Heute vor 100 Jahren tobte an mehreren Fronten in Europa der Erste Weltkrieg. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete in ihrer Ausgabe vom 31.12.1915 (Pdf-Datei) von Kämpfen in Galizien, Tirol und auf dem Balkan sowie Seegefechten in der Nordsee und im Mittelmeer.
Ein weiterer Beitrag in derselben Ausgabe berichtet davon, dass in den Wiener Kaffeehäusern kriegsbedingt keine Milch mehr erhältlich sei. Auf die berühmte Melange muss daher wie so vieles verzichtet werden. Schritt für Schritt rückt der Krieg auch in den Alltag der Zivilisten ein.
Zahllose zeitgenössische Dokumente zeugen noch heute davon, dass der Krieg damals in Europa allgegenwärtig war. So auch dieser Neujahrsgruß, den einst eine gewisse Helene Kuhlmann auf einer Postkarte sandte.
Zu sehen ist ein offener Viersitzer mit zwei Offizieren auf der Rückbank. Sie tragen noch die traditionellen Pickelhauben, die 1916 vom Stahlhelm abgelöst wurden. Der Fahrer ist mit Schirmmütze und Pelzkragen ausgestattet. Links neben ihm scheint ein Gewehrhalter angebracht zu sein.
Auf der hinteren Tür ist der Doppelkopfadler der österreichisch-ungarischen Monarchie angebracht, den man auch auf zeitgenössischen Fotos häufig findet. Die Flagge des verbündeten Deutschen Reichs hat der Gestalter der Karte dazuerfunden – wohl aus patriotischer Gesinnung.
Der Wagen folgt einem seinerzeit verbreiteten Typ und lässt sich nicht näher bestimmen. Das folgende historische Foto zeigt ein ähnliches Fahrzeug im Winter an einer gesprengten Brücke.
Dokumente wie diese sind geeignet, einen nachdenklich und dankbar zu stimmen, auch wenn man sich eigentlich “nur” für Zeugnisse historischer Mobilität interessiert.
Eine pannenfreie Fahrt in ein friedliches und glückliches Neues Jahr allen Freunden klassischer Fahrzuge!
Nach dem 2. Weltkrieg versuchten etliche Konstrukteure hierzulande mit Kleinstwagen ihr Glück. An unkonventionellen Ideen fehlte es nicht, doch formal kamen dabei mitunter Gefährte an der Grenze zur Lächerlichkeit heraus. Ingenieure sind eben nur selten begnadete Gestalter, das musste schon Chrysler mit dem Airflow lernen.
Da in der Nachkriegszeit Mobilität nicht viel kosten durfte, musste zudem der Aufwand für Karosseriepresswerkzeuge gering gehalten werden. Auch das hatte meist fatale Folgen für die Formgebung. Dass es auch anders ging, zeigte der Champion 400, der sich auf folgender Originalaufnahme der 1950er Jahre versteckt hat.
Das Bild zeigt das Südtor der Burg in Friedberg/Hessen, davor Fahrzeuge, die in Richtung Bad Nauheim abbiegen. Der Brezelkäfer und der Mercedes 170 V sollen hier nicht weiter interessieren. Angemerkt sei lediglich, dass beim Mercedes der Winker an der A-Säule montiert ist, also nachgerüstet wurde – das spricht für ein frühes Exemplar.
Aufregender wird’s am linken Bildrand, wo man zunächst die Front eines Porsche 356 vermutet. Doch schon die Wahrscheinlichkeit spricht dagegen, dass sich ein solcher Sportwagen ins Herz der armen Wetterau verirrt haben sollte. Sieht man genauer hin, erkennt man die Heckpartie eines Autos mit massiver C-Säule – was könnte das sein?
Formal handelt es sich um ein seinerzeit modernes Fahrzeug mit Pontonkarosserie. Der Dachaufbau verweist allerdings in die Vorkriegszeit – der Wagen ist ein Vertreter der in den 1930er Jahren in Deutschland beliebten Cabriolimousine. Kennzeichen sind die starren Fensterseiten und das bis ans untere Ende des Dachs reichende Verdeck.
