Reine Männersache: Brennabor Typ R 6/25 PS

Die Begeisterung für das Automobil ist bis heute überwiegend Männersache. Dabei gab es schon immer Frauen, die sich in der Domäne der “Herrenfahrer” selbstbewusst und durchaus erfolgreich bewegten.

Dabei handelte es sich keineswegs um “Mannweiber”, die in einem damals noch extrem fordernden und hochriskanten Sport zeigten, dass sie mit Intelligenz und Kaltblütigkeit mithalten konnten.

Man denke nur an Ernes Merck, die es in den 1920er Jahren sogar zur Mercedes-Werksfahrerin brachte. Im Klausenpassrennen 1927 belegte sie den 2. Platz hinter Rudolf Caracciola – ein sensationeller Erfolg.

Hier sehen wir die als Ernestina Rogalla von Bieberstein in Pommern geborene Rennfahrerin auf einem Alfa-Romeo Typ RL Super Sport – einer Straßenversion des Siegerwagens der Targa-Florio auf Sizilien 1923:

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Alfa-Romeo Typ RL Super Sport; zeitgenössisches Kosmos-Sammelbild aus Sammlung Michael Schlenger

Das Vorbild solcher rasanten und zugleich charmanten Damen mag damals die eine oder andere Geschlechtsgenossin bewogen haben, selbst Automobilistin zu werden – und sei es “nur” mit einem Großserienmodell wie dem Brennabor Typ R 6/25 PS, um den es im heutigen Blog-Eintrag geht.

Regelmäßige Leser werden sich vielleicht an folgende reizvolle Aufnahme des ab 1925 gebauten Modells des Herstellers aus Brandenburg an der Havel erinnern:

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Brennabor Typ R 6/25 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Gern stellt man sich die selbstbewusste junge Dame am Steuer des wohl erfolgreichsten aller Brennabor-Wagen vor, der damals unter anderem mit dem Adler 6/25 PS Modell konkurrierte.

Interessanterweise war Brennabor mit seiner in fast jeder Hinsicht unterlegenen Konstruktion am Markt weit erfolgreicher.

Der Adler besaß bereits Vierradbremsen, Vierganggetriebe und 12-Volt-Elektrik und erreichte Spitze 80 km/h (ggü. 70/km/h beim Brennabor), war aber rund 20 % teurer.

Brennabor konnte hier ein letztes Mal den Vorteil der rationelleren Produktionsweise ausspielen, der die Firma nach dem 1. Weltkrieg vorübergehend zum größten Autohersteller Deutschlands gemacht hatte.

Dabei war der Brennabor keineswegs weniger robust gefertigt als der Adler. Noch rund zehn Jahre nach seiner Produktion war im Jahr 1936 dieser Brennabor Typ R 6/25 PS in der Nähe von Roth bei Nürnberg unterwegs:

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Brennabor Typ R 6/25 PS; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Der Wagen stimmt in allen wesentlichen Details mit dem Brennabor auf dem vorherigen Foto überein, das Mitte der 1920er Jahre entstanden war.

Mancher “Youngtimer” der späten 1970er Jahre stand zehn Jahre nach der Produktion längst auf dem Schrottplatz – selbst Daimler-Benz baute damals sagenhafte Roster, ein finsteres Kapitel der Markengeschichte…

Zurück zum Brennabor des Typs “R” 6/25 PS, von dem es vor allem im Osten unserer Republik einige bis in das 21. Jahrhundert geschafft haben.

Hier nun das Foto des Wagens, das im Mittelpunkt des heutigen Blogeintrags steht – bislang das beste dieses Typs aus der Sammlung des Verfassers:

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Brennabor Typ R 6/25 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser aus idealer Perspektive aufgenommene Brennabor war tatsächlich reine Männersache – zumindest bei der unbekannten Veranstaltung, an der die Herren einst in einem Tagungslokal irgendwo in Thüringen teilnahmen.

Der Wagen selbst war im Raum Kassel zugelassen, wenn nicht alles täuscht (Quelle: A. Herzfeld, Handbuch Deutsche Kfz-Kennzeichen Band 1, S. 85).

Dem aufmerksamen Betrachter werden die abweichenden Luftschlitze in der Motorhaube auffallen. Doch neben den schräggestellten schmalen Schlitzen finden sich auf Originaldokumenten auch die fünf breiten wie auf dem Foto:

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Brennabor Typ R 6/25 PS, aus: “Die Motorfahrzeuge” von P. Wolfram, 1928

Vielleicht kann ein sachkundiger Leser sagen, inwieweit die Form der Luftschlitze baujahrabhängig war. An der Identifikation des Wagens als Brennabor Typ R 6/25 PS gibt es jedoch keinen Zweifel.

Wie immer wollen wir die Menschen nicht unerwähnt lassen, die uns auf dieser rund 90 Jahre alten Aufnahme entgegenblicken. Es ist nicht ganz klar, was die Herren einst verband, die zwei (wenn nicht drei) Generationen anzugehören scheinen.

Vertreten sind hier der “Vatermörder-Kragen” der Zeit vor dem 1. Weltkrieg, die Krawattenmode der 1920/30er Jahre und eine sportliche Variante, die ganz auf Schlips oder Fliege verzichtete:

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Abgesehen von den zwei braungebrannten Herren scheinen wir hier “Schreibtischtäter” vor uns zu haben, vielleicht Angehörige einer studentischen Verbindung oder einer anderen Organisation aus der akademischen Welt.

Wie immer bei solchen Aufnahmen ist der Verfasser dankbar für alle Anmerkungen oder auch Korrekturen, die zum Verständnis der Aufnahmesituation beitragen. Das gilt auch für die zweite Ausschnittsvergößerung aus dem Foto:

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An der Fassade des Hauses im Hintergrund ist “Joh. Oscar Grabe” zu lesen, außerdem “Thuringia Bier”. Erlauben die beiden Informationen eine Lokalisierung der Örtlichkeit, an der unsere Herren einst mit dem Brennabor posierten?

Abgesehen davon, liebe Leser – schauen Sie mal in die Gesichter der acht Männer, die wir auf diesem Ausschnitt vor uns haben. Da sieht man trotz formeller Kleidung jede Menge Charaktertypen…

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An die Arbeitsfront im Wanderer 10/30 PS Typ W10-IV

Heute können wir eine der vielen Lücken in der Dokumentation deutscher Vorkriegswagen schließen, die eine der Zielsetzungen dieses Oldtimerblogs ist.

Irgendwann die PKW-Landschaft im Deutschland der Vorkriegszeit möglichst umfassend anhand zeitgenössischer Fotos nachzeichnen zu können, das gehört zu den Motiven des Verfassers.

Dabei dürfen die vielen untergegangenen Marken aus dem deutschsprachigen Raum natürlich nicht fehlen, zu denen auch der einstige Qualitätshersteller Wanderer aus dem sächsischen Chemnitz gehörte.

Eines der Modelle, die in der Wanderer-Bildergalerie bislang nicht zufriedenstellend vertreten sind, gehörte das 1930 vorgestellte “Krisenmodell” 6/30 PS mit der internen Typbezeichnung W10-IV.

Immerhin ist bereits eine sehr reizvolle Aufnahme vertreten, die freilich vom Wagen nur wenig erkennen lässt:

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Wanderer W10-IV; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Foto ist zu schön, um es nur in der Bildergalerie schlummern zu lassen. Es zeigt wahrscheinlich drei Schwestern und den dezent im Hintergrund posierenden Besitzer des Wagens.

Wer seine Zweifel hat, was die Identität dieses Cabriolets mit Karosserie von Gläser aus Dresden hat, bekommt gleich ein überzeugendes Beweisfoto präsentiert. Doch zunächst zur Geschichte des Wanderer W10-IV.

In der Weltwirtschaftskrise ab 1929 benötigte Wanderer neben dem 6-Zylindermodell W11 dringend einen preisgünstigeren Typ, um rentabel produzieren zu können.

Man entschloss sich zur Reaktivierung des erst kurz zuvor eingestellten Vierzylindermodells 6/30 PS, das noch aus der Mitte der 1920er Jahre stammte:

  • Der bewährte 1,5 Liter große Motor wurde überarbeitet, die Bremsanlage von Gestänge- auf Seilzugbetrieb (Bendix-Patent) umgestellt, erstmals wurden hydraulische Stoßdämpfer verbaut.
  • Die größten Veränderungen gegenüber dem Vorgänger W10-III betrafen das Äußere. Das Auto erhielt ein völlig neues Gesicht, das luxuriös anmutete.
  • Dazu trug neben der verchromten Kühlermaske das Wanderer-Emblem bei, das beim 6-Zylindertyp W11 neu eingeführt worden war.
  • Auch die großen Frontscheinwerfer und die Doppelstoßstange nach US-Vorbild ließen den Wanderer W10-IV wertig erscheinen.

Das Ergebnis der nur ein Dreivierteljahr währenden Entwicklungsarbeit steht hier in voller Pracht vor uns:

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Wanderer W10-IV; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der einzige Unterschied zu dem Wagen auf dem ersten Foto betrifft den Aufbau: Hier haben wir es mit einer 4-fenstrigen Limousine zu tun.

Übrigens ließ Wanderer mangels eigener Kapazitäten die geschlossenen Aufbauten des Typs W10-IV im Sindelfinger Karosseriewerk von Daimler-Benz fertigen. Man war um kreative Lösungen nicht verlegen, wie man sieht.

Anhand des Kennzeichens lässt sich ablesen, dass der Wanderer in Schlesien (“IK”) im Landkreis Hirschberg (Nummernkreis: 48801-49600) zugelassen war.

Zum Zeitpunkt der Aufnahme – wohl Mitte der 1930er Jahre – war der Wanderer schon einige Jahre in Gebrauch, wie der Zustand des Kennzeichens verrät:

Wanderer_W10-IV_RAD-Uniform_Frontpartie

Hier sieht man auch ein Merkmal früher Ausführungen des Wanderer W10-IV – die Scheibenräder mit sichtbaren Radmuttern. Im letzten Baujahr 1932 wurden diese durch verchromte Radkappen verdeckt.

Hinter der jungen Dame, die sich auf die Motorhaube des Wanderer stützt, erkennt man, dass die hintere Tür in Fahrtrichtung rechts geöffnet ist.

Demnach haben wir es nicht mit einem der vielen zeitgenössischen Autofotos zu tun, auf dem jemand neben einem Wagen fremder Leute posiert.

Wir dürfen also davon ausgehen, dass der uniformierte Herr auf der Fahrerseite entweder der Besitzer oder der Chauffeur des Wanderer war:

Wanderer_W10-IV_RAD-Uniform_Fahrer

Eine Umfrage unter den Mitgliedern des “Forum der Wehrmacht” ergab, dass wir hier einen Angehörigen des Reichsarbeitsdienstes (RAD) vor uns haben.

Zu erkennen sind RAD-Leute an der Kombination aus Hakenkreuzarmbinde (für politische Organisationen) und dem spatenförmigen Aufnäher darüber.

Die Mitglieder des RAD waren ungeachtet der Armbinde nicht automatisch “Nationalsozialisten” im politischen Sinne — schlicht deshalb, weil man sich dem anfänglich sechsmonatigen Pflichtdienst nicht entziehen konnte.

Strenggenommen handelte es sich beim Reichsarbeitsdienst um staatlich verordnete Zwangsarbeit, der man die Jugend des eigenen Volks unterwarf. Hauptziel war wie typisch für sozialistische Ideologien die strikte Einbindung des Einzelnen in ein übergeordnetes Kollektiv.

Wer über ökonomischen Sachverstand verfügt, wird sich nicht wundern, dass die wirtschaftliche Bedeutung des RAD unerheblich war. Der Mensch wirft sich im Frieden nur dann ins Zeug, wenn er starkem Konkurrenzdruck ausgesetzt ist oder für sich persönlich etwas herausholen kann.

Angesichts einer Bezahlung weit unter Hilfsarbeiterniveau und des Fehlens echter Erfolgsanreize blieb der RAD-Dienst letztlich die Vorstufe zum Militärdienst, auf den er im Lauf der Zeit immer stärker vorbereitete.

Offen bleibt, ob der RAD-Mann auf unserem Foto der Fahrer eines Funktionärs der Organisation war oder der Besitzer des Wanderer war, der ungeachtet einer herausgehobenen wirtschaftlichen Situation dienstverpflichtet war.

Das Foto zeigt einmal mehr: Bei der Beschäftigung mit Vorkriegsautos kommt man an der für uns oft fremden Lebenswirklichkeit unserer Vorfahren nicht vorbei…

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Fund des Monats: NAG C4b “Monza” im Sporteinsatz

Historische Originalfotos von Wagen der einstigen Berliner Automobilfirma NAG sind auf diesem Blog für Vorkriegsautos keine Seltenheit.

Zwar entstanden nach heutigen Maßstäben nicht sehr viele Autos der 1901 gegründeten AEG-Tochtergesellschaft, doch erwarben sie sich durch ihre Qualität und ihr unverwechselbares Äußeres einen besonderen Ruf.

NAGs besaßen von Anbeginn einen ovalen Kühlerausschnitt, den man auch in der Spitzkühlerära bis Mitte der 1920er Jahre beibehielt.

Das damals verbreitetste NAG Modell war der Typ C4 10/30 PS mit 2,6 Liter-Vierzylinder, den wir hier als Hochzeitsauto sehen:

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NAG C4 10/30 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses brav wirkende, ab 1920 gebaute Modell wies keinerlei technische Auffälligkeiten auf. Die strömungsungünstig seitlich stehenden Ventile standen einer sportlichen Verwendung entgegen – würde man erwarten.

Tatsächlich schaffte das in der Serienausführung als Tourenwagen 1,5 Tonnen schwere Gefährt nur Spitzentempo 75. Dessenungeachtet inspirierten die offenen Versionen einige Besitzer zumindest zur Teilnahme an Wettbewerbseinsätzen, bei denen die Beherrschung des Wagens wichtiger war als die Höchstleistung.

Ein schönes Beispiel dafür haben wir auf folgender Aufnahme, die anlässlich einer der einst beliebten Geschicklichkeitsprüfungen entstand:

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NAG C4 10/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Leider scheint der NAG-Fahrer den Schwerpunkt seines Wagens falsch eingeschätzt zu haben (“Der Mittelpunkt bin doch ich!”) und die Wippe beginnt sich unter der Last des Motors bereits nach vorn zu neigen. Der Warnruf des Beifahrers erfolgt zu spät…

Dafür bekommt man einen Eindruck von den beachtlichen Abmessungen des Wagens – mit Radstand von 3,20 m und Gesamtlänge von rund 4,70 m war der NAG Typ C4 ganz klar ein Oberklassefahrzeug.

Sein Konstrukteur – Ingenieur Christian Riecken – fand sich jedoch nicht mit dem behäbigen Charakter seiner Schöpfung ab; er wusste, dass mehr darin steckte.

Um den Wagen für Sporteinsätze geeignet zu machen, änderte er die Vergaserabstimmung, verbaute Leichtmetallkolben und senkte das Fahrzeuggewicht drastisch, nur der Hubraum blieb unverändert. Das Konzept sollte sich auszahlen:

  • Mit der Sportversion trat Riecken selbst beim ersten Rennen auf der neugebauten Berliner AVUS im September 1921 an. In der Klasse bis 10 Steuer-PS setzte er sich gegen die gesamte Konkurrenz, u.a. von Opel, Horch und Stoewer, durch.
  • 1922 belegten NAG-Sporttypen auf der AVUS in ihrer Klasse die ersten drei Plätze.
  • Bei der russischen Zuverlässigkeitsfahrt 1923, die über 2.000 km führte, siegte NAG in der Gesamtwertung. Robustheit war damals wichtiger als Spitzenleistung.
  • Der größte Triumph war der Sieg beim 24-Stunden-Rennen 1924 im italienischen Monza, wo der NAG sogar die Alfa-Romeos der 3-Liter-Klasse schlug.

