Ende Februar, noch eine knappe Stunde bis Mitternacht – höchste Zeit für den Fund des Monats.
Beim Anvisieren und Treffen des Ziels hilft mir diesmal Wilhelm Tell – oder besser: eine Arie aus der gleichnamigen Oper von Rossini – “Selva opaca, deserta brughiera” – vorgetragen anno 1956 in Turin von der hierzulande kaum bekannten Marcella Pobbe mit ihrem wunderbar warmen und ausgewogenen Sopran.
Das Auto, um das es geht, ist zwar nicht von solch’ edler Abkunft aus Italien, nach dem gestrigen Lancia Lambda wäre es auch kaum möglich, hier noch einen draufzusetzen.
Höchste Exklusivität ist dennoch gesichert. Dafür sorgt schon die Tatsache, dass die Wagen des Bielefelders Dürkopp-Konzerns zu den am schlechtesten dokumentierten frühen deutschen Automobilen von Rang gehören.
Altmeister Heinrich von Fersen lieferte zwar in seinem immer noch nützlichen Standardwerk “Autos in Deutschland 1885-1920” (1. Aufl. 1965) einen 9(!)-seitigen Artikel zu der Marke ab, konnte aber kein einziges Foto eines Dürkopp-Wagens beisteuern.
Gut 35 Jahre später kam in Halwart Schraders Aufguss “Deutsche Autos 1885-1920” auch nicht viel mehr aus dem Auspuff in Sachen Dürkopp. Dabei gab es einst eine Vielzahl von Typen aller Klassen und es sind auch etliche Originalfahrzeuge erhalten:
Dürkopp um 1912; aufgenommen 1963 bei einer Veteranenausfahrt in Dresden; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
So muss man sich einen Dürkopp um das Jahr 1912 vorstellen, wobei die Bandbreite der Motorisierungen enorm war. Wohl am verbreitetsten waren die kleinen und mittleren Modelle mit bis zu 30 PS Leistung.
Sie sind auf historischen Aufnahmen schwer auseinanderzuhalten, da sie allenfalls in den äußeren Abmessungen differierten. Speziell die an Opel erinnernde Kühlerform wie auf obiger Aufnahme begegnet einem bei diesen Typen auf Schritt und Tritt.
Da darf man wohl mit einiger Berechtigung elektrisiert sein, wenn man mal wieder elektronische Post aus dem fernen Australien erhält, wo bemerkenswert viele Vorkriegsenthusisasten sehr gut Bescheid über frühe deutsche Fabrikate wissen.
Einer davon ist Jason Palmer und so ist es nicht das erste Mal, dass er den Fund des Monats beisteuern kann. Was er kürzlich an Land gezogen hat, ist in jeder Hinsicht eine Klasse für sich und macht einen erst einmal sprachlos:
Dürkopp von 1913/14; Originalfoto aus Sammlung Jason Palmer (Australien)
Man mag gar nicht glauben, dass dieses Foto vor weit über 100 Jahren entstanden ist – man meint, den mächtigen Tourenwagen wirklich vor sich zu haben – zum Greifen nah. Sicher tut der Fahrer seinen Teil dazu, dass diese Aufnahme so frisch und lebendig wirkt.
Der professionelle Fotograf war ein Meister seines Fachs – Platzierung, Perspektive und Belichtung lassen sich kaum besser vorstellen. Und dabei sehen wir hier noch nicht einmal die volle Qualität des originalen Plattenabzugs.
Unsere Bewunderung verdient aber natürlich vor allem der vor dem Hintergrund von Bauten des späten Jugendstils abgebildete Wagen.
Dass es sich um einen Dürkopp handelt, daran lässt das geschwungene “D” auf dem Kühlergehäuse keine Zweifel. Aber ansonsten habe ich so ein Exemplar noch nirgends gesehen.
Das fängt mit der Birnenform des Kühlers an, die wohl wie bei anderen deutschen Marken ab 1913/14 eingeführt wurde. Dazu passen zeitlich gut die elektrischen Parkleuchten im Windlauf vor der Frontscheibe, während die Hauptscheinwerfer noch gasbetrieben sind.
Vergleichen Sie einmal deren Größe mit dem Haupt des Fahrers – man beginnt zu ahnen, dass man es hier mit etwas Spektakulärem zu tun hat. Bestätigt wird das bei einem Blick auf die Räder: sechs Radbolzen mit einem derartig großen Lochkreis sind außergewöhnlich:
Geradezu modern wirkt die Gestaltung der Räder mit den scheibenartigen Abdeckungen der Holzspeichen.
Was soll man mangels Vergleichsexemplaren davon halten? Nun, eine Sache fand sich doch in meinem Fundus, die einen Hinweis geben könnte.
Dabei handelt es sich um eine Dürkopp-Reklame von Januar 1914, auf der ein ganz ähnlich wirkendes Fahrzeug zu sehen ist.
Was würde man vermuten, wenn ein Hersteller auf einer solchen Werbeanzeige keine Angaben zu einem speziellen Typ macht? Nun, er würde gewiss sein bestes Pferd im Stall zeigen, nicht wahr?
Dürkopp-Reklame von Januar 1914; Original: Sammlung Michael Schlenger
Und was meinen Sie, was für eine Spezifikation das Dürkopp-Spitzenmodell damals hatte?
War es der Typ DG 25/60 PS mit seinem 6,3 Liter großen Vierzylindermotor? Das 10,2 Liter-Modell 41/85 PS kann es ja nicht gewesen sein, das wurde 1912 eingestellt.
Es bleibt nur ein letzter Versuch kurz vor Mitternacht und so kurz vor dem Ziel muss der Schuss sitzen. Ich gehe volles Risiko, werfe einen letzten Blick auf die Reifendimension, meine dort 935 x 135 zu lesen und setze alles auf den DG 40/100 PS!
Dieser Gigant mit 13 Litern Hubraum war damals tatsächlich Dürkopps Spitzenmodell und spielte in derselben Liga wie die größten Daimler-Typen. Beweisen kann ich es zwar nicht, aber etwas in der Richtung muss es gewesen sein auf dem Foto.
Und so ein Spitzenprodukt eines bedeutenden Herstellers – immerhin seit 1898 am Markt – hat keinerlei weitere Spuren in der deutschen Automobilliteratur hinterlassen?
Da fehlen einem doch die Worte. Ich überlasse mich jetzt wieder Marcella Pobbe mit “Crudele? Ah no, giammai mio ben! Troppo mi spiace…” aus Mozarts Don Giovanni.
Vielleicht fällt ja jemand anderem noch etwas ein zu diesem Fund des Monats…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Kleines Gedankenexperiment: Wenn man sich entscheiden müsste zwischen seinem modernen Alltagsauto und einem Vorkriegswagen – einem für alle Tage und für’s ganze Leben – was würde man wählen, wenn man das Auto frei Haus geliefert bekäme?
Nun, die Opel-Freunde würden wohl dem Kapitän den Vorzug geben, die Mercedes-Leute dem 230er, die Ford-Fraktion dem V8 und die BMW-Bewegten dem 327. In Frankreich wäre Citroens Traction Avant die erste Wahl, bei den Briten ein Jaguar MkIV usw.
Jedenfalls fände ich es naheliegend, wenn etwas in der Richtung herauskäme.
Drei Dinge fallen dabei auf. Erstens: Alle genannten Fahrzeuge stammen aus den 1930er Jahren und wurden auch nach dem 2. Weltkrieg mehr oder weniger unverändert gebaut. Zweitens ist kein vollkommen exotisches Modell dabei und drittens fehlt etwas aus Italien.
Das habe ich mir natürlich so zurechtgelegt, denn mein persönlicher Favorit wäre genau so etwas: Bereits rund 100 Jahre alt, technisch und formal höchst außergewöhnlich, und dann noch aus dem Land, in dem die Zitronen blüh’n.
Die Rede ist vom Lancia Lambda – sicher eines der innovativsten Autos, die je gebaut wurden, und zugleich eines von meisterhafter Gestaltung.
Ich erspare Ihnen jetzt die x-te Aufzählung der technischen Meriten, welche diesen Wagen auszeichneten. Darauf bin ich bereits in früheren Porträts dieser automobilen Großtat eingegangen.
Viel interessanter ist, wie ich zu meinem Urteil gelangt bin, dass ausgerechnet der Lancia Lambda – noch dazu in offener Ausführung wie oben – für mich das ideale Alltagsauto der Vorkriegszeit wäre.
Die im Unterschied zu mir ingenieursmäßig Begabten unter meinen Lesern werden jetzt vermutlich schlucken, denn es war ganz einfach: Ich habe mir einfach noch ein paar mehr alte Bilder von dem Wagen angesehen.
Gestern abend habe ich einige Zeit damit zugebracht, diese mir von Leser H.-G. Becker in digitaler Kopie übermittelten Aufnahmen einigermaßen präsentabel zu machen.
Dabei habe ich über den Lancia Lambda selbst zwar nichts Neues gelernt. Die Fotos haben mich aber eines begreifen lassen: Mit diesem Auto konnte man alles machen und in allen Lebenslagen die reine Freude am Dasein mit und auf vier Rädern erleben.
Wie sich diese Erkenntnis allmählich, unaufhaltsam und überwältigend breitmacht, daran möchte ich Sie heute teilhaben lassen.
Beginnen wir passend zur Jahreszeit an einem Wintermorgen irgendwo im deutschen Mitttelgebirge. Wir treten aus der Tür des Hotels und rufen aus: “Juhuh, es hat geschneit!”:
Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker
Wir schieben den Schnee vom Verdeck, legen es herunter und beginnen rundherum etwas Platz zu schaffen, damit wir nicht gleich mit nassen Schuhen einsteigen.
Denn natürlich fahren wir offen solange es keinen neuen Niederschlag gibt, so hat der Fahrer den besseren Blick auf die Straße und der Beifahrer hat mehr von der Landschaft.
Eine Heizung gibt es nicht, doch Motor und Getriebe geben nach einer Weile Fahrt reichlich Wärme in den Fußraum ab, ansonsten braucht es dicke Kleidung und ein dickes Fell.
Wie man sieht, herrscht daran kein Mangel:
Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker
Unsere Beifahrerin hat sich heroisch entschieden, auch die seitlichen Steckscheiben zu entfernen – nun ist alles im Heck verstaut und mit einer Persenning abgedeckt.
Für etwas zusätzliche Wärme sorgt ein dritter Passagier, der sich hier noch etwas schüchtern gibt.
Gestartet sind wir mit den aufgezogenen Schneeketten, haben den Motor warmgefahren, wobei die Jalousie der über den Kühler gezogenen Abdeckung anfänglich noch weitgehend geschlossen war, damit sich das Wasser schneller aufheizt.
Jetzt haben wir die Jalousie nach oben gerollt und gleich werden wir die Schneeketten abmontieren. Denn nun sind Straßen mit besseren Verhältnissen in Sicht.
Noch schnell ein Schnappschuss, bevor es im Sonnenschein weitergeht – inzwischen ist auch Lumpi wach und voller Tatendrang:
Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker
Nun geht es durch tief eingeschnittene Täler bergab, der Schnee wird weniger und bald ist man wieder in ebenem Gelände.
Bis zur Stadt ist es noch eine Weile, doch der Winterurlaub neigt sich unweigerlich dem Ende zu, bald hat einen der Alltag wieder. Immerhin hat sich der erst ein paar Monate alte Lancia auf das Schönste bewährt.
Die Straßenlage war unter allen Bedingungen ausgezeichnet, die Einzelradaufhängung und die hydraulischen Stoßdämpfer sorgen jederzeit für sicheren Fahrbahnkontakt und ausgezeichnete Lenkbarkeit.
Auch längere Abwärtsfahrten mit häufigem Bremseinsatz sind dank der mächtigen Vorderradbremsen souverän zu bewältigen. Nicht zuletzt sorgt die unerhört flache Bauweise des Lancias überall für Bewunderung – kein deutscher Hersteller bot vor 100 Jahren einen vollwertigen Tourenwagen dieser Leistungsklasse mit so niedriger Silhouette an.
Ein letztes Erinnerungsfoto und es geht heim:
Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker
Viele Wochen später findet sich wieder Gelegenheit, ein verlängertes Wochenende zu einer gepflegten Landpartie mit dem Automobil zu nutzen.
Der Lancia bekommt vorher einen kompletten Schmierdienst, der lässt sich zuhause erledigen oder man lässt das den Tankwart des Vertrauens machen.
Sicher ist sicher, sagt sich jedoch der überzeugte Lancista und macht sich selbst in der Garage ans Werk. Dabei macht er eine überraschende Entdeckung: Einer der Reifen ist fast ganz platt – offenbar haben wir bei der letzten Fahrt gegen Ende einen Nagel eingesammelt.
Auch in solchen Lebenslagen heißt es: selbst ist der Mann und assistiert von Lumpi ist der Defekt nach einer Weile behoben:
Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker
Man sieht: Der Besitz eines solchen Ausnahmeautomobils erfordert bisweilen außerordentlichen Einsatz. Doch ein Mann sollte solche Sachen können, denn wer sonst würde es denn machen, wenn das unterwegs passiert, die Beifahrerin etwa?
Nein, undenkbar für den Mann mit Stil, selbst wenn er weiß, dass “sie” es kann.
Das Beladen des Wagens für die anstehende Tour ist ebenfalls einer Dame unwürdig, außerdem meint “er”, besonders planvoll dabei vorzugehen. So muss der Ölkanister eher griffbereit sein, während Koffer und Hutschachtel nach Passform einsortiert werden:
Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker
Den Lancia selbst meistert unterwegs allerdings auch “sie” – soviel ist klar. Wer ein solches Auto fährt, stellt auch bei der Wahl der Lebensgefährtin besondere Ansprüche.
Kochen muss sie nicht können, aber bei Benzingesprächen, Pannen und am Steuer mithalten, notfalls endlose Kilometer fressen, wenn es gilt, die letzte Fähre in Neapel zu erwischen, die einen nach Sizilien zur Targa Florio bringt – darauf kommt es an.
Hier “übt” die bessere Hälfte scheinbar, aber diese Aufnahme ist nur dafür gedacht, die Schwestern zu ärgern, die zwar ebenfalls einen höheren Schulabschluss haben, aber sich bereits früh im Dasein als Ehefrau und Muttertier eingerichtet haben:
Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker
Unterschätzen Sie diese Dame nicht, meine Herren, sie könnte ihnen den prächtigen Lancia öfter entführen, als Ihnen lieb sein kann (für den regelmäßig anstehenden Schmierdienst hat “sie” merkwürdigerweise nie Zeit).
Aber jede gute Partnerschaft lebt von einer gesunden Arbeitsteilung und so kann “er” sich auf ihre Fahrkompetenz ebenso unbedingt verlassen wie “sie” sich auf seinen Orientierungssinn. Jedenfalls lässt sie ihn glauben, dass er darin unerreicht ist.
So kann es vorkommen, dass “sie” mit bleischweren Pumps den Lancia dem Ziel entgegenfliegen lässt, “er” dabei jedoch einen Abzweig übersieht.
Nun gilt es, einen Vorwand zu finden, dem Lancia eine Pause zu gönnen:
“Meinst Du nicht auch, dass das Wasser etwas heißer wird als sonst? Lass’ uns doch einmal da vorne halten, Lumpi muss sich ohnehin mal die Beine vertreten”.
Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker
Während sie ungeduldig am Steuer ausharrt, geht Lumpi einem natürlichen Bedürfnis nach und “er” schaut auf der Karte nach, ob es nicht demnächst eine “Abkürzung” gebe, denn man habe nicht ganz die ideale Route genommen.
“Er” sitzt heute ohnehin nur in der zweiten Reihe, denn eine alte Freundin hat sich als Beifahrerin eingefunden.
Sie hat es nicht ganz so gut getroffen in ihrem Leben, und es hat sie einige Überwindung gekostet, die Freundin zu fragen, ob man sie denn vielleicht einmal mitnehmen könne, sie würde auch für die Verpflegung unterwegs sorgen.
Für sie ist es die erste Fahrt im Automobil überhaupt und sie kann kaum fassen, wie ihr geschieht. Ein wenig fürchtet sie sich schon, als der Lancia auf langen Geraden in der Ebene immer schneller wird und sogar einen Eisenbahnzug überholt.
So schaut sie noch ein wenig kariert, als man beim Picknick an einem Waldsee ein Foto mit dem Selbstauslöser macht:
Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker
Unser wackerer Lancista tut so, als würde er nichts bemerken, er hat gerade ein Bad im See genommen und sitzt nun mit leicht verrutschtem Mantel und Barett da wie ein Maler, der mit dem Kohlestift eine Skizze der Szenerie anfertigt.
Seine Gattin, die ihre Schuhe irgendwo ins Gras geworfen hat, lacht genau im richtigen Moment, als der Verschluss der Kamera auslöst. Die in diesen Dingen unerfahrene Freundin muss dagegen noch lernen, in solchen Situationen entspannt zu sein.
Unterdessen macht der Lancia nebenher “bella figura” – selbst das Wenige, das man von ihm sieht, lässt seine besondere Klasse erkennen.
Dass der Lancia Lambda für alle Lebenslagen ideal geeignet und ausgestattet ist, wird auch auf dem folgenden Foto deutlich.
Damit ist weniger die nachgerüstete Stoßstange gemeint, sondern vielmehr das formidable Angebot an Sitzgelegenheiten, welche der Wagen dank seiner einzigartigen Linienführung bietet. Nur völlig ignorante Passanten nehmen das nicht bewundernd zur Kenntnis:
Stört es hier, dass der Abzug rechts oben stark beschädigt ist?
Nein, denn das Zentrum des Geschehens ist ganz links angesiedelt. Das Mienenspiel unserer beiden Lancisti ist einfach unbezahlbar – so sieht wahre Liebe aus!
Dann noch die frisch aufgegangenen Blüten im Gras vor dem Wagen – das kann man sich besser kaum ausdenken. Haben Sie bemerkt, wie die Fotos aus dieser bezaubernden kleinen Serie immer besser werden?
Nun, das hat nicht nur mit den abgebildeten Situationen zu tun, sondern auch damit, dass wir den Winter hinter uns gelassen haben und alles mit einem Mal von Sonnenlicht umspült und durchflutet erscheint – bei der damaligen Fototechnik wirkte sich das segensreich aus.