Einen solchen Aufbau gab es in den 1950er Jahren nur noch selten – als erstes denkt man an die Gutbrod Superior Cabriolimousine. Doch zwei Details sprechen dagegen: Beim Gutbrod umschloss die Stoßstange nicht die Heckpartie bis zum Radausschnitt. Der hintere Abschluss des Superior war auch nicht so elegant, er fiel steiler ab als beim abgebildeten Wagen.
Beim Studium des Hecks fallen – wenn auch verschwommen – einige parallel verlaufende Linien quer zur Längsachse auf. Könnten das Luftansaugschlitze sein? Dann kommt der Gutbrod erst recht nicht in Frage, er hatte den Motor vorne. Es bleibt nur noch ein Kandidat übrig: der Champion 400, der über einen Heckmotor verfügte und als Cabriolimousine gebaut wurde. Er trug auch die markanten Blinker auf der C-Säule, die auf dem Foto zu erkennen sind.
Der Champion 400 war ein formal besonders gelungener Kleinstwagen. Er wurde zwischen 1951 und 1956 von wechselnden Herstellern ohne große Änderungen gebaut, rund 5.000 Exemplare sind entstanden. Seine Motorisierung erscheint bescheiden: Nur 14 bzw. 15 PS leisteten die wassergekühlten Zweizylinder-Zweitakter von ILO und Heinkel, die verbaut wurden. Doch zusammen mit einem Wagengewicht von 500 kg waren damit 80 bis 90 km/h drin. Auf Landstraßen reichte das allemal – und seien wir ehrlich: heute zockeln auch genügend Leute mit 60 bis 70 Sachen auf freier Strecke umher.
Der Champion bot genügend Platz für zwei Personen, er war äußerst sparsam und dabei noch hübsch anzuschauen. Bei schönem Wetter mit offenem Verdeck unterwegs zu sein, das hatte etwas Luxuriöses in den kargen Jahren nach dem gründlich verlorenen Krieg.
Es ist kein Zufall, dass der flott wirkende Champion sich recht lange halten konnte. Die Konstruktion war modern – die Verarbeitung solide. Man merkt in vielen Details, das hier Könner am Werk waren. Einer davon war Hermann Holbein, einst bei BMW beschäftigt.
Holbein gehörte zu den Rennbegeisterten, die gleich nach dem Krieg wieder Sportwagen konstruieren und fahren wollten. Er war an der Entwicklung der Veritas-Rennautos beteiligt, die basierend auf BMW-Vorkriegstechnik einige Jahre sehr erfolgreich waren.
Holbein baute nach der Veritas-Episode den Stromlinien-Roadster HH47, der ebenfalls auf BMW-Technik basierte. Später entwickelte er zusammen mit anderen fähigen Ingenieuren den Champion 400.
Hydraulische Bremsen von ATE, ein raffiniertes Fahrwerk und die gefällige Karosserie aus dem Hause Drauz legten die Grundlage für den Erfolg des Champion. Einziges Manko war der Preis, doch das exklusive Erscheinungsbild des Wagens überzeugte offenbar genügend Käufer.
Es soll nur zwei Dutzend Überlebende dieses hochinteressanten und attraktiven Autos geben; dagegen ist ein Porsche 356 Massenware. Wer auf den Geschmack gekommen ist, findet hier weitere Bilder und Informationen zum Champion 400.
Dass Berlin vor dem 1. Weltkrieg ein bedeutender Standort für Flug- und Fahrzeugbau war, dürfte heute nur noch Spezialisten geläufig sein. Längst Geschichte sind einst stolze Firmen wie die Albatros-Flugzeugwerke oder die Nationale Automobil Gesellschaft (NAG), von 1901 bis 1934 die Fahrzeugsparte im AEG-Konzern. Was bleibt, sind einige wenige Überlebende in Museen und natürlich: historische Fotos.