Nach dieser Sensation in Italien bot NAG vermögenden Privatfahrern eine leichte Sportausführung des Typs C4 mit anfänglich 40 (später bis 50 PS) an, die den prestigeträchtigen Zusatz “Monza” trug.

Solch ein Fabeltier sehen wir hier bei einem lokalen Rennen irgendwo in Deutschland:

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NAG C4b “Monza”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Festgehalten ist hier der Moment der Zieleinfahrt. Das entsprechende Banner und die triumphierende Geste des Herrn im Heck sprechen für sich.

Wir dürfen annehmen, dass es sich um eine Veranstaltung irgendwo in der Provinz handelte, wie die spärlichen Zuschauer verraten. Das Kennzeichen des NAG weist übrigens auf eine Zulassung in Braunschweig hin.

Wie die meisten Sportversionen gängiger Modelle besaß auch der NAG C4b eine Straßenzulassung, d.h. der Besitzer fuhr auf eigener Achse wieder nach Hause. Offenbar hielt sich sein sportlicher Ehrgeiz bei dieser Gelegenheit ohnehin in Grenzen.

Denn mit zwei zusätzlichen Passagieren litt das Leistungsgewicht des NAG erheblich. Für diese frei verkäufliche Straßensportversion wird ein Spitzentempo von 100 km/h angegeben; nur die Werksrennwagen schafften über 130 km/h.

Dass ein Ritt im NAG C4b “Monza” auch so Spaß machte, belegen die glücklichen Mienen der Insassen, soweit wir sie auf diesem Ausschnitt erkennen können:

NAG_C4b_Monza_1_Zieleinfahrt_Ausschnitt

NAG Typ C4b “Monza”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Schön und gut, könnten nun verwöhnte Leser sagen, aber vom Auto sieht man auch hier nicht viel mehr als den NAG-typischen ovalen Spitzkühler. Immerhin wirkt die v-förmig unterteilte und niedrige Windschutzscheibe sportlich.

Wer genau hinsieht, erkennt außerdem die freistehenden leichten Schutzbleche, die es nur an der Sportversion gab.

Zum Glück ist das nicht alles, liebe Freunde der Vorkriegsautomobile. Zusammen mit dieser Aufnahme konnte der Verfasser nämlich ein zweites Foto erwerben, das denselben Wagen bei derselben Gelegenheit zeigt.

Diese Aufnahme ist nun eine, die keine Wünsche offenlässt – schöner und detailreicher abgelichtet wird man einen NAG des Sporttyps C4b “Monza” auf einer Privataufnahme kaum finden:

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NAG Typ  C4b “Monza”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

An eine schier endlose Motorhaube mit seitlich geführtem, armdicken Auspuffrohr schließt sich ein minimalistisches Passagierabteil an.

Interessanterweise besaßen auch die auf der Avus 1926 eingesetzten Werksrennwagen des Typs NAG C4 eine zweite Sitzreihe wie die Straßensportausführung auf unserem Foto. Dies entsprach den Anforderungen in der speziellen Klasse, in der NAG antrat

Bei den echten Renneinsätzen wird man zumindest auf die Mitnahme eines Koffers am Heck und gleich zwei Ersatzreifen sowie einen besonders gutgenährten Passagier wie auf dem Foto verzichtet haben:

NAG_C4b_Monza_1_Insassen

Während wir die Herren schon bei der Zielfahrt an Bord des NAG sehen konnten, werden die Dame mit den Blumen und der junge Bursche im Hintergrund nicht mitgefahren sein – doch bei der mutmaßlichen Siegerehrung wollten sie nicht fehlen.

Interessant ist auf diesem Ausschnitt übrigens das Scheibenrad – in der Literatur ist beim NAG C4b “Monza” nur von Drahtspeichenrädern die Rede. Gut möglich, dass der Besitzer dieses Wagens der unkomplizierteren und robusteren Lösung den Vorzug gab.

Man sieht: Die wahre Bandbreite dessen, was in der Vorkriegszeit auf den Straßen und Rennstrecken unterwegs war, erschließt sich erst beim Studium zeitgenössischer Originalfotos, denn die Wagen selbst sind meist Geschichte.

Immerhin hat zumindest einer der Seriensportversionen des Typs NAG C4b “Monza” im Deutschen Technikmuseum in Berlin überlebt. Für Cineasten mag auch interessant sein, das einer dieser Wagen in einem russischen Stummfilm von 1926 “mitspielte”.

Wer nun auf den Appetit gekommen ist, dem sei an dieser Stelle gesagt, dass sich im Fundus des Verfassers zwei weitere Aufnahmen von NAG-Wagen des Sporttyps C4b “Monza” befinden.

Die müssen aber noch ein wenig warten, es gibt ja soviel mehr Spannendes im Vorkriegssektor, das erzählt und illustriert werden will…

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Schon sehr speziell: Ein Graham-Paige von 1928

Es soll Leute geben, die US-Automobile der Vorkriegszeit für langweilige Massenware halten. Primitive Motoren, schlechte Fahrwerke und einfallslose Optik, so lauten gängige Vorurteile.

Ignoriert wird dabei: Ohne die Konkurrenz der modernen, robusten und erschwinglichen US-Wagen der 1920er Jahre hätten die deutschen Hersteller an überholten Konzepten festgehalten und weiter in Manufaktur produziert.

Die “Amerikaner-Wagen” waren damals in jeder Hinsicht das Vorbild, an dem man sich orientierte, und sei es erst einmal mit gekonnten Nachbauten wie im Fall des Adler Standard 6.

Die deutschen Hersteller holten zwar allmählich auf, doch noch in den 1930er Jahren kamen die entscheidenden Impulse aus den USA. Zu den Höhepunkten gehörte nicht nur nach Ansicht des Verfassers dieses Fahrzeug:

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Graham Blue Streak; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das ist keine Stilikone aus einer französischen Karosserieschmiede, sondern ein eigenständiges Modell eines amerikanischen Nischenherstellers.

Mit dem “Blue Streak” landete die gerade einmal fünf Jahre alte Firma Graham-Paige 1932 zwar wirtschaftlich keinen großen Erfolg – dafür waren die Stückzahlen zu gering – doch kein Wagen hatte größeren Einfluss auf die Automobilgestaltung jener Zeit.

Nebenbei ein Beispiel dafür, dass die großen Entwicklungsschübe oft nicht von etablierten, bequem gewordenen Herstellern kommen. Die ganze Geschichte des auch technisch fulminanten Modells ist auf diesem Blog hier zu lesen.

Gegen den “Blue Streak” mutet der eigentliche Gegenstand des heutigen Blog-Eintrags bieder und belanglos an – auf den ersten Blick:

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Graham-Paige von 1928; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wer bei Vorkriegsautos nicht nur Karosseriedetails und technische Daten im Sinn hat, sondern das gesamte damalige Umfeld faszinierend findet, wird schon die drei Herren mit zeittypischem Gummimantel wohlwollend registrieren.

Dieses klassische Kleidungsstück bieten hervorragenden Regen- und Windschutz, wie der Verfasser aus einer Ausfahrt in einem Cadillac 30 von 1912 weiß.

Immer wieder herrlich zu sehen, zu welchen Kabinettstückchen diese heute so sorgsam gehüteten Vorkriegswagen einst ihre Zeitgenossen veranlassten:

Graham-Paige_1928_Umbau_Frontpartie

Anders als mancher heutige Besitzer, der verbiestert dem “Besser als neu”-Zustand seines Vehikels hinterherputzt, hatten unsere Vorfahren Freude an ihren Gefährten.

Auch sonst wird sich diese Aufnahme in punkto “authentischer Originalzustand” noch als überraschend erweisen. Doch erst einmal zur Identifikation des Wagens, an der der Verfasser längere Zeit scheiterte.

Nach Erwerb der US-Vorkriegsautobibel “Standard Catalog of American Cars” von B.R. Kimes & H.A. Clark gelang es aber, das Rätsel zu lösen – zumindest das des Typs.

Es handelt sich um einen Wagen der erst 1927 entstandenen Marke Graham-Paige. Die markanten Nabenkappen, die Scheibenräder und die leicht spitz zulaufende Kühlermaske passen zum Modelljahr 1928.

Über 70.000 Sechs- und Achtzylinder konnten die aus dem LKW-Geschäft stammenden Gebrüder Graham von ihrem Erstling absetzen – in einem Jahr! Damit hätten sie 1928 70 % der Neuzulassungen im Deutschen Reich abdecken können…

Tatsächlich besaß der Graham-Paige auf dem Foto eine deutsche Zulassung. Doch jenseits der Vorderpartie wirft der Wagen Rätsel auf:

Graham-Paige_1928_Umbau_Seitenpartie

Da wäre zunächst der in der Mitte unterteilte Holzrahmen, der vor dem ursprünglichen Frontscheibenrahmen angebracht wurde. War die durchgehende Originalscheibe geborsten und hatte man sie durch zwei kleinere Scheiben ersetzt?

Warum sind im Innenraum keine gepolsterten Sitze zu sehen und was ist mit der im Original vorn angeschlagenen Tür passiert? Eine diagonal angebrachte Holzlatte scheint stattdessen montiert zu sein.

Der kurze Rahmen des Wagens lässt vermuten, dass wir es mit einem ursprünglich zweitürigen Cabriolet- oder Roadster-Aufbau zu tun haben. Wie es scheint, wurde dieser Graham-Paige nach nur wenigen Jahren in eine Spezialversion verwandelt.

Über die Gründe können wir nur spekulieren. Vielleicht hatte der Wagen einen Unfall und jemand nahm sich des Wracks an, um daraus ein Spaßgefährt zu bauen.

Belegt sind Autos aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg, die in der Zwischenkriegszeit bei deutschen Segelflugclubs als umgebaute Anschleppfahrzeuge landeten. Irgendwie mutet der Graham-Paige wie solch ein zweckentfremdetes Vehikel an.

Über Ideen aus der Leserschaft, was es mit diesem speziellen Graham-Paige auf sich hat, freut sich der Verfasser. Überzeugende Erklärungen werden dann in den Blogeintrag eingearbeitet.

Noch etwas: Zwischen dem Graham-Paige auf dem ersten und demjenigen auf dem zweiten Foto liegen gerade einmal vier Jahredas war Fortschrittsdynamik!

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Ausflug mit den Schwiegereltern – im NSU 5/15 PS

Ein Auto mit nur 15 PS Höchstleistung – konnte man damit jemals die Schwiegereltern beeindrucken? Dieser Frage wollen wir heute anhand eines prachtvollen Originalfotos aus der Sammlung des Verfassers nachgehen.

Den Typ 5/15 PS des Neckarsulmer Fahrzeugherstellers, der 1906 mit der Autoproduktion begonnen hatte, haben wir vor längerer Zeit bereits hier vorgestellt. Doch dabei handelte es sich um einen viersitzigen Tourenwagen.

Nunmehr können wir den raren Sport-Zweisitzer zeigen, der zwar ebensowenig sportlich war wie der Tourer oder die Limousine, aber zumindest rasant aussah:

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NSU 5/15 PS Sport-Zweisitzer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

In dem hinter den Vordersitzen steil abfallenden Heck war – wie hier zu besichtigen – noch eine ausklappbare Notsitzbank untergebracht.

Bei voller Besetzung mit Gattin und Schwiegermutter in der zweiten Reihe war es natürlich mit der sportlichen Optik vorbei und die 15 PS hatten ihre liebe Not.

Doch bevor wir über den technischen Stand des Wagens lächeln, wollen wir ihn in den richtigen Kontext stellen. Dazu geht es über 100 Jahre zurück – vielleicht die erste Überraschung.

Denn auch wenn diese schöne Aufnahme auf einer Ende der 1920er versandten Postkarte erhalten geblieben ist, zeigt sie eindeutig ein Modell aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg – das verraten vor allem die gasbetriebenen Scheinwerfer:

NSU_5-15_PS_Sport-Zweisitzer_Pk_08-1929_Frontpartie

Elektrische Beleuchtung gab es zwar auch schon 1914 gegen Aufpreis – so auch bei diesem Wagen, der sich anhand der Kühlerplakette als NSU offenbart – doch auf zeitgenössischen Fotos sieht man so etwas nur ganz selten.

Ein weiterer Datierungshinweis ist die 1913 eingeführte birnenförmige Kühlermaske, die bei NSU erst nach dem 1. Weltkrieg einem schnittigen Spitzkühler wich wie bei so vielen Herstellern im deutschsprachigen Raum.

Anhand der Größe des Wagens können wir diesen als Basismodell 5/15 PS von NSU identifizieren. Es wurde ab 1914 gebaut, womit man auf die Konkurrenz der 1913 vorgestellten 5/12 PS Modelle von Wanderer und Opel reagierte.

Nachdem sich NSU zunächst mit Mittelklassewagen einen Namen gemacht hatte, konkurrierte man frühzeitig auch im Kleinwagensektor mit den etablierten deutschen Herstellern.

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NSU-Originalreklame aus Braunbecks Sportlexikon 1910

Dabei setzte NSU bereits ab 1909 auf kleine Hubräume von etwas mehr als 1 Liter – bemerkenswert, da viele Autos jener Zeit großvolumig angelegt waren. Selbst das legendäre Volksauto Model T von Ford mit 20 PS besaß fast 3 Liter Hubraum.

Der NSU Typ 5/15 PS, den wir auf dem Foto sehen, kam mit lediglich 1,2 Litern Hubraum aus und war mit Spitze 60 km/h kaum langsamer als das US-Pendant.

Der entscheidende Unterschied war der Preis: 1914 begann die Fließbandfertigung des Ford T-Modells und damit wurde es auf einmal für die Arbeiter erschwinglich, die es fertigten – genau das wollte der kühle Rechner Henry Ford erreichen.

Damit konnte keiner der deutschen Hersteller mithalten, von denen die meisten bis Ende der 1920er Jahre nicht begriffen, dass der Schlüssel zum Volksautomobil in einer streng rationellen Produktionsweise lag.

So blieb ein Automobil in Deutschland 1914 (und selbst noch 25 Jahre später) eine exklusive Angelegenheit, ganz gleich wie bescheiden die Leistung war. Entsprechend zufrieden schaut der Schwiegersohn hier drein:

NSU_5-15_PS_Sport-Zweisitzer_Pk_08-1929_Insassen

Der Ausschnitt lässt übrigens klar erkennen, dass das Verdeck bei einem Schauer die rückwärtigen Insassen buchstäblich im Regen hätte sitzen lassen.

Zudem hätten die Damen – eindeutig Mutter und Tochter – dann die Rückseite des Verdecks vor der Nase gehabt. Die beiden Herren waren also hier in privilegierter Position, ganz gleich wie das Kräfteverhältnis auch sonst ausgesehen haben mag.

Eine Sache mag noch erwähnenswert sein: Der adrette NSU Sport-Zweisitzer des Typs 5/15 PS scheint über eine Luxemburger Zulassung verfügt zu haben.

Bei einer Bevölkerung von etwas mehr als 250.000 vor 100 Jahren (Quelle) genügte in dem Zwergstaat damals offenbar ein vierstelliger Nummernkreis ohne ergänzende Buchstaben für alle dort zugelassenen Autos.

Über den Aufnahmeort wissen wir leider nichts. Das Foto mag irgendwann in den 1920er Jahren auf luxemburgischen Territorium entstanden sein, wo es durchaus mittelgebirgsartige Landschaften gibt.

