1925: Ein Bugatti im Renneinsatz im Taunus

Die Sportwagenschmiede Bugatti aus dem elsässischen Molsheim ist bislang auf diesem Oldtimerblog für Vorkriegsautos nur am Rande behandelt worden.

Zwar ist die Marke in der Schlagwortwolke vertreten, doch die dahinterstehenden Blogeinträge zeigen überwiegend moderne Aufnahme und Filmdokumente von Bugattis.

Diese sind natürlich ebenfalls sehenswert und tatsächlich werden die Leser auch am Ende des heutigen Eintrags wieder ein bemerkenswertes Video eines Bugatti im Einsatz finden. Doch im Mittelpunkt stehen hier historische Originalfotos.

Die sind aber von Bugattis nicht ohne weiteres zu bekommen, wenn man für ein altes Stück belichtetes Papier nicht abwegige Summen bezahlen will. Doch immerhin eine interessante Bugatti-Aufnahme können wir hier zeigen:

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Bugatti Rennwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Aha, wird jetzt mancher denken, viel Auto zu sehen ist da ja nicht gerade – und ist das überhaupt ein Bugatti?

Zugegeben, es gibt bestechendere Fotos der agilen Sportgeräte, die bis heute zum Begehrenswertesten gehören, was die Autoindustrie hervorgebracht hat – nicht nur in technischer Hinsicht, sondern auch ästhetisch.

Kein Sportwagen der Vorkriegszeit bietet eine derartige Durchgestaltung funktioneller Elemente wie der Vorderachse oder des Motors. So viel betörende Form kombiniert mit heute noch beeindruckender Agilität ist sonst nirgends zu bekommen.

Nun aber zur Frage, woher wir überhaupt wissen, dass wir einen Bugatti vor uns haben, der 1925 einen Renneinsatz im Taunus absolvierte.

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Darauf war nur zu kommen, weil diese Aufnahme eine von mehreren ist, die sich in der Gesamtheit als Dokumente des Großen Preises von Deutschland entpuppten, den der AvD 1925 auf einem über 30 km langen Kurs im Taunus abhielt.

Bereits vorgestellt haben wir aus dieser Reihe den nachfolgend abgebildeten NSU 5/25 PS Kompressor (Bildbericht):

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NSU 5/25 PS Kompressor; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Den Wagen konnten wir anhand von Form und Startnummer eindeutig der genannten Rennveranstaltung zuordnen.

Möglich war dies dank des Buchs von Holger Rühl „Die Automobilrennen im Taunus“, hrsg. 2004 (vergriffen). Darin sind auch die meisten anderen der 20 Teilnehmerfahrzeuge mit Startnummer abgebildet. Und dort findet sich auch “unser” Bugatti mit der Startnummer 10!

Die Bugatti-Freunde werden es nicht gern hören, dass die drei eingesetzten Wagen “ihrer” Marke sich dem kleinen NSU-Kompressorwagen 1925 im Taunus geschlagen geben mussten – damals ein ungeheurer Erfolg für die Neckarsulmer Fabrik.

Vom Ruhm der NSU-Rennwagen der Vorkriegszeit ist nichts geblieben als ein paar Fotos in den Händen von Automobilhistorikern.

Dasselbe gilt für die einst enorm erfolgreichen Sportversionen des NAG Typ C4 – ein Exemplar bringen wir gelegentlich. Aufrechterhalten wird immerhin die Erinnerung an die rassigen Steiger-Wagen – die als “deutsche Bugattis” galten.

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Steiger Sportwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ansonsten ist in Teilen der deutschen Klassikerszene eine Geringschätzung echter und eigener Tradition zu beobachten. So tauchen neben fragwürdigen Bentley Specials immer mehr dubiose Bugattis auf hiesigen Veranstaltungen auf.

Damit wir uns recht verstehen: Bugattis wurden vor dem Krieg auch von Kennern in Deutschland geschätzt und gefahren. Und wer sich heute eines der verbliebenen Originale hierzulande leisten kann, dem sei dazu gratuliert.

Ein Problem stellt die zunehmende Zahl der “Bugattis” dar, die schlicht moderne Nachbauten sind und von prestigeversessenen Zeitgenossen auf Oldtimerveranstaltungen eingesetzt werden.

Natürlich kann sich jeder einen detailgenauen Nachbau eines Bugatti Typ 35 bei einer einschlägig bekannten Firma in Argentinien bestellen.

Man darf auch davon ausgehen, dass diese Repliken ähnlich eindrucksvolle Fahrerlebnisse vermitteln wie die Originale. Auch das sei den Besitzern gegönnt.

Nur: Solche Nachbauten gehören nicht auf eine Oldtimerveranstaltung.

Wer über ein Mindestmaß an historischem Bewusstsein verfügt, wird begreifen, dass auch die akribischste moderne Rekonstruktion ein seelenloses Abbild eines Originals ohne jeden immateriellen Wert bleibt.

Ein Porträt von Dürer beispielsweise bezieht seine Einzigartigkeit und seine Magie daraus, dass der Künstler genau vor diesem Original gesessen hat und es von seiner Hand ist. Näher können wir ihm nach 500 Jahren nicht kommen.

Einer im Detail davon nicht unterscheidbaren Kopie fehlt genau das: Dürer hat sie nie gesehen und nicht selbst geschaffen. Damit ist sie jenseits der Kosten von Leinwand und Farbe ohne jeden Wert und gehört nicht in eine Kunstgalerie.

So wie es Leute gibt, die ihre Häuser mit Kopien großer Meisterwerke schmücken müssen, deren Originale sie sich nicht leisten können, scheinen auch die Käufer von Bugatti-Klonen nicht akzeptieren zu können, dass gewisse Schöpfungen von höchstem Prestige nicht vermehrbar sind.

Anstatt aber auf die Jagd nach echten Raritäten zu gehen – beispielsweise den Resten eines NSU 5/25 PS Kompressor-Rennwagen oder eines NAG C4 “Monza” –  muss es unbedingt eine weitere Kopie eines unerreichbaren Originals sein.

Dem Verfasser ist es gleichgültig, ob sich Besitzer von Bugatti-Nachbauten hierdurch angegriffen fühlen und wird sich diesbezüglich auf keine Diskussion einlassen.

Solche Fahrzeuge sind indiskutabel, weil sie keine Geschichte und keine Persönlichkeit haben – sie haben nichts zu erzählen außer von der peinlichen Eitelkeit ihrer Besitzer.

Was einen originalen Bugatti ausmacht, das erzählt der folgende kleine Film:

© Videoquelle: Youtube; Urheberrecht: Chateau Impney Hill Climb

Diese Sequenz entstand 2015 beim Chateau Impney Hillclimb in England und zeigt einen der ganz seltenen original erhaltenen Bugatti des Typs 35.

Wie der Besitzer erzählt, handelt es sich um einen Werksrennwagen, der Einsätze bei der Targa Florio in Sizilien und auf dem Steilkurvenkurs in Monthléry bei Paris bestritt.

Später wurde er an eine Amateur-Rennfahrerin in Südfrankreich verkauft, die ihn wiederum an einen italienischen Käufer weiterreichte, der den Bugatti rot lackierte.

In den frühen 1930er Jahren wurde der Wagen in einem Schuppen abgestellt und verbrachte dort rund 50 Jahre. Dann kaufte ihn ein Jura-Student, der sich zwar den Wagen, nicht aber seine “Restaurierung” leisten konnte.

Wie der heutige Besitzer feststellt, verhinderte dies, dass der Wagen “ruiniert wurde” – sprich in ein weiteres chromglänzendes Gefährt verwandelt wurde, das faktisch in weiten Teilen ein Neuwagen gewesen wäre.

So einen Zeitzeugen wieder zum Laufen zu bringen, ihm aber die Spuren seines langen Lebens zu lassen und ihn bestimmungsgemäß einzusetzen – das ist wahre Oldtimer-Leidenschaft und zeugt von Respekt vor dem Original.

In nachgebauten Kisten so tun, als gehöre man dazu, kann natürlich jeder mit dicker Brieftasche – nur ist das keine Leistung und schädigt zudem das Ansehen derer, die sich aufopferungsvoll um die Originale kümmern.

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

 

Endlich auch optisch Luxusklasse: Horch 350

Die Wagen der legendären sächsischen Marke Horch werden auf diesem Oldtimerblog besonders genüsslich zelebriert. Nicht, weil es daneben nichts Vergleichbares gegeben hätte – ganz im Gegenteil.

Doch nach dem 1. Weltkrieg den schrittweisen Aufstieg des Premiumherstellers in die Luxusklasse nachzuvollziehen, bereitet einfach Freude. Wie wohl kein anderer deutscher Autobauer sind die Zwickauer dabei äußerst planvoll gegangen.

Während andere Marken in den 1920er Jahre meinten, nebenher natürlich auch Achtzylinder entwickeln zu können, war man sich bei Horch der Komplexität der Aufgabe bewusst und investierte erst einmal drei Jahre Entwicklungsarbeit.

Denn ein Achtzylinder ist nicht einfach ein doppelter Vierzylinder. Um seine Stärken, souveräne Kraftentfaltung und im Idealfall vollkommen ruhigen Lauf, voll zum Tragen kommen zu lassen, bedarf es sorgfältiger Abstimmung.

Nach Vorstellung des ersten Achtzylindermodells Ende 1926 war man bei Horch von der Qualität des Geleisteten so überzeugt, dass man sich ganz darauf beschränkte – unternehmerisch mutig, aber letztlich genau der richtige Weg.

Schon mit den ersten ab 1927 gebauten Achtzylindern hatte Horch einen Erfolg, der anderen Anbietern verwehrt blieb. Dies war weder eine Frage des Preises noch des formalen Erscheinungsbilds:

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Horch 305; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die frühen Horch Achtzylinder waren mächtige Automobile, doch sahen sie nicht annähernd so teuer aus, wie sie waren.

Wäre da nicht das gekrönte “H” auf der Kühlermaske, könnte man den Wagen auf obigen Foto für einen Sechszylinderwagen aus US-Massenproduktion halten. Wir haben uns mit diesen frühen Horch-Achtzylindern übrigens bereits hier befasst.

1928 war dann das Jahr, in dem Horch nicht nur bei der Motorisierung eine Schippe drauflegte, sondern nun auch in formaler Hinsicht alle Register zog.

Der Hubraum wurde von 3,4 auf 4 Liter gesteigert, die Höchstleistung erhöhte sich von 65 auf 80 PS. Dabei hielt man an der präzisen Ventilsteuerung über zwei obenliegende Nockenwellen fest, die über eine Königswelle angetrieben wurde.

Die Frontpartie dieses neuen Typs Horch 350 wurde deutlich aufgewertet, wie wir auf dieser Aufnahme sehen können, die im April 1931 in Bamberg entstand:

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Horch 350; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dass der Wagen mit Berliner Zulassung (Kennung: “I A”) hier auf den ersten Blick nicht sonderlich groß wirkt, liegt weniger an der eindrucksvollen Kulisse der historischen Bauten im Hintergrund, die Bamberg sehenswert machen.

Nein, es ist die schiere Größe des stattlichen Herrn, der hier neben dem 1,90m hohen Horch posiert. Für ihn hätte der Wagen kaum kleiner ausfallen dürfen…

Für sich betrachtet, stellt sich die Sache ganz anders dar – hier haben wir klar ein Fahrzeug der Luxusklasse vor uns:

Horch_350_1_Bamberg_04-1931_Ausschnitt

Bei unveränderter Grundform hatte man dem Horch 350 größere Scheinwerfer und an der Motorhaube angebrachte Positionsleuchten spendiert. Doch vor allem die verchromten Lamellen im Kühler lassen den Wagen weit wertiger erscheinen.

Zum eleganten Auftritt tragen außerdem die harmonisch gerundeten Vorderschutzbleche bei, die im Unterschied zu den Vorgängertypen nun wie “aus einem Guss” wirken und ohne rustikale Sicken auskommen.

Zu verdanken war das überzeugende neue Erscheinungsbild dem zuvor nur als Werbegrafiker bekannten Gestalter Oskar Hadank, der mit der Frontpartie des Horch 350 sein Können auch auf einem ungewohnten Feld bewies.

Kein Wunder, dass der neugestaltete und noch souveräner motorisierte Horch 350 der bis dahin größte Erfolg der Zwickauer Manufaktur wurde.

Von 1928 bis 1932 – in einer für den Absatz von Luxuswagen in Deutschland denkbar ungünstigen Zeit – fanden fast 3.000 dieser Automobile einen Käufer. Kein anderer deutscher Hersteller von 8-Zylinderwagen konnte da mithalten.

Wer den Horch 350 noch gern aus einer anderen Perspektive sehen würde, dürfte an der folgenden Aufnahme desselben Fahrzeugs Freude haben:

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Horch 350;  Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir “unseren” Berliner Horch irgendwo im Alpenraum, vermutlich ebenfalls Anfang der 1930er Jahre.

Es ist nicht ganz eindeutig, ob der Herr, der sich auf’s Ersatzrad stützt, identisch ist mit der voluminöser wirkenden Person auf der Aufnahme aus Bamberg.

Jedenfalls steht sein (mutmaßlicher) Sprößling auf der anderen Seite dem Horch in punkto kolossaler Erscheinung nicht nach. Wie gesagt, dieses Modell war 1,90 m hoch, doch offenbar waren diese Horch-Besitzer “gut genährt”.

Der Abzug lässt im übrigen einige Details besser erkennen als die erste Aufnahme:

Horch_350_2_Galerie

Hier ist das gekrönte “H” auf der Kühlermaske und die “8” auf der Strebe zwischen den Scheinwerfern klar zu sehen, ebenso das mit einem Bären dekorierte Emblem des “Berliner Automobil Clubs” (BAC).

Die Kühlerfigur – eine geflügelte Weltkugel – verweist auf eine Entstehung ab 1929, zuvor trug der Horch 350 kurzzeitig einen geflügelten Pfeil als Markenzeichen.

Doch dieses Detail behalten wir uns für ein anderes Originalfoto eines Horch 350 mit einer ganz besonderen Karosserie vor…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

Zeitlos aktuell: Adler Standard 6 “Allwetter-Limousine”

Der Juli des Jahres 2017 neigt sich seinem Ende zu. Cabriolet-Fahrer, die auf hochsommerliches Wetter hofften, hatten in den letzten Wochen wenig Spaß.

Selbst schuld, möchte man sagen, wenn man das falsche Auto fährt…

Denn solche Wetterkapriolen gab es schon immer – erinnert sei an Rudi Carells Schlager “Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?” aus den 1970er Jahren und die damaligen Warnungen von Klima”experten” vor einer neuen Eiszeit.

Unsere Altvorderen gingen gelassener mit den unvermeidlichen Schwankungen des Wettergeschehens um und passten sich an.

Wer Ende der 1920er Jahre hierzulande beispielsweise einen der brandneuen 6-Zylindertypen der Frankfurter Marke Adler erstehen wollte, stand vor der Frage: “Welchen Aufbau hätten’s denn gern?”

Für viele Automobilisten, die lange genug mit offenen Tourenwagen im meist feuchtkalten Germanien umhergefahren waren, war die Sache klar:

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Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

“Otto, ich hab’ die Nase voll. Noch ein Jahr mit dem zugigen 6/25 PS tu’ ich mir nicht an. Die haben bei Adler in Frankfurt endlich einen komfortablen neuen Typ aufgelegt, der es mit den Amerikanerwagen aufnehmen kann.”

So stieg ab 1927 wohl so mancher Adler-Fahrer von den Modellen der Nachkriegszeit auf die modernen Typen “Standard 6” und “Standard 8” sowie die äußerlich ähnliche Vierzylinderversion “Favorit” um.

Wer es sich leisten konnte, entschied sich natürlich für die geräumige 6-Fenster-Limousine mit großer Motorisierung (45-50 PS bzw. 70-80 PS):

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Adler “Standard 6” oder “Standard 8”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nie wieder sahen Adler-Automobile so perfekt amerikanisch aus, was durchaus als Kompliment gemeint ist, da die US-Hersteller Ende der 1920er Jahre in fast jeder Hinsicht tonangebend waren.

Zwar hatte man die Vorbilder aus der Neuen Welt im Detail genau studiert und einiges abgekupfert, doch war man bei Adler zumindest nicht so dreist, auch noch die Kühlerpartie einer bestimmten US-Marke zu kopieren – das überließ man Opel…

Was für Karosserien außer der Limousine waren noch für diese modernen Adler-Modelle verfügbar?

Nun, die mächtigen 6- und 8-Zylindermodelle gab es nach wie vor auch als Tourenwagen – der Verfasser hat aber bisher bloß ein Originalfoto von solch einem Exemplar ergattern können:

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Adler “Standard 6” Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Ausführung haben wir bereits vor längerer Zeit auf diesem Blog vorgestellt.

Auch wenn die Aufnahme wenig zu wünschen übrig lässt, wäre ein weiteres Foto des Standard 6 in der Tourenwagenversion durchaus ein Kandidat für einen neuen Blogeintrag.

Der Verfasser hat seither in dieser Hinsicht kein Glück gehabt – vielleicht kann ein Leser eine ähnlich hochwertige Originalaufnahme dieses Typs beisteuern?

Größere Verbreitung hatten offenbar die zweitürigen Cabriolets des Adler “Standard 6”, von denen wir vor längerer Zeit ein besonders schönes Exemplar vorgestellt haben:

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Adler “Standard 6”, 2-Sitzer-Cabriolet: Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Wem diese in jeder Hinsicht perfekte Aufnahme bekannt vorkommt, hat sie entweder auf diesem Blog oder in der Clubzeitschrift des Adler Motor-Veteranen-Clubs schon einmal gesehen.

Ein Originalfoto des Cabriolets von vergleichbarer technischer Qualität und Ausdruckskraft findet sich nicht so leicht wieder. Und wenn doch, bringen wir es hier eines Tages – gern auch aus dem Fundus eines Lesers.

Bleibt noch eine Version – nämlich die, die den Titel dieses Blogeintrags motivierte:

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Adler “Standard 6”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wer auch immer in den späten 1930er oder frühen 1930er Jahren diese Aufnahme machte, verstand etwas von klassischem Bildaufbau und  dramatischer Wirkung  – ganz abgesehen von der kaum zu verbessernden Belichtung.

Den auf der Straße so eindrucksvollen Adler vor der gigantischen Naturkulisse beinahe wie ein Spielzeug zu positionieren, grenzt schon ans Philosophische.

Da besaß einst jemand im Raum Stuttgart (das Kennzeichen verrät es) einen Wagen, der nur für ein Promille der deutschen Bevölkerung erschwinglich war, fuhr damit in die Alpen und platzierte das Gefährt dort so, dass es vor den grandiosen Hervorbringungen der Natur praktisch verschwand.

