlug.

Speziell die Chryslers der Modelljahre 1937 und 1938 blieben nicht nur ängstlich auf Ebene des Mainstream, sondern wirkten auch noch im Detail verunglückt.

Die folgende Aufnahme aus Kriegszeiten zeigt ein Beispiel dafür:

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Chrysler “Royal”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

An diesem im Original winzigen Abzug, der auf der Rückseite den Stempel eines Wiener Fotogeschäfts trägt, hat sich der Verfasser einige Zeit abgearbeitet.

Zunächst wirkte das Fahrzeug, das hier vorsichtig eine Behelfsbrücke über einen Bachlauf befährt, gar nicht wie ein PKW. Mit der bulligen Frontpartie hätte es auch ein leichter LKW sein können.

Ein Fahrzeug aus deutscher Produktion war auszuschließen, so wurde erst einmal in Richtung französischer und britischer Nutzfahrzeuge recherchiert. Wieso das?

Das ausgebrannte Fabrikgebäude im Hintergrund, die matte Lackierung des Wagens, die Tarnscheinwerfer und die taktischen Zeichen auf den Vorderkotflügeln ließen erkennen, dass es sich um ein von der deutschen Wehrmacht im Kriegseinsatz genutztes Fahrzeug handeln muss:

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Da kein deutscher Hersteller in Frage kam, lag es nahe, von einem 1940 im Westen erbeuteten Fahrzeug der französischen Armee bzw. des britischen Expeditionskorps auszugehen.

Die Suche in dieser Richtung – gestützt auf die überzeugend strukturierte und umfassend bebilderte Website KfZ der Wehrmacht – ging allerdings ins Leere. Damit kam nur noch ein US-Modell in Frage.

Mangels Anhaltspunkten half nur, die Typen der großen US-Hersteller nach Baujahr durchzugehen und mit dem Foto abzugleichen. Dabei konnte die Betrachtung anhand stilistischer Details auf die zweite Hälfte der 1930er Jahre eingeschränkt werden.

Letztlich fand sich beim Chrysler “Royal” von 1937 vollständige Übereinstimmung – ein hierzulande wohl kaum bekannter Typ. Der Wagen stellte mit seinem 3,7 Liter messenden Sechszylinder das Einstiegsmodell von Chrysler dar.

Mit an die 100 PS Leistung galt der “kleine” Chrysler in Europa zwar als hervorragend motorisiert. Als Beutewagen bei der Wehrmacht hatte er aber den Nachteil schlechter Teileverfügbarkeit und hohen Kraftstoffverbrauchs.

Dennoch nutzte einst eine deutsche Militäreinheit den Chrysler. Im Moment der Aufnahme dirigiert ihn ein offenbar unbewaffneter deutscher Unteroffizier (zu erkennen an der silbernen Litze am Uniformkragen) über den Bohlenweg:

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Eine Recherche im Forum der Wehrmacht ergab immerhin, dass der Chrysler zu einer teilmotorisierten Einheit der Feldgendarmerie gehörte, die wiederum wahrscheinlich der 297. Infanteriedivision zugeordnet war.

Dieser in Österreich ausgehobene Großverband wurde nach der Vernichtung im Kessel von Stalingrad 1943 neu aufgestellt und war bis Kriegsende auf dem Balkan eingesetzt.

Der Chrysler dürfte demnach dort sein Ende gefunden haben. Vielleicht leistete er aber nach 1945 noch in ziviler Verwendung wertvolle Dienste. Die nicht gerade ansprechende Gestaltung der Frontpartie dürfte dabei niemanden gestört haben.

Unsere Aufnahme versinnbildlicht jedenfalls den Holzweg, auf den Chrysler mit dem Modell “Royal” seinerzeit gekommen war. Erst die ab 1939 gebauten Modelle brachten der Firma wieder überzeugende Absatzerfolge…

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David trifft Goliath – DKW F1 und Horch 8 Typ 350

Wer diesen Oldtimer-Blog schon länger verfolgt weiß, dass der Verfasser sich für so ziemlich jede Art von Vorkriegsautos erwärmen kann.

Ob US-Großserienfahrzeuge wie der Buick Master Six oder europäische Raritäten wie der Praga Grand 8 – ob Hubraumgiganten wie der Mercedes 28/60 PS oder Kleinwagen wie der Opel 4 PS “Laubfrosch”, ihnen allen lassen sich reizvolle Seiten abgewinnen – vor allem, wenn man sie auf historischen Originalfotos betrachtet.

