Meine Leser aus dem schönen Österreich werden heute vielleicht ein wenig enttäuscht sein – denn ein Cyclecar der 1920er Jahre der Automobilfabrik G.R. Perl aus Wien ist für sie vermutlich zwar ebenfalls selten, aber doch kein ganz großer Exot.
Warum ich dennoch meine, dass einer dieser kleinen Sportwagen mit weniger als 1 Liter Hubraum die Präsentation als Fund des Monats verdient, das wird sicher deutlich, wenn ich das entsprechende Foto aus dem Hut zaubere.
Kurioserweise hat es ein Enthusiast aus Australien aufgetan – Jason Palmer. Er interessiert sich von jeher besonders für europäische Vorkriegswagen und hat uns schon manches hervorragende Dokument beschert.
Zwar konnte ich hier selbst schon einmal ein Exemplar des ab 1924 gebauten 3/14 PS Perl vorstellen, doch ich muss neidlos eingestehen, dass Jason diesbezüglich der mit Abstand großartigere Fund gelungen ist:
Perl 3/14 PS Cyclecar; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)
Vertraut mutet die Frontpartie mit Spitzkühler, “Perl”-Kühleremblem und drei im hinteren Teil der Motorhaube angebrachten Luftauslässen an – das war’s aber auch.
Die helle Lackierung lässt das kleine Auto erwachsener aussehen als die durchweg dunkel gehaltenen Exemplare, die mir bislang begegnet sind.
Zur besonderen Wirkung trägt sicher die ausgezeichnete technische Qualität des Fotos sowie die Tatsache bei, dass uns die junge Dame am Steuer so souverän und unternehmungslustig anschaut.
Fast meint man, bei ihr eine gewisse Ungeduld zu spüren, so als wolle sie jeden Moment losfahren – ganz wunderbar eingefangen!
Was sie wohl vorgehabt haben mag? Der 10-Liter-Reservekanister in zeittypischer Dreiecksform deutet darauf hin, dass dieser Perl gern auch abseits der Städte bewegt wurde, wo Tankstellen noch eher selten waren.
Kurios muten die scheibenförmigen Abdeckungen der Räder an. Darunter dürften sich Drahtspeichenfelgen befunden haben, wie sie bei leichten Kleinwagen dieser Art meist montiert waren.
Etwas irritierend sind die sechs Radschrauben, die man eher bei einem Oberklassewagen erwarten würde. Vier davon hätten gereicht und waren Standard in dieser Größenklasse.
Was ist davon zu halten? Besaß dieser Wagen vielleicht einen leistungsgesteigerten Motor, weshalb man lieber auf eine stärkere Verbindung von Rad und Nabe setzte? Oder sollte es bloß so aussehen, als habe man es mit einem “frisierten” Sportgerät zu tun?
Merkwürdig kommt mir auch die Räumlichkeit vor, in der dieser schicke kleine Perl mit seiner charmanten Insassin abgelichtet wurde:
Perl 3/14 PS Cyclecar; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)
Ohne das Auto würde man hier auf einen weitgehend leerstehenden Wohnraum tippen. Das schlichte geometrische Muster am oberen Ende der Wand erinnert an strenge Varianten des Jugendstils, der im Inferno des 1. Weltkriegs sein Ende fand – wie so vieles, was Europa bis dahin so großartig gemacht hatte und unwiederbringlich dahin ist.
Kenner klassischer Möbel werden sich noch mehr für das Buchregal im Hintergrund interessieren. Es handelt sich um eine Ausführung nach dem “Wernicke”-Patent, mit nach oben aufklappbaren und nach innen schiebbaren Glastüren. Diese modular verwendbaren Möbel waren seit dem 19. Jh. in Büros verbreitet und werden bis heute gefertigt.
Ich muss das wissen, denn meine Oldtimer-Literatur ist in Regalen nach genau diesem Patent untergebracht. Bleibt die Frage, wo diese Aufnahme eines nicht gerade alltäglichen “Perl”-Cyclecar einst gemacht wurde. Sollte das eine Art “Showroom” gewesen sein?
Oder hatte sich jemand seine Garage so eingerichtet? Auch das wäre nicht völlig abwegig – die Liebe zum Automobil treibt sympathisch-merkwürdige Blüten…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Heute folgen wir den Spuren eines Mädchens namens Lilo und landen in der Neuen Welt.
Dazu müssen wir jedoch die heimatliche Scholle nicht verlassen, denn die Neue Welt manifestierte sich ab Mitte der 1920er Jahren auch in deutschen Landen eindrucksvoll, jedenfalls was Automobile betrifft.
Diesmal befassen wir uns mit einem recht frühen Vertreter der später massenhaft in Deutschland abgesetzten US-Wagen – jedenfalls lässt sich das abgebildete Auto bis ins Jahr 1924 zurückverfolgen.
Damals wurde in New York ein völlig neues Fahrzeug präsentiert, von einer Firma, die gerade erst gegründet worden war – von einem Mann, der als Hilfsarbeiter auf einer Farm begonnen hatte: Walter Chrysler.
Er hatte sich in der Automobilbranche hochgearbeitet, war Manager bei Buick, dann bei Willys gewesen, zuletzt übernahm er das Kommando bei Maxwell-Chalmers. Auf Umwegen konnte er dort drei Konstrukteure verpflichten, deren Prototyp ihm bereits bei Willys aufgefallen war.
Dieses Fahrzeug wurde dann als erster Chrysler präsentiert und noch im gleichen Jahr in über 30.000 Exemplaren abgesetzt.
1925 sah der Chrysler noch ziemlich genauso aus wie der Erstling von anno 1924, sodass wir nicht sicher sagen können, um welches Modelljahr genau es sich bei diesem Fahrzeug handelte:
Chrysler von 1924/25; Originalfoto mit freundlicher Genehmigung von Angelika und Werner Thieme.
Da haben wir die kleine Lilo auf dem Kühler des Chrysler sitzen! Dass wir ihren Namen kennen, das verdanken wir Angelika und Werner Thieme. Frau Thieme weiß auch etwas zum einstigen Besitzer des Autos, denn er war ihr Großvater!
So gehörte der Chrysler einem Stuttgarter Großhändler aus dem Schmuck- und Edelmetallgeschäft namens Erich Oberheidtmann, der damit Einzelhändler in Südwestdeutschland besuchte.
Zumindest zeitweise gingen die Geschäfte gut, denn mit dem Chrysler von 1924/25 gönnte sich der Besitzer eines der modernsten Fahrzeug seiner Klasse überhaupt. Dieses kam nicht nur aus der Neuen Welt, es repräsentierte auch die neue Welt des Autobaus.
Der 3,3 Liter messende Sechszylindermotor des Chrysler war hochverdichtet und bot so eine ungewöhnlich hohe Leistung von knapp 70 PS. Zum Vergleich: Stoewers 6-Zylindertyp D12V bot 1925 bei 3,4 Litern gerade einmal 55 PS, bei Mercedes und Horch sah es selbst nach Mitte der 1920er Jahre nicht besser aus.
Ein Spitzentempo von über 110 km/h war mit dem Chrysler drin, während deutsche Fabrikate meist kaum über 80 km/h hinauskamen. Der amerikanische Hersteller hatte dem Auto konsequenterweise auch gleich hydraulische Vierradbremsen spendiert.
Das war in einem Mittelklassewagen 1924 sensationell, denn selbst Oberklassefahrzeuge deutscher Hersteller besaßen damals oft noch nicht einmal serienmäßige Trommelbremsen an der Vorderachse – trotz oft kolossaler Gewichte.
Kein Wunder, dass Chrysler seinen Absatz schon 1925 mehr als verdoppeln konnte. Im Skalieren der Produktion waren und sind die Amis Meister, weshalb sich deutsche Mittelständler unserer Tage lieber an US-Konzerne verkaufen, anstatt selbst ganz groß ins Geschäft einzusteigen – “German Angst” bremst auch heute noch zuverlässig.
Das war die neue Autowelt, in der die kleine Lilo ihre ersten Jahre zubrachte. Viel später sollte sie die Mutter von Angelika Thieme werden, der wir die Informationen zu dem Chrysler und seinem einstigen Besitzer verdanken.
Hier haben wir sie noch einmal und nun kann man auch die Kühlerplakette lesen:
Nicht völlig auszuschließen ist, dass der Chrysler, auf dem die kleine Lilo saß, ein Vierzylindermodell des Jahres 1926 war.
Dieses besaß nämlich noch eine dem Sechszylindertyp von 1924/25 ähnelnde Frontpartie, während der Sechszylinder 1926 ein anders gestaltetes Kühlergehäuse erhielt.
Das würde aber nichts daran ändern, dass der Wagen eine Neue Welt repräsentiert, welcher die Hersteller auf dem europäischen Kontinent bis Anfang der 1930er Jahre wenig entgegenzusetzen hatten.
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Es ist wieder einmal an der Zeit, in die wirkliche Frühzeit des Automobils einzutauchen. Je bizarrer mir das aktuelle Zeitgeschehen vorkommt, desto wohltuender ist das.
Genügt es dazu, die Zeitmaschine auf “110 Jahre retour” einzustellen? Schauen wir einmal, was wir dann in Sachen Automobil geboten bekommen:
Benz 10/30 oder 16/40 PS Chauffeurlimousine, um 1913; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Dieser Benz wurde im Juni 1914 in Itzehoe aufgenommen und dürfte kaum früher als 1913 entstanden sein – dafür sprechen die elektrischen Parkleuchten im “Windlauf” vor der Windschutzscheibe.
Das Fahrzeug entspricht bereits ziemlich genau dem, was man sich unter einem Auto vorstellt, nicht wahr? Gewiss, die noch freistehenden Kotflügel sind eine Spezialität der Vorkriegszeit, aber kurioserweise heißen sie immer noch so.
Ansonsten ist alles dort, wo man es erwartet, sieht man einmal von der Rechtslenkung ab. Der hohe Aufbau bietet genau den Komfort beim Ein- und Aussteigen, der heute wieder geschätzt wird – die Autobesitzer werden ja nicht jünger.
“Kutsche oder Kunstwerk?” – Diese Frage stellt sich hier offenbar nicht. Also kehren wir in die Gegenwart zurück und justieren unsere Zeitmaschine noch einmal neu. Diesmal stellen wir sie auf “125 Jahre retour” und schauen, was passiert:
Benz-Reklame von 1898; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Verflixt, nur 15 Jahre Unterschied und wir scheinen im Kutschenzeitalter gelandet zu sein – allerdings ohne Pferde, dafür mit Benzinmotor nach Patent von Carl Benz anno 1898.
Wie kann es in so kurzer Zeit einen solchen Entwicklungssprung gegeben haben? Auf die Gegenwart übertragen wäre das so, als habe Tesla anno 2008 gerade einmal ein elektrisches Golf-Car gebaut. Tatsächlich wurde damals bereits das Model S entworfen, welches nach 15 Jahren immer noch gebaut wird. Soviel zum Thema Fortschritt heutzutage.
Irgendetwas muss damals radikal anders gewesen sein. Zum einen arbeiteten einst tausende Erfinder und Unternehmer auf eigene Faust an der Weiterentwicklung des Benziners, zum anderen redeten ihnen keine Politiker hinein.
Wenn es damals schon den EU-Bürokratenadel gegeben hätte, würden wir immer noch mit der Pferdekutsche fahren und Autos gäbe es bestenfalls für Funktionäre. Eine erschreckende Vision, man stelle sich das Gleiche für Kühlschränke oder Telefone vor.
Unsere Altvorderen haben auch viel Mist gebaut, aber sie wussten zumindest, was Sie besser dem Markt überlassen (so ziemlich alles, außer Militär und Bildungswesen).