In dem Bewusstsein der Nichtigkeit menschlichen Tuns schwang aber wohl auch ein wenig Stolz mit, und so wurde das letzte Licht des Tages für den Adler reserviert:

Adler_Standard_6_Allwetter-Limousine_bis 1930_AusschnittWir sind dem unbekannten Fotografen für die kleine Eitelkeit dankbar, denn so können wir aus ungewöhnlicher Perspektive einen Spezialaufbau des Adler “Standard 6” genießen – die sogenannte Allwetter-Limousine.

Im Grunde handelt es sich um eine Limousine mit feststehenden Tür- und Fensterrahmen, aber über den gesamten Fahrgastraum zu öffnendem Dach.

Bei einem Viersitzer würde man von einer Cabrio-Limousine sprechen – einer in Deutschland vor dem 2. Weltkrieg verbreiteten Karosserieform, die die Dichtigkeit und Stabilität einer Limousine mit der Offenheit eines Cabriolets vereinte.

Doch eine Sechsfenster-Limousine mit offenem Verdeck ist schon etwas Besonderes. Und eine kluge Lösung war solch eine “Allwetter-Limousine” obendrein angesichts schon damals ewig unbeständigen Wetters in unseren Gefilden.

Gibt es das heute noch, eine Limousine aus Frankfurt mit drei Sitzreihen, über die volle Länge zu öffnendem Verdeck und einem 6- oder 8-Zylinder? Leider nicht, und das ist nur einer von vielen Verlusten, die in automobiler Hinsicht zu beklagen sind…

Die Pendler, die aus dem Taunus oder der Wetterau kommend täglich nach Frankfurt mit der Bahn hineinfahren und die als Gebäude immer noch existierenden Adler-Werke passieren, wissen vermutlich gar nicht, was dort einst an Qualität entstand.

So wechselhaft und unberechenbar wie das Wetter sind die Zeiten…

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Fund des Monats: Ein Cyclecar von BAJA aus Wien

Für Freunde von Vorkriegsautos gibt es eine einzigartige Vielfalt an Objekten, an denen sich ganz unterschiedliche Leidenschaften entzünden können.

Ob Veteranen der Frühzeit, eigenwillige Modelle der 1920er Jahre, US-Massenfabrikate, reinrassige Rennfahrzeuge oder luxuriöse Manufakturkarosserien – ihren eigenen Reiz haben sie alle.

Eine Kategorie aber ist besonders sympathisch: die Cyclecars. Wer jetzt kein Bild vor Augen hat, dem kann geholfen werden –  mit einer sehr außergewöhnlichen Aufnahme:

BAJA_Cyclecar_Galerie

BAJA Cyclecar; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Was wohl am ehesten ins Auge springt, sind die dünnen Reifen auf Felgen im Motorradformat – ein erstes Merkmal der Gattung Cyclecar.

In vielen Fällen kamen noch freistehende Schutzbleche an den Vorderrädern hinzu, hier aber nicht. Dieses Modell ist auch sonst in einiger Hinsicht speziell.

Eines muss man dem Fotografen lassen: Er hat es verstanden, das Vehikel so abzulichten, dass es wie ein vollwertiges Auto mit zwei Sitzreihen aussieht.

Der Eindruck täuscht. Was hier wie ein erwachsener Spitzkühlertyp daherkommt, besaß bloß eine Sperrholzkarosserie, auch der gewaltige Federweg, den die Schutzbleche vermuten lassen, ist reine Aufschneiderei:

BAJA_Cyclecar_Frontpartie

Die tropfenförmigen Positionsleuchten suggerieren ebenfalls eine Dynamik, die die das Vehikel kaum einlösen konnte.

Was ist das für ein merkwürdiges Geschöpf auf vier dürrren Speichenrädern? Nun, zum Glück kannte der Verkäufer der Aufnahme die Marke.

Hier haben wir es mit einem BAJA zu tun, einem Cyclecar, das von 1921 bis 1925 in Wien gebaut wurde. BAJA steht für die Schöpfer und Produzenten des Mobils – Max Bartsch & Nikolaus von Jakabffy.

Wie viele Cyclecars verfügten die BAJA-Wagen über einen Antrieb, der eher einem Motorrad Ehre gemacht hätte.

Angeboten wurden zugekaufte Ein- und Zweizylinderaggregate mit Hubräumen zwischen 460 und 790 ccm, teils luftgekühlt, teils wassergekühlt. Gemeinsam war ihnen die Montage im Heck und der Kettenantrieb auf die Hinterachse.  

Bei einer Leistung von 3,5 bis etwas über 10 PS kann man sich ausmalen, welche Spitzengeschwindigkeit das BAJA-Cyclecar erreichen konnte – wesentlich mehr als 50-60 km/h dürften es kaum gewesen sein.

Doch dem Insassen “unseres” BAJA-Boliden scheint die bescheidene Leistung keineswegs peinlich gewesen zu sein:

BAJA_Cyclecar_Heckpartie

Immerhin sitzt er am Steuer der zweisitzigen Ausführung – das Ursprungsmodell bot nur Platz für den Fahrer. Daraus kann man ableiten, dass wir hier eine der etwas stärkeren Zweizylinderversionen vor uns haben.

Wer sich fragt, wo denn die Bremsen bei diesem Vehikel sind, ist nicht allein. Vermutlich wirkten sie auf die Antriebswelle. Auch die krummen Speichen am Reserverad und der platte Hinterreifen wirken nicht gerade vertraueneinflößend.

Doch muss man sehen: Cyclecars hatten eine zeitlang ihren Markt, boten sie doch mehr als ein Motorrad und waren zugleich erschwinglicher und sparsamer als ein vollwertiges Auto.

Mitte der 1920er Jahre gab BAJA den Autobau auf, zu einer Zeit, als sich Hanomag anschickte, mit einem weiteren Minimalmobil der Volksmotorisierung zum Durchbruch zu verhelfen – dem 10 PS leistenden “Kommissbrot” – und scheiterte.

Immerhin setzte Hanomag einige tausend seiner “rasenden Kohlenkästen” ab – doch vom BAJA-Cyclecar dürften bloß einige hundert entstanden sein.

Genaues dazu konnte der Verfasser dazu bislang nicht in Erfahrung bringen. Zu den Wagen von BAJA sind in der einschlägigen Literatur nur wenige Zeilen zu finden und in technischer Hinsicht findet sich wenig Konkretes.

Beispielsweise fragt man sich, welche Einbaumotoren zum Einsatz kamen und ob es auf Wunsch Versionen mit leistungsfähigen Aggregaten gab, wie dies bei britischen Herstellern beispielsweise üblich war.

Doch möglicherweise wären die rahmenlosen BAJA-Mobile bärenstarken Motorradmotoren, wie sie von JAP in England oder Columbus in Deutschland erhältlich waren, gar nicht gewachsen gewesen.

Nach der Lage der Dinge dürfte kaum eines dieser eigenwilligen Cyclecars aus Wiener Produktion überlebt haben.

Und was die Dokumentation angeht: Das hier gezeigte Originalfoto scheint derzeit das einzige zu sein, das in der Literatur sowie im Netz verfügbar ist – andere Abbildungen sind Prospekten oder Reklamen entnommen.

Wer dies ein wenig dürftig findet – immerhin war die Zahl der Autohersteller im deutschsprachigen Raum deutlich überschaubarer als in Frankreich etwa –  versteht möglicherweise eine der Motivationen für dieses Blog-Projekt.

Dass übrigens viele Zeitgenossen heute noch Freude an den Überlebenden der Cyclecar-Ära haben, beweisen diese Impressionen vom “Festival of Slowth” im französischen Lantilly:

© Videoquelle YouTube; Urheberrecht: pickprod

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Dem Zenit ganz nahe: Ein Oldsmobile von 1935

Dass alles Menschenwerk vergänglich ist und das große Rad der Zeit alles unter sich zermalmt, ist kein schöner Gedanke – aber einer, der dem Einzelnen dabei hilft, von ihm nicht beeinflussbares Geschehen mit Fassung zu tragen.

So wie die Errungenschaften einer Hochkultur wieder verlorengehen, wenn die sie tragenden Kräfte nachlassen oder verdrängt werden, so ist auch auf der Ebene der technischen Zivilisation keine Führungsposition von Dauer.

Über kurz oder lang erlahmt auf dem Zenit des Erfolgs der Leistungswille, Bequemlichkeit und Nachlässigkeit halten Einzug – machen Platz für junge, hungrige und rücksichtslos Schwächen ausnutzende Konkurrenten.

Das Bild trifft auch auf die US-Automobilindustrie zu, die in den 1930er Jahren einen uneinholbar erscheinenden Vorsprung hatte. Niemand sonst baute so großzügige, leistungsfähige und modern gestaltete Wagen für den Massenmarkt.

Wer damals in Europa ein souverän motorisiertes, prestigeträchtiges Auto suchte, aber nicht die Mittel für die teuren Manufakturwagen hatte, die viele lokale Anbieter im Programm hatten, kam an den “Amerikaner”-Wagen kaum vorbei.

Das galt erst recht für Länder, die über keine nennenswerte heimische Automobilindustrie verfügten. Ein schönes Beispiel dafür ist dieser eindrucksvolle Oldsmobile von 1934, den es einst in die Bergwelt der Schweiz verschlagen hatte:

Oldsmobile_1934_Schweiz_Ausschnitt

Oldsmobile von 1934; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Regelmäßige Leser dieses Vorkriegsauto-Blogs werden sich an den Wagen erinnern – wir haben ihn erst kürzlich ausführlich vorgestellt (Bildbericht).

Man präge sich bei dieser Gelegenheit die Linienführung des Wagens ein: den schrägstehenden Kühlergrill und die damit in Kontrast stehende, fast vertikale Frontscheibe. Auch auf die tropfenförmigen Positionsleuchten und die kantigen Formen des hinteren Kotflügels sei verwiesen.

So sah – wie gesagt – der Oldsmobile des Modelljahres 1934 aus. Wie es der Zufall will, verdanken wir einer Leserin ein zauberhaftes zeitgenössisches Foto aus Familienbesitz, das den Nachfolger aus dem Jahr 1935 zeigt:

Oldsmobile_1935_Galerie

Oldsmobile von 1935; Originalfoto aus Privatbesitz

Natürlich ist das Auto hier nur Staffage, der Fotograf hatte es auf die beiden jungen Damen abgesehen und sie perfekt im Schärfebereich des Objektivs platziert. Ob die beiden Verwandte oder Freundinnen waren, wissen wir nicht.

So sehr sich ihre Kleidung ähnelt, so unterschiedlich sind sie vom Typ her – die eine freundlich-verhalten, beinahe schüchtern und auf sich selbst bezogen, die andere gewinnend, selbstbewusst und raumgreifend.

Zurück zum Auto im Hintergrund. Wie bei der eingangs gezeigten Aufnahme des Oldsmobile von 1934 aus der Schweiz bedurfte es einiger Recherchen, um den Hersteller dieses Wagens und das Modelljahr zu identifizieren.

Am Ende stellte sich das Gefährt als Oldsmobile aus dem Jahr 1935 heraus. Der Vergleich mit dem nur ein Jahr älteren Modell zeigt, was sich alles getan hatte:

Oldsmobile_1935_Frontpartie.jpg

Zwar steht der Kühlergrill nicht mehr ganz so schräg im Wind und hat einige der Zierstreben verloren. Doch ist er deutlich gerundeter und besser an die Karosserie angepasst.

Damit korrespondiert die nun stärker geneigte und pfeilförmig geteilte Frontscheibe, die man am Vorgänger vermisst. Die Kotflügel sind rundlicher und voluminöser  – sie lassen die Radhäuser der späteren 1930er Jahre ahnen, die mit der Karosserie zu verschmelzen begannen.

Wenig getan hatte sich bei den tropfenförmigen Scheinwerfern und der windschnittigen Gestaltung der seitlichen Öffnung in der Motorhaube.

Doch die Positionslampen auf den Vorderschutzblechen künden vom Einfluss eines Entwurfs, der viele Elemente vorwegnahm, die man später am Chrysler Airflow und den Stromlinienwagen von Tatra und Volkswagen wiederfindet.

Die Rede ist vom Briggs-Prototyp von 1933, den wir hier vor längerem anhand eines originalen Pressefotos vorgestellt haben:

Briggs_Prototyp_1933

Briggs Prototype; Pressefoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wie gesagt – hier geht es nur um den Einfluss, den die Gestaltung der Scheinwerfer bei diesem in Europa kaum bekannten, doch für die Entwicklung der Stromlinienautos hochbedeutenden Wagen ausübte.

Bei Oldsmobile beließ man es zwar 1935 bei freistehenden Tropfenscheinwerfern, aber die Positionsleuchten auf den Kotflügeln wurden im selben Stil wie beim Briggs Prototype ausgeführt:

Oldsmobile_1935_Frontpartie2

Auf zwei Dinge sei bei dieser Ausschnittsvergrößerung noch hingewiesen:

Das eine ist das eigentümliche Emblem auf dem Kühlergrill, auf dem die Buchstabenfolge “…ACAR” sicher zu lesen ist. Hier kann vielleicht ein sachkundiger Leser weiterhelfen.

Keine Probleme dagegen bereitet die Interpretation des Schattenwurfs der Stoßstange des Oldsmobile. Demnach muss diese Aufnahme zur Mittagszeit entstanden sein, als die Sonne ihren sommerlichen Höchststand erreichte.

So hoch im Zenit steht die Sonne jedoch in unseren Gefilden nie. Tatsächlich entstand dieses Foto weiter südlich – in Siebenbürgen, das mehrheitlich von Deutschen bewohnt wurde, aber nach dem 1. Weltkrieg von den Siegermächten Rumänien zugesprochen wurde.

Unsere adretten Fotomodelle konnten sich damals glücklich schätzen, dort in offensichtlich wohlhabenden Verhältnissen aufzuwachsen. Denn so ein Oldsmobile verfügte je nach Austattung über kraftvolle 6- oder 8-Zylindermotoren mit über 80 PS und eine luxuriöse Ausstattung.

Das wird die beiden Blondinen nicht im Detail interessiert haben, doch Haushalte mit Automobilen waren dermaßen selten, dass sie wussten, wie gut es ihnen ging:

Oldsmobile_1935_Porträt

Womöglich hält diese Aufnahme aber auch den Zenit ihres Daseins fest, denn wenige Jahre später begann der 2. Weltkrieg, in dem Rumänien anfangs mit Deutschland verbündet war, doch später die Seiten wechselte.

Das Kriegsende und die Jahre unter rumänischer Herrschaft bedeutete für die Deutschen in Siebenbürgen bittere Zeiten, über die hierzulande Aufgewachsene kaum etwas erfahren haben, wenn nicht die eigene Familie betroffen war.

So erinnert das alte Foto eines Oldsmobile daran, wie vergänglich das Glück und vermeintlich gesicherte Positionen sein können.

Auch die US-Autoindustrie war damals ihrem Zenit nahe. Nach dem dank überlegener Industriekapazität und Logistik gewonnenen Krieg sollte der unaufhaltsame Abstieg beginnen…

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Wegbereiter des 6-Zylinders in der Mittelklasse: Stoewer D5

Befasst man sich mit den deutschen Autoherstellern in den späten 1920er Jahren, kann man den Eindruck gewinnen, dass diese erst angesichts der Konkurrenz von US-Importwagen ebenfalls darauf kamen, 6-Zylindermotoren zu verbauen.

Direkt nach dem 1. Weltkrieg produzierten die meisten Autobauer hierzulande erst einmal die Vierzylindermodelle der Vorkriegszeit weiter.

In der Oberklasse gab es vereinzelt deutsche 6-Zylinder wie den Opel Typ 21/55 PS oder den Mercedes 28/95 PS, den wir hier gelegentlich ebenfalls zeigen werden.

Doch diese Hubraumriesen waren Vorkriegskonstruktionen und wurden für eine verschwindend kleine Klientel gebaut, die sich so etwas noch leisten konnte.

Andere deutsche Hersteller wie Brennabor, die vor dem 1. Weltkrieg bereits 6-Zylindermodelle anboten, verlegten sich erst einmal auf Vierzylinder.

Doch es gab eine Firma, die schon immer einiges gern anders machte als die Konkurrrenz und die nach dem 1. Weltkrieg einen neu entwickelten 6-Zylinderwagen in der Mittelklasse anbot – Stoewer aus Stettin.

Die einst hochangesehene, 1945 untergegangene Marke fertigte wie viele andere Hersteller der Zwischenkriegszeit selten Autos, die sich wirtschaftlich rechneten. Doch was sie baute, war fast immer von besonderer Qualität.

Das mit Abstand erfolgreichste Stoewer-Modell der frühen 1920er Jahre war der Typ D3, dem wir schon auf einigen Originalfotos begegnet sind.

Hier eine weitere, bisher unpublizierte Aufnahme des Volumenmodells mit 24 PS leistendem Vierzylinder:

Stoewer_D3_1921_Galerie

Stoewer Typ D3; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Mit einer derartig exaltierten Karosserie kamen nur wenige Stoewer D3 daher.

Der ungewöhnlich starke Anstieg der Gürtellinie mit glattflächig integriertem Verdeckkasten und der kesse Schwung des Heckkotflügels verleihen dem Wagen eine äußerliche Dynamik, der nur moderate Fahrleistungen gegenüberstanden.

Doch für unsere Vorfahren, die an den Folgen des 1. Weltkriegs schwer zu tragen hatten, war solch ein Automobil eine Erscheinung wie aus einer anderen Welt.

Allein der tiefe Glanz des damals verarbeiteten Nitrolacks ließ solch einen Tourenwagen als prächtiges Luxusprodukt erscheinen – ganz gleich, was für ein Motor unter der Haube arbeitete.

Zudem war ein solches Manufakturfahrzeug von Hand modelliert und besaß die plastische Wirkung einer Skulptur – die vielen Brechungen und Reflektionen auf dem Blech künden von einer lebendig gestalteten Oberfläche:

Stoewer_D3_1921_Frontpartie

Sehr schön sieht man hier, wie vom vorderen Ende der Motorhaube eine Linie schräg nach oben über den Windlauf auf die gepfeilte Frontscheibe zuläuft, die diese fortzusetzen scheint.

Selbst im Stillstand sieht man förmlich den Wind den Wagen entlangströmen – so früh war das Bewusstsein für Aerodynamik im Entstehen begriffen.

Auf diesem Ausschnitt erkennt man übrigens auch, dass die Vorderkante des Spitzkühlers nicht ganz senkrecht, sondern leicht schräg verläuft. Daran kann man einen Stoewer D-Typen von den recht ähnlichen NAG C4 und D4-Modellen unterscheiden, wenn man nur eine Seitenaufnahme vor sich hat.