Oft ist es eine Herausforderung, den alten Aufnahmen ihre Geheimnisse zu entlocken, doch mit Geduld und Glück kommt man meist ans Ziel. Bisweilen gerät man dabei an Marken und Geschehnisse, die einem zwar geläufig sind, aber gar nicht Ziel der Suche waren (siehe auch hier).
So stieß der Verfasser über das Foto eines “Bentley” ungewollt auf ein Fabrikat der Berliner Firma NAG. Auf den ersten Blick hat der Sportwagen links im Bild tatsächlich Ähnlichkeit mit einem der großartigen Gefährte von W.O. Bentley. Die wohl auf einem Flugplatz entstandene Aufnahme ist reizvoll, da wird nicht lange überlegt und das Bild gekauft.
Bei näherer Betrachtung macht das Nummernschild (IM=Provinz Sachsen) stutzig. Ein Bentley mit deutscher Zulassung wäre in der Zwischenkriegszeit zwar nicht ausgeschlossen, aber doch ziemlich unwahrscheinlich. Folgt man der alten Regel, sich für die naheliegendste Erklärung zu entscheiden, sollte das ein deutsches Auto sein.
Schaut man genau hin, fällt der Kühlerausschnitt auf. Er ist nicht hufeisenförmig wie bei Bentleys und vielen anderen Wagen der Zeit, sondern bildet ein geschlossenes Oval. Der Ovalkühler war ein Kennzeichen der Marke NAG bis weit in die 1920er Jahre hinein.
NAG baute nach dem 1. Weltkrieg nur wenige PKW-Typen. Mit einer kurzen Recherche lässt sich der Wagen als NAG Modell C4 identifizieren, das von 1922 bis 1924 gebaut wurde. Ein solches Fahrzeug steht im sehenswerten Automuseum in Amerang und dort hat ein Enthusiast einige Bilder dieses Prachtstücks gemacht.
In der Serienversion leistete der 2,5 Liter-Vierzylinder des NAG C4 der zwar nur maximal 45 PS. Doch in Rennspezifikation war weit mehr drin, ohne die Konstruktion zu überfordern. Beim 24-Stunden-Rennen von Monza im Jahr 1924 holte ein NAG C4 den Sieg mit einem Durchschnitt von knapp 120 km/h.
Die Straßenausführung bekam daraufhin den – offenbar verkaufsfördernden – Namenszusatz “Monza”. Immerhin rund 5.000 Exemplare des C4 konnte NAG seinerzeit absetzen, was im wirtschaftlich darniederliegenden Deutschland der 1920er Jahre beachtlich war.
Kommen wir zur Datierung des Fotos, wobei folgender Ausschnitt hilfreich ist. Das legere Erscheinungsbild der Herrschaften und der Haarschnitt der meisten spricht für eine Aufnahme Anfang der 1930er Jahre. Der junge Offizier, der auf dem Trittbrett sitzt, trägt den bei der Reichswehr bis 1933 üblichen Uniformrock. Später wird das Bild also kaum entstanden sein.
Bisher nicht klären lassen sich Ort und Anlass der Aufnahme. Der kräftig wirkende Mann ganz rechts trägt eine seinerzeit bei Piloten verbreitete kurze Jacke und fixiert offenbar dasselbe Objekt wie ein Teil der übrigen Anwesenden, möglicherweise ein bereitstehendes Flugzeug.
Ein weiteres Indiz dafür, dass die Aufnahme bei einer Flugveranstaltung entstanden ist, sind die Pilotenbrillen, die zwei der Anwesenden tragen. Der bullige Knickerbocker-Träger hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem populären Jagdflieger Ernst Udet, der sich seinen Lebensunterhalt in der Zwischenkriegszeit mit Kunstflugvorführungen verdiente.