Am Ende steht eine Aufnahme, die noch einmal alles zusammenfasst, was die Faszination solcher Bilder eines Lancia Lambda ausmacht:
Die torpedohafte, für mich unerreichte Linie des Wagens, die Lebensfreude, die ein solches Wunderwerk seinen Besitzern (einschließlich Lumpi und der braven Freundin) bescherte, die einzigartige Architektur von Vorkriegsautos, die überhaupt erst eine solche Szenerie ermöglichte und nicht zuletzt die unauffällig arbeitende Spitzentechnologie des Lancia Lambda, die ihn zum idealen automobilen Begleiter in allen Lebenslagen machte:
Lancia Lambda; Originalfoto bereitgestellt von H.G. Becker
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Den Frontantrieb in Deutschland etabliert haben einst DKW (ab 1931) und Adler (ab 1932) – das dürfte unstrittig sein. Der ebenfalls in deutschen Landen gebaute Citroen “Traction Avant”, der später bei der Wehrmacht hochbegehrt sein sollte, kam erst 1934 auf den Markt.
Ein Hersteller darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben: Stoewer aus Stettin.
Die Nischenmarke, die sich immer wieder neu erfand und als einzige ihrer Größe bis in die 1930er Jahre überlebte, brachte nämlich ein Kunststück zustande, das in Oldtimerkreisen gern “vergessen” wird.
Stoewer tat sich nämlich überhaupt als erster deutscher Automobilbauer mit einem serienreifen Frontantriebswagen hervor und präsentierte diesen gegen Ende 1930, als bei DKW noch unter höchstem Zeitdruck an einem Konkurrenzentwurf gearbeitet wurde.
So beeindruckend und elegant wie die mächtigen 8-Zylinderwagen, die man von Stoewer gewöhnt war, kam der Vorderantriebstyp V5 natürlich nicht daher: Bescheiden und etwas kastig wirkte der Wagen:
Stoewer V5 von 1931; Originalfoto: Sammlung Helmut Kasimirowicz
Doch verstecken musste sich der kleine Stoewer nicht. Sein 1,2 Liter-Viertaktmotor leistete immerhin 25 PS und Spitze 80 km/h waren ohne weiteres möglich. Eine solide Blechkarosserie gab es obendrein.
Davon waren die frontgetriebenen DKW mit ihren anfänglich nur 15 PS leistenden Zweitaktern und dem kunstlederbespannten Aufbau weit entfernt – wenngleich sie ihre Stärken hatten. Sie waren vor allem um rund ein Drittel billiger als der Stoewer!
Der Preis war im Einstiegssegment des damals noch völlig unterentwickelten deutschen Automarkt der entscheidende Faktor. Und deshalb machte DKW letztlich das Rennen.
Stoewer verbesserte zwar den V4-Motor seines Modells V5 anno 1932 und lieferte den Wagen nun auch mit einer gefälligeren Karosserie aus, doch stand die dünne Kapitaldecke des chronisch klammen Herstellers einer Ausweitung der Produktion entgegen.
So wurde die Produktion des Stoewer V5 bereits nach zwei Jahren und rund 2.000 Exemplaren eingestellt. Darunter fanden sich auch einige hervorragend aussehende Wagen mit Spezialkarosserie wie dieses rasant wirkende Sport-Cabriolet:
Stoewer V5 Sport-Cabriolet von 1932; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Ausführlich besprochen habe ich diesen schicken Stoewer bereits hier.
Damit musste sich der altehrwürdige Hersteller auch in der unteren Mittelklasse wahrlich nicht verstecken und man trat trotz kleiner Stückzahlen bewusst immer wieder mit solchen Spezialversionen auf, um das Markenimage aufzupolieren.
Natürlich konnte die konventionelle Ausführung damit nicht mithalten, doch auch für deren Besitzer gab es keinen Grund sich mit ihrem Auto zu verstecken – entsprechend selbstbewusst trat man beim unvermeidlichen Fotohalt auf:
Stoewer V5 von 1932; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Man sieht sofort: Das waren keine “kleinen Leute”, auch wenn sie nur einen kompakten Stoewer ihr eigen nannten. Tatsächlich besaß in den 1930er Jahren nur ein sehr geringer Prozentanteil der Deutschen überhaupt ein Auto.
Das Auto selbst wirkt hier etwas schüchtern, dabei hat es keinen Grund, sich im Hintergrund zu verstecken. So ein Stoewer war nämlich abseits der großen Städte eine ebensolche Rarität wie jedes andere Auto auch.
Das sollte auch im nach dem 2. Weltkrieg drastisch geschrumpften Deutschland noch einige Jahre so bleiben. Pommern, wo obiger Stoewer einst zugelassen war, war ebenso verloren wie Ostpreußen und Schlesien. Das war das Ergebnis deutschen Größenwahns im Osten.
Nach 1945 wurden in jeder Hinsicht kleinere Brötchen gebacken, und für einige Jahrzehnte war die Arroganz gezähmt – die Kriegsgeneration hatte ihre Lektion gelernt. Nach deren Wegsterben werden in letzter Zeit leider wieder alte Reflexe wach, scheint mir.
Noch im Jahr 1950 sah Deutschland abseits zerbombter Städte praktisch noch genauso aus wie zwanzig Jahre zuvor. Immer noch war ein Auto eine seltene Erscheinung auf dem Lande und für einen Moment schien dort ein Stück heile Welt konserviert:
Stoewer V5 von 1932; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Wäre da nicht das Kennzeichen aus dem britisch besetzten Niedersachsen, beinahe nichts deutete dann darauf hin, dass dieser Stoewer V5 im Jahr 1950 aufgenommen wurde.
Allenfalls die wohl von einem DKW stammenden Stoßstangenhälften könnten einen darauf bringen, dass dieser Wagen in der frühen Nachkriegszeit unterwegs war (in Moosheim).
In diesem Umfeld braucht sich so ein Stoewer nicht zu verstecken, er ist sogar ein veritables Schmuckstück.
Nebenbei bin ich der Auffassung, dass nur Vorkriegsautos die Eigenheit haben, in einem über Jahrhunderte gewachsenen historischen Stadtbild nicht zu stören, sondern geradezu dazu zu passen. Warum das so ist, wäre eine eigene Betrachtung wert.
Für heute will ich es bei der Feststellung bewenden lassen, dass sich der frontgetriebene Stoewer V5 nicht verstecken musste und auch heute nicht müsste.
Es gibt aber wohl bloß nur eine handvoll Überlebende, das einst in Pommern aufgenommene Exemplar gehört wohl nicht dazu – oder doch, wer weiß?
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Wer einen Blick auf die Stichworte meines Blogs mit Markennamen im dreistelligen Bereich wirft, muss beeindruckt sein. Woher kennt der sich bloß mit so vielen Herstellern und Modellen der Vorkriegszeit aus?
Nun, mehr als oberflächliche Kenntnisse würde ich mir allenfalls bei einer handvoll deutscher Marken zugestehen – Adler, NAG, Presto, Protos und Stoewer – doch selbst dort ist mein Wissen sehr lückenhaft und ich lerne laufend dazu (wie im richtigen Leben).
Bei allen übrigen Fabrikaten beschränkt sich meine Weisheit auf den Inhalt einer eher moderat ausgestatteten Autobibliothek, die Gabe zur Kombination und den Mut zum eigenen Urteil (wer’s dann unter meinen Lesern besser weiß, wird’s schon korrigieren).
Zwar schrecke ich selten vor etwas zurück. Allerdings muss ich zugeben, dass ich einen Heidenrespekt speziell vor der umwerfenden Vielfalt an französischen Marken habe (von den in die Tausenden gehenden US-Herstellern ganz zu schweigen).
Und bei zwei Fabrikaten überlasse ich von vornherein den Kennern das Feld: Bugatti und Rolls-Royce. Dort haben Amateure wie ich nichts verloren, da bin ich realistisch.
Hier kommt ein Bugatti-Rennsportwagen herangestürmt – das erkenne auch ich – und die Anfang September 1928 aufgenommene Situation ist großartig. Das war’s aber auch schon.
Bugatti im Renneinsatz 1./2. September 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Dokumente wie dieses verlangen echte Kennerschaft gestützt auf umfangreiche Archive, viel Erfahrung und beste Kontakte – nichts davon kann ich in Sachen Bugatti vorweisen.
Eines kann ich jedoch recht gut, meine ich, was sich auch bei den beiden genannten Marken als nützlich erweist: Regelmäßig die Angel mit wechselnden Ködern in Form historischer Autofotos in das endlose Meer hinauswerfen, das sich Internet nennt.
So habe ich 2022 parallel zu diesem Blog auf der Facebook-Plattform eine streng auf historische Fotos von Vorkriegsautos in Europa fokussierte Gruppe aufgebaut.
Wer beim Stichwort “Facebook” die Augen verdreht, dem sei folgendes gesagt:
Erstens: Man kann sich dort zu jedem Thema mühelos, unterhaltsam und mit Gewinn mit Gleichgesinnten auf der ganzen Welt austauschen. Ein wenig Zeit und Intelligenz vorausgesetzt kann man das von Werbung und dergleichen weitgehend unbehelligt tun.
Zweitens: Wer dann noch immer an “German Angst” leidet, ist herzlich eingeladen, es einfach besser zu machen – dummerweise ist Deutschland aber in der Hinsicht Dritte Welt.
So, und nun schauen wir doch einmal, was sich im Netz erreichen lässt, wenn man es richtig anstellt. Dazu nehmen wir dieses Foto her, das mir kürzlich in die Hände fiel:
Rolls-Royce 20HP von 1925, Karosserie Park Ward; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Ein verwackelt aufgenommenes Vorkriegsauto im Deutschland der 1960er Jahre – das erkennt auch das ungeschulte Auge.
Wer ein bisschen mehr weiß, wird dieses urtümlich und doch respekteinflößende Fahrzeug als Rolls-Royce der Zwischenkriegszeit identifizieren.
Da hört es aber auch schon auf – jedenfalls bei mir. Immerhin hatte ich so etwas schon einmal gesehen, jedenfalls als Tourenwagen.
Beim alljährlichen Goodwood Revival Meeting in Sussex stehen solche Autos schließlich wie selbstverständlich auf dem Besucherparkplatz herum. Die Besitzer kommen oft über hunderte Kilometer auf eigener Achse angereist:
Rolls-Royce 20 HP beim Goodwood Revival 2017; Bildrechte Michael Schlenger
Natürlich hätte ich bemerken können, dass die horizontalen Kühlerlamellen ein Kennzeichen des “kleinen” 20 HP-Modells von Rolls-Royce waren – habe ich aber nicht, weil ich zu sehr damit beschäftigt war, die unzähligen anwesenden Vorkriegswagen abzuschreiten.
So machte ich mir erst gar nicht die Mühe, auch nur einen Versuch der Einordnung des obigen im Nachkriegsdeutschland abgelichteten Rolls-Royce zu unternehmen.
Stattdessen lud ich das Foto in meiner Facebook-Gruppe hoch, verfasste eine deutsche und eine englische Beschreibung und wartete ab, was passieren würde. Man muss dazu wissen, dass die Gruppe über 1.000 Mitglieder aus aller Welt umfasst.
Die meisten Gruppenmitglieder stammen natürlich aus englischsprachigen Ländern und genau auf das dort versammelte Wissen hatte ich spekuliert.
5 Minuten nach dem Hochladen schickte mir David Smallacombe aus Australien die Nachricht, dass es sich um einen Rolls-Royce 20 HP mit Zulassung in New South Wales handeln dürfte.
Weniger als 12 Stunden später schrieb mir Mark Roberts, dass das Auto erst kürzlich wieder nach Australien zurückgekehrt sei, nachdem es einen Besitzer in Übersee gehabt hatte.
Einen Tag später gab Mark Roberts via Facebook die Details des Rolls bekannt: Baujahr 1925, Karosserie Park Ward, Chassis-Nr. GNK50.
Ab dem Punkt konnte ich selbst übernehmen, denn ich war sicher, dass die Geschichte dieses Autos in bester britischer Tradition erschöpfend dokumentiert ist. So war es auch. Hier ein Auszug (Quelle; deutsche Fassung von mir):
Das Rolls-Royce Twenty-Fahrgestell GNK50 wurde am 24. Januar 1925 von einer Mrs. Hill (London) bestellt. Am 16. April wurde es an den Karosseriebauer Park Ward geschickt. Nach Fertigstellung des Aufbaus erhielt der Wagen – noch ein frühes Modell mit Dreiganggetriebe und Zweiradbremsen – das Londoner Kennzeichen XY5030.
Die Besitzerin scheint dann nach Australien ausgewandert oder zurückgekehrt zu sein, denn der Wagen wurde am 6. Oktober 1925 in das Dampfschiff Demosthenes verladen, das nach Sydney fuhr. Dort blieb das Auto fast vier Jahrzehnte lang.
Im Dezember 1963 berichtete der Rolls-Royce Owners’ Club of Australia, dass der nunmehrige Besitzer Tony Strachan damit zu einer Europareise aufgebrochen sei.
Der Wagen kam in Athen an Land und wurde quer durch Europa (einschließlich Deutschlands) gefahren. Er verblieb in England, wo er 1964 an einer Veranstaltung in Goodwood teilnahm. Neuer Besitzer wurde Constantine Savalas von der US-Botschaft in London.
Der war übrigens der Bruder des Schauspielers Aristotelis “Telly” Savalas, der als “Kojak” in der gleichnamigen Fernsehserie bekannt wurde. Constantine Savalas brachte den Rolls Twenty in den späten 1960er oder frühen 70er Jahren in die USA.
Nach mindestens zwei dokumentierten Besitzerwechseln kam “unser” Rolls-Royce 20 mit seinem immer noch originalen Park Ward-Limousinenaufbau aus Neuengland zurück nach Australien und erfuhr dort eine behutsame Auffrischung:
Rolls-Royce 20 HP von 1925, Karosserie Park Ward; Originalfoto via Mark Roberts (Australien)
Ziemlich genau 60 Jahre nach seiner Zwischenstation in Deutschland (erkennt jemand den Aufnahmeort?) ist der Rolls-Royce somit wieder in Australien, wo er die ersten fast 40 Jahre seines Autolebens verbrachte.
Man muss sich das vorstellen: Nach knapp 100 Jahren ist dieses wunderbare Fahrzeug immer noch voll einsatzfähig – in unseren überwiegend belanglosen Zeiten müsste man das eigentlich als nachhaltig bezeichnen, wenn man es ernst damit meinte.
Nur eines hat die Gegenwart für sich, was diese automobilen Schöpfungen angeht: Nie war es leichter, alles zu erfahren, was darüber noch irgendwo auf der Welt bekannt ist. Deshalb, aber wirklich auch nur deshalb, leben wir Altautofreunde in der besten aller Zeiten.
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Woran denken Sie beim Stichwort “Horch”? Doch wohl am ehesten an einen der grandiosen Repräsentationswagen der 1930er Jahre, die der sächsischen Marke ewigen (nach menschlichem Ermessen) Ruhm gesichert haben.
Stellvertretend dafür hier die Aufnahme eines Horch 853, die ich 2017 vor der Kulisse von Schloss Dyck am Niederrhein gemacht habe:
Horch 853 Cabriolet, Schloss Dyck 2017; Bildrechte Michael Schlenger
Ich behaupte, dass man gar nicht so verdorben von der Moderne sein kann, um diese an Kunst grenzende Meisterschaft der Gestaltung nicht bewundern zu müssen.
Wie im Fall des Jugendstils vor dem 1. Weltkrieg hat man den Eindruck, dass hier ein Gipfelpunkt erreicht war, auf den nur ein verheerender Absturz folgen konnte.
Es sollte nach 1945 etliche Jahre dauern, bis von Italien ausgehend wieder Karosserien entstanden, die solche skulpturenhafte Qualitäten besaßen, nun auf reduzierte, doch immer noch hochelegante Art.
Horch sollte freilich diese Renaissance der schönen Form nicht mehr erleben, für solche großbürgerliche Opulenz war im “Arbeiter- und Bauernstaat” DDR kein Platz mehr.
Nach dem Waffenstillstand 1918 hatte das noch anders ausgesehen. Horch war unbeschadet durch den Krieg gekommen und profitierte die ersten Jahre von der Scheinblüte am deutschen Automarkt. Diese war von der Ahnung getrieben, dass es mit der durch Kriegsschulden ausgehöhlten Währung kein gutes Ende nehmen würde.
Wer nach Kriegsende noch Vermögen besaß, investierte sein Geld oft in ein Automobil, denn dieses würde seinen Nutzen und damit auch wirtschaftlichen Wert behalten.
So konnte Horch bis 1922 seinen Typ 33/80 PS-Typ mit gigantischem 8,5 Liter-Vierzylinder ebenso im Programm behalten wie das 6,4 Liter-Modell 25/60 PS. Im mittleren Segment baute man die Typen 18/50 PS (4,7 Liter Hubraum) und 14/40 PS (3,6 Liter) weiter.
Diese leistungsstarken Modelle waren während des Kriegs als Offizierswagen im Einsatz und machten einiges her – hier ein großer Horch mit dem 1914 eingeführten Spitzkühler:
Horch “Salonwagen” aufgenommen im 1. Weltkrieg; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks
Dass diese leistungsstarken Modelle nach 1918 tatsächlich weitergebaut wurden – wenn auch nur in überschaubaren Stückzahlen, das ist durch die Literatur zu Horch belegt.
Daneben bot Horch bis anno 1922 noch das “kompakte” Modell 8/24 PS mit 2,1 Litern Hubraum an, das bereits 1911 präsentiert worden war. Der Vollständigkeit halber sei auch das Einstiegsmodell Horch 6/18 PS genannt, das jedoch 1920 eingestellt wurde.
Besagter Typ 6/24 PS erhielt nach dem 1. Weltkrieg einen nochmals modifizierten Spitzkühler, während frühere Exemplare noch den ab 1912 verbauten Schnabelkühler besaßen. Hier haben wir ein Beispielfoto aus dem 1. Weltkrieg:
Die Identifikation dieses Horch als Typ 8/24 PS verdanken wir übrigens dem Markenspezialisten Prof. Peter Kirchberg, teilte mir der Besitzer der Originalaufnahme mit.
So wenig sich unter dem Blechkleid in technischer Hinsicht getan hatte, so vollkommen anders kam der Horch 8/24 PS nach dem 1. Weltkrieg in äußerlicher Hinsicht daher.
Der birnenfömige Schnabelkühler war einem schnittigen Spitzkühler gewichen, anstelle der Gasscheinwerfer war nun elektrische Beleuchtung Standard. Nicht zuletzt war die Schwellerpartie zwischen Trittbrett und Aufbau ganz geschlossen worden:
Horch 8/24 PS ab 1919; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Leider steht hier der Fahrer vor der Haubenpartie, auf der sonst die ebenfalls umgestalteten Luftschlitze zu sehen wären – sie waren nun vertikal statt nach hinten geneigt.
Zur Andersartigkeit des Erscheinungsbilds trägt zudem die abweichende Ausführung des oberen Karosserieabschlusses entlang des Innenraums bei. Hier ist nun eine leicht nach innen eingezogene “Schulter” zu erkennen, die man bei deutschen Wagen der unmittelbaren Nachkriegszeit sehr oft findet.