Also geben wir uns zuversichtlich, stellen unsere Zeitmaschine nochmals neu ein – diesmal auf das Jahr 1905 – genau in die Mitte des bisher betrachten Zeitraums, et voilá!
Benz Kettenwagen um 1905; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Ist das nicht eine faszinierende Schöpfung? Die hintere Hälfte noch Kutsche, die vordere schon erkennbar Automobil, wenn auch noch wie angesetzt wirkend.
Diese Kreation irritiert und fasziniert – genau das macht ein gelungenes Kunstwerk aus. Es befördert uns aus dem Alltag heraus und lässt uns auf eine Entdeckungsreise durch die Assoziationen gehen, die sich bei seinem Anblick einstellen.
Die Heckpartie transportiert uns zurück ins 19. Jh. und noch weiter in die Vergangenheit:
Lediglich die Luftreifen, die Bremstrommel und der Kettenantrieb (zwischen Rad und Trittbrett sichtbar) deuten auf die technische Neuzeit hin.
Alles übrige, einschließlich der Blattfedern an der Hinterachse, ist über Jahrhunderte gewachsene Tradition.
Die Formen und Verzierungen des Passagierabteils sind ebenfalls Ergebnis über Generationen gepflegten kunsthandwerklichen Könnens.
Ob der vertikale Streifendekor eine Zutat des Jugendstils ist, also der zum Entstehungszeitpunkt des Wagens vorherrschenden gestalterischen Richtung, sei dahingestellt.
Jedenfalls haben wir es hier mit einem Element zu tun, das noch dem Kutschenzeitalter zuzuordnen ist. Wo aber bleibt die Kunst bei alledem?
Nun, die besteht aus meiner Sicht in der spannenden Kombination mit dem Maschinenzeitalter, das sich am Vorderwagen durchgesetzt hat:
Hier überwiegt noch das Diktat der funktionellen Gestaltung. Die gelungene ästhetische Verbindung zwischen Motorraum und Passagierraum lag zum Entstehungszeitpunkt noch in der Zukunft – etwa drei Jahre, schätzungsweise.
Wie komme ich auf eine so genaue Einordnung?
Nun, dieser prächtige Chauffeurwagen – ein “Außenlenker” hätte man einst gesagt – lässt sich anhand der Gestaltung der Luftschlitze in der Motorhaube und der Form des Kastens über dem vorderen Kettenritzel als Benz aus der Zeit zwischen 1905 und 1908 identifizieren.
Vergleichsfotos gibt es in der Literatur beklagenswert wenige – es ist verstörend, dass es kein inhaltlich erschöpfendes und umfassend bebildertes Standardwerk zu frühen Benz-Autos gibt.
Doch in den immer noch unersetzlichen alten Schinken von Heinrich v. Fersen und Halwart Schrader zu deutschen Vorkriegsautos bis 1920 finden sich passende Prospektabbildungen von Benz-Kettenwagen jener Zeit.
Wer es genauer weiß, möge uns das über die Kommentarfunktion kundtun. Was den Typ angeht, will ich mich selbst nicht festlegen, eigentlich ist es auch egal.
Denn was nach so langer Zeit bleibt, ist der Eindruck, dass man bei den ganz frühen Automobilen kaum sagen kann, ob es sich um eine motorisierte Kutsche, ein expressives Kunstwerk oder beides handelte.
Wir kehren zur reinen Bewunderung dieser Zeugen zurück und belassen es bei der Feststellung, dass diese phänomenalen Schöpfungen menschlichen Erfindungsgeists und Schönheitssinns am Anfang einer Entwicklung standen, die eine Bewegungsfreiheit für jedermann ermöglichte, welche es in der Menschheitsgeschichte noch nie gegeben hat.
Wir müssten verrückt sein, uns das wieder nehmen zu lassen…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Ich weiß ja nicht, wo meine Leser alle wohnen – immerhin rund 4.000 verirren sich im Schnitt pro Monat in meinen Blog, da sollte sich schon eine tüchtige Streuung ergeben. Es sind auch etliche aus Übersee dabei, ansonsten die meisten aus dem deutschsprachigen Raum.
Da würde mich interessieren: Haben Sie dieses Jahr schon mehr als einen kühlen Gruß des Frühlings bekommen? An immerhin zwei sonnige und milde Tage kann ich mich erinnern. Heute nacht gibt es wohl wieder leichten Frost, wie es scheint.
Also alles im Rahmen üblicher Schwankungen im Monat April. Vermutlich denken die armen Schlucker, die sich gegen Bares für Klebstoff-Tests im Berufsverkehr missbrauchen lassen, dass sie im Alleingang den Klimawandel zum Stillstand gebracht haben.
Das passt mir nun gar nicht, und so mache ich mich mit Gleichgesinnten im verfemten Verbrennerauto und mit der Kamera bewaffnet auf die Pirsch nach dem Frühling.
Dabei hoffen wir, durch rücksichtsloses Herumfahren mit Bleifuß und großzügige CO2-Emissionen dem Klima auf die Sprünge zu helfen – allein: es will nicht gelingen:
Tatra 75 im April 1938; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Der Winter will sich einfach noch nicht geschlagen geben, speziell in höheren Lagen. Das muss dokumentiert werden, mit der Leica natürlich und auch das Datum wird präzis vermerkt: 18. April 1938.
Während wir zunehmend genervt versuchen, den Frühling zur erhaschen, ist unser adretter Wagen vollkommen entspannt und erfreut uns motorenseitig mit thermischer Stabilität.
Denn während manchem wassergekühlten Aggregat seinerzeit solche Verhältnisse ebenso zu schaffen machen konnten wie sommerliche Hitze, ist der luftgekühlte 4-Zylinder-Boxer schnell auf Betriebstemperatur und kennt mangels Wassermantel keine Frostprobleme.
Damit wären wir schon bei der Frage, welchen Wagen wir für unsere erfolglose Fotopirsch dem Frühling entgegen gewählt haben. Nun, so einen schicken luftgekühlten Wagen bauten damals nur die Tschechen, nämlich ab 1933 in Form des Tatra 75.
Der war mit 30 PS für damalige Verhältnisse in Mitteleuropa akzeptabel motorisiert und bot dank Kühlerattrappe das Erscheinungsbild eines eleganten wassergekühlten Automobils:
Tatra 75; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Ein so kompaktes Fahrzeug mit einer an große Premium-Wagen erinnernden Cabriolet-Karosserie hinzubekommen, das war schon ein kleines Meisterstück.
Ohnehin verdient die Gestaltung tschechischer Automobile der 30er Jahre Bewunderung und es ist schade, dass sie in Deutschland heute nur vereinzelt anzutreffen sind.
Obiges Exemplar war übrigens in Wien zugelassen, wo solche Tatras ebenso wie in Deutschland auch gefertigt wurden (Austro-Tatra bzw. Detra).
Zwar gibt es in der Frontansicht gewisse Ähnlichkeiten mit zeitgenössischen DKWs, doch der Tatra 75 war aus meiner Sicht im Detail noch ein klein wenig raffinierter ausgeführt:
Eine dermaßen filigrane Stoßstange fand sich an keinem deutschen Fabrikat. Rein funktionell betrachtet mag das nicht ideal gewesen sein, aber die optisch prominenteren “Stoßecken” der DKWs waren letztlich auch nur ein notdürftiger Schutz.
Es ist ja gerade die offen vorgetragene Geringschätzung für eine rein sachliche Gestaltung, welche die meisten Kreationen der unmittelbaren Vorkriegszeit heute so faszinierend macht.
Als dieses Foto entstand, Mitte April 1938, hatten sich längst düstere Wolken über Europas politischem Himmel zusammengezogen und speziell in Deutschland rückte der Bedarf der der auf Hochtouren laufenden Rüstungsindustrie immer mehr in den Vordergrund.
Gleichzeitig stößt man immer wieder auf solche Zeugnisse reiner Idyllen, in denen selbst technische Schöpfungen noch ganz den Gesetzen der Ästhetik unterworfen waren.
Für uns Nachgeborene erscheinen solche Dokumente beklemmend, auch wenn unsere Altvorderen damals wirklich nur ganz harmlos auf Fotopirsch nach dem Frühling waren…
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Keine Sorge, ich bin in meinem Blog nicht plötzlich auf Geografiethemen umgestiegen, wenngleich die Einbeziehung von Land und Leuten für mich von jeher das gewisse Extra ist, das ein gelungenes Autofoto ausmacht.
Wenn wir uns heute dennoch näher mit dem Rheinland befassen, hat das wie immer gute Gründe mit vier Rädern. Allein am legendären Loreleyfelsen im Mittelrheintal müssen einst tausende Benzinkutschen von einem Profifotografen festgehalten worden sein.
Ihnen begegnet man als Sammler alter Autofotos auf Schritt und Tritt, und tatsächlich sind Exemplare dabei, die mich seit Jahren rätseln lassen, um was es sich handelt. Mein Favorit in dieser Hinsicht ist dieser große Tourer der frühen 1920er Jahre:
unbekannter Tourenwagen an der Loreley; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Dem Größenverhältnis von Insassen und Karosserie nach zu urteilen, muss es sich um ein sehr großes und stark motorisiertes Fahrzeug gehandelt haben. Allein der Nabendeckel der Räder besaß einen enormen Durchmesser – vergleichen Sie den einmal mit den Köpfen der Insassen.
Hier ist vieles denkbar, inbesondere ein Hubraumgigant aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg mit modernisierter Karosserie – keineswegs ungewöhnlich – aber auch ein Importfahrzeug (speziell aus den USA) mit deutschem Aufbau.
So macht das Rheinland dem Enthusiasten zwar Freude, bereitet aber auch Verdruss.
Ganz anders verhält es sich mit dem Rheinland im heutigen Blogeintrag. Hier erfährt der geneigte Leser, wie das perfekte Porträt davon gelingt, das keine Wünsche offenlässt.
Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass es sich hier um einen Kurs für “Ford”geschrittene handelt, das gezeigte Material also nicht für jedermann geeignet ist. Sollten Sie also an struktureller “Ford”schrittsskepsis leiden, schauen Sie sich bitte woanders um.
Sie sind noch dabei? Schön, dann beginnen wir jetzt mit unserem Kurs zum Thema “Rheinland im Porträt”. Zunächst möchte ich ein Beispiel dafür zeigen, wie man das Thema gründlich verfehlen kann:
Ford “Rheinland”; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Sie sehen, dass Sie fast nichts sehen.
Zwar lautet das Thema dieses verunglückten Porträts zwar unübersehbar “Rheinland”, aber mit Verlaub: Mit der bloßen Beschriftung wird man der Sache nun wirklich nicht gerecht.
Schauen wir uns das nächste Beispiel an, Hier haben zwei sehr von sich eingenommene “Künstler” ihre eigene Interpretation des Themas “Rheinland” gewagt:
Ford “Rheinland”; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Leider ist hier das Rheinland förmlich am Untergehen und droht hinter einer improvisierten Blende abzurutschen – soll das kreativ sein? Oder lustig?
“Mit diesem halbgaren Pennälerscherz kommen Sie nicht in die engere Auswahl, meine Herren!” bleibt da nur zu sagen. Da hilft auch der Verweis auf die Not der Nachkriegszeit nicht, als man zusehen musste, wie man sich durchmogelte.
Kehren wir in die 1930er Jahre zurück und schauen, was sonst noch für Porträts des “Rheinland” fabriziert wurden, damals ein ganz aktuelles Thema.
Hier haben wir eine Interpretation von jemandem, der das alte Thema “Mensch und Maschine” in einer kühnen Collage zu verarbeiten suchte. Leider kommt dabei der Hauptaspekt “Rheinland” zu kurz:
Ford “Rheinland”; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
“Thema verfehlt, durchgefallen”, lautet auch hier das Urteil. Es klingt hart, aber nur durch schonungslose Kritik kann am Ende wahre Qualität entstehen.