Mit falsch verstandenem Prestigedenken und Geringschätzung des Bodenständigen tut man sich wie im richtigen Leben keinen Gefallen. Denn so verpasst man interessante Begegnungen wie die hier dokumentierte:

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Horch 8 Typ 350 und DKW F2; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Horch-Freunde unter den Lesern werden natürlich auf Anhieb das mächtige Cabriolet als 8-Zylinderwagen des ab 1928 gebauten Typs 350 mit 80 PS erkennen.

Mit diesem Luxusmodell aus Zwickau haben wir uns schon wiederholt befasst – für die Details sei daher auf das ausführliche Typporträt verwiesen.

Übrigens gehört das Foto zu einer ganzen Serie von Aufnahmen desselben Fahrzeugs, die die Zeiten in einem alten Fotoalbum überdauert haben. Mit diesen Fotos werden wir noch einige Blogeinträge bestreiten können.

Bevor wir uns dem spielzeughaft wirkenden Gefährt im Schlepptau des Horch nähern, hier noch ein Ausschnitt, der die Dimensionen des Wagens erkennen lässt:

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Ein so mächtiges Auto dennoch wohlproportioniert erscheinen zu lassen, das ist eine Kunst, die in Zeiten unförmiger PS-Monster verlorengegangen ist.

Diese Meisterwerke waren aber auch nicht für den aggressiven Auftritt auf der Autobahn, vor der Schule oder auf dem Parkplatz des Möbelmarkts gedacht. Sie sollten davon künden, dass man Geld und Geschmack hatte.

Das tat man idealerweise nicht mit einem zigtausendfach gebauten US-Automobil, sondern mit einem teureren Wagen aus einheimischer Manufaktur, der neben Technik vom Feinsten oft auch eine Spezialkarosserie edler Herkunft besaß.

Dennoch scheinen die Besitzer des Horch 8 Typ 350 auf dem Foto ihre Bodenhaftung nicht verloren zu haben. Offfenbar hatten sie keine Berührungsängste, was Automobile vom anderen Ende des Spektrums angeht:

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Was hier wie das Beiboot einer großen Motoryacht wirkt, ist ein DKW F1 in der Ausführung als 2-sitziges Cabriolet.

Das ab 1931 gebaute Wägelchen mit Zweizylinder-Zweitakter und 600ccm Hubraum sollte den Grundstein für den großen Markterfolg der ebenfalls im sächsischen Zwickau angesiedelten Firma DKW legen.

Mit Frontantrieb boten die DKW Zweitakter sogar eine gewisse technische Raffinesse, wenngleich der kurz vorher vorgestellte Stoewer V5 auf diesem Sektor das überzeugendere Gesamtkonzept aufwies.

Und wenn nicht gerade ein Horch-Achtzylinder neben ihm stand, wirkte selbst das kompakte 2-Sitzer-Cabrio des DKW F1 einigermaßen “erwachsen”:

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DKW F1; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der DKW, der auf dem ersten Foto mit dem Horch wie David gegen Goliath daherkommt, verdient auf jeden Fall einen Sympathiebonus.

Das auch, weil er der formal wohl gelungenste Kleinwagen aus deutscher Herstellung war, dessen Nachfolger in der Front-Luxus-Ausführung an die gestalterische Klasse der zeitgenössischen Horch-Wagen herankamen.

So schließt sich am Ende der Kreis, an dessen Anfang eine ganz unwahrscheinlich wirkende Begegnung stand…

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Letztes Spitzkühler-Modell von Stoewer: Typ D9V

Die Spitzkühlermodelle, die die Stettiner Manufaktur Stoewer in der ersten Hälfte der 1920er Jahre baute, sind trotz überschaubarer Stückzahlen auf diesem Blog zahlreich anhand historischer Originalfotos dokumentiert.

Stellvertretend für die beiden erfolgreichsten Vertreter dieser Gattung – die Stoewer-Typen D3 und D5 – sei folgende Originalwerbung präsentiert:

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Stoewer-Reklame aus Sammlung Michael Schlenger

Der Verfasser vermutet, dass diese außergewöhnliche Werbeanzeige mit einer charmanten Stoewer-Liebhaberin kurz nach dem 1. Weltkrieg entstand.

Dafür spricht der Hinweis auf den Flugmotorenbau, der nach dem Krieg letztlich aber keine Bedeutung mehr entfalten sollte. Zudem ist die junge Dame, die hier ihren Stoewer herzt, modisch noch nicht in den wilden 1920ern angelangt.