Sollte hier nicht die Rede von den Stoewer-Sechszylindermodellen sein? Gewiss, doch dazu gehört, sich die Proportionen und Linien des zeitgleich gebauten 4-Zylindertyps einzuprägen – einschließlich der Lage des Ersatzrads.

Das folgende Originalfoto zeigt nun einen der eindrucksvollen 6-Zylinder-Tourenwagen des pommerschen Herstellers:

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Stoewer Typ D5; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Technisch kann diese Aufnahme zwar nicht mit der vorherigen des Stoewer D3-Typs mithalten – vermutlich hat das Negativ bei der Aufnahme aufgrund einer Undichtigkeit in der Kamera Seitenlicht bekommen. 

Doch klar ist: Dieser Stoewer war eine ganze Nummer größer als der Typ D3. Man vergleiche nur das Verhältnis von Motorhaube zum Windlauf. Zudem ist das Reserverrad nach vorn ins Schutzblech gewandert.

Hier ist übrigens gut zu sehen, dass die Vorderkante des Kühlers leicht von der Vertikalen abweicht. Als Maßstab dafür darf man freilich nicht die Kanneluren in den Pilastern des Gebäudes dahinter nehmen, sondern muss die Gürtellinie des bewusst “schräg” aufgenommenen Wagens als Referenz heranziehen:

Stoewer_D5_a_04-1925_Frontpartie

Zugegeben, so dynamisch wie der zuvor gezeigte Stoewer D3 wirkt dieses Fahrzeug nicht. Man hatte für die Montage des 3,1 Liter großen und 36 PS leistenden 6-Zylindermotors offenbar nicht nur das Chassis um fast 40 cm verlängert.

Bei diesem Aufbau scheint man auch sonst einem möglichst voluminösen Erscheinungsbild den Vorzug gegeben zu haben. Andere Wagen desselben Typs wirken eleganter und besaßen dieselbe schrägstehende Frontscheibe wie der D3.

Doch die einstigen Besitzer müssen mit ihrem 6-Zylinder-Stoewer sehr zufrieden gewesen sein. Noch im Jahr 1925 – das ist das Aufnahmedatum – war ein Tourenwagen mit 90 km/h Spitzentempo eine echte Ansage.

Ausfahren ließ sich das auf den damaligen Straßen kaum, doch verfügte man damit über reichlich Reserven gerade für Reisen in bergigen Gegenden. Mit so einem Wagen war endlich eine Alpenüberquerung drin – damals wie heute ein Traum.

Hier wusste einst jemand, was für ein außergewöhnliches Automobil so ein Stoewer 6-Zylinderwagen darstellte, und so entstand bei der Gelegenheit eine weitere Aufnahme desselben Autos am gleichen Ort:

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Stoewer Typ D5; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ohne die erste Aufnahme dürfte die Identifikation des Wagens aus diesem Blickwinkel nahezu unmöglich sein. Ein Foto eines Stoewer D5 aus dieser Perspektive ist damit eine veritable Rarität.

Hier bekommt man einen noch besseren Eindruck von den Ausmaßen des Fahrzeugs. Leider ist der am Heck angebrachte Koffer abgeschnitten. Dafür sieht man Details wie die hinteren Blattfederaufnahmen und den Tank – so funktionell war das Erscheinungsbild vieler Fahrzeuge bis etwa 1930.

Interessant und möglicherweise aufschlussreich ist bei dieser Aufnahme auch das Umfeld:

Stoewer_D5_b_04-1925_Ausschnitt2.jpg

“Unser” Stoewer steht vor einer Kneipe, die den Namen “Zum Spiess” trug und sich in der “Bessemer Straße” befand. Die Örtlichkeit sollte sich doch identifizieren lassen, auch wenn der Verfasser bislang daran gescheitert ist.

Möglicherweise sieht es dort heute infolge von Bombenkrieg und Wiederaufbau ganz anders aus – in Berlin und Frankfurt war jedenfalls eine Google-Earth-Suche erfolglos – doch möglicherweise gibt es andere alte Aufnahmen oder Postkarten.

Wer mehr weiß, möge dies bitte über die Kommentarfunktion kundtun. Bei überzeugenden Vorschlägen wird der Blogeintrag entsprechend ergänzt.

Eine letzte Anmerkung zu den 6-Zylindermodellen von Stoewer aus den frühen 1920er Jahren. Neben dem hier abgebildeten Typ D5 wurde 1921 eine stärkere Version gebaut, die 55 PS aus knapp 5 Liter Hubraum leistete – der D6.

Es ist nicht auszuschließen, dass unser Foto ein Exemplar davon zeigt – bloß ist das sehr unwahrscheinlich, da weniger als 100 davon entstanden…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

Ein DKW mit 6 Zylindern: der Audi “Front”

Die sächsische Marke DKW – speziell ihre Frontantriebswagen – gehören zu den häufigsten “Gästen” auf diesem Oldtimerblog für Vorkriegsautomobile.

Dabei sind wir schon einigen Spezialausführungen begegnet wie dem schicken F5 Front Luxus Roadster oder dem rassigen Tornax Rex. Doch selbst die besaßen nie mehr als zwei Zylinder und arbeiteten nach dem Zweitaktprinzip.

Da mutet ein 6-Zylinder-DKW doch arg unglaubwürdig an – auch die eher seltenen Hecktriebler aus Zwickau mussten sich mit vier Töpfen begnügen.

Dennoch lässt sich die These vertreten, dass DKW einst auch Sechszylinderwagen vom Stapel ließ – die bloß als Audi verkauft wurden.

Das zu erklären, ist nicht ganz einfach. Am besten beginnen wir mit dem Audi, den wir hier zuletzt anhand eines Fotos eines Lesers vorstellen konnten:

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Audi Typ M 18/70 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Das ist der mächtige Audi Typ M 18/70 PS mit 4,7 Liter großem 6-Zylindermotor, der bis 1928 in rund 230 Exemplaren gebaut wurde. Die Stückzahl verrät bereits, dass Audi damals Manufakturwagen produzierte.

Daneben meinte man mit einem 8-Zylinderwagen glänzen zu müssen, dem nur 145mal gebauten “Imperator”.

Die Leserschaft wird es verzeihen, dass der Verfasser in diesem Fall auf eine Werksaufnahme aus seinem Archiv zurückgreifen muss – private Fotos dieses Dinosauriers sind nun einmal äußerst rar:

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Audi Typ R 19/100 PS Imperator; Werksaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Auf diesen 100 PS starken Koloss im “Amerikaner”-Stil wollen wir an dieser Stelle nicht näher eingehen.

Das Fahrzeug illustriert aber, in welcher Nische sich Audi Ende der 1920er Jahre bewegte. Versuche, die Produktionskapazität auszuweiten, scheiterten an Kapitalmangel und fehlenden Typen, die dafür geeignet gewesen wären.

Am Ende waren die hochverschuldeten Audi-Werke nur noch Verfügungsmasse der Banken, die diesen Ballast geschickt bei DKW platzierten, deren Chef Rasmussen damals eine kühne Expansionsstrategie verfolgte.

Nach der Übernahme durch DKW im Jahr 1928 wurden im Audi-Werk noch eine Weile Achtzylinderwagen produziert, doch der Absatz ging immer weiter zurück.

Daran war DKW nicht ganz unschuldig. Denn auch dort hatte man sich in Sachen 8-Zylinderwagen verkalkuliert. DKW hatte in den USA das “Rickenbacker”-Motorenwerk gekauft und dessen Maschinen nach Deutschland verschifft.

Die auf Weisung von DKW mit Rickenbacker-Motoren gebauten 8-Zylinder-Audis erwiesen sich als Desaster.

Unterdessen hatte DKW-Chef Rasmussen jedoch erkannt, dass sich das Zwickauer Audi-Werk viel besser zur Massenproduktion des neu entwickelten DKW-Front-Typs eignete, der ein Riesenerfolg werden sollte.

Hier haben wir die Ausbaustufe DKW F4, wie sie 1934/35 gebaut wurde:

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DKW F4 Front; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Schon bei den DKW-Kleinwagen hatten die Zwickauer gezeigt, wie attraktiv man Fronttriebler verpacken konnte und wie gut sie sich verkaufen ließen, wenn man über ausreichende Produktionskapazität verfügte.

Die hatte DKW in Zwickau in Form des Audi-Werks. Dennoch plante man für die einverleibte Marke eine neue Karriere als Hersteller frontgetriebener Wagen, die oberhalb der DKWs angesiedelt waren.

1933 war es soweit – der erste Audi Front wurde präsentiert:Audi_Front_Anfang_1933_Galerie

Das soll ein Fronttriebler sein? Tja, so ändern sich die Zeiten.

Heute geht der Vorderradantrieb mit banalster Gestaltung einher, und die Käufer scheinen in dieser Hinsicht entsprechend abgestumpft zu sein. Doch in den frühen 1930er Jahren waren frontgetriebene Autos in Europa die Speerspitze des Fortschritts und entsprechend selbstbewusst kamen diese Wagen daher.

Zudem war in den 1930er Jahren noch die Kunst stilsicherer Formgebung lebendig und man nutzte plastische Gestaltungstechniken statt Computer-Design – ein Grund für die skulpturenhafte Anmutung vieler Autos jener Zeit.

Übrigens war in der Zwischenzeit auf Betreiben der Gläubigerbanken DKW nebst Tochter Audi mit Horch in der Auto Union zusammengefasst worden, zu der sich noch Wanderer aus Chemnitz gesellte, was Anlass zum legendären Emblem aus vier ineinandergreifenden Ringen gab.

So kam im ersten Audi Front kurzerhand ein Wanderer-Sechszylindermotor mit 40 PS zum Einsatz. Für den Frontantrieb waren einige Anpassungen erforderlich, doch das zunächst knapp 2 Liter messende Aggregat fügte sich gut ein.

Man erkennt die ganz frühen Exemplare des Audi Front vor allem am Fehlen seitlicher “Schürzen” an den vorderen Schutzblechen:

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Audi Front 8/40 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wer hier spontan an einen Horch denkt, hat vermutlich die “1” auf dem Kühler übersehen – das Erkennungszeichen der Audis seit 1923. Ansonsten ist die stilistische Ähnlichkeit durchaus gegeben.

Die Form der seitlichen Luftklappen in der Motorhaube entspricht zwar nicht dem Erscheinungsbild der frühen Limousinen, doch hier haben wir ein Cabriolet, das in der Regel von Gläser in Dresden gebaut wurde und solche Details aufwies.

Leider ist die Qualität der Aufnahme zu schlecht, um die markante “Gläser”-Plakette erkennen zu können, die meist unten vor der A-Säule angebracht wurde.

Nicht viel besser ist das folgende Foto, doch private Aufnahmen von Audis der Vorkriegszeit sind so selten, dass man nehmen muss, was man kriegen kann:

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Audi Front 8/40 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Trotz der Unschärfe lässt sich dieser Audi Front sehr genau datieren. Er weist noch die seitlichen Luftklappen auf, die im Frühjahr 1934 Schlitzen wichen. Gleichzeitig verfügt er über Kotflügelschürzen, die erst ab Herbst 1933 auftauchten.

Man mag kaum glauben, dass sich ein so edles Auto nur schleppend verkaufte. Einer der Gründe war die geringe Leistung – selbst die eher biederen Hanomag-Sechszylinder des Typs “Sturm” leisteten 50 PS.

Daher verbaute man ab 1934 beim Audi Front einen ebenfalls 50 PS leistenden Motor, dessen Hubraum (2,25 Liter) nun Einzug in die offizielle Bezeichnung hielt: Audi Front Typ 225.

Der neue Motor wurde wieder von Wanderer übernommen, galt aber als sehr durstig. Auch andere Mängel lasteten auf dem Image des überarbeiteten Modells.

Erst die 1936 vorgestellte, optisch und technisch weiter verfeinerte Version Audi Typ 225 Luxus wusste vollends zu überzeugen. Dazu trug auch die nochmals gesteigerte Motorleistung von 55 PS bei:

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Audi-Reklame ab 1936; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Außer der gestiegenen Motorleistung sind dieser historischen Reklame weitere Details zu entnehmen:

Auf der Mittelstrebe des Kühlers prangt das Auto-Union-Emblem, das bei den ganz frühen Exemplaren des Audi Front noch fehlte.

Außerdem sieht man zwei übereinanderliegende Reihen Kühlluftschlitze, die bis Produktionsende 1938 beibehalten wurden. Rund 4.400 Exemplare des auf DKW-Initiative entstandenen Audi “Front” entstanden bis dahin.

Zwar liest man bisweilen wie im Fall von DKW oder Adler, dass die frontgetriebenen Audis nach Kriegsbeginn 1939 von der Requirierung für die Wehrmacht verschont blieben, weil sie als untauglich galten.

Doch Fotos von Frontantriebswagen aller drei genannten Marken finden sich zahlreich in den Fotoalben deutscher Soldaten und das nicht nur bei Versorgungseinheiten hinter der Front.

Es wäre ja auch merkwürdig, dass ausgerechnet der frontgetriebene Citroen 11 CV eines der verbreitetsten und beliebtesten Beutefahrzeuge bei der Truppe war und die Fronttriebler aus eigener Produktion verschmäht worden sein sollen.

Einen einst im Dienst der Wehrmacht gelaufenen Audi Typ 225 Luxus zeigt wahrscheinlich auch diese Aufnahme:

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Audi Typ 225 Luxus, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der durchgehend matte Lack und das verlorengegangene Auto-Union-Emblem auf dem Kühler machen einen Einsatz im Krieg wahrscheinlich.

Auch die nicht originale Stoßstange spricht dafür, dass wir es mit einem Veteranen zu tun haben, der nach dem Krieg in neue Hände kam, die auf Originalität wenig Wert legten.

Vielleicht kann ein Leser sagen, auf welche Nationalität das merkwürdige Kennzeichen verweist. Mangels Kombinationsmöglichkeiten kann es nur zu einem kleinen Staat oder einer Organisation mit begrenzter Fahrzeugzahl gehört haben.

Der Verfasser ist für alle Hinweise in dieser Richtung dankbar!

Literatur: Audi-Automobile 1909-40, von Peter Kirchberg und Ralf Hornung, Verlag Delius Klasing, 2. Auflage 2015

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Felix Austria: Fahrgenuss mit dem Steyr Typ V 12/40 PS

Wer sich im Geschichtsunterricht nicht gerade anderweitig beschäftigte, erinnert sich gewiss an den Wahlspruch des Hauses Habsburg, der einstigen österreichischen Herrscherdynastie:

“Bella gerant alii, tu felix Austria nube!” – “Andere (Herrscher) mögen Kriege führen (um ihren Machtbereich auszudehnen), Du (aber), glückliches Österreich, heirate!”

In der Tat ist man mit diesem Motto lange Zeit gut gefahren und hat es weitgehend friedlich bis zum Riesenreich Österreich-Ungarn gebracht.

Doch mit dem Glück war es 1914 vorbei: Mit dem Serbienkrieg ignorierten Österreich und das verbündete Deutsche Reich die gezielt eingegangenen Allianzen der sie umgebenden Großmächte Russland, England und Frankreich – so wurde aus einem lokalen Konflikt der 1. Weltkrieg.

Am Ende hatte Österreich nicht nur den Krieg verloren, sondern die meisten der über Jahrhunderte hinzugewonnenen Besitzungen. Dennoch scheint sich Österreich nach dem 1. Weltkrieg rasch mit der neuen Rolle als ein kleiner Staat unter vielen abgefunden zu haben.

Politisch und ökonomisch war dagegen Deutschland der große Verlierer, was tiefe Spuren im Selbstbewusstsein hinterließ – mit bekannten Folgen.

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Aus Frankreich zurückkehrende deutsche Truppen auf der Rheinbrücke bei Worms Ende November 1918; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nach 1918 lassen sich auch in der Entwicklung der Automobilindustrie der beiden Länder unterschiedliche Wege erkennen.

Von wenigen Ausnahmen abgesehen hielten die deutschen Hersteller lange an überholten Konzepten fest – technisch wie gestalterisch. Daran änderte auch die Sonderkonjunktur der Inflationszeit nichts, als Automobile eine der besten Anlagen darstellten, die man mit Papiergeld tätigen konnte

Verschlafen wurde vor allem der Trend zur Massenfabrikation einfacher, zugleich leistungsfähiger und zuverlässiger Fahrzeuge.

Bei einer Bevölkerung von über 60 Millionen Menschen blieb die Fahrzeugdichte weit niedriger als in Frankreich und England, von Amerika ganz zu schweigen.

Kein Wunder also, dass die auf diesem Oldtimerblog ausgiebig gewürdigten US-Fabrikate bis Ende der 1920er Jahre auch hierzulande enorm erfolgreich waren.

Was machten unterdessen die kleinen österreichischen Hersteller? Nun, sie behielten ebenfalls die Manufakturfertigung bei, boten aber oft modernere und leistungsfähigere Technologie.

Anhand dieses Steyr Typ V 10/40 PS wollen wir uns näher mit dem Ansatz  der österreichischen Nachbarn beschäftigen:

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Steyr Typ V 10/40 PS; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Erstaunlich ist: Die in Steyr ansässige „Österreichische Waffenfabriks-Gesellschaft“ begann überhaupt erst 1919/20, Steyr-Automobile zu bauen.

Zum Glück hatte man den richtigen Mann an Bord geholt, Hans Ledwinka, der später bei Tatra noch zu großer Form auflaufen sollte. Ledwinka blieb Steyr zwar nur bis 1921 erhalten. Doch hinterließ er eine Konstruktion, die den Ruf der Marke als Hersteller feiner, sportlicher Automobile begründete:

Ein 6-Zylindermotor mit 3,3 Liter Hubraum mit obenliegender Nockenwelle und V-förmig angebrachten Ventilen ermöglichte in Verbindung mit einer kugelgelagerten (!) Kurbelwelle eine besonders drehfreudige Charakteristik.

Diese fortschrittliche Konstruktion kennzeichnete etliche Steyr-Typen der 1920er Jahre. Auf den ab 1920 in Serie gebauten Typ II (der Typ I war nur ein Prototyp) folgte 1924 in derselben Klasse das 40 PS starke Modell V auf unserem Foto.

Die Identifikation fällt bei dieser Aufnahmequalität nicht schwer:

Steyr_Typ_V_Tourenwagen_Frontpartie

Auf der Nabenkappe steht (auf dem Kopf) STEYR, auch auf dem Kühleremblem ist die zweite Hälfte des Namens ansatzweise zu lesen – umgeben von einem Fadenkreuz, das an das Hauptgeschäft der Firma erinnert.

Die Kühlermaske erinnert an Benz- und Mercedes-Modelle jener Zeit, doch treffen sich bei den Steyr-Wagen die vertikale und die horizontale Linie des Kühlerausschnitts fast rechtwinklig.