Der Wirkung dieses an sich gelungenen Tourenwagens etwas abträglich ist die seitlich montierte Steckscheibe. Diese weist im Unterteil eine Klappe auf, die es dem rechts sitzenden Fahrer erlaubt, die hier noch außerhalb der Karosserie liegenden Hebel für Gangschaltung und Handbremse zu betätigen.
Wer übrigens Zweifel hegt, dass wir es mit einem Horch und keinen Opel zu tun haben – die Rüsselsheimer verbauten damals optisch ähnliche Spitzkühler – der sei auf folgende Ausschnittsvergrößerung verwiesen:
Hier lässt sich mit etwas gutem Willen der kursive Schriftzug “Horch” erkennen. Das Nummernschild verweist übrigens auf eine Zulassung dieses Autos im Raum Erfurt.
Leider ist über die Besitzer dieses Wagens sowie Ort und Zeitpunkt der Aufnahme nichts bekannt. Nach 100 Jahren verlieren sich die Spuren des Daseins im Regelfall zusehends – machen wir uns keine Illusionen: mit uns wird das genauso geschehen.
Ob wohl die flüchtigen Zeugnisse des digitalen Zeitalters überhaupt ähnliche Überlebenschancen wie die physischen Fotoabzüge aus der Welt unserer Vorfahren haben? Es soll ja Leute geben, die ihr ganzes Leben auf ihrem Smartphone oder – noch dümmer – in der “Cloud” dokumentiert haben. Da könnten schon die Enkel mit nichts dastehen…
Ein letztes Wort noch zum Stichwort “Luxus” im Zusammenhang mit diesem doch eher bescheiden wirkenden Horch mit seinem kompakten 24 PS-Motor. Für das reine Chassis mit Motor (aber ohne Aufbau) ist ein Preis von 6.000 Mark überliefert.
Klingt erst einmal nicht so aberwitzig, oder? Aber bei solchen Angaben hilft es enorm, sie in Relation zu den Einkommensverhältnissen eines Durchschnittsverdieners zu setzen.
Die entsprechenden Daten sind seit 1891 durchgängig dokumentiert und beziehen sich auf die Gesamtheit aller Arbeiter und Angestellten in Deutschland (ohne Beamte). Demnach betrug anno 1919 das durchschnittliche Jahreseinkommen brutto gut 2.000 Mark.
Für den kompakten Horch mit seiner keineswegs starken Motorisierung hätte ein deutscher Durchschnittsverdiener damals also drei Brutto-Jahreseinkommen aufbringen müssen – und da war die Karosserie wie erwähnt noch nicht dabei.
Man ersieht daran, welch’ ein Luxus selbst dieser Horch der unteren Mittelklasse damals war. Es wurden auch nur etwas mehr 900 Stück davon gebaut – über einen Zeitraum von 10 Jahren. Einem dieser Wagen nach gut 100 Jahren hier zu begegnen, das darf ebenfalls als Luxus gelten…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Das kleine Belgien ist vermutlich das Land mit der höchsten Dichte an historischen Automobilmarken – gemessen an Fläche und Einwohnerzahl. Davon sind beim großen östlichen Nachbarn heute bestenfalls noch zwei bekannt: Metallurgique und Minerva.
Der 1878 von Sylvain de Jong in Anvers gegründeten Firma Minerva gelang ein kometenhafter Aufstieg wie kaum einem anderen belgischen Hersteller. Auf die Fabrikation von Fahrräder und Motorrädern folgte 1900 das erste Automobil.
Nur wenige Jahre später war Minerva in der europäischen Spitzenklasse angelangt, insbesondere mit leistungsfähigen und komfortablen Sechszylindermodellen.
Auch nach dem 1. Weltkrieg blieb man auf Erfolgskurs, das Werk hatte die jahrelange deutsche Besatzung recht intakt überstanden.
1920 stellte Minerva einen neuen Sechszylinderwagen vor, den Typ 30 CV mit 5,4 Litern Hubraum. 1923 wurde das Modell mit Vorderradbremsen ausgestattet und auch sonst laufend modernisiert.
Um 1925 stellte sich ein solcher Minerva 30 CV so imposant dar wie hier zu sehen:
Minerva 30 CV um 1925; Ansichtskarte von September 1926; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Selbst die nochmals wesentlich schwereren geschlossenen Versionen des Minerva 30 CV erreichten damals bei Versuchsfahrten bereits Höchstgeschwindigkeiten von 120 km/h.
Ausfahren ließ sich das zwar kaum, aber man ahnt die kolossale Leistungsfähigkeit der verbauten Motoren – Voraussetzung für eine vollkommen unangestrengte und leise Kraftentfaltung, die außer zum Anfahren selten einen Schaltvorgang erforderte.
1928 wurde das Aggregat auf fast 6 Liter aufgebohrt, was sich in der Modellbezeichnung widerspiegelte, welche den Steuer-PS entsprach, also nunmehr 32 CV. Die effektive Höchstleistung erreichte während der fast zehnjährigen Bauzeit zuletzt 150 PS.
Ein recht frühes Exemplar des Minerva 32CV findet sich auf diesem Foto, das mir Leser Matthias Schmidt in digitaler Form zur Verfügung gestellt hat:
Minerva 32 CV von 1928/29, aufgenommen im März 1929; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Zurecht werden Sie jetzt einiges an dieser Aufnahme auszusetzen haben: die geringe Auflösung etwa, aber auch die kunstlederne Manschette mit verstellbarem Rollo, welche in der kalten Jahreszeit eine Anpassung der Kühlerleistung ermöglichte.
Mangels Thermostat im Kühlkreislauf ließ sich nur durch teilweises Verdecken der Kühleroberfläche erreichen, dass der Motor auch bei kalten Außentemperaturen rasch warm werden konnte. Nebenbei weiß vielleicht ein Leser, bei welchem Serienauto zuerst ein Kühlerthermostat verbaut wurde, ich würde hier auf eine US-Marke tippen.
Zu beanstanden ist hier des weiteren, dass der Wagen ohne Vorderstoßstange merkwürdig unfertig wirkt. Mag sein, dass er gerade erst frisch ausgeliefert worden war und eine Stoßstange wie damals noch teilweise üblich erst nachträglich angebracht wurde.
Bei der Gelegenheit prägen wir uns auch das Kennzeichen (AXVI 18) und die “Scheibenräder” ein. Aufgenommen wurde das Foto übrigens im März 1929.
Wir halten kurz inne: Gegenüber der Tourenwagenausführung von Mitte der 1920er Jahre ist der Sechszlinder-Minerva inzwischen deutlich gereift – nun strahlt er statt der Offenheit von einst eine auf Distanz bedachte Würde aus.
Die Insassen dieses Wagens wollten nicht mehr zwangsläufig für jedermann sichtbar im Straßenverkehr unterwegs sein, wenngleich die Möglichkeit bestand, das Cabrioletverdeck zu öffnen, und zwar unabhängig vom Fahrerabteil.
Ein Jahr und gut drei Monate später – im Juli 1930 begegnet uns derselbe Minerva 32 CV wieder – doch hier sieht er wie verwandelt aus:
Minerva 32 CV von 1928/29, aufgenommen im Juli 1930; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Das Kennzeichen ist dasselbe – übrigens eines aus Wien.
Neu hinzugekommen ist indessen ein Stoßfänger in einem damals eigentlich längst veralteten Stil, man hätte hier eine elegante Ausführung aus zwei durchgehend parallelen Stangen erwartet – etwas merkwürdig.
Verschwunden ist natürlich die erwähnte Kühlermanschette und nun ist der Minerva-typische Kühler zu erkennen, über dem die namengebende römische Göttin der Weisheit und der Wehrhaftigkeit thront.
Ebenfalls dem Frühjahrsputz zum Opfer gefallen sind die Abdeckscheiben auf den Drahtspeichenrädern. Seinem eigenen Freiheitsdrang hat auch der Fahrer nachgegeben. Er sitzt nun unter offenem Himmel, während die Herrschaften im Heck weiterhin die Privatheit eines Salons auf Rädern genießen können.
In Würde gereift steht der große Minerva-Sechszylinder da – es gab übrigens auch schon früh eine “kleinere” Ausführung mit der Typbezeichnung 20 CV.
Als hinreißend schön würde man dieses mächtige Automobil zwar sicher nicht bezeichnen, aber in natura sind diese luxuriösen Minervas dennoch äußerst beeindruckend.
Bedrückend ist eher die kaum vorhandene Kenntnis von der einstigen Klasse und Bedeutung dieser Spitzenklasseautomobile – wie überhaupt der enorm reichen belgischen Fahrzeugtradition – in deutschen Landen.
Ja, liebe “Oldtimer”freunde im frühen 21. Jh, es gibt jenseits von Mercedes, Horch und Maybach oder auch Alfa, Bentley und Bugatti eine unermessliche Welt großartiger Vorkriegswagen da draußen, von der man hierzulande leider viel zu wenig sieht.
Der Besuch einer Klassikerveranstaltung bei unseren westlichen Nachbarn ist in der Hinsicht augenöffnend – in Würde gereiftes Vorkriegsblech gibt es dort in atemberaubender Form und Fülle zu entdecken…
Turcat-Méry, aufgenommen 2015 auf Schloss Chantilly bei Paris; Bildrechte: Michael Schlenger
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Vom schneebedeckten Ätna auf Sizilien ins sommerliche Herrenwies im Schwarzwald – klingt merkwürdig, aber es ist etwas für jeden dabei – für die Fraktion der Fernreisenden, die Liebhaber heimischer Idyllen und in jedem Fall für die Freunde früher Fiats.
Wer sich nun genüsslich einen Kaffee oder Tee macht, und sich auf einen opulent bebilderten Bericht über eine Reise im Automobil über eine Distanz von rund 1.900 km freut, den muss ich (vorerst) enttäuschen.
So kann ich eigentlich nur mit zwei Aufnahmen aufwarten, die für Start und Ziel stehen, aber die haben bereits ihren Reiz. Den Einstieg wagen wir mit einer Zeitreise über 100 Jahre zurück.
Wir schreiben das Jahr 1919 und der Erste Weltkrieg ist erst kurz zuvor zuendegegangen – nebenbei ein Krieg, in den Europa aufgrund absurder Bündnisse und irrationaler Loyalitäten hineingerutscht ist und der dann eine aberwitzige Eigendynamik entfaltete.
Nun schweigen die Geschütze, es gibt keine echten Sieger, selbst die jahrelang aufgeputschte Rüstungsindustrie steht auf allen Seiten angeschmiert da. Was tun mit den Produktionskapazitäten, dem Maschinenpark und dem Können der Entwickler und Arbeiter?
Für Giovanni Agnelli, Geschäftsführer von Fiat, ist die Sache klar. Im armen Italien gab es abgesehen vom schon damals recht entwickelten Norden – keinen Markt, um die gewachsenen Kapazitäten mit den bisherigen meist großen Modellen auszulasten.
Also musste ein neues massenproduktionstaugliches Modell her, das man international vertreiben konnte. Dabei orientierte man sich am erst 1915 eingeführten 2-Liter-Typ 70, der 21 PS leistete. Dem Motor schrumpfte man auf 1,5 Liter und holte nun 23 PS heraus.
Damit war Fiats erster Kleinwagen geboren – der Typ 501. Er sollte ein nie dagewesener Erfolg werden, jedenfalls für einen europäischen Hersteller. Rund 70.000 Exemplare wurden davon gebaut und sie fanden tatsächlich Käufer auf der ganzen Welt.
Dabei machte Fiats großer Wurf optisch nicht gerade viel her, aber das zählte nicht – der Typ 501 war legendär für seine Robustheit und schreckte vor keiner Herausforderung zurück:.
Fiat 501 Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Hier haben wir ein Exemplar des kompakten Fiat am Hang des Vulkans Ätna auf Sizilien. Der Wagen diente dort deutschen Touristen Mitte der 1920er Jahre bei der Erkundung der Lavafelder, die beim Ausbruch 1913 entstanden waren.
Das verrät die Beschriftung des Abzugs. Sonst wäre man vermutlich nicht darauf gekommen, dass man sich hier bereits dem schneebedeckten Gipfel des Giganten genähert hatte.
Ich vermute, dass der einheimische Fahrer des Fiat diese Fotografie angefertigt hat, auf der seine Fahrgäste quasi als Besitzer posieren.
Jetzt fragen Sie sich vielleicht, wie man eigentlich darauf kommt, dieses Gefährt präzise als Fiat 501 zu identifizieren. Nun, man muss bloß einige Exemplare davon gesehen haben, dann klappt das auch ohne Markenemblem.
Die Proportionen der Vorderpartie mit den niedrigen Luftschlitzen und der hoch bauenden, eher kurzen Motorhaube finden sich so nur bei den kleinen Fiats der ersten Hälfte der 1920er Jahre. Zur Illustration füge ich nun doch ein weiteres Bild ein:
Fiat 501 Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Hier sieht man nun auch den noch leicht birnenfömigen Kühler, den alle Fiat-Modelle bis etwa 1924 besaßen, teils lackiert wie oben, teils glänzend vernickelt wie hier.
Die Kühlerform präge man sich ein, wir begegnen ihr gleich wieder.
Übrigens will ich nicht ausschließen, dass es sich bei dem Fiat auf dem letzten Foto auch um den stärkeren Typ 505 (2,3 Liter Hubraum, 33 PS) handeln könnte, der parallel angeboten wurde und ganz ähnlich aussah, bloß insgesamt größer ausfiel.
Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass der Fiat mit dem glänzenden Kühlergehäuse bereits Vorderradbremsen besitzt – diese waren also schon kurz vor der Einführung des neuen Kühlers anno 1925 verfügbar. Auch hier war Fiat ganz auf der Höhe der Zeit.
Auf dem langen Weg nach Norden wären wir den Vierzylindertypen 501 und 505 von Fiat gewiss noch einige Male begegnet, insbesondere als Taxi wie hier im Doppelpack vor der Kulisse des Doms in Mailand:
Fiat 501 oder 505 in Mailand; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Habe ich jetzt doch mehr als nur zwei Fotos präsentiert?
Nun, es gibt Schlimmeres, solange die Himmelsrichtung stimmt, denn es geht nach wie vor heimwärts gen Norden, wo uns die Aussicht auf ein weiteres Exemplar der damaligen Fiat-Familie erwartet.
Unterwegs geht hoffentlich alles gut – möge uns eine größere Kalamität erspart bleiben, wie sie 1924 diesem Fiat 501/505 bei Treviso in der Provinz Venetien widerfuhr – man wünscht sich, dass die Insassen mit wenigen Blessuren davongekommen sind:
Fiat 501 oder 505 bei Treviso; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Venetien lassen wir ohnehin rechts liegen, dafür braucht man mehr Urlaub und der war in den 1920er Jahren ein so knappes Gut, wie sich das in unseren Tagen ein Arbeitnehmer mit sechs Wochen Auszeit (plus Feiertage) nicht vorstellen kann.
Auf gehts also von Mailand über die 1924 neu eröffnete erste autobahnähnliche Straße der Welt (Autostrada dei Laghi) Richtung Como. Auf der schnugeraden Piste überholen uns die weit schnelleren Alfas und Lancias der feinen Mailänder Gesellschaft, die zum Wochenende an den Lago Maggiore oder den Comer See strebt.
Wir lassen uns davon nicht beirren, fahren aber hier die Spitzengeschwindigkeit von 70-75 km/h aus, um Strecke zu machen, denn auch die kleinen Fiats waren schon damals drehzahlfest ausgelegt.
Mag sein, dass sich während der Fahrt ein Kabel- oder Kühlwasseranschluss löst, vielleicht gibt ein Teil der Zündung den Geist auf, für das man aber Ersatz mitführt. Wahrscheinlicher ist indessen ein platter Reifen – das war bei langen Strecken beinahe Standard:
Fiat 501 oder 505; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Hier hat es einen Fiat mit Zulassung in Bozen aus dem 1920 dank der Großzügigkeit der Siegermächte von Italien einkassierten Südtirol erwischt.
Wir verkneifen uns einen Kommentar zum überschätzten Thema Völkerrecht und wünschen den frisch eingemeindeten Fiat-Kameraden gute Fahrt, denn wir sind nun auf der letzten Etappe ins ebenfalls gedemütigte Germanien.
Dort geht’s der breiten Masse dreckig – ein idealer Nährboden für Radikale roter und brauner Couleur, es braut sich etwas zusammen. Dennoch gibt es immer noch eine heile Welt für die wenigen, die trotz der allgemeinen wirtschaftlichen Misere prosperieren.
Damit sind wir nun endlich am Ende unserer langen Tour vom Ätna nach Herrenwies im Schwarzwald angelangt. Vor der Kulisse des winzigen Orts mit der Kirche St. Antonius wird wird im Juli 1928 dieses Idyll für die Nachwelt festgehalten:
Fiat 510: Originalfoto: Sammlung Patrick Schnurr
Das ist doch ein Fiat der frühen 1920er Jahre!. Das sollte nach der langen Vorbereitung klar sein. Aber lang ist auch die Motorhaube dieses Wagens, ungewöhnlich lang.
Zudem erscheinen die Insassen auf einmal so klein – am Ätna sah das doch noch ganz anders aus. Sollte die Luftveränderung zwischenzeitlich soviel bewirkt haben, dass man die Dinge nun ganz anders sieht?
Nun, die Sache ist ganz einfach: Wir haben hier schlicht einen viel größeren und stärkeren Fiat vor uns, der parallel zu den Typen 501 und 505 entstand – nämlich das Sechszylindermodell 510 mit 3,5 Litern Hubraum und 46 PS Leistung.
Das war Anfang der 1920er Jahre bei deutschen Serienherstellern nicht zu finden. Wer so etwas dennoch wollte, kam an ausländischen Fabrikaten nicht vorbei und Fiat gehörte nicht umsonst zu den führenden Importmarken.
Dabei dürfte dieses prächtige Exemplar erst recht spät seinen Weg nach Deutschland gefunden haben – dafür sprechen die mächtigen Bremstrommeln an den Vorderrädern:
Eigentlich heißt es, dass Vorderradbremsen bei Fiat erst beim Übergang zum kantigen Flachkühler 1925 eingeführt wurden. Doch wie bei einigen anderen Marken waren sie offenbar bereits kurz vorher verfügbar, hier also wohl im Jahr 1924.
Andere ausländische Fabrikate waren in der Hinsicht übrigens noch früher zur Erkenntnis gelangt, dass vorn gebremste Räder eine überlegene Lösung gegenüber den bisher üblichen Getriebe- oder Kardanbremsen waren, welche die auf die Hinterachse wirkende Handbremse unterstützten. Dazu gelegentlich mehr.
