Fund des Monats: Ein Simson Typ Co an der Ostsee

Ende Oktober 2019 – seit Tagen ziehen Formationen von Kranichen und Wildgänsen über die hessische Wetterau hinweg nach Westen auf das Taunusgebirge zu. An dieser Landmarke biegen sie dann ab Richtung Winterquartier im Süden.

Das Bild ist jeden Herbst dasselbe und doch schaut man immer wieder fasziniert zum Himmel, wo die Vögel dahinziehen. Es wird vermutet, dass sie sich dabei an Anomalien des Erdmagnetfelds orientieren, die geologisch bedingt sind.

Erstaunlich, wie wenig man über dieses grandiose Naturphänomen weiß – aber es forschen auch nur sehr wenige Spezialisten daran.

Ähnliches lässt sich von der faszinierenden Welt deutscher Vorkriegsmarken sagen: Man ist immer wieder hingerissen von den Wundern, die sich dem Betrachter auf alten Fotos darbieten, und stellt erstaunt fest, wie dünn das Wissen darüber oft ist.

Das gilt auch für die Marke, um die es beim heutigen Fund des Monats geht. Das letzte Mal, dass sich jemand gründlich damit beschäftigt hat, liegt bereits gut 30 Jahre zurück. 

1988 – ein Jahr vor dem Ende der Herrschaft der Kommunisten in Ostdeutschland, die unter anderem Namen immer noch im Parlament sitzen – veröffentlichte Ewald Dähn das einzige mir bekannte Buch über die Autoproduktion von Simson aus Suhl.

Bis weit in das 19. Jahrhundert lässt sich die Geschichte der thüringischen Firma zurückverfolgen, die sich zunächst als Waffenhersteller einen Namen machte. Kurz vor der Jahrhundertwende nahm man daneben den Fahrradbau auf.

Ab 1908 machte sich Simson an die Entwicklung eines eigenständigen Automobils. Der Prototyp mit luftgekühltem Zweizylindermotor erwies sich jedoch als untauglich.

Glücklicherweise konnte man einen der besten deutschen Automobilingenieure verpflichten – Paul Henze. Er hatte gerade seine Stellung bei Imperia in Belgien verlassen und sollte später bei Steiger noch zu großer Form auflaufen.

Während seiner kurzen Tätigkeit bei Simson legte Henze den Grundstein für eine Reihe zunehmend leistungsfähiger Automobile. Den Anfang machte der Typ A von 1911, auf den schon 1912 der stärkere Typ B folgte.

Beides waren Kleinwagen mit wassergekühlten Vierzylindern unter 2 Litern Hubraum. Doch noch 1912 entschied man sich bei Simson zu einem kühnen Schritt.

Auf Basis der bisherigen Modelle wurde der weit leistungsfähigere Typ C mit 2,6 Liter-Motor und 30 PS entwickelt. 1913 folgte der 45 PS starke Typ D mit 3,5 Litern.

Von da war der Weg nicht weit bis zu diesem Prachtstück:

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Simson Typ Co; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir es mit einem der nochmals leistungsfähigeren SimsonWagen zu tun, die ab 1919 gebaut wurden.

Fritz Hattler, einstiger Konstrukteurskollege von Paul Henze, hatte den Simson-Typen B und C eine deutliche Leistungssteigerung verordnet. Möglich wurde dies bei gleichem Hubraum durch im Zylinderkopf hängende Ventile, die eine bessere Kraftstoffausnutzung ermöglichten.

Aus dem Typ B 6/18 PS wurde so der Bo mit 22 PS und aus dem Typ C 10/30 PS der Typ Co mit 40 PS, also satten 10 Pferdestärken mehr als vor dem 1. Weltkrieg. Diese Wagen machten auch optisch einiges her:

Simson_Co_1924_Ausschnitt

Typisch für die Simsons der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg war zum einen der Spitzkühler (im Unterschied zu Benz und Mercedes ohne Markenemblem.

Zum anderen sieht man auf den Dokumenten von Simson-Wagen wie auf obigem Foto oft Drahtspeichenräder, die bei deutschen Fabrikaten selten waren.

Einen Hinweis auf die Motorisierung liefert bei aller gebotenen Vorsicht die Zahl der Luftschlitze in der Haube. Der kleiner Typ Bo scheint mit deren vier oder fünf ausgekommen zu sein, der größere Typ Do besaß sieben davon.

“Unser” Simson liegt mit sechs Luftschlitzen in der Mitte – das spräche für das Modell Co 10/40 PS. Freilich ist die Evidenz, auf die sich diese Zuschreibung stützt, äußerst dünn und in der allgemeinen Literatur wimmelt es von Fehlern.

Daher ist die Ansprache dieses Tourenwagens als Simson Typ Co 10/40 PS als Arbeitshypothese zu verstehen. Sicher sagen lässt sich dagegen über das Auto etwas anderes:

Simson_Co_1924_Galerie

Dank der schönen Beschriftung von alter Hand wissen wir, dass dieser edle Simson-Tourenwagen einst an der Ostsee fotografiert wurde, 1924 am Timmendorfer Strand.

Das Entstehungsjahr der Aufnahme passt auch gut zum Vorhandensein einer Frühform der Stoßstange, die hier als Zubehör nachträglich montiert worden war.

So etwas brauchte man erst, als der Verkehr zumindest in den Großstädten zunahm – weshalb ich vermute, dass der Simson einem Urlauber aus Berlin gehörte.

Auf dem Land brauchte man damals keine solchen Accessoires. Dort konnte man allenfalls mit einem Pferdefuhrwerk zusammenrasseln, während man vielleicht sehnsüchtig den Zugvögeln hinterherschaute, die am Himmel entlangzogen…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Die Reife bringt das gewisse Etwas: Hanomag 4/23 PS

Mit fortgeschrittenem Alter geht – hoffentlich – nicht nur zunehmende Lebenserfahrung und Abgeklärtheit einher. Im günstigen Fall reifen über die Jahre auch Qualitäten, die das schwer erklärbare “gewisse Etwas” ausmachen.

Das gilt für ausgesuchte Zeitgenossen, deren Charisma von auch äußerlich sichtbarer Reife profitiert – an dieser Stelle möge sich der Leser eine verehrte Persönlichkeit seiner Wahl aus dem öffentlichen Leben oder dem privaten Umfeld imaginieren.

Ähnliches lässt sich bisweilen bei Fahrzeugen der Vorkriegszeit feststellen.

Meist trifft zwar zu, was auch heute noch gilt: Der erste Entwurf ist fast immer der Beste, danach wird er über die Jahre verwässert. Doch gibt es Ausnahmen, die mit zunehmender Reife einen Reiz entfalten, der dem Ursprungsmodell abging.

Ein Beispiel dafür möchte ich heute anhand mehrerer Fotos vorstellen. Den Anfang macht diese Aufnahme, die nach dem 2. Weltkrieg im Raum Leipzig entstand:

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Hanomag 4/20 oder 4/23 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auf den ersten Blick sieht man hier nur eine eher trist wirkende Limousine, deren Identifikation kaum möglich scheint.

Doch an der Oberseite der Kühlereinfassung sieht man das Hanomag-Emblem der späten 1920er bzw. frühen 1930er Jahre, das die Silhouette eines offenen Hanomag “Kommissbrots” darstellt – des kuriosen Erstlings des Maschinenbaukonzerns.

Ob es sich hier nun um eine späte Ausführung des Hanomag 4/20 PS von 1930/31 oder eine frühe Version der anfangs ähnlichen stärkeren Variante 4/23 PS handelt, muss vorerst offen bleiben.

Zum einen gibt das Foto wenig Details preis, zum anderen enthält die dürftige Literatur zur PKW-Produktion von Hanomag nicht ausreichend Vergleichsaufnahmen. Tatsächlich sind in meiner Hanomag-Galerie bereits weit mehr Originalfotos der unterschiedlichen Typen versammelt als in der gesamten mir bekannten Literatur.

Während im englischsprachigen Raum laufend Bücher über Vorkriegsmarken erscheinen, tut sich im deutschsprachigen Raum nur wenig – auch in dieser Hinsicht wirkt unser Land zunehmend kraftlos und mit konstruierten Problemen beschäftigt…

Weit besser zu erkennen ist das Fahrzeug auf folgendem Foto, das ich einmal mehr der glücklichen Hand und Großzügigkeit des Sammlerkollegen Klaas Dierks verdanke:

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Hanomag 4/20 oder 4/23 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Hier haben wir einen typischen Behelfspritschenwagen, wie er kurz nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland verbreitet war. Da die Neuproduktion nach 1945 nur schleppend in Gang kam, wurden überlebende Limousinen kurzerhand für die Zwecke von Landwirten, Handwerkern und Vertretern “passend” gemacht.

Die sich dabei ergebenden Fahrzeuge sind oft von besonderem Reiz.

Sie künden von der Not der Nachkriegszeit und dem Improvisationsvermögen einer Bevölkerung, die noch echte Berufe erlernt hatte, anstatt sich Fantasieprofessionen hinzugeben. Dass Mensch und Maschine funktionieren, war ein überlebenswichtiges Muss, den Luxus irgendwelcher Neurosen leistete man sich dann später.

Zugleich vermitteln diese Zeitzeugen eine Vorstellung von Authentizität, die vielen heutigen – allzuoft unnötigerweise auf fabrikneu gemachten – “Oldtimern” abgeht.

Aber das nur nebenbei – denn eigentlich geht es um den Hanomag 4/23 PS, der als stärker motorisierte Variante 1931 den 4/20 PS ablöste. Da haben wir schon einen!

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Hanomag 4/23 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das ist nun ein Beispiel für ein Foto, das niemand haben wollte und so für den Startpreis von 1 EUR zzgl. Porto in meiner Sammlung landete.

Ich wusste zunächst selbst nicht, was für ein Auto darauf abgebildet ist, doch dachte ich, dass sich für eine solche Autoaufnahme mit feschem Fotomodell auf zwei Beinen schon eine Verwendung finden lässt.

Ansonsten wäre diese Szene vermutlich bald 90 Jahre nach ihrer Entstehung in der Mülltonne gelandet – das fand ich keinen schönen Gedanken.

Tatsächlich gibt obiges Foto auch in automobiler Hinsicht etwas preis – betrachtet man es im Kontext mit folgender Aufnahme, die ich vor längerem schon einmal im Blog verwendet habe:

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Hanomag 4/23 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch ohne spezielle “Hanomag”-Brille wird man hier feststellen: “Das ist ja praktisch das gleiche Auto!”