Gesichert ist seine Identität aber nicht, weshalb weiterführende Hinweise willkommen sind. Unabhängig davon ist dieser Zufallsfund ein Anlass, sich näher mit dem einstigen Qualitätshersteller NAG zu beschäftigen:
Während heutzutage “Feinstaub” herhalten muss, um ständig neue Umweltauflagen zu rechtfertigen, und in Großstädten wie Frankfurt auf mehrspurigen Ringstraßen Tempo 30 verordnet wird (der “Red Flag Act” lässt grüßen), ist es hilfreich, sich die Ökostandards vor 100 Jahren zu vergegenwärtigen.
Damals war es eine Errungenschaft, dass jede Kleinstadt im Deutschen Reich an das Eisenbahnnetz angeschlossen war, das freilich auf Dampfbetrieb beruhte. In den Industriemetropolen qualmten die Schornsteine Tag und Nacht. Damals wurden die Grundlagen des Wohlstands geschaffen, den wir heute wie selbstverständlich genießen.
Automobile setzten sich nach Jahren der Anfeindung als sinnvolle und begehrenswerte Schöpfungen durch. Für die damit verbundenen Vorteile – individuelle Mobilität für berufliche und private Zwecke – war jedoch ein Preis zu zahlen, der schon bald deutlich wurde.
Die Unfallgefahren waren hoch, für Insassen und sonstige Verkehrsteilnehmer gleichermaßen. Die Abgas- und Lärmbelästigung durch das Automobil wurde bereits früh angeprangert. Elektro- und Dampfwagen waren entsprechend populär, solange Reichweite und Gewicht weniger wichtig waren.
Kein Thema war dagegen lange Zeit die Belastung von Gewässern und Boden durch Öl und sonstige Schmierstoffe. Als Beispiel mag das folgende Originalfoto dienen, das Soldaten bei der Wagenwäsche im 1. Weltkrieg zeigt.
Laut umseitiger Beschriftung wurde das Bild an der Morawa aufgenommen, einem serbischen Zufluss der Donau. Der Wagen – wohl ein Stabsfahrzeug – trägt unter der Windschutzscheibe ein militärisches Nummernschild und die Bezeichnung der Truppeneinheit, einer Jäger-Kompanie.
Es handelt es sich um einen Mercedes der Daimler-Werke, doch das genaue Modell ist bislang unbekannt. Die simple Form der Schutzbleche verweist auf ein Exemplar um 1910, während der Übergang der Motorhaube zur Schottwand und die integrierten Leuchten auf eine spätere Entstehung hindeuten.
Kurios ist das Erscheinungsbild der Drei, die den Mercedes im Fluss waschen. Der Soldat rechts posiert vorschriftsmäßig im Arbeitsanzug mit “Knobelbechern” und Schirmmütze. Sein Kamerad in der Mitte ist an Kopfbedeckung und Brille immerhin noch als Fahrer zu erkennen. Doch er hat sich schon eine “Anzugerleichterung” erlaubt. Der Soldat links trägt nur eine Schirmmütze – ansonsten ein Handtuch als Lendenschurz.
Wer meint, das sei ein Privatfoto unter Kameraden, liegt falsch. Es handelt sich ausweislich der Beschriftung auf der Rückseite um eine offizielle Aufnahme, die vom Stellvertretenden Generalstab zur Veröffentlichung freigegeben war. Offenbar wollte man zeigen, dass es an der Front mitunter fidel und freizügig zugeht. Aus dem 2. Weltkrieg gibt es ähnliche Aufnahmen, die es bis in die Deutsche Wochenschau geschafft haben. So verklemmt, wie man heute meint, waren unsere Ahnen nicht.
Nur der Umweltschutz hatte damals noch keine Priorität. In Zeiten hervorragender Luft- und Wasserqualität hierzulande ist das ein Anlass, heutige Weltuntergangsszenarien etwas gelassener zu sehen.
Beim Stöbern nach originalen Fotos mit historischen Automobilen ist man gut beraten, nicht