Weiter geht’s mit dem nächsten “Rheinland”-Porträt, offenbar von jemandem verfertigt, der großen Wert darauf legte, dass das Ergebnis möglichst unvorteilhaft aussieht.
Jedenfalls ist außer einem Haufen Blech wenig darauf zu erkennen, was dem doch so reizvollen Thema ansprechende Gestalt geben könnten. Das mag mancher modern finden, dem strengen Urteil des Kenners kann dieses finst’re Machwerk indessen nicht genügen:
Ford “Rheinland”; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Herrje, will sich denn wirklich kein Talent einstellen, was ein angemessenes “Rheinland”-Porträt angeht?
Nun, mit etwas Geduld lässt sich tatsächlich etwas ausfindig machen, was dem Thema einigermaßen gerecht wird. Eine erste Spur von Begabung lässt das folgende Werk erkennen, wenngleich es ihm noch an der richtigen Balance mangelt.
So erzählt es zuviel von den Leuten und zu wenig vom Rheinland selbst, auch wenn beide unzweifelhaft zusammengehören. Doch immerhin ist dem Urheber eine gewisse Frische der Anschauung nicht abzusprechen:
Ford “Rheinland”; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Nett, nicht wahr? Schon, aber das kann doch nicht alles sein, was den Kreativen von einst zum Thema “Rheinland” einfiel.
Gab es denn niemanden, der in der Lage war, ein Rheinland-Porträt abzuliefern, das allen seinen Facetten gerecht wird und seinen Reiz auf vorteilhafte Weise in Szene setzte?
Es musste ja nicht in der penetranten Weise einer Tourismus-Broschüre sein, aber die platte Einfallslosigkeit eines – sagen wir: – Automobil-Prospekts muss es auch nicht sein.
Ist es denn zuviel verlangt, das Thema “Rheinland” ganz klassisch anzugehen? Aus günstiger, aber zugleich sachgerechter Perspektive, die allen wesentlichen Seiten gerecht wird? Mit einem behutsamen Seitenblick auf die menschliche Komponente?
Und das Ganze technisch blitzsauber, aber nicht steril umgesetzt? Ja, das geht. und so wird der “Ford”geschrittene Enthusiast hier genau das Erhoffte erblicken:
Ford “Rheinland”; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Ziemlich genau so sieht ein gelungenes Autofoto aus – sofern es nicht etwas ganz außer der Reihe sein soll – so schwer ist das doch gar nicht.
Doch obwohl ich lange darauf gewartet habe, hat mich erst kürzlich diese Flaschenpost in Sachen “Rheinland” aus alter Zeit erreicht.
Ihren langen Weg durch’s Ungewisse hat sie vor knapp 90 Jahren im Landkreis Crossen (Brandenburg) begonnen und nun ist sie nach manchen Irrungen und Wirrungen wohlbehalten dort eingetroffen, wo sie geschätzt und bewundert wird.
Ist Ihnen aufgefallen, dass ich das Auto, das auf allen diesen Fotos zu sehen ist, überhaupt nicht im Detail beschrieben habe, wie das sonst mein Stil ist?
Dennoch werden Sie es nach dem Studium dieser Aufnahmen künftig zuverlässig identifizieren können, wenn Sie einem begegnen.
“Rheinland!“, so werden Sie dann unwillkürlich denken, und das wird Sie als erfolgreichen Absolventen dieses kleinen Kurs für “Ford”geschrittene ausweisen.
Die paar Fakten dazu sind schnell verinnerlicht: Bauzeit: 1934-36, 4-Zylindermotor mit 3,3 Litern Hubraum und 50 PS – ein später Nachkomme des Ford “Model A” und auch sonst eher konservativ gestrickt. Mit gut 5.500 Exemplaren aus Kölner Produktion kein Bestseller, aber für Rheinland-Liebhaber damals und heute von eigenem Reiz…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Mitte der 1920er Jahre schien die große Zeit der Automobile aus den Adlerwerken in Frankfurt/Main vorbei zu sein.
Die enorme Typenvielfalt der Zeit vor dem 1. Weltkrieg, die von Kleinwagen mit nur 1,3 Liter Hubraum bis zu 80 PS starken Giganten reichte, war ab 1920 einem deutlich geschrumpften Angebot gewichen.
Die großen Spitzkühlertypen wurden nur noch vereinzelt gebaut, der Schwerpunkt lag nun auf Wagen mit 6 bzw. 9 Steuer-PS, was etwa 1,5 bzw 2,3 Litern Hubraum entsprach. Doch auch diese blieben vergleichsweise selten.
1925 wurde die Produktion dann weitgehend auf das 6/25 PS-Modell konzentriert, welches zwar motorenseitig auf dem 6/18 PS bzw. 6/22 PS-Typ ab 1921 basierte, aber mit 4-Gang-Getriebe, Vorderradbremsen und innenliegender Schaltung deutlich moderner ausfiel.
Auch die Gestaltung entsprach nun ganz der neuen sachlichen Linie, mit der die meisten Hersteller von den charakterstarken Spitzkühler-Optik Abschied nahm. Allenfalls die aufpreispflichtige Adler-Kühlerfigur verlieh dem Wagen eine kühne Note:
Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
So wie auf dieser schönen Abbildung aus meinem Fundus, die es immerhin in die Neuausgabe des Klassikers “Deutsche Automobile 1920-1945” von Werner Oswald geschafft hat, sehen die meisten Adler des Typs 6/25 PS aus.
Immerhin rund 6.500 Exemplare sollen davon bis 1928 enstanden sein – womit das Modell der bis dahin erfolgreichste Adler überhaupt sein sollte. Bei einer für deutsche Verhältnisse recht hohen Stückzahl sollte doch Raum für die eine oder andere Überraschung sein, oder?
Gewiss, und heute will ich einige Exemplare zeigen, deren Erscheinungsbild mehr oder weniger von der Norm abweicht. Dabei halte ich mich strikt an das Tourenwagenmodell – daneben gab es noch offene Zweisitzer und natürlich Limousinen.
Überraschend anderes wirkt der Adler 6/25 PS Tourer beispielsweise in dieser wohl noch ziemlich ladenneuen Ausführung:
Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Dank des glänzenden Lacks und Nickels sowie der zahlreichen Accessoires wirkt der Adler hier beinahe wie ein anderes Auto. Besonders gut gefällt mir der auf Hochglanz polierte und auf Windschnittigkeit getrimmte Reservekanister auf dem Trittbrett.
Doch die Kühlergestaltung in Verbindung mit den Scheibenrädern verrät, dass auch dies ein Typ 6/25 PS sein muss.
Mit dergleichen Fotos von Tourenwagen des Adler 6/25 PS könnte ich noch eine Weile fortfahren: Hier beispielsweise hätten wir ein schon stark gebrauchtes Exemplar, das wohl mit der Aufnahme vor der überraschenden Kulisse eines Schlosses “geadelt” werden sollte:
Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Weiß vielleicht jemand, um welche Schlossanlage es sich handelt? Als Hinweis mag die Tatsache dienlich sein, dass der Originalabzug von einem Fotogeschäft in Kassel stammt.
Nachtrag: Leser Peter Oestereich konnte die Lösung liefern: Der Adler parkte vor dem Eingang von Schloss Wilhelmsthal (Calden).
Wo aber bleiben die versprochenen Überraschungen, Herr Blog-Wart? Nun, die liefere ich nach und nach, keine Sorge. Zunächst machen wir erst einmal einen Ausflug unter die Motorhaube, denn wie es dort aussah beim Adler 6/25 PS weiß ja kaum einer mehr.
Zum Glück fand ich in meiner Ausgabe des “Handbuch vom Automobil” von Joachim Fischer (1927) diese Abbildung:
Adler 6/25 PS Motor; Abbildung aus: “Handbuch vom Automobil”, Joachim Fischer, 1927
Hier sieht auch der Laie einige interessante Details. So befinden sich die Pedale auf der rechten Seite (wie natürlich auch das hier nicht zu sehende Lenkrad). Das Gas befand sich zwischen Kupplung und Bremse.
Gut zu erkennen ist der mittig angebrachte Schalthebel (bei früheren Adler-Wagen noch außenliegend) und die ebenso hoch aufragende Handbremse. Rechts am Motorblock ist der über ein Stirnrad angetriebene Zündmagnet und der dahinterliegende Zündverteiler mit vier Zündkabeln zu sehen.
Ganz vorne haben wir den Antrieb von Lüfterflügel und Wasserpumpe. Die spiralförmige Welle am Vorderende des Motors unten ist die Aufnahme für die Starterkurbel, sollte einmal die Batterie leer sein.
Von der anderen Seite bietet sich der Motor des Adler 6/25 PS so dar:
Adler 6/25 PS Motor; Abbildung aus: “Handbuch vom Automobil”, Joachim Fischer, 1927
Allzuviel zu sehen gibt es hier nicht. Ganz oben erkennt man den Kühlwasserstutzen, über den das vom Motor erhitzte Wasser zum Kühler transportiert wurde. Vorne sieht man den Stutzen für den von unten kommenen Schlauch, über den das abgekühlte Wasser in den Motor zurücktransportiert wird.
Mittig vor dem Zylinderblock (die untere Motorenhälfte beherbergt die Kurbelwelle) sieht man den kompakten runden Luftfilter vor dem Vergaser. Darüber läuft der Abgaskrümmer, der vorne zur Auspuffanlage hin nach unten abknickt.
Man sieht, sonderlich komplex ist so ein klassischer Vierzylindermotor mit Vergaser gar nicht. Für Verwirrung könnte allenfalls der hier nicht zu sehende seitliche Ventiltrieb sorgen.
Genug davon, ich wollte nur die Gelegenheit zu nutzen, dieses seltene Dokument zu zeigen. Eine weitere Überraschung ist dann die nächste Aufnahme, denn einen Adler 6/25 PS Tourer mit aufgespanntem Verdeck und montierten Steckscheiben findet man kaum:
Adler 6/25 PS Tourer; Orignalfoto: Sammlung Jürgen Klein
Diese ungewöhnliche Aufnahme verdanke ich Leser und Sammlerkollege Jürgen Klein, der auch sonst noch manches Vorkriegs-Schmuckstück aus seinem beeindruckenden Fundus beisteuern kann.
Die zweite Plakette rechts neben dem üblichen Adler-Typenschild dürfte vom Autohaus stammen, das einst diesen Wagen verkaufte. Leider wissen wir nichts Näheres zu Ort und Zeitpunkt der Aufnahme.
So überraschend anders der Wagen hier wirkt, so vertraut mutet die kunstlederne seitliche “Schürze” am Vorderkotflügel an. Sie findet sich an den meisten Adler-Wagen dieses Typs, was die Frage aufwirft, ob sie ein Werkszubehör war. Vielleicht weiß es jemand genau.
Eine Ausnahme – und damit eine Überraschung – stellt dieses Exemplar dar:
Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Dieser 1929 in Dortmund aufgenommene Adler 6/25 PS Tourer wirkt ohne besagte Kotflügelschürzen und mit Adler-Kühlerfigur deutlich edler, oder?
Ansonsten ist alles konventionell an diesem Exemplar. Bei der Gelegenheit prägen Sie sich bitte den Abstand zwischen den beiden Türen ein. Dieser scheint beim Tourenwagenaufbau stets sehr knapp bemessen gewesen zu sein.
Der Radstand von 2,80 Metern bot auch nicht mehr Raum, soviel ist klar.
Doch was ist dann von dem Adler-Tourer auf folgender Aufnahme zu halten? Kühler und Scheibenräder sprechen doch eindeutig für das Modell 6/25 PS, nicht wahr?
Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Zwei Dinge sind hier überraschend anders: Zum einem ist die Frontscheibe deutlich geneigt und vertikal unterteilt. Zum anderen ist der Abstand zwischen den Türen weit größer. Sollte es noch ein weiteres und größeres Adler-Modell mit Scheibenrädern gegeben haben?
Nun, Christian Rioth vom Adler Motor Veteranen Club lieferte mir die Erklärung: Hier sehen wir die die ganz frühe Ausführung des Typs 6/25 PS, bei der die Türen kürzer waren und die Frontscheibe sich noch am Vorgängermodell 6/24 PS (mit Spitzkühler) orientierte.
Beruhigt können wir fortfahren, doch eine weitere Überraschung hätte ich noch in petto. Die folgende Aufnahme aus der Sammlung von Matthias Schmidt zeigt nämlich eine deutliche Abweichung von allen bisher gezeigten Fahrzeugen des Typs Adler 6/25 PS:
Sehe ich es richtig, oder täusche ich mich, wenn das Lenkrad hier auf der linken Seite zu sein scheint?
Die (dürftige und veraltete) Literatur zur Marke Adler kennt nur Rechtslenkung, doch bei einer Bauzeit bis 1928 wird der Hersteller die damals fällige Umstellung früher oder später vorgenommen haben, aber wann?
Beweisfotos finden Sie – leider nur anhand von Limousinen – in meiner Adler-Galerie.
War das denn nun schon alles, werden die verwöhnten Leser meines Blogs denken? Nun, zwei Überraschungen zum Thema Adler 6/25 PS hätte ich noch.
Die erste verdanke ich Leser Klaas Dierks, der doch tatsächlich einen dieser braven Adler 6/25 PS-Wagen mit serienmäßigen Aufbau im Sporteinsatz zeigt:
Für die zweite Überraschung am Ende sorgt eine Amerikanerin mit dem glamourösen Namen Karen Starr Venturini.
Ob das ihr echter Name ist, das dürfte in Zeiten, in denen man sich sogar sein Geschlecht nach Tagesform aussuchen darf, einigermaßen egal sein. Jedenfalls schickte sie mir vor einiger Zeit diese Aufnahme eines Adler 6/25 PS zu – die vollkommen für sich spricht:
Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto via Karen Starr Venturini (USA)
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Hand auf’s Herz: Was verbinden Sie mit der US-Marke Buick? Denken Sie dabei eher an solide Massenware aus dem General Motors-Konzern oder an die feine Gesellschaft in München und an der Riviera?
Nun, alles eine Frage der Perspektive. In den Staaten stand Buick für unspektakuläre Mittelklasse, doch am europäischen Markt genoss die Marke erhebliches Prestige.
Den Beweis dafür werde ich heute antreten – auf einer abwechslungsreichen Reise, die uns von München irgendwo an die Riviera – so vermute ich – führt. Am Ende werden Sie jedenfalls überzeugt davon sein, dass ein Buick ein geradezu luxuriöses Gefährt war!
Nebenbei vermittle ich ein wenig vom Handwerk des Identifizierens von Vorkriegswagen der 1920er Jahre. Und das wie immer in meinem Blog gratis, aber (hoffentlich) nicht umsonst.
Zum Einstieg habe ich ein Foto gewählt, das zwar achtbare Qualitäten aufweist, es einem aber nicht leicht macht, was das abgebildete Fahrzeug mit Münchener Zulassung angeht:
Buick Limousine, Modelljahr 1929; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Ein stimmungsvolles Foto zweifellos und wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich mir jetzt etwas zu dem Fahrer ausdenken, der es sich auf dem Kühler bequem gemacht hat.
Der Mann macht einen sympathischen Eindruck, und ich nehme es ihm keineswegs übel, dass er mit seiner Pose einiges von dem verbirgt, was einem die Ansprache des Wagens leicht machen würde.
Denn es ist noch genug zu sehen, um zu wissen, dass wir ein US-Fabrikat vor uns haben. Dieser Stil mit Zierleiste am hinteren Ende der Motorhaube, an welcher die seitlichen Parkleuchten angebracht sind, ist unverkennbar amerikanisch.
Zwar wurde das auch von europäischen Herstellern kopiert, am fleißigsten von der ruhmreichen deutschen Autoindustrie (sogar von Horch), aber mit etwas Erfahrung lassen sich Original und Kopie immer auseinanderhalten.
Typisch für ein amerikanisches Modell ist beispielsweise die Verzierung am vorderen Ende der Kotflügel. Solches “unnötige” Dekor galt hierzulande als verpönt, der Funktionalismus hatte in deutschen Köpfen bereits einige Dachschäden angerichtet.
Eine weitere gestalterische Freiheit hatte man sich am Blech unterhalb des Kühlers in Form einer mittig angebrachten “Bügelfalte” erlaubt. Spätestens hier fällt beim versierten Vorkriegsautofreund der Groschen: Das muss ein 1929er Buick sein!
Denn nur dort fand sich genau dieses Detail, hier am Beispiel eines in Magdeburg zugelassenen Exemplars:
Buick Limousine, Modelljahr 1929; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Ich mag dieses Foto besonders, denn hier wird die enge Beziehung zwischen Mensch und Maschine deutlich, welche sich bei modernen Fahrzeugen nur noch schwer ergibt.
Der Freiheitsgarant Automobil war und ist eine Errungenschaft, welche größte Wertschätzung verdient – das kann ich gar nicht oft genug betonen.
Wenn ich nach 12 Stunden Fahrt abends in “meinem” italienischen Bergdorf ankomme und die Luft einer anderen, seit Jahrhunderten kaum veränderten Welt atme, verdanke ich das ausschließlich meinem komfortablen und zuverlässigen Auto.
So ging das einst auch unseren Vorfahren, vorausgesetzt sie konnten sich den damals noch kolossal kostspieligen Spaß leisten. Damit wären wir zurück bei der Münchener Gesellschaft, mit der wir begonnen hatten.
Diese war uns schon einmal im Zusammenhang mit dem 1929er Buick begegnet:
Buick Limousine, Modelljahr 1929; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Von München aus ist es nach dem Tankstopp kein allzu weiter Weg mehr bis Garmisch-Partenkirchen, wo uns der 1929er Buick ein weiteres Mal begegnet.
Diesmal haben wir es allerdings mit einer Cabriolet-Ausführung zu tun, welche wahrscheinlich bei einem deutschen Karosseriebauer entstanden war.
So etwas war hierzulande durchaus üblich. Denn selbst ein Buick war gemessen an den Einkommensverhältnissen in Deutschland bereits so teuer, dass die in Frage kommenden Käufer auch das Kleingeld für eine individuell in Handarbeit gefertigte Karosserie hatten.
Das Ergebnis sah dann aus der Ferne scheinbar beliebig aus wie hier:
Leider wird der Eindruck durch das nachlässig zusammengelegte Verdeck buchstäblich heruntergezogen – die angebliche deutsche Ordnung wurde schon immer überschätzt. Dennoch lohnt sich ein genauerer Blick auf den Wagen.
Denn beim näheren Hinsehen offenbart sich ein Detail, welches uns verrät, dass wir es auch hier mit einem 1929er Buick zu tun haben. Sonst wäre dieses Auto schwer zu identifizieren.
Also treten wir näher heran – es ist ja nicht viel los auf den Straßen in Garmisch und der Fahrer schaut in die andere Richtung.
Vielleicht musste ja einer der Insassen einen unfreiwilligen Zwischenaufenthalt beim Zahnarzt Dr. P.C. Heinz einlegen, welcher seine Praxis im Gebäude der Apotheke hatte:
Wie soll man hier erkennen, dass dieser Wagen ein Buick – und dann noch einer von 1929 – gewesen sein soll?
Nun, dazu müssen wir noch einmal nach München zurück – ich weiß, es ist lästig, schließlich wollen wir an die Riviera, doch es geht nicht anders.
Immerhin müssen wir nicht in die Innenstadt, sondern kehren an den Ort im Voralpenland zurück, an dem einst das erste Foto mit dem im München zugelassenen 1929er Buick entstanden war.
Den schauen wir uns noch einmal genauer an:
Bitte prägen Sie sich das Muster auf der Nabenkappe des Vorderrads ein – ein wenig wie ein Fadenkreuz scheint es auszusehen.
Dieses Detail wird uns heute noch zweimal begegnen auf dem Weg an die Riviera.
Das erste Mal in Garmisch, wo wir erneut das 1929er Buick-Cabrio in Augenschein nehmen. Wir haben zum Glück ausreichend Zeit dazu.
Zwar sitzt der Fahrer wie auf heißen Kohlen, denn es steht ja noch die Überquerung der Alpen an. Doch die Zahnarztsitzung will kein Ende nehmen und so haben wir abermals Gelegenheit, uns heranzuschleichen:
Wieder nehmen wir die Nabenkappe am Vorderrad ins Visier – tatsächlich ist dort eine Art Fadenkreuz zu sehen, wobei unklar erscheint, was sich in der Mitte befindet.
Doch für unsere Zwecke genügt diese Beobachtung vollauf. Denn dieses Detail findet sich genau so nach meinem Eindruck nur am 1929er Buick.
Ausgestattet mit dieser Arbeitshypothese machen wir uns nun auf den weiteren Weg gen Süden. Die Herrschaften sind vom Zahnarzt zurück und es kann weitergehen.
Wohin sie damals wirklich unterwegs waren mit ihrem Buick-Cabriolet, das wissen wir nicht. Ihre Spuren verlieren sich mit diesem Dokument im Nebel der Geschichte.
Doch wir lassen uns nicht verdrießen und machen uns auf eigene Faust über die Alpen. Wo genau wir dabei landen, ob wirklich an der Riviera oder vielleicht eher an einem der oberitalienischen Seen, das vermag ich nicht zu sagen.
Jedenfalls landen wir nach vielen Stunden Fahrt über kaum befestigte Paßstraßen im sonnigen Süden. Wir kommen im “Hotel de Paris” unter – weiß jemand, wo es sich befindet?
Wir wechseln unterdessen die Kleidung, denn die Reisemäntel haben unterwegs ordentlich Staub geschluckt. Erfrischt und nunmehr im feinen Dress mischen wir uns unter die Gesellschaft. Was begegnet uns da unverhofft?
Nun, das muss wieder ein 1929er Buick sein, diesmal als Reiselimousine, welche den einstmals vorhandenen Komfort eines Eisenbahnabteils mit der bis heute unübertroffenen Autonomie einer Benzinkutsche verbindet:
Buick Limousine, Modelljahr 1929; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Muss ich hier eigens auf die Gestaltung der Nabenkappe hinweisen? Nein, diese grandiose Aufnahme muss als Ganzes genossen sein.
Na, was denken Sie jetzt über die Marke Buick? Wäre so eine repräsentative Sechsfenster-Limousine nicht etwas, was man gern auf einem der sogenannten Oldtimertreffen hierzulande einmal sehen würde?
Leider herrscht diesbezüglich meist Fehlanzeige, obwohl speziell das Modelljahr 1929 in Sachen Buick einst reich vertreten war im alten Europa.
Und dann noch dieser Stil der einstigen Besitzer – leider ist auch der Vergangenheit:
Der Hotelbedienstete links konnte damals nur von der sagenhaften Mobilität träumen, welche die feinen Herrschaften genossen – jedenfalls in Europa war das so.
In den Staaten dagegen konnte sich damals jeder ein Automobil leisten und hinter diesen sozialen Standard kann niemand, der bei Sinnen ist, zurückfallen wollen.
Dies ist eine Botschaft, welche sich aus meiner Sicht immer wieder aus dem Studium solcher Dokumente ergibt. Auf eigene Faust andere Länder und Lebensweisen zu “erfahren”, das bildet und bereichert nicht nur, es immunisiert auch gegen den Irrglauben, daheim bereits in der besten aller Welten zu leben.