In der Tat, nur diesmal sieht man auch die Frontpartie mit leicht schrägstehendem Kühlergrill und glänzendem Hanomag-Emblem – kein “Kommissbrot”-Konterfei mehr, sondern ein Adler mit ausgebreiteten Schwingen – noch stärker stilisiert als derjenige, den die Frankfurter Adlerwerke seinerzeit verwendeten.

Im Unterschied zur frühen Version des Hanomag 4/23 PS bzw. des äußerlich wohl weitgehend identischen 4/20 PS sind hier die Luftschlitze direkt in die Motorhaube eingeprägt und nicht Teil eines separaten Blechs, das aufgeschweißt wurde.

Ein bisserl dröge sieht das Gefährt mit seinem braven 1,1 Liter-Motor klassischer Machart (Seitenventiler) ungeachtet der gutgelaunten Insassen aber schon aus, oder?

Doch auch wenn man bei Hanomag im PKW-Bau, der nur ein Nebenerwerwerbszweig war, eher auf der konservativen Seite blieb, rang man sich beim 4/23 PS-Modell zuletzt doch noch zu etwas durch, was heiter und elegant wirkte:

Hanomag_4-23_PS_Albert_Iffland_Gotha_Galerie

Hanomag 4/23 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Viel zu dem freundlichen Eindruck trägt natürlich die Zweifarblackierung bei, die jedes Vorkriegsauto in einem ganz anderen Licht erscheinen ließ, weil die Architektur der Karosserie so besonders vorteilhaft zur Geltung kommen konnte.

Doch im Unterschied zu vorangegangenen Aufnahme trägt hier auch der vollverchromte Kühlergrill zur Leichtigkeit der Anmutung dieses Hanomag 4/23 PS bei, der eventuell in der Hansestadt Bremen zugelassen war (das Nummernschild ist nicht ganz klar zu lesen).

Eine gewisse, so gar nicht hanseatisch wirkende Lässigkeit strahlt auch der mutmaßliche Besitzer des Hanomag aus, der hier auf dem Trittbrett posiert.

Wir kennen sogar seinen Namen: Albert Iffland aus Gotha. Wie das zur mutmaßlichen Zulassung in Bremen passt, lässt sich wohl nicht mehr klären. Vielleicht war er dort als Geschäftsmann tätig.

Jedenfalls hat es sein Konterfei entgegen alle Wahrscheinlichkeit ins 21. Jahrhundert und ins Internet geschafft – ebenso wie die Aufnahme der namenlosen Dame, die einst an einem Hanomag 4/23 PS posierte…

Eine Sache noch:

Ein HanomagChromkühlergrill wie auf der letzten Aufnahme hat sich vor einiger Zeit in meiner Sammlung von Automobilia eingefunden. Was fehlt, ist das passende Hanomag-Flügelemblem – vielleicht sucht ja irgendwo noch eines nach Anschluss…

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Offene Frage: Ein unbekanntes Fiat 1100 Cabriolet

Wer sich ein Bild von der Vielfalt an Marken und Typen machen will, die die automobile Welt der Vorkriegszeit in deutschen Landen auszeichnete,  hat jenseits der Classic Days auf Schloss Dyck und der Classic Gala in Schwetzingen wenig Auswahl.

Für meinen Geschmack verdirbt bei vielen anderen Veranstaltungen ein Überangebot an Gebrauchtwagen der 1980/90er Jahre das Gesamtbild . Zwar wurden damals auch noch der unzerstörbare VW Käfer, Citroens genial einfacher 2CV oder der klassische Jaguar XJ6 gebaut – doch letztlich waren dies Relikte der 1930er bis 60er Jahre.

Den ab den 1970er Jahren neu entwickelten Fahrzeuge jedenfalls fehlt aus meiner Sicht die Faszination, was mit dem Einsatz von viel Plastik und Elektronik sowie einer Gestaltung zu tun hat, der die Freude an der Form als Wert an sich abgeht.

Zu diesem ernüchternden Befund passt es, dass einer der elegantesten in der Vorkriegszeit bei uns verbreiteten Mittelklassewagen bei heutigen Klassikerveranstaltungen praktisch unauffindbar ist – der Fiat 1100.

Dabei wurde das Modell sogar als NSU-Fiat in Heilbronn gebaut – in dem Werk, in dem einst NSU-Automobile entstanden waren – aber das weiß heute auch kaum noch wer.

Nur alte Fotos künden von der beachtlichen Präsenz des 1100er Fiat hierzulande – nachfolgend eine Auswahl bisher in meinem Blog vorgestellter Aufnahmen:

Fiats technisch wie karosserieseitig moderner 1100er, der ab 1937 in Turin und ab 1938 in Deutschland gebaut wurde, war nicht nur in der Serienausführung ein großer Erfolg – er lieferte zudem die Basis für eine außergewöhnliche Vielfalt an Sonderkarosserien und sogar Sportausführungen.

Beides galt übrigens auch für die Nachkriegszeit, als der Fiat 1100 mit nur behutsam modernisierter Maschine, aber laufend an den Zeitgeschmack angepasstem Aufbau noch jahrzehntelang weitergebaut wurde.

Das robuste Aggregat mit im Zylinderkopf hängenden Ventilen und drehfreudiger Charakteristik lud zum Frisieren ein – statt serienmäßigen 32 PS ließ sich auch das Doppelte herausholen – in der Hubraumklasse ein exzellenter Wert.

Die Basis mit modernem Fahrwerk – Einzelradaufhängung und Hydraulikstoßdämpfer vorn sowie hydraulische Vierradbremsen – gab Anlass genug, auch gestalterisch etwas Besonderes anzubieten.

Dieses Cabriolet ist ein schönes Beispiel dafür (ich habe es hier schon einmal gezeigt):

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NSU-Fiat 1100 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Sieht man von dem mächtigen Nebelscheinwerfer ab, haben wir es hier mit einem der Cabriolets zu tun, die als NSU-Fiat 1100 in Deutschland gefertigt wurden.

Folgende Details sind für die weitere Betrachtung von Bedeutung:

  • seitliche Luftklappe im hinteren Bereich der Motorhaube
  • halbkugelförmige Radkappen mit glatter Oberfläche
  • angedeutetes Trittbrett unterhalb der hinten angeschlagenen Tür

Werfen wir nun einen Blick auf einen weiteren Fiat 1100 in Cabriolet-Ausführung, der einige offene Fragen aufwirft:

Fiat_1100_Cabriolet_Galerie

Fiat 1100 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Daran, dass es sich um einen Fiat bzw. NSU-Fiat 1100 handelt, besteht kein Zweifel.

Die Form des Kühlgrills und die Position der Luftklappe in der Haube sprechen klar für den verbreiteten “Millecento”, auch wenn hier andere Scheinwerfer verbaut wurden, die Vorderstoßstange fehlt und auf ein Trittbrett verzichtet wurde. Ebenfalls nicht zum Standard passen die mehrfach profilierten Radkappen.

Wer an dieser Stelle Zweifel an der Ansprache als Fiat 1100 hat, möge die Originalaufnahme eines Werks-Cabriolets aus deutscher Produktion hier studieren.

Für mich stellt sich die Frage: Wer hat diesen speziellen offenen Aufbau auf Basis eines Fiat 1100 geliefert? Und wann ist dieser entstanden?

Ich möchte nämlich nicht ausschließen, dass es sich um eine modifizierte Karosserie der späten 1940 oder frühen 1950er Jahre handelt.

Für eine Nachkriegsschöpfung würde nicht nur die Montage vollverchromter Scheinwerfern sprechen, die von einer älteren Limousine übriggeblieben sein könnten. Auch die Form der Sonnenbrille der Beifahrerin verweist eher auf die frühe Nachkriegszeit.

Apropos: Nach dem Zweiten Weltkrieg waren immer noch etliche serienmäßige Fiat 1100 auf deutschem Boden unterwegs – und zwar in Ost und West.

So etwa in Westberlin einst dieser adrette 1100er:

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Fiat 1100, Nachkriegszulassung in Berlin; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bis auf die lackierte Stoßstange war der Wagen vorbildlich wieder hergerichtet worden. Auf ein so blitzsauberes Ergebnis konnte man mit Recht stolz sein, während im Hintergrund noch der Wiederaufbau zerbombter Wohnhäuser im Gange war.

Unterdessen wurde auch im sowjetisch besetzten Osten Deutschlands alles am Laufen gehalten, was den Krieg überstanden hatte. Dort sollten Vorkriegsautos das Modernste und Leistungsfähigste bleiben, was verfügbar war.

Dummerweise reichte der Bestand an überlebenden Fahrzeugen nicht aus, allen Genoss/innen den Betrieb eines DKW, eines BMW oder gar eines Audi zu ermöglichen – allesamt ostdeutsche Fabrikate bis 1939, nebenbei.

Auch die leistungsstarken und gut ausgestatteten US-Wagen der 1920er Jahre, die nicht für den Krieg eingezogen worden waren, blieben in Händen weniger Enthusiasten, denen wir das Überleben etlicher dieser Zeitzeugen verdanken.

Doch was wurde eigentlich aus den zahlreichen Wagen des Typs Fiat 1100, die in der frühen Nachkriegszeit im jetzt rotem Sozialismus ausgelieferten Teil Deutschlands noch existierten?

Zumindest diese frühestens 1948 aufgenommene Limousine scheint eine durchaus solide Basis dargestellt zu haben:

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Fiat 1100; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vergleicht man übrigens das Erscheinungsbild unserer Landsleute hinter dem “Eisernen Vorhang” nach dem Krieg mit dem der 1970/80er Jahre, wird deutlich, wie heillos zerstörerisch sich das sozialistische Experiment DDR auf die Würde seiner unfreiwilligen Teilnehmer auswirkte.

Davon unabhängig bleibt am Ende nicht nur die Frage, wer einst den Cabrioletaufbau für den Fiat 1100 auf der heiteren Aufnahme weiter oben hergestellt hat.

Ich würde auch gern wissen, aus den zahlreichen Exemplaren des Serientyps geworden ist, die nachweislich den Krieg überstanden haben.  Mir ist nämlich bislang noch nie einer begegnet…

Nachtrag: Leser Erik Dünnebier konnte das Rätsel des Fiat 1100 Cabriolets lösen. Demnach stammt der Aufbau von Buhne (Berlin) und ist auch andernorts dokumentiert.

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Stilistisches Vorbild für den Audi 920: Buick von 1937

Manche Freunde deutscher Vorkriegswagen hören es nicht gern und ich musste es im Lauf der Jahre ebenfalls erst lernen:

Die US-Großserienhersteller übernahmen nach dem 1. Weltkrieg technisch wie stilistisch die Führung und ließen die meisten Autos aus deutscher Produktion im wahrsten Sinne des Wortes alt aussehen.