Wer auch immer der Grafiker war, der dieses schöne Dokument schuf, nahm es mit den Details der Stoewer-Wagen nicht so genau.

Ja, man erkennt hier einen D-Typ in seinen Grundzügen – wahrscheinlich das ab 1920 gebaute Sechszylindermodell D5 – doch die Proportionen passen nicht. Ein Stoewer-Wagen der D-Baureihe war keineswegs so putzig, wie er hier erscheint.

Tatsächlich handelte es sich um eindrucksvoll dimensionierte Wagen, wie folgende Aufnahme deutlich macht:

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Stoewer D9V; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Unserer Stoewer-Liebhaberin in der Werbung ging die Motorhaube des Stoewer-Tourers gerade bis zur Hüfte. Dieser künstlerischen Freiheit stehen die wahren Proportionen des mächtigen Wagens auf dem Foto gegenüber.

Dass es ein Stoewer des D-Typs ist, verrät die Form des Spitzkühlers mit der leicht geneigten Vorderkante. Auch die niedrig angeordneten Luftschlitze passen dazu.

Äußerlich unterschieden sich die Spitzkühlertypen aus der D-Baureihe von Stoewer nur in Details. Umso bemerkenswerter ist es, dass wir den Stoewer auf dem Foto genau identifizieren können:

Stoewer_D9V_oder_D12V_Frontpartie

Trotz der mäßigen Qualität des über 90 Jahre alten Abzugs ist ein entscheidendes Element gut zu erkennen. So zeichnet sich hinter den Speichen des Vorderrads eine eindrucksvoll dimensionierte Bremstrommel ab.

Bremsen an den Vorderrädern besaßen die Stoewer-Wagen der bisher vorgestellten Typen D3 (Vierzylinder) und D5 (Sechszylinder) noch nicht. Vorderradbremsen wurden erst an den Nachfolgemodellen D9 und D12 verbaut.

Bei der Vierzylinder-Version D9 stieg die Leistung gegenüber dem D3 von 24 auf 32 PS, beim Sechszylinder-Typ D12 fielen 55 statt 36 PS an. Damit erreichten diese Kolosse Spitzengeschwindigkeiten von 90 bzw. 100 km/h.

1925, also nur ein Jahr nach Vorstellung der beiden Modelle, stattete man sie mit Vorderradbremsen aus, die Typbezeichnung änderte sich dementsprechend in D9V bzw. D12V.

Die kurze Motorhaube und der nicht weit nach hinten reichende Vorderkotflügel beim Stoewer auf dem Foto sprechen für die Vierzylinderversion D9V.

Der Reihensechszylinder D12V besaß eine längere Haube und sanfter auslaufende Schutzbleche in Verbindung mit einem 40 cm längeren Radstand.

Bevor nun jemand beanstandet, dass dies ja reichlich Details sind, die hier aus einem alten Foto von mäßiger Erhaltung herausgelesen werden, bringen wir folgende Aufnahme desselben Typs von ungleich besserer Qualität:

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Stoewer D9V; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Solche spektakulären Ergebnisse vermochte Mitte der 1920er Jahre eine analoge Mittelformatkamera abzuliefern, wenn sie von sachkundiger Hand bedient wurde.

Überzeugend sind nicht nur die beachtliche Schärfe und der enorme Tonwertreichtum, sondern auch der Bildaufbau, der endlich einmal einen Stoewer D-Typ von vorne zeigt.

Und weil dieser alte Abzug es ohne weiteres hergibt, “zoomen” wir uns noch näher an dieses Prachtexemplar von Automobil heran:

Stoewer_D9V_oder_12V_Grünsberg bei_Altdorf_07-1930_Ausschnitt

Schöner als auf diesem Spitzenfoto wird man einen Stoewer-Wagen der D-Baureihe kaum abgelichtet finden. Das darf man genießen, so eine Aufnahme findet sich in der gesamten Literatur über Stoewer-Automobile nicht.

Man beachte beispielsweise den spannungsreichen Kontrast zwischen der oben abgerundeten Kühlermaske und dem unten eckig ausgeführten Abschluss. Raffinierte Details wie diese machten einst die Klasse von Stoewer-Wagen aus.