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Die Freunde und Kenner der tschechischen Automarke Praga müssen es mir nachsehen, wenn ich heute die von ihnen geschätzten Wagen nicht zum Gegenstand einer akribischen Betrachtung mache, wie das sonst meist zu tun pflege.
Das liegt zum einen daran, dass ich mangels Literatur bislang nur eine oberflächliche Kenntnis der unterschiedlichen Praga-Typen und ihrer vielen aufeinanderfolgenden Generationen erlangt habe.
Zum anderen nutze ich geeignete Fotos bisweilen gern dazu, eher auf die Wirkung der alten Aufnahmen einzugehen und mir Gedanken grundsätzlicher Natur zu machen. So geht es auch diesmal eher um Impressionen, die ich quasi am Wegesrand meiner Beschäftigung mit den Automobilen und der Welt der Vorkriegszeit mitnehme.
Eine geschätzte Leserin, die sich im Scherz der Vorstellung hingibt, dass ich diesen Blog allein für sie verfasse, hat mir einmal die Frage gestellt, wo ich eigentlich mein Wissen und mein Urteilsvermögen zu diesem doch ziemlich speziellen Thema erlangt habe.
Nun, die Antwort ist ganz einfach – ganz lässig und vergnügt am Wegesrand:
Praga “Alfa”, aufgenommen im September 1930; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Wenn man mit gesunder Neugierde ausgestattet ist, die Gegenwart nicht zwangsläufig in allen Belangen für die beste aller Welten hält und gelernt hat, die Dinge mit dem seziererischen Blick eines Gerichtsmediziners zu betrachten, dann stellt sich die Sachkunde nach ein paar Jahren der Betrachtung alter Autofotos ganz von alleine ein.
Allerdings hilft mir das glückliche Zusammentreffen einiger erworbener Fähigkeiten:
Da wäre der klare Blick für die Struktur in allen Dingen. So etwas erwirbt man beispielsweise, wenn man wie ich die Grammatik der lateinischen Sprache gründlich erlernt hat – aber ebenso wenn man mit dem Zerlegen und Zusammensetzen technischer Geräte großgeworden oder gar beruflich befasst ist, was bei mir leider nicht der Fall ist.
Das genaue Beobachten von Details und das Festhalten derselben habe ich über viele Jahre der ehrenamtlichen Arbeit auf archäologischen Ausgrabungen trainiert. Noch heute kann ich im Gewirr der Mauern in historischen Stätten mehrere aufeinanderfolgende Epochen erkennen und ansprechen.
Gerade letzteres ist wichtig: für die Dinge, die man wahrnimmt, auch Begriffe zu haben, um sie beschreiben oder andere auf sie hinweisen zu können.
Genug davon, wir wollen heute ja noch einiges an Strecke zurücklegen und schauen, was wir am Wegesrand an Eindrücken mitnehmen können. Das eingangs gezeigte Bild steht sinnnbildlich dafür ebenso wie das folgende.
Auch dieses ist nur ein eilig gemachter Schnappschuss, denn der Mensch ist ja immer unterwegs und hat es stets eilig, dabei hat er am Ende gar kein Ziel, oder doch? Nun, das bleibt jedem selbst überlassen, aber dass wir bloß auf einer kurzen Wanderschaft auf dem Weg durch die Unendlichkeit sind, darüber dürfte wohl Einigkeit herrschen.
Immerhin gibt es hin und wieder am Wegesrand Anlass zu Ausgelassenheit, dann vergessen wir für einen schönen Moment, dass wir eigentlich unablässig unterwegs sind:
Praga “Alfa”; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Haben Sie beim ersten Foto Ihren Blick für’s Detail geschult? Was ist ihnen dort als markant aufgefallen, was auf der zweiten Aufnahme ebenfalls zu sehen ist?
Die Doppelstoßstange? Nein, die war nicht markentypisch, die gab es – von US-Modellen inspiriert – bei vielen europäischen Wagen der zweiten Hälfte der 1920er Jahre, und sei es nur als Zubehör.
Dann vielleicht die eingeprägten Sicken in den Vorderkotflügel? Ebenfalls Fehlanzeige. Diese Form der Gestaltung findet sich bei den meisten Automobilen, bis sie gegen Ende der 20er von völlig abgerundeten Schutzblechen ohne eingeprägte Sicken abgelöst wurden.
Dann bleibt nicht mehr viel, genau genommen nur noch eines: Das dachartig gestaltete Blech unterhalb des Kühlergehäuses. Das hätte funktionell nicht so ausfallen müssen, also war es bewusst so ausgeführt worden, um der Kühlerpartie den Eindruck der Beliebigkeit zu nehmen.
Diese Blechpartie, die mit dem oberen Abschluss des Kühlers korrespondiert, findet sich beim Modell “Alfa” von Praga, welches über etliche Jahre mit laufenden Verbesserungen und Änderungen im Formalen gebaut wurde.
Das hilft uns nicht zuletzt deshalb, weil der Markenschriftzug auf den beiden bislang gezeigten Fotos wohl nur dann zu entziffern ist, wenn man bereits ahnt, dass es sich um Wagen von Praga handelt.
Mit diesen am Wegesrand aufgelesenen Details sind wir nun imstande, unsere kleine Reise auf den Spuren des Praga “Alfa” fortzusetzen.
Dabei machen wir ein letztes Mal Halt an einem Ort, der an einer Straße ins Unbekannte liegt. Doch diesmal werden uns dabei Impressionen zuteil, die weit über das bislang Erlebte hinausgehen und die das Auto in den Schatten stellen:
Praga “Alfa”, aufgenommen 1931; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Merkwürdig fremd wirkend ragt diese Villa im späten, geometrisch geprägten Jugendstil im Umfeld eines Straßendorfs auf (das Originalfoto ist weit größer und zeigt die Situation).
1911 wurde sie errichtet, wirkt aber zum Zeitpunkt der Aufnahme 20 Jahre später schon etwas mitgenommen – oder besser: vernachlässigt. Man hat den Eindruck, dass die Besitzer nach Fertigstellung und erst recht nach dem 1. Weltkrieg nicht mehr die Mittel hatten, das Grundstück fertigzugestalten und einen Ziergarten anzulegen.
Der primitive Zaun aus Holzlatten zwischen grob verputzten Pfählen ist sicher erst in den 1920er Jahren entstanden. Möglicherweise hatte die Villa den Besitzer gewechselt und wurde nun anders genutzt, eventuell als Pension.
Doch die Besitzer – offenbar an harte Arbeit gewöhnte Leute – hatten es mit Geschick und Fleiß zu einigem Wohlstand gebracht und präsentieren sich hier mit ihrem Automobil.
Freilich ist auch denkbar, dass bloß ein vermögender Verwandter zu Besuch war und seinen Wagen für diese Aufnahme zur Verfügung gestellt hatte.
Solche Situationen sind des öfteren festgehalten worden, als in Europa der Besitz eines Autos nur wenigen, sehr gut situierten Menschen möglich war. Dann ließ sich die bucklige Verwandtschaft gern auf diese Weise ablichten, so als habe sie selbst “es geschafft”.
Dabei nahm man mit instinktiver Geste Besitz von dem automobilen Wunderwerk und schaute selbstzufrieden in die Kamera:
Freilich zeigte man bei dergleichen Gelegenheiten auch, dass man in Sachen Mobilität auf dem Land nicht auf den Kopf gefallen war. So präsentiert sich hier das Töchterlein selbstbewusst mit seinem Reittier – einem Schaf auf Rädern!
Solche menschlichen Impressionen am Wegesrande sind es, die einem das Herz aufgehen lassen und mit einem Mal sind die motorisierten Gefährte nur noch vergängliches Beiwerk…
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Überwiegend fällt die Wirklichkeit nicht so aus, wie man sich das wünscht – eine Grundkonstante des Daseins und Basis des Geschäftsmodells von Trittbrettfahrern aller Art – Glaubensstifter, Heiratsschwindler und Visagisten.
Doch bisweilen übertrifft auch die Wirklichkeit die Welt der Wünsche, nämlich dann, wenn sich etwas ereignet, was man nicht für möglich gehalten hat. Das von Ludwig Erhard initiierte deutsche “Wirtschaftswunder” der 1950/60er Jahre war so etwas.
Da wir in unseren Tagen von Vergleichbarem mangels qualifiziertem Regierungspersonal nur träumen können, müssen wir uns damit begnügen, dass uns im Privaten ab und zu etwas begegnet, das über unsere Vorstellungen und Erwartungen hinausgeht.
Ich weiß nicht, ob das bei dem Automobil der Fall ist, das ich Ihnen heute präsentieren möchte. Jedenfalls regt es dazu an, über Wunsch und Wirklichkeit zu sinnieren.
Man kann dieses rund 110 Jahre alte Dokument aber auch einfach so auf sich wirken lassen und sich seine ganz eigenen Gedanken darüber machen:
NAG um 1910; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Fremd wie ein Geschöpf aus einer fantastischen Urzeit schaut uns dieser Wagen an, und doch würde jeder dieses Fahrzeug sofort als Automobil ansprechen. So furchtbar viel hat sich nämlich an dieser genialen Erfindung nicht geändert.
Ja, aber inzwischen gibt es doch auch Elektroautos und die sehen schon anders aus, mag jetzt einer denken. Gewiss, das taten die Elektroautos aber damals auch.
Der Hersteller dieses Tourenwagens – NAG aus Berlin – hatte sogar selbst welche im Programm. Sie verkauften sich eine Weile recht gut, und das obwohl deren wohlhabende Käufer nicht einen Teil des Preises von ihren Mitbürgern zwangserstattet bekamen.
Einen solches NAG-Elektroauto stelle ich gelegentlich hier vor und ich darf schon jetzt sagen, dass ich mich darin verliebt habe – was mir beim Batteriewagenangebot unserer Tage bislang unmöglich erscheint (nicht nur wegen der aberwitzigen Kosten).
Wie gesagt, die altehrwürdige Berliner NAG war der Schöpfer des oben gezeigten recht großzügig dimensionierten Fahrzeugs. Zwar sind die Autos der seit 1903 mit Eigenkonstruktionen sehr erfolgreichen Marke an dem Rundkühler leicht zu erkennen.
Doch der genaue Typ ist meist nur anhand von Größenvergleichen einzugrenzen. Im vorliegenden Fall würde ich schon einmal das Einstiegsmodell N2 6/12 PS “Puck” ausschließen – es war im Vergleich wesentlich kompakter:
NAG Typ N2 6/12 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Zudem scheint der NAG auf meinem eingangs gezeigten Foto über eine etwas modernere Karosserie zu verfügen.
So besitzt sie bereits über einen “Windlauf”, also eine zur Frontscheibe bzw. zum Fahrerabteil hin ansteigende Blechkappe am hinteren Ende der Motorhaube.
Ab 1910 taucht dieses Element bei deutschen Serienautos auf, vorher fand es sich nur bei speziell für Sporteinsätze vorgesehene Wagen.
Genau dieses Detail wird uns noch einmal beschäftigen. Wir werfen erst einmal einen näheren Blick auf die Vorderpartie des aus idealer Perspektive fotografierten NAG:
An sich ist hier alles so, wie man es bei einem NAG aus der Zeit ab etwa 1905 erwarten würde. Ins Auge sticht jedoch die Plakette vorne am Kühlwassereinfüllstutzen.
Sie ist mir schon einmal begegnet, doch ist mir entfallen, auf welche Vereinigung sie hinweist – hier sind wieder sachkundige Leser gefragt.