Bei Benz und Mercedes – sowie Puch und anderen Herstellern – stellt dagegen eine Diagonale die Verbindung zwischen der Horizontalen und der Vertikalen her. Das sieht dann so aus wie auf dieser Aufnahme:

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Benz 10/30 PS, 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Den Benz-Freunden sei an dieser Stelle versprochen, dass “ihre” Marke demnächst ebenfalls wieder anhand historischer Fotos aus der Sammlung des Verfassers gewürdigt wird.

Unterdessen mag ein Steyr-Kenner einwenden, dass der eingangs präsentierte Wagen doch ebenso ein ab 1925 gebauter Typ VII sein könnte, denn der sah trotz auf 50 PS erhöhter Leistung fast genau so aus.

Doch das Fehlen von Bremstrommeln am Vorderrad sagt uns, dass wir eher einen Steyr Typ V vor uns haben. Zwar waren die Vorderradbremsen beim stärkeren Typ VII aufpreispflichtig, doch auf Bildern des Modells in der Literatur sieht man sie praktisch durchgängig.

Der Fahrer des Wagens könnte uns das vermutlich bestätigen, doch scheint er nicht für ein Gespräch aufgelegt zu sein…

Ihn nervt sicher der Koffer auf dem Fahrersitz, der sich in flott gefahrenen Linkskurven selbstständig macht – einen Kofferraum hatte so ein Tourenwagen ja nicht.

Steyr_Typ_V_Tourenwagen_Fahrer

Vermutlich bevorzugten die Herrschaften im Fond eine beschauliche Fahrweise und wussten womöglich gar nicht, welche technischen Leckerbissen sich unter der Haube ihres Wagens verbargen.

Ihnen dürfte das exklusive Vergnügen wichtiger gewesen zu sein, einen der schnittigen und ausgezeichnet verarbeiteten Steyr Typ V zu besitzen, von dem keine 2.000 Exemplare gebaut wurden.

Übrigens hatten wir vor einem Jahr schon einmal mit solch einem Prachtstück zu tun, sprachen dieses damals aber noch als Steyr Typ VII an:

Steyr_Typ_V_Galerie

Steyr Typ V; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Foto mit kühner Perspektive sowie perfekter Belichtung und Tiefenschärfe zeigt aber eher ebenfalls einen Steyr des Typs V. Das legt zumindest das Fehlen der vorderen Bremstrommeln nahe.

Die Kühlerfigur zeigt übrigens einen Hund, der „Männchen“ macht. Mit kleinen Accessoires wie diesem individualisierte man einst sein Automobil.

Wer sich so einen Wagen leisten konnte, hatte auch das Geld für einen handwerklich geschaffenen Kühlerschmuck. Solche nach Kundenwunsch angefertigten Kühlerfiguren waren oft kleine Kunstwerke und sind ein Sammelgebiet für sich.

Und das waren die Leute, die sich so etwas gönnten:

Steyr_Typ_V_Tourenwagen_Insassen

In welcher Beziehung die fünf aufmerksam in die Kamera schauenden Personen zueinanderstanden, bleibt offen.

Besonders würdevoll schaut der ältere Herr hinter dem fröhlichen Fahrer drein – sicher ist er noch im 19. Jahrhundert großgeworden.

Zusammen mit dem Fotografen müssen hier sechs Personen an einem sonnigen Tag unterwegs gewesen. Der beachtliche Radstand des Steyr wird drei Sitzreihen ermöglicht haben, sodass unsere kleine Gesellschaft bequem darin Platz fand.

Man kann sich anhand der Höhe des Trittbretts vorstellen, dass man in einen solchen großzügigen Wagen noch hinein“stieg“. Heute ist speziell für die Passagiere im Fond eher „bücken“ angesagt und an die einstige Aussicht der rückwärtigen Insassen ist selbst in modernen Cabrios nicht zu denken…

Wer vom rundherum sinnlichen Erlebnis der Welt im Automobil träumt, muss sich eben einen der Tourenwagen der Zwischenkriegszeit zulegen!

Glückliches Österreich, das nach dem 1. Weltkrieg solche herrlichen Automobile bauen konnte – doch wo sind sie geblieben?

Literatur: Die Steyrer Automobil-Geschichte, von Hubert Schier, Verlag Ennsthaler, 2015, ISBN: 978-3850689267

Internet: http://www.steyrer-automobilgeschichte.at/

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Offenes Geheimnis: Wanderer 10/50 PS Cabriolet (W11)

Der gestrige Blogeintrag befasste sich mit der Herausforderung, die die preisgünstigen 6-Zylinderwagen aus US-Großserienproduktion ab Mitte der 1920er Jahre für die rückständige deutsche Autoindustrie darstellten.

Eine der frühesten Antworten darauf gab die Frankfurter Marke Adler im Jahr 1927 mit dem Typ “Standard 6”, den wir (nebst Verwandten wie dem “Favorit”)  schon besprochen haben – in zeitgenössischen Originalfotos, versteht sich.

1928 folgte im sächsischen Chemnitz die bis dahin ebenfalls im Tiefschlaf liegende Marke Wanderer. Aus dem Motor des grundsoliden, aber der Konkurrenz aus Übersee unterlegenen Vierzylindertyps 10/30 PS (W10) leitete man einen Sechszylinder ab, der aus 2,5 Liter Hubraum beachtliche 50 PS leistete.

Damit sicherte man sich zugleich produktionstechnische Vorteile, denn das neue Aggregat hatte viele Teile mit dem parallel weitergebauten Vierzylinder gemeinsam.

Mit dem weich laufenden, kraftvollen Antrieb und einer nach US-Vorbildern überarbeiteten Frontpartie rückte Wanderer eine ganze Klasse nach oben.

Wie eindrucksvoll die neuen 10/50 PS-Wagen daherkamen, das konnten wir bereits vor längerem an dieser schönen Aufnahme sehen:

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Wanderer 10/50 PS (W11); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier hatten die Techniker und Gestalter von Wanderer endlich ganze Arbeit geleistet. Damit konnte man sich blicken lassen!

Neben dem 6-Zylindermotor, der schaltfaules Fahren erlaubte, hatte man dem neuen Spitzenmodell hydraulische Vierradbremsen spendiert. Die Kühlermaske war nun voll verchromt und besaß von innen verstellbare Lamellen.

Neu war auch das geflügelte “W”, das Vertriebsvorstand von Oertzen ersonnen hatte – er war auch bei der Imagekampagne federführend, die Wanderer damals erfolgreich in die Reihe der gehobenen Adressen rückte.

Die Scheibenräder, die profilierten Schutzbleche, die Fahrtrichtungsanzeiger auf denselben, die Positionsleuchten sowie die Doppelstoßstange behalten wir an dieser Stelle im Hinterkopf – darauf kommen wir zurück.

Hier nun die eigentliche Aufnahme, um die es heute gehen soll – sie wurde uns von Leser Marcus Bengsch zur Verfügung gestellt, der aus seiner Sammlung bereits zwei hochkarätige Fotos von Röhr-Automobilen beigesteuert hat (hier und hier):

Wanderer_W11_1929-30_Harzburg_Pfingsten_1932_Sammlung_Bengsch_Galerie

Wanderer 10/50 PS (W11); Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Auf den ersten Blick glaubt man kaum, dass dieser kompakt erscheinende Wagen ebenfalls ein Sechszylindertyp von Wanderer ist – noch dazu aus derselben Zeit.

Die andersartige Wirkung hat zum einen mit der hellen Lackierung zu tun, zum anderen mit dem Aufbau als zweitüriges Cabriolet.

Kein Wunder, dass der Verfasser das Auto erst einmal in die Vierzylinderschublade steckte – die zeitgleich mit dem Wanderer W11 gebauten kleineren W10/III-Modelle waren optisch entsprechend aufgewertet worden.

Der hohe Schweller mit den beiden horizontalen Sicken ist aber ein untrügliches Zeichen, dass wir hier tatsächlich ein 6-Zylindermodell vor uns haben. Auch die Größe der Insassen in Relation zum Aufbau verrät: das ist ein erwachsenes Auto!

Nun aber zu den Details – hier die Frontpartie in der Vergrößerung:

Wanderer_W11_1929-30_Harzburg_Pfingsten_1932_Sammlung_Bengsch_Frontpartie

Wir sehen wieder: schüsselförmige Scheibenräder, verchromte Doppelstoßstange, Chromkühler mit lackierten Lamellen, Wanderer-Emblem und -Kühlerfigur sowie die ausgeprägten Sicken in den Schutzblechen.

Auch die vollverchromten Scheinwerfer entsprechen dem Erscheinungsbild der Limousine. Die Scheibenräder wurden im Frühjahr 1929 eingeführt. Kühler und Schutzbleche in dieser Ausführung gab es nur bis Ende 1930.

Anhand dieser Beobachtugen können wir die Bauzeit beider Autos recht genau eingrenzen: 1929/30 – das ist nicht immer so einfach. Doch aufmerksame Leser werden sich fragen: Was ist mit den Fahrtrichtungsanzeigern passiert?

Ein interessanter Punkt, denn sie wichen erst Ende 1930/Anfang 1931 Winkern – am Frontscheibenrahmen. Die Erklärung hat mit dem “offenen Geheimnis” zu tun, das im Titel dieses Blogeintrags anklang.

Denn wer sich näher mit der Marke Wanderer befasst, stellt fest, dass es bei den offenen Varianten eine enorme Vielfalt an Karosserien und Detaillösungen gab. Das gilt besonders für das hier gezeigte zweitürige Cabriolet:

Wanderer_W11_1929-30_Harzburg_Pfingsten_1932_Sammlung_Bengsch_Seitenpartie

Ganz offensichtlich ist dies ein viersitziges Fahrzeug, doch die Ausführung mit nur zwei Türen und zwei Fenstern lässt den Wagen beinahe sportlich wirken.

Es ist wohl kein Zufall, dass die reizvollsten Karosserien auf Basis des Wanderer 10/50 PS (W11) eine Variation über dieses Thema darstellten.

Die Literatur (“Wanderer Automobile” von Thomas Erdmann/Gerd G. Westermann, Verlag Delius Klasing) führt als Hersteller solcher zweitüriger Cabrios auf Basis des Wanderer W11 einige der angesehensten deutschen Karosseriebauer auf:

  • Gläser aus Dresden, Baur und Reutter aus Stuttgart, Drauz aus Heilbronn, Hebmüller aus Wülfrath, Neuss aus Berlin und Zschau aus Leipzig.

Im Unterschied zu Mercedes-Benz etwa gab es bei Wanderer keine Werkskarosserien. Allenfalls bei der Limousine darf man annehmen, dass viele davon einen konventionellen Aufbau von Ambi-Budd erhielten.

Die offenen Karosserien dagegen waren individuell und das könnte das Fehlen der Blinker auf den Kotflügeln erklären. Vielleicht sind sie auch später ersetzt wurden, als Winker auf Türhöhe statt am Fensterrahmen angebracht wurden.

Wie auch immer: An der Identifikation des Wagens als Wanderer 10/50 PS (W11) von 1929/30 kann kaum ein Zweifel herrschen. Nur das “offene Geheimnis” hätte der Verfasser gern noch geklärt: Wer war der Lieferant dieses Aufbaus?

Vermutlich nicht dabei helfen wird folgende Information, die der Rückseite des Abzugs zu entnehmen ist: Demnach entstand dieses Foto an Pfingsten 1932 in Bad Harzburg (Niedersachsen), das Kennzeichen passt dazu.

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

Zufälle gibt’s – ein Essex von 1930 in Sachsen!

Bei der Beschäftigung mit Vorkriegsautos auf historischen Privatfotos – dem Schwerpunkt dieses Oldtimerblogs – stößt man immer wieder auf (vermutlich) hoffnungslose Fälle wie den folgenden:

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Unbekannte Limousine bei Lindau; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

 

Vor einer in sanftes Abendlicht getauchten Landschaft in der Bodenseeregion stand im Jahr 1928 einst diese großzügige Sechsfensterlimousine mit Zulassung im Raum Berlin (Kennung I A).

Leider hat der Fotograf nicht nur die Kamera schief gehalten – der Kirchturm links neigt sich bedenklich – er hat auch die Entfernung am Objektiv falsch eingestellt, sodass nur der Hintergrund scharf abgebildet ist.

Doch selbst bei einer technisch besseren Aufnahme stünden die Chancen aus diesem Blickwinkel schlecht, Marke und Typ des Wagens herauszufinden.

Schräg von hinten sahen in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre ziemlich alle Limousinen so aus – ganz gleich ob aus europäischer Produktion oder aus Übersee.

Wegen der gleichförmigen Gestaltung der Heckpartie – hier lebte immer noch die Kutschenform fort – sind Aufnahmen aus dieser Perspektive eher selten und auch wegen der schönen Situation wäre es schade, dieses Bild nicht zu zeigen.

Wer meint zu wissen, mit was für einem Auto diese Herrschaften einst unterwegs waren, ist natürlich eingeladen, dies über die Kommentarfunktion kundzutun.

Wir wenden uns nun einem anderen, auf den ersten Blick ebenfalls aussichtslosen Fall zu:

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Essex Super Six von 1930; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Daran dass hier noch Schnee liegt, erkennt man, dass diese Aufnahme schon eine ganze Weile in der Sammlung des Verfassers schlummert.

Spaß beiseite – hier schien es erst einmal ratsam, das Foto “auf Eis” zulegen und auf den Zufall zu hoffen. Denn auch hier haben wir wieder eine typische Sechsfenster-Limousine, die formal noch in die Endzwanziger gehört.

Nur eine Sache fällt auf – die eigenwillige Gestaltung der seitlichen Luftschlitze in der Motorhaube:

Essex_Super_Six_1930_Dresden_Frontpartie

Zwei Reihen von Luftschlitzen übereinander findet man nicht oft, eines der wenigen Beispiele ist der Steyr Typ XII von 1930. Und die zur Mitte ansteigende Höhe der Schlitze könnte sogar einzigartig sein – doch was nützt einem das?

An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Suchmöglichkeiten im Internet und erst recht die Auskunftsfähigkeit künstlicher angeblicher Intelligenz rasch an ihre Grenzen stoßen. Wonach soll man denn in so einem Fall suchen oder fragen?

Genau. Deshalb sind der biologische Computer namens Gehirn und eine seiner uralten Erfindungen – das gedruckte Buch – längst nicht überholt. Denn die beiden erlauben eine einzigartige freie und dennoch zielgerichtete Recherche.

Das geht wie folgt: Wir wissen, dass der Abzug auf der Rückseite den Stempel eines Fotostudios in Dresden trägt. Da wir glauben, deutsche Automobile der Zwischenkriegszeit recht gut zu kennen, schließen wir solche kurzerhand aus.

Welche Fahrzeuge haben dann am ehesten eine Chance, auf einer solchen Aufnahme aus Deutschland abgebildet zu sein?

Nun, da stützen wir uns auf eine Statistik, die wir aus Werner Oswalds Schinken “Deutsche Autos 1920-45” kennen (S. 401). Dort ist vermerkt, dass 1929 satte 40 % aller PKW-Neuzulassungen hierzulande auf ausländische Fabrikate entfielen.

Die einzigen Hersteller, die damals entsprechende Stückzahlen exportieren konnten, waren neben Fiat die großen US-Firmen.

Zum Glück gibt es Druckwerke, die eine entsprechende Vorauswahl beinhalten, im vorliegenden Fall “American Cars in Europe 1900-1940” und “American Cars in Prewar England”, beide von Bryan Goodman (erschienen 2004 bzw. 2006).

Also einmal beide Bücher rasch durchgeblättert in der Hoffnung, auf eine Abbildung zu stoßen, die die eigentümlichen Luftschlitze auf unserem Foto zeigt.

Und tatsächlich, auf Seite 64 des zweiten Werks wird man fündig!

Demnach haben wir hier einen Essex Super Six aus dem Baujahr 1930 vor uns, damals eines der günstigsten und erfolgreichsten Sechszylindermodelle.

Dem Verfasser war es ebenfalls lange nicht bewusst, doch die Marke aus dem Hudson-Verbund war Ende der 1920er Jahre kurze Zeit die Nr. 3 hinter Chevrolet und Ford am amerikanischen Markt.

Mehr zur Historie dieser 1933 aufgegebenen Marke findet sich in einem älteren Blogeintrag zum Essex Super Six von 1928.

Der Zufall will es außerdem, dass der nach der uralten angelsächsischen Grafschaft “Essex” benannte Wagen einst ebenfalls in Sachsen einen Käufer fand.

Der hoffnungsfroh in die Ferne schauende junge Mann auf dem Foto dürfte aber wohl eher der Fahrer als der Besitzer gewesen sein:

Essex_Super_Six_1930_Dresden_Fahrer

Wer sich um 1930 in Deutschland einen Fahrer leistete, musste schon gut betucht gewesen sein. Doch der Essex war trotz Importzöllen günstig zu haben und mit knapp 60, später 70 PS ordentlich motorisiert.

In dieser Klasse bot außer NAG mit dem Typ 12/60 PS kein deutscher Hersteller einen vergleichbaren 6-Zylinderwagen an – seit Ende der 1920er Jahre war der hiesige Markt für solche Fahrzeuge zu klein. Da konnten die US-Hersteller punkten.

Doch im weiteren Verlauf der 1930er Jahre endete die Blüte der “Amerikanerwagen” in Deutschland, da die inländischen Hersteller endlich aufwachten und für den heimischen Markt besser geeignete, moderne und zunehmend erschwingliche Wagen entwickelten.

So werden wir kaum noch einem Essex auf einem in Deutschland aufgenommenen Foto aus späterer Zeit begegnen. Der Stil dieses Wagens veraltete in den Jahren vor dem 2. Weltkrieg zusehends und viele solcher US-Autos dürften bereits damals recht bald auf dem Schrott gelandet sein.

Gemessen an der einstigen Verbreitung amerikanischer Autos im deutschen Sprachraum sind solche US-Vorkriegsmodelle heute bei uns äußerst rar. Das macht diese technische wie formal anspruchslosen Wagen schon wieder interessant.

Ein ganz eigenes Kapitel sind US-Automobile mit Spezialaufbauten deutscher Manufakturen. So etwas Feines bringen wir hier gelegentlich auch…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

Anschauungsunterricht mit Opel-Taxi von 1911

Wer als Oldtimerfreund seine Interessen auf Nachkriegsfahrzeuge beschränkt, ist selbst schuld, wenn ihm irgendwann langweilig wird.

Ein paar Dutzend Marken, die meisten Typen zigtausendfach gebaut, abgesehen von einem grandiosen Abgesang der Karosseriebaukunst im Italien der 1950/60er Jahre überwiegend Konfektionsware.