Apropos Details: Wer dem Hintergrund unserer Aufnahme etwas Aufmerksamkeit schenkt, wird dort außer dem kleinen Jungen, der sich ins Bild gemogelt hat, einige Firmenschilder registrieren:

Stoewer_D9V_oder_12V_Grünsberg bei_Altdorf_07-1930_Ausschnitt2

Über dem Emaille-Schild mit der Aufschrift “Öffentliche Telephonstelle” ist eine Werbung für “Patrizier-Bier” der Nürnberger “Lederer-Bräu” angebracht. Vielleicht sagt einem in Bierwissenschaften sachkundigen Leser das etwas…

Wir wissen nur von der Beschriftung des Abzugs, dass dieses Foto im Juli 1930 in “Grünsberg bei Altdorf” entstand, wenn der Verfasser es richtig gelesen hat.

Demnach muss das Foto in der Nähe der gleichnamigen Burganlage im Raum Nürnberg entstanden sein. Erkennt jemand vielleicht den genauen Ort?

Nachtrag: Einem Leser verdanke ich den Hinweis, dass es sich um das Gasthaus zum roten Ross von Johann Schrödel, auch genannt Schrödel’sches Gasthaus, handelt.

Erwähnung verdienen nach Ansicht des Verfassers auch die drei Herren im bzw. neben dem Stoewer, die ohne weiteres als Charakterköpfe Theaterkarriere hätten machen können:

Stoewer_D9V_oder_12V_Grünsberg bei_Altdorf_07-1930_Ausschnitt3

Das waren offenbar echte Persönlichkeiten, die ohne Stilberater sie selbst sein konnten, keine Abziehbilder aus Zeitgeistjournalen, die ängstlich darauf bedacht sind, alle dieselben Bärte, Brillen und Modelabels zu tragen.

Heute wird ja oft von Individualität und Vielfalt fabuliert – kann es sein, dass beides früher selbstverständlich war, als man dies nicht ständig betonen musste?

Wer partout die Gegenwart in jeder Hinsicht für die beste aller Welten hält, darf gern mal schätzen, wieviele Automarken es einst allein in Europa in der Vorkriegszeit gab.

Das richtige Ergebnis ist vierstellig und das mag erklären, warum die Zeiten wirklich bahnbrechender Innovationen längst vorbei sind.

Vielleicht wäre das anders, würden in Stettin und anderswo heute noch Autos von echten Erfinder-Unternehmern wie den Gebrüdern Stoewer gebaut…

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Kontrastprogramm: Dixi 6/24 PS Tourer

Die Eisenacher Automarke Dixi ist Freunden deutscher Vorkriegswagen oft nur noch als Hersteller des Modells bekannt, das die Grundlage für das erste BMW-Automobil lieferte, den BMW 3/15 (Typ DA2) von 1929 (Bildbericht).

Das ist einerseits verständlich, denn BMW gelang es in kurzer Zeit, den von Dixi übernommenen Abkömmling des Austin Seven zu sportlich wirkenden und bald auch sportlich zu fahrenden Modellen weiterzuentwickeln.

Andererseits mag man es bedauern, dass von der großen Modellvielfalt, die Dixi von 1904 bis zur Übernahme durch BMW 1928 auszeichnete, so wenig im kollektiven Gedächtnis der Klassikergemeinde übriggeblieben ist.

Daher betreiben wir hier heute ein wenig Kontrastprogramm, indem wir den BMW “Dixi” links liegen lassen und uns mit “echten” Dixi-Modellen beschäftigen.

Immerhin ist der Werdegang der Marke, die vor dem 1. Weltkrieg in Sachen Motorisierung und Qualität mit Adler mithalten konnte, gut dokumentiert.

Halwart Schrader hat sich der Eisenacher Wagen aus der Zeit vor der BMW-Übernahme in seinem Standardwerk “BMW Automobile” (Verlag Bleicher, 1978) angenommen und damit zugleich eine klaffende Lücke geschlossen.

So lassen sich Dixi-Wagen auf historischen Fotos recht gut identifizieren – wenn man mal auf eines stößt. Die Stückzahlen der Dixi-Modelle waren nämlich durchweg sehr niedrig. Da muss man nehmen, was man kriegen kann:

Dixi_6-24_PS_Ausschnitt

Dixi Typ G2 6/24 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese verwackelte und wenig kontrastreiche Aufnahme zeigt den ersten Dixi, der auf diesem Blog besprochen wurde. Immerhin gelang die Identifikation als 6/24 Modell (Typ G2) – dank Dixi-Spezialist René Förschner.

Technisch bot der Wagen wenig Überraschendes: Verbaut wurde ein 1,6 Liter messender Vierzylinder mit Seitenventilen, die direkt von untenliegenden Nockenwellen betätigt wurden.