Eventuell handelt es sich um einen Club von Sportsleuten, die bei Beginn des 1. Weltkriegs ihre Automobile dem Heer zur Verfügung stellten. Darauf deutet das auf dem Windlauf aufgemalte Kürzel und das Fehlen eines zivilen Kennzeichens hin.
Jetzt sind wir dem Punkt angelangt, an dem wir uns zwischen Wunsch und Wirklichkeit entscheiden müssen.
Schauen Sie sich doch einmal die Kühlerpartie direkt unterhalb des Einfüllstutzens an. Bilde ich es mir ein oder ist da tatsächlich “B2” zu lesen gefolgt von einer nicht zu entziffernden Kombination aus Ziffern, die durch einen Schrägstrich getrennt sind?
Mag sein, dass mir mein Gehirn einen Streich spielt und der Wunsch in meinem Kopf etwas Wirklichkeit werden lässt, was es gar nicht gibt. Dabei mag eine Rolle spielen, dass es andere Fotos von im 1. Weltkrieg auf deutscher Seite eingesetzter PKW gibt, bei denen auf dem Kühler die offizielle Typbezeichnung aufgemalt war – warum auch immer.
Nun gab es von NAG ab 1907 einen Typ “B2” mit (je nach Baujahr) variierenden Leistungsbezeichnungen: 40-45 PS, 31/50 PS, 29/55 PS, 26/45 PS. In jedem Fall handelte es sich dabei um einen großvolumigen Vierzylinder mit anfänglich 8, später 6,7 Litern.
Auch bei den Angaben zur Bauzeit geht es durcheinander (frühe NAG-Wagen sind wie bei vielen deutschen Autos üblich schlecht dokumentiert). Teilweise wird ein Bauzeitende von 1908 angegeben, teilweise aber auch 1909/10.
Denkbar ist nun Folgendes: Wir haben es entweder mit einem älteren NAG “B2” zu tun, der 1910 einen modernen Aufbau mit “Windlauf” erhielt – was öfters vorkam. Oder es handelt sich um ein Exemplar des ganz späten Typs B2a von 1910.
Vielleicht irre ich mich aber auch völlig und wir sehen hier doch einen der kleineren NAG, also einen N2 6/12PS “Puck” oder einen frühen Vertreter seines Nachfolgers K2 6/18 PS.
Letztlich ist es aber auch gar nicht so wichtig, denn Aufnahmen solcher NAG-PKW im Kriegseinsatz sind keineswegs ungewöhnlich. NAG lieferte daneben vor allem Lastkraftwagen an das deutsche Militär, aber das ist eine andere Geschichte.
Mich interessiert am Ende Ihr Urteil, was die von mir wahrgenommene Beschriftung des Kühlers angeht – Wunsch oder Wirklichkeit bzw. Typvermerk oder Straßenschmutz?
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Beinahe sechseinhalb Jahre ist es her, dass ich das Foto eines Tourenwagens der 1920er Jahre vorgestellt habe, welchen ich aufgrund von Indizien als O.M. 469 angesprochen hatte.
Zwar war ich mir meiner Sache damals schon ziemlich sicher, denn dieser kompakte 4-Zylinder-Typ der im oberitalienischen Brescia beheimateten “Officine Meccaniche” wurde von 1921 bis Anfang der 1930er gebaut und das am häufigsten verkaufte Modell der Marke.
Während der langen Bauzeit stieg der Hubraum von 1,5 auf 1,7 Liter und die Leistung von 30 auf 40 PS – nebenbei ein weiteres Beispiel für die allgemein höhere Leistungsausbeute italienischer Fabrikate im Vergleich zu deutschen.
Äußerlich tat sich auch einiges, wenngleich nicht von Jahr zu Jahr, das brachten interessanterweise nur die amerikanischen Großserienhersteller zustande. So ließ sich das Fahrzeug auf folgendem Foto nur vage auf “etwa Mitte der 1920er Jahre” datieren:
OM 469 Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Vorgestellt hatte ich den Wagen seinerzeit hier. So reizvoll diese Aufnahme auch ist, die vermutlich irgendwo im deutschen Sprachraum entstanden war, so musste doch der Wunsch offenbleiben, den Tourer in voller Pracht sehen zu dürfen.
Doch bei der Beschäftigung mit diesen alten Fahrzeugen muss man bisweilen Geduld haben, und selbige wurde kürzlich belohnt.
So steuerte Sammlerkollege Matthias Schmidt aus Dresden ein Foto aus seinem Fundus dar, welches das zeigte, was uns auf meiner obigen Aufnahme vorenthalten worden war:
OM 469 Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Beim Vergleich sind mir nur zwei Unterschiede aufgefallen: Das Vorhandensein von außenliegenden Türgriffen und der etwas andere Abschluss der Vorderkotflügel bei dem OM-Foto von Matthias Schmidt.
Beides ist nicht überzubewerten, zumal wichtige Details wie die Gestaltung der Haubenpartie und des Windschutzscheibenrahmens vollkommen übereinstimmen.
Darüber hinaus liefert uns die zweite Aufnahme weitere Informationen, welche eine etwas genauere Datierung erlauben: Zu sehen sind hier nämlich Bremstrommeln an den Vorderrädern, außerdem einfache Stoßdämpfer (die dosenförmigen Bauteile am vorderen Rahmenende). Beides spricht gegen eine Datierung auf die frühen 1920er Jahre.
Wir haben es sehr wahrscheinlich mit einem ab ca. 1925 gebauten OM 469 zu tun, viel genauer vermag ich es derzeit nicht zu sagen.
Zwar gibt es ein prachtvolles Buch zur Geschichte von OM (“Una storia nella storia“, Edizioni Negri, 1991) doch die PKW der 1920er Jahre werden dort nur anhand relativ weniger, wenn auch hervorragender Bilder, dokumentiert.
Dort findet sich immerhin auf Seite 94 das Foto eines weitgehend übereinstimmenden Toures des Typs 469, der auf “um 1927” datiert ist. Dieser Wagen wirkt in einigen Details etwas moderner, weshalb ich den OM auf dem Foto von Matthias Schmidt um 1925/26 verorten würde.
Das Nummernschild weist m.W. auf eine Zulassung in Österreich hin – vielleicht kann es jemand genauer sagen.
Jedenfalls ist es wieder einmal bemerkenswert zu sehen, was einst für eine Markenvielfalt auf unseren Straßen herrschte und dass selbst italienische Nischenfabrikate wie OM auch nördlich der Alpen Liebhaber fanden.
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Der Gang ins Kloster war und ist für viele eine Entscheidung für’s Leben, eine ernstgemeinte Flucht aus der banalen Alltagswirklichkeit ohne Wiederkehr.
Man braucht kein gläubiger Christ zu sein, um dies zu respektieren. Denn der in einem geistlichen Orden zu findende Seelenfrieden wird durch Verzicht auf das meiste erkauft, was uns das Leben versüßt.
Mein Paderborner Großonkel Ferdinand war ein dem Leben zugewandter, heiterer und großzügiger Mensch. Was ich als Jugendlicher nicht verstand, war seine Leidenschaft für das fromme Leben der Franziskaner und Klarissen. Öfters in den 1960er und 70er Jahren war er ins umbrische Assisi gepilgert, wo beide Orden ihren Ursprung hatten, das wusste ich.
Heute reise ich selbst mehrere Male pro Jahr nach Umbrien, das grüne Herz Italiens, das mir ans Herz gewachsen und zur zweiten Heimat geworden ist. Ein Besuch in Assisi gehört jedesmal dazu und selbst wenn man sie x-mal gesehen hat, sind die Stätten des Wirkens des Heiligen Franz ergreifend, auch wenn man der Amtskirche längst den Rücken gekehrt hat.
Basilica di San Franceso, Assisi (Umbrien), November 2022
Vermutlich ist ein altes Kloster für die meisten mehr als ein bloßer Ausflugsort, auch wenn sie vielleicht “nur” wegen eines Konzerts oder zur erbaulichen Gestaltung des Wochenendes dorthin fahren.
Man spürt dort etwas vom Sehnen des Menschen nach etwas, das über ihn selbst und seinen Alltag hinausgeht – so unbestimmt es auch sein mag.
Auch unser heutiger Fotoausflug zu einem alten Kloster erschöpft sich nicht in der Bewunderung der meisterhaften und dauerhaften Architektur, der Schönheit der Formen, der oft rätselhaften Bildwelt, der friedvollen Atmosphäre.
Vielmehr offenbart sich uns vor erhabener Kulisse etwas, das zwar nur eitles Menschenwerk ist, aber dennoch auf himmlische Weise geeignet ist, manchen in Verzückung zu versetzen:
Dürkopp von 1913; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Auch der abgeklärteste Kenner von Altautofotos wird hier innerlich niederknien – denn viel perfekter lässt sich so eine Idylle nicht inszenieren.
An einer Kehre vor der Kulisse einer mächtigen Klosteranlage steht mittig platziert und aus idealem Winkel aufgenommen ein Tourenwagen aus der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg.
Dem Fotografen ist nicht nur der Bildaufbau vollkommen gelungen. Eine glückliche Fügung – oder war es himmlischer Segen? – hat ihm auch noch eine Gruppe Kinder beschert, die am linken Bildrand in vorbildlich frommer Pose ausharren.
Ein Maler hätte sich das nicht besser ausdenken können, bloß dass er statt eines Automobils die Kutsche feiner Herrschaften auf die Leinwand gebannt hätte.
Genug des Schwärmens – im Orden der Vorkriegsauto-Anbeter wird auch strikte Einhaltung der Regel verlangt, wonach ein solches Fahrzeug möglichst genau zu identifizieren ist.
Zum Glück müssen wir dazu nicht lange in alten Folianten wälzen, denn uns ist diese Erscheinung auf vier Rädern wohlvertraut. Vor knapp einem Jahr haben wir uns auf deren Spuren hier schon einmal auf automobile Wallfahrt begeben.
So können wir routiniert herunterbeten, dass dieser Wagen ein Dürkopp sein muss – die Gestaltung des Kühler lässt keinen Zweifel, auch wenn die Herstellerplakette nicht erkennbar ist oder fehlt:
Allerdings bemerken wir kleine Unterschiede zu dem Fahrzeug, das wir einst als Dürkopp um 1912 identifiziert haben. Dazu zählen vor allem die seitlich angebrachten elektrischen Standlichter und die nun stärker abgerundeten Vorderkotflügel.
Rahmen und Vorderachse scheinen dagegen – soweit erkennbar – identisch zu sein. Vermutlich haben wir es daher mit einer äußerlich nur leicht modernisierten Version des Dürkopp zu tun, den wir seinerzeit als Typ NG 10/30 PS angesprochen hatten.
Man ist geneigt, diese Ausführung auf 1913 zu datieren, da ab 1914 eine neue Kühlerform bei Dürkopp Einzug hielt.
Wie im Fall höherer Wesen, die uns beobachten und lenken oder uns vielleicht auch einfach ignorieren, lässt sich nichts davon beweisen. Letztlich bleibt die Ansprache solcher Erscheinungen aus längst vergangenen Zeiten stets auch ein wenig Glaubenssache.
Merkwürdigerweise hat es etwas Kontemplatives, wenn man sich in das Studium dieser historischen Gefährte versenkt. Vermutlich ist es die Mischung aus Geheimnisvollem und dem Alltag Entrückten, welche diese Form der Ikonenanbetung so erbaulich macht.
Bleibt am Ende die weltliche Frage, vor welchem Kloster dieser Dürkopp denn einst auf so erfreuliche Weise für die Nachwelt festgehalten wurde. Der Wagen scheint im Raum Düsseldorf zugelassen gewesen zu sein.
Doch im Rheinland konnte ich kein Kloster ausfindig machen, dessen Kirche genau so aussieht. Kloster Marienstatt kommt dem zwar sehr nahe, aber mehr auch nicht.