Der Verfasser besitzt zwar selbst einige Autos der 1960 bis 80er Jahre. Aber: Das Gefühl, dass man es mit einem geheimnisvollen Boten aus einer untergegangenen Welt zu tun hat, das stellt sich nur bei Vorkriegsautos ein.

Dabei gilt die Devise “je älter, desto besser”. Hier zählen nicht Pferdestärken, Höchstgeschwindigkeit oder prominente Vorbesitzer.

Die Beschäftigung mit den frühen Automobilen lässt einen an der Entwicklung einer Innovation teilhaben, die unser Leben so stark verändert hat wie zuvor nur die Dampfmaschine. Das gilt besonders für Autos aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg.

Die Fahrzeuge aus der Pionierzeit sind jedoch leider in der einschlägigen Literatur häufig nur mäßig bis gar nicht dokumentiert.

Über 100 Jahre alten Automobilen muss man sich daher mit der Sorgfalt eines Archäologen nähern, der es gewohnt ist, einen Fund anhand von Münzen, formalen Details und Fertigungstechniken zu datieren.

Heute geben wir etwas Anschauungsunterricht in dieser Hinsicht, und zwar anhand dieses Taxis:

Opel_Taxi_um_1911_Galerie

Opel Taxi um 1911; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese prachtvolle Aufnahme liefert perfektes Ausgangsmaterial. Der Wagen wirkt auf das ungeschulte Auge beliebig, doch das Foto ist detailliert genug, um eine präzise Ansprache zu ermöglichen.

Vergessen kann man in solchen Fällen allerdings, dass man in der Literatur genau dieses Fahrzeug abgebildet findet.

Zum einen sind – wenn überhaupt – nur wenige der prinzipiell unzähligen Karosserievarianten dokumentiert. Denn meist lieferten unabhängige Stellmacherfirmen den Aufbau in individueller Manier.

Zum anderen handelt es sich bei historischen Abbildungen oft um Darstellungen aus Prospekten, die nicht den Anspruch fotografischer Genauigkeit hatten.

Häufig hilft nur das detektivische Verfahren der Eingrenzung bzw. des Ausschlusses anhand bekannter Merkmale. Und genau das wenden wir jetzt an:

Opel_Taxi_um_1911_Frontpartie

Der erste Blick bei sehr frühen Automobilen gilt immer der Frontpartie. Wenn man einen Ausschnitt des Kühlers zu sehen bekommt, ist das oft die halbe Miete.

Hier haben wir Glück, denn oben auf der Kühlermaske – dem Bauteil, das das eigentliche Kühlernetz einrahmt – sehen wir klar das augenförmige Opel-Emblem.

Bei Wagen aus der Pionierzeit ist dies oft der einzige Hinweis auf die Marke, weil zu Beginn die meisten Wagen auch formal bewährten Vorbildern von Benz, DeDion oder Panhard folgten bzw. Lizenznachbauten von deren Konstruktionen waren.

Der birnenförmige Kühlerausschnitt ist typisch für Opel-Wagen der Zeit vor dem 1. Weltkrieg. Nach 1918 baute Opel dagegen vor allem Spitzkühlermodelle, wenngleich es erste Vorläufer bereits 1914 gab.

In die Zeit vor dem Krieg verweisen auch die prachtvollen Scheinwerfer, die mit Karbidgas betrieben wurden, also ihre Energie noch nicht von einer Lichtmaschine erhielten. Typisch für die Zeit sind zudem die spitz zulaufenden Schutzkappen.

Ein Illustrator von Jules-Verne-Romanen oder ein Ausstatter früher futuristischer Filme hätte sich dies nicht schöner ausdenken können. Selbst bei Benzinkanistern findet man diese Ästhetik bisweilen.

Zwar gab es schon 1914 elektrische Scheinwerfer als Sonderausstattung, doch sind Gaslampen am Auto nach dem Krieg kaum zu finden.

Auch die Häufigkeitsverteilung des Zwirbelbartes bei den sieben Herren auf dem Foto spricht klar für eine Vorkriegsaufnahme:

Opel_Taxi_um_1911_InsassenNach dem 1. Weltkrieg überwiegen auf solchen Fotos einfache Schnauzbärte oder man ist ganz glattrasiert wie der blasiert dreinschauende junge Mann auf der Rückbank. Den “Kaiser-Wilhelm”-Bart trugen später nur noch ältere Herren, auch dies ein wichtiges Leitfossil bei solchen Aufnahmen.

Wer die Kleidung der Männer betrachtet, wird außerdem feststellen, dass jeder im Detail seinen eigenen Stil pflegt. “Boss”-Anzüge von der Stange oder uniforme “Jack-Wolfskin”-Freizeitjacken gab es damals noch nicht.

Die Kopfbedeckungen sind Varianten der Prinz-Heinrich-Mütze und der Schieberkappe – auch heute perfekte Accessoires bei einer Veteranenausfahrt.

Auto und Aufnahme sind nach der Lage der Dinge klar vor dem 1. Weltkrieg entstanden.

Wie können wir nun den Wagen weiter eingrenzen? Dabei hilft ein Blick auf die Partie zwischen der Motorhaube und der Schottwand zum Innenraum:

Opel_Taxi_um_1911_Windlauf

Bei ganz frühen Automobilen stieß die waagerecht verlaufende Motorhaube auf die vertikale Schottwand mit Frontscheibe (so vorhanden).

Im Rennsport bemühte man sich jedoch früh um die Reduzierung des Luftwiderstands. So verfiel man auf Luftleitbleche, die für einen fließenden Übergang von der Motorhaube zur Frontscheibe und dem eigentlichen Aufbau sorgten – der “Windlauf” war geboren.

1909/10 setzte sich dieses Element auf breiter Front bei Serienwagen durch. Es gibt auch hier Ausnahmen, doch grundsätzlich kann man Autos mit Windlauf auf die Zeit ab 1909 datieren.

Anfänglich stieg der Windlauf steil von der fast flachen Motorhaube nach oben an, ab 1912 begannen die beiden Linien miteinander zu verschmelzen.

Auf unserem Foto sehen wir ein Zwischenstadium: Die Motorhaube steigt leicht an, stößt dann abrupt auf den Windlauf, der wiederum in etwas steilerem Winkel nach oben reicht. Der Übergang scheint bewusst akzentuiert, auch wenn dies unter dem aerodynamischen Aspekt nicht ideal war.

Doch für Serienautos war die Windschnittigkeit kein relevantes Kriterium, dafür waren die auf den damaligen Straßen erzielbaren Geschwindigkeiten zu niedrig. Zunächst war der Windlauf ein sportlich wirkendes Accessoire – vergleichbar manchem Spoiler an braven Familienautos der 1970/80er Jahre.

Damit hätten wir für unseren Opel als Arbeitshypothese ein Entstehungsdatum um 1911. Lässt sich dies weiter untermauern? Ja, und zwar anhand dieses Ausschnitts:

Opel_Taxi_um_1911_Seitenpartie

So prosaisch dies auch wirken mag – hier können wir der Geburt des “Schwellers” beiwohnen.

Die waagerecht verlaufende hellgraue Partie mit der vorderen Aufhängung der hinteren Blattfedern ist der Rahmen des Wagens. Das Trittbrett war dort ursprünglich an vertikalen Auslegern befestigt, wie wir hier auch einen sehen – nur, dass man anfänglich zwischen Rahmen und Trittbrett hindurchsehen konnte.

Diesen Zwischenraum kaschiert hier zwar bereits ein Blech. Dennoch sieht man hier noch die Blattfederaufnahme und einen Spalt zwischen dem hinteren Kotflügel und der Rahmen- bzw. Schwellerpartie.

Ab 1913/14 wird der Blick auf die Federaufnahme und die Trittbretthalterung durch das Schwellerblech bzw. eine kastenförmige Ausbuchtung kaschiert. Das gilt näherungsweise auch für andere deutsche Marken.

Im Grunde folgten die frühen Automobile dem Gestaltungsgrundsatz “form follows function”, bevor dieser formuliert wurde.

Nur auf den ersten Blick wirken Veteranenautos fremdartig, bisweilen verspielt. Betrachtet man sie genauer, kann man sie präzise in ihre funktionalen Elemente zerlegen. Das versuche man heute einmal bei einem Renault “Koleos”…

Bevor wir es vergessen: So eindrucksvoll der Opel auf dieser Aufnahme auch wirkt – die dünnen Vorderschutzbleche und der kurze Radstand verweisen auf ein eher kleines Modell wie den Typ 6/16 PS, wie er ab 1911 gebaut wurde.

Die größeren Opel-Modelle wiesen durchweg Radstände von rund 3 Meter und mehr auf. Selbst wenn der Herr, der am Heck steht, nur 1,65m groß gewesen sein sollte, kann der Radstand kaum mehr als 2,80 m betragen haben.

Und da kommen nur sehr wenige Opel-Modelle in Frage, denn vor über 100 Jahren bauten die Rüsselsheimer überwiegend Oberklassefahrzeuge – tempi passati…

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Glück – das war einst ein großer Fiat Tourenwagen…

1927 – vor 90 Jahren also – kam in Deutschland ein Auto auf 170 Einwohner. Das ist dem Monumentalwerk “Die deutsche Automobilindustrie” von Hans C. von Seher-Thoss (1. Auflage 1974) zu entnehmen.

Anders gesagt besaßen damals rund 0,5 % der Deutschen ein Automobil. Im selben Jahr baute in den USA allein Chevrolet über eine Million Fahrzeuge…

Während sich in den Staaten praktisch jeder ein Auto leisten konnte, blieb dies in Deutschland ein exklusives Vergnügen. 

Man kann das im Wesentlichen mit dem verlorenen 1. Weltkrieg – oder besser gesagt – den erdrosselnden Auflagen der Siegermächte erklären:

  • Elsass und Lothringen wurden von Frankreich annektiert, Saarland und Ruhrgebiet besetzt bzw. wirtschaftlich durch Frankreich genutzt; das Industriezentrum Oberschlesiens ging an Polen,
  • alle überseeische Gebiete mussten abgetreten und der Großteil der Handelsflotte den Alliierten übergeben werden,
  • 1921 wurden Deutschland im Nachgang zum Versailler Vertrag Reparationen in Höhe von 132 Milliarden Goldmark auferlegt, abzustottern bis 1987,
  • mehr als ein Viertel der Exporteinnahmen waren an die Alliierten abzuliefern.

Das waren die Rahmenbedingungen (Quelle), die erklären helfen, weshalb Deutschland in den 1920er Jahren in Sachen individueller Mobilität hoffnungslos in Rückstand geriet – von den politischen Folgen ganz abgesehen.

So entschieden sich viele derer, die sich hierzulande überhaupt ein Automobil leisten konnten, für ausländische Fahrzeuge.

Neben US-Produkten waren in den 1920er Jahren vor allem die Modelle von Fiat erfolgreich im deutschsprachigen Raum, so auch dieses hier:

Fiat_507_oder_512_Tourenwagen_Galerie

Fiat 507 oder 512 Tourenwagen; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Mal ehrlich: Wer verbindet heute mit einem so großzügigen Wagen die Marke Fiat? So ändern sich die Zeiten und nicht in jeder Hinsicht nur zum Besseren…

In der Zwischenkriegszeit gehörten die Turiner Automobile zu den weltweit populärsten Fahrzeugen aus europäischer Produktion. Die Typen 501, 509 und 503, die wir hier bereits mehrfach besprochen haben, wurden ein Welterfolg.

Weniger bekannt sind die darüber angesiedelten Modelle 507 bzw. 512. Dabei handelte sich um ab 1926 gebaute Vier- und Sechszylindermodelle mit 2,3 bzw. 3,5 Liter Hubraum, die 35 bzw. 46 PS leisteten.

Mit insgesamt nur etwas mehr als 6.000 Exemplaren gehören sie zu den raren Fiat-Modellen jener Zeit. Zum Vergleich: Etliche deutsche Marken erzielten während ihres gesamten Bestehens nicht solche Stückzahlen.

Woran erkennt man aber diese gehobenen Fiat-Typen? Dazu schauen wir uns die Frontpartie des Wagens auf unserem Foto genauer an:

Fiat_507_oder_512_Tourenwagen_Frontpartie Über das Fiat-Emblem auf der mit klassisch geformtem Dreiecksgiebel versehenen Kühlermaske muss man keine Worte verlieren.

Interessanter wird es weiter unten: Die seitliche Verkleidung der Partie unterhalb des Rahmens und das ebenso weit hinunterreichende Abdeckblech unter dem Kühler sind typisch für die “großen” Fiat-Modelle 507 und 512.

Das Tückische ist, dass sich die Versionen sonst äußerlich kaum unterschieden. Der Sechszylindertyp 512 wies gegenüber dem Vierzylindermodell 507 einen längeren Radstand auf, der dem längeren Motorblock geschuldet war.

Auf einer Aufnahme wie der hier vorgestellten lassen sich solche Unterschiede in den Proportionen kaum nachvollziehen.

Letztlich blieben beide Modelle gegenüber den kleinen Fiats jener Zeit sehr exklusiv. Umso erfreulicher, so einer Rarität und ihren erkennbar glücklichen Insassen auf einer historischen Aufnahme zu begegnen:

Fiat_507_oder_512_Tourenwagen_Insassen.jpg

Mit so einem sechssitzigen Tourenwagen aus dem Hause Fiat konnte man sich Ende der 1920er Jahre wahrhaft glücklich schätzen. Wir können heute kaum ermessen, wie bescheiden es bei 99 % der Deutschen damals zuging.

Die Insassen dieses Wagens wussten sicher, dass sie zu den “happy few” gehörten, die in ihrer Freizeit eine solche Ausfahrt unternehmen konnten.

Dem Kennzeichen nach zu urteilen, scheinen unser glücklichen Fiat-Insassen einst in Südtirol gelebt zu haben, das 1918 an Italien fiel – ein Thema für sich…

Wir freuen uns mit ihnen an dem Fiat-Tourenwagen, der damals ein Prestige bot, von dem nichts geblieben ist außer dieser Aufnahme. Doch Oldtimer-Liebhaber können sich auch an längst vergangenem Glück erfreuen…

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ein auto

Achtender in den Schweizer Bergen: Oldsmobile von 1934

Zu den Ländern, die schon immer fast vollständig auf den Import von Automobilen angewiesen waren, gehört die Schweiz.

Das erstaunt, haben doch gerade die Schweizer etliche führende Adressen in den Bereichen Mechanik und Maschinenbau geschaffen. Dass sie auch hervorragende Automobile bauen konnten, zeigte bereits früh die Firma Martini.

Die Waffenfabrik aus Neuchatel begann noch vor 1900 mit eigenständigen Konstruktionen und machte bald mit Sporterfolgen von sich reden. Dazu passt diese Aufnahme aus einer Zeitung von 1908:

Martini_1908_Galerie

Martini-Voiturettes von 1908; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Die Abbildung zeigt die Rennsportwagen, mit der Martini 1908 beim Grand Prix de Voiturettes in Dieppe antrat, vor der Abfahrt nach Frankreich.

Zu großer Form liefen die Martini-Wagen erst in der Zwischenkriegszeit auf, doch das ist sehr relativ – die Firma baute insgesamt nur 3.500 Wagen.

Da Martini als erfolgreichste Automarke der Schweiz gilt, kann man sich vorstellen, welche winzigen Stückzahlen die anderen Fabriken herstellten…

Zu erklären ist dies wohl damit, dass die Schweiz für einen nennenswerten Autoabsatzmarkt lange Zeit viel zu arm war.

Wenn die Schweiz heute zu den reichsten Ländern der Welt gehört, hat sie das zum einen klassischen Tugenden zu verdanken: Anstrengungsbereitschaft, Wissbegier, Erfindungsreichtum, Fleiß, Disziplin und Können.

Zum anderen hat die Volksherrschaft verhindert, dass das Land seine Energie in Kriegen, Revolutionen und anderen gegen die Interessen der Bürger gerichteten  Aktivitäten verpulvert.

Die wirtschaftlichen Früchte des Schweizer Modells begannen erst in den 1930er Jahren allmählich sichtbar zu werden.

Eindrucksvoll illustriert wird dies durch die folgende Aufnahme:

Oldsmobile_1934_Schweiz_Galerie

Oldsmobile L-Series von 1934; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn für uns das Fahrzeug im Mittelpunkt steht, kann man sich der dramatischen Wirkung dieses Fotos nicht entziehen.

Wie hier die das Gebäude nebenan, der Telegrafenmast und die Berglandschaft einbezogen wurden, alle Achtung. Ein Mehr an Kontrast und Tonwertreichtum ist kaum vorstellbar – hier wurde auch in der Dunkelkammer beste Arbeit abgeliefert.

Die vier Personen an dem Wagen waren es gewohnt, fotografiert zu werden – nur der kleine Hund schien keine Lust zu haben und musste festgehalten werden.

Die gelungene Inszenierung ist des Wagens würdig, den wir hier vor uns haben:

Oldsmobile_1934_Schweiz_Ausschnitt

Dass das Auto aus amerikanischer Produktion der 1930er Jahre stammt, ist klar.

Der schrägstehende Kühlergrill mit den gedoppelten Zierleisten und die bis auf die Stoßstange hinuntergezogenen Vorderschutzbleche erlauben eine zeitliche Einengung auf die erste Hälfte der 1930er Jahre.

Die US-Autos jener Zeit wurden jedes Jahr stilistisch überarbeitet und alle Hersteller waren darauf bedacht, in gestalterischer Hinsicht nicht den Anschluss zu verlieren. Hier war bereits voll ausgeprägt, was in der Nachkriegszeit noch bizarre Blüten am US-Automarkt treiben sollte.

Ein eigenes Gesicht hatten damals von den großen Produzenten noch am ehesten die Fahrzeuge von Ford und Chrysler. Bei den Marken aus dem General Motors-Konzern fällt es mitunter schwer, die Typen auseinanderzuhalten.

Im vorliegenden Fall probierte der Verfasser erst einmal die üblichen Verdächtigen aus: Buick, Chevrolet und Cadillac. Dann kamen die unabhängigen Marken Hudson und Studebaker an die Reihe – ebenfalls Fehlanzeige.

Erst die Suche nach vergleichbaren Wagen von Oldsmobile lieferte einen Treffer: Das ist eindeutig ein Achtzylinder der L-Serie von 1934. Äußerlich sehr ähnlich, aber kürzer war die F-Serie mit Sechszylindermotor.

Leistungsmäßig nahmen sich die beiden Versionen nicht viel: ein Oldsmobile der F-Serie verfügte über 84 PS, beim Achtender der L-Serie waren es 90 PS.

Die in einem Oval eingefasste “8” unten am Kühler verrät, dass sich der Käufer des Oldsmobile auf dem Foto einst für das Spitzenmodell entschieden hatte.