Vom Leistungsvermögen her ist auch anderes denkbar: 1914 wurde ein serienmäßiger NSU 5/15 PS auf die 2.500 km lange Strecke von Neckarsulm ins spanische Barcelona geschickt, wo der Wagen nach Überwindung der Pyrenäen auch ankam…

Literatur: NSU Automobile, von: Klaus Arth, Verlag Delius-Klasing, 2. Auflage 2015

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5 Jahre Fortschritt: Vom Hanomag 3/16 zum 4/23 PS

Den meisten Freunden deutscher Vorkriegsautos fällt beim Stichwort Hanomag wohl am ehesten das “Kommissbrot” ein, das von 1925-28 als Typ 2/10 PS gebaut wurde.

Das Wägelchen mit seinem 500ccm-Einzylinder wartete zwar mit bemerkenswerten Konstruktionsdetails auf – am fortschrittlichsten war die Pontonkarosserie – doch ein ernstzunehmendes Auto war es letztlich nicht.

Versuche, den “rasenden Kohlenkasten” zum potentiellen Volkswagen zu adeln, sind abwegig. In den 1920er Jahren hatten amerikanische, englische und französische Hersteller längst vorgemacht, wie massenmarkttaugliche Autos aussehen.

Das A und O dabei waren keineswegs innovative technischen Konzepte, sondern konsequente Ausrichtung der Konstruktion auf industrielle Großserienfertigung – die Voraussetzung für einen volkstümlichen Preis.

So blieb das Kommissbrot mit etwas mehr als 15.000 Exemplaren in fast vier Jahren Bauzeit einer von vielen deutschen Sonderwegen in die Sackgasse hinein.

Dem Reiz dieses Nischenkonzepts tut das natürlich keinen Abbruch, vor allem nicht mit so charmanter Besatzung:

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Hanomag 2/10 PS Cabriolet; Originalausführung

Eines muss man den Maschinenbauern aus Hannover lassen: Nach dem Fehlstart mit dem Hanomag Kommissbrot gelang es in nur fünf Jahren aus eigenen Kräften, ernsthafte und zunehmend wertige Automobile zu entwickeln.

Diese dynamische Entwicklung wollen wir heute anhand historischer Originalfotos nachzuvollziehen, deren Charme nicht zuletzt darin besteht, dass sie auch die damaligen Besitzer und Insassen zeigen.

Beginnen wir mit dem ab 1929 gefertigten Typ Hanomag 3/16 PS mit 750ccm-Vierzylindermotor, der bei moderatem Verbrauch immerhin Tempo 75 erlaubte:

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Hanomag 3/16 oder 4/20 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

An diesem gefälligen Automobil erinnerte nur noch eines an den Vorgänger 2/10 PS – das Emblem auf der Kühlermaske mit stilisiertem “Kommissbrot”.

Die geschmackvolle Zweifarblackierung lässt das keine 500 kg wiegende Fahrzeug durchaus adrett erscheinen. Dieses Auto war kein fauler Kompromiss und keine verschrobene Kopfgeburt, sondern grundsolide und gesellschaftsfähig.

Damit konnte man sich sehen lassen, das dachten gewiss auch die folgenden jungen und modebewussten Hanomag-Eigner, die auf gewisse Weise an das amerikanische Bankräuberpaar Bonnie & Clyde erinnern:

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Hanomag 3/16 oder 4/20 PS Cabriolimousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Neben der 3/16 PS-Variante war übrigens auch bereits eine 4/20 PS-Version mit 1,1 Liter Hubraum verfügbar, die für 80 km/h Spitze gut war.

Zwei gestalterische Details verraten, dass wir es mit einem dieser frühen Hanomag-Vierzylindermodelle zu tun haben: Die unten horizontal verlaufende Frontscheibe und der große Abstand der seitlichen Zierleisten entlang des Passagierabteils.

Auf der folgenden Aufnahme sehen wir die nächste Entwicklungsstufe ab 1931:

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Hanomag 3/17 PS oder 4/23 PS Cabrio-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier hat sich einiges getan. Sicher, die markante Aufteilung der Luftschlitze in der Motorhaube in zwei Felder ist noch vorhanden, ebenso die Scheibenräder, aber:

  • die Unterseite der vergrößerten Frontscheibe folgt der Form des Vorderwagens,
  • die obere Zierleiste unterhalb der Seitenfenster ist nach unten gerutscht, der Aufbau wirkt nun höher,
  • der Abstand des hinteren Türabschlusses zum Heckschutzblech ist größer,
  • die Kotflügel reichen seitlich weiter hinunter,
  • die Scheibenräder tragen verchromte Nabenkappen.

Zu dem aufgewerteten und großzügigeren Erscheinungsbild passen die opulenten Doppelstoßstangen nach amerikanischem Vorbild, die als Zubehör verfügbar waren.

Das sich aufbäumende Pferd auf dem Kühler deutet nicht auf frühe Ferrari-Fans hin – obwohl Enzo Ferrari bis 1931 selbst Rennen fuhr – sondern auf das Wappentier von Niedersachsen, wo Hanomag seinen Stammsitz hatte.

Diese Kühlerfigur war nachweislich auch schon beim Vorgängermodell Hanomag 3/16 bzw. 4/20 PS-Modell verfügbar:

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Hanomag 3/16 oder 4/20 PS Limousine, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier können wir noch einmal sämtliche Details mit dem Vorgängertypen abgleichen, das ebenfalls bereits eine Doppelstoßstange aus dem Zubehörhandel besaß.

Im nächsten Schritt machen wir in formaler Hinsicht einen großen Sprung – dabei rücken wir bloß vom Jahr 1931 ins Jahr 1932 vor. Doch auf einmal haben wir einen Hanomag mit wesentlich modernerem Erscheinungsbild vor uns:

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Hanomag 3/18 PS PS; Originalfoto mit freundlicher Genehmigung von Matthias Kraus

Wer auch immer dieses schöne Foto vor über 80 Jahren schoss, für den stand sicher die schlanke junge Dame im Mittelpunkt, die sich gerade anschickt, den Fahrersitz dieses Hanomag einzunehmen.

Der originale Abzug stammt aus dem Familienalbum von Kommunikationsdesigner Matthias Kraus aus Halle, dem wir bereits eine außergewöhnliche Aufnahme eines Nash auf Teneriffa verdanken.

Es fällt schwer, sich diesem freundlichen und jugendlichen Blick aus ferner Vergangenheit zu entziehen, doch wir wollen uns ganz auf das Auto konzentrieren.

Ins Auge fallen folgende Veränderungen:

  • die Frontscheibe steht schräg und sitzt auf der Vorderpartie auf,
  • der vordere Türausschnitt verläuft ebenfalls schräg,
  • die untere seitliche Zierleiste schwingt zum Wagenende hin nach unten,
  • die Luftschlitze in der Haube sind direkt in diese eingeprägt,
  • das Vorderschutzblech schwingt weiter nach hinten aus,
  • die Kühlermaske ist vollverchromt und ist leicht nach hinten geneigt,
  • die glattflächigen Scheibenräder sind stärker nach innen geprägten gewichen.

Äußerlich hat dieses Auto kaum noch etwas mit dem Vorgängermodell gemein. Technisch hat sich dagegen wenig getan. Die Motorisierung ist mit 3/18 PS annähernd dieselbe; auch die hydraulischen Vierradbremsen besaß schon der Vorgängertyp.

So bleibt vor allem formal der Eindruck eines neuen Wagens, wie an folgender Aufnahme genau desselben Typs noch deutlicher wird:

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Hanomag 3/18 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch hier fällt die gepflegte bis modebewusste Erscheinung der Passagiere ins Auge. Der Hanomag mag nach heutigen Maßstäben bescheiden anmuten, war aber alles andere als ein Armeleutevehikel.

Bereits der Besitz eines solchen Automobils der unteren Mittelklasse setzte im Deutschland der frühen 1930er Jahre ein weit überdurchschnittliches Vermögen voraus.

Als privilegiert fühlen konnte sich damals schon, wer bei Wind und Wetter mit dem Motorrad zur Arbeit fahren konnte. Der Hanomag bot demgegenüber Schutz, mehr Platz und entsprechend mehr Prestige – die Leistung war nebensächlich.

Springen wir zwei Jahre weiter, ins Jahr 1934. Der Hanomag wird nur noch als 4/23 PS-Modell angeboten, wahlweise mit 4-Gang-Getriebe. Optisch hat sich nochmals einiges getan:

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Hanomag 4/23 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei dieser Cabriolimousine mit Zulassung in Unterfranken sehen wir den neuen Stil, der schon seit 1933 das Modell “Rekord” mit 1,5 Liter großem Motor und 32 PS (später 35 PS) kennzeichnete und bis Kriegsbeginn typisch bleiben sollte.

Ins Auge fallen:

  • der in Wagenfarbe lackierte und mit dem Vorderwagen verschmolzene Kühler,
  • die Chromleiste um die Windschutzscheibe herum,
  • die großen vollverchromten Scheinwerfer,
  • die serienmäßige, einteilige Stoßstange,
  • die serienmäßigen verchromten Radkappen.

Alle oben skizzierten Veränderungen vollzogen sich in nur fünf Jahren! Der Unterschied zwischen dem eingangs gezeigten Modell von 1929/30 und dem zuletzt vorgestellten ist kolossal. Solche Entwicklungssprünge gibt es heute nicht mehr.

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Gab’s wirklich: Protos 10/30 PS als Sport-Zweisitzer

Bei Vorkriegsautos kann man sich nie sicher sein, schon alles gesehen zu haben – selbst bei einst gängigen und auf den ersten Blick halbwegs gut dokumentierten Marken.

Im Fall eines bis in die 1920er Jahre bedeutenden Autobauers wie der Siemens-Tochter Protos sollte man davon ausgehen, dass die Typenlandschaft in der Literatur umfassend beschrieben ist.

Dem ist leider nicht so und die Leidenschaft zur Dokumentation deutscher Vorkriegshersteller scheint – von wenigen Ausnahmen (AGA, Auto-Union, Steiger) abgesehen – in den letzten Jahrzehnten eher nachgelassen zu haben.

Während in England, Frankreich und Italien ein Buch nach dem anderen selbst zu obskuren Marken erscheint, scheint man hierzulande wildentschlossen, die Vorkriegszeit ein für allemal Vergangenheit sein zu lassen.

Zu dieser radikalen Geschichtsvergessenheit passt der deutsche Glaube an planwirtschaftliche Absurditäten wie “1 Million Elektroautos bis 2020”.

Nicht nur im Hinblick auf die über 120 Jahre alte Technologie des elektrisch betriebenen Automobils schafft die Beschäftigung mit der Historie heilsamen Abstand zu den trügerischen Utopien des Hier und Jetzt.

Umso lieber lassen wir uns auf die alten Dokumente ein, die von einer Zeit künden, als es wirklichen Fortschritt in automobiler Hinsicht gab. Diese Herren beispielsweise waren einst Zeugen einer rasanten Entwicklung:

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Protos Typ C 10/30 PS; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Der stark angegriffene Abzug zeigt einen Protos des bereits vor dem 1. Weltkrieg vorgestellten Typs 10/30 PS, der jedoch erst in der Nachkriegszeit in größeren Stückzahlen gefertigt wurde.

Die elektrisch betriebenen Scheinwerfer gehören zu den Innovationen jener Zeit, sie lösten die bis dato gängigen Acetylenleuchten ab. Zwar war elektrische Beleuchtung vereinzelt schon vor dem 1. Weltkrieg verfügbar, doch setzte sie sich erst ab 1919 durch.

Auch das Erscheinungsbild der fünf Herren, die im und um den Protos posieren, verweist auf die Zeit nach Kriegsende, die in Deutschland von Sachlichkeit geprägt war.

Nur die dem Jugendstil entstammende opulent verzierte Kühlermaske erinnert noch an die Kaiserzeit – sie machte die Protos-Wagen unverwechselbar. Einige tausend Tourenwagen und Limousinen dieses Typs entstanden bis Mitte der 1920er Jahre.

Etliche davon haben wir bereits anhand von Originalfotos vorgestellt – doch auf keinem davon war ein Aufbau wie dieser hier zu sehen:

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Protos Typ C 10/30 PS Sport-Zweisitzer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser Ausschnitt ist Teil eines größeren, ovalen Abzugs, der einen weiteren Wagen zeigt, den wir bislang noch nicht identifizieren konnten.

Auf den ersten Blick wirkt die Vorderpartie des Wagens so wie bei anderen Vertretern des Tys C 10/30 PS von Protos auch: Neben dem charakteristischen Kühler verweisen die zweimal vier Luftschlitze in der Motorhaube auf das Modell.

Die Rechtslenkung ist typisch für die Zeit, als Schalt- und Bremshebel außerhalb des Innenraums lagen. Die meisten Menschen sind nun einmal Rechtshänder und da schon der Kutscher einst mit der Rechten die Peitsche schwang, war die Sitzposition rechts ganz natürlich, zumal so der Straßengraben besser im Blick blieb.

Im Vergleich zu anderen Fotos von Protos-Wagen des Typs C 10/30 PS ist hier jedoch die V-förmig geteilte und recht niedrige Windschutzscheibe außergewöhnlich.

Außerdem fällt die Karosserielinie hinter den Vordersitzen ab, was nicht zu dem seinerzeit gängigen Tourenwagenaufbau passt. Offenbar haben wir es hier mit einem offenen Zweisitzer mit sportlicher Anmutung zu tun.

In der Literatur findet sich nirgends ein Hinweis auf diese Ausführung und doch hat es sie einst gegeben. Die Auftraggeber dieses speziellen Modells hatten sicher nicht nur eine sportliche Optik im Sinn, sondern zielten auch auf Gewichtsersparnis ab.

Die serienmäßige Tourenwagenausführung brachte nämlich über 1,5 Tonnen auf die Waage, weshalb der 2,6 Liter große Vierzylinder mit dem Protos seine Last hatte.

Gut möglich, dass auf Kundenwunsch bei den Sportmodellen die Spitzenleistung erhöht wurde. Dafür spricht, dass Protos ab 1924 den Typ C bei unverändertem Hubraum mit um 50 % gesteigerter Leistung als 10/45 PS-Modell anbot.

Weiß ein Leser vielleicht mehr über diese bislang nicht dokumentierte Sportausführung des braven Protos Typ C 10/30 PS?

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Am Deutschen Eck: Austro-Daimler “ADR” Cabriolet

Liebhaber der wenigen, aber feinen ehemaligen Automobilmarken aus Österreich kommen auf diesem Vorkriegs-Oldtimerblog immer wieder auf ihre Kosten.

Neben Wagen von Gräf & Stift, Puch und Steyr werden hier auch die auf Ferdinand Porsche zurückgehenden Schöpfungen von Austro-Daimler aus Wien in historischen Originalaufnahmen vorgestellt.

Speziell die Exemplare der 1920er Jahre stechen nicht nur durch hochkarätige Technik hervor, sie heben sich auch durch markante Gestaltungsmerkmale ab.

Das ermöglicht im Unterschied zu einigen deutschen Wagen jener Zeit eine rasche Identifikation, selbst wenn nur wenige Partien des Fahrzeugs sichtbar sind. Ein schönes Beispiel dafür haben wir hier:

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Austro-Daimler Typ ADM; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nicht schwer zu erraten, dass die freundliche junge Dame hier auf dem Vorderschutzblech eines Austro-Daimler sitzt – allein die Kühlerfigur verrät dies.

Doch selbst ohne den geflügelten Pfeil – für tüchtige deutsche TÜVler ein Alptraum wie Zentralverschlussmuttern und andere Undinge – wäre die Kühlerpartie eigenständig genug, um die Ansprache als Austro-Daimler zu ermöglichen.

Unterhalb des Einfüllstutzens für das Kühlwasser befindet sich nämlich eine reich verzierte, erhaben geprägte Plakette mit dem Markenschriftzug. Sie ist so typisch, dass man sie auch aus dieser Perspektive erkennen kann.

Außerdem besitzt die Kühlermaske eine einzigartige Form. So war der innere Ausschnitt für das Kühlernetz bei Austro-Daimler eckig wie bei Modellen der Zeit vor 1914, während das Kühlergehäuse außen abgerundet war.