Ende der 1920er Jahre hatten amerikanische Wagen im Deutschen Reich einen heute unvorstellbaren Marktanteil von mehr als einem Drittel, in der Hauptstadt Berlin waren die “Amerikaner-Wagen” seinerzeit sogar noch verbreiteter.

Ab 1930 holten die einheimischen Hersteller auf – auch mit Nachhilfe aus Übersee, was die Großserienmodelle von Opel und Ford angeht. Speziell bei Kleinwagen und in der Mittelklasse machten zunehmend deutsche Fabrikate das Rennen.

Doch das lag nicht an einer vermeintlichen Unterlegenheit von US-Wagen in dieser Kategorie, sondern schlicht daran, dass die amerikanische Automobilindustrie so weit fortgeschritten war, dass selbst die Wagen der dortigen Massenhersteller in einer anderen Liga spielten, für die der breite deutsche Markt noch nicht reif war.

Illustrieren lässt sich dies anhand des Vergleichs zwischen dem ab 1938 gebauten Audi 920 – einem der Oberklasse angehörigen Manufakturwagen aus dem Auto-Union-Verbund  – und einem Massenprodukt aus dem General-Motors-Konzern.

Hier zunächst der in weniger als 1.300 Exemplaren gebaute Audi 920:

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Audi 920; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Fahrzeug habe ich hier bereits im Kontext der Audi-Modellgeschichte vorgestellt.

In der Tat handelte es sich bei dem bis zu 80 PS leistenden Sechszylinderauto um einen der modernsten deutschen Serienwagen vor Ausbruch des 2. Weltkriegs.

Zeitgenössische Tests lobten die souveräne Gangart bei hohem Tempo, das Fahrwerk und das synchronisierte Getriebe, das man vom Horch 8 übernommen hatte.

“Vorsprung durch Technik” – an diesen modernen Slogan von Audi mag man denken.

Doch stellt sich Ernüchterung ein, betrachtet man das, was auf der anderen Seite des Atlantiks im Angebot war – und das nicht im Premiumsegment, sondern ausgerechnet bei der Mittelklassemarke Buick:

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Buick des Modelljahrs 1937; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser Buick mit Zulassung in Wien scheint dem Audi wie aus dem Gesicht geschnitten!

Dumm nur, dass die seit 1903 bestehende General Motors-Marke dieses Modell bereits seit Oktober 1936 anbot…

Auch wenn in der Literatur zum Audi 920 meist etwas von “inspiriert von amerikanischen Tendenzen” gesäuselt wird, war der Wagen zumindest in der Frontpartie fast ein Plagiat des Buick des Modelljahrs 1937.

Dass dies nicht die Juristen bei GM auf den Plan rief, dürfte damit zu tun haben, dass die handgefertigten Audis des Typs 920 in Deutschland keine ernstzunehmende Konkurrenz für den Buick darstellten.

Der US-Wagen war aus Sicht potentieller Käufer im deutschsprachigen Raum weit oberhalb des Audis angesiedelt. So gab sich Buick mit Sechszylindern erst gar nicht ab und bot das Basismodell mit einem 100 PS leistenden ohv-Achtzylinder an.

Verfügbar war außerdem eine 130 PS leistende Variante mit satten 5,2 Litern Hubraum. Standard waren synchronisiertes Getriebe, Hydraulikbremsen und hintere Schwingachse.

Warum es den Amis völlig gleichgültig sein konnte, was irgendwo in Zwickau mit Buick-Optik aus dem Werkstor rollte, unterstreichen die Produktionszahlen.

Während vom Audi 920 zwischen 1938 und 1940 bloß 1.281 Wagen gemütlich zusammengeschraubt wurden, liefen vom Buick des Modelljahrs 1937 genau 220.346 Stück vom Band. 1938 folgten – äußerlich kaum verändert – noch einmal rund 170.000.

Dabei lebten in den Vereinigten Staaten damals gerade einmal anderhalb mal soviele Menschen wie im Deutschen Reich (120 Mio. vs. 78 Mio.). Da blieb für den Export nach Good old Germany – dem Mutterland vieler Amerikaner – genügend übrig:

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Buick von 1937; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch diese gutgelaunten “Volksgenossen” fuhren in den späten 1930er Jahren keinen Audi 920, sondern einen Buick des Modelljahrs 1937.

Offenbar konnte man damals sehr deutsch sein – das Hufeisen am Kühler lässt grüßen – und dennoch ein überlegenes Produkt des US-Kapitalismus wertschätzen.

Leider sieht man von diesen einst in Europa so präsenten Wagen aus US-Produktion relativ wenige auf Traditionsveranstaltungen in Deutschland. Man trifft hierzulande auf haufenweise Bentleys und Bugattis – ganz wunderbar natürlich – aber ein banaler Buick von anno 1937? Fehlanzeige.

Eine fesche Maid aus deutschen Landen daneben, das wär’s doch. Es muss auch keine solche großgewachsene Walküre wie diese hier sein:

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Ein Bergmann-Metallurgique Tourer von 1912

Gut zwei Monate ist es her, dass ich (hier) ein großartiges Foto eines Tourenwagens des belgischen Herstellers Metallurgique vorstellen konnte.

Die Aufnahme stieß auf einige Resonanz, vor allem bei internationalen Lesern, die echte Veteranenwagen eher zu schätzen als viele “Oldtimer-“Freunde in Deutschland, denen die spannende automobile Welt vor 1939 zunehmend fremd zu sein scheint.

Es mag am deutschen Hang zum Herdentrieb liegen, dass man sich mehr für jüngere Massenfabrikate interessiert, deren Wert und Prestige der Nachbar einzuschätzen weiß.

Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel und so fand dieser prächtige Metallurgique auch hierzulande einigen Widerhall:

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Metallurgique von ca. 1910/11; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ich hatte bereits im seinerzeitigen Porträt darauf hingewiesen, dass die Marke Metallurgique sehr enge Verbindungen zu Deutschland besaß.

Nachdem der belgische Eisenbahnbauer 1899 sein erstes Auto vorgestellt hatte, gab es schon ab 1905 eine Niederlassung der Firma Métallurgique in Deutschland (in Köln).

Diese wurde auf Initiative von Herzog Ludwig von Bayern, dessen Schwester mit dem belgischen König verheiratet war, von der Bergmann Elektrizitätswerke AG in Berlin übernommen, die übrigens auch Elektroautos baute.

Die deutsch-belgische Verbindung wurde dadurch unterstrichen, dass der autobegeisterte Herzog Mitglied des Aufsichtsrats der neugegründeten Bergmann-Métallurgique-Gesellschaft wurde. Sie baute Wagen von Métallurgique bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs in Lizenz.

Ein schönes Dokument, das eine raffinierte Limousine von Bergmann-Metallurgique zeigt, ist diese Zeitschriftenreklame:

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Bergmann-Metallurgique, Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Das Windlaufblech zwischen Motorhaube und Frontscheibe verrät, dass dieser Wagen nicht vor 1910 gebaut wurde. Da die Karosserie sicher in Deutschland gefertigt wurde, wird sie den hiesigen gestalterischen Tendenzen entsprechend kaum nach 1911 entstanden sein.

Während Metallurgique in Belgien wie auch einige französische und britische Hersteller teils bis kurz vor dem 1. Weltkrieg an einem wie nachträglich aufgesetzten Windlauf festhielten, wich dieser in deutschen Gefilden schon 1912 einer harmonisch integrierten Version wie hier:

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Bergmann-Metalllurgique um 1912; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Ansichtskarte wurde im Mai 1913 auf die Reise geschickt, womit eine Datierung “um 1912” plausibel erscheint.

Zu diesem Zeitpunkt scheinen die belgischen Metallurgique-Wagen noch keine solchermaßen an die Motorhaube anschließenden Windlauf besessen zu haben. Deshalb nehme ich an, dass es sich um einen Tourenwagen aus der Lizenzfabrikation von Bergmann-Metallurgique mit deutscher Karosserie handelt.

Mit welcher Motorisierung wir es bei diesem Exemplar zu tun haben, lässt sich nur grob eingrenzen. Metallurgique bot seine Wagen ab 1912 in fünf Leistungsklassen an, wobei durchweg Vierzylinder verbaut wurden.

Die Bandbreite reichte von einem neuen kompakten 10CV-Modell mit nur 1,7 Litern Hubraum über die mittleren 12CV- und 16CV-Typen bis hin zu Hubraumriesen der Klassen 26CV und 40CV.

Anhand der Proportionen würde ich die ganz großen Modelle im vorliegenden Fall ebenso ausschließen wie den Einstiegstyp 10CV. Die genaue Motorisierung wird sich kaum klären lassen, aber das tut dem Reiz der Aufnahme keinen Abbruch.

Dazu tragen nicht zuletzt die sechs Insassen bei:

Metallurgique_um_1912_AK_gelaufen_05-1913_Insassen

Der junge glattrasierte Mann am Steuer mit “Kreissäge” auf dem Kopf nimmt bereits den Stil der frühen 1920er Jahre vorweg, während die älteren Geschlechtsgenossen noch traditionelle Barttrachten zur Schau stellen – durchaus typgerecht, wie ich finde.

Die Damen an Bord mit großem Hut und hochgeschlossenem Kleid lebten zwar in äußerst privilegierten Verhältnissen, dennoch erscheint ihre Rolle aus heutiger Sicht zwiespältig.

Wer wollte letztlich heute mit den Insassen dieses Bergmann-Metallurgique tauschen?

Wenn man nicht wüsste, dass ihnen der Erste Weltkrieg und das darauffolgende Elend bevorstand, könnte man immerhin versucht sein, das Dasein dieser hauchdünnen Schicht an sehr Vermögenden mit einem gewissen Neid zu betrachten.

Denn wer die Mittel hatte, sich einen solchen Manufakturwagen zu leisten, dem stand im Europa vor 1914 eine Welt der Opulenz offen, die heute auch bei unbegrenzten Mitteln nicht mehr zugänglich wäre – weil sie 1918 untergegangen war.

Ich will hier nicht die Fortschritte in der Medizin, Kindersterblichkeit oder in der Teilhabe von Frauen an Bildung und politischer Willensbildung beispielsweise kleinreden, die es seither gegeben hat.

Doch der grenzenlose Genuss der phänomenalen Blüte der Technik, der Wissenschaften und der Künste in jener Zeit des späten Jugendstils, der den Bessergestellten damals möglich war, sucht bis heute seinesgleichen.

Die Insassen dieses Bergmann-Metallurgique bewegten sich in einer ungeheuer produktiven und zugleich ästhetisch bis ins letzte Detail auf höchstem Niveau durchgestalteten Welt.