Das konnte sich in der Schweiz in den 1930er Jahren nur jemand leisten, der in Industrie, Handel oder Finanzen zu Geld gekommen war. Dazu will das Kennzeichen mit “ZG” für den kleinen Kanton Zug nicht recht passen.

Möglicherweise ging der Besitzer aber im Nachbarkanton Zürich einer lukrativen Tätigkeit nach. Leider wissen wir nichts über Ort und Datum der Aufnahme.

Übrigens: Die bereits 1897 von R.E. Olds im US-Bundesstaat Michigan gegründete und 1908 vom General Motors-Verbund übernommene Marke verbaute schon seit 1916 eigene V8-Motoren in ihren Wagen.

Dies unterstreicht einmal mehr, wie weit ihrer Zeit voraus die amerikanische Automobilindustrie einst war.

Auch 1934 musste sich ein Oldsmobile mit seiner Einzelradaufhängung vorne noch nicht vor der inzwischen aufholenden europäischen Konkurrenz verstecken.

Bezieht man Ausstattung, Leistungsfähigkeit und Preis ein, waren die “Amerikaner”-Wagen dank industrieller Massenproduktion immer noch kaum zu schlagen. Erst nach dem Krieg gewannen die europäischen Hersteller die Oberhand.

Das Ergebnis ist bekannt – außerhalb der USA spielen amerikanische Autos schon lange keine wesentliche Rolle mehr.

Auch die Zeiten, in denen man in der Schweiz in den Großstädten noch jede Menge Ami-Straßenkreuzer sehen konnte, sind seit den 1970er Jahren vorbei.

Die ehrwürdige Marke Oldsmobile ging aber erst 2004 unter – nach 107 Jahren! Damit überlebte sie die erwähnte Schweizer Marke Martini um mehr als 80 Jahre.

Die Ironie der Geschichte will es, dass bei Martini im Jahr 1934 die Lichter ausgingen – just in dem Jahr, in dem in Michigan “unser” Oldsmobile gefertigt wurde, der anschließend auf die lange Reise in die ferne Schweiz gehen sollte…

Mit etwas Glück gibt es den Wagen vielleicht noch – wer weiß?

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Rundum ansehnlich: Adler “Favorit” als 3D-Puzzle

Heute befassen wir uns auf diesem Vorkriegs-Oldtimerblog mit einem “alten Bekannten” – dem Adler Favorit.

Das hat nichts mit einem Mangel an “neuen” Fotos zu tun. Tatsächlich hat der Fundus des Verfassers an historischen Originalaufnahmen trotz fast täglicher Veröffentlichungen eine stabile bis wachsende Reichweite…

Es finden sich aber immer wieder reizvolle Aufnahmen von bereits präsentierten Fahrzeugen, die einen neuen Blogeintrag rechtfertigen – siehe das gestrige DKW-Potpourri.

Adler Favorit – wie war der noch einmal einzuordnen? Hier das Wichtigste: Die international angesehene Frankfurter Marke sah sich ab Mitte der 1920er Jahre einer wachsenden Konkurrenz amerikanischer Importwagen gegenüber.

Gegen die gut motorisierten, zuverlässigen, in Großserie gebauten US-Autos war kaum ein Kraut (haha) gewachsen – auch weil sie eine modernere Linienführung aufwiesen als die noch der Vorkriegsmode huldigenden deutschen Wagen.

Das Naheliegendste war, einfach Stil und Bauweise der amerikanischen Herstellern zu kopieren. Den Anfang machte Adler 1927 mit dem Sechszylindertyp “Standard 6”, gefolgt 1928 vom “Favorit” mit Vierzylinder.

Hier eine sehr seltene Aufnahme, die beide Modelle zeigt:

Adler_Standard_6_und_Favorit_Galerie

Adler “Standard 6” und Adler “Favorit”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Adler-Wagen trafen den Nerv der Zeit. Sie imitierten den amerikanischen Stil perfekt und waren mit hydraulischen Bremsen sowie Ganzstahlkarosserie auch technisch auf der Höhe der Zeit.

Der Adler Standard 6 wirkt auf dem Foto weit größer als der Favorit dahinter. In der sechssitzigen Version war der “Standard 6” immerhin 20 cm länger und 4 cm breiter, laut Literatur aber niedriger – letzteres scheint nicht zu stimmen.

Prinzipiell trugen beide denselben Aufbau, der von Ambi-Budd in Berlin geliefert wurde. Die unterschiedlichen Kühlerpartien weichen baujahrbedingt voneinander ab.

Eindeutig unterscheiden lässt sich der Standard 6 vom Favorit durch die in einer Raute eingefasste “6” an der Mittelstrebe zwischen den Scheinwerfern. Beim Vierzylindermodell wäre ein entsprechender Hinweis etwas albern.

Zudem sind die sieben Radbolzen stets ein Indiz für einen großen Adler – neben dem “Standard 6” gab es auch ein 8-Zylinder-Modell – beim Favorit mit 4-Zylindermotor mussten jedenfalls fünf Radbolzen genügen.

Im Folgenden beschränken wir uns auf den Adler “Favorit”, dessen 1,9 Liter-Motor 35 PS leistete. Klingt nicht sonderlich eindrucksvoll, aber in dieser Hubraumklasse wurde hierzulande sonst nicht viel angeboten.

Beginnen wir unser 3D-Puzzle des Adler Favorit mit einem Foto von 1932:

Adler_Favorit_08-1932_Ausschnitt

Adler “Favorit”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Erhaltung des Abzugs ist mäßig – das wird aber durch die gekonnte Perspektive wettgemacht. Sehr eindrucksvoll wirkt er hier für sich betrachtet, der Adler Favorit – die schemenhaft erkennbaren fünf Radbolzen verraten den Typ.

Man präge sich übrigens das Erscheinungsbild der Scheibenfelge mit der zylindrischen Nabenkappe ein – es gab sie so wohl nur bis 1930. Dasselbe gilt für das ins Kühlernetz hineinragende dreieckige Adler-Emblem. 

Wenden wir uns der Seitenpartie zu:

Adler_Favorit_Ostern_1932_Galerie

Adler “Favorit”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Foto (wiederum aus dem Jahr 1932) lässt keine Wünsche offen – kontrastreich und mit präzise dosierter Schärfentiefe. Außerdem bekommen wir den Wagentyp auf dem Reserverad gleich mitgeliefert – ein schönes Detail.

Hier sieht man auch die Scheibenräder mit den fünf Radbolzen und der Nabenkappe besser. Ebenso zu beachten sind die in zwei Gruppen angeordneten waagerechten Luftschlitze in der Motorhaube. Auch sie fanden sich nur bis 1930.

Mit der nächsten Aufnahme unternehmen wir nun einen Zeitsprung:

Adler_Favorit_1932_1_Galerie

Adler “Favorit”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auf den ersten Blick könnte das alles Mögliche sein. Wer ganz genau hinsieht, kann oberhalb des Kühlers die Silhouette eines stilisierten Adlers erkennen, wie ihn die Adler-Modelle um 1930 trugen.

Auch sehen wir hier wieder fünf Radbolzen, doch der schlichte Nabendeckel ist um eine Chromradkappe ergänzt worden. Außerdem sind die horizontalen Luftschlitze in der Haube einem aufgenieteten Blech mit vertikalen Schlitzen gewichen.

Diese Details weisen auf einen Adler “Favorit” hin, wie er ab Jahreswechsel 1930/31 gebaut wurde.

Technisch war alles beim alten geblieben, doch ein PS mehr hatte man aus dem Motor bei gleichem Hubraum gequetscht. Damit waren nun 80 km/h Spitze drin.

Kurioserweise ist auch dieses dritte Foto auf das Jahr 1932 datiert. Hier haben wir noch eine weitere Aufnahme desselben Wagens:

Adler_Favorit_1932_2_Galerie

Adler “Favorit” aus Sammlung Michael Schlenger

Die vier schmucken Herren mit (sicherlich alkoholfreiem) Bier haben sich so platziert, dass man zumindest die erwähnte Radkappe genau studieren kann.

Man sieht hier ein Zwischenstadium auf dem Weg zu einer auch die Radbolzen verdeckenden Radkappe – eine weitere Anleihe bei US-Vorbildern.

Leider ist von den beiden weiblichen Insassen nicht viel zu erkennen – offenbar hat es sich ein Mädchen am Lenkrad bequem gemacht. Übrigens: Der Adler “Favorit” war in der geschlossenen Ausführung stets ein Sechssitzer.

Nun folgt das seltenste Puzzlestück bei unserem Rundgang um den Adler Favorit, eine Aufnahme der Heckpartie:

Adler_Favorit_bis_1930_Ostern_1932_Galerie

Adler “Favorit”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

So kurios es klingt: Auch dieses ungewöhnliche Foto entstand 1932, zeigt aber wiederum ein anderes Exemplar eines Adler “Favorit”.

Der aufmerksame Leser wird an den schlichteren Rädern und den waagerechten Haubenschlitzen erkennen, dass dieses Auto noch aus der ersten Serie stammen muss, die von 1928-30 gebaut wurde.

Auf eine frühe Entstehung, wohl noch vor 1930, weist die weit unterhalb der Gürtellinie verlaufende zweite Zierleiste hin, die am Heck elegant dem Aufwärtsschwung der oberen Leiste folgt.

Nur sehr selten zu sehen sind auf historischen Aufnahmen vom Adler “Favorit” am Heck montierte Reserveräder. Meist waren sie auf den Trittbrettern neben der Haube angebracht oder man verzichtete ganz darauf.

Der junge Mann, der hier etwas verkrampft in die Kamera schaut, hat uns den Gefallen getan, die ersten beiden Buchstaben des Markennamens auf dem Ersatzrad freizulassen. Als exklusiv darf auch die Gelegenheit betrachtet werden, einmal ein originales Auspuffrohr eines Adler “Favorit” zu sehen.

Wem das zu profan ist, der kann auf diesem Foto sehr schön nachvollziehen, dass die Karosserie zum Schweller hin schlanker wird. Tatsächlich ist der ganze Aufbau bei aller Schlichtheit voller Spannung – ebene Bleche findet man kaum.

Gleichzeitig wird deutlich, wie organisch die Karosserien damals aufgebaut waren: jedes funktionale Element ist ein eigenständiges Bauteil. Diese völlig andersartige Architektur trägt viel zum Reiz der Vorkriegsautos bei – mit der Pontonkarosserie begann eine neue Epoche in der Gestaltung.

Doch damit ist unser Rundgang um den Adler “Favorit” und die Betrachtung der Details der unterschiedlichen Ausführungen noch nicht zuende.

Kehren wir nochmals zur Frontpartie zurück, nun anhand dieses Exemplars:

Adler_Favorit_Tourenwagen_Galerie

Adler “Favorit”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diesmal haben wir es mit der Tourenwagenausführung des Adler “Favorit” zu tun. Die Kühlerpartie und die Haube mit den horizontalen Schlitzen sehen aus wie bei der frühen Variante vor 1931. Doch die Felgen tragen die eindrucksvollen Radkappen, wie sie sonst nur an späteren Modellen zu finden sind.

Waren diese Radkappen schon bei den frühen Modellen als Zubehör verfügbar? Oder hat hier ein stilbewusster Besitzer seinen “alten” Adler nachgerüstet?

Noch verwirrender wird die Sache, wenn man sich den Adler “Favorit” auf unserer ersten Aufnahme nochmals betrachtet:

Adler_Standard_6_und_Favorit_Ausschnitt

Der Wagen verfügt über den laut Literatur erst ab 1931 verbauten Kühler, bei dem das Adler-Emblem ganz nach oben in die Kühlerumrandung gewandert ist. Auch die senkrechten Luftschlitze verweisen auf eine späte Entstehung.

Doch die simplen Scheibenräder der ersten Serie ohne Radkappe, nur mit Nabenkappe, wollen so gar nicht zu diesem Wagen passen…

Kann ein Adler-Spezialist dieses Mysterium auflösen?

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2-Takt-Traum von 1935: DKW F5 Front Luxus Roadster

Der Verfasser hat auf diesem Oldtimerblog schon öfter die Meinung vertreten, dass DKW vor dem 2. Weltkrieg Deutschlands schönste Kleinwagen baute. 

Die zwar schwachbrüstigen, aber robusten Zweitakter der sächsischen Marke hatten spätestens mit dem 1935 erschienen Typ F5 eine formale Vollendung erreicht, die auch einem Oberklasseauto zur Ehre gereicht hätte:

DKW_F4_Garage_Galerie

DKW F5; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Entsprechend zufrieden schaut der Besitzer dieser DKW F5 Cabriolimousine mit Berliner Zulassung (Kürzel “I A”) in die Kamera.

DKW-Kenner werden möglicherweise einwenden, dass es sich auch um den nur rund ein Jahr gebauten Vorgängertyp F4 handeln könnte.

In der Tat sind beide Typen aus dieser Perspektive schwer auseinanderzuhalten. Doch zwei Indizien gibt es:

Das sind zum einen die großen Radkappen, die nur der F5 besaß, zum anderen reichen die Türen bis auf die Unterseite des Schwellers hinab – beim F4 war der Schweller sichtbar.

Wurde im Titel nicht vollmundig ein “Roadster” angekündigt? Keine Sorge, der kommt noch zu seinem Recht, doch wir Oldtimerfreunde lieben doch alle reizvolle Umwege, nicht wahr?

So machen wir erst einmal bei dieser netten Gesellschaft halt:

DKW_F5_Front_Luxus_Cabriolet_2--sitzig_Feldpost_Ausschnitt

DKW F5 Front Luxus Cabriolet; Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Wäre das nicht eine Anregung zur Gestaltung des nächsten Picknicks mitsamt Vorkriegswagen? Das muss hierzulande allerdings noch etwas geübt werden – den perfekten “training ground” dafür bieten die Classic Days auf Schloss Dyck .

Wer die obige Szene trotz der adretten Damen merkwürdig findet, muss wissen, dass es sich dabei um einen Ausschnitt aus einer größeren Postkarte handelt. Der Titel: “Leve de Vacantie” – niederländisch für “Es leben die Ferien!”

Die Karte fand im 2. Weltkrieg mit der Feldpost von Maastricht ihren Weg ins Deutsche Reich – offenbar fand ein dort stationierter deutscher Besatzungssoldat Gefallen daran, in der Fremde einen vertrauten DKW anzutreffen.

Laut Literatur waren die Niederlande vor dem Krieg der bedeutendste Exportmarkt für DKW. Auf der Postkarte ist aber keine Massenausführung von DKW zu sehen, sondern das auf dem Typ F5 basierende Front Luxus Cabriolet.

Dabei handelte es sich um eine bei Horch in Zwickau gezeichnete und gebaute äußerst hochwertige Ausführung, die von der bodenständigen Technik abgesehen vom Feinsten war (siehe auch hier und hier und hier).

Statt der kunstlederbezogenen Sperrholzkarosserie der Standardtypen besaßen diese herrlichen Spezialausführungen einen Stahlaufbau – wenn auch auf traditionellem Holzrahmen.

Ein üppig gefüttertes Verdeck, Ledersitze und eine opulente Chromleiste in Form eines Kometenschweifs an der Seite unterstrichen den luxuriösen Anspruch dieser Wagen, deren Eleganz ihnen den Beinamen “der kleine Horch” einbrachte.

Ließ sich das noch steigern? Das vielleicht nicht, doch gab es eine stückzahlenmäßig noch exklusivere Variante des DKW F5, die wir hier sehen:

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DKW F5 Front Luxus Roadster; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Hierbei handelt es sich um eine Ausschnittsvergrößerung aus einer deutlich größeren Fotografie, daher die geringe Schärfe. Macht aber nichts, alle wesentlichen Details sind zu erkennen.

Typisch sind die in einem langgestreckten Oval eingefassten kleinen Luftschlitze in der Motorhaube. Durch diesen Kunstgriff wirkt der Vorderwagen länger als er war. Auch die freistehenden Kotflügel wirken sportlich.

Leider sind im roadstertypischen Türausschnitt die seitlichen Steckscheiben montiert, die der Seitenlinie nicht gerade zuträglich sind. Zumindest kann man erkennen, dass direkt hinter den beiden Sitzen das Heck nach hinten abfällt.

Tatsächlich hatte man für die Roadsterausführung den Radstand gegenüber der Basis verkürzt. Gleichzeitig spendierte man dem Modell einen fast doppelt so großen Benzintank. Man kann sich vorstellen, dass das Reisegepäck sich dann im Wesentlichen auf Kamm und Zahnbürste beschränken musste…

Übrigens verraten die Vorderräder mit langen Speichen und kleinen Radkappen, dass dieser Wagen aus dem Erscheinungsjahr 1935 stammen muss. Bis zum Ende der Produktion entstanden bei Horch in Zwickau genau 407 dieser Wagen.

Wer nun aus dem Nummernschild des neben dem Roadster stehenden DKW F2 Cabriolet schließt, dass die Aufnahme in Schleswig-Holstein entstand, liegt daneben.

Werfen wir einen Blick auf die Originalaufnahme:

DKW_F5_Front_luxus_Roadster_und F2_Zweisitzer_Galerie

Erkennt jemand möglicherweise das repräsentative Haus, in dem sich die Bäckerei von Karl Huber befand?

Der Bauweise und den Materialien nach zu urteilen ist dieses Gebäude eher in Süd- als in Norddeutschland anzusiedeln. Auch die Häufigkeitsverteilung des Namens Huber spricht dafür.

Wem das zu spekulativ ist, der sei auf eine weitere Aufnahme aus der Sammlung des Verfassers verwiesen, die dieselben Fahrzeuge zeigt:

DKW_F5_Front_luxus_Roadster_Halt_in_Bruchsal_Galerie

Man lasse sich nicht vor den merkwürdigen Schatten oder Dopplungen auf der Kühlerpartie des vorderen Wagens irritieren, die wohl verwacklungsbedingt sind.

Wir sehen hier dasselbe Fahrzeug wie auf der vorherigen Aufnahme. Auf dem Originalabzug kann man auch das Kennzeichen des zweiten Wagens erkennen – es ist identisch mit dem des DKW F2, den wir bereits kennengelernt haben.

Die Kennung “IV B” auf dem Nummernschild des DKW F5 Front Luxus Roadsters belegt eine Zulassung in der Region Baden. Der DKW aus Schleswig-Holstein, der mit ihm unterwegs war, gehörte wohl Besuchern.

Woher wissen wir, dass es nicht umgekehrt war? Nun, die zuletzt gezeigte Aufnahme ist auf der Rückseite beschriftet. “Halt in Bruchsal” steht dort, also fand diese Ausfahrt einst im Badischen statt, der Heimat des DKW F5 Roadsters.

Wer jetzt noch Appetit hat, der kann sich zum Abschluss an einem modernen Foto eines überlebenden Exemplars des begehrenswertesten aller Vorkriegs-DKW erfreuen, und zwar hier.