Für heute sind wir am Ziel, und ich bin ziemlich sicher, dass die wenigsten nach dem bescheidenen Anfang am Ätna mit diesem Ausgang gerechnet hätten. Doch Fiat war damals ein Hersteller, der das gesamte Spektrum abdeckte – vom Kleinwagen bis zum Luxusauto.
Die Welt war auch in der Hinsicht eine andere, mag es die Marke Fiat noch geben und sogar die dreistellige, mit “5” beginnende Typenbezeichnung über 100 Jahre überdauert haben…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Der Entwicklungsgrad einer technischen Zivilisation lässt sich an objektiven Gegebenheiten festmachen, die keine faulen Ausreden dulden – daher sind entsprechende Vergleiche mit anderen Nationen hierzulande inzwischen eher unbeliebt.
Ob Pünktlichkeit der Bahn, Mobilfunkabdeckung, Mathematikkompetenz von Schülern, Anteil von MINT-Fächern bei Studenten – Deutschland scheint wild entschlossen, seine einstigen Spitzenpositionen anderen zu überlassen.
Neuerdings wird sogar zum Stromsparen und Herunterdrehen der Heizungen aufgerufen, nachdem man jahrelang Dutzende moderne Kohle- und Kernkraftwerke aus ideologischen Gründen vom Netz genommen hat und nun vermehrt knappes Gas verfeuern muss.
Eigentlich ist das ein Offenbarungseid einer verfehlten Politik, aber die Deutschen sind leider wieder einmal Meister der Anpassung auch an die größten Zumutungen. Da sitzen dann tatsächlich Topverdiener im kalten Homeoffice mit Strickpullover und Segler-Weste – im Zweifelsfall muss man eben “Zeichen setzen”, heißt es.
Dieser neu entdeckte Opfermut und Verzichtskult wäre unseren Vorfahren vor knapp 100 Jahren vermutlich völlig irre vorgekommen. Die breite Masse hätte einiges für elektrische Haushaltsgeräte wie Waschmaschinen und Staubsauger oder wohlig warme Fabrikhallen und kuschelige Kinderzimmer gegeben, und heute soll das auf einmal verzichtbar sein?
Noch nicht zu denken war damals an solche Finessen wie Autositzheizungen. Das Bedürfnis, dem verlängerten Rücken bei kalten Temperaturen Wärme zukommen zu lassen, scheint Automobilisten jedoch früher als gedacht zu innovativen Lösungen gedrängt zu haben – speziell weiblicher Erfindungsgeist scheint sich hier entfaltet zu haben.
Jedenfalls finden sich zahllose Bilddokumente, die davon erzählen, wie eine Weile nach dem Abstellen des Motors die Beifahrerin auf die geniale Idee kam, sich den angenehmsten aller Sitzplätze zu suchen.
Citroen B14; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Was hier so lässig und selbstverständlich wirkt, ist gar nicht so einfach – versuchen Sie das einmal nachzumachen, meine Damen – natürlich mit zeitgemäßem Outfit und Automobil.
Das Streben nach einer gut gewärmten Sitzfläche scheint überhaupt dem Frauensvolk in die Wiege gelegt zu sein – man könnte Bücher füllen mit solchen Aufnahmen.
Hier haben wir gleich das nächste Beispiel – übrigens ist es wieder ein Citroen, der hier mit der Innovation der Sitzheizung ausgestattet zu sein scheint, die hier wohl etwas zu gut funktionierte:
Citroen B2 oder B10; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Deutsche Fabrikate scheinen indessen ebenfalls über die optionale Sitzheizung verfügt zu zu haben, die offenbar ausschließlich von weiblichem Bedienungspersonal aktiviert werden konnte. Die Buben mussten dagegen ihr Image als harte Kerle pflegen, so die Fotoevidenz.
Hier haben wir ein spätes Beispiel aus der Zeit des 2. Weltkriegs – langjährige Leser kennen die wunderbare Geschichte des abgebildeten BMW 327 (hier nachzulesen):
BMW 327 Coupé; Originalfoto aus Besitz von Gerd Bühler (zuvor: Sammlung Michael Schlenger)
Beim traditionsreichen deutschen Hersteller Adler dauerte es ebenfalls nicht lange, bis die Damenwelt die ab Werk eingebaute, doch von ignoranten Männern mit Verachtung gestrafte Sitzheizung entdeckte.
Während “Er” sich darin zu gefallen scheint, dem Schneegestöber ungerührt zu trotzen, hat “Sie” sich bereits in Position gebracht, um gleich nach diesem lästigen Foto die angenehmen Seiten des winterlichen Autofahrens auf dem warmen Kühler sitzend zu genießen:
Adler “Primus”; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Kluge Frauen wussten eben, dass es nur ein Täuschungsversuch böswilliger Männer war, den Heizgrill an der Frontpartie ausgerechnet als Kühler zu bezeichnen, wo dort doch das genaue Gegenteil installiert war!
Triumphierend nahmen auch jenseits des Atlantiks aufgeklärte Autofahrerinnen bei Bedarf Platz an jedem Ort, welcher ganz offenbar als geheizter Damensitz exklusiv für sie eingerichtet worden war.
Wie so oft war der Stand der Technik in den Staaten bereits früh weit vorangeschritten. Das belegt das folgende Foto, auf dem eine Dame sehr überzeugend Werbung für die Sitzheizung ihres Studebaker aus der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg macht:
Studebaker um 1914; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Mit hochhackigen Schnürstiefeln wie hier zu besichtigen auf die Motorhaube zu klettern, erfordert übrigens außerordentliche Fähigkeiten – aber unsere Urgroßmütter waren auch sonst nicht von schlechten Eltern.
Man musste schon etwas tun und Ehrgeiz haben, um solchermaßen “bella figura” zu machen – ungeschminkt im schlabbrigen Yoga-Dress wie im 21. Jh. wäre man nicht vor die Tür gegangen. Auch in den USA herrschten damals noch europäische Standards.
Ich könnte noch eine Weile mit solchen Belegfotos früher Sitzheizungen weitermachen – doch hatte ich in der Überschrift ausdrücklich einen Hudson von 1928 angekündigt, und den schauen wir uns jetzt an.
Offenbar war auch der endlich mit Sitzheizung ausgestattet; bei früheren Exemplaren dieser Marke konnte ich jedenfalls bislang nichts Vergleichbares finden:
Hudson, Modelljahr 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Ja, sehr hübsch auch diese Szene, werden Sie jetzt vielleicht denken. Aber wie soll man hier Marke und Modelljahr erkennen? Oder stehen immer noch die erbaulichen Kühlerfiguren im Vordergrund?
Ich habe nun ein Einsehen, denn man kann hier noch etwas anderes mitnehmen als fragwürdige Anmerkungen zum Vorhandensein von Sitzheizungen bei Vorkriegswagen.
Also: Wie gelangt man von dieser Aufnahme zur Erkenntnis, dass man es mit einem 1928er Hudson zu tun hat? Nun, der Gedankengang geht wie folgt:
Eine Doppelstoßstange in Verbindung mit solchermaßen am Windlauf hinter der Motorhaube angebrachten Parkleuchten ist erst einmal ein Hinweis auf ein US-Fabrikat ab Mitte der 1920er Jahre, auch wenn diese Elemente wie die gesamte Linienführung von den damals noch meist rückständigen deutschen Herstellern oft akribisch kopiert wurden.
Die recht weit auseinanderliegenden senkrechten Streben des Kühlergrills finden sich so jedoch nicht bei heimischen Fabrikaten. Mein erster Gedanke war hier, dass es sich um einen Essex von 1928 handeln könnte:
Essex, Modelljahr 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Trotz der offenkundigen Ähnlichkeit, die ihre Gründe hat, handelt es sich doch um unterschiedliche Fabrikate.
Festzumachen ist das zum einen an der Gestaltung des Emblems in der Mitte der Doppelstoßstange. Zum anderen sind die Vorderkotflügel beim 1928er Essex optisch noch zweigeteilt ausgeführt: an das der Radform folgende Schutzblech ist ein ausladender Innenkotflügel angesetzt.
Besagtes Karosserieelement ist dagegen bei dem vorherigen Bild mit der Dame auf dem Kühler zu einem Teil verschmolzen (im US-Autojargon: “one-piece crowned fenders”). Diese Ausführung stellt einen fortgeschrittenen Entwicklungsstand dar, welcher sich beim 1928er Essex noch nicht findet.
Der Grund dafür war schlicht der, dass der Essex eine preisgünstigere und weniger raffiniert gestaltete Version des 1928er Hudson war, welche für den europäischen Markt angeboten wurde. Man findet viele dieser Essex-Wagen auf Fotos aus deutschen Landen.
Der hochklassigere Hudson desselben Modelljahrs war in Europa seltener. Bislang konnte ich ihn nur einmal dingfest machen – und zwar auf dieser Aufnahme:
Hudson, Modelljahr 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Wann und wo dieser Hudson abgelichtet wurde, können Sie hier nachlesen.
Jedenfalls können wir nun leicht feststellen, dass der in der Schweiz zugelassene Wagen mit charmanter Werbung für die am Kühler angebrachte Sitzheizung ebenfalls ein solcher Hudson von anno 1928 war.
Mit seinem rund 90 PS leistenden Sechszylinder war das ein typischer Vertreter stark motorisierter und komfortabler US-Automobile, die zugleich preisgünstiger waren als vergleichbare Fahrzeuge auf dem europäischen Kontinent.
So begegnete man derartigen US-Wagen praktisch überall, ob auf dem Balkan oder in der Schweiz, natürlich nur in Verbindung mit vermögenden Besitzern.
So dürfen wir davon ausgehen, dass auch diese Dame, welche es sich auf dem vermeintlichen “Kühler” gemütlich gemacht hat (vielleicht an einem noch frischen Frühlingstag) von zuhaus gewohnt war, dass zivilisierte Leute an allem Möglichen sparen können, aber gewiss nicht an: Licht und Wärme, Gemütlichkeit und Stilempfinden…
Hudson, Modelljahr 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Damit wir uns recht verstehen: In meinem automobilen Kosmos haben nicht nur Vorkriegsautos ihren Platz. Gerade für klassische Autos der 1960-80er Wagen konnte ich ich mich schon immer erwärmen, hauptsächlich für Engländer und Italiener. Ein paar Exoten in der Richtung besitze ich auch, wenn auch keine Preziosen.
Deutschen Nachkriegsfabrikaten konnte und kann ich weniger abgewinnen. Porsche-Konstruktionen interessieren mich gar nicht, von meinem einstigen Alltagskäfer abgesehen. Bei BMW lasse ich von jeher nur den 3.0 CS gelten, dem jede teutonische Schwere fehlt, in Sachen Daimler weckte schon zu Schulzeiten nur das W111 Coupé Leidenschaften.
Opel und Ford bauten in den 70ern ganz nette Coupés, aber nichts geht über deren bärenstarke US-Vorbilder, die es nur selten über den großen Teich schafften.
Bei deutschen Vorkriegsfabrikaten sieht die Sache schon anders aus. In meinem geistigen Museum würde es diesbezüglich rasch eng werden: Audi 225 Spezial-Cabrio, BMW 327 Cabriolet, Dürkopp P12 Tourer, Hanomag Sturm Roadster, Hansa 1700 Coupé, Horch 930V Roadster, NAG C4 Monza, Simson Supra, Steiger 12/70 PS, Stoewer D12 Sport-Tourer…
Eine eigene Halle wäre daneben für die echten Exoten vonnöten, die im Deutschland der frühen 1920er Jahre eine Sonderkonjunktur erlebten. Dutzende kurzlebige Fabrikate dürfte es im Kleinwagensektor gegeben haben.
Daneben gab es auch einige Versuche etablierter Maschinen- und Fahrzeugbauer, am Automarkt mitzumischen. Dazu zählten neben den interessanten bis aufregenden Sportwagen von Mannesmann insbesondere die PKWs der Nürnberger Marke Faun.
Ein Exemplar des von 1924-26 gebauten Typs 6/24 PS mit OHC-Ventilsteuerung habe ich hier vor einiger Zeit anhand eines raren Fotos vorgestellt. Dieses Modell hat ansonsten eher in Form von Prospektabbildungen überlebt wie der folgenden:
Faun 6/24 PS Tourenwagen, Prospektabbildung von 1925 (Sammlung Michael Schlenger)
In Sachen “Faun”-Automobile tat sich danach eine ganze Weile nichts in meinem Fundus. Von diesen Wagen sind vermutlich nur wenige hundert Exemplare entstanden, ansonsten hätte mir erfahrungsgemäß irgendwann wieder ein entsprechendes Foto begegnen müssen.
Das Einzige, was ich zwischenzeitlich auftreiben konnte, war die Abbildung des Motors des 6/24 PS Typs im “Handbuch vom Automobil”, verfasst von Joachim Fischer im Jahr 1927. Dort finden sich auffallend viele Abbildungen deutscher Nischenfabrikate, darunter Bilder vom legendären Sportwagen von Vorster & Stolle!
Jedenfalls sehen wir hier den im Faun 6/24 PS verbauten 1,4 Liter-Motor nebst Schaltgetriebe und sonstigen Aggregaten:
Faun 6/24 PS-Motor; Abbildung aus: Handbuch vom Automobil, Joachim Fischer, 1927; Original: Sammlung Michael Schlenger)
Als ich kürzlich darauf stieß, erinnerte ich mich an eine weitere zeitgenössische Prospektabbildung, die einen Faun dieses 6/24 PS-Typs mit sogenannter Aufsatz-Karosserie zeigt.
Dabei handelt es sich um eine Konstruktion, mit der sich aus einem Tourenwagen eine vollwertige Limousine machen ließ – ein Konzept, das Mitte der 1920er Jahre schon einigermaßen exotisch gewesen sein dürfte.
Jedenfalls tragen solche Sachen – neben der überwältigenden Markenvielfalt – für mich ganz wesentlich zum Reiz von Vorkriegsautos bei, denn so etwas gab es später nie wieder:
Faun 6/24 PS Aufsatz-Limousine, Prospektabbildung von 1925 (Sammlung Michael Schlenger)
Stünde es nicht ausdrücklich dabei, würde man hier kaum auf die Idee kommen, dass sich aus dieser Limousine durch Abheben des Oberteils ein offener Tourenwagen zaubern ließ.
Jaja, mag jetzt einer sagen, in Prospekten gab es alles Mögliche. Oft genug wurde dort abgedruckt, was man gern produziert hätte.
In der Tat weiß man von vielen Fabrikaten nur, weil eine Reklame oder eben eine Verkaufsbroschüre die Zeiten überdauert hat. Jedoch findet sich in der Neuauflage von Werner Oswalds Klassiker “Deutsche Autos 1920-1945” auf S. 160 eine Ausführung des Faun 6/24 PS auch als Aufsatz-Limousine.
Mein Ehrgeiz ist es, solche raren Fahrzeuge anhand weiterer zeitgenössischer Fotografien zu dokumentieren. Dabei hat es sich bewährt, im Netz präsent und aktiv zu sein. So verwalte ich neben diesem Blog ein internationales Vorkriegsforum auf der “Facebook”-Plattform, die über 1.000 Mitglieder aus aller Welt umfasst.
Deutsche sind dort übrigens trotz des Schwerpunkts auf heimischen Fabrikaten bei weitem in der Minderzahl; “German Angst” scheint auch hier ein Hemmnis zu sein, Technologie einfach intelligent zu nutzen, anstatt endlos über Risiken zu lamentieren.
Ich habe dort schon Problemfälle, die ich seit Jahren mit mir herumschleppe, binnen einer Stunde gelöst bekommen. Außerdem gelange ich über die von mir individuell freigeschalteten Mitglieder immer wieder an außergewöhnliche Dokumente.
IIlustrieren kann ich das heute anhand eines Fotos, das mir Jason Palmer aus Australien in digitaler Kopie zur Verfügung gestellt hat. Wie viele seiner Landsleute begeistert er sich für europäische Vorkriegswagen, fährt selbst welche und sammelt zugehörige Materialien.
Dem Kontakt mit ihm habe ich das hier zu verdanken:
Faun 6/24 PS Aufsatz-Limousine; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)
Die Übereinstimmung mit der Faun 6/24 PS Aufsatz-Limouisine auf der Prospektabbildung ist auf den ersten Blick fast vollkommen, nur die auf dem Foto abgedeckten Drahtspeichenräder weichen ab, oder?
Nun, bei aller Begeisterung setzt sich rasch wieder eine nüchterne Betrachtungsweise durch. Die Ansprache als Faun 6/24 PS mit Aufsatzkarosserie steht für mich außer Frage.
Doch fällt auf, dass der Wagen auf Jason Palmer Fotos eine deutlich größere Bodenfreiheit aufweist und zugleich der Abstand der Kotflügel zu den Reifen kleiner ist. Das könnte auf eine andere Refendimension hindeuten.
Möglich ist aber auch, dass man bei diesem Exemplar die Schwellerpartie zwischen Rahmen und Trittbrett nicht so hoch ausgeführt hat wie bei dem Wagen im Prospekt.
Dies hatte offenbar zur Folge, dass aus dieser Perspektive auch die rahmenartige Struktur zutagetritt, die sich am Unterboden mittig befand, deren Zweck mir nicht ganz klar ist. Ideen dazu sind willkommen (bitte die Kommentarfunktion nutzen).
Der eigentliche Aufbau stimmt hingegen vollkommen mit der Prospektabbildung überein. Besonders schön ist, dass wir hier die Frontpartie im Detail studieren können:
Dieser Ausschnitt eignet sich dazu, sich die Gestaltung des Kühlers einzuprägen, um eventuell weitere solcher Faun-Automobile identifizieren zu können.
Irgendwann während der kurzen Bauzeit scheint ein Flachkühler eingeführt worden zu sein, wobei der genaue Zeitpunkt noch offen ist. Vielleicht findet sich ja eine weitere Aufnahme, welche diesbezüglich Aufschluss gibt.
Ein solcher Flachkühler-Faun muss übrigens in der Nachkriegszeit noch existiert haben, jedenfalls findet sich im Netz diese Aufnahme:
Hier sehen wir zudem Stahlspeichenräder mit fünf statt vier Radbolzen, allerdings nach wie vor noch keine Vorderradbremsen, die wohl erst 1926 Standard wurden. Demnach hätte der Übergang zum Flachkühler wohl 1925 stattgefunden.
Wer etwas über dieses spezielle Fahrzeug weiß, dass in den 1960er Jahren aufgenommen wurde, möge das bitte über die Kommentarfunktion kundtun. Unterdessen will ich den bislang noch in der Exoten-Kategorie beheimateten Faun-Automobilen eine eigene Galerie gönnen, es scheint da doch noch einiges mehr zu geben…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Was man so hört, stellen in Grundschulklassen heute die überdurchschnittlich Begabten die absolute Mehrheit. Das Ergebnis gescheiterter oder erst gar nicht versuchter Erziehung gilt sogleich als Ausweis von Genialität und Eignung für alles Mögliche.
So viele prachtvolle Individuen gab es nie, herrliche Zeiten! Untertanen, ängstliche Anpasser und Befehlsempfänger kennt man nicht mehr. Erfinder- und Unternehmertum stehen in voller Blüte, kein Mensch strebt mehr nach Sicherheit bei Vater Staat.
Dem Mut zur eigenen Linie, gesundem Erwerbsstreben und einer Prise Egoismus verdanken wir alle möglichen Verheißungen: Elektrische Flugtaxis beispielsweise!
Es sind ja nur bald 10 Jahre, dass uns smart auftretende Jungunternehmer alles (Un)Mögliche vom Himmel herunterversprechen, es fehlen bloß noch ein paar Millionen Kapital von gutgläubigen Investoren, dann klappt es – versprochen!
Ironie beiseite. In Wahrheit wird im Technologiesektor hierzulande außer heißer Luft kaum noch Nennenswertes produziert, jedenfalls nicht im Vergleich zu den USA, Fernost oder auch – inzwischen genauso fern – dem Deutschland der Vorkriegszeit.
Geradezu atemberaubend war nicht nur die Explosion an Erfindungsreichtum und Schaffenskraft um die Jahrhundertwende; auch nach dem 1. Weltkrieg schien es an Ideen und dem Willen, etwas Neues auf die Beine zu stellen, nicht zu fehlen.
Vermutlich hunderte Firmen standen plötzlich ohne Rüstungsaufträge da, mussten sich neu erfinden und zurechtkommen mit der Härte eines Marktes, an dem es keine Subventionen, verbilligte Kredite oder sonst etwas auf Steuerzahlerkosten gab.
Allein im Sektor Automobilbau versuchten zahllose Firmen ihr Glück, meist mit ähnlichen Konzepten und meist ohne ausreichendes Kapital zum Skalieren der Produktion. Die Geschichte der früher oder später gescheiterten Autobauer im Deutschland der frühen 1920er Jahre will noch geschrieben sein. Material dazu ist zuhauf vorhanden.
Auch wenn ich nicht gezielt danach suche, findet sich ständig Neues und Reizvolles auf diesem Sektor. Kürzlich schickte mir Steffen Rothe aus Berlin – damals das Epizentrum des Kleinwagenbaus in Deutschland – diese hübsche Reklamekarte in digitaler Kopie:
EGO-Reklamepostkarte; Original aus Sammlung Steffen Rothe (Berlin)
Trotz der naiven Darstellung der Landschaft ist der Wagen bis ins Detail präzise getroffen, wie wir gleich sehen werden.
Hersteller des hier beworbenen “Ego”-Wagens war die Mercur Flugzeugbau GmbH, die Anfang der 1920er Jahre einen angeblich komplett selbst entwickelten Vierzylinderwagen im Stil sportlicher Cyclecars auf den Markt brachte.
Wer angesichts der Leistungsangabe 4/14 PS mitleidig lächelt, übersieht dabei, dass auch die französischen Vorbilder in dieser Klasse ähnlich angefangen haben. 1924 wurde die Leistung auf 20 PS angehoben, jedoch wurde kurz zuvor noch diese Reklame publiziert:
EGO 4/14 PS Reklame von 1924; Original: Sammlung Michael Schlenger
Der Vergleich mit obiger Postkarte zeigt, dass der Zeichner dort bei aller kunsthandwerklichen Freiheit die Eigenheiten des Ego 4/14 PS genau wiedergegeben hat.
Dazu zählt die nach hinten abfallende Karosseriekante, die sich vom Kühler bis zum Verdeck hinzieht, außerdem der Schwung der Kotflügel und die Gestaltung des Kastens oberhalb des Trittbretts, unter dem sich die weit vorn angebrachte Auslegerfederung (Cantilever-Prinzip) der Hinterachse verbirgt.
Bei frühen Exemplaren des Ego 4/14 PS gab es diese Abdeckung noch nicht (vgl. W. Oswald, Deutsche Autos 1920-1945. S. 156), auch die Haubenschlitze waren anders gestaltet.
Dass Ego sich überhaupt einige Jahre am Markt halten konnte, ist bei deutschen Wagen dieser Kategorie eher die Ausnahme. Offenbar fand die eigene Linie der Konstruktion wie der Gestaltung ebenso Anklang wie die Qualität der Ausführung.
Neben dem Zweisitzeraufbau gab es übrigens auch eine Tourenwagenversion des Ego 4/14 PS; hier ein Foto, das mir ebenfalls Steffen Rothe (Berlin) zur Verfügung gestellt hat:
Die eigene Linie des Wagens wurde hier geschickt beibehalten. Statt die Karosserieoberkante hinter der Frontscheibe wie bei Tourern üblich höher anzusetzen, ließe man sie niedrig und zog sie einfach weiter nach hinten.
Dabei wurde zwar der Platz für das Reserverad geopfert, es ist aber denkbar, dass dieses auf die linke Fahrzeugseite wanderte, wo am hinteren Ende des Vorderkotflügels Platz genug war. Das Beweisfoto dafür steht allerdings noch aus.
Vielleicht eine Gelegenheit für die Sammler unter meinen Lesern, diesem eigenständig gestalteten Wagen der frühen 1920er Jahre in ihrem Fundus nachzuspüren.
Vielleicht lässt sich ja nun der eine oder andere bisher ungelöste Fall anhand der eigenen Linie des Ego klären. Von so gelungener Individualität kann es schließlich nie genug geben!
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Besuch beim Arzt oder Besuch vom Arzt – beides gehört normalerweise zu den Dingen, auf die man gern verzichtete. Wobei man heilfroh ist, dass es ihn gibt…
Ich kenne aus der Kinderzeit noch den Landarzt des alten Schlags. Dr. Gundermann war ein freundlicher älterer Herr, der seine Praxis in einer Jugendstilvilla am Ortseingang hatte.
Das war für mich als Kind aus einem der Neubaugebiete der 1960er Jahre (immerhin hatten wir einen großzügigen Bungalow) der früheste Kontakt mit Qualitätsarchitektur. Vertieft wurde der später durch die phänomenale Bausubstanz in meiner Geburtsstadt Bad Nauheim und in Friedberg/Hessen, wo ich das Augustiner-Gymnasium besuchte.
Das mag erklären, weshalb ich für die seit 100 Jahren immergleichen Schuhkasterlbauten der “Moderne” nur Mitleid übrighabe. Zum Glück hat in Europa trotz der Verheerungen der Weltkriege genügend unseres baulichen Erbes überdauert, dass man dieses aufsuchen und darin eintauchen kann.
Dabei ist es keineswegs nur elegante, opulente oder repräsentative Architektur, die mich anzieht. Auch durchschnittliche Bauten auf dem Lande hatten in der Historie eine Qualität, die mich immer wieder fragen lässt: was ist bei uns eigentlich schiefgelaufen?
Ich meine, dass es nicht allein die Katastrophe des 2. Weltkriegs war, welche die Traditionslinien hierzulande unwiderbringlich gekappt war. Dass man sich speziell in Deutschland entschlossen hat, nur noch progressiv zu sein, das kam erst später.
Folgendes Foto aus meiner Sammlung illustriert, dass auf dem Lande eine zumindest äußerlich heile Welt überdauert hatte, auch wenn in jedem Dorf die Gefallenenmahnmale des 1. Weltkriegs eine traurige “Ergänzung” erhielten.
Egal, wie Ihnen gerade zumute ist, ganz gleich was sie belastet, deprimiert oder erzürnt – versetzen Sie sich in die frühe Nachkriegszeit, nehmen Sie Platz und genießen diese Szene:
DKW F8 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Ist das nicht wunderbar? Jetzt stellen Sie sich im Hintergrund einen Sichtbeton-Bau der Gegenwart vor und direkt neben Ihrem Tisch ein Nissan Micra Cabriolet…
Sehen Sie, was ich meine? Die Situation auf diesem Foto ließe sich mit modernem Material nicht wiederholen, stattdessen würde man sich hier sofort “sauwohl” fühlen, nicht wahr?
Dabei ist diese Aufnahme in einer Zeit großer Not entstanden, und es stellte ein außerordentliches Privileg dar, einen solchen Moment “heile Welt” genießen zu können.
“Herr Doktor hat heut’ Zeit” – so lautet das Motto, also nehmen wir uns ebenfalls Zeit und schauen, was dieses Dokument hergibt. Beginnen wir links mit dem offenen Wagen, der auf den ersten Blick kostspielig wirkt. Der zweite Blick offenbart, worum es sich handelt:
Gewiss, das war einmal ein ziemlich luxuriöses Fahrzeug. Der Kühlergrill erinnert tatsächlich stark an die sächsische Premiummarke Horch.
Dabei haben wir es mit einem 20 PS-Auto zu tun. Das verrät die Form des Kühleremblems, welche typisch für eine andere Marke aus dem Auto Union-Verbund war – DKW!
Die frontgetriebenen DKWs mit ihren sparsamen und zuverlässigen Zweitaktmotoren wurden nach ihrer Einführung anno 1931 im Lauf der Zeit äußerlich immer raffinierter.
Speziell das ab 1935 verfügbare Luxus-Cabriolet besaß eine Qualität, welche den Standardausführungen abging: Stahlkarosserie, reichlich Chrom und Ledersitze. Die Motorleistung blieb zwar dieselbe, aber das tat dem Prestige keinen Abbruch.
Unser Foto zeigt die letzte Variante des Front Luxus Cabriolets auf Basis des 1939 eingeführten DKW F8 – hier erkennbar an den senkrechten Streben im Kühlergrill.
Dieses Detail erlaubt die Ansprache sogar bei einem des Zierrahmens und Markenemblems auf dem Kühler beraubten Wagens wie diesem, der kurz nach dem 2. Weltkrieg in Chemnitz fotografiert wurde:
DKW F8 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Der Wagen auf dieser Aufnahme hat untenliegende Scheibenwischer, während an dem oben gezeigten Fahrzeug die spätere Anordnung am oberen Scheibenrahmen zu sehen ist.
Die Karosserien dieser DKW F8 Front Luxus Cabriolets sollen erst im Horch-Werk entstehen, wurden aber aus Kapazitätsgründen von Baur in Stuttgart gebaut. Es handelte sich letztlich um teure Manufakturfahrzeuge, die alles andere als volkstümlich waren.
Aufgrund ihrer geringen Leistung wurden die DKW-Zweitakter im Krieg vom Militär nur fern der Front eingesetzt. Eingezogen wurden sie aber durchaus, sofern der zivile Besitzer keine Gründe dafür vorbringen konnte, dass er darauf angewiesen ist.
Hier haben wir einen F8 mit geschlossenem Aufbau, das bei einer Luftwaffenheit zum Einsatz kam – wie üblich mattgrau bzw. mattblau lackiert:
DKW F8 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Nach einigen Jahren Militäreinsatz blätterte die Lackierung der Chromteile ab und schon ist man bei der Optik des oben gezeigten F8 Luxus Cabriolets.
Dieses Auto muss also im Krieg bei einer Militäreinheit unterwegs gewesen sein. Nach der Kapitulation der Wehrmacht im Mai 1945 gab es noch zahlreiche solcher PKW, die über Nacht herrenlos wurden.
Was die Sieger übrigließen, fand bald wieder neue Besitzer, denn neue Autos gab es erst einmal so gut wie keine. Dass ehemalige Wehrmachtsfahrzeuge auf neue Privatbesitzer zugelassen wurden, war an der Tagesordnung – das wurde pragmatisch gehandhabt.
Speziell Ärzte und Veterinäre auf dem Land gehörten zu den ersten, die wieder motorsiert waren – sofern sie nicht ohnehin den Krieg über ihre Autos behalten konnten.
Sie haben sicher das Schild mit dem Roten Kreuz und der Aufschrift “Arzt” hinter der Windschutzscheibe des eingangs gezeigten DKW gesehen. Demnach gehörte dieser F8 in der Cabriolet-Ausführung nach dem Krieg einem Doktor – wobei ich das Nummernschild noch nicht einordnen konnte (Lösungsvorschläge willkommen!).
“Herr Doktor hat heut’ Zeit!” so mag einst die junge Dame gejubelt haben, die hier zusammen mit der Mutter(?) bei einem Arztbesuch der vergnüglichen Art abgelichtet wurde:
Die beiden gut gebräunten Herren scheinen das Wochenende zu einem Ausflug auf’s Land irgendwo im Mittelgebirge oder Alpenraum (vermute ich) genutzt zu haben.
Hier haben gerade vier Menschen viel Freude miteinander und aneinander, ganz wunderbar. Dabei liegt das Grauen des Kriegs noch nicht weit zurück. Ein Zeuge davon ist nicht nur der ziemlich mitgenommene ehemalige Wehrmachts-DKW.
Haben Sie das zweite Auto im Hintergrund bemerkt? Man darf sich nicht von den großen Scheinwerfern täuschen lassen: Das ist ein VW-Kübelwagen, der wie der DKW nach der Kapitulation auf verschlungenen Pfaden einen neuen Besitzer gefunden hat.
Was mögen die zwei Autos und die vier Menschen auf dieser Momentaufnahme in den Jahren davor erlebt haben? Wir wissen nichts davon, aber eines sagt uns dieses Foto: Der Mensch ist ein Überlebenskünstler.
Zum Überleben braucht es freilich im Zweifelsfall nicht nur einen guten Arzt, sondern auch die schönen Dinge im Leben, an denen man sich erfreuen oder auf die man sein Streben ausrichten kann.
“Herr Doktor hat heut’ Zeit – vielleicht unternehmen wir ja eine Fahrt im Cabriolet!”. Das ist ein Arztbesuch der schönsten Art und mein Wort zum Sonntag: Lassen Sie sich vom Gang der Dinge nicht betrüben, machen auch Sie etwas draus!
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Eigentlich wollte ich es mir heute leicht machen und wieder einmal Bilder des Austro-Daimler AD6-17 PS vorstellen, die sich zwischenzeitlich eingefunden haben.
Bei der Sichtung der Aufnahmen begann ich jedoch über die Bedeutung kleiner Unterschiede im Erscheinungsbild zu grübeln, woraufhin ich die Literatur konsultierte (Franz Pinczolits; Austro-Daimler, 1986; Martin Pfundner: Austro-Daimler und Steyr, 2007).
Diese half mir aber nur bedingt weiter, da die dort gezeigten Aufnahmen teils mäßiger Qualität sind und äußere Details kaum beschrieben werden. Also versuche ich es einmal selbst, wobei einiges Mutmaßung ist.
Klar ist meines Erachtens, dass alle Typen von Austro-Daimler ab spätestens 1920 bis zum Erscheinen des Typs ADM anno 1923 einen Spitzkühler mit dekorativem Markenemblem wie hier zu sehen besaßen:
Austro-Daimler der frühen 1920er Jahre; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Wie es scheint, nahm Austro-Daimler 1919 zunächst die Produktion der beiden Vorkriegsmodelle 9/20 PS und 14/32 PS mit Vierzylindermotoren wieder auf.
Die Leistung der Aggregate wurde etwas angehoben und die Frontpartie mit einem Spitzkühler nach obigem Muster versehen. Der kleinere Typ wurde nunmehr als AD 25 PS angeboten und wie üblich mit verschiedenen Aufbauten angeboten.
Ein besonders attraktives Exemplar davon ist mir vor längerer Zeit in Form dieses feschen Sport-Zweisitzers ins Netz gegangen:
Austro-Daimler AD 25 Sport-Zweisitzer um 1920; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Neben dem AD 25 PS wurde der deutlich größere AD 35 PS angeboten. Sein Radstand von 3,10 Metern erlaubte nun auch großzügige Tourenwagenaufbauten, die Platz für drei Sitzreihen und damit sechs bis sieben Insassen ermöglichten.
Wie bei allen bisherigen Austro-Daimlern befanden sich die Hebel für Handbremse und Gangschaltung auch beim aufgewärmten 35 PS-Modell noch rechts außen an der Karosserie – jedenfalls bei offenen Ausführungen. Das entnehme ich der Aufnahme eines Austro-Daimler auf Seite 127 des Standardwerks von Pinczolits.
Demnach müsste der Wagen auf folgendem Foto ebenfalls ein Austro-Daimler des mittelgroßen Vierzylindertyps AD 35 PS sein, wie er nach dem 1. Weltkrieg noch eine Weile gebaut wurde:
Austro-Daimler AD 35 Tourenwagen um 1920; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Ich hatte dieses eindrucksvolle Fahrzeug bisher als den Nachfolgetyp AD6-17 identifiziert. Diese Neukonstruktion, die ab 1921 gebaut wurde, besaß ausweislich der Zeichnung, die auf S. 129 des Buchs von Pinczolits zu sehen ist, jedoch bereits Mittelschaltung.
Doch was macht man, wenn so ein Austro-Daimler von der “falschen” Seite aufgenommen wurde wie folgendes Exemplar, das 1929 am Werbellinsee im nördlichen Brandenburg abgelichtet wurde?
Austro-Daimler AD6-17 Tourenwagen ab 1921; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Lediglich die deutlich schlichtere Gestaltung der Seitenlinie ohne die nach innen geneigte “Schulter” ist hier ein Indiz für eine jüngere Entstehung.
Bestätigt wird der Eindruck, dass wir es hier bereits mit dem neuen Sechszylindertyp AD6-17 zu tun haben, durch ein zweites Foto desselben Wagens, was nebenbei den Wert auch technisch mäßiger Aufnahmen unterstreicht:
Austro-Daimler AD6-17 Tourenwagen ab 1921; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Das Fehlen außenliegender Hebel für Handbremse und Schaltung sagt uns, dass dies höchstwahrscheinlich ein AD6-17 war. Da an den Vorderrädern keine Trommelbremsen zu sehen sind, ist das äußerlich sonst identische Nachfolgemodell ADV auszuschließen.
Kein verlässliches Indiz für Typ oder Entstehungszeitpunkt scheint dagegen die Gestaltung der Schwellerpartie zwischen Trittbrette und Aufbau zu sein. Dort findet man bei Austro-Daimlern der frühen 1920er Jahre nämlich zum einen glatte Flächen wie oben und hier:
Austro-Daimler AD6-17 Tourenwagen ab 1921; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Zum anderen begegnet man einer bewussten Hervorhebung der Wartungspunkte für die hintere Blattfeder, die bei den damaligen Austro-Daimler-Wagen in Cantilever-Form ausgeführt war (dabei hing die Achse am hinteren Ausleger der Feder).
Diese Lösung erforderte zwei Wartungsdeckel (statt sonst einem), nämlich am vorderen Ende und in der Mitte (vor dem hinteren Kotflügel).
Es finden sich einige Fotos solcher Austro-Daimler-Wagen, bei denen diese Deckel sehr auffällig gestaltet waren wie hier – und zwar rund:
Austro-Daimler ADV ab 1922; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Übrigens hatte ich diesen Austro-Daimler bislang ebenfalls als AD6-17 angesprochen inzwischen meine ich aber, dass es sich um dessen Nachfolgetyp ADV handelt.
Dieser wurde 1922/23 eingeführt (die Angaben variieren) und besaß laut Literatur nunmehr Vorderradbremsen. Ob das von Anfang an der Fall war? Nun, angeblich ist das “V” in der Modellbezeichnung ADV ein Hinweis darauf.
Dann wäre dieser Austro-Daimler eines der ersten Serienautos im deutschsprachigen Raum gewesen, der Vierradbremsen besessen hätte.
Für ein so starkes (60 PS) und schweres Reiseauto wäre das naheliegend gewesen. Gerade bei längerer Abwärtsfahrt sind gebremste Vorderräder ein Vorteil, weil dann dort die Hauptlast aufliegt und der Fahrer im Unterschied zur Kombination von Hand- und Getriebebremse beide Hände am Lenkrad halten kann.
Nach diesem etwas langatmigen Versuch, eine gewisse Systematik in die Spitzkühlermodelle von Austro-Daimler aus den 1920er Jahren zu bringen, will ich die verbleibenden Leser mit einem Schmankerl belohnen, an dem wir uns erfreuen und zugleich – wenn gewollt – unser vorläufiges Wissen erproben können:
Austro-Daimler AD6-17 Tourenwagen ab 1921; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)
Diese schöne Aufnahme, die mir Leser Jason Palmer aus Australien in digitaler Form zur Verfügung gestellt hat, zeigt einen Austro-Daimler Tourer der frühen 1920er Jahre.
Zwar sehen wir hier nicht, ob Handbrems- und Schalthebel außen- oder innenliegend sind. Ich würde aber die sehr schlichte Gestaltung der Seitenlinie als Indiz dafür nehmen, dass wir es hier nicht mehr mit einem Vierzylindertyp AD 35 PS um 1920 zu tun haben.
Auch die Länge der Motorhaube scheint aus dieser Perspektive eher für den späteren Sechszylindertyp AD6-17 zu sprechen. Dessen Nachfolger ADV können wir aufgrund des Fehlens von Vorderradbremsen ausschließen.
Wie immer bei solchen nur oberflächlich dokumentierten Manufakturwagen ist zu bedenken, dass die Realität vielschichtiger war, als es die Literatur ahnen lässt. Es gab verschiedene Optionen beim Kauf sowie die Möglichkeit der späteren Nachrüstung bzw. des Umbaus einzelner Elemente – von daher ist mein heutiger Essay mit Vorsicht zu genießen.
Umso mehr bin ich an Ihrer Meinung und den Ihnen vorliegenden Dokumenten zu den Austro-Daimler-Typen mit Spitzkühler interessiert. Möglicherweise gab es schon beim Kühler selbst Varianten, die mir entgangen sind, vielleicht gab es Übergangsmodelle, bei denen schon Elemente des Nachfolgers wie die Mittelschaltung einflossen usw.
Jedenfalls finde ich die Premiumautomobile österreichischer Provenienz sehr spannend, zumal sie in Deutschland heute völlig unterbelichtet sind. Ach, eine Sache fällt mir noch ein:
Könnte das runde Objekt am Frontscheibenrahmen des Austro-Daimler auf dem Foto von Jason Palmer eine “Tax Disc” sein, mit welcher britische Autobesitzer die gezahlte KfZ-Steuer nachwiesen?
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Kinder, wie die Zeit vergeht! Bald zwei Jahre ist es her, dass ich mich hier den P-Typen der sächsischen Marke Presto gewidmet habe, die ab 1912/13 und im Fall des P8 8/25 PS bis 1919 im Programm blieben.
Über diesen für damalige Verhältnisse recht langen Zeitraum musste sich bei grundsätzlich gleicher Konstruktion im Detail natürlich einiges tun.
Bei Einführung waren noch nicht einmal Reifen verfügbar – vermutlich waren sie ein Extra (kleiner Scherz):
Presto Typ P8 8/25 PS oder P10 10/35 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Weshalb dieser Presto hier auf den Felgen draußen abgestellt war, darüber lässt sich trefflich mutmaßen. Wichtiger ist mir aber etwas anderes:
Zum einen kann man hier besser als in anderen Fällen das Markenemblem studieren, das sich aus der Distanz oder aus spitzem Winkel nur noch als Wappen darbietet, welches horizontal in eine helle obere und eine teilweise dunkle untere Fläche unterteilt war.
Zum anderen sieht man hier gasbetriebene Scheinwerfer, wie sie bis zum 1. Weltkrieg Standard waren (elektrisches Licht war jedoch ab 1913 zunehmend optional verfügbar), außerdem eine durchgehende Sitzbank im Heck.
Warum ich auf auf letztgenannte verweise, wird später noch klar. Daher prägen Sie sich jetzt bitte die schlichte Gestaltung ohne Steppung und mit durchgehendem Kissen am oberen Abschluss ein.
Den Presto-Wagen der P-Reihe sah man die genaue Motorisierung selten an. Die beiden mittleren und wohl häufigsten Varianten 8/25 PS und 10/35 PS besaßen einen nahezu identischen Radstand und unterschieden sich von den Proportionen kaum.
Diese erwachsenen und leistungsfähigen Fahrzeuge absolvierten die übliche “Karriere” im 1. Weltkrieg – hier haben wir ein Exemplar in Diensten der königlich-bayrischen Armee:
Presto Typ P8 8/25 PS oder P10 10/35 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Erkennen Sie das Presto-Kühleremblem hier wieder? Solche Beispiele helfen den Blick für Situationen schulen, in denen das Markenlogo aus ungünstigem Winkel zu sehen ist. Einen birnenförmigen Kühler verwendeten damals nämlich etliche Hersteller.
An der Front sehen wir abermals Gasscheinwerfer, diese waren nur selten typspezifisch und manchmal fehlen sie sogar ganz. Es gab zahllose Varianten davon – ein ganz eigenes Sammelgebiet für Freunde früher Automobile mit wenig Platz (billig ist’s aber auch nicht).
Ein letzter Blick gilt der Rückbank, diesmal mit aufwendiger Steppung, die aber eher die Norm gewesen zu scheint, so mein Eindruck bei Fahrzeugen bis etwa 1920.
Das nächste, sehr stimmungsvolle Foto transportiert uns in die frühe Nachkriegszeit:
Presto P-Typ; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Sicher haben Sie diesen Wagen nun bereits auf Anhieb als Presto der P-Modellreihe erkannt, auch wenn das Markenemblem nur schemenhaft erkennbar ist.
Die Gasscheinwerfer sind ein Hinweis darauf, dass hier ein Vorkriegstyp weitergefahren wurde.
Presto baute zwar bis 1919/20 noch Exemplare der alten P-Reihe, teilweise auch mit stärkeren Motoren, diese dürften aber werksseitig mit elektrischem Licht ausgestattet worden sein.
Ich bin der Ansicht, dass der Presto auf dem folgenden Foto ein solches frühes Nachkriegsmodell vor Einführung des neuentwickelten Einheitstyps D 9/30 PS ab 1921 war:
Diese Aufnahme, die mir Matthias Schmidt aus Dresden in digitaler Kopie zur Verfügung gestellt hat, ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich.
Zwar ist am Aufbau nichts zu erkennen, was von den oben gezeigten, vermutlich älteren Exemplaren abwiche.
Doch sehen wir hier erstmals elektrische Scheinwerfer in der einfachsten Ausführung, d.h. schwarz lackiert ohne glänzenden Lampenring und noch ohne die unterhalb angebrachten kleinen Zusatzleuchten zur Ausleuchtung von Kurven, die in den frühen 1920er Jahren gern montiert wurden.
Die noch manuell zu betätigende Balgenhupe war kurz nach dem 1. Weltkrieg nicht mehr der letzte Schrei, aber sie findet sich um 1920 noch vereinzelt. Der Fahrer schaut ernst in die Ferne – er zählt im Geiste die Sekunden, bis die Belichtung abgeschlossen ist:
Was an diesem Exemplar aber wohl am interessantesten ist und für eine Nachkriegsversion dieses Presto (angesichts der Zeiten wohl “nur” ein Typ P8 8/25 PS) spricht, das ist die Gestaltung der Rückbank.
Diese weist nicht nur eine vertikale Unterteilung auf, sondern auf beiden Seiten auch ausgeprägte, ergonomisch wirkende Seitenpolster – und das ganz ohne Steppung in beinahe modern anmutender Manier:
Auf den Rückbänken amerikanischer Limousinen der 1970er Jahre sah es bisweilen so aus, dort konnte man angesichts des gondelhaften Schaukelns weich gefederter Karosserien Seitenhalt auch gut gebrauchen – aber bei einem solchen Presto um 1920?
Ich muss zugeben, dass ich der Gestaltung der Sitze bei Vorkriegsautos bislang wenig Aufmerksamkeit geschenkt habe, weshalb ich vielleicht bloß nicht auf diese Variante geachtet habe.
Jedenfalls ist sie mir hier erstmals aufgefallen und das will ja etwas heißen und sei es nur etwas in dieser Hinsicht:
Presto P-Typ – Konstruktion auch im Weltkriege bewährt – für die Überlebenden jetzt mit mehr Sitzkomfort!
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Zur Beschäftigung mit Vorkriegsautos gehört die Entdeckerfreude, zu der es bei jüngeren Fahrzeugen nur noch selten Anlass gibt.
Das liegt schon an der ungeheuren Anzahl der Hersteller und Modelle, um die es geht: Allein in den USA zählt man über 5.000 Fabrikate – wobei die meisten rasch eingegangen sind, teilweise nur einen Prototypen gebaut oder nur einen Prospekt gedruckt haben.
Dennoch geht selbst die Zahl der Autobauer, die einst zumindest eine Weile am Markt aktiv waren, weltweit in die Tausende.
Die Größenordnung der beteiligten Erfinder und Unternehmer ist ein wesentlicher Faktor bei dem rasanten Entwicklungstempo in der automobilen Frühzeit. Fünf Jahre entsprachen bis in die 1930er Jahre einer ganzen Autogeneration.
Vorzüglich illustrieren lässt sich dies anhand eines Beispielfotos, das mir Leser Klaas Dierks schon vor längerem zugesandt hat, das ich aber erst kürzlich neu entdeckt habe. Es zeigt einen Wagen, der vor gut 90 Jahren entstand – anno 1932.
Was sehen Sie vor dem geistigen Auge, wenn Sie sich ein Automobil jener Zeit vorstellen? Ich meine damit keine bestimmte Marke oder ein spezielles Modell, sondern allgemein das Erscheinungsbild. Vielleicht etwas in dieser Art?
DeSoto Series CF Eight von 1930/31; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Klar, so sieht ein typischer “Oldtimer” aus, würden die meisten Zeitgenossen wohl sagen. Vielleicht würden sie dabei auf die späten 1920er Jahre tippen, was stilistisch auch passt.
Tatsächlich war diese repräsentative Limousine mit sechs Seitenfenstern erst 1929 entwickelt worden – für eine im selben Jahr neu geschaffene Marke des amerikanischen Chrysler-Konzerns.
Für deren Namen hatte man in den Marketing-Etagen in Detroit einen spanischen Eroberer neu entdeckt: “Hernan DeSoto”, mit dem man in den Staaten vermutlich nicht mehr verband als die Entdeckung des Mississippi.
In den politisch hyperkorrekten Zeiten von heute wäre das ein absolutes Unding – das wäre so, als ob man ein Lastenrad nach Francisco Pizarro benamte, weil es halt exotisch klingt.
Der “DeSoto” dagegen schlug ein am Markt wie – ja wie ein Eroberer! Bis dato war es keiner neuen Automarke in den USA gelungen, im ersten Jahr über 80.000 Autos abzusetzen. Soviel zum Thema Dynamik in der damaligen Autoindustrie.
Allerdings muss ich zugeben, dass ich DeSoto nach Vorstellung des einst in Hessen zugelassenen Achtzylinder-Wagens der Marke ein wenig aus den Augen verloren habe. Nur sporadisch werden Sie in meinem Blog Spuren davon finden.
Dieser Tage jedoch habe ich DeSoto neu entdeckt – kurioserweise bei der Recherche nach einem mutmaßlich belgischen Automobil aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg.
Beim Durchblättern des Standardwerks “Le Grand Livre de l’Automobile Belge” von Kupélian/Sirtaine begegnete mir ein Fahrzeug, das mich spontan an dasjenige auf diesem Foto von Leser Klaas Dierks erinnerte:
DeSoto Series SC Six; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks
Was meinen Sie, von wann dieses Auto stammt? Mitte bis Ende der 1930er Jahre?
Leider daneben. Dieser DeSoto entstand praktisch direkt nach dem konservativ daherkommenden Achtzylinder-Wagen auf dem eingangs gezeigten Foto.
1932 brachte man ein neues Modell heraus, das zwar “nur” einen Sechszylinder besaß, der aber mit nunmehr 75 PS stärker war als der Achtzylinder. Äußerlich das hervorstechendste Merkmal war freilich der Rundkühler, der bis Ende der 1930er Jahre modern bleiben sollte.
Diesen hatte man sich laut Literatur beim legendären Miller-Rennwagen der 1920er Jahre abgeschaut – einem in den USA enorm erfolgreichen Monoposto. Im alten Europa findet sich eine sehr ähnliche Kühlergestaltung bei der belgischen Marke PM im Jahr 1925.
Das erklärt, weshalb ich bei meiner Recherche nach einem belgischen Fabrikat nebenbei den DeSoto neu entdeckt hatte – die Abbildung des PM erinnerte mich daran.
Zu dem DeSoto auf dem Foto von Klaas Dierks ist noch zu sagen, dass dieser das Modelljahr 1932 repräsentiert:
Schon im Jahr darauf gab es nicht nur äußerlich Änderungen gegenüber dem 1932 eingeführten Modell , auch unter der Haube sollte sich noch einiges tun: Der Motor leistete nun über 90 PS aus 3,6 Litern Hubraum. Der Achtzylinder war zwischenzeitlich eingestellt worden.
Erwähnenswert sind des weiteren das vollsynchronisierte Getriebe mit geräuscharmen schrägverzahnten Zahnrädern, die Startautomatik sowie optionale Heizung und Radio.
Hydraulische Bremsen und ebensolche Stoßdämpfer, gummigelagerter Motor und Ganzstahlkarosserie rundeten das Bild eines zeitgemäßen US-Wagens ab. Leider liegt mir bislang noch kein Foto der Version von 1933 vor.
Vielleicht geht ja nochmals jemand seinen Fotofundus durch, sodass auch die überarbeitete Fassung dieses bemerkenswerte Fahrzeug hier “neu entdeckt” werden kann!
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Um gleich Protesten von Lokalpatrioten vorzubeugen: Natürlich verfügte die berühmte, bald 1000-jährige Wartburg in Thüringen anno 1904 über ein Dach.
Daran kann es keinen Zweifel geben, schließlich waren die Bauarbeiten zur Wiederherstellung der Ruine nach sechsjähriger Bauzeit schon 1859 abgeschlossen. Seither bietet sich die Anlage so dar, wie sie der Besucher des 21. Jh. zu sehen bekommt.
Die These “Wartburg ohne Dach” ist mir in einem anderen Zusammenhang untergekommen, der nur indirekt mit der Festungsanlage zu tun hat, dieser aber keineswegs fernliegt.
Kenner der frühen deutschen Automobilgeschichte wissen jetzt natürlich, was kommt. Denn unweit der Wartburg wurden von der Fahrzeugfabrik Eisenach ab 1899 ein Automobil gebaut, das als “Wartburg-Wagen” verkauft wurde.
Dabei handelte es sich um ein noch sehr einfaches Gefährt nach Lizenz des französischen Herstellers Decauville, dessen Konstruktion damals in Frankreich bereits veraltet war. So war hier der Motor noch im Heck verbaut und gelenkt wurde über einen Hebel:
Wartburg-Wagen von 1899/1900; Postkarte des Verkehrsmuseums Dresden; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Viele deutsche Hersteller wählten damals diesen Weg des Lizenznachbaus französischer Fabrikate wie Darracq, De Dion, Decauville oder Panhard, um überhaupt erst einmal in die Autoherstellung einsteigen zu können. Eigenentwicklungen in Deutschland waren um 1900 noch die Ausnahme und führten meist in Sackgassen.
Nachdem man in Eisenach mit diesen Vehikeln, die luft- bzw- wassergekühlte Zweizylindermotoren mit 3 bzw. 5 PS Leistung besaßen, erste Erfahrungen gesammelt hatte, folgten 1902 erstmals Modelle mit Frontmotor und Motorhaube. Diese Bauweise wurde damals von Panhard in Frankreich bereits seit über 10 Jahren praktiziert…
Immerhin gaben die Fahrzeugwerke Eisenach jetzt ordentlich Gas und bauten nun auch Vierzylindermodelle mit rund 15 bis 30 PS. Hier ein Exemplar von 1905, das bereits unter dem neuen Markennamen “Dixi” firmierte:
Dixi Typ S12 oder S13 (1904-07); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Dieses Auto sieht mit einem Mal richtig erwachsen aus – das Einzige, was noch wie ein Fremdkörper wirkt, ist die Dachkonstruktion.
Wie es scheint, ist diese lediglich mit sechs vertikalen Rohren an der eigentlichen Karosserie befestigt. Gut möglich, dass sie sich einfach demontieren ließ bzw. erst nachträglich angebracht wurde.
Jedenfalls wird hier deutlich, dass ein festes Dach auf relativ simple Weise ergänzt werden konnte, wenn man das wollte. Damit sind nun endlich beim eigentlichen Thema.
Denn heute darf ich einen weiteren Wartburg aus der frühen Automobilproduktion der Fahrzeugwerke Eisenach präsentieren, den es so eigentlich gar nicht geben dürfte, wie er sich hier darbietet:
Wartburg 5,5 PS (1902-03); Originalfoto: Sammlung Andreas K. Vetter (Detmold)
Diese stimmungsvolle und gut erhaltene Aufnahme stammt aus dem Familienalbum von Andreas K. Vetter aus Detmold. Nach seinen Angaben entstand das Foto 1904 in Langensalza, wo der Wagen einem Veterinär als Alltagsfahrzeug diente.
Ich muss gestehen, dass ich zunächst eine Weile ergebnislos herumgerätselt habe, was für ein Fahrzeug hier abgebildet ist.
Zwischenzeitlich befasste ich mich mit einem anderen Rätselfoto, das eventuell einen Dixi zeigen sollte. Beim Durchblättern von Halwart Schraders immer noch unübertroffenem (wenn auch nicht perfekten) Standardwerk zu BMW-Automobilen von 1978, das auch Dixi bzw. die Vorgängermarke Wartburg abdeckt, stieß ich dann auf die zuvor gesuchte Lösung.
Diese Technik hat mich übrigens schon einige Male zum Ziel gebracht: Wenn eine intensive erste Recherche ohne Erfolg bleibt, ist es Zeitverschwendung, angestrengt weiterzubohren oder sich den Kopf zu zerbrechen.
Befasst man sich dann mit etwas anderem, bleibt das ungelöste Problem nämlich im Hinterkopf auf Wiedervorlage und oft genug läutet es dann unvermittelt, wenn sich in einem anderen Kontext die gesuchte Lösung offenbart.
So hielt ich auf S. 104 des Schraderschen Werks inne, denn dort (und m.W. nur dort) ist das gesuchte Automobil mit der eigenwillig gestalteten Motorhaube abgebildet – ein Wartburg 5,5 PS. Das Modell war zwischen dem ersten Wartburg und den ersten Dixis angesiedelt.
Zwar verfügte der Motor nach wie vor nur über 2 Zylinder, er befand sich nun aber vorn und war auf 1,1 Liter Hubraum gewachsen. Der Aufbau hatte an Substanz gewonnen, obwohl es sich nach wie vor um einen Zweisitzer handelte. Immerhin wurde das Auto jetzt mit einem Lenkrad gesteuert.
Nach Angabe von Halwart Schrader verfügte der Wartburg 5,5 PS über einen Röhrenkühler, der um die Motorhaube herumgelegt war. Damit meinte er vermutlich die pfeifenartigen Elemente auf der Haube.
Ganz sicher bin ich mir nicht, welche Funktion diese tatsächlich hatten. Waren es in Wirklichkeit nach außen gewölbte Luftschlitze oder röhrenartige Ausbuchtungen, die einen zusätzliche Oberflächenkühlung bewirken sollten – oder waren sie rein dekorativ?
Ich meine nämlich, hinter der Motorhaube die eigentlichen Kühlschlangen zu erkennen:
Was sagen die technisch versierteren Leser dazu? Kennt vielleicht jemand noch eine weitere Quelle, die sich mit diesem speziellen Wartburg 5,5 PS befasst und die mehr Informationen liefert?
In einer Hinsicht kann ich selbst eine neu hinzugewonnene Erkenntnis konstatieren. So heißt es bei Schrader, dass es zu diesem Wagen kein Verdeck gab. Strenggenommen hat er damit auch recht. Doch im nächsten Satz verweist er darauf, dass man einen Gummimantel tragen müsse, wenn man bei Regen fahren wollte.
Genau das musste aber nicht sein – denn den Wartburg 5,5 PS gab es ganz offensichtlich doch auch mit Dach! Und dafür dürften die damaligen Insassen dankbar gewesen sein…
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Wer kennt noch die legendäre “Grüne Minna”? Ich kann mich dunkel erinnern, dass man damit früher die Polizeiautos zum Transport von Strafgefangenen bezeichnete.
Gesehen habe ich so etwas schon lange nicht mehr, aber ich meide die Brennpunkte der Kriminalität ja auch seit vielen Jahren, nachdem ich Berufsausbildung, Studium und weite Teile des Arbeitslebens in Frankfurt/Main zugebracht hatte.
Mag sein, dass man heute die meisten Delinquenten ohnehin laufen lässt, wenn man die Personalien aufgenommen hat, da ja “keine Fluchtgefahr” bestehe. Im Knast scheint es auch keine freien Zimmer mehr zu geben, was man so hört und liest.
Jedenfalls war der Aufenthalt in der “Grünen Minna” einst im wahrsten Sinne des Wortes eine inklusive Angelegenheit – exklusiv war daran nichts, schon gar nicht die Ausstattung.
Dafür kommen Sie, liebe Leser und unbescholtene Bürger, heute in den Genuss, enge Bekanntschaft mit einem exklusiven Polizeiauto der Vorkriegszeit zu machen. So unwahrscheinlich das klingt – speziell beim Stichwort “Wanderer” – so zutreffend ist es doch.
Dieses exklusive und für Sie völlig risikofreie Vergnügen will freilich gut vorbereitet sein. Dazu machen wir uns erst einmal mit einem ganz normalen Wanderer-Tourenwagen der zweiten Hälfte der 1920er Jahre vertraut:
Wanderer W10-I 6/30 PS; Originalfoto: Sammlung Marcus Bengsch
Wer nun der Ansicht ist, dass so ein großzügiges Cabriolet doch eine ziemlich exklusive Angelegenheit gewesen sein muss, liegt falsch. Denn erstens handelt es sich nicht um ein Cabriolet, sondern einen Tourenwagen und das war ein enormer Unterschied.
Worin genau der bestand, das wird heute nebenher anschaulich. Hier sei nur so viel gesagt: Ein solches Auto mit ungefüttertem Klappverdeck und ohne Kurbelfenster war lange Zeit mit die billigste Karosserievariante überhaupt, nur ein offener Zweisitzer war günstiger.
Im Unterschied zu heute war ein geschlossener Aufbau wegen des enormen Mehraufwands an Handarbeit die exklusivere Ausführung. Davon abgesehen war natürlich überhaupt jedes Automobil im damaligen Deutschland für sich bereits absolut exklusiv.
Nur eine dünne Schicht an weit überdurchschnittlich Gutsituierten konnte sich hierzulande ein Kraftfahrzeug leisten – eine echte Volksmotorisierung wie in den USA sollte es erst ab den 1960er Jahren geben.
Auch leistungsmäßig war man noch weit von “amerikanischen Verhältnissen” entfernt. So begnügte sich dieser Wanderer mit 30 PS Höchstleistung aus 1,6 Litern Hubraum.
Ford’s Model A – das Einstiegsauto für wirklich jedermann in den USA – kam da bereits mit 40 PS daher. Ein solcher Wanderer dagegen war klar in der Mitteklasse angesiedelt. Dennoch wirkt er zumindest auf obigem Foto statt exklusiv eindeutig “inklusiv” – denn mit niedergelegtem Verdeck lädt er doch geradezu zum Einsteigen ein.
Im Unterschied zu größeren Tourern bot der Wanderer allerdings im Regelfall nur vier Personen Platz, wie hier gut zu erkennen ist:
Übrigens ist dieser Wanderer 6/30 PS – intern als Typ W10-I bezeichnet – auch in anderer Hinsicht repräsentativ für den damaligen Stand des deutschen Automobilbaus in der Breite.
Bei seiner Markteinführung im Herbst 1926 verfügte er nämlich als erster Wanderer über Linkslenkung und Vierradbremsen, dem allgemeinen Trend folgend, der 1924 begann und kurz danach (von wenigen Ausnahmen abgesehen) abgeschlossen war.
Kommen wir nun zum versprochenen exklusiven Genuss eines Wanderer-Polizeiautos. Dazu machen wir einen kleinen Zeitsprung ins Jahr 1928. Technisch hatte sich bei den Wanderer-Vierzylinderwagen wenig getan – die Marke war stets konservativ.
Immerhin hatte Wanderer inzwischen auf den Trend zu stärkeren Motoren reagiert und aus dem 6/30 PS-Modell zusätzlich den stärkeren Typ 8/40 PS abgeleitet, der nun in die Nähe der Marke von 100 km/h kam.
Äußerlich behielt man die Linie weitgehend bei. Nur die Gestaltung der Luftschlitze änderte sich ab Ende 1927 – nunmehr finden sich zwei Gruppen davon symmetrisch verteilt:
Wenn dieser Wanderer-Tourenwagen dennoch völlig anders wirkt, hat dies nicht nur mit den neu gestalteten Luftschlitzen in der Motorhaube zu tun. Auch der davor posierende Polizist macht das Auto per se noch nicht ungewöhnlich.
Doch die einladende Anmutung ist dahin, und das ist einer ziemlich exklusiven Situation geschuldet. Nur selten sieht man nämlich einen solchen Tourer mit aufgespanntem Verdeck und vor allem mit den seitlich aufgesteckten “Scheiben”, die aus einem frühen Kunststoff bestanden, den ich als Zelluloid ansprechen würde.
Diese Lösung hatte den Vorteil niedrigeren Gewichts und geringerer Bruchgefährdung gegenüber Glasscheiben, doch natürlich neigten diese Steckscheiben zum Zerkratzen und zudem wurden sie im Lauf der Zeit blind.
Daher ist erst recht heute ein überlebender Tourenwagen, der noch seine originalen Steckscheiben besitzt, nach meinem Eindruck eine hochexklusive Angelegenheit.
Daneben gibt es aber noch ein weiteres Merkmal, welches diesem Auto und damit auch dem Foto eine beträchtliche Exklusivität verleiht – die Scheibenräder!
Sie lösten laut Literatur (Erdmann/Westermann, Wanderer-Automobile, Verlag Delius-Klasing, 2. Auflage 2011) erst im Sommer 1928 die bisherigen Stahlspeichenräder ab. Da der Wanderer 8/40 PS bereits im Oktober desselben Jahres auslief, haben wir den raren Fall, dass sich ein solcher Tourenwagen auf wenige Monate genau datieren lässt.
In der Gesamtheit betrachtet eine ziemlich exklusive Angelegenheit, finde ich.
Man könnte nunn einwenden, dass Wanderer nach dem Produktionsende des Typs 8/40 PS den kleinen Typ 6/30 PS mit exakt dessen Optik noch ein Dreivierteljahr lang weiterbaute. Dann wäre aber das Polizeiauto etwas schwach auf der Brust und nicht mehr ganz so exklusiv, also lassen wir das…
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Die Zwillingsforschung ist ein interessantes Feld – geht sie doch anhand früh getrennter Zwillinge der Frage nach, inwieweit sich deren spätere Persönlichkeit und Entwicklung trotz unterschiedlicher Lebensumstände dennoch gleicht.
Die Ergebnisse fallen ungünstig für diejenigen aus, die für menschliches Fehlverhalten reflexartig die Gesellschaft, den Kapitalismus oder den weißen Mann verantwortlich machen. Denn offenbar ist manches Angeborene viel stärker als jedes Milieu.
Aber auch die Verfechter des absolut freien Willens müssen zur Kenntnis nehmen: Unsere genetische Prägung grenzt den tatsächlichen Spielraum unserer Entschlüsse und unseres Handelns erheblich ein.
Schon meine eigene Amateur”forschung” anhand von Geschwisterpaaren in der eigenen Familie kommt zum Ergebnis: Es gibt ebenso ausgeprägte ererbte Persönlichkeitszüge wie anerzogene sowie – gern übersehen – selbst erarbeitete.
Was hat das mit Vorkriegautos zu tun? Nun, eine ganze Menge. Nehmen wir als Beispiel Charles W. Nash – den Gründer der gleichnamigen US-Marke. Seine Kindheit und Jugend hätten ihn nach üblichen Soziologen-Thesen zu einem Gewohnheits-Kriminellen oder zumindest Landstreicher machen müssen.
Mit sechs Jahre von den Eltern verlassen, dann zu einem Farmer in Obhut gegeben, der ihn schlecht behandelte. Mit zwölf rannte Charles davon, verdingte sich auf einer anderen Farm, lernte das Schreinerhandwerk, arbeitete dann in einem Lebensmittelladen, bei einem Kissenhersteller usw.
Wir überspringen einige berufliche Stationen. 1912 war Nash der Direktor von General Motors, 1916 gründete er seine eigene Automarke. Jemandem mit diesem Lebenshunger und Leistungsethos, mit dieser Laufbahn würde man doch eher jedes Staatsamt anvertrauen als jemandem ohne Berufs- oder Studienabschluss, nicht wahr?
Zurück zur Zwillingsforschung, die sich heute am besonders interessanten Fall von Drillingen abarbeitet.
Gegenstand der Betrachtung sind die drei Varianten des von Hans Ledwinka entwickelten Sechszylinderwagens, mit dem der östereichische Waffenhersteller Steyr 1920 in den Automobilbau einstieg und auf Anhieb erfolgreich war:
Steyr Typ II oder V; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Das neu geschaffene Steyr-“Waffenauto”, so eine zeitgenössische Bezeichnung, war äußerlich so markant wie technisch raffiniert.
Dank im Zylinderkopf v-förmig hängenden Ventilen und obenliegender Nockenwelle war der Motor hocheffizient und drehfreudig. Die Leistung von 40 PS reichte für gut 100 km/h Spitze.
Die ausgezeichnete Grundkonstruktion, die sich insbesondere im anspruchsvollen Terrain Österreichs bestens bewährte, wurde vom Steyr Typ II über den Nachfolger Typ V (1924) bis zum Typ VII (1925) beibehalten. Während Fahrwerk und Antrieb in Details verbessert wurden, blieb die Optik bis zur Einführung des Flachkühlers praktisch dieselbe.
So kann die obige Aufnahme sowohl einen Steyr Typ II als auch einen Typ V zeigen. Diese ernüchternde Erkenntnis verdanke ich dem österreichischen Steyr-Kenner Thomas Billicsich. Selbst die dritte Version – der Typ VII – unterscheidet sich äußerlich kaum.
Hier haben wir eine weitere Aufnahme, die einen Steyr mit identischem Aufbau zeigt – nur der runde Wartungsdeckel an der hinteren Blattfederaufnahme fehlt hier. Das mag kleinen Änderungen innerhalb ein und derselben Serie geschuldet sein:
Steyr Typ II oder V; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Während auch hier ungewiss bleibt, ob wir einen Steyr Typ II oder V vor uns haben (selbst der Typ VII ist nicht gänzlich ausgeschlossen), kann ich heute zumindest kleine Erfolge auf dem Feld der Drillingsforschung vermelden.
Denn während bei vielen Abbildungen dieser Steyr-Spitzkühlermodelle eine genaue Typansprache kaum möglich erscheint, gibt es doch Ausnahmen. Hier haben wir die erste, dank Leser Matthias Schmidt aus Dresden:
Steyr Typ II; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Dieser Steyr-Tourer besitzt eine meines Wissens nur beim frühen Steyr Typ II verbaute Karosssrie.
Sie unterscheidet sich von den sonst zu sehenden sehr schlicht und geradlinig gehaltenen Aufbauten durch die nach hinten ansteigende und leicht nach innen geneigten Schulterlinie. Dies war eine Ausführung, wie sie kurz nach dem 1. Weltkrieg im deutschprachigen Raum in Mode war, aber bald wieder zugunsten rein funktioneller Linienführung verschwand.
Man sieht auf dieser Aufnahme auch eine spezielle Verschlusskappe über der Wartungsöffnung an der vorderen Aufnahme der hinteren Blattfeder, die sich nur bei frühen Exemplaren des Steyr III findet, sofern man der Literatur trauen kann.
Übrigens ist auch die Türgestaltung archaischer als bei den beiden weiter oben gezeigten Exemplaren. Spätere Ausführungen des Steyr Typ II scheinen dann tatsächlich nahezu identische Aufbauten besessen zu haben wie der Typ V, jedenfalls beim Tourer.
Kommen wir nun zum letzten Objekt unserer Drillingsforschung – meines Erachtens ein Steyr des späten Spitzkühlertyps VII mit 50 statt 40 PS bei gleichem Hubraum (3,3 Liter):
Steyr Typ VII; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Verzeihen Sie zunächst die mäßige Qualität dieser Abbildung. Das Originalfoto ist wesentlich größer, stark verblasst, fleckig und ziemlich unscharf. Mehr ließ sich trotz einiger Korrekturen leider nicht herausholen.
Jetzt könnten Sie ja fragen, woran überhaupt zu erkennen ist, dass dies ebenfalls ein Steyr ist. Solche Spitzkühler-Tourer gab es schließlich auch von einigen anderen Herstellern, beispielsweise Simson aus Suhl (Thüringen).
Nun, es ist die Summe mehrerer Übereinstimmungen, die mein Urteil begründet: die Position der Schublade oder Klappe im Schweller, die Form der Türen, die Gestaltung der Nabenkappen, die Zahl von Radbolzen und -speichen sowie die ansatzweise zu erkennenden hohen Luftschlitze in der hinteren Hälfte der Motorhaube.
Ein Detail weicht aber ab – haben Sie’s bemerkt?
Dieser Stey weist als einziger der bisher gezeigten eindeutig Vorderradbremsen auf – die großen Trommeln sind klar zu erkennen. Das ist – wenn ich die Literatur richtig interpretiere – ein dem Steyr Typ VII ab 1925 vorbehaltenes Merkmal.
Hinweise auf zumindest optional erhältliche Vorderradbremsen beim immerhin bis 1925 gebauten Typ V konnte ich nicht finden. Mich wundert das ein wenig bei einem ganz klar als Reisewagen für den Alpenraum konzipierten Automobil.
Da verbaute man einen Tank im Heck, der – halten Sie sich fest – satte 100 Liter fasste und ergänzte einen Reservetank mit nochmals 60 Litern Volumen vor der Frontscheibe. Das reichte locker, um von Salzburg nach Florenz ohne Tankstopp zu fahren.
Und ausgerechnet für so einen geborenen Alpenbezwinger soll es 1924/25 (Steyr Typ V) keine Vorderradbremsen gegeben haben? Kann ich kaum glauben.
Vielleicht lässt sich dieser Punkt von sachkundiger Seite noch klären. Auch sonst sind ergänzende/korrigierende Hinweise zu den Ergebnissen meiner heutigen Drillingsforschung wie immer willkommen – schöne Fotos solcher Steyr-Wagen aber auch!
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Der für mich trübste Monat ist vorüber – der Januar! Zwar ist der Februar auch noch ein klassischer Wintermonat und vielleicht kehrt der Frost abermals zurück. Doch das Tageslicht währt länger, und die ersten Frühblüher wagen sich hervor.
So will ich auch mit meinem heutigen Blog-Eintrag der Finsternis und Trübsal adieu sagen, mich stattdessen dem Hellen und Freundlichen zuwenden.
“Betrübte Schatten, weichet”, ist mein Motto, das ich im Folgenden mit geeignetem Bildmaterial illustrieren will und am Ende wieder aufnehme.
Dazu kehren wir zunächst noch einmal in die Welt der Düsternis zurück, wie sie sich auf alten Schwarz-Weiß-Aufnahmen auch bei den schönsten Motiven bisweilen darbietet:
Brennabor AK 10/45 PS oder ASK 12/55 PS “Faux Cabriolet”; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Trotz der repräsentativen Anmutung dieses Wagens will sich hier noch keine rechte Begeisterung einstellen – kein Wunder, denn dieses Foto entstand an einem trüben Januartag anno 1930. Schnee scheint damals ebenfalls Mangelware gewesen zu sein.
Was ist das überhaupt für ein Wagen? Die Auflösung folgt sogleich, vorher prägen Sie sich bitte noch die Gestaltung der Scheibenräder, die Form und Position der Haubenschlitze sowie den hinteren Dachabschluss ein, wo gerade noch das Ende einer “Sturmstange” zu sehen ist, die auf ein Cabriolet-Verdeck hinweist.
Sie sehen jetzt denselben Wagentyp, hier bloß aus günstigerer Perspektive und immerhin schon mit einem etwas freundlicher wirkenden Erscheinungsbild, was dem nunmehr hellen Dach geschuldet ist:
Brennabor AK 10/45 PS oder ASK 12/55 PS “Faux Cabriolet”; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Auch wenn die Kühlerpartie im Unschärfebereich liegt, lässt sich dort ein “B” als Emblem erkennen, das hierzulande typisch für die Wagen der Marken Brennabor aus Brandenburg/Havel war.
Leicht verwackelt sieht man auf dem Kühlergrill den schwungvoll gestalteten Schriftzug “6 Cylinder”. Dies bringt uns zwangsläufig zu den entsprechend motorisierten Brennabor-Typen AK 10/45 PS bzw. ASK 12/55 PS von 1928/29.
Äußerlich sind diese nach meiner Einschätzung nicht sicher zu unterscheiden – wer es besser weiß, möge uns über die Kommentarfunktion erleuchten. Dieses Fahrzeug gab es serienmäßig als Limousine und als sogenanntes “Faux-Cabriolet”.
Ein solches “Fake-Cabrio”, dessen Dach zwar fest war, aber mit einer funktionslosen Sturmstange einen anderen Eindruck erwecken sollte, sehen wir auf den beiden obigen Fotos. Speziell die Variante mit kontrastierender Farbgebung hat ihren Reiz.
Es geht aber noch besser und vor allem freundlicher – wieder gilt: “Betrübte Schatten weichet!” Wie verwandelt stellt sich derselbe Typ dar, wenn man dem großen Wagenkörper eine helle Farbe gibt und nur die Kotflügel und das Dach dunkel davon absetzt:
Brennabor AK 10/45 PS oder ASK 12/55 PS “Faux Cabriolet”; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Da kommen doch beinahe schon frühlingshafte Gefühle auf, oder?
Mich jedenfalls stimmt dieses makellos proportionierte Auto – für mich der schönste Brennabor überhaupt – spontan heiter und weckt Vorfreude auf den Frühling.
“Betrübte Schatten, weichet!”. Das mag Anfang Februar noch ein wenig wie das Pfeifen im Walde klingen, aber: Es ist auch eine Frage der Einstellung, ob man sich dem Trübsinn hingibt oder sich den schönen Dingen zuwendet, die es doch unzweifelhaft gibt.
In meinem Fall hilft neben der Beschäftigung mit der Traumwelt der Vorkriegsautos zuverlässig eine Musiktherapie. Zu meinen Favoriten gehören dabei die Kantaten von Johann Sebastian Bach.
Wer dabei nur an vermeintlich schwere Kost mit geistlichen Texten denkt und abwinkt, kann heute etwas dazulernen. Denn Meister Bach neigte keineswegs zur Schwerblütigkeit, und mit einem Beispiel, das zum heutigen Thema passt, möchte ich schließen.
Unter der Bach-Werkverzeichnis-Nr. 202 findet sich nämlich die weltliche Kantate “Weichet nur, betrübte Schatten”. Sie ist merkwürdigerweise wenig bekannt, vielleicht ist sie für viele verbiesterte deutsche Protestanten einfach zu schön.
Wie heilsam diese Musik ist, das führt uns hier die tschechische Sopranistin Martina Janková zusammen mit dem Ensemble “Collegium 1704” unter Leitung von Vaclav Luks vor.
Wer sich speziell von der tänzerischen Leichtigkeit der Arie „Sich üben im Lieben, in Scherzen sich herzen“ (ab 14:17 min) nicht die Schatten über dem Gemüt vertreiben lässt, dem ist wirklich nicht zu helfen…
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Autos und Zweiräder der Vorkriegszeit gehören zu den wenigen Zeitmaschinen, die einen zuverlässig in die Welt von gestern zurücktransportieren.
Zusammen mit einer mechanischen Sucherkamera, einem Grammophon und einer Schreibmaschine ist man mit nahezu allem ausgestattet, was damals an “moderner” Alltagstechnologie verfügbar war – sofern man das Kleingeld dafür hatte.
Doch schon eine Landpartie mit dem Automobil braucht etwas Vorbereitung. Der Wagen hat nämlich den Winter über in der Garage gestanden. Da kann man nicht einfach losfahren. Also schauen wir erst nach Reifendruck, Benzin, Kühlwasser und Ölstand, alles in Ordnung.
Während der Standzeit ist das Motoröl nach unten abgesackt – bei einem Kaltstart würden Bauteile wie die Ventile eine Weile ohne Schmierstoff arbeiten müssen – nicht gut.
Also drehen wir den Motor bei ausgeschalteter Zündung etliche Male mit der Anlasserkurbel durch – je nach Hubraum schrauben wir zuvor die Zündkerzen heraus, dann geht’s leichter, weil der Verdichtungsdruck der Kolben nach außen entweichen kann.
Als nächstes wird dem Vergaser frischer Sprit zugeführt. Bei Wagen mit Tank im Heck erledigt das während der Fahrt eine mechanische Benzinpumpe am Motor.
Doch zum Start müssen wir an dieser erst einmal von Hand Kraftstoff nach vorne fördern, sonst orgeln wir endlos beim Anlassen. Bei manchen Modellen flutet man noch die Schwimmerkammer des Vergasers von Hand. Spannend ist das, nicht wahr?
Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Dann den Zündzeitpunkt am Lenkrad oder Armaturenbrett auf “spät” gestellt, sofern keine Automatik vorhanden, und die Luftzufuhr am Vergaser gedrosselt (“Choke”), damit das Gemisch möglichst “fett” und entsprechend zündwillig ist.
Schalthebel in Leerlaufposition und Zündung betätigt – nach kurzer Zeit springt der Motor an – so sollte es jedenfalls sein. Wenn nicht, hat man ein Problem…
Wir haben heute keine Probleme, denn mit etwas Vorbereitung läuft alles wie geschmiert unter der Haube und wir kommen zuverlässig ans Ziel – heute mit einem Citroen B14 Tourer!
Um auf der sicheren Seite zu sein, machen wir uns erst einmal mit einer Limousine dieses von 1926-28 auch im Kölner Citroen-Werk gebauten Typs vertraut:
Citroen B14 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Wenn ein Taxifahrer wie in diesem Fall einen solchen Wagen wählte, war das im Regelfall ein Qualitätsausweis. Tatsächlich vertrauten in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre auch viele deutsche Käufer auf dieses französische Modell – zumal es devisenschonend fast vollständig mit heimischen Materialien und Vorprodukten gefertigt wurde.
Wir behalten aber nur ein Detail dieses Wagens im Hinterkopf: das Schubfach in der Schwellerpartie mit den beiden glänzenden Knöpfen.
Diesem begegnen wir im Rahmen unserer Vorbereitungen gleich wieder, jetzt an einem Citroen B14, der am Klausenpass eine Pause zur Abkühlung des Motors einlegte:
Citroen B14 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Hier registrieren wir erneut auch die acht schmalen und hohen Entlüftungsschlitze in der hinteren Hälfte der Motorhaube sowie die vier Radbolzen an den Scheibenrädern, diesmal sogar mit einer verchromten Kappe versehen.
Bis auf die erwähnte Schublade im Schweller sehen wir alle diese Details auf der folgenden Aufnahme wieder, die einen weiteren Citroen B14 zeigt – nun aber in der preisgünstigeren Tourenwagenausführung.
Diese besitzt aber immerhin eine Zweifarblackierung und eine zusätzliche Windschutzscheibe für die Passagiere auf den hintersten Sitzen:
Citroen B14 Tourer; Familie von Hermann König
So, das war jetzt aber genug der Vorbereitung. Wir haben unterdessen unseren Wagen klargemacht, zum Laufen gebracht und uns vergewissert, dass keine ungewöhnlichen Geräusche auftreten oder Flüssigkeiten austreten.
Dann kann’s ja losgehen – denn heute steht eine beschauliche Landpartie an. Die Schwiegermutter will besucht werden bzw. will die Tochter wieder einmal mit allerlei Weisheiten zu Ehealltag und Haushaltsführung bedenken.
Irgendwann ist dort der Kuchen verputzt, der Kaffee getrunken und der Gesprächsstoff erschöpft – zum Glück hat man ein Automobil und damit einen Vorwand, sich rechtzeitig zu absentieren: “Muss jetzt noch nach dem Wagen schauen, liebe Schwiegermama, Du weißt ja: Diesen Franzosen ist nicht zu trauen, da hilft nur deutscher Ordnungssinn!”
Draußen am Auto zündet sich der Automobilist erst einmal eine Zigarette an. Dann schaut er bei geöffneter Haube nach der Kraftstoffzufuhr – auf der Hinfahrt hatte der Motor unterwegs etwas geruckelt. Sieht aber alles dicht aus, vielleicht waren noch ein paar Rückstande im Tank, die kurzzeitig im Vergaser hängengeblieben waren.
Schon tritt die bessere Hälfte vor die Tür, verdreht die Augen und bedeutet: “Lass’ uns bloß losfahren, für heute habe ich genug Belehrung erfahren”.
Das ist das erhoffte Signal, es kann losgehen und der Citroen fliegt mit Tempo 80 zurück über die Landstraße. Allerdings will es das Gesetz des Automobilismus, dass man noch eine Pause im Wald einlegt, um dem Wagen Gelegenheit zur Abkühlung zu geben und den Besuch bei der Schwiegermutter mit einem Kontrastprogramm zu kompensieren.
Darunter kann man sich jetzt alles Mögliche vorstellen, jedenfalls gehört es dazu, dass man unter diesen Umständen die bessere Hälfte am Lenkrad des Wagens ablichtet. Auch in dem Moment erweist sich der Wert einer guten Vorbereitung.
Denn hier stimmen nicht nur die Blende und Belichtungszeit der Kamera, sondern auch die Wiedergabe der Details, die wir benötigen, um genau zu wissen, was das für ein Auto war:
Citroen B14 Tourer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Ganz ehrlich: Ohne die frühere Beschäftigung mit dem Modell B14 von Citroen wäre ich wohl nie darauf gekommen, was das für ein Auto ist. Das Foto war schon einige Zeit Bestandteil meines Fundus, bis irgendwann der Groschen fiel.
Nebenbei: Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass es nur wenige historische Autofotos gibt, die man von vornherein als hoffnungslosen Fall abschreiben kann. Nicht immer entdeckt man auf solchen zunächst unzugänglichen Aufnahmen Raritäten, doch manchmal auch das.
Wir sind heute jedenfalls glücklich mit dem Resultat unserer soliden Vorbereitung und werfen noch einen genaueren Blick auf den Citroen:
Sehen Sie sich einmal Größe und Neigung des Lenkrads an – man weiß, was damit anzustellen ist, aber das sieht noch ziemlich anders aus als das, was heute der billigste Kleinwagen zu bieten hat.
Immerhin scheint dieser Citroen einen elektrisch betriebenen Scheibenwischer besessen zu haben – darauf deutet der Motor oben an der Frontscheibe hin. Links von dieser ist der elektrisch ausklappbare Fahrtrichtungsanzeiger zu sehen, das war’s mit dem Komfort.
Werfen wir noch einen abschließenden Blick auf die Heckpartie des Wagens, wenn sich schon so eine Gelegenheit ergibt. Leider ist diese Partie dadurch beeinträchtigt, dass bei der Aufnahme unerwünschtes Seitenlicht in die Kamera eintrat:
Immerhin sehen wir hier gut die vor den rückwärtigen Passagieren angebrachte zweite Windschutzscheibe – ein nicht ganz alltägliches, aber sinnvolles Zubehör.
Studieren lässt sich außerdem ungewöhnlich gut die Befestigung des Verdeckgestänges sowie die Gestaltung des am Heck angebrachten Gepäckkoffers. War man an diesem Tag vielleicht doch nicht nur die Schwiegermutter besuchen gewesen?
Hatte man gar eine Fernreise unternommen? Ein verlockender Gedanke. Braucht nur etwas Vorbereitung, dann könnte es losgehen, von mir aus sehr gern im Citroen B14.
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Februar 2023 – der Jahreswechsel liegt gefühlt schon weit zurück.
Für mich ist der Januar stets ein besonders arbeitsreicher Monat – nur in der ersten Dezemberhälfte drängen sich so viele Aufträge von Kunden, die unabhängig von der Auslastung unbedingte Präzision und Termintreue erwarten.
Da kann es schon einmal vorkommen, dass noch eine Spätschicht oder ein Wochenendeinsatz eingelegt werden muss. Andere Selbständige kennen das – man ist nicht immer begeistert, aber anders kommt kein Geld herein.
Auf wenig Begeisterung stoßen da Nachrichten, dass die “Beschäftigten” im maßlos überdehnten Staatsdienst mal eben 10 % Inflationsausgleich fordern. Mein Stundensatz bleibt 2023 unverändert, die Konkurrenz erzwingt es…
Auch sonst ist das Umfeld nicht gerade stimmungsfördernd – dann noch das Wetter. Heute habe ich ein wenig Selbstanalyse betrieben und beschlossen, dass man etwas gegen das Aufkommen schlechter Laune tun muss – und kann!
So will ich fortan dem Thema Stil im Automobilismus mehr Raum schenken. Dabei stehen die Fahrzeuge eher im Hintergrund, geben bestenfalls eine reizvolle Kulisse ab. Am besten eignen sich dafür Wagen, die ich schon erschöpfend besprochen habe.
Den Anfang macht heute die Aufnahme eines Horch 303 – des Ende 1926 präsentierten ersten Achtzylinderwagen der sächsischen Marke.
Man hatte erkannt, dass man den zunehmenden Importen von US-Wagen etwas Besonderes entgegensetzen musste – die Amis boten übrigens schon Anfang der 1920er Jahre 8-Zylinder-Wagen an, etwa diesen Cole V8:
Cole V8 mit deutscher Zulassung; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Da die Amerikaner in allen Größenklassen preislich unschlagbar waren und in Deutschland die Grundlagen für eine vergleichbare Massenproduktion fehlten, blieb nur die Abgrenzung durch besondere Raffinesse.
Horch gelang das als Erstem und Einzigem nachhaltig durch die Entwicklung eines besonders aufwendig ausgeführten Reihenachtzylinders mit zwei obenliegenden Nockenwellen, die von Königswellen angetrieben wurden.
Der dadurch ermöglichten Effizienz des Gaswechsels im Zylinderkopf stellten die amerikanischen Fabrikate schiere Kraft aus großen Hubräumen gegenüber. Das hörte man übrigens auch. Letztlich war es eine Frage des Stils, welchen Ansatz man bevorzugte.
Unter den deutschen Herstellern machte jedenfalls Horch auf viele Jahre das Rennen in der 8-Zylinder-Kategorie. Schon während der kurzen Bauzeit der ersten Serie (1927/28) wurden rund 3.500 Exemplare dieser Wagen an den Mann gebracht.
Interessanterweise stand die ans Banale grenzende Optik des ersten Achtyzlinders von Horch dem Erfolg bei der solventen Kundschaft keineswegs entgegen:
Horch 303 oder 304; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Diese Herrschaften hatten sogar das Kleingeld für einen Fahrer – sie hätten sich also etwas optisch Extravagantes leisten könnten, wollten sie aber nicht. Das hat Stil!
Damit verlassen wir die Ebene der Daten und Fakten – wenn Sie sich im Hinblick auf die frühen Horch-Achtzlinder (303-400) einlesen wollen, finden Sie in meinem Blog Material in Fülle. Die späteren Typen arbeite ich nach und nach ebenfalls ab.
Der Horch 303 begleitet uns mit seinem 60 PS leistenden 3,1 Liter-Aggregat unauffällig, während es weiter auf’s Land hinausgeht. Die Straßen sind nur mäßig befestigt und ziemlich staubig – gut, dass wir in einer Limousine sitzen, andere sind noch mit Tourern unterwegs.
Der Motor und die saugluftunterstützten Vierradbremsen sind jeder Situation gewachsen – sofern man nicht meint, das Spitzentempo von 100 km/h unbedingt hier erproben zu wollen.
Dennoch ergibt sich beim Autowandern in der Einsamkeit ein unerwarteter Halt. Ein Motorradfahrer steht mit seiner Maschine am Straßenrand, er behebt einen Defekt an der Zündanlage.
Die Gegnerschaft von Auto- und Motorradfahrern, auf die man in der Moderne bisweilen stößt, gibt es noch nicht. Es gilt: Alle Führer von Kraftfahrzeugen sind Kameraden! Also halten wir an, grüßen freundlich und erkundigen uns nach dem Defekt.
Der ist bereits behoben, sodass uns nichts weiter zu tun bleibt, als uns ein wenig über die Straßenverhältnisse auszutauschen und uns nach einem Café in der nächsten Stadt zu erkundigen – denn Reisen macht auch mit 8 Zylindern müde und durstig.
Es ergibt sich ein kleines Gespräch über dies und das. Der Motorradfahrer ist ein gut situierter Geschäftsmann, der in seiner knappen Freizeit gern sportlich unterwegs ist.
Wir fixieren ihn ein wenig skeptisch, während er in gewählten Worten von den Freuden des Kurvens auf zwei Rädern schwärmt – er wird doch kein Schnösel sein?
Horch 303; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Na, was sagen Sie? Ist das nicht ein wunderbares Zeugnis einer Begegnung eines Horch 303 aus Leipzig mit einem Motorrad irgendwo auf einer geschotterten Nebenstraße?
Im Hintergrund zieht ein Zug mit längst vergessener Präzision seinem Ziel entgegen. Mehr Zeitkolorit und Stil kann man von so einem Dokument nicht wollen.
Vielleicht war man ja sogar auch zusammen unterwegs und hier ist “nur” ein kurzer Zwischenhalt zur Besprechung der weiteren Route dokumentiert – vollkommen egal.
Den beiden Männern in typischer Lederkluft – natürlich mit weißem Hemd und Krawatte, wie damals selbstverständlich – gehört unsere ganze Aufmerksamkeit und los geht das Kopfkino. Da hat der Horch-Achtzylinder im Hintergrund keine Chance.
So etwas werden Sie jetzt öfters in meinem Blog finden – denn wir brauchen alle ab und zu kleine Fluchten und Glücklichmacher….
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.