Die Höchstleistung von 24 PS fiel bei 2.200 Umdrehungen pro Minute an, entsprechend selten musste das 4-Gang-Getriebe bemüht werden. Man fühlt sich an den ähnlich dimensionierten Adler 6/25 PS erinnert, der aber erst 1925 erschien.

Genug der Daten, nun wollen wir uns den Wagen einmal richtig ansehen, und auch das verspricht ein Kontrastprogramm zu werden – im wahrsten Sinn des Wortes:

Dixi_6-24_PS_Typ G2_Galerie

Dixi 6/24 PS (Typ G2); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das ist nun endlich eine Aufnahme, wie man sie sich wünscht: knackscharf und kontrastreich – dem Format nach zu urteilen mit einer Mittelformatkamera gemacht, wo das Negativ großzügige 9×12 cm maß.

Aufnahmewinkel und Bildaufbau sind, sagen wir: eigenwillig. Man gewinnt den Eindruck, dass das Auto nur eine Nebenrolle spielte, sonderlich vorteilhaft ist es nicht aufgenommen.

Auf den ersten Blick erschien daher die Identifikation des Wagens schwierig, wenngleich einige eigenständige Merkmale zu sehen sind. Schauen wir genauer hin:

Dixi_6-24_PS_Typ G2_Ausschnitt1

Auffallend sind der gemäßigte Spitzkühler mit dem markanten unteren Abschluss, das schräg auf der Oberseite angebrachte Markenemblem und die nach hinten geneigten Luftschlitze in der Motorhaube.

Zusammengenommen erlauben diese Details eine klare Ansprache als Dixi 6/24 PS (Typ G2), wie er von 1923-28 gebaut wurde.

Nur selten bekommt man die Vorderachsaufhängung so deutlich zu sehen. Hier haben wir eine blattgefederte Starrachse, Stoßdämpfer sind nicht vorhanden, ebenso fehlen Hinweise auf eine vordere Trommelbremse.

Da der Dixi ausweislich der Literatur 1925 Vierradbremsen erhielt, haben wir wohl einen Wagen aus dem Baujahr 1923/24 vor uns. Die Drahtspeichenräder mit Zentralverschlussmutter waren serienmäßig – eine Seltenheit bei deutschen Autos.

Die stark abgefahrenen Reifenprofile deuten auf intensive Nutzung hin. Leider genügt der Buchstabe “H” auf dem Nummernschild allein nicht zur Identifikation des Zulassungsbezirks. 

In Frage kommen Pommern (I H), Oberfranken (II H) und Schwarzwaldkreis (III H). Lässt sich vielleicht aus anderen Details auf den Aufnahmeort schließen?  Erlaubt die Kleidung eine landsmannschaftliche Zuordnung?

Dixi_6-24_PS_Typ G2_Ausschnitt2

So oder so ist das ein schönes Dokument einer Gruppe von Automobilisten von Mitte der 1920er Jahre.

Die Fliegerbrillen der beiden Damen auf dem Trittbrett lassen vermuten, dass sie auf den hinteren Plätzen des Dixi 6/24 PS Tourenwagens untergebracht waren. Dort war es ab einem bestimmten Tempo zugig genug für solche Accessoires.

Auch hieran wird deutlich, dass das Spitzentempo von 75 km/h damals völlig ausreichend war. Mehr wäre auf den Rücksitzen in einem offenen Auto nicht zumutbar gewesen – von den Straßenverhältnissen ganz zu schweigen.

Sicher gab es deutlich stärkere Automobile, auch von Dixi und das bereits vor dem 1. Weltkrieg. Doch deren Leistung wurde nur bei Reisen in bergigen Regionen abgefordert. In der Fläche genügten dagegen 20 bis 30 Pferdestärken.

Auch an dieser Stelle sei daran erinnert, dass ein eigenes Auto in den 1920er Jahren ein Luxusobjekt war, das Unabhängigkeit von Bahnfahrplänen oder überhaupt Mobilität in entlegenen Gegenden ermöglichte.

Wer heute wie selbstverständlich ins Auto steigt, darf ruhig einmal eine Gedenksekunde an unsere Altvorderen verschwenden, die täglich bei Wind und Wetter zu Fuß, mit Fahrrad oder Moped zur Arbeit mussten.

Der PKW mit Verbrennungsmotor hat weitesten Schichten eine zuvor undenkbare Bewegungsfreiheit eröffnet. Die politischen Interessengruppen, die das hierzulande aktuell in Frage stellen und für die breite Masse unbezahlbare Elektroautos propagieren, wollen offenbar zurück in eine Zeit, in der ein Auto das Privileg weniger Vermögender war…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.