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

 

1914: Schnell noch ein Foto im Protos-Tourenwagen…

Das Foto, mit dem wir uns heute beschäftigen, führt uns über 100 Jahre zurück – in den September 1914, seit einigen Wochen herrschte damals Krieg in Europa.

Die wenigsten Leute haben heute eine Vorstellung davon, wie weit entwickelt viele Automobile zu diesem Zeitpunkt bereits waren – technisch wie formal. So gravierend der Bruch des 1. Weltkriegs auch war, waren doch viele Entwicklungen der Nachkriegszeit 1914 bereits angelegt.

Wer die letzten Jahre des deutschen Kaiserreichs mit motorisierten Kutschen und wallenden Germanenbärten verbindet, darf sein Vorurteil hier korrigieren:

Protos_09-1914_Galerie

Protos Tourenwagen, September 1914; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Moderner als dieser deutsche Wagen mit seinen klaren, dennoch eleganten Linien sahen auch die Fahrzeuge beim Gegner damals nicht aus. Das wird uns bei der Bestimmung des genauen Typs noch helfen.

Die Aufnahme ist von hoher Qualität, wobei zu bedenken ist, dass wir einen über 100 Jahre alten Abzug einer längst verlorenen Glasplatte vor uns haben, auf den einst das noch schärfere und detailreichere Negativ gebannt war.

So haben wir die Gelegenheit, außer dem Auto einige Feinheiten bestaunen zu können, die bei so alten Fotografien oft nur verschwommen erkennbar sind.

Doch erst einmal der obligatorische Blick auf die Kühlerpartie, die uns die Sache auf den ersten Blick leicht macht:

Protos_09-1914_Frontpartie

Die gewaltigen Scheinwerfer lassen gerade noch so viel erkennen, dass sich der Wagen eindeutig als Protos ansprechen lässt.

Die Berliner Marke zeichnete sich seit der Übernahme durch den Siemens-Verbund im Jahr 1908 durch einen V-förmigen Bogen im oberen Teil der Kühlermaske aus (siehe Bildbericht zum Protos G-Typ).

Das Detail war einzigartig – der Überlieferung nach war es eine Anspielung auf den ersten Buchstaben im Nachnamen des Protos-Konstrukteurs Ernst Valentin.

Auf obigem Ausschnitt des Vorderwagen fällt außerdem auf, dass der Protos mit Drahtspeichenfelgen mit Zentralverschlussmutter ausgestattet ist.

Dem Verfasser ist keine einzige weitere Aufnahme eines Protos aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg bekannt, an dem solche Felgen zu sehen sind. Die Literatur erwähnt durchgängig Holzspeichenräder.

Für sich genommen heißt das nicht viel, doch die nächste Auffälligkeit folgt sogleich: Die Motorhaube weist sechs hohe Luftschlitze auf – ebenfalls ungewöhnlich.

Nach dem 1. Weltkrieg waren die Verhältnisse einfacher. Es gab nur noch den Vierzylindertyp C 10/30 PS und den Nachfolger C 10/45 PS. Bei ihnen waren pro Haubenseite zwei Gruppen zu je vier bzw. fünf Luftschlitzen angebracht.

Das sah dann so aus:

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Protos Typ C 10/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Mangels Hinweisen in der sehr dürftigen Literatur zu Protos ist man versucht, die Zahl der Luftschlitze mit der Größe des Motors bzw. der Zylinderzahl in Verbindung zu bringen.

Was würde das demnach bedeuten, wenn wir auf unserem Foto eine Gruppe von sechs Luftschlitzen sehen? Ist das ein Hinweis auf einen Sechszylindermotor?

Neben den bis 1912 gebauten “kleinen” Sechszylindern des Typs F mit 15/38 bzw. 18/45 PS baute Protos bis 1914 den Typ E2 – ein gewaltiges Aggregat mit 6,7 Liter Hubraum und zuletzt 65 PS, allerhand für einen Serienwagen vor über 100 Jahren!

Dummerweise lassen die Abbildungen der 6-Zylindertypen von Protos kein Muster bei den Luftschlitzen in der Motorhaube erkennen. Mal sind es drei, weit nach hinten versetzt, mal sind es vier mittig angebrachte Schlitze.

Hier eine Reklame von 1914, die den Protos E2 27/65 PS mit 6-Zylindermotor zeigt:

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Protos Typ E2 /27/65 PS, Reklame aus “Motor”, Mai 1914

Vollends verwirrend wird es, wenn man sich an der einzigen Abbildung in der Literatur orientiert, die einen Vorkriegs-Protos mit sechs Luftschlitzen in zwei Paaren zeigt.

In Hans-Otto Neubauers Buch “Autos aus Berlin – Protos und NAG” wird dieses Fahrzeug auf Seite 52 als Typ F 18/45 PS mit Vierzylindermotor bezeichnet. Dieser Typ besaß aber – wie gesagt – in Wirklichkeit einen 6-Zylindermotor.

Es wird noch kurioser: Exakt dieselbe Abbildung findet sich in Hans-Heinrich von Fersens Standardwerk “Autos in Deutschland 1885-1920”, 2. Auflage 1968, auf Seite 338. Dort wird das Auto als Typ C 14/38 PS bezeichnet.

Gemeint ist wahrscheinlich ein Typ C2 14/38 PS, wie er 1913/14 gebaut wurde. Nur waren alle C-Typen von Protos Vier- und keine Sechszylinder.

Fazit: Man traue gerade bei den frühen deutschen Vorkriegsautos wenig dokumentierter Marken nicht blind der meist jahrzehntealten Literatur.

Das soll keine Kritik an den Leistungen der Autoren sein, die nicht die heutigen Möglichkeiten zur Recherche hatten und keine Markenspezialisten waren.

Das Faszinierende in unseren Tagen ist, dass wir mit der inzwischen vorliegenden Evidenz in Form historischer Originalfotos Lücken schließen können, vor denen die Altvorderen noch kapitulieren mussten.

Zwar können wir aufgrund widersprüchlicher Angaben in der Literatur noch nicht genau sagen, was das für ein Protos auf unserem Foto ist. Wir können die in Frage kommenden Typen aber einengen. 

Dazu kehren wir nochmals zu dem Ausschnitt mit dem Vorderwagen zurück:

Protos_09-1914_Frontpartie

Hier bilden die Motorhaube und der Windlauf vor der Frontscheibe fast eine Linie. Der Windlauf taucht überhaupt erst um 1910 auf, zuvor stieß die Haube rechtwinklig auf die vordere Schottwand.

Die ersten Windläufe gingen noch von der Motorhaube steil nach oben, ab 1912 flachten sie sich ab, wie das hier zu sehen ist.

Im Windlauf “unseres” Protos sind elektrische Positionsleuchten zu erkennen, die man bei Protos den wenigen Abbildungen zufolge erst 1913/14 verbaute.

Bleibt die Frage, welche Typen Protos um diese Zeit anbot; das ist gut dokumentiert:

Da gab es noch den altertümlichen G-Typ mit kleinem 22-PS-Vierzylinder, den wir angesichts der Länge der Haube ausschließen können. Wahrscheinlicher sind die größeren Vierzlindertypen E1 18/35 PS und C mit 10/30 bzw. 14/38 PS.

Der einzige Sechszylinder, den Protos direkt vor dem Krieg noch baute, war der schon erwähnte Typ E2 27/65 PS. So reizvoll die Idee auch erscheint, der Wagen auf unserem Foto wirkt etwas zu klein für einen dieser Hubraumriesen.

Die sechs Luftschlitze in der Motorhaube gehörten letzlich wohl doch zu einem der Vierzylindertypen, am ehesten dem C2 14/38 PS, den Hans-Heinrich von Fersen in seinem Buch abgebildet hat – mit zwei Paaren von je sechs Luftschlitzen.

Das war für die weniger archäologisch veranlagten Vorkriegsfreunde hartes Brot – aber der Verfasser wollte vorführen, welche Probleme die Identifikation deutscher Automobile aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg bereiten kann.

Zur Belohnung und Entspannung folgen nun noch ein paar Ausschnittsvergrößerungen, bei denen man den detektivischen Spürsinn schlummern lassen kann – interessant wird’s aber allemal:

Protos_09-1914_Frontpartie2

Hinter dem Protos sieht man akkurat aufgereiht identische Zelte – sicher eine Militärbasis. Davor stehen geduldig zwei Pferde (evtl. auch ein Maultier). Wo die Eisenbahnen endeten, leisteten sie und ihre Artgenossen im 1. Weltkrieg die Haupttransportarbeit für’s Heer – vom Nachschubwagen bis zum Geschütz.

Der Kutscher ist eindeutig ein Zivilist, ein Hinweis darauf, dass dieses Foto nicht an der Front entstanden ist, sondern vermutlich auf einem Truppenübungsplatz oder an einem Sammelpunkt auf deutschem Boden.

Für einen Übungsplatz würden auch die in Arbeitsmontur (aus hellem Drillich) gekleideten Männer beim Erdaushub hinter dem Heck des Protos sprechen:

Protos_09-1914_Heckpartie

Beim Stellungsausbau an der Front hätte das sicher anders ausgesehen. Sehr schön auf diesem Ausschnitt zu sehen ist der große Dreieckskanister für “Auto-Benzin”, der mit Lederriemen auf dem Trittbrett befestigt ist. 

Diesen Typ Benzinkanister findet man bei der Truppe bis zu Beginn des 2. Weltkriegs, erst dann wurde er vom rechteckigen 20-Liter-Wehrmachts-Einheitskanister abgelöst, der sich als internationaler Standard etabliert hat.

Zuletzt werfen wir noch einen Blick auf die Insassen des Protos, die sich vor über 100 Jahren haben ablichten lassen:

Protos_09-1914_Insassen

Die sechs Mann an Bord dürften Offiziere oder Unteroffiziere gewesen sein, und auch wenn sie den Karabiner griffbereit halten, verrät das Fehlen von feldmäßigen Pickelhauben, dass die Front weit weg ist.

Noch eindeutiger ist das Hinweisschild direkt hinter dem Protos, das mit etwas gutem Willen sogar lesbar ist. In der vorletzten Zeile steht: “Königliches Gouvernement”. Demnach ist die Aufnahme auf deutschem Boden entstanden.

Der Mann auf dem Beifahrersitz könnte der eigentliche Fahrer sein, die Montur mit doppelreihiger Lederjacke ist jedenfalls typisch für Chauffeure im 1. Weltkrieg. Möglicherweise wollte sein Chef für dieses Foto auch einmal am Lenkrad sitzen.

Diese Aufnahme entstand im September 1914. Zu diesem Zeitpunkt war die deutsche Offensive an der Marne-Front zusammengebrochen. Vier Jahre Materialschlacht mit Millionen von Toten sollten folgen.

Keine Seite wollte das Blutbad unter den eigenen Bürgern beenden. Wie auch die Regierungen demokratisch verfasster Staaten seinerzeit über das “eigene Volk” verfügten, stimmt sehr nachdenklich.

Statistisch betrachtet kehrte einer der sechs Insassen in unserem Protos nicht nach Hause zurück, die übrigen erlitten Verwundungen und waren im schlimmsten Fall verstümmelt.

Vielleicht doch besser das Volk befragen, bevor man Entscheidungen über Wohl und Wehe derer trifft, die es auszubaden haben. Ansonsten: Schnell noch ein Foto im Protos-Tourenwagen, bevor es ins Inferno geht…

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1933: Röhr Typ 8 F mit “neuem” Porsche-Motor

Frage an die Vorkriegsfraktion: Welche waren wohl die exotischsten deutschen Automarken in den frühen 1930er Jahren?

Wer jetzt an Horch, Maybach oder Stoewer denkt, weiß immerhin, dass die Automobillandschaft hierzulande einst vielfältiger war als heute. Doch gab es weitere Hersteller, die das Markensterben in den 20er Jahren überstanden hatten.

Bis 1934 führte noch die Nationale Automobil-Gesellschaft (NAG) aus Berlin ihre Produktion fort. Auch Simson aus Suhl hielt bis dahin durch. Brennabor aus Brandenburg hatte ein Jahr früher aufgegeben.

Gleichzeitig kämpfte Röhr aus dem hessischen Ober-Ramstadt um’s Überleben. Nach dem wirtschaftlichen Debakel mit dem Röhr Typ 8 R, den wir hier vorgestellt haben, war die Röhr Auto AG 1930 insolvent geworden.

Die Konkursmasse reichte aber aus, um als Neue Röhr Werke AG weiterzumachen. Zwar musste Konstrukteur Hans-Gustav Röhr das Werk verlassen –  er lief aber anschließend bei Adler in Frankfurt noch zu großer Form auf.

Die letzte von ihm verantwortete Konstruktion bei Röhr wurde nach der Neugründung weitergebaut –  der Röhr Typ 8 RA. Auf den ersten Blick scheint das folgende Foto von Leser Marcus Bengsch einen Wagen dieses Typs zu zeigen:

 

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Röhr 8 von 1933; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Diese Aufnahme hätte ohne weiteres einen Röhr-Prospekt zieren können.

Hier stimmt alles: dynamische Perspektive schräg von vorn, sicher in die Kamera blickende junge Dame mit Mannequin-Figur, weltmännisch wirkende Herren als Staffage und abwechslungsreiche Berglandschaft als Hintergrund.

An diesem Beispiel sieht man, dass für ein gelungenes Foto technische Aspekte wie maximale Schärfe nachrangig sind. Die Wirkung obiger Aufnahme ergibt sich aus dem gekonnten Bildaufbau, bei dem das Auge des Betrachters vom Kühler des Wagens über die junge Dame am Einstieg in den Hintergrund geführt wird.

Solche klassisch aufgebauten Aufnahmen historischer Automobile findet man heute fast nur noch antiquarisch. Man scheint das Fotografierhandwerk heute wohl nicht mehr “von der Pike auf zu lernen” oder glaubt – wie auch in der Architektur – alles besser zu wissen und alles anders machen zu müssen.

Eine Ausnahme stellt – nicht nur in dieser Hinsicht – das britische Magazin “The Automobile” dar. Dort finden sich bisweilen Bildstrecken, die klassische Fahrzeuge so zeigen, wie man das früher machte – nur in Farbe, sehr reizvoll.

Nun aber zurück zu dem herrlichen Röhr auf dem Foto von Marcus Bengsch:

Röhr_8_RA_Cabriolimousine_Bj_1932_Marcus_Bengsch_Frontpartie

Der ab 1931 in nur 322 Exemplaren gebaute Röhr Typ 8 RA unterschied sich äußerlich vom Vorgänger vor allem durch die schrägstehende Kühlermaske.

Die seitlichen “Schürzen” an den Vorderkotflügeln verraten, dass dieser Wagen erst 1932/33 gebaut worden sein kann. Die souverän gestaltete Karosserie dieser Cabriolimousine stammte von Autenrieth in Darmstadt.

Die montierten Stoßstangen unterschieden sich offenbar – auf Fotos des Typs in der Literatur findet man auch eine zweiteilige sowie eine glattflächige ohne Mittelrippe. Auch wurden wohl Scheibenräder mit unterschiedlich großen Radkappen verbaut.

Typisch für den eigenen Stil dieser Röhr-Wagen ist die niedrige Frontscheibe – das findet man sonst eher bei britischen Autos jener Zeit.

Was aber hatte sich unter der Haube getan? Nun, im Blogeintrag zum Vorgänger Röhr 8 Typ R klang bereits an, dass der kompakte 8-Zylinder-Motor mit 50 PS aus 2,3 Litern Hubraum nicht gerade das Gelbe vom Ei war.

Für den Röhr 8 Typ RA hatte man den Hubraum auf 2,5 Liter vergrößert, die Leistung stieg auf 55 PS – zu wenig für den deutlich schwerer gewordenen Wagen.

Zum Vergleich: Der für Brot-und-Butter-Wagen konstruierte V8-Motor von Ford brachte es 1932 auf 65 PS, ab 1933 waren es dann 75 PS.

Schon ein klassischer 6-Zylinder amerikanischer Bauart hätte es beim Röhr mit seiner hervorragenden Straßenlage getan – aber das wäre ja zu einfach gewesen… So wurde der letzte von Hans-Gustav Röhr für die gleichnamige Firma konstruierte Wagen ein noch größerer Misserfolg als der Vorgänger.

Unterdessen hatte die Neue Röhr Werke AG einen stärkeren 8-Zylinder-Motor bei Porsche bestellt. Der zog eine Konstruktion aus der Schublade, die eigentlich für Wanderer gedacht war, dort aber nicht realisiert wurde.

Der konventionelle Reihenachter leistete 75 PS aus 3,3 Liter Hubraum und verhalf dem Röhr 8 endlich zu einer angemessenen Motorisierung.

Die Karosserien dieses Nachfolgetyps Röhr 8 Typ F waren fast völlig  identisch mit denen des Röhr 8 RA. Der großzügige Spender des Fotos ist aber sicher, dass wir es mit einem Typ F zu tun haben. Dafür sprechen die Größe der Verdeckhalterungen an der Frontscheibe sowie die Anordnung der Winker.

Vom Röhr 8 F entstanden ab 1933 einige hundert Exemplare, bevor die weiterhin unwirtschaftliche Produktion die erneute Pleite und 1935 das endgültige Aus für die Marke Röhr brachte.

Ob unser “Model” wohl einst ahnte, wie exklusiv das Vergnügen bleiben sollte, in einem solchen Röhr-Wagen mit Porsche-Motor unterwegs zu sein?

Röhr_8_RA_Cabriolimousine_Bj_1932_Marcus_Bengsch_Insassen1Vermutlich war dieses Auto einst bewusst in “besseren Münchener Kreisen” erworben worden – das Kennzeichen lässt diese regionale Zuordnung zu.

Die Wagen von Röhr wurden in der Presse als fortschrittlich gepriesen und boten eine rassige Optik wie sonst nur wenige deutsche Serienfahrzeuge.

Für eine Klientel, der ein Mercedes-Benz zu konservativ daherkam und ein Horch zu überkandidelt war, bot Röhr damit eine attraktive Alternative.

Vielleicht unterhielten sich die beiden Herren neben dem Wagen ja über die weiteren Perspektiven dieser Exotenmarke, während sie sich eine Zigarette gönnen:

Röhr_8_RA_Cabriolimousine_Bj_1932_Marcus_Bengsch_Insassen2

“Mein Röhr-Spezi in München, der Sedlmayr Franz, hat mir neulich was verraten. Angeblich steht man mit Horch in Verhandlung über eine Zusammenarbeit. Die sind in Zwickau ganz scharf auf das Fahrwerk unseres Röhr 8. Vielleicht kriegen die Ober-Ramstädter ja so doch noch die Kurve.”