Doch abgesehen von architektonischen Zeugen und überlebenden technischen Artefakten wie historischen Automobilen ist diese Kultur untergegangen, ohne dass m.E. etwas vom Anspruch her Vergleichbares an ihre Stelle getreten ist.

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Aus der verbotenen Stadt hinaus auf’s Land: Ford Model Y

Regelmäßige Leser meines Blogs wissen: Die Überschrift eines neuen Eintrags ist nicht immer ernst gemeint, aber sie trifft in jedem Fall zu.

Wer kein Rheinländer ist, könnte mit der “Verbotenen Stadt” die kaiserliche Palastanlage in Peking assoziieren, die lange für den ordinären Untertan unzugänglich war. Wer jetzt an den geplanten Absperrgraben um den Reichstag in Berlin denken muss, übersieht, dass die Monarchie in Deutschland abgeschafft ist – eigentlich…

Dabei gibt es hierzulande schon lange eine verbotene Stadt – oder genaugenommen zwei – im Westen der Republik, nämlich dort wo die jahrhundertealte Rivalität zwischen Düsseldorf und Köln dazu geführt hat, dass man den Konkurrenten auf der jeweils anderen Rheinseite als “unaussprechlich” ansieht.

Heute nehme ich Partei für die Düsseldorfer Fraktion, die aus subjektiver Sicht einen leichten Vorteil in Form des Hotels Achenbach besitzt, meiner bevorzugten Residenz während der Classic Days auf dem unweit gelegenen Schloss Dyck.

So verstehe ich hier unter der Verbotenen Stadt die Domstadt Köln mit den römischen Wurzeln, die Düsseldorf nebenbei nicht zu bieten hat. Doch weiter will ich die Rivalität besser nicht erörtern…

Jetzt geht es heute von Köln auf’s Land und dann in die weite Welt hinaus:

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Ford “Köln”, Ostern 1935; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Was hier auf einer einsamen Landstraße – offenbar mit nur einseitig asphaltierter Fahrbahn – auf uns zukommt, stammt jedenfalls eindeutig aus Köln, auch wenn das Kennzeichen auf eine Zulassung in der Hansestadt Hamburg verweist.

Die mittig nach unten geschwungene Stoßstange verrät, dass wir es hier mit keinem deutschen Entwurf zu tun haben. Man denkt spontan an französische Wagen und vor allem an amerikanische aus den 1930er Jahren.

Wie bekommen wir nun die Kurve zurück nach Köln? Ganz einfach so:

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Ford “Köln”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses schöne Foto ist im November 1935 entstanden. Es zeigt eine Limousine wie auf dem ersten Foto, doch hier mit Zulassung im Raum Hildesheim.

Auf dem nach hinten geneigten Kühlergrill mit angedeuteter Herzform ist der Schriftzug “Köln” angebracht. Das war aber kein Bekenntnis irgendeines im protestantischen Niedersachsen gelandeten Katholiken zur Bischofsstadt am Rhein.

Nein, das war die offizielle Typbezeichnung des in England entwickelten Ford “Model Y”, das von 1933 bis 1935 auch im Kölner Ford-Werk gebaut wurde.

Es fällt schwer, diesem technisch primitiven Wagen mit 21 PS etwas Positives abzugewinnen. Immerhin war er günstiger als die gleichstarken DKW Fronttriebler mit Zweitaktmotor in der Ausführung “Meisterklasse”.

Dennoch hielt sich der Verkaufserfolg hierzulande in Grenzen; etwas mehr als 11.000 Exemplare des bieder wirkenden Ford “Köln” entstanden bis 1936.

Freilich: Wer sich im Deutschland der 1930er Jahre überhaupt ein Auto leisten konnte  und das waren nur wenige Prozent der Bürger – hatte allen Grund, stolz auf die damit verbundene individuelle Mobilität zu sein.

Von solchem Besitzerstolz kündet die folgende Aufnahme:

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Ford “Köln”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Im Juni 1936 ist dieses hübsche Zeitdokument entstanden – wiederum im Raum Hildesheim, eventuell sogar mit demselben Wagen wie oben (ich habe die beiden Fotos allerdings unabhängig voneinander erstanden).

Sehr schön ist hier die Kombination mit einem DKW-Motorrad der späten 1920er Jahre, vermutlich einer E-206 (bestimmt weiß es jemand genau).

Die neckisch in die Kamera lächelnde Dame auf dem Vorderschutzblech des Ford mit zünftiger Lederjacke und Fahrerbrille dürfte wohl eher zur der DKW-Maschine als zu dem Wagen gehört haben, der weit behäbigere Zeitgenossen zu transportieren hatte.

So viel für heute zum einst in der “verbotenen Stadt” produzierten Ford “Köln”. Doch hatte ich eingangs nicht das als Vorbild dienende englische Vorbild “Model Y” erwähnt? Und war nicht außerdem die Rede von der großen weiten Welt?

Gewiss, und genau damit will ich den heutigen Blog-Eintrag schließen:

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Ford “Model Y”; Ausschnitt aus Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir nun das britische Vorbild des Ford “Köln” in einer Aufnahme, die definitiv außerhalb der Verbotenen Stadt und auch nicht in sonstigen deutschen Gefilden entstanden sein kann.

Es handelt sich hier möglicherweise um einen Ausschnitt aus einer Werksaufnahme (der Originalabzug im Vollformat trägt leider keineBeschriftung auf der Rückseite).

Die Palmen im Hintergrund verweisen auf den ersten Blick auf ein Land in den Tropen. Doch gibt es solche Gärten und Parkanlagen auch in Südwestengland, etwa in Cornwall, wo der Golfstrom für ganzjährig warmes Klima sorgt.

Eine andere Möglichkeit wäre Australien oder Neuseeland, wo der Ford “Y-Type” ebenfalls produziert bzw. verkauft wurde. Erkennt vielleicht jemand den Aufnahmeort?

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Ford “Model Y”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

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Mit den richtigen Zutaten ganz schön sexy: Opel 4/14 PS

Zugegeben: Titel und Inhalt meines heutigen Blog-Eintrags sind gewagt – und in der Tat geht es um eine verwegene Mischung aus Reetdach und Pfeifenrauch, jungen Burschen beim Putzen, Weißwandreifen und schönen Frauen.

Das alles in Verbindung mit dem braven Opel 4/PS-Modell der 1920er Jahre – kann das gutgehen? Wir werden sehen…

Am Anfang steht eine technisch herausragende Aufnahme – sicher die Arbeit eines Profis – auf der die erste Ausführung des legendären Opel 4 PS “Laubfroschs” zu sehen ist:

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Opel 4/12 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Langjährige Leser meines Blogs kennen die Aufnahme bereits – doch ist mir bisher keine bessere zugelaufen, die den von Citroens 5CV-Modell “inspirierten” Opel-Kleinwagen in der Ursprungsversion von 1924 zeigt.

Mit diesem Opel 4/12 PS – erkennbar an den sieben breiten Luftauslässen in der Motorhaube – begann eine bis 1931 anhaltende Erfolgsgeschichte, der sich immer neue Facetten abgewinnen lassen – so auch heute.

Dank fortlaufender Modellpflege konnte Opel von seinem ersten in Großserie gebauten Wagen in rascher Abfolge verfeinerte Ausführungen liefern.

Schon ein Jahr nach Einführung stieg die Motorleistung von 12 auf 14 PS. Äußerlich unterschied sich der Opel 4/14 PS vom Vorgänger durch die nunmehr 12 schmalen, in zwei Gruppen angeordneten Luftschlitze:

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Opel 4/14 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wie diese 1928 bei Wilhelmshaven entstandene Aufnahme zeigt. wurde ansonsten am äußeren Erscheinungsbild festgehalten:

  • flügelartig lang nach hinten auslaufende Vorderkotflügel,
  • fast waagerecht endendes Heckschutzblech,
  • moderat spitz zulaufender Kühler,
  • schmucklose Scheibenräder mit vier Radbolzen,

Der pfeiferauchende Fahrer sitzt hier noch auf der rechten Seite, wie das bis Mitte der 1920er Jahre auch auf dem europäischen Kontinent üblich war.

Die hübsche junge Dame vor dem typisch norddeutschen Haus mit Ziegelmauern und Reetdach war ihrer Zeit dagegen modisch fast ein wenig voraus – ihre Wellenfrisur wäre auch in den 1930er Jahren noch aktuell gewesen.

Unterdessen bemühte sich Opel laufend darum, sein 4 PS-Modell optisch auf den neusten Stand zu bringen. Folgendes Foto von Leser Claus Wappler zeigt die späte Ausführung des 4/14 PS-Modells mit dem 1926 eingeführten Flachkühler:

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Opel 4/14 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Claus Wappler

Man sieht, dass die Haubenschlitze der Zahl und Anordnung nach vorerst unverändert blieben – doch nur kurze Zeit. Der Opel, den hier drei Burschen mit Hingabe putzen, muss ein Exemplar aus dem Frühsommer 1926 gewesen sein.

Die Kombination aus Flachkühler, auf zwei Felder verteilten Luftschlitzen und außen vor der Frontscheibe befindlichem Tankstutzen gab es nämlich bloß bis August 1926. Offenbar läuft außerdem das Heckschutzblech nicht mehr waagerecht aus.

Wie bei der Vorgängerausführung kommen auch hier die Scheibenräder vollkommen schmucklos daher. Einziger optischer Reiz ist die Zweifarblackierung.

Interessanterweise konnte ich in der Standardliteratur keine Abbildung eines entsprechenden Opel 4/14 PS von Mitte 1926 finden, die einen Wagen mit genau diesen Details zeigt.

Leider gibt es kein umfassendes Standardwerk zu Opel-Vorkriegswagen , das der einstigen Bedeutung der Marke gerecht wird. Mein Maßstab sind dabei die alle Veränderungen minutiös beschreibenden Werke zu den einstigen Auto-Union-Marken.

Die zeitgenössischen Fotodokumente lassen jedenfalls ahnen, dass es einst mehr Vielfalt auf Basis des braven Opel 4 PS-Modells gegeben haben muss. Wie “sexy” so ein Kleinwagen aus Rüsselsheim bei Frankfurt/Main ausfallen konnte, wird hier deutlich:

Opel_4-14_PS_1925_Galerie

Wie eigentlich immer, macht hier die Anwesenheit einer adretten jungen Frau einen nicht unerheblichen Teil der Anziehungskraft des Wagens aus.

Darin liegt ein Unterschied zum Pferd, dessen Schönheit nicht der Vervollkommung durch den Reiter bedarf. Das Automobil dagegen ist eine menschliche Schöpfung, deren Zweck nicht in sich selbst besteht, sondern darin, Mobilität zu ermöglichen.

Obige Aufnahme erzählt geradezu ideal von der Souveränität, die der Mensch durch das Automobil erlangt, und gleichzeitig von der Harmonie, die aus dem Nebeneinander von Technik und Schönheit entsteht.

Dabei verleihen das raffinierte Dekor auf den Scheibenfelgen und die Weißwandreifen dem Opel geradezu etwas Mondänes.

Weißwandreifen wurden in der Vorkriegszeit an sich kaum verwendet – sie galten und gelten als geschmacklich grenzwertig. Nur selten profitiert die Optik eines Vorkriegsautos von diesem Accessoire, doch hier ist das eindeutig der Fall.

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Pure Eleganz: Wanderer W250 “Gläser” Cabriolet

Beim Namen “Gläser” leuchten die Augen von Kennern deutscher Vorkriegsautomobile.

Was auch immer die Dresdner Manufaktur mit ihrer bis weit in das 19, Jahrhundert zurückreichenden Tradition in die Hand nahm, gelang in meisterhafter Form.

Besonderen Ruf genießen zurecht bis heute die Cabriolet-Aufbauten der 1930er Jahre, die Gläser für zahlreiche deutsche und ausländische Hersteller entwarf und baute.

Doch bevor ich ein Exemplar zeige, das das stilistische Gespür und handwerkliche Können der Gestalter und Arbeiter bei Gläser mustergültig illustriert, ist ein kurzer Ausflug in die Vorgeschichte des Wagens angezeigt, um den es geht.

Vielleicht erinnert sich der ein oder andere Leser an die folgende Aufnahme, die ich hier vor gut einem Jahr präsentiert habe:

Wanderer_W21_2_Galerie

Wanderer W21; Originalfoto  aus Sammlung Michael Schlenger

Seinerzeit hatte ich mich ausführlich den Wanderer-Typen W21 und W22 gewidmet, zwei 6-Zylinderwagen mit 35 bzw. 40 PS, die von 1933 bis 1935 gebaut wurden.

Äußerlich sind sie an folgenden Details zu erkennen

  • zwei übereinanderliegende Reihen schrägstehender Luftschlitze in der Haube,
  • keine seitliche “Schürze” am Vorderschutzblech, somit freier Blick aufs Chassis,
  • v-förmig angeordnete, relativ weit auseinanderliegende Streben im Kühlergrill,
  • schüsselförmige Frontscheinwerfer.

Auf genau diese Merkmale – bzw. deren Nichtvorhandensein – wird im folgenden zu achten sein.

Ab 1935 wurden die beiden Nachfolger des Wanderer W21/22 eingeführt. Sie erhielten Typbezeichnungen, die sich aus Hubraum und PS-Zahl ergaben: W240 und W250.

Beide Modelle sollten Motoren mit 2 Litern Hubraum besitzen, von denen der schwächere 40 PS und der mit Doppelvergaser ausgestattete stärkere 50 PS leisten sollte.

In der Praxis kam es dann zwar anders – der 250 erhielt ein auf 2,25 Liter aufgebohrtes Aggregat, das auch im Audi Front 225 Verwendung fand – doch die Bezeichnungen behielt man bei.

Von den Vorgängern unterschieden sich der Wanderer W240 bzw, W250 vor allem durch folgende Elemente:

  • eine Reihe Luftschlitze in der Haube, von einer Zierleiste eingefasst,
  • seitliche “Schürze” am Vorderschutzblech, somit kein Blick aufs Chassis mehr,
  • v-förmig angeordnete, nunmehr eng beeinanderliegende Streben im Kühlergrill,
  • tropfenförmige Scheinwerfer mit lackiertem Gehäuse.

Genau diese Details sind auf folgender Aufnahme zu erkennen:

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Wanderer W 240 oder 250; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Abzug ist nicht der beste, liefert aber eine Fülle interessanter Informationen. Entstanden ist das Foto offensichtlich vor einer Fahrschule “Paul Gerber”, dem Nummernschild nach zu urteilen in der Hansestadt Hamburg.

Ob es sich um eine Aufnahme mit Fahrschülerinnen oder Familienmitgliedern handelt, muss zwar offen bleiben. Die Situation vor dem Gebäude mit der Fahrschulreklame ist aber wahrscheinlich kein Zufall.

Außergewöhnlich sind hier die Positionsleuchten auf den Vorderschutzblechen – bislang ist mir keine Aufnahme des Typs (oder des Vorgängers) mit diesem Detail begegnet. Wer kann etwas dazu beitragen?

Nicht genau sagen lässt sich, ob es sich bei der Limousine auf dem Foto um einen Wanderer W240 oder 250 handelt. Dazu müsste erkennbar sein, ob es sich um einen vierfenstrigen (W240) oder sechsfenstrigen (W250) Aufbau handelt.

Das ist aber auch nicht wichtig, denn der Hauptdarsteller meines heutigen Blog-Eintrags ist ein vierfenstriges Cabriolet – und das gab es nur auf Basis des Wanderer W250:

Wanderer_W250_Gläser_Cabriolet

Wanderer W250 “Gläser” Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Obwohl dieser Wagen sicher von einer Zweifarblackierung profitiert hätte, wie sie bei Cabriolets dieses Typs eigentlich Standard war, zeigt sich hier die pure Eleganz der Gläser-Aufbauten aus den 1930er Jahren.

Sieht man von dem uninspiriert wirkenden Blech mit den Haubenschlitzen ab, das von Wanderer geliefert wurde, ist der Rest des Aufbaus von vollendeter Harmonie.

Wie bei allen hervorragenden Entwürfen der 1930er Jahre gibt es hier keine einzige gerade Linie, alles atmet Spannung und Körperhaftigkeit. Hier hat alles den rechten Platz, die richtige Proportion, die passende Form.

Für mich liegt das Geheimnis, dass auch heute kaum jemand diese Entwürfe nicht auf geheimnisvolle Weise schön finden würde, in einer über Jahrtausende am Vorbild der Natur geschulten Tradition von Gestaltern und Handwerkern.

Sie entfaltete sich nach der funktionalistischen Episode der 1920er Jahre in diesen Wagen noch einmal und fand ihren Höhepunkt und Abschluss möglicherweise in den atemberaubenden italienischen Manufakturkarosserien der 1950er und 60er Jahre.

Die einstigen Besitzer dieses wunderbaren Wanderer W 250 mit Gläser-Karosserie mögen sich darüber kaum solche Gedanken gemacht haben:

Wanderer_W246_Cabrio_Gläser_WH_Ausschnitt

Diese Wanderer-Insassen genossen ganz offenbar den Augenblick an einem sonnigen Tag irgendwann vor über achtzig Jahren.

Sie wussten ja nicht, was noch kommen sollte, nicht zuletzt an ästhetischen Grausamkeiten, die die Gegenwart bei manchen Vorzügen schwer erträglich machen.

Hätten sie sich träumen lassen, dass die Autos ihrer untergegangenen Welt heute noch Menschen glücklich zu machen vermögen?

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Kennzeichen ROMA: Der “O.M.” von der Oma…

Der Spender des Fotos, das ich heute besprechen darf, verzeiht mir hoffentlich den Kalauer, den ich mir mit dem Titel meines Blog-Eintrags erlaubt habe.

Aber genau so verhält es sich nun einmal: Das Auto, um das es geht, gehörte einst den Großeltern von Klaus Twedell, die in der Zwischenkriegszeit in Rom lebten und deren “O.M.” auf dem Nummernschild eine grandiose Kennung trug: “ROMA”.

Wenn ich es richtig sehe, ist es mittlerweile Geschichte, dass der Name der stolzen italienischen Hauptstadt auf Autokennzeichen voll ausgeschrieben wird.

Während meiner ersten Italienaufenthalte zu einer Zeit, als südlich der Alpen noch einheimische Marken dominierten und engagiert gefahren wurde, gab es schwarze Blechnummernschilder, die die Herkunft eines Wagens erkennen ließen.

Bei der Hauptstadt “ROMA” erlaubte man sich den Luxus, den Namen ganz auszuschreiben – das hatte Stil und nötigte einem Respekt ab. Mit “BONN” wäre das hierzulande auch möglich gewesen – immerhin eine römische Gründung – aber das hätte einem wohlein Lachen abgenötigt wie das heute bei “BERlin” der Fall wäre…

Bevor ich das schöne Dokument aus Klaus Twedells Familienalbum zeige, will ich kurz die Geschichte der “Officine Mecchaniche” – kurz “O.M.” – aus dem oberitalienischen Brescia Revue passieren lassen.

O.M. ist hierzulande vor allem in Zusammenhang mit der legendären Mille-Miglia-bekannt. Beim Auftaktrennen 1927 belegten Wagen des Typs O.M. 665 „Superba“ die ersten drei Plätze.  Ein hübscher Zufall, dass ein in Brescia gebautes Automobil das dort beginnende Rennen so glanzvoll gewinnen sollte.

Der „O.M.“-Konzern hatte Ursprung und Sitz aber in Mailand. Dort wurde 1849 ein Kutschbaubetrieb gegründet, der sich später auf den Bau von Eisenbahnwaggons verlegte. Daraus entstand 1899 eine Aktiengesellschaft, die in ihrem Firmennamen den Zusatz „Officine Mecchaniche“ – zu deutsch „Mechanische Werkstätten“ – trug.

Das Mailänder Unternehmen erwarb 1917 die Automobilfertigung des Herstellers Brixia-Züst mit Sitz in Brescia. Die Autosparte blieb selbständig und firmierte unter „O.M. Fabbrica Bresciana di Automobili.“

Die PKW-Produktion konzentrierte sich auf die 1920er Jahre, später beschränkte man sich – nunmehr als Teil des Fiat-Konzerns – auf den Nutzfahrzeugbau.

Wie es der Zufall will, zeigte bereits das erste Foto eines OM, das ich erwerben konnte, eine Lieferwagen auf Basis des PKW-Modells 469:

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OM Typ 469 Lieferwagen; Originalfoto aus  Sammlung Michael Schlenger

Der Typ 469 war der am längsten gebaute OM. Er löste 1922 den Typ 467 ab, der wiederum Nachfolger des Erstlings 465 von 1919 war.

Die Typbezeichnungen von OM waren denkbar einfach aufgebaut: Die erste Ziffer bezeichnete die Zylinderzahl  – hier also vier  – und die folgende Zahl den Hub des Zylinders in Zentimetern.

Vom OM Typ 465 mit 1,3 Litern stieg demnach der Hubraum bis zum Typ 469 auf 1,5 Liter. Diese kompakten Motoren entwickelten für die damalige Zeit beachtliche Spitzenleistungen.

Der bis zum Ende der PKW-Produktion bei OM im Jahr 1934 gefertigte Typ 469 mit gerade einmal 1,5 Litern leistete standfeste 30 PS. Deutsche und erst recht amerikanische Hersteller boten in dieser Hubraumklasse nichts Vergleichbares.

Das mag erklären, weshalb auch der eine oder andere OM einst in Deutschland landete – dieser schöne Tourenwagen zum Beispiel:

OM_469_Tourenwagen_Galerie

OM, vermutlich Typ 469; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei der genauen Ansprache der PKW-Typen von OM ergibt sich das Problem, dass es keine Literatur gibt, die die einzelnen Modelle so minutiös beschreibt, wie das beispielsweise bei den Standardwerken zu den Auto-Union-Marken der Fall ist.

Zwar liegt mir das großartige Werk über die gesamte Geschichte von OM vor  – “OM: Una Storia nella Storia”, Edizione Negri, 1. Ausgabe 1991 – doch spielen die OM-PKWs dort eine Nebenrolle, was aus historischer Perspektive auch gerechtfertigt ist.

So bleibt offen, ob die Vierzylindertypen vom 465 über den 467 bis hin zum 469 äußerlich unterscheidbar sind – speziell in der Frontansicht. Wie es scheint, änderte  sich das Erscheinungsbild mit klassischem Flachkühler über die Jahre praktisch nicht.

An dieser Stelle kommt das Foto aus dem Familienalbum von Klaus Twedell ins Spiel:

OM_Klaus_Twedell_Galerie

OM Tourenwagen Typ 469 oder 665; mit freundlicher Genehmigung von Klaus Twedell

Auch wenn es schwer zu erkennen sein mag, haben wir hier den nach unten leicht breiter werdenden Kühler eines OM mit dem typischen Markenemblem vor uns.

Der irgendwo auf einer der typischen italienischen Schotterpisten inszenierte Wagen macht mächtig Eindruck – doch muss leider offen bleiben, ob es sich um ein Exemplar des meistverkauften Vierzylindertyps 469 oder um das ab 1923 parallel gebaute Sechszylindermodell 665 mit 40 PS aus 2 Litern (später 55 PS aus 2,2 l) handelt.

Der Reiz der Aufnahme wird dadurch jedoch in keiner Weise gemindert. Man erkennt die typischen zwei Ausstellfenster in der Frontscheibe und die kantig auslaufenden Vorderschutzbleche, die nach Mitte der 1920er Jahre aus der Mode kamen.

Die Doppelstoßstange nach Vorbild amerikanischer Großserienwagen wird ein nachträglich montiertes Zubehör gewesen sein, das den OM moderner wirken ließ.

Auf dem Nummernschild ist “15943 ROMA” entzifferbar, wenn nicht alles täuscht. Das passt perfekt zur besonderen Familienhistorie von Klaus Twedell, dessen Großeltern vor dem 2. Weltkrieg eine Weile in der italienischen Haupstadt lebten.

Wer von den beiden neben dem OM posierenden Damen nun die Oma war, das weiß nur Klaus Twedell und es soll sein Geheimnis bleiben. An dieser Stelle sei ihm herzlich gedankt für dieses außergewöhnliche Dokument aus der Vorkriegszeit…

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Von Damen bevorzugt: BMW 326 Cabriolet

Auch wenn ich den Freunden feiner BMW-Vorkriegswagen in meinem Blog bislang wenig Neues bieten konnte (Ausnahme hier), möchte ich heute zu einem der Wagen mit der markanten Doppelniere an der Front zurückkommen, obwohl nicht mehr als solider Standard zu sehen ist, jedenfalls im Hinblick auf das abgebildete Auto…

Doch hat es seinen ganz eigenen Reiz, den fraglichen Wagen – einen BMW 326 – aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel zu betrachten, nämlich anhand der Frage, ob es so etwas wie “männliche” und “weibliche” Blechkleider gibt.

Mir ist bewusst, dass ich mich dabei auf dünnes Eis begebe – weniger aufgrund des mittlerweile neu erfundenen “dritten” Geschlechts – als schlicht deshalb, weil solche ästhetischen Urteile subjektiv sein müssen.

Aber herrje, nicht umsonst habe ich für meine Besprechungen von Vorkriegswagen das Blog-Format gewählt  – also das eines Tagebuches, in dem Leser online mitlesen können. Da darf es ruhig subjektiv zugehen und davon mache ich heute Gebrauch.

Beginnen wir zur Erinnerung mit dem letzten Foto eines BMW 326, das ich hier präsentiert habe:

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BMW 326 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier kommt der von 1936-41 in knapp 7.000 Exemplaren gefertigte Wagen mit seinem 50 PS starken Zweiliter-Sechszylinder ausgesprochen maskulin daher.

Das liegt an der massiven Ausführung des Limousinenaufbaus, der auf mich robust und abweisend wirkt wie ein Ritterhelm mit heruntergelassenem Visier.

Die beiden Herren daneben scheinen sich in seiner Gesellschaft durchaus wohl zu fühlen – hier sind drei männliche Charaktertypen unter sich, könnte man meinen.

Wie vollkommen anders – leicht und elegant – wirkt dagegen das viertürige Cabriolet:

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BMW 326 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Man glaubt es kaum, dass wir auch hier “nur” einen BMW 326 vor uns haben – nebenbei mit über 7.000 Reichsmark in der offenen Version ein exklusives Vergnügen.

Doch die markanten Doppelstoßstangen sprechen eine eindeutige Sprache: Sie gab es ab Werk nur beim 326 und ich finde, dass sie ihm ausgezeichnet stehen.

Dass der Wagen hier so filigran wirkt, liegt wohl zum Großteil an der raffinierten Zweifarblackierung, bei der die helle Partie den Wagenkörper optisch leicht erscheinen lässt, während Schutzbleche und Haube dunkel abgesetzt sind.

Während solche Effekte bei modernen Wagen aufgrund der heute oft chaotischen Linienführung kaum mehr möglich sind (der Opel Adam ist eine gelungene Ausnahme), profitiert fast jeder Wagen der 1930er Jahre von einer Zweifarblackierung.

Kein Wunder, dass das BMW 326 Cabriolet im vorliegenden Fall der bevorzugte Wagen von gleich vier Damen war. Dabei könnte es sich bei den im Auto stehenden Grazien um die Töchter der streng dreinschauenden Person an der Beifahrertür handeln.

So oder so passen alle vier “Fotomodelle” ganz wunderbar zu der eleganten Erscheinung dieses BMW 326 Cabriolets:

BMW_326_Kernberge_bei_Jena_1938_Ausschnitt

Wie man sich denken kann, waren jedoch vor rund achtzig Jahren die Herren der Schöpfung nicht fern – schon gar nicht, wenn es um Wagen von erlesener Qualität wie 6-Zylinder-BMWs ging.

Tatsächlich halten sie sich nur dezent im Hintergrund und wie es der Zufall will, bringen auch sie dabei eine – wie es scheint – dem Naturell entsprechende Präferenz zum Ausdruck.

Denn gleich hinter dem so verführerisch nach heiteren Sommertagen ausschauenden Cabriolet findet sich eine Limousine desselben Typs, die deutlich herber und ernsthafter daherkommt:

BMW_326_Kernberge_bei_Jena_1938_Ausschnitt2

Immerhin scheinen die beiden Herren sich bei der Wahl ihrer Kleidung eher an ihren Begleiterinnen orientiert zu haben, als an dem dunkel dräuenden Wagen neben ihnen.

Wann genau diese Situation festgehalten wurde, wissen wir nicht. Aber der Ort lässt sich angeben, denn auf der Rückseite ist von alter Hand vermerkt “Jena, an den Kernbergen”.

Ein ortskundiger Leser kann vielleicht den genauen Aufnahmeort benennen und sagen, ob sich die Ansicht seither groß verändert hat:

BMW_326_Kernberge_bei_Jena_1938_Galerie1
BMW 326 Linousine und Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auf jeden Fall war es nicht lange nach dieser Aufnahme vorbei mit solcher Idylle.

Denn der Großteil der zivilen BMW 326 wurde ab 1939 von den Behörden für den Kriegseinsatz eingezogen – da machte man keinen Unterschied, ob die Karosserie nun eher “männlich” oder “weiblich” vom Charakter war.

Genommen wurde, was man kriegen konnte und so wundert es einen nicht, dass sich auch die so filigran und freundlich wirkenden Cabriolets im Dienst des Militärs wiederfanden, nunmehr ohne Chrom und Zweifarblack:

BMW_326_Luftwaffe_Ahrweiler_Frontpartie

Dieses Exemplar landete bei der Luftwaffe und wurde irgendwann während des Kriegs bei einer Instandsetzungseinheit in Ahrweiler abgelichtet.

Doch das ist ein anderes Kapitel, das ich bei Gelegenheit anhand weiterer Aufnahmen des BMW 326 beleuchten will…

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Rätsel auf vier Rädern: “Bianchi” von ca. 1910

Bianchi – wer denkt bei diesem Namem nicht spontan an die begehrenswerten Rennräder der Mailänder Marke?

Als ich mich als Schüler in den 1980er Jahren für den Radrennsport zu begeistern begann und selbst ohne größere Ambition einige Mal pro Woche auf dem Rad meine Runde durch die heimische Wetterau und den Taunus machte, waren die Bianchi-Rennmaschinen im markentypischen Türkisgrün unerreichbar.

Mehr als ein englisches Raleigh-Rennrad war damals nicht drin – und das kostete schon satte 600 Mark – leider habe ich es später verkauft. Doch heute sind die Bianchi-Räder jener Zeit erschwingliche Klassiker auf zwei Rädern und eines davon habe ich mir kürzlich gegönnt, allerdings in seltener silberner Lackierung.

Damit sind wir schon nahe beim Thema. Denn Edoardo Bianchi, der ab 1885 Fahrräder nach britischem Vorbild zu bauen begann und 1897 Motorräder, erweiterte sein  Angebot 1898 um motorisierte Fahrzeuge mit vier Rädern.

Der Rahmen basierte noch auf Fahrradrahmen, weshalb bei Bianchis automobilem Erstling die Bezeichnung “Quadricycle” angebracht ist. Doch der verwendete  Einzylinder-Motor von DeDion-Bouton machte deutlich, dass man es ernst meinte.

Kurz nach der Jahrhundertwende nahm Bianchi zur Weiterentwicklung des Automobilangebots die Dienste von Giuseppe Meroni in Anspruch, der später bei Alfa-Romeo noch große Karriere machen sollte.

Neben Fiat machte sich Bianchi in jener Zeit rasch einen Namen als Hersteller solider und zuverlässiger Automobile, die zwar ohne technische Finessen daherkamen, aber gern gekauft wurden – auch im Ausland, da der italienische Markt noch zu klein war.

So hatte Bianchi 1907 drei Typen im Angebot, die sich wie viele Autos jener Zeit hauptsächlich durch Radstand und Motorisierung unterschieden und ansonsten viele Gleichteile aufwiesen:

Bianchi_Reklame_1907_Galerie

Bianchi-Reklame von 1907; Zeitschrift unbekannt

Auf dieser zeitgenössischen Reklame ist rechts ein Milan mit dem Wappen der Stadt Mailand (Milano) zu sehen – dieses Detail wird später noch eine wichtige Rolle spielen.

Viel in Erfahrung bringen konnte ich über die ab 1907 von Bianchi angebotenen Wagentypen nicht – nur, dass es sich um konventionelle Seitenventiler mit vom Motor getrennten Getriebe und Kettenantrieb handelte.

1908 stellte Bianchi den Tipo G vor, der nun über ein mit dem Motor verblocktes Getriebe verfügte. Damit war eine Abkehr vom traditionellen Kettenantrieb verbunden, da die Ketten sonst zu lang und kaum beherrschbar geworden wären.

Sie wurden durch den bereits vor der Jahrhundertwende bei Renault eingeführten Kardanantrieb ersetzt, bei dem eine lange Welle die Antriebskraft vom Getriebe an die Hinterachse überträgt und durch zwei Gelenke die Bewegungen der Achse ausgleicht.

Nach dieser Vorrede wird es Zeit für das Foto, um das es heute geht:

Bianchi_vor_1914_Jason_Palmer_Galerie

Die Aufnahme dieses Tourenwagen mit markantem “Windlauf” zwischen Motorhaube und Fahrerraum verdanke ich Jason Palmer aus Australien. Er besitzt selbst einige Vorkriegswagen aus europäischer Produktion und verfügt insbesondere bei deutschen Herstellern über einen erstaunlichen Fotofundus (Beispiel).

Auf Anhieb konnten weder Jason Palmer noch ich sagen, von welchem Hersteller dieses mächtige Fahrzeug stammt. Nach erneuter Betrachtung konnte ich den Wagen jedoch als “Bianchi” aus Italien identifizieren.

Möglich war dies anhand der Kühlerplakette, die dem traditionellen Bianchi-Emblem entspricht, das einen Milan mit ausgebreiteten Schwingen zeigt – hier eine Ausschnittsvergößerung der Kühlerpartie des Wagens:

Bianchi_vor_1914_Jason_Palmer_Kühler

Festzuhalten sind hier zudem die 12 Speichen der Vorderräder, deren Zahl erfahrungsgemäß auf eine starke Motorisierung schließen lässt.

Bislang konnte ich keine vergleichbare Bianchi-Aufnahme finden, insbesondere keine, die den charakteristischen Windlauf zeigt. Dieser tauchte bei Wettbewerbswagen in Europa erstmals 1908/09 auf und wurde bei Serienautos im deutschsprachigen Raum ab 1910 Standard.

Für französische und italienische Hersteller gilt diese Regel allerdings nicht – sie bauten oft noch bis kurz vor dem 1. Weltkrieg Wagen ohne Windlauf, d.h. die waagerechte Motorhaube stieß übergangslos auf die Schottwand, die die Windschutzscheibe und auf der Rückseite die Instrumente trug.

Der sonst so aussagefähige Windlauf liefert hier daher keinen Datierungshinweis, zumal er ohne weiteres bei älteren Wagen nachträglich “übergestülpt” werden konnte.

Deutlich wird dies an folgender Abbildung des Bianchi-Stands beim Pariser Autosalon 1910, die einen Wagen ohne Motorhaube zeigt:

Bianchi_Paris _Salon_L'Illustrazione Italiana, No 52, December 25, 1910_Galerie

Bianchi-Stand beim Pariser Autosalon 1910, Abbildung aus “L’Illustrazione Italiana”, Nr. 52, 1910

Neben der grandiosen Architektur der Messehalle fällt hier zweierlei auf:

Die Silhouette des Kühler spiegelt sich präzise in der Schottwand am Ende des Motorraums (mit dahinterliegendem Instrumentenbrett). Die Motorhaube verlief demnach noch bei den Bianchi-Modellen von 1910 horizontal.

Des weiteren besitzt der Wagen keinen Kettenantrieb mehr, sondern ein am Motor angeflanschtes Getriebe und dementsprechend eine Kardanwelle.

Schauen wir uns nun die Seitenpartie des Bianchi auf dem Foto aus der Sammlung von Jason Palmer an:

Bianchi_vor_1914_Jason_Palmer_Seitenpartie

Hier sehen wir zum einen besagten Windlauf, zum anderen eindeutig eine Antriebskette, die zum rechten Hinterrad reicht.

Wie ist dieser widersprüchliche Befund zu interpretieren? Nun, zunächst ist wichtig festzuhalten, dass viele Hersteller jener Zeit Wagen mit Ketten- und Kardanantrieb parallel anboten.

Beispielsweise führte Mercedes den Kardanantrieb 1908 an, baute aber bis 1910 auch Modelle mit Kettenantrieb. Bei Benz-Wagen taucht die Kardanwelle bereits 1903 auf, jedoch wurden bestimmte Modelle bis 1911/12 noch mit Kette angeboten.

Für den Bianchi bedeutet dies folgendes: Ein ab 1908 gebauter Tipo G kann es nicht sein, da dieser über Kardanantrieb verfügte. Es wird sich um ein Modell der 1907 mit Kettenantrieb vorgestellten Wagen handeln, die wohl weiter erhältlich waren.

Wie lange diese Typen gebaut wurden, geht aus den dürftigen Angaben zu frühen Bianchi-Wagen nicht hervor. Vermutlich war das kaum länger als bis 1910 der Fall.

Der moderne Windlauf kann auch einem Wagen von 1907-1910 nachträglich aufgesetzt worden sein, karosserietechnisch wäre das keine große Sache gewesen.

Kann ein Leser das Rätsel dieses grandiosen Bianchi auf vier Rädern aufklären? Und: Gibt es Literatur zu den Vorkriegswagen der bis 1955 unabhängig gebliebenen Mailänder Marke? Kann gern auch auf Italienisch sein…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Gestern und heute: Neues vom Protos Typ “G”

Beinahe kommt es mir wie gestern vor, dass ich einen Blog-Eintrag zum G-Typ der einstigen Berliner Marke Protos gemacht habe (hier).  Tatsächlich war das bereits im Frühjahr 2018 – nun haben wir Herbst 2019…

Doch war es ganz sicher heute, dass mich eine Nachricht zu genau diesem Vierzylindermodell erreichte, das 1910-14 in zwei Varianten erhältlich war: als Typ G1 6/18 PS mit 1,6 Liter bzw. Typ G2 8/21 PS mit 2,1 Liter Hubraum. 

Wie bei fast allen deutschen Marken ist die Dokumentation bei Modellen vor dem 1. Weltkrieg auch bei Protos äußerst dünn – eines der Motive, die zur Entstehung dieses Blogs und der umfangreichen Bildergalerien beigetragen haben.

Mittlerweile sind hier mehr originale Dokumente zum Protos G-Typ versammelt als in der gesamten Literatur. Das ist freilich keine Kunst – es gibt kaum etwas zur frühen PKW-Produktion dieser 1899 gegründeten und 1908 von Siemens weitergeführten Marke von einst internationalem Rang.

So konnte ich zu den formalen Unterschieden zwischen den beiden G-Typen von Protos bislang nicht mehr in Erfahrung bringen, dass sie in den Dimensionen voneinander und ebenso von den noch größeren Sechszylindermodellen abwichen.

Dadurch ist es ausgesprochen schwer, einen Protos der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg ohne Größenmaßstab einem bestimmten Typ zuzuordnen. Das gilt auch für dieses Dokument, das kürzlich Eingang in meine Sammlung gefunden hat:

Protos_Typ_G2_8-21_PS_1912_Galerie
Originaler Zeitschriftenausschnitt aus Sammlung Michael Schlenger

Aus der Bezeichnung als “leichte” Wagen kann man zwar ableiten, dass es sich wahrscheinlich um einen der Vierzylindertypen handelte und nicht um einen der großen Sechszylinder, wie ihn u.a. der deutsche Kronprinz fuhr.

Aber ob hier der G1 oder sein – bei gleicher Grundkonstruktion – etwas längerer und stärkerer Bruder G2 zum Einsatz kam, ist offen. Vielleicht habe ich aber Glück und einer der in Sachen Wettbewerb versierten Leser meines Blogs weiß mehr.

Auch wenn es auf den ersten Blick wie eine Startnummer aussieht, stand die Zahl auf dem Protos G-Typ auf folgender Aufnahme sicher für etwas anderes:

Protos_Typ_G1_oder_G2_um_1912_Wk1_Galerie
Protos Typ G1 oder G2; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben sich deutsche Soldaten im 1. Weltkrieg eine Pause gegönnt und sich von einem entsprechend bewaffneten “Kamera”den ablichten lassen.

Zwei tragen am oberen Knopf der Uniformjacke ein Band, das sie als Träger des Eisernen Kreuzes ausweist – ein klarer Hinweis darauf, dass wir hier keine Manöversituation zu Friedenszeiten mehr vor uns haben.

So berührend solche Details sind – noch heute kündet jeder Dorffriedhof hierzulande und bei den einstigen Gegnern von den Opfern, die der 1. Weltkrieg forderte – steht für uns doch der Tourenwagen mit dem unverkennbaren Protos-Kühler im Mittelpunkt, der im Hintergrund auf einem Waldweg wartet:

Protos_Typ_G1_oder_G2_um_1912_Ausschnitt1

Dass der Protos hier sehr kompakt wirkt, ist der Aufnahmeperspektive und dem Abstand zum Objektiv der Kamera zuzuschreiben.

Doch darf man einen der großen und seltenen Sechszylindertypen ausschließen und hier einen Protos G-Typ annehmen. Dem Nummernschild nach zu urteilen, gehörte er zur VI. Armee aus Bayern und war dort Wagen 106 im Fuhrpark.

Die VI. Armee war ab 1914 an der Westfront eingesetzt und blieb bis 1918 in Frankreich. Wo genau die Aufnahme entstanden ist, wird sich nicht mehr klären lassen. Das ist das Schicksal solcher Fotos, wenn die Alben der längst verstorbenen Kriegsteilnehmer, aus denen sie stammen, heute zerfleddert werden.

Die groß aufgemalte Ziffer 3 dürfte auf eine Untereinheit verweisen, deren Erkennbarkeit aus irgendwelchen Gründen wichtig war. Vielleicht kann ein sachkundiger Leser mehr dazu sagen.

Bemerkenswert ist nebenbei die Präzision, mit der dieser weit im Hintergrund stehende Protos auf dem über 100 Jahre alten Abzug festgehalten ist:

Protos_Typ_G1_oder_G2_um_1912_Ausschnitt2

Dass der Protos hier noch im Schärfebereich liegt, die beiden gutgelaunten Soldaten im Vordergrund aber nicht, war wohl kaum beabsichtigt, kommt uns aber entgegen.

Selbst die feinen Strukturen der Kühlerwaben sind hier zu erkennen, außerdem natürlich der einzigartige Protos-Kühler mit seinem vom Jugendstil inspirierten, exotisch wirkenden Ornament auf der Oberseite.

Einen Datierungshinweis geben die beiden elektrischen Positionsleuchten im Windlauf – also dem ansteigenden Blech zwischen Motorhaube und Frontscheibe. Sie waren bei deutschen Wagen in der Regel kaum vor 1914 verbreitet.

Der übrige Aufbau weist keine marken- oder typspezifischen Details auf – so sahen praktisch alle Tourenwagen etablierter Hersteller im deutschsprachigen Raum aus.

Dennoch zählt bei den schlecht dokumentierten Wagen aus der Frühzeit von Protos jedes Originalfoto. Möglicherweise bergen diese Aufnahmen doch winzige Details, die irgendwann bei der genauen Typansprache und Chronologie helfen.

Nach diesem Ausflug ins Gestern, das unseren Vorfahren unvorstellbare Härten zumutete und die alle von verwöhnten Nachkriegsgenerationen beklagten Probleme als Lappalien erscheinen lässt, ist es ausgerechnet ein Dokument aus dem Heute, das uns die tatsächliche Schönheit dieser Wagen wirklich begreifen lässt.

Lässt man sich auf die reiche Formenwelt des ausgehenden Jugenstils ein – nach der Renaissance die facettenreichste und phantasievollste Kunstepoche (für mich zudem die letzte überhaupt) – und sieht dann einen überlebenden Wagen jener Zeit im Original, weicht der erste Eindruck der Fremdartigkeit dem Begreifen der Harmonie dieser am Vorbild der Natur geschulten geschwungenen Linien:

Protos_Typ_G2_Rajmund_Engwer_Galerie
Protos Typ G2; Originalfoto von Rajmund Engwer (Polen)

Dieses wunderbare Automobil gehört Rajmund Engwer aus Polen und ist seiner Aussage nach der einzige noch existierende Protos-Wagen des Typs G2 weltweit.

Hier begreift man, wo die bei den Blechkisten der Gegenwart, die oft keiner erkennbaren Gestaltungslogik mehr folgen, immer noch verwendete Vokabel Kot”flügel” ihren einst berechtigten Ursprung hat.

Formal wie handwerklich ein Genuss sind selbst rein technische Elemente wie die hinteren Blattfedern, die keineswegs kaschiert wurden, sondern wie nahezu alle Teile des Wagens klar in ihrer Funktion hervortreten – nicht seelenlos aus der Stanze gefallen, sondern erkennbar von Könnerhand entworfen und geformt.

Ich kann jedem nur empfehlen, sich einmal die Zeit zu nehmen, um solch ein Manufakturautomobil aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg näher in Augenschein zu nehmen.

Die schiere Präsenz und Opulenz dieser Zeugen einer untergegangenen Welt ist unbeschreiblich und das Können der wenigen, die so etwas heute wieder in alter Pracht auferstehen lassen können, verdient Hochachtung.

Übrigens will der Eigner dieses wunderschönen Protos Typs G2 demnächst einen Artikel zu dem Modell in einer polnischen Klassikerzeitschrift verfassen – garniert mit Originaldokumenten aus diesem Blog.

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Überleben im Sozialismus: Adler Standard 6 Landaulet

“Überleben im Sozialismus” – ist das nicht ein unnötiger Widerspruch? Schließlich geben sich die Vertreter der sozialistischen Ideologie – ob in braunem, rotem oder grünem Gewand – gern als große Menschenfreunde.

In Wahrheit ist es von jeher das Ziel sozialistischer Fanatiker, das Individuum – diesen unbotmäßigen Lümmel – zu vernichten. Dazu äußerte sich ein hierzulande bis 1945 amtierender Reichskanzler: “Was haben wir das nötig, Sozialisierung der Banken und Fabriken?… Wir sozialisieren die Menschen!” (zitiert nach Sebastian Haffner, 1978).

Die Generation, die zwischen den Weltkriegen großgeworden war, konnte nicht ahnen, was ihr bevorstand – speziell in Ostdeutschland, wo sozialistischer Zwang die Menschen über 1945 hinaus noch Jahrzehnte drangsalierte.

Welch’ selbstbewusstes Bürgertum begegnet einem auf den Fotos der Vorkriegszeit, vor allem in Kreisen, wo man sich bereits ein Automobil leisten konnte – im Unterschied zu den USA im damaligen Deutschland ein noch exklusives Vergnügen.

Diese Aufnahme eines Adler Standard 6 steht stellvertretend für den Stolz derer, die es geschafft hatten, sich einen der enorm teuren Wagen nach Vorbild amerikanischer Großserienfabrikate zu erarbeiten:

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Adler “Standard 6”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier liefert der 6-Zylinder-Wagen aus den Adlerwerken in Frankfurt am Main freilich bloß die Staffage. Ich habe dieses eindrucksvolle Modell bereits in etlichen weit besseren Dokumenten vorgestellt, die in meiner Adler-Galerie versammelt sind.

Mir geht es diesmal auch mehr um die Funktion des Fahrzeugs bei der Selbstinszenierung seiner einstigen Besitzer und Nutzer als um technische Daten oder stilistische Feinheiten.

Wie der Nimbus der großen Adler-Wagen der Vorkriegszeit auch nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes 1945 fortwirkte – diesmal unter dem international angelegten Sowjet-Sozialismus – ist faszinierend.

Denn die Überlebenden des untergegangenen totalitären Regimes wollten auch unter dem übergangslos installierten neuen Kommando stalinistischer Prägung einfach nicht davon ablassen, ihrem Dasein eine eigene Note zu geben und sich mit den Insignien des Bürgertums zu schmücken – und sei es nur für einen einzigen Tag:

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Adler “Standard 6” Landaulet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dies ist eines von drei zusammengehörigen Fotos von einer Hochzeit irgendwo auf dem Lande im sächsischen Raum – entstanden in den frühen 1950er Jahren.

Das Brautpaar hatte sich für diesen Tag das edelste Fahrzeug gegönnt, das damals in seiner Gegend verfügbar war – das konnte nur ein mondäner Vorkriegswagen sein.

Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass es sich nicht nur um einen überlebenden Adler Standard 6 aus den frühen 1930er Jahren handelt, sondern um eine Variante mit Spezialaufbau als Landaulet.

Während der Vorderwagen mit senkrechten Luftschlitzen und sieben Radbolzen typisch für den Adler Standard 6 (bzw. den Standard 8) in der Erscheinungsform ab 1931 ist, fällt die schrägstehende Frontscheibe völlig aus dem Rahmen.

Wir bekommen sie gleich noch aus anderer Perspektive zu sehen. Zuvor will ich auf das Brautpaar und die Kinder im Vordergrund eingehen, da sie noch mehr über das Referenzsystem verraten, das damals unverändert maßgeblich war:

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Hier geht es nicht in Arbeiter- und Bauernkluft zum Duz-Genossen auf dem Standesamt, sondern in traditionellem Brautkleid und Anzug zur Kirche. So hätte das bis ins Detail auch bei vermögenden Leuten der Zwischenkriegszeit ausgesehen.

Das Füllhorn, das der Junge in der Mitte in Händen hält, verweist noch auf viel ältere Traditionen. Es handelt sich um das Symbol der Fruchtbarkeit in der klassischen Antike, aus der Bürgertum und Adel jahrhundertelang ihre Vorbilder bezogen.

Doch nicht nur solche Äußerlichkeiten hatten die seit 1933 anhaltenden sozialistischen Einebnungsversuche überlebt, sondern auch der Wunsch nach dem Auftritt im luxuriösen Automobil, den die neuen Herren in Berlin gern für sich reserviert hätten.

Dem gar nicht konformen Abgrenzungsbedürfnis konnte man kaum besser nachkommen als mit diesem beinahe majestätisch anmutenden Spezialaufbau auf Basis eines Adler Standard 6:

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Adler “Standard 6” Landaulet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die schrägstehende Frontscheibe lässt den formal noch den 1920er Jahren zugehörigen Adler weit moderner erscheinen – im “imperialistischen” Westen hielt Mercedes-Benz noch in der frühen Nachkriegszeit an solchen Formen fest.

Gut zu erkennen ist hier das beim “Facelift” Ende 1930 nach oben gewanderte Adler-Emblem auf der Kühlermaske.

Daneben fällt das Schild auf der Windschutzscheibe mit der russischen Bezeichnung für “Taxi” ins Auge – damit wissen wir, womit der Fahrer im Alltag sein Geld verdiente.

In voller Pracht sehen wir diesen überlebenden Adler Standard 6 hier, als die frisch vermählten Genossen (bis 1945: Volksgenossen) ihre Hochzeitsreise antraten:

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Adler”Standard 6″ Landaulet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Für mich ist dies eine hochinteressante Aufnahme. Denn noch einmal scheint hier in allen Details die bürgerliche Welt der Vorkriegszeit auf, noch ahnt man nichts von den staatlichen Zwangsvorstellungen vom neuen “sozialistischen” Menschen.

Offenbar hatten weder das nationalsozialistische Regime noch das von Moskau gesteuerte neuerliche Menschenexperiment sozialistischer Prägung die bürgerlichen Instinkte ausmerzen können – nämlich den Wunsch

  • sich vor anderen auszuzeichnen,
  • auf eigenen Füßen zu stehen,
  • die Früchte des Erreichten selbst zu genießen,

Kurz: kein bloßer Befehlsempfänger und keine vom Staat restlos vereinnahmte Arbeitsameise zu sein.

Nun wüsste man nur noch gern, ob neben dem widerständigen Geist des Bürgertums in Ostdeutschland auch dieser Adler die sozialistische Herrschaft überlebt hat…

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