Also: Wer hat eine Eingebung oder – noch besser – gefestigtes Wissen, was den Ort dieser Aufnahme angeht? Vielleicht können wir dem einen oder anderen Pilger dann den brennend heißen Wunsch nach Erkenntnis zumindest in dieser Hinsicht erfüllen…
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Zu allen Zeiten ist gegen den Luxus gewettert worden: Als unnötiger Ballast, Ablenkung vom Wesentlichen, Verschwendung von Ressourcen usw. wurde und wird er angeprangert. Interessant dabei: Den Appell zum Maßhalten und Verzicht vernimmt man meist von Zeitgenossen, die selbst in komfortabelsten Verhältnissen leben, oft auf Kosten anderer.
Dass Besitz von schönen, nicht notwendigen, aber verführerischen Dingen per se nicht glücklich macht, ist eine Binse – für solche Erkenntnisse bedarf es keiner Propheten, Philosophen oder Politiker. Aber man könnte es doch dem Einzelnen selbst überlassen, für sich herauszufinden, mit wie viel oder wenig Luxus er sein Dasein zubringen möchte.
Offen gesagt ist mir jeder geschmacklose Geldprotz lieber als die meist freudlos und finster dreinblickenden Verfechter radikaler Verzichts-Religionen. Tatsächlich beginnt die Existenz des Menschen als Kulturwesen mit dem Überwinden der blanken existenziellen Not: Die Höhlenmalereien unserer altsteinzeitlichen Vorfahren sind die erste Kunde davon.
Bildende Kunst, Musik, Tanz und Dichtung – alles überflüssig, nicht wahr? Ornament, Farbe und Proportion – ist doch unerheblich, auf die Funktion allein kommt es an, oder?
Zum Glück ticken nur ideologisch vernagelte Charaktere so. Wer nach Paris fährt, wird gewiss nicht die inhumanen Massenunterkünfte in den Vororten besichtigen wollen, deren Konzept wir den gefeierten Erfinder der sogenannten Moderne “verdanken”.
Luxus ist ja streng genommen bereits, Zeit für Spiel und Spaß zu haben. Wer kann so grausam sein, den Menschen das als unnötigen, gar schädlichen Tand auszureden? Leider gab und gibt es solche Versuche immer wieder; wir müssen diesbezüglich wachsam sein.
Warum diese Vorrede? Weil sich schon bei einem an sich unnötigen Gegenstand wie dem Automobil Zeitgenossen fanden und finden, welche alles jenseits des reinen Rationalismus verwerfen. Wie arm wären wir dran, wenn sich das durchsetzte!
Ganz erschrocken schaut uns diese junge Dame bei dem bloßen Gedanken an, dass man ihr und ihrem Fahrzeug vorwerfen könnte, man habe unnötigen Aufwand auf das Erscheinungsbild verwendet und dabei grob unvernünftig gehandelt:
Haben Sie schon einmal eine so extrem niedrige Frontscheibe an einem deutschen Cabriolet gesehen, das kein reiner Sportwagen ist?
Völlig unpraktisch und damit vernunftwidrig natürlich – erst recht bei geschlossenem Verdeck. Dann im Kontrast dazu die riesigen Chromscheinwerfer, muss das so auffallend sein? Und die junge Dame, hat die sich etwa auch die Augen großgeschminkt?
Alles Teufelswerk, weg damit, wir sind jetzt radikal modern, wissen alles besser und sind nur noch vernünftig! So mag mancher nach der Katastrophe des Nationalsozialismus gedacht haben, als dieses Foto entstand, nämlich in den 1950er Jahren.
Dummerweise verstand sich gerade die nationalsozialistische Ideologie als knallmodern. Sie wollte mit alten Zöpfen Schluss machen wie etwa dem Individuum, das seine Ziele und Ideale selbst setzte und verwirklichte. Die vermeintliche bürgerliche Beschränktheit der Fachwerkaltstädte sollte großen Plänen weichen (die ab den 1950ern umgesetzt wurden).
Die Unterordnung allen Lebens unter die nackte “Notwendigkeit” der deutschen Kriegswirtschaft zeichnete sich bereits ab Mitte der 1930er Jahre ab, als der Einsatz von Chrom bei Automobilen beispielswiese zunehmend reglementiert wurde.
Ein deutsches Fahrrad aus Kriegsproduktion illustriert, wohin die Beschränkung auf’s Notwendige führt – so ein komplett schwarzer Drahtesel ist zwar heute für Sammler bedeutend, aber an Tristesse kaum zu überbieten.
Umso faszinierender ist zu beobachten, dass es ausgerechnet im nationalsozialistischen Deutschland abseits staatlicher Kontrolle zu einem Feuerwerk an völlig unvernünftigen Automobilkreationen kam, deren Form, Farbgebung und Ausstattung der reine Luxus war.
Ein bemerkenswertes Beispiel dafür ist der auf dem Foto von Klaas Dierks abgelichtete Stoewer des Frontantriebstyp R-140 bzw. R-150, der von 1932-35 gebaut wurde.
Die extrem niedrige Windschutzscheibe war dem Sport-Cabriolet vorbehalten, das zwar ebenfalls nur über den 1,5 Liter-Vierzylinder der Serienausführung mit 30 bzw. 35 PS verfügte, aber mit seiner rasant wirkenden Karosserie Luxus pur verhieß.
Vor einigen Jahren ist es mir gelungen, eine Aufnahme zu ergattern, welche dieses äußerst rare Fahrzeug in ganzer Pracht zeigt:
Stoewer R-140/150; Originalfoto: Michael Schlenger
Genau so – bloß in dunkler Lackierung gehalten – müssen wir uns den Stoewer vorstellen, mit dem die junge Dame auf dem eingangs gezeigten Foto in einer Nachkriegswelt unterwegs war, welche von überlebenden Alltagswagen der 1930er Jahre bzw. darauf basierenden Konstruktionen geprägt war.
Ich könnte mir vorstellen, dass die sorgfältig zurechtgemachte junge Dame damals durchaus argwöhnische Blicke erntete: “Muss das wirklich sein, so aufgedonnert mit einem 2-sitzigen Cabriolet umherzufahren und dann noch zum reinen Vergnügen?”
Ja, so lautet mit einigen Jahrzehnten Verspätung meine Antwort.
Das muss genau so sein und wir sollten uns möglichst viel dieses hart erarbeiteten Luxus gönnen – er ändert zwar nichts an den tragischen Grundaspekten des Lebens, aber er lässt uns manches besser ertragen, bisweilen auch vergessen.
Die Beschäftigung mit solchen Vorkriegsautos ist für mich daher stets auch ein Lob des Luxus, der unser Dasein verschönert und bereichert.
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Die Mitte der 1920er Jahre markiert eine Zeitenwende speziell am deutschen Automobilmarkt.
Bis dahin herrschten noch formale Konzepte vor, die sich bis 1913/14 zurückverfolgen lassen – vor allem repräsentiert durch mehr oder weniger spitz zulaufende Kühler, zwar bereits in Kombination mit elektrischer Beleuchtung, aber noch ohne Vorderradbremse.
Von wenigen Ausnahmen abgesehen war damit ziemlich genau im Jahr 1925 Schluss. Die Kühler wurden ab dann flach ausgeführt, Vorderradbremsen wurden Standard und wer bis dahin noch nicht auf Linkslenkung umgestellt hatte, tat es spätestens dann.
Was vielleicht nach Unterschieden in technischen Details klingen mag, ging mit einem unübersehbarem Wandel im Erscheinungsbild einher. Von einem Jahr auf’s andere sahen vor 1925 gebaute deutsche Autos “richtig alt” aus.
Diese Zeitenwende wird auch für den von derlei Feinheiten unbelasteten Betrachter auf folgendem Foto unmittelbar deutlich:
Hansa und Fiat im Januar 1925; Origimalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Diese von alter Hand auf Januar 1925 datierte Aufnahme mag technisch nur mittelprächtig sein, für uns Vorkriegsauto-Archäologen stellt sie einen Glücksfall dar.
Sicher wird mancher den links zu sehenden Hansa zunächst als Typ C 8/24 PS von 1913-14 oder als Typ D 10/30 PS ansprechen wollen, wie er im 1. Weltkrieg öfters anzutreffen war.
Doch ein Detail spricht dagegen – das auf die linke Seite gewanderte Lenkrad, welches sich erst beim Hansa 8/26 PS findet, der von 1921-24 gebaut wurde:
Zusammen mit Audi gehört Hansa zu den wenigen deutschen Autobauern, die schon Anfang der 1920er auf Linkslenkung umstellten.
Doch davon abgesehen, ist der Hansa 8/26 PS äußerlich kaum von seinem ab 1913/14 gebauten Vorläufer zu unterscheiden. Zwar wurden damals meist noch Gasscheinwerfer verbaut, doch optional gab es bereits elektrische Beleuchtung ähnlich der, die an diesem Nachkriegsexemplar zu sehen ist.
Typisch für noch in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg verwurzelte traditionelle Konstruktionen war die mittig geschwungene Vorderachse, welche später einer gerade ausgeführten wich. Die Gründe dafür wird sicher ein fahrwerkstechnisch versierter Leser nennen können.
Das Fehlen von Stoßdämpfern ist ein weiteres Merkmal der damaligen Vorkriegstradition.
Völlig anders stellt sich nun der ebenfalls mit Tourenwagenaufbau versehene, doch deutlich größere Wagen auf der rechten Seite dar. Meines Erachtens handelt es sich um einen Fiat:
Die wesentlich modernere Anmutung dieses Wagens ergibt sich aus dem Zusammenspiel mehrerer Elemente.
Am markantesten ist sicher der flache Kühler, doch auch die Doppelstoßstange ist ein typisches Detail, das sich erst um die Mitte der 1920er Jahre durchsetzt.
Die mächtigen Scheinwerfer sind nun hochglänzend vernickelt, nicht bloß lackiert. Zudem machen sie durch ihre bessere Ausleuchtung der Fahrbahn die kleinen Zusatzscheinwerfer überflüssig, die sich um 1920 noch bei vielen Wagen finden.
Wer genau hinschaut, erkennt unterhalb der Stoßstange am vorderen Rahmenende die trommelförmigen Stoßdämpfer, deren Funktion auf der Reibung von Scheiben beruhte, die variabel gegeneinander gepresst werden konnten.
An den Vorderrädern, die nun Speichen aus Stahl statt solche aus Holz besitzen, fallen die sehr großen Trommelbremsen ins Auge. Sie sind der Hinweis dafür, dass wir es mit einem leistungsstarken Modell zu tun haben.
Vorausgesetzt, dass meine Fiat-These stimmt, kommt damit die 1925 eingeführte Flachkühlerausführung des nur vierzylindrigen Fiat 505 nicht mehr in Betracht. Es dürfte sich eher um einen der parallel angebotenen Sechszylindertypen handeln.
In Frage kommt zum einen der 1925 ebenfalls mit Flachkühler angebotene “kleine” Sechszylinder-Fiat 510 mit 46 PS aus 3,5 Litern. Zum anderen könnte es sich um das Spitzenmodell 519 handeln, das einen 77 PS starken 4,8 Liter-Motor besaß.
Ich tendiere zu dem ganz großen Typen, überlasse das Feld hier aber gern den Kennern unter meinen Lesern (bitte Kommentarfunktion nutzen).
Festzuhalten bleibt, dass dieses Foto uns nach bald 100 Jahren zum Zeitzeugen einer Zäsur macht, die sich im Straßenbild binnen kurzem unübersehbar bemekrbar machte. Dass meine Sympathie auch den damals rasch aussortierten traditionellen – und oft charakterstärkeren – Modellen gehört, bleibt davon unberührt.