So könnte es gewesen sein, bei einem Fotohalt irgendwo im Alpenraum im Jahr 1933. Leider wurde aus der Kooperation mit Horch dann doch nichts – sie hätte Röhr vielleicht die Rettung bringen können – verdient hätte die Marke es….

 

Literatur: Werner Schollenberger, Röhr – Ein Kapitel deutscher Automobilgeschichte, Darmstadt 1996

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Spielzeug oder Stilikone? Hanomag “Kommissbrot”

Nach der Zäsur des 1. Weltkriegs verlor die zuvor so leistungsfähige deutsche Automobilindustrie in vielerlei Hinsicht den Anschluss an die internationale Entwicklung.

Aus heutiger Sicht durchaus reizvolle Sonderwege wurden da beschritten.

Die einen bauten Modelle auf dem technischen Stand der Vorkriegszeit weiter und hielten hartnäckig an der 1913/14 aufgekommenen Spitzkühlermode fest – dies war gewissermaßen die trotzig-romantische Auffassung. 

Andere machten sich daran – oft verleitet von arbeitslos gewordenen Flugzeugingenieuren – möglichst alles anders zu machen oder überkandidelte Technik in Kleinserienwagen hineinzukonstruieren – dieser Ansatz gehört der heroisch-fortschrittlichen Richtung an, ebenfalls sehr deutsch.

Unterdessen bauten in den USA von kühl rechnenden “Managern” geführte Marken wie Ford und Chevrolet einfache, aber gnadenlos zuverlässige und familientaugliche Autos für jedermann. 

Während die “Amerikanerwagen” durch konsequente Industralisierung der Produktion so billig waren, dass sie sich jeder leisten konnte, arbeiteten einige deutsche Hersteller an Konzepten für einen deutschen “Volkswagen”.

Was daraus im Fall des Hannoveraner Maschinenbauers Hanomag wurde, kann man hier besichtigen:

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Hanomag 2/10 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ein Wagen, auf dessen Dach es sich die Dame des Hauses bequem machen konnte wie auf einem Spielzeugauto, war (Freunde des Hanomag-Kommissbrot überlesen das besser) kurios, aber kein ernstgemeinter Beitrag zur Volksmotorisierung.

Die Bewohnerin des “Dachgeschosses” scheint sich auch nicht sicher zu sein, was sie von dem Mobil halten soll. In den Staaten wäre im tiefsten Iowa die Reaktion jeder Ford-T-Fahrerin auf dieses Gefährt eindeutig ausgefallen: “You’re kidding!”.

Was soll man sagen? Sicher: Das Verdienst der ersten Pontonkarosserie der Welt, das gebührt dem Hanomag 2/10 PS-Modell, für das der Volksmund den treffenden Spitznamen “Kommissbrot” fand.

Doch während Citroen und Austin erwachsene Autos mit konventionellem Vierzylindermotor bauten – mit riesigem Erfolg – beschritten die Konstrukteure des Kommissbrot andere Pfade.

Sie meinten, die Landsleute mit einem lärmigen 500ccm-Einzylindermotor im Heck beglücken zu müssen, der wie ein Rasenmäher mit einem Seilzug zu starten war – mit der linken Hand nebenbei…

Die Leistung des 10 PS-Motörchens war für ein Automobil ungenügend. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h bewegte sich der Hanomag 2/10 PS allenfalls auf Augenhöhe mit leichten Motorrädern.

Unstrittig war zwar der Vorteil eines geschlossenen Fahrgastraums – zumindest bei der ab 1926 angebotenen 2-Sitzer-Limousine. Dennoch liefen die Motorradfahrer nicht gerade in Scharen zu dem Miniaturauto über.

Mit knapp 16.000 Exemplaren in drei Jahren Produktionsdauer blieb der Markterfolg für ein “Volksautomobil” bei einer damaligen Bevölkerungszahl in Deutschland von über 60 Millionen äußerst bescheiden.

Dennoch fand der Hanomag 2/10 PS einige stilbewusste Käufer, die wohl seine Eigenwilligkeit angezogen haben muss. Hier haben wir ein schönes Foto, das zeigt, in welchen Kreisen einst ein Hanomag “Kommissbrot” Aufnahme fand:

Hanomag_2-10_PS_Beiwagen_Galerie.jpg

Hanomag 2/10 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Neben zwei schweren Beiwagenkrädern mit Berliner Zulassung sehen wir gar nicht mal so schüchtern ein Hanomag 2/10 PS-Modell hervorlugen.

Es trägt die zwei Scheinwerfer, die ab 1931 statt der Leuchte in der Mitte der Karosserie vorgeschrieben waren. Damit hätten wir schon einmal das frühestmögliche Datum dieser Aufnahme.

Von einem stilbewussten Besitzer wurden die scheibenförmigen Abdeckungen auf den Speichenrädern montiert – nach Aussagen von Kennern ein zeitgenössisches Zubehör.

Was aber brachte einst diese schweren Motorräder und das behäbige Kommissbrot zusammen? Leider wissen wir nichts über die Umstände dieser Aufnahme, doch das Lächeln der Dame mit Hund entschädigt uns dafür:

Hanomag_2-10_PS_Beiwagen_Ausschnitt

“Na, wat meint Ihr wohl – ob dat meiner iss? Der Hund, ja dit iss klar. Aber der olle Hanomag? Ick würd’s Euch jern verraten…”

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In bester Gesellschaft: Brennabor Typ R 6/25 PS

Dieser Oldtimerblog soll im 21. Jahrhundert etwas von der faszinierenden Welt der Vorkriegsautos vermitteln – und zwar so, wie sich im deutschsprachigen Raum einst darbot.

Daher dominieren hier deutsche, österreichische und tschechische Marken. Eine wichtige Nebenrolle spielen Fiat und diverse US-Hersteller, die bei uns eine heute kaum vorstellbare Präsenz entfalteten.

Spannender ist aber das Kapitel der weit über 100 untergegangenen deutschen Automobilhersteller. Da tauchen geheimnisvoll klingende Namen aus den Tiefen der Vergangenheit auf: Apollo, Cyklon, Dux, Helios, Oryx, Pluto, Rex, Sphinx…

Heute beschäftigen wir uns mit einem weiteren vergessenen Hersteller, der nach dem 1. Weltkrieg zeitweilig Deutschlands größter Autobauer war: Brennabor.

Leider kommt man an Originalfotos von Brennabor-Wagen nur schwer heran, obwohl die Autos in Brandenburg an der Havel einst fließbandmäßig gefertigt wurden. Bietet jemand eine Aufnahme eines Brennabor an, ist der Preis oft abwegig.

Der Verfasser hat eine Strategie entwickelt, um solche vermeintlichen Raritäten zu ergattern – er verlässt sich auf den Zufall. Statistisch gesehen, muss einem immer mal wieder so ein Havel-Fisch ins Netz gehen, auch wenn man nicht danach sucht.

Hier haben wir ein großartiges Beispiel dafür, wie gut das funktioniert:

Brennabor_Typ_R_6-25_PS_Galerie

Tourenwagen der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme ist ganz klar das Ergebnis professionellen Fotohandwerks.

Hier kannte jemand das Geheimnis klassischer Inszenierung – keine exaltierten Perspektiven, kein gekünsteltes Posieren, keine angestrengt “lustigen” Situationen.

Stattdessen: Saubere Tiefenstaffelung vor majestätischer Kulisse, perfekte Belichtung, Kontrastreichtum und großer Tonwertumfang.

So fotografierte ein Könner zu einer Zeit, als jedes Negativ noch eine Kostbarkeit darstellte, die in der Dunkelkammer mit Sorgfalt weiterbehandelt werden wollte. Doch genug der Schwärmerei…

Gleich erkannt hat der Verfasser den Tourenwagen ganz rechts, eindeutig ein Presto D-Typ 10/30 PS. Davon haben wir auf diesem Blog schon so viele Exemplare vorgestellt, dass wir es uns leisten können, ihn nur am Rande zu betrachten:

Presto_D_Tourenwagen (2)_Galerie

Presto D-Typ 10/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Sechs Luftschlitze in der hinteren Hälfte der Motorhaube, ein ganz leicht nach vorn geneigter Spitzkühler, vorne spitz auslaufende Schutzbleche, Abdeckblech über den Rahmenausläufern – das genügt zur Identifikation.

Zum Vergleich sei die Presto-Galerie auf diesem Blog empfohlen.

So markant die von Presto aus Chemnitz in der ersten Hälfte der 1920er Jahre gebauten Qualitätswagen auch waren – uns interessiert auf vorliegender Aufnahme ein anderes, auf den ersten Blick unscheinbares Fahrzeug:

Brennabor_Typ_R_6-25_PS_Ausschnitt

Brennabor Typ R 6/25 PS; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Oberflächlich betrachtet scheint das der hoffnungslose Fall eines beliebigen Tourenwagens der 20er Jahre zu sein, der unverhofft in gute Gesellschaft geraten ist. Doch bei näherem Hinschauen fallen einige Besonderheiten auf:

Da wären zunächst die merkwürdig kleinen Scheinwerfer. Wenig raffiniert wirken die Vorderkotflügel – sie sehen aus, als habe man freistehende Schutzbleche nachträglich mit dem Rahmen verbunden. Ungewöhnlich sind auch die Scheibenräder mit großen Lochkreis.

Zudem sei auf die auffallend niedrigen Luftschlitze in der Motorhaube und das halbmondförmige Blech auf dem Seitenschweller hingewiesen.

Das alles finden wir auf folgender Abbildung wieder – nur an einem Wagen mit Landaulet-Aufbau:

Brennabor_Typ_R_6-25_PS_Motorfahrzeuge_Wolfram_1928_Galerie

Dieses Dokument aus dem 1928 erschienen Buch “Die Motorfahrzeuge” von Paul Wolfram erlaubt die Identifikation des Wagens auf unserem Foto als Brennabor Typ R 6/25 PS.

Das war der am häufigsten gebauten Brennabor überhaupt  – von 1925 bis 1928 entstanden rund 20.000 Exemplare dieses konventionellen Vierzylindertyps.

Er war dank rationeller Fertigungsweise günstiger als der vergleichbare Adler 6/25 PS, von dem weit weniger Fahrzeuge gebaut wurden. Der Adler bot aber mit Vierganggetriebe, 12-Volt-Elektrik und elastischerem Motor einige Vorteile.

Selten sind heute beide 25-PS-Typen der einstigen Konkurrenten. Brennabor versuchte sich übrigens ebenso wie Adler an 6- und 8-Zylinderwagen.

Doch im Unterschied zum Frankfurter Adlerwerk gelang der Brandenburger Firma der Übergang zur Großserienproduktion eines modernen Mittelklassewagens nicht – und 1933 war das Schicksal von Brennabor als Autohersteller besiegelt.

Wem auf dem Foto die dreiteilige Stoßstange des Brennabor aufgefallen ist, der mag vielleicht einen Blick auf einen weiteren Brennabor desselben Typs werfen. Er weist einige abweichende Details auf, lässt sich anhand weiterer Aufnahmen aber ebenfalls als Typ R 6/25 PS ansprechen.

Kann ein Kenner der Marke mehr zur genauen Chronologie der zwischen 1925 und 1928 gebauten Varianten des Typs sagen?

Die Literatur zu Brennabor ist diesbezüglich äußerst sparsam – auch damit befindet sich diese einst so bedeutende Marke in bester Gesellschaft…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

Schon wieder ein Dixi? Ja, aber endlich ein echter…

Beim Stichwort “Dixi” jubelt das Herz der Freunde deutscher Vorkriegswagen, allerdings gilt die Leidenschaft nicht immer demselben Objekt… 

Der Volksmund verbindet die – heute an eher profanen Gegenständen zu findende – Bezeichnung Dixi mit den ersten ab 1929 gebauten BMW-Automobilen.

Mit einem reizvollen Abkömmling dieses BMW 3/15 “Dixi” haben wir uns im letzten Blogeintrag befasst, dem “Wartburg” Roadster.

Doch dessen Basis BMW 3/15 DA2 wurde nie als Dixi verkauft. Und sein Vorgänger, der von Dixi seit 1927 gebaute 3/15 Typ DA1 trug zwar den Namen Dixi, war aber strenggenommen ebenfalls kein echter.

Denn der Dixi 3/15 DA1, den BMW nach der Übernahme der Eisenacher Fahrzeugwerke (Dezember 1928) noch bis März 1929 weiterbauen ließ, war ja bloß ein Lizenznachbau des britischen Austin Seven.

Abgesehen von der Linkslenkung und einer anderen Elektrik hatten die Eisenacher Fahrzeugwerke ihrem “Austin Seven-Klon” lediglich ein Dixi-Emblem verpasst, wie hier zu sehen ist:

Dixi_DA1_Goodwood_2016

Dixi DA1, Goodwood Revival 2016; Bildrechte: Michael Schlenger

Doch ein Dixi im eigentlichen Sinn wurde dieser Austin Seven-Nachbau dadurch nicht, ebensowenig wie der darauf basierende BMW 3/15 DA2 durch ein paar weitere Modifikationen schon ein echter BMW wurde – konstruktiv war auch er im Wesentlichen noch ein Austin Seven-Abkömmling.

Den Freunden des BMW “Dixi” soll damit nun keineswegs die liebgewonnene Bezeichnung genommen werden.

Aber: Es gibt auch Freunde “echter” Dixis, die von den bereits 1898 gegründeten Eisenacher Fahrzeugwerken selbst entwickelt wurden und eine eigene Betrachtung verdienen – losgelöst von der Austin/BMW-Episode.

Der Ursprung der Marke Dixi soll hier nicht ausgebreitet werden, das haben wir ja erst gestern getan. Wir steigen stattdessen mit einer historischen Aufnahme eines Dixi ein, das zeigt, in welcher Liga die Eisenacher Wagen einst spielten:

Dixi_13-39_PS_Sammlung_Bengsch_Galerie

Dixi 13/39 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Das ist nun wirklich kein Kleinwagen, sondern ein ausgewachsener Sechssitzer.

Bevor wir uns dieses “Schiff” näher ansehen, sei Leser Marcus Bengsch gedankt, der diese rare Aufnahme aus seiner Sammlung beigesteuert hat. Er war übrigens auch der Spender des kürzlich veröffentlichten Fotos eines Röhr 8 Typ R.

Beim Verfasser, der beileibe kein Dixi-Spezialist ist, fiel der Groschen nicht gleich. Denn auf dem Originalabzug ist ausgerechnet die Kühlerpartie beschädigt, was den Blick auf’s Wesentliche zunächst verstellte.

Für Dixi-Spezialisten ist das natürlich unverzeihlich, aber man kann nicht Tag und Nacht die thüringische Marke mit dem Kentaur als Kühlerfigur im Kopf haben…

Dixi_13-39_PS_Sammlung_Bengsch_Frontpartie

Das ist nun das Ergebnis einiger Retuschen und siehe da: Spitzkühler mit  vorwärtsstürmendem Kentauren auf dem Einfüllstutzen – ein Dixi!

Die Kühlerfigur von Dixi war übrigens eine der geistreichsten Ideen auf diesem Sektor. Das menschenköpfige Pferd aus der griechisch-römischen Mythologie – der Kentauros oder auch Zentaur – spielt auf die Verschmelzung von menschlicher Geisteskraft und körperlicher Energie aus Pferdestärken an.

Dieselbe Idee hatte einst übrigens auch die französische Marke UNIC.

Zurück zu dem mächtigen Tourenwagen. Die Identifikation des genauen Typs ist nicht einfach und der Verfasser lässt sich hier gern eines Besseren belehren.

Die elektrischen Scheinwerfer sprechen für eine Entstehung nach dem 1. Weltkrieg. Auch der gemäßigte Spitzkühler passt dazu – “um 1920” sagt das an deutschen Veteranenwagen geschulte Bauchgefühl.

Doch die ausgeprägte “Tulpenform” der Karosserie – eine organische Form, die erst in der Frontalansicht ihren ganzen skulpturalen Reiz entfaltet – verweist auf ein Modell, das noch aus der Vorkriegszeit stammt.

Dafür kommen bei Dixi in dieser Größenklasse nicht viele Wagen in Frage. Der Verfasser plädiert angesichts der Länge und Höhe der Motorhaube für einen der großvolumigen S16-Typen, die ab 1912 entstanden.

Der Wagen besaß einen 3,4 Liter großen Vierzylindermotor konventioneller Bauart, der in der letzten Ausbaustufe 39 PS leistete.

In Halwart Schraders Werk “BMW Automobile”, 1. Ausgabe 1978, gibt es auf Seite 127 eine Aufnahme, die einen ähnlichen Dixi 13/39 PS im Jahr 1923 in Berlin zeigt.

Könnte das hier präsentierte Foto ein solches frühes Nachkriegsmodell zeigen? Laut der spärlichen Literatur zu Dixi wurde jedenfalls das 13/39 PS-Modell nach dem 1. Weltkrieg weitergebaut.

Genaueres hätten die Insassen zu sagen gewusst, die hier in der ersten Reihe saßen:

Dixi_13-39_PS_Sammlung_Bengsch_Insassen

Man sieht hier, wie der Verdeckkasten die Gestaltung der gesamten, farblich abgesetzten Gürtellinie des Wagens beeinflusst und dadurch praktisch verschwindet – sehr schön gedacht und eindrucksvoll im Blech umgesetzt!

Eine Sache wäre da aber noch, die mit der Marke Dixi gar nichts zu tun hat. Wer am Anfang aufgepasst hat, wird eine zigarrenförmige Stoßstange vorn an dem Tourenwagen bemerkt haben.

Solch ein Teil war auch an diesem Kompressor-Mercedes Typ 15/70/100 PS verbaut, den wir vor längerer Zeit präsentiert haben (Bildbericht):

mercedes_Stoßstange

Mercedes 15/70/100 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Weiß jemand, wer der Hersteller dieses Zubehörs war? Es dürfte aus den frühen 1920er Jahren stammen, bevor sich die US-Doppelstoßstangen durchsetzten.

Jedenfalls gibt uns dieses Anbauteil einen weiteren Hinweis darauf, dass das Dixi-Foto wohl Anfang der 1920er Jahre entstand.

Wenn die vorgeschlagene Zuschreibung Typ S16 stimmt, hätten wir es dem Grundsatz nach mit einem der am häufigsten gebauten Dixi in der Ära vor der Austin-Lizenz zu tun – rund 700 Exemplare wurden davon gebaut.

Wieviele, oder besser: wie wenige, davon diesen schönen Aufbau erhielten und über die Spitzenmotorisierung 13/39 PS verfügten, ist wohl kaum noch ermittelbar.

Zumindest in der Hinsicht haben die Freunde der späteren als Dixi bzw. BMW Dixi gebauten Austin Sevens die Nase vorn, sie sind vergleichsweise gut dokumentiert – obwohl: selbst da hapert es, wenn man richtig ins Detail geht…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.