Dies sorgt für eine formale Spannung mit hohem Wiedererkennungswert, wie folgende Aufnahme trotz Verwacklung erkennen lässt:

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Austro-Daimler Type ADM; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der gutgelaunte Herr, der hier auf seinem Austro-Daimler reitet und seinen Gruß entbietet, hatte den Wagen im westfälischen Iserlohn zugelassen, wie die Nummernschildkennung verrät.

Er und die junge Dame auf dem ersten Foto sind gute Beispiele dafür, wie unbeschwert die einstigen Besitzer mit diesen enorm teuren Fahrzeugen umgingen.

Manch’ moderner Besitzer überlebender, oft überrestaurierter Fahrzeuge macht dagegen durch Schilder wie “Berühren verboten” oder gar “Fotografieren verboten” deutlich, dass er nicht verstanden hat, dass diese Wagen bloß schöne Maschinen sind und nicht die von spontanem Zerfall bedrohte Mumie eines altägyptischen Pharaos…

Während die heute existierenden Vorkriegsautos gute Chancen haben, uns zu überleben und noch in 100 Jahren Freude zu bereiten, sieht das bei manchen historischen Originalfotos solcher Wagen anders aus.

Für den Verfasser Grund genug, die Dokumente in seinem Fundus zu digitalisieren und im Netz zur Verfügung zu stellen.

Zudem lebt dieser Oldtimerblog auch von Sammlerfreunden, die im Internet ebenfalls die Chance sehen, ihre Schätze zur Freude Gleichgesinnter in aller Welt und zum Erkenntnisgewinn der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Ein Beispiel dafür ist folgende Aufnahme von Leser Klaas Dierks, der zum Thema Austro-Daimler der 1920er Jahre ein besonderes Schmankerl beisteuern kann:

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Austro-Daimler Typ ADR; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Trotz militärischer Anmutung haben wir es hier mit Polizisten zu tun – wobei man davon ausgehen kann, dass diese Recht und Gesetz einst energischer durchzusetzen wussten, als es den bundesdeutschen Kollegen unserer Tage gestattet ist…

Der Anlass der Aufnahme ist nicht bekannt. Es stand wohl die Anfertigung eines Teamfotos an und man nutzte die Gelegenheit für einen speziellen Hintergrund.

Dass einer der abgebildeten Herren in der Lage gewesen wäre, sich einen Austro-Daimler des 1927 vorgestellten Typs ADR mit 70 PS starkem Sechszylindermotor zu leisten, können wir ausschließen.

Entweder hatten die Ordnungshüter gerade Besuch eines ganz hohen Vorgesetzten, der so ein feines Automobil besaß, oder – was wahrscheinlicher ist – man hatte kürzlich das Fahrzeug eines straffälligen Vertreters der Halbwelt beschlagnahmt.

Damit soll dem Spitzenmodell ADR von Austro-Daimler kein fragwürdiges Image angedichtet werden. Man musste allerdings ziemlich viel Geld besitzen, um ein solches Prachtexemplar fahren zu können.

Dass so ein Automobil einst bei der Polizei im Hof stand, muss jedenfalls spezielle Gründe gehabt haben. Man bedauert nur, dass man nicht viel mehr davon sieht als die Kühlerfigur und den am Heck angesetzten Gepäckkoffer.

Zum Glück können wir eine weitere Aufnahme eines Austro-Daimler des Typs ADR präsentieren. Sie hat zwar technische Mängel und der Abzug ist von einsetzendem Verfall beeinträchtigt.

Dennoch handelt es sich um ein sehenswertes Dokument:

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Austro-Daimler Typ ADR Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Foto voller Leben ist einst an einem bis heute wirksamen Touristenmagneten entstanden – dem Deutschen Eck in Koblenz.

Dort, wo die Mosel in den Rhein fließt, entstand Ende des 19. Jahrhunderts ein kolossales Denkmal für Kaiser Wilhelm I., der zu den prägenden Gestalten deutscher Geschichte des 19. Jahrhunderts gehört.

Wie man die Lebensleistung von Kaiser Wilhelm I. auch beurteilen mag, besaß sein Wirken in seinem über 90 Jahre währenden Leben erhebliche Strahlkraft.

Das zu seinen Ehren errichtete Denkmal in Koblenz wurde übrigens nicht aus dem Volk abgenötigten Steuergeldern finanziert, sondern aus Spenden – der preußische Fiskus war seinerzeit nicht annähernd so unersättlich wie der heutige.

Hier haben wir nun das Auto, das vor rund 90 Jahren an dem mächtigen Bauwerk geparkt wurde, in der Nahaufnahme:

Austro-Daimler_ADR_Cabrio_Koblenz_Ausschnitt1

Die überbelichtete Partie ändert nichts daran, dass hier eindeutig ein viersitziges Cabriolet vom Typ Austro-Daimler ADR zu sehen ist. Im Original bestätigt neben der Kühlerfigur auch die Beschriftung der Ersatzradhülle die Marke.

Das gewaltige Format des Wagens wird mangels Insassen kaum deutlich – der Aufbau kaschiert geschickt die tatsächlichen Dimensionen. Die Zweifarblackierung betont die Struktur der ansonsten schlicht gehaltenen Karosserie.

Die filigranen Drahtspeichenräder waren übrigens wie bei anderen österreichischen Herstellern die Standardausrüstung, während in Deutschland wuchtige Holzspeichen- oder Scheibenräder dominierten.

Wer von den neben dem Wagen stehenden Personen zu den Insassen zählte, lässt sich nicht eindeutig sagen. Lediglich der dunkel gekleidete Herr mit Schirmmütze, der etwas im Hintergrund steht, ließe sich als Chauffeur ansprechen.

Austro-Daimler_ADR_Cabrio_Koblenz_Ausschnitt2

Zu dem Motorradgespann dürften der Herr ganz rechts mit geschlossenem Gummimantel und Regenschutz an den Beinen gehören. Sein Beifahrer könnte die Person mit Kappe und Schutzbrille gewesen sein.

Vielleicht haben wir es ansonsten mit Flaneuren zu tun, die mit den Insassen des Austro-Daimler ins Gespräch gekommen sind. Einer von ihnen hält eine Hundeleine in den Händen – doch vom Vierbeiner ist nichts zu sehen.

Vielleicht ist er im Auto geblieben. Dass die Insassen des Austro-Daimler Hundeliebhaber waren, darauf deutet ein kurioses Detail an der Stoßstange hin:

Austro-Daimler_ADR_Cabrio_Koblenz_Ausschnitt3

Auf der oberen Schiene der Doppelstoßstange sind links und rechts die Silhouetten zweier Terrier zu erkennen – wenn nicht alles täuscht.

Was auf solchen alten Autofotos neben den Wagen selbst sonst noch alles zu sehen ist, das gehört zu den faszinierenden Seiten der Beschäftigung damit. Auch hier sind es kleine Details, die etwas von den Menschen erzählen, die einst im repräsentativen Austro-Daimler einen Ausflug ans Deutsche Eck in Koblenz machten.

Wo wohl die beiden Maskottchen auf der Stoßstange geblieben sind? Zieren sie vielleicht noch heute irgendeine alte Holztür wie das im Fall des Kühleremblems eines längst den Weg allen Blechs gegangenen Overland Whippet der Fall ist?

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Aber vielleicht existiert ja sogar der Wagen selbst noch – auszuschließen ist das nicht…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Alter Bekannter? Adler “Standard 6” 2-Fenster-Cabrio

Zu den besonders häufigen Gästen auf diesem Oldtimerblog für Vorkriegsautos gehören die Wagen der Traditionsfirma Adler aus Frankfurt am Main.

Das spiegelt keine besondere Neigung des Verfassers wider sondern schlicht die Bedeutung und Verbreitung dieser einst international geschätzten Marke.

Gerade von den Adler-Modellen aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg finden sich massenhaft zeitgenössische Aufnahmen  – auch im Fundus des Verfassers – doch ist ihre Identifikation mangels eines rundum überzeugenden Standardwerks oft schwierig.

Leichtes Spiel hat man bei den besser dokumentierten Modellen der 1920er Jahre – zumindest, was die allgemeine Ansprache des Typs angeht. Speziell der recht erfolgreiche Adler “Standard 6” und das etwas kleinere Vierzylindermodell “Favorit” waren im Deutschland der Zwischenkriegszeit oft anzutreffen.

Selbst auf historischen Postkarten stößt man immer wieder auf diese Adler-Typen im perfekten “Amerikaner”-Stil:

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Adler Standard 6 in Heidelberg; originale Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Wer sich ein wenig im eigenen Land auskennt,, – und sein Weltbild nicht bloß aus Kreuzfahrtreisen und klimatisierten Shopping-Oasen in der arabischen Wüste bezieht – erkennt hier auf Anhieb das Heidelberger Schloss.

Seinen romantisch ruinösen Zustand “verdankt” es einem der Feldzüge unserer französischen Nachbarn, mit denen uns heute (hoffentlich) mehr als nur eine lange Geschichte wechselseitiger Überfälle verbindet.

Der Fotograf, der Ende der 1920er Jahre vom (bis heute erhaltenen) Kornmarkt aus das Wahrzeichen von Heidelberg anvisierte, wird die Sechsfensterlimousine des Typs Adler “Standard 6” gern in die Bildgestaltung  einbezogen haben.

Leider ist die Aufnahme oder der Abzug vom Negativ verwackelt, sonst könnte man die “6” (eventuell sogar “8”!) in der Raute oberhalb der Scheinwerferstange erkennen:

Adler_Standard_6_Heidelberg_Ausschnitt

Trotz der Unschärfe lässt sich anhand von zwei Details erkennen, dass dies ein vor 1931 entstandener Adler sein muss.

  • Erstens wanderte später das dreieckige Adler-Emblem ganz nach oben in die Kühlermaske.
  • Zweitens war der vordere Kotflügelabschluss nach 1930 stärker abgerundet gestaltet.

Soviel zu diesem Adler Standard 6 mit dem verbreiteten Aufbau als Limousine. Offene Versionen, die bis Mitte der 1920er Jahre in Deutschland bei praktisch allen Marken dominierten, findet man dagegen bei diesem Adler-Modell seltener.

Das eine oder andere Cabriolet des Adler “Standard 6” in der bis 1930 gebauten Version konnten wir bereits dokumentieren. Doch vom ab 1931 verfügbaren Nachfolger mit modernisierter Karosserie fand sich bisher erst eine offene Ausführung.

Heute können wir endlich eine weitere präsentieren:

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Adler “Standard 6” Cabrio; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme entstand laut umseitiger Beschriftung einst in Bad Berneck im Fichtelgebirge. Die drei wackeren Automobilisten haben sich vermutlich nach einer Übernachtung im Gasthoff Oetter vor dem Aufbruch ablichten lassen.

Vom Wagen sehen wir genug, um ihn mit einiger Wahrscheinlichkeit als Adler “Standard 6” Cabriolet ab Baujahr 1931 identifizieren zu können.

Die stilsicher gezeichnete und handwerklich vollendet gestaltete Vorderpartie liefert uns fast alle wesentlichen Hinweise:

Adler_Favorit_oder_Standard_6_Cabrio_spät_Berneck_1_Frontpartie

Die Adler-Kühlerfigur findet ihr Pendant im dreieckigen Adler-Emblem auf dem Ersatzrad, das mit sinnigerweise drei Bolzen auf der Felge befestigt ist.

Wenn der Verfasser die Quellenlage richtig interpretiert, ist bei den ab 1931 gebauten Modellen ein im Vorderschutzblech angebrachtes Ersatzrad ein starkes Indiz dafür, dass man keinen Vierzylindertypen Adler “Favorit” vor sich hat.

Bis 1930 konnte man bereits anhand der Zahl der Radbolzen den “Standard 6” (sieben Radbolzen) vom “Favorit” (fünf Radbolzen) unterscheiden, danach verfügten beide Modelle einheitlich über fünf Radbolzen.

Was aber verrät uns überhaupt, dass wir es mit einem ab 1931 gebauten, modernisierten Adler zu tun haben? Nun, das lässt sich aus dem aufgenieteten Blech mit senkrechten Luftschlitzen ableiten. Zuvor waren horizontale, in die Motorhaube geprägte Schlitze Standard, auch beim Adler Favorit.

Nach der Pflicht kommt nun die Kür – denn die spezielle Ausführung dieser Karosserie verdient besondere Aufmerksamkeit. Ins Auge fällt die helle Lackierung, die den mächtigen Wagen gerade in der offenen Ausführung leichter wirken lässt.

Die Schutzbleche sind etwas dunkler gehalten – im selben Ton wie die Zierleiste entlang der Gürtellinie. Das alles ist ausgesprochen geschmackvoll ausgeführt und verrät die Hand von Könnern.

Auch die leicht schräggestellte Frontscheibe sagt uns, dass dieser Aufbau nicht im Berliner Presswerk von Ambi-Budd aus der Stanze gefallen ist wie die gängigen geschlossenen Karosserien des Adler “Standard 6” und “Favorit”.

Interessanterweise liefert die (überschaubare und veraltete) Literatur zu Adler keine exakte Entsprechung zu diesem Adler “Standard 6” als Cabriolet.

Dass es sich hier um eine zweifenstrige Ausführung handelt, lässt eine weitere Aufnahme desselben Wagens erkennen, die am selben Ort entstand:

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Adler “Standard 6”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sieht man über der Schulter des mittleren Hutträgers mit Gummimantel den hinteren Abschluss des Seitenfensters aufragen – bis zum Ansatz des Verdecks war demnach kein Platz mehr für eine weitere Seitenscheibe.

Der Stil der Karosserie macht Karmann als Hersteller wahrscheinlich. Für den Adler “Standard 8” ist in der Literatur ein ähnlicher Karmann-Aufbau überliefert (vgl. Werner Oswald: Adler Automobile 1900-45, 1. Auflage 1981, S. 55).

Man sollte meinen, dass sich im 21. Jahrhundert die Identität dieses (und weiterer) Adler klären lassen sollte. Bei anderen deutschen Marken wie Dixi, DKW und Stoewer und sogar bei einigen Exotenherstellern gibt es immer wieder Resonanz von Kennern, wenn es um die Identifikation von Autos auf Vorkriegsfotos gibt.

Von den Adler-Freunden hierzulande hört man bislang praktisch kaum etwas – aber vielleicht ändert sich das allmählich – auch dort steht der Generationenwechsel an.

Die große Tradition der Frankfurter Marke hat im Internetzeitalter eine angemessene Würdigung verdient und der Verfasser trägt gern mit seinen in die hunderte gehenden Adler-Originalfotos dazu bei.

Lassen wir uns doch einfach vom Optimismus der Adler-Fahrer – und der kessen Dame im Hintergrund – anstecken, die uns hier über einen Abstand von fast 90 Jahren in die Augen schauen…

Adler_Favorit_oder_Standard_6_Cabrio_spät_Berneck_1_Ausschnitt

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

 

Eleganz mit dem gewissen Extra: Ein Hansa 1100

An die 150 internationale Automarken der Vorkriegszeit sind im Lauf der Zeit auf diesen Oldtimerblog in historischen Originalfotos aus der Sammlung des Verfassers und aus dem Fundus von Lesern vorgestellt worden.

Luft nach oben ist beim Thema Vorkriegsautos immer – allein aus den USA sind über 5.000 Hersteller bekannt und in Europa kommen nochmals weit über tausend dazu, vor allem solche aus Frankreich und England.

Doch auch die Markenwelt im deutschsprachigen Raum bietet jede Menge Abwechslung – man denke nur an die faszinierenden Hersteller aus Böhmen und Österreich, über die hierzulande kaum berichtet wird.

Selbst wenn man sich auf das Gebiet des heutigen Deutschlands beschränkt, hat man es mit einer tropischen Fülle an Marken zu tun, die heute kaum noch einer kennt. Eine davon sagt immerhin den Borgward-Freunden noch etwas: Hansa!

Gern gesteht der Verfasser, dass er eine Schwäche für die eleganten Typen 1100 und 1700 hat, die ab 1934 unter dem traditionsreichen Namen Hansa im Borgward-Konzern gebaut wurden. Hier haben wir einen davon:

Hansa_1100_Riesengebirge_Ausschnitt

Keine Sorge, vom eigentlichen Gegenstand des heutigen Blogeintrags bringen wir noch ein technisch überzeugenderes Foto. Doch schon auf diesem Ausschnitt aus einer unscharfen Aufnahme erkennt man die Charakteristika des Typs.

  • Alle vertikalen Linien vom Kühler über Frontscheibe und A-Säule bis hin zum hinteren Türabschluss weisen dieselbe Neigung auf.
  • Besonders markant und bei deutschen Autos wohl einzigartig ist die Schrägstellung der B-Säule, die man bei britischen Wagen der 1930er Jahre findet.
  • Typisch sind auch die vier hochliegenden, angeschrägten Luftklappen in der Motorhaube, die durch Chromleisten akzentuiert sind. Das gab es beim Hanomag Rekord ebenfalls, doch aber dort reichen die Klappen weiter hinunter.

Gerade der Vergleich mit dem Hanomag Rekord, der bei allen sonstigen Qualitäten bieder wirkt, vedeutlicht die formale Klasse des Vierzylinder-Hansa 1100 und des parallel angebotenen Hansa 1700 mit Sechszylinder.

Nicht zuletzt die weit hinuntergezogenen seitlichen “Schürzen” an den Schutzblechen lassen den technisch ebenfalls unspektakulären Hansa moderner erscheinen als den etwas stärkeren Hanomag Rekord – beide besaßen übrigens Hydraulikbremsen.

Bevor wir zum heutigen Stargast kommen, werfen wir noch einen Blick auf die Originalaufnahme, zu der obiger Bildausschnitt gehört:

Hansa_1100_Riesengebirge_Galerie

Hansa 1100 im Riesengebirge; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Laut Beschriftung des Abzugs entstand das Foto einst im Riesengebirge im Grenzland zwischen Schlesien und der Tschechei. Mit der über 1.600 m hohen Schneekoppe war das Riesengebirge bis 1945 Deutschlands höchstgelegenes Mittelgebirge.

Der Verfasser hat einige Zeit damit verbracht, den Gasthof im Hintergrund zu identifizieren – solche komfortablen Unterkünfte waren in der Region einst als “Bauden” bekannt – leider vergeblich. Vielleicht kann ein Leser weiterhelfen.

Nach diesem Einstieg wechseln wir nach Westfalen, in die Industrie- und Garnisonsstadt Iserlohn. Dort entstand 1937 folgende Aufnahme eines Hansa 1100:

Hansa_1100_Iserlohn_1937_2_Galerie

Hansa 1100; Originalfoto von 1937 aus Sammlung Michael Schlenger

Zur Identifikation des Wagens müssen wir wohl nichts mehr sagen – alle oben erwähnten Charakeristika sind auf Anhieb zu erkennen.

Schön nachvollziehen lassen sich hier die harmonisch fließenden Linien der Heckpartie, die bis heute oft gestalterisch vernachlässigt wird oder von bizarren Ideen geprägt ist, die keiner Logik folgen.

So weit, so gut. Die formalen Qualitäten des Hansa 1100 und seines großen Bruders Hansa 1700 haben wir hier ja schon des öfteren gewürdigt.

Doch abgesehen von der schönen Aufnahmesituation – kein Auto wirkt für sich allein so lebendig wie mit den einstigen Besitzern – findet sich neben der bekannten Eleganz der Linienführung ein Extra, das das Foto außergewöhnlich macht:

Hansa_1100_Iserlohn_1937_2_Ausschnitt Der Aufsatz am oberen Ende der Seitenscheibe scheint – wenn nicht alles täuscht – der besseren Entlüftung des Innenraums zu dienen.

Kann jemand Näheres zu diesem Zubehör sagen, das offenbar passgenau für den Fensterausschnitt des Hansa 1100 bzw. 1700 verfügbar war? Wer war der Hersteller und gibt es zeitgenössische Reklamen, die die Vorteile des Teils benennen?

Mit diesem Aufruf könnten wir den heutigen Blogeintrag beenden, wäre da nicht eine offene Frage: Woher wissen wir, dass dieses Foto einst in Iserlohn entstand?

Nun, es gibt einen zweiten Abzug, der denselben Wagen aus anderer Perspektive und nun mit dem mutmaßlichen Fotografen der ersten Aufnahme zeigt:

Hansa_1100_1937_Iserlohn_1_Galerie

Hansa 1100; Originalfoto von 1937 aus Sammlung Michael Schlenger

Hier erkennt man schemenhaft den ominösen Aufsatz auf der Fahrertür, von dem eben die Rede war. Zudem stammen die beiden Abzüge aus derselben Quelle.

Dieser Hansa besaß eine Zulassung in Westfalen (Kennung “IX”) und eine Ziffernfolge, die zum Nummernkreis für die Stadt Iserlohn passt (Quelle: Andreas Herzfeld: Handbuch Deutsche Kfz-Kennzeichen Band 1 Deutschland bis 1945).

Auch aus dieser Perspektive wirkt der Hansa makellos proportioniert und sauber gezeichnet. Die wappenartig geformte Kühlerumrandung ist eigenständig, auf unnötigen Zierrat wird hier weitgehend verzichtet.

Lediglich die verchromte Abdeckung der Öffnung für die Anlasserkurbel (die nur selten zum Einsatz kam) setzt einen Akzent am unteren Kühlerende, das spitz und ganz leicht nach vorn geschwungen ausläuft.

Die feine Spannung der Kühlerpartie, an der kaum eine gerade Linie zu sehen ist, lässt sich auf folgender Aufnahme eines Hansa 1700 nachvollziehen:

Hansa_1700_Wimpel_Galerie

Hansa 1700; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme hat trotz schlechter Erhaltung einigen Reiz. So lässt sich auch an diesem 6-Zylindertyp die dynamische Gestaltung des Kühlers nachvollziehen, die den weiteren Aufbau bis hin zum hinteren Türabschluss bestimmt.

Zudem wird ein ortskundiger Leser sagen können, wo das Foto des Hansa 1700 einst entstand – der Verfasser tippt auf eine norddeutsche Hafenstadt. Nicht zuletzt lässt sich aus dem Wimpel am Vorderschutzblech etwas zum Besitzer ableiten.

Man sieht: Die eleganten Hansa-Wagen der Typen 1100 und 1700 sind auch nach über 80 Jahren noch für die eine oder andere Extra-Überraschung gut.

Möglich machen das historische Originalfotos und ihre Aufarbeitung auf diesem Oldtimer-Blog unter Mitwirkung sachkundiger Leser…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ein Flensburger DeSoto von 1929/30 am Ostseestrand

Was haben der spanische Eroberer Hernando de Soto und die Verkehrssünderdatei des deutschen Kraftfahrtbundesamts gemeinsam?

Zwar liegen über 400 Jahre und tausende Kilometer zwischen den beiden. Doch auf einem über 80 Jahre alten Foto finden beide zusammen. Das ist das Thema des heutigen Eintrags in diesem Blog für Vorkriegsautos.

Spektakuläre Fahrzeuge wird es dabei nicht zu sehen geben, aber überraschende Einblicke in die vielfältige Autolandschaft im Deutschland der 1930er Jahre.

Dabei werden speziell die Freunde historischer Automobilfotos im hohen Norden unseres Landes auf ihre Kosten kommen. Am Ende ist für sie vielleicht der Aufnahmeort reizvoller als der Wagen, der dort einst unterwegs war.

Fangen wir ganz klein an – mit einer Ausschnittsvergrößerung aus einer großzügig bemessenen Panoramaaufnahme:

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DeSoto Six von 1929/30; Ausschnitt eines Originalfotos aus Sammlung Michael Schlenger

Näher rangehen können wir leider nicht – mehr gibt die Auflösung des alten Abzugs nicht her. Wir werden noch sehen warum – an der Aufnahmetechnik lag es nicht.

Der Vorkriegsautokenner wird hier auf ein US-Modell der späten 1920er Jahre tippen – die breite Spur und die Doppelstoßstange sprechen dafür.

Der wenig eigenständig wirkende Wagen wäre ein schwieriger bis unlösbarer Fall, würde man nicht einen geschwungenen Schriftzug auf dem Kühlergrill erkennen. Ein großes “D” und ein großes “S” sind dort zu sehen, gefolgt von nur wenigen Buchstaben.

Damit wären wir beim Nachnamen des eingangs erwähnten Konquistadoren – De Soto – der zu den übelsten Protagonisten der spanischen Kolonialgeschichte gehört.

Weil er bei einem Feldzug 1541 durch die späteren Südstaaten der USA nebenbei den Mississippi entdeckte, war sein Name dort einst positiv behaftet. Jedenfalls schuf der Chrysler-Konzern 1929 die nach ihm benannte neue Marke DeSoto.

Während Hernando De Sotos Expeditionen katastrophal endeten, gelang Chrysler mit den nach ihm benannten Wagen ein Coup: Bis dato konnte keine neue Marke im ersten Jahr mehr Fahrzeuge absetzen – über 81.000 DeSotos wurden 1929 verkauft.   

Chrysler hatte bei der neuen Konzernmarke alles richtig gemacht: Ein gummigelagerter 6-Zylinder mit 55 PS und hydraulische Vierradbremsen, robuste Verarbeitung und ein günstiger Preis – das überzeugte die Käufer auf Anhieb.

Auch in Deutschland fanden sich seinerzeit offenbar Käufer für diesen US-Wagen. Ein solcher DeSoto Six von 1929/30 (die Wagen der beiden Modelljahre glichen sich äußerlich weitgehend) hielt nämlich einst spätnachmittags am Ostseestrand:

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Den langen Schatten nach zu urteilen, wird dieses malerische Foto am späten Nachmittag oder Abend (je nach Jahreszeit) entstanden sein. Auf der Rückseite des Abzugs findet sich eine Beschriftung von alter Hand: “bei Flensburg”.

Dazu passt das Kennzeichen “IP 35692” des Wagens perfekt. Der genaue Aufnahmeort ist zwar nicht auf dem Abzug vermerkt, lässt sich aber mit einiger Wahrscheinlichkeit eingrenzen:

  • Den Schatten nach ist die Wasserseite dem Osten oder Nordosten zugewandt.
  • Die Küstenlinie vollzieht einen weiten Bogen gen Norden.
  • Bewaldete Partien und Felder oder Wiesen wechseln sich ab.
  • Nur abschnittsweise ist Sandstrand vorhanden.

Genau diese Situation findet sich an der Flensburger Förde in der Nähe des Ortes Steinberghaff. Von dort geht derselbe Blick in Richtung Geltinger Birk.

Vielleicht kann ein ortskundiger Leser diese Lokalisierung bestätigen oder auch korrigieren. Schön, wenn sich dann noch jemand fände, der das Foto mit einem Vorkriegsauto wiederholt – es muss ja kein De Soto Six sein.

Ob sich der Herr, der hier auf einem Kahn am Strand sitzend in die Ferne schaut, das einst hat träumen lassen, dass er nach 80 Jahren soviel Aufmerksamkeit erfährt?

De_Soto_Six_1929-30_bei_Flensburg_Galerie3

Wir wissen nicht, ob es sich um einen der Insassen des Wagens handelt, wahrscheinlich ist es aber schon.

Diese Aufnahme ist jedenfalls einst sorgfältig komponiert worden und bezieht einen alten Baum, das Auto und den einsam am Strand Sitzenden bewusst ein. Möglich, dass ein Spaziergänger mit Kamera die Situation malerisch fand und sie für uns festhielt

Hier haben wir zum Abschluss die Orignalaufnahme in voller Pracht:

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De Soto Six; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

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Damenwahl: Audi 225 Luxus 4-Sitzer- Cabriolet

Heute haben wir wieder einmal die Gelegenheit, eines der raren Frontantriebsmodelle von Audi aus den 1930er Jahren zu bestaunen.

Für die Seltenheit dieser Wagen, von denen zwischen 1933 und 1938 keine 5.000 Exemplare entstanden, war keineswegs der Frontantrieb verantwortlich. Dieser kam bei Marken wie Adler, Citroen und DKW nämlich durchaus in Großserie zum Einsatz.

Die populären DKW-Fronttriebler wurden übrigens im ehemaligen Audi-Werk in Zwickau gebaut, das DKW im Rahmen der Übernahme von Audi 1928 zufiel. Für eigenständige Audi-Wagen blieb da nur noch ein Nischendasein.

Das änderte sich auch nach Zusammenschluss der Marken Audi, DKW, Horch und Wanderer unter dem Dach der Auto-Union nicht wesentlich. Audi wurde als gehobene Marke unterhalb von Horch positioniert.

Bei der Gestaltung der Audi-Modelle wurden bewusst Anleihen bei den prestigeträchtigen Achtzylindermodellen von Horch genommen. Hier haben wir ein solches Prachtexemplar des Typs Horch 830, aufgenommen 1934:

Horch_830_Cabriolet_09-1934_Galerie

Horch Typ 830, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei aller äußeren Ähnlichkeit waren die Audi-Wagen jener Zeit – die quasi nebenher im Horch-Werk gefertigt wurden – technisch vollkommen eigenständig.

Audi-spezifisch war nicht nur der Frontantrieb, der bereits 1930 im Planungsstadium war. Auch mit dem 6-Zylindermotor mit Block aus Leichtmetall grenzte sich der anfänglich als Audi “Front” bezeichnete Wagen vom großen Bruder ab.

Obwohl sich das moderne Konzept bei den Protoypen bewährte – Altmeister Charly Kappler absolvierte Anfang 1933 die knapp 1.700 km lange Testfahrt von Berlin nach Monte Carlo in etwas mehr als einem Tag – gab es in der Praxis jede Menge Probleme.

Auch die Leistung von 40 PS aus 2 Litern Hubraum sorgte für Skepsis bei den Käufern.

In Zwickau reagierte man mit einem gründlich überarbeiteten Modell, das 1935 erschien und als Audi Typ 225 firmierte. Die Bezeichnung verwies auf den vergrößerten Hubraum des 6-Zylinders mit nun 50 PS Leistung.

Gleichzeitig startete man eine Image-Kampagne, zu der ein in Kleinserie gefertigter bildschöner Roadster mit Karosserie von Gläser aus Dresden maßgeblich beitrug. Bilder davon wurden über Postkarten wie die folgende aus Heidelberg verbreitet:

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Audi Typ 225 Roadster in Heidelberg; Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Diese elegante Sonderausführung ist auch deshalb interessant, weil sie in einem formalen Detail die ab 1936 gebaute nochmals überarbeitete Version des Audi 225 vorwegnahm.

Auch der im Jahr der Berliner Olympischen Spiele als Audi 225 “Luxus” vorgestellte Wagen besaß nämlich zwei übereinanderliegende Reihen von Luftschlitzen – beim Horch 853 jener Zeit findet man sie ebenfalls.

Damit wären wir endlich bei der Aufnahme, um die es heute eigentlich geht – hier haben wir genau so einen Audi 225 Luxus in der Ausführung als vierfenstriges Cabriolet:

Audi_225_Luxus_Cabrio_4-sitzig_Galerie

Audi 225 Luxus, 4-Fenster-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser schöne Schnappschuss hält eine Situation irgendwo an einer innerstädtischen Autogarage und Tankstelle fest, die in etwa so ausgesehen haben mag:

Der Besitzer des Audi hatte den Wagen für einen Moment abgestellt, vielleicht kaufte er sich eine Zeitung oder Zigaretten für unterwegs.

Zwei Spaziergängerinnen gefiel das Auto offenbar ausnehmend gut und so nötigten sie ihre mit Kamera bewaffnete Begleitung zu der Aufnahme:

“Nun mach’ hin, bevor der Audi-Mann zurückkommt”, scheint die resolute der beiden Damen zu sagen, während sie besitzergreifend nach der Türklinke greift. “Ich seh’ ihn noch in der Schlange am Kiosk stehen”, könnte die Begleiterin mit dem flotten Cape hinzusetzen, die sich nach hinten umschaut.

Sich am Auto fremder Leute ablichten zu lassen, das war in der Vorkriegszeit gang und gebe – in Deutschland blieb ein eigener Wagen damals für die meisten unerreichbar.

Einer der elegant gezeichneten Sechszylinder-Fronttriebler von Audi – das war eine Gelegenheit, die man sich nicht entgehen lassen durfte. Vom hier zu sehenden Typ 225 Luxus entstanden bis 1938 nur rund 1.750 Wagen (Quelle: Audi).

Neben den erwähnten zwei Reihen Luftschlitzen in der Motorhaube gab es weitere Details, die den Audi 225 Luxus von seinen frontgetriebenen Vorgängern unterschied.

Die auf dem Kühler thronende “Eins”, seit 1923 das Markenemblem von Audi, fiel hier kleiner und eleganter aus, das integrierte Kühlwasserthermometer entfiel. Außerdem gab es als Zubehör windschnittige Positionslichter auf den Vorderschutzblechen:

Audi_225_Luxus_Cabrio_4-sitzig_Frontpartie

Bei genauem Hinsehen erkennt man neben den vier Ringen auf der Mittelstrebe des Kühlers, die auf die Zugehörigkeit von Audi zur 1932 gegründeten Auto-Union verweisen, ein weiteres Emblem, das die Datierung des Wagens ermöglicht.

Es handelt sich um ein Andenken an die Olympischen Spiele in Berlin, das das Brandenburger Tor mit den fünf olympischen Ringen zeigt. Dies macht es zumindest wahrscheinlich, dass der Audi aus dem ersten Produktionsjahr 1936 stammte.

Rund 7.000 Reichsmark waren für das hier zu sehende Cabriolet zu berappen, wenn man das eine oder andere Zubehör bestellte. Seinerzeit war das ein Vermögen und so ist es kein Wunder, dass die Wahl der beiden Damen zielsicher darauf fiel…

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Ganz schön sportlich: Puch 14/38 PS “Alpenwagen”

Betreibt man einen Blog für Vorkriegsautos auf alten Fotos, braucht man nicht nur einen Fundus an vielfältigen Aufnahmen – die sind massenhaft verfügbar – sondern vor allem laufend Ideen, was man präsentiert und wie.

Da ist auf den Markenmix zu achten (“oweh, schon wieder ein DKW”), die Präferenzen der deutschsprachigen Leserschaft (“oje, nicht wieder ein Chevrolet”), aber auch auf die historischen Gegebenheiten (“mal wieder Zeit für ‘nen NSU-Fiat”).

Oft genug sorgt jedoch das Fotomaterial, das laufend an die Gestade der Gegenwart gespült wird, ganz von selbst für Abwechslung. Da sind zum Beispiel die zwar wenigen, aber herausragenden österreichischen Marken ständig vertreten.

Warum die faszinierenden Modelle von Austro-Daimler, Gräf & Stift und Steyr in der sogenannten Oldtimerpresse Deutschlands kaum vorkommen, ist dem Verfasser unverständlich. Dabei haben wir sogar einen weiteren Namen ausgelassen: Puch.

Mit einem speziellen Modell des Grazer Qualitätsherstellers soll heute erstmals diese facetten- und traditionsreiche Marke gewürdigt werden, nämlich mit diesem hier:

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Puch 14/38 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese im Original stark verblasste Aufnahme hat den Verfasser lange rätseln lassen.

Das Auto scheint ein Rennwagen zu sein – dafür spricht das Fehlen von Schutzblechen und Scheinwerfern. Die Palmen im Hintergrund und der helle Kies deuten auf eine Aufnahmesituation irgendwo im Süden hin, Aufnahmezeitpunkt um die Mittagszeit.

Doch Vorsicht – das Foto kann genausogut im Sommer im Park eines herrschaftlichen Anwesens in Mitteleuropa entstanden sein, leider wissen wir nichts Genaues.

Was sehen wir noch auf der Aufnahme? Nun, keine Bremsen an den Vorderrädern, dafür außenliegende Schalt- und Handbremshebel und zwei ziemlich unterschiedliche bzw. nicht mehr vorhandene Reifenprofile.

Damit kommen wir aber nicht weit – vor 1925 boten im deutschsprachigen Raum viele Autos nicht mehr. Doch halt, waren damals hierzulande nicht Spitzkühler verbreitet?

Lassen wir uns von dem Fahrer mit dem lässig ausgestellten Hemdkragen nicht täuschen – das muss unabhängig von Aufnahmezeitpunkt und -ort ein Auto aus der Zeit vor dem Ende des 1. Weltkriegs sein.

Aber was für eins? Bei der Identifikation half schließlich folgende Aufnahme:

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Puch 14/38 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Aufnahmesituation ist eine ganz andere – hier befinden wir uns irgendwo im Alpenraum, wohl an einem Frühlingstag.

Das Auto verfügt über Schutzbleche, Scheinwerfer und einen Rotkreuzwimpel auf dem Kühler. Doch das vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, dass es praktisch dieselbe Kühlerpartie besitzt wie der Rennwagen auf dem ersten Foto:

Puch_14-38_PS_Rotkreuz_Frontpartie2

Die Form der Kühlereinfassung und des Emblems stimmen vollkommen mit denen auf der ersten Aufnahme überein. Nur können wir hier den Markennamen lesen: Puch!

Das 1891 von Johann Puch gegründete Unternehmen begann mit einer Fahrradproduktion, wagte sich aber 1900 an den Bau eines eigenen Motorwagens – einer Voiturette mit selbstentwickeltem 2-Zylindermotor.

Ab 1907 fertigte Puch vollwertige Automobile mit Vierzylindermotoren und trat mit Erfolg bei Bergrennen und Zuverlässigkeitsfahrten an.

1914 gelang Puch mit der strafpunktfreien Absolvierung der gefürchteten Alpenfahrt ein Erfolg, der werbemäßig ausgeschlachtet wurde. Fortan wurde das Standardmodell Typ VIII mit 14/38 PS-Motorisierung als “Alpenwagen” angepriesen.

Dieser unter härtesten Bedingungen bewährte Wagen war bis zum Ende des 1. Weltkriegs das wichtigste in Serie gefertigte PKW-Modell von Puch.

Obiges Foto lässt anhand der elektrischen Scheinwerfer erkennen, dass auch nach dem Untergang der Donaumonarchie noch Puch-Wagen dieses Vorkriegstyps existierten.

Übrigens wurde der Puch 14/38 PS nach Kriegsende bis 1923 weitergebaut – allerdings mit Spitzkühler. Das ist eine andere Geschichte, die wir gelegentlich mit einigen Originalfotos illustrieren werden…

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Keine 30 Jahre nach der Motorkutsche: Stoewer R-180

Hand auf’s Herz: Wer würde einen knapp 30 Jahre alten Audi, BMW oder Mercedes ernsthaft als “Oldtimer” oder gar “Veteranenwagen” bezeichnen?

Zum einen sind noch etliche dieser Typen im Alltag unterwegs  – vor allem der schier unzerstörbare 190er Mercedes – zum anderen sind diese Autos formal wie technisch durchaus modern und sind auch von Ungeübten problemlos zu fahren.

In der Frühzeit des Automobils wäre das undenkbar gewesen. Anfangs innerhalb von fünf, später binnen zehn Jahren, vollzogen sich atemberaubende Entwicklungssprünge, an denen tausende Hersteller in Europa und in den USA mitwirkten.

Nebenbei: Von einem nennenswerten Beitrag des Staats zu dieser rasanten Innovationshistorie ist nichts bekannt – außer vielleicht der Erfindung des Scheibenwischers durch den automobilbegeisterten Prinz Heinrich von Preußen

Hier sehen wir diesen vielseitigen Bruder von Kaiser Wilhelm II. im beherzten Einsatz bei der Herkomer Konkurrenz 1906:

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Prinz Heinrich von Preußen auf Benz-Wagen beim Bergrennen auf dem Semmerring (Herkomer Konkurrenz 1906), Abbildung aus Braunbecks Sportlexikon von 1910

Prinz Heinrich von Preußen wird uns im heutigen Blogeintrag nochmals begegnen.

Dabei geht es gar nicht um ihn, sondern darum, wie sich an der Lebensgeschichte eines Brüderpaars aus Stettin fast die gesamte Automobilhistorie von den Anfängen Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1930er Jahre nachverfolgen lässt.

Die Rede ist von den Gebrüdern Stoewer, die 1899 ihr erstes Automobil präsentierten – auf der “Internationalen Motorwagen-Ausstellung” in Berlin.

Einer der beiden – Bernhard Stoewer – sollte die Geschicke der Firma bis 1934 maßgeblich lenken, vielleicht ein einzigartiges Beispiel für persönliche Kontinuität in einer Zeit rasanten technischen Fortschritts und radikaler gesellschaftlicher Umbrüche.

Keine zehn Jahre nach der Vorstellung des ersten Motorwagens lancierte die Firma Stoewer folgende Reklame zum Beginn des Jahres 1908:

Stoewer-G4_Reklame_1908_Galerie

Stoewer-Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Hier wurde der neu entwickelte Kleinwagen des Typs G4 mit 1,6 Liter-Motor beworben, dessen Leistung bis Produktionsende auf 16 PS stieg. Über 1.000 Stück konnte Stoewer davon absetzen – für deutsche Verhältnisse ein beachtlicher Erfolg.

Zwar ist der Wagen in der Anzeige nur stilisiert wiedergegeben. Zutreffend ist aber das abrupte Aufeinandertreffen der Motorhaube auf die senkrechte Schottwand, hinter der das Fahrerabteil begann.

Diese Konstellation ist typisch für die allermeisten deutschen Serienwagen bis 1909. Doch schon im Folgejahr setzte sich auf breiter Front ein windschnittiger Übergang von der Motorhaube zum Schottblech durch – der Windlauf.

Das Vorbild für dieses Karosseriedetail lieferten Sportausführungen, die bei den Prinz-Heinrich-Fahrten ab 1908 zum Einsatz kamen. 

Wenige Jahre später war der Windlauf Standard bei praktisch allen deutschen Automobilherstellern, auch bei Stoewer. Hier haben wir den Stand der Stettiner Firma auf der Berliner Automobilausstellung vor dem 1. Weltkrieg:

Stoewer_Prinz_Heinrich_Galerie

Stoewer-Stand bei der Berliner Automobilausstellung vor 1914; Abbildung aus zeitgenössischer Publikation

Bezeichnend für den Rang von Stoewer ist die Größe des Stands im Vergleich zu demjenigen der damals ebenfalls erfolgreichen Marke Apollo. Faszinierend, hier die verschiedenen Stoewer-Modelle zu sehen, mit Windlauf und teilweise ohne Karosserie.

Einmal per Zeitmaschine in diese Welt einer heute unvorstellbar vielfältigen und vorwärtsdrängenden Automobilindustrie reisen zu können, atemlos Broschüren einsammeln und Fotos machen zu dürfen, was gäbe man dafür!

Übrigens: Der Herr mit den hellen Schulterstücken in der Mitte der Aufnahme ist kein geringerer als Prinz Heinrich von Preußen, der sich mit den Gebrüdern Stoewer unterhält. 

Man kann davon ausgehen, dass es sich um ein Gespräch auf Augenhöhe handelte, denn als Sportsmann, der bei Bedarf selbst Hand an seinen Wettbewerbswagen anlegte, wusste Prinz Heinrich genau, worauf es in der Praxis ankam.

Nun springen wir gerade einmal etwas mehr als 20 Jahre weiter – in das Jahr 1935. Ein Weltkrieg, die Inflationszeit, die erdrosselnden Auflagen des Versailler “Vertrags” und die Weltwirtschaftskrise liegen hinter uns.

Das war echte Dynamik und – um das Modewort zu benutzen – “Disruption”. Daran gemessen ging es in den letzten 20 Jahren in Europa ziemlich gemütlich zu.

1935 jedenfalls war nicht nur die Welt der Politik von Umbrüchen geprägt, auch beim Automobil vollzogen sich binnen weniger Jahre rasante Entwicklungen:

  • Geschlossene Aufbauten dominierten, nachdem noch in den späten 1920er Jahren offene Tourenwagen verbreitet waren.
  • Der Blick auf die Rahmenpartie wurde durch Kotflügelschürzen verdeckt.
  • Strömungsgünstige Formgebung verbreitete sich, oft bloß als modischer Akzent.
  • Scheibenräder verdrängten Stahl- und Holzspeichenräder..
  • Einzelradaufhängung und hydraulische Vierradbremsen wurden zum Standard.
  • Frontantrieb verlor seinen Exotenstatus und bewährte sich in der Mittelklasse.

All’ diese Charakteristika modernen Automobilbaus treffen auf den nachstehend abgebildeten Wagen zu:

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Stoewer R 180; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das ist eine schöne Aufnahme, wie sie typisch für die 1930er Jahre ist: Man fährt mit dem Automobil ins Grüne, postiert sich stolz mit Kind und Kegel vor dem Wagen und verewigt den Moment auf Zelluloid.

Über 80 Jahre später machen uns diese analogen Zeugnisse immer noch Freude – in der digitalen Welt wären sie nach so langer Zeit wohl längst verlorengegangen.

Zurück zum Auto auf dem Foto: Es handelt sich um eine weiterentwickelte Version des 1931 vorgestellten Fronttrieblers V5 von Stoewer und des Nachfolgers R 140 (1932).

Der Wagen ist entweder ein Stoewer R 150 mit 35 PS leistendem 1,5 Liter Motor oder die seltenere 45 PS starke Version R 180 mit 1,8 Liter Hubraum (beide Vierzylinder).

Genau lässt sich das nicht mehr ermitteln – so dachte der Verfasser zunächst. Doch dann gab ein Leser (und Besitzer eines solchen Stoewer) den Hinweis, dass sich der R 180 äußerlich vom R150 durch die seitlichen Kotflügelschürzen unterschied.

Eine Rarität blieben beide Modelle, es entstanden von 1934-35 nur rund 1.500 Exemplare. Diese Zahl mag verdeutlichen, in welcher engen Nische sich die Firma Stoewer damals bewegte.

Dass Stoewer so lange durchhielt, grenzt an ein Wunder. Es dürfte dem technischen Können und gestalterischen Talent von Bernhard  Stoewer zu verdanken sein, dass sich das oft kurz vor der Pleite stehende Unternehmen immer wieder neu erfand.

Bernhard Stoewer musste 1934 aus der Leitung der von ihm noch im 19. Jh. mitgegründeten Automobilfirma ausscheiden und starb 1937. Auch seinem Bruder Emil Stoewer blieb es erspart, den Untergang des Unternehmens im Mai 1945 mitzuerleben…

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1913/14: Eine Horch Aufsatzlimousine von Gläser

Heute gibt es ein erfreuliches Wiedersehen mit einem alten Bekannten – zumindest für diejenigen, die diesen Blog für Vorkriegautos auf alten Fotos schon länger verfolgen.

Denn in einem früheren Blogeintrag haben wir uns schon einmal mit folgendem außergewöhnlichen Modell beschäftigt:

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Horch Aufsatzlimousine von 1913/14; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die ungünstige Aufnahmesituation und schlechte Erhaltung des Abzugs erschwerten seinerzeit die Identifikation des genauen Modells.

Doch eine Indizienkette führte am Ende zu einer Ansprache als Horch von 1913/14 mit Aufsatzkarosserie von “Gläser” aus Dresden. Heute können wir ein weit besseres Foto desselben Modells zeigen, das die damalige Identifikation vollkommen bestätigt.

Zuvor noch kurz zur Besonderheit einer Aufsatzkarosserie: Bei dieser aufwendigen Konstruktion kann der Limousinenaufbau oberhalb der Gürtellinie in einem Teil abgehoben werden; damit verwandelt sich das Fahrzeug in einen offenen Tourenwagen.

Hier nun das “neue” Foto einer solchen Aufsatzlimousine von Horch, das alle wesentlichen Details in wünschenswerter Klarheit zeigt:

Horch_Schnabelkühler_Gläser-Aufsatzlimousine_Galerie

Horch Aufsatzlimousine von 1913/14; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese eindrucksvolle Aufnahme entstand einst für das Fotoalbum des Chauffeurs – zu erkennen an der Schirmmütze – und zeigt den Wagen aus vorteilhafter Perspektive.

Auch wenn kein Markenemblem zu erkennen ist, was die Identifikation über 100 Jahre alter Autos oft zu einer Detektivarbeit werden lässt, gibt es keinen Zweifel daran, dass wir hier einen Horch der Zeit unmittelbar vor dem 1. Weltkrieg vor uns haben.

Noch 1912 besaßen die Horch-Automobile einen Flachkühler, jedoch im Unterschied zu den Vorgängern mit birnenförmiger statt kantiger Kontur.

Folgender Bildausschnitt (aus einem rund zehnmal so großen Originalfoto) zeigt wahrscheinlich einen Horch 8/24 PS mit einem solchen Kühler:

Horch_8-24_PS_Frontpartie

Schon ein Jahr später – 1913 – veränderte sich die Kühlerform erneut, wenngleich die birnenförmige Kontur beibehalten wurde.

Nun kragte das Oberteil der Kühlermaske schnabelartig vor – daher die Bezeichnung “Schnabelkühler” für solche Konstruktionen, die übrigens auch bei anderen Herstellern kurzzeitig verbaut wurden.

Auf der Automobilausstellung im russischen St. Petersburg 1913 wurde dieser Horch mit dem neuen Schnabelkühler gezeigt:

Horch_Schnabelkühler_St_Petersburg_Motor_07-1913

Horch mit Schnabelkühler auf der Automobilausstellung St. Petersburg, Abbildung aus der Zeitschrift “Motor” von Juli 1913

Wie es scheint, wurde am Schnabelkühler für kurze Zeit noch das alte, aufwendig gestaltete Emblem montiert, das neben dem Namenszug “Horch” das Stadtwappen von Zwickau trug.

Anschließend beschränkte man sich auf einen eher lieblosen Horch-Schriftzug, dessen sachlicher Stil den organischen Formen des Wagen kaum gerecht wurde.

Welche der beiden Versionen auf dem Schnabelkühler “unseres” Horch angebracht war, ist schwer zu sagen, da Details der Unterseite der vorkragende Vorderkante kaum zu erkennen sind:

Horch_Schnabelkühler_Gläser-Aufsatzlimousine_Frontpartie

Entscheidend sind aber neben dem Schnabelkühler, der bereits im Lauf des Jahres 1914 einem Spitzkühler wich, Zahl und Neigung der Luftschlitze in der Motorhaube.

Drei nach hinten schräggestellte, recht breite und nicht sonderlich hohe dieser Kühlschlitze findet man kaum bei anderen Fahrzeugen jener Zeit.

Leider ist die zu erwartende Beschriftung “Horch & Cie AG Zwickau” auf der Nabenkappe nicht zu erkennen. Dafür stimmt die übrige Gestaltung der Räder mit zeitgenössischen Abbildungen von Horch-Wagen überein.

Kommen wir nun zu dem Teil, der bei Autos aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg normalerweise weniger interessant, da nicht typspezifisch ist – dem Aufbau ab der Schottwand:

Horch_Schnabelkühler_Gläser-Aufsatzlimousine_Aufbau

Die Karosserie mit dem Auge schmeichelnden Rundungen und abwechslungreichen Kurvaturen ist ein Musterbeispiel für das Können der damaligen Stellmacher, die ihr Handwerk noch in der Kutschenzeit gelernt hatten und aus jahrhundertealten formalen und technischen Traditionen schöpften.

Mit die Besten ihres Schlages arbeiteten damals bei der renommierten Dresdener Manufaktur Gläser, die bis in die 1930er Jahre zu den ganz großen Adressen im deutschsprachigen Raum gehörte.

Gläser baute ab 1913 die hier zu sehende Aufsatzlimousine, die man an der helmartigen Dachform und der zum Heck hin nach oben schwingenden Seitenlinie erkennt, die die Naht zwischen Tourenwagen- und Limousinenaufbau markiert.

Dass der Aufsatz der geschlossenen Version in einem Stück vom Unterbau abgehoben werden konnte, zeigt eine Originalaufnahme auf S. 110 des Horch-Standardwerks von Kirchberg/Pönisch (Verlag Delius-Klasing).

Dort finden sich auch weitere Details der obigen Aufnahme wieder, so die Gestaltung der Hinterschutzbleche und die gläserne Trennwand zwischen Fahrer- und Passagierabteil.

Wer genau hinschaut, erkennt auf dem heute präsentierten Foto an der B-Säule links neben dem Fahrer auf Ohrenhöhe ein Sprechrohr, über das der Chauffeur seine Anweisungen erhielt.

Abgesehen davon, dass man eine solche Wechselkarosserie kaum mehr bekommen wird, mag man im 21. Jh. auch den Luxus vermissen, dem Fahrer nicht als Opfer für aufgenötigte Gespräche, schlechte Gerüche oder Radiogedudel ausgeliefert zu sein.

So sehr die Unzulänglichkeiten der Zeit vor 100 Jahren auf der Hand liegen, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass wir heute in jeder Hinsicht in der besten aller Welten leben. Wäre das der Fall, würde sich kein Mensch für wirklich alte Autos interessieren…

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Vor 100 Jahren: Neues Spitzkühlermodell von Presto

Der heutige Blogeintrag macht zwei Dinge deutlich: Erstens gibt es selbst nach 100 Jahren immer noch Neuigkeiten von längst verblichenen Vorkriegsautomarken.

Zweitens erweist sich das Internet als ideales Medium nicht nur zur Präsentation historischer Automobilfotos, sondern auch zum globalen Austausch von Informationen dazu.

Denn das Bild, das wir heute präsentieren, zeigt erstens ein deutsches Automodell, das nach Kenntnisstand des Verfassers nirgends in der Literatur zu finden ist. Zweitens verdanken wir es der Sammlerleidenschaft eines Enthusiasten aus Australien.

Jason Palmer “from down under”, wie die Briten sagen, hat uns schon den Fund des Monats Mai spendiert, eine rare Aufnahme eines Komnick Tourenwagens.

Nun hat er ein weiteres Foto aus seiner Sammlung eingesandt. Eigentlich wollte er nur wissen, worum es sich bei dem Wagen auf einem malträtierten Abzug handelt.

Das ließ sich schnell herausfinden – es ist ein Presto, doch der genaue Typ ist so interessant, dass er angemessen präsentiert sein will. Beginnen wir also in der Frühzeit des Automobilbaus bei den Presto-Werken in Chemnitz.

Nach einer Phase des Lizenznachbaus von französischen Delahaye-Wagen begann man 1910 mit selbstkonstruierten 8/22 PS-Serienwagen.

Eines dieser bis 1912 gebauten Modelle mit zuletzt 28 PS aus nach wie vor 2,3 Litern Hubraum sehen wir wahrscheinlich auf folgender Aufnahme:

Presto_Tourenwagen_Bayern_1

Presto-Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme ist deshalb interessant, weil sich in der Literatur keine weitere findet, die einen frühen Presto-Wagen aus derartig günstiger Perspektive zeigt.

Selbst wenn es sich um eines der ab 1913 gebauten Modelle 8/25 PS oder 10/35 PS handeln sollte – ganz genau lässt sich das ohne Blick unter die Haube nicht sagen – , ist hier ein Detail zu erkennen, das andernorts kaum zu finden ist.

Hier sehen wir nämlich die frühe Ausführung der Markenplakette von Presto:

Presto_Tourenwagen_Bayern_1_Ausschnitt

Auf dem Originalabzug ist auf der runden Kühlerplakette ganz klar “Prestowerke AG Chemnitz i. Sa.” zu lesen.

In der Mitte ist ein geflügeltes Rad in einem Kreis platziert, der vertikal in zwei Hälften in den sächsischen Landesfarben Grün und Weiß unterteilt ist.

Dieses Element findet sich auch beim anschließend verwendeten Presto-Emblem, bei dem Firmenname und Ortsangabe einem schlichten “PRESTO-Schriftzug gewichen sind:

Presto_Tourenwagen_Bayern_2

Presto-Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Was diese Ansicht zum Kuriosum macht, sind keinesfalls die fehlenden Reifen, sondern die Tatsache, dass der Wagen einst direkt neben dem zuvor gezeigten Vorgänger abgelichtet wurde.

So lassen sich die Veränderungen von Kühlerform und Markenplakette, aber auch des Übergangs von Motorhaube zur Frontscheibe sowie der Vorderschutzbleche  vergleichen, die sich damals in lediglich zwei, drei Jahren vollzogen:

Presto_Tourer_Bayern_1_und_2_Galerie

Dass die Originalaufnahme noch zwei weitere Fahrzeuge anderer Marken zeigt, sei der Vollständigkeit angemerkt – obige Vergrößerungen der Kühlerpartien stellen winzige Ausschnitte des Abzugs dar, was für die Qualität des damaligen Fotomaterials spricht.

Nach dieser umständlichen, doch notwendigen Einleitung kommen wir zum eigentlichen Hauptdarsteller des heutigen Blog-Eintrags – quasi dem australischen Stargast:

Presto_Spitzkühler_Jason_Palmer_Galerie

Presto-Spitzkühlermodell; Originalfoto aus Sammlung von Jason Palmer (Australien)

Wer meint, dass dieses Bild kaum etwas erkennen lässt, hat das Original noch nicht abgesehen – einen vielfach beschädigten und geknickten Abzug.

Der Verfasser hat die schlimmsten Defekte beseitigt, doch sind noch genügend Spuren der Zeit geblieben – man darf einem solchen Zeugnis ruhig sein Alter ansehen.

Wer weiß, welche Odyssee dieses Zeitdokument hinter sich hatte, bevor es nach rund 100 Jahren in den Händen des heutigen Besitzers im fernen Australien landete.

Bevor wir ins Detail gehen, halten wir folgendes fest:

  • Der Wagen verfügt über einen Spitzkühler nach Vorbild von Mercedes und Benz (damals unabhängig), der ab 1914 bei vielen deutschen Herstellern Mode wurde.
  • Montiert sind elektrische Scheinwerfer, wie sie vor dem 1. Weltkrieg meist nur als Option verfügbar, aber ab 1918 Standard waren.
  • Die Insassen sind deutsche Soldaten – ob im 1. Weltkrieg oder danach bei der Reichswehr, ist schwer zu sagen.
  • Das Kennzeichen aus römisch “II” und “A” verweist auf eine Zulassung in der bayrischen Hauptstadt München. Bei der fortlaufenden Nummer könnte vor der “0” eine Ziffer fehlen, vielleicht weil das Kennzeichen dort einen Knick aufweist.

Nun aber zum interessantesten Detail des Wagens:

Presto_Spitzkühler_Jason_Palmer_Ausschnitt

Hier haben wir beidseitig des Spitzkühlers die typische Markenplakette von Presto in der Ausführung unmittelbar vor dem 1. Weltkrieg.

Wie eingangs bemerkt, ist dem Verfasser keine weitere Aufnahme eines Presto mit einem derartigen Spitzkühler bekannt – und doch hat es das einst gegeben!

Ganz gleich, ob dieser Presto nun kurz vor dem 1. Weltkrieg oder direkt danach entstand, haben wir hier ein bisher fehlendes Bindeglied zu den einst in Deutschland recht verbreiteten Presto D-Typen mit 9/30 PS-Vierzylindermotor.

Auch diese besaßen nämlich einen Spitzkühler, wenngleich einen mit stärker abgerundeter Oberseite des Kühlergehäuses:

Presto_D-Typ_10-30_PS_Galerie

Presto D-Typ 9/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Leistungsmäßig hatte sich zwar gegenüber der Vorkriegszeit nicht viel getan – der nunmehr 2,4 Liter große Vierzylinder war für maximal 30 PS gut – doch die schnittige Optik mit nach unten vorragendem Spitzkühler machte einiges her.

In der Presto-Galerie dieses Blogs sind etliche Originalaufnahmen des reizvollen Presto-D-Typs zu finden  – danach zu urteilen, handelte es sich um ein gehobenes Automobil für stilbewusste Leute.

Dass Autos der 1927 von NAG aus Berlin übernommenen Chemnitzer Marke auch nach rund 100 Jahre bei Sammlern für Begeisterung sorgen, das hätten sich die Männer, die diese Wagen einst konstruierten und bauten, nicht träumen lassen.

Statten wir ihnen auf diese Weise unseren Dank für ihren Beitrag zur Entwicklung und Verbreitung des Automobils im Deutschland der Zwischenkriegszeit ab…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Kaum zu fassen: Brennabor Typ PW 8/32 PS

Es ist merkwürdig: Da gab es einst in Brandenburg an der Havel eine Automobilfabrik, die nach dem 1. Weltkrieg zeitweilig die größte Deutschlands war.

Dort wurden von 1908 bis in die frühen 1930er Jahre etliche Fahrzeugtypen in für deutsche Verhältnisse beeindruckenden Stückzahlen gebaut – doch davon geblieben ist im 21. Jahrhundert fast nichts.

Kein rundum überzeugendes Standardwerk in Buchform, keine alle Wagentypen umfassende Netzpräsenz mit detaillierten Bild- und Prospektdokumenten gibt es.

Verfügbar sind nur einige verstreute Quellen und ausschnitthafte Darstellungen, die bei allem guten Willen viel zu wünschen übrig lassen.

Die Rede ist von der einstigen Marke Brennabor, die Besseres verdient hätte.

Der Verfasser hat in seiner Brennabor-Galerie etliche Autotypen der Marke in historischen Originalfotos dokumentiert – selten sind solche Aufnahmen keineswegs. Es macht nur niemand etwas Überzeugendes aus dem vorhandenen Material.

So kommt es, dass in der Literatur ausgerechnet das am längsten gebaute Automodell von Brennabor – der von 1922-27 gefertigte Typ P – kaum zu fassen ist.

Kein einziges Vorkriegsfoto eines solchen Wagens ist dort zu finden – lediglich Prospektabbildungen und Aufnahmen überlebender Exemplare aus DDR-Zeiten.

Ungeachtet dieser misslichen Lage ist der Verfasser dieses Blogs für Vorkriegsautos sicher, zwei dieser Fahrzeuge auf zeitgenössischen Aufnahmen identifiziert zu haben:

Brennabor_Typ_PW-8-32_PS_Landaulet_Galerie

Brennabor Typ PW 8/32 PS, Baujahr: 1926/27; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme eines eindrucksvoll dimensionierten Landaulets – das Verdeck ist bei diesem Karosserietyp nur über der Rückbank niederlegbar – hat dem Verfasser viele Stunden Recherche beschert.

Das Foto scheint auf irgendeinem Industrieareal entstanden zu sein. Wer verschoss ein wertvolles Bild für einen solchen Wagen in einem derart ernüchternden Umfeld?

Nachdem die Ausgangshypothese – heruntergekommenes US-Luxusauto auf einem Kleinstadtbahnhof im Mittleren Westen – keinen Erfolg gezeitigt hatte, führte die Sichtung der gedruckten Literatur zu deutschen Vorkriegsautos zum Erfolg.

Auf Seite 70 des unverzichtbaren – wenn auch nicht fehlerfreien und lückenhaften – Standardwerks “Deutsche Autos 1920-45” von Werner Oswald (1920-1997) findet sich eine Prospektabbildung, die das gleiche Auto aus identischer Perspektive zeigt.

Es handelt sich demnach um einen Brennabor Typ PW 8/32 PS von 1926/27, wie er auch in einigen wenigen Nachkriegsaufnahmen dokumentiert ist.

Die Frontpartie mit nach innen geprägten Luftschlitzen, die Position des Haubenhalters sowie die Form von Scheinwerfern und Schutzblech stimmen überein:

Brennabor_Typ_PW-8-32_PS_Landaulet_Frontpartie

Rund 10.000 Exemplare sollen von diesem 8/32 PS-Typ und seinem formal weitgehend identischen Vorgängermodell 8/24 PS –  ebenfalls mit 2,1 Liter-Vierzylinder – zwischen 1922 und 1927 entstanden sein.

Wo sind sie geblieben? Wo findet sich ein ausführliches Porträt dieses einstigen Erfolgsmodells von Brennabor im Netz?

Die Überlebensquote scheint sich im unteren Promillebereich zu bewegen und von der hier zu sehenden opulenten Landaulet-Version wird wohl keiner mehr existieren:

Brennabor_Typ_PW-8-32_PS_Landaulet_Seitenpartie

Kann es sein, dass dieser Brennabor seine besseren Zeiten hinter sich hatte? Was war einst auf der Einstiegstür zum Passagierabteil aufgemalt oder aufgeklebt?

Offenbar wurde dort etwas kaschiert, was aus der Vergangenheit des Wagens stammte – eventuell eine Taxi-Nummer?

Unabhängig davon sieht man auf diese Ausschnitt zwei weitere Details, die typisch für den Brennabor Typ Typ PW 8/32 waren:

Das rechtwinklig abgekantete und an der Karosserienunterseite angenietete Tritbrett aus Aluminium sowie das angrenzende Gehäuse für die hintere Blattfederaufnahme. Dieselben Elemente werden uns gleich wiederbegegnen.

Doch zuvor werfen wir einen Blick auf den jungen Mann, der mit dem Brennabor posierte:

Brennabor_Typ_PW-8-32_PS_Landaulet_Fahrer

Das Emblem auf der Mütze könnte laut einer Leseranmerkung auf eine Reederei verweisen. Eine Chauffeursmütze dagegen würde nicht so recht zu dem Anzug mit Einstecktuch passen, der dem Faltenwurf nach zu urteilen von feiner Qualität war.

Auch die flache Armbanduhr (wenn es denn eine ist) fällt ins Auge. So etwas war damals noch eine Seltenheit, billigere Taschenuhren waren Standard.

Der Schal mit expressivem Muster spricht ebenfalls für einen modebewussten Zeitgenossen –  man vergleiche diese Lässigkeit mit den “Hipstern” unserer Tage, die mit ihren immergleichen Ziegenbärten und Tätowierungen den Inbegriff des Möchtegern-Provokateurs darstellen.

Genug davon – wir befassen uns lieber mit den braven Bürgern der 1920er Jahre, die natürlich nicht alle Stilikonen waren, deren Erscheinungsbild aber in der Regel keine Zumutung für ihre Mitmenschen war.

Solche Leute, die es in materieller Hinsicht gut getroffen hatten, ließen sich einst in ländlicher Umgebung mit ihrem sechssitzigen Tourenwagen ablichten:

Brennabor_Typ_P_8-32_PS_Tourer_Galerie

Brennabor Typ PW 8/32 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auf den oberflächlichen Betrachter wirkt dieses Foto belanglos – doch für den Kenner ist diese Aufnahme eines großzügigen Tourenwagens gerade deshalb reizvoll, weil nicht auf Anhieb klar ist, um welche Marke und welchen Typ es sich handelt.

Solche Fotos sind für kleines Geld zu bekommen, weil nichts darauf auf irgendein Prestigeauto hinweist, für dessen bloße Ablichtung man dann Mondpreise verlangt.

Lediglich der beachtliche Radstand lässt erkennen, dass es sich hierbei nicht um irgendeinen Konfektionswagen der Zwischenkriegszeit handelte, mit dem dutzende Autofabrikanten unter Rückgriff auf Fremdaggregate ihr Glück versuchten.

Bei näherer Betrachtung erkennen wir auch einige bereits erwähnte Charakteristika des Brennabor Typ PW 8/32 PS wieder:

Brennabor_Typ_PW_8-32_PS_Tourer_Frontpartie

Nur in zwei Dingen unterscheidet sich diese Frontpartie von der weiter oben gezeigten eines Brennabor PW 8/32 PS Landaulets:

Es fehlt die (nachgerüstete) Doppelstoßstange nach US-Vorbild, gleichzeitig verfügen die Vorderräder über großdimensionierte Bremstrommeln.

Wahrscheinlich haben wir es hier mit einem Brennabor Typ PW 8/32 PS in der späteren Ausführung zu tun.

Doch auch dort findet sich das abgekantete und an die Karosserieflanke angenietete Tritbrett – in Verbindung mit dem Kasten für die vordere Aufnahme der hinteren Blattfeder eines der besten Erkennungsmerkmale des Typs.

Brennabor_Typ_PW_8-32_PS_Tourer_InsassenVermutlich mangels Planlage des Films in der Kamera oder aufgrund eines Fehlers bei der Produktion des Abzugs vor rund 90 Jahren sind die drei Insassen im rückwärtigen Teil des Wagens nur unscharf abgebildet.

Doch die Damen auf den Vordersitzen schauen uns recht vergnügt an – vielleicht war die burschikos wirkende hintere der beiden sogar die Fahrerin. Der Fotograf könnte dann der Partner einer der beiden anderen Insassinnen gewesen sein.

Der älteren Generation scheint die Rückbank reserviert gewesen zu sein. Leider wissen wir wie so oft nichts Genaues über die Menschen in dem Wagen oder über Ort und Datum der Aufnahme.

Mitunter sind wir nicht einmal sicher, mit was für einem Wagen wir es auf solchen alten Fotos zu tun haben.

So könnte folgende ungewöhnliche Aufnahme durchaus ebenfalls einen Brennabor-Tourenwagen des Typs PW 8/32 PS mit geschlossenem Verdeck zeigen.

Brennabor_Typ_P_Galerie

evtl. Brennabor Typ P Tourenwagen; Originalwagen aus Sammlung Michael Schlenger

Die meisten Details passen jedenfalls. Und selbst wenn wir hier einen anderen Tourenwagen aus deutscher Produktion der 1920er Jahre vor uns haben, wäre das  ebenfalls eine reizvolle Aufnahme aus ungewöhnlicher Perspektive.

Nicht zu fassen, was es einst alles in automobiler Hinsicht gab und wovon oft kaum mehr geblieben ist als ein paar alte Fotos…

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Auf Anhieb gesellschaftsfähig: Der erste DKW von 1928

Die Geschichte der einst so populären DKW-Automobile ist facettenreich, aber sicher nicht von technischer Brillianz geprägt.

Der zukunftsweisende Frontantrieb wurde mit 2-Zylinder-Zweitaktern kombiniert, die im autoarmen Deutschland der Vorkriegszeit zwar ihren Zweck erfüllten, doch konzeptbedingt weder kultiviert noch sonderlich entwicklungsfähig waren.

Zwei Dinge muss man den DKW-Vorkriegskonstruktionen aber lassen – sie leisteten einen großen Beitrag zur Motorisierung der Deutschen und sie wurden trotz bescheidener Leistung von Anfang an als vollwertige Automobile wahrgenommen.

Betrachtet man den Werdegang der sächsischen Marke als Automobilhersteller, gewinnt man den Eindruck, dass man die Unzulänglichkeiten der Motorisierung durch ein besonders ansprechendes Äußeres kompensieren wollte.

Welche Eleganz die DKW-Zweitakter in ihren letzten Ausprägungen mit rund 20 PS entfalteten, das illustriert folgende Aufnahme, die uns Leser Volker Wissemann zugesandt hat:

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DKW F10 mit Baur-Karosserie; Originalfoto aus Sammlung Volker Wissemann

Diese wunderbare Kreation der Stuttgarter Karosseriebaufirma Baur ist zwar erst in der frühen Nachkriegszeit entstanden, doch ist sie stilistisch ein Kind der 1930er Jahre – weshalb wir sie auf diesem Blog für Vorkriegsautos gerne zeigen.

Wer es sich ab 1948 leisten konnte, bekam auf Basis eines alten DKW der Vorkriegszeit diesen Traumaufbau montiert, der in den 1930er Jahren sicher für seine makellosen, fließenden Formen ausgezeichnet worden wäre.

Begibt man sich auf die Suche nach der Wurzel der Eleganz, die die DKW-Automobile auszeichnete, landet man gleich beim ersten PKW, den die bis dato auf Motorräder spezialisierten Sachsen ab Juni 1928 bauten, was heute genau 90 Jahre zurückliegt:

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DKW Typ P 15 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese an einem unbekannten Ort entstandene Privataufnahme zeigt ein Automobil, an dem in formaler Hinsicht kein Kompromiss zu erkennen ist.

An der Klarheit und Logik dieser Karosserie können sich manche heutige Designer ein Vorbild nehmen – sauber voneinander abgegrenzte funktionelle Bauteile, keine überflüssige Linie, keine aggressiv auf Effekt angelegten Elemente.

Das zweisitzige Cabriolet strahlt Konzentration und Ruhe aus – nichts wirkt improvisiert oder dekorativer Absicht geschuldet. Gleichzeitig – und das ist ganz wichtig – besitzt der Wagenkörper von der Front bis zum Heck eine dezent wirkende Spannung.

Kein Wunder, dass der DKW vor der Fassade des großbürgerlichen Hauses mit aus der Fassade auskragenden, teils bleiverglasten Fenstern und gepflegter Pflanzendekoration keineswegs wie ein Fremdkörper wirkt.

Wer mit einem solchen 15 PS-DKW – damals noch konventionell heckgetrieben – einst bei der vermögenden Erbtante vorfuhr, war daher absolut gesellschaftsfähig, zumal keine 5.000 Stück davon gebaut wurden.

Entsprechend selbstbewusst fiel die Werbung für das Modell damals aus:

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Reklame für DKW Typ P 15 PS; Original aus Sammlung Michael Schlenger

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

 

 

 

“Kennst Du das Land?” Über die Alpen im Fiat 514…

Wer die letzten Einträge in diesem Blog für Vorkriegsautos auf alten Fotos verfolgt hat, wird vielleicht feststellen: “Ziemlich viele Ami-Wagen werden hier besprochen – und immer wieder Fiats – vielleicht nicht ganz ideal für deutsche Leser”.

Tja, meine Damen und Herren, so sahen aber die Verhältnisse im deutschsprachigen Raum vor allem in der Zwischenkriegszeit aus: Jede Menge importierte oder hierzulande fabrizierte US-Wagen und auch Fiats allerorten.

Folgende Postkarte aus Berlin, die im März 1941 Matrose Josef Beyreder versandte, kündet bei genauem Hinsehen davon:

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Postkarte aus Berlin, Feldpostnr. 35628, März 1941; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Wer sich der Mühe unterzieht, wird neben einem Fiat 1100 und einigen US-Wagen auch die Vertretung der amerikanischen Reederei United States Lines erkennen, was einiges über die damalige Präsenz von US-Unternehmen in Europa verrät.

Im Unterschied zu vielen deutschen Herstellern hatten die Turiner bereits nach dem 1. Weltkrieg ihre Lehren aus der überlegenen Industrieproduktion in den Vereinigten Staaten gezogen und ihre Wagen von vornherein auf Großserie getrimmt.

Da im damals bitterarmen Italien nur begrenzte Absatzmöglichkeiten bestanden, zielte man auf den internationalen Markt ab und war mit sorgfältig konstruierten und enorm robusten Wagen weltweit erfolgreich.

Geholfen hat dabei, dass Fiat-Wagen auf die Bewältigung extremer Anforderungen ausgelegt waren, wie man sie im topographisch vielfältigen Italien antrifft.

Ob bei extremer Hitze im tiefen Süden, auf kaum befestigten Pisten des Appenin, endlosen Geraden in der Po-Ebene oder unter schwierigsten Verhältnissen in der Alpenregion – ein Fiat hatte sich zuallererst in der Heimat zu bewähren.

Dann war natürlich auch eine Alpenüberquerung im Rahmen des Möglichen:

Fiat_514_Alpenpass_Galerie

Fiat 514 auf einem Alpenpass; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Verfasser verfügt über keine sonderliche Kenntnis der zahlreichen Alpenpässe. Lediglich den Gotthard hat er vor rund 20 Jahren mit einem 34 PS-Volkswagen auf der Paßstraße überquert, um die öde Tunneldurchfahrt zu vermeiden.

Sicher kann ein Leser sagen, welchen Alpenpass wir auf dieser schönen Aufnahme sehen – die parallele Eisenbahnlinie und die ältere Trasse im Talgrund könnten Aufschluss geben.

Unterdessen konzentrieren wir uns auf den unscheinbar wirkenden Wagen, der auf einer ansteigenden Straßenpartie gehalten hat:

Fiat_514_Alpenpass_Ausschnitt1

Aus dieser Perspektive scheint es kaum möglich, den Wagen zu identifizieren. Dennoch ist es gelungen, nachdem sich die Hypothese “US-Fabrikat” nicht bestätigt hatte.

Hier sehen wir einen Fiat des von 1929-32 gebauten Vierzylindertyps 514. Der nur 1,4 Liter “große” Motor leistete knapp 30 PS – für damalige Verhältnisse beachtlich.

Aus geringen Hubräumen maximale standfeste Leistung herauszuquetschen, war seit den frühen 1920er Jahren eine Spezialität von Fiat. 

Fast 37.000 Stück dieses Typs baute Fiat von diesem bodenständigen Mittelklassewagen. Doch wie erkennt man eigentlich das Modell auf der Aufnahme?

Nun, dazu muss man wie so oft ganz genau hinschauen. Die Haubenpartie gibt dabei die entscheidenden Hinweise. Sie ist seitlich und mittig abgetreppt gestaltet, was sich im Verlauf der Chromleiste am hinterem Haubenende widerspiegelt.

Das klingt zugegebenermaßen abstrakt, daher hier ein Anschauungsobjekt aus entgegengesetzter doch kaum minder ungewöhnlicher Perspektive:

Fiat_514_Tourer_ab 1929_Galerie

Fiat 514 Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir sowohl den ausgeprägten Mittelsteg in der Motorhaube als auch den stufenartigen Übergang zur Haubenseite – besagte Chromleiste folgt dieser Linie präzise und ist auch auf der ersten Aufnahme nachzuvollziehen.

Zusammen mit den – bei der zweiten Aufnahme nicht zu sehenden – nach innen geschüsselten Scheibenrädern mit verchromter Nabenkappe spricht alles für einen Fiat 514 als zweitürige Limousine.

Wohin genau einst Anfang der 1930er Jahre die Reise im Fiat ging, dazu hätten wir gern die fesche Dame befragt, die hier kühn die Richtung vorzugeben scheint:

Fiat_514_Alpenpass_Ausschnitt2

Vielleicht hätte sie frei nach Altmeister Goethe geantwortet:

Du kennst das Land, wo die Zitronen blühn,

im dunkeln Laub die Goldorangen glühn,

Ein sanfter Wind vom Himmel weht,

Die Myrte hoch und still der Lorbeer steht,

Du kennst es wohl.

Dahin! Dahin

Möcht’ ich mit meinem Fiat ziehn.

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.