Der Fortschritt braucht keine Nachhilfe – was überlegen ist, setzt sich von alleine durch. Doch die Bewahrung des Vertrauten und Verlässlichen, das dem Einzelnen oft genügt oder ihm schlicht ans Herz gewachsen ist, das erfordert Engagement – damals wie heute…
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Heute darf ich einen verteufelt schwierigen Fall präsentieren, obwohl sich der Wagen eigentlich genau so präsentiert, wie man sich das wünscht:
Schön schräg von vorne aufgenommen, sodass man die Kühlerpartie ebenso studieren kann wie die Gestaltung der Vorderkotflügel und der Räder. Und dann prangt auch noch der Markenname unübersehbar auf dem Kühlergrill!
Was will man mehr? Nun, ein Datierungshinweis der fraglichen Aufnahme wäre wohl hilfreich, dann ließe sich auch der Typ eventuell zuverlässiger ermitteln.
Denn der seit 1904 aktive Hersteller aus Lyon – zunächst nur nach Gründer Pierre Desgouttes benannt, ab 1906 dann auch nach dem Kapitalgeber Cyrille Cottin – baute in den 1920er Jahren, in denen wir uns im fraglichen Fall bewegen, eine Reihe von Typen, die sich auf den wenigen erhaltenen Dokumenten oft stark ähneln.
Cottin & Desgouttes hatte nach Ende des 1. Weltkriegs zunächst die Produktion seiner Luxusmodelle mit bis über 7 Liter Hubraum wieder aufgenommen.
1922 brachte man dann den moderater, aber moderner motorisierten Vierzylindertyp M heraus – mit kopfgesteuerten Ventilen, Aluminiumkolben und fünf Kurbelwellenlagern, außerdem – wie andere französische Premiumfabrikate – bereits mit Vierradbremse.
So etwas scheint auf der folgenden Aufnahme links festgehalten zu sein:
Cottin & Desgouttes, aufgenommen in den 1920er Jahren am Roche du Diable in Lothringen; originale Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger
Keine Sorge, wir werfen gleich noch einen näheren Blick auf den hier unscheinbar wirkenden Tourer am linken Bildrand. Vorher sei noch darauf hingewiesen, wo diese Situation einst festgehalten wurde:
Am Roche du Diable im östlichen Lothringen war das. Von dort aus kann man einen grandiosen Blick auf den westlich gelegenen Lac de Longemer genießen. Östlich grenzt das Elsass an, man befindet sich etwa auf der Höhe von Colmar, aber in einer völlig anderen wildromantischen Landschaft.
Für die dort entlangführende Straße hat man den Felsdurchbruch später etwas erweitert, doch ansonsten sieht es dort noch ziemlich so aus wie vor bald 100 Jahren. Nur einem Cottin & Desgouttes wird man dort kaum noch begegnen.
Wagen dieser hochkarätigen Marke, die schon früh auch Nutzfahrzeuge baute (Gründer Desgouttes war zuvor bei Pierre Berliet als Konstrukteur beschäftigt) blieben stets rar. Bloß einige hundert Fahrzeuge pro Jahr wurden gebaut und nur wenige haben überlebt.
Zwar gibt es eine sehr informative Website und im April 2017 publizierte mein bevorzugtes Altauto-Magazin “The Automobile” ein Porträt der Firma, dennoch tue ich mich schwer mit der genauen Typansprache bei diesem speziellen Cottin & Desgouttes:
Dummerweise änderte sich die Kühlerform in der ersten Hälfte der 1920er Jahre kaum und auch die Scheibenräder (bzw. abgedeckten Drahtspeichenräder) findet man bei mehreren Typen, zu denen auch das sportliche Sechszylindermodell M6 Léger zählte.
Auch frühe Exemplare des 1925 entwickelten neuen Typs 11 CV “Sans Secousse” sahen noch genauso aus (siehe die Reklame hier). Dieses innovative Fahrzeug zeichnete sich unter anderem durch Einzelradaufhängung an allen vier Rädern aus.
Ich möchte nach derzeitigem Kenntnisstand nicht ausschließen, dass ein solcher Cottin & Desgouttes “Sans Secousse” einst am Roche du Diable haltmachte. Vielleicht liefert ja das Kennzeichen einen Datierungshinweis (bei französischen Nummernschildern möglich).
“Was zum Teufel ist das?” bleibt also vorerst die Frage und die vorläufige Antwort lautet “Ein Cottin & Desgouttes” der frühen bis mittleren 20er Jahre…
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Das Konzept des Roadsters scheint dem deutschen Wesen nicht ohne weiteres entgegenzukommen, so mein Eindruck.
Jedenfalls fand dieses radikal unvernünftige Konzept – leichter offener Zweisitzer mit Notverdeck und tiefem Türausschnitt – hierzulande nie die Anhängerschaft wie in England, wo diese maximal unbequeme Form der Fortbewegung mit viel Spaß verbunden wurde.
Während ein flott bewegter Roadster im englischsprachigen Raum noch lange nach dem Krieg große Popularität genoß, wurde das Feld von deutschen Herstellern kaum beackert.
Was in Deutschland als Roadster angeboten wurde, war zwar meist sehr elegant, hatte mit dem eigentlichen Gedanken aber nur wenig zu tun. Als Beispiel mag dieser hinreißende Horch 930 V Roadster mit Karosserie von Gläser dienen:
Horch 930 V “Gläser”-Roadster; Nachkriegsabzug nach Originalnegativ aus Archiv Friedrich Meiche
Diese Blechskulptur ist nebenbei ein Beispiel dafür, wie schön sich das Heck eines Automobils gestalten lässt, wenn ausreichend Länge dafür zur Verfügung steht.
Ein echter Roadster war dies freilich nicht, dagegen sprechen schon die Kurbelfenster in den nur ansatzweise ausgeschnittenen Türen.
Formal gesehen puristisch umgesetzt wurde das Roadster-Ideal dagegen von Audi mit dem Typ 225 “Front Raodster”, wenngleich der Vorderradantrieb eigentlich nicht dazu passte:
Audi 225 Front Roadster; originale Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger
Bezeichnenderweise war dieser perfekt gestaltete Roadster nur kurz in Produktion, die Stückzahlen waren minimal.
Nur Exotenstatus sollten auch die von Kennern bis heute geschätzten BMW-Roadster des Typs DA3 haben, die 1930/31 unter der Bezeichnung “Wartburg” im von Dixi übernommenen Werk in Eisenach gefertigt wurden.
Hier sehen wir das Düsseldorfer Dixi-Urgestein Helmut Kasimirowicz am Steuer seines (inzwischen verkauften) BMW “Wartburg” am Rhein gegenüber Schloss Drachenburg:
BMW 3/15 Typ DA3 “Wartburg Roadster”, Baujahr: 1930/31; Bildrechte: Helmut Kasimirowicz (Düsseldorf)
Die minimalistische Ausführung dieses Wagens entspricht dem britischen Konzept des Roadsters vollkommen. Tatsächlich konnte mit dem BMW Wartburg auch mancher sportlicher Lorbeer errungen wurden – es war also kein reines “Poser”-Auto.
Den Inbegriff des BMW Roadsters stellte dann der 328 von 1937-39 dar, ein formal wie technisch brillianter Wurf.
Allerdings war dieser wie schon die BMW Roadster auf Basis der Typen 313, 315 und 319 nach Ansicht der gusseisernen Fraktion beinahe schon zu perfekt und zu gefällig.
Rustikaler und aus meiner Sicht optisch raffinierter war indessen ein anderer Roadster deutscher Provenienz. Leider ist er viel schwerer greifbar als die BMW Roadster, jedenfalls was historische Fotos davon angeht.
Das erste Mal begegnet ist mir das Fahrzeug auf einem Sammelbild der 1930er Jahre:
Tornax “Rex”; originales Sammelbild von Mitte der 1930er Jahre
Wüsste man nicht, dass dieses wie ein Raubtier auf dem Boden kauernde Geschöpf vom deutschen Motorradbauer Tornax (Wuppertal) geschaffen wurde, so würde man vermutlich Stein und Bein schwören, dass es sich um einen Briten-Roadster handeln müsse.
Tornax verwendete dabei als Antrieb einen frisierten Zweizylinder-Zweitaktmotor von DKW und übenahm auch den kompletten Vorderradantrieb. Dazu konstruierte man einen Zentralrohrrahmen, auf den man diese großartig gestaltete Karosserie schraubte.
Gern wüsste man, wer für diesen Entwurf verantwortlich war, der in der Roadsterkategorie alles in den Schatten stellte, was die großen deutschen Autohersteller damals anboten.
Wie im Fall des Audi 225 Front Roadster blieb die Produktion überschaubar, in der Literatur findet sich die Zahl von 150. Das ist sicher nur eine Schätzung – vielleicht zu hoch gegriffen gemessen an der Seltenheit zeitgenössischer Aufnahmen.
Die erste, die ich vor ein paar Jahren selbst entdeckt habe, ist diese:
Tornax “Rex”; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Auch wenn man hier nur die Kühlerpartie mit dem Schriftzug “Tornax” sieht, ist das eine bemerkenswerte Aufnahme. Entstanden ist sie auf einer Fähre irgendwo im Mittelrhein – im Hintergrund nähern sich bedrohlich wirkende Frachter, großartig!
Großartig ist auch die extrem niedrige Windschutzscheibe – solche Details sind ebenso Ausweis einer minimalistischen Interpretation des Roadster-Themas wie die “Cycle-Wings”, die nach Motorradart gestalteten mitdrehenden Vorderschutzbleche.
So flach wie kein anderer Roadster aus deutscher Produktion kam der Tornax “Rex” daher – das ahnt man auf dieser Aufnahme eines überlebenden Exemplars aus dem Jahr 1952:
Tornax “Rex”; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Leser meines Blogs, die mir auch nach einigen Jahren subjektiver Auseinandersetzung mit Vorkriegsautos und allerlei Abschweifungen treu geblieben sind, werden jetzt völlig zurecht anmerken:
“Heute macht es sich unser Blog-Wart etwas einfach, diese Aufnahmen kennen wir längst”.
Richtig, aber mir ist schon selbst klar, dass ich beim Titel “Deutschlands britischster Roadster” nicht mit einem müden Aufguss bekannten Materials davonkomme.
Zum Glück hat mir Leser und DKW-Experte Volker Wissemann vor längerer Zeit ein entsprechendes Dokument in digitaler Kopie zur Verfügung gestellt, das seinesgleichen sucht.
Denn egal wie viele (oder wenige) Fotos des Tornax “Rex” Sie schon gesehen haben, dieses hier dürfte einzigartig sein:
Noch britischer kann ein deutscher Roadster kaum wirken, meine ich.
Denkt man sich das Nummernschild (Pfalz) und das deutsche Nationalitätskennzeichen weg, wären der im ärmellosen Unterhemd agierende Mann und die Architektur der einzige Hinweis darauf, dass dieses sprungbereit dastehende Sportgerät nicht auf “der Insel” zuhause war.
Deutlich sieht man hier, dass die Karosserie reine Manufakturarbeit war, also von Hand über Holzmodellen zurechtgehämmert wurde. Ein hübsches Detail ist die offenbar verchromte Einfassung des Reserverrads; sie unterstreicht die Exklusivität des Wagens.
Gern wüsste man, wo genau einst dieser Tornax “Rex” zuhause war, der es scheinbar kaum erwarten konnte, dass das Hoftor aufgeht und er an einem strahlenden Sommertag die Straßen der Region unsicher machen kann:
Es hätte alles so schön sein können mit Deutschlands britischstem Roadster, nicht wahr?
Ideologische Wahnvorstellungen der deutschen “Eliten”, unterstützt von einer hinreichend großen Masse eines staatsgläubigen Bürgertums sollten dem im Wege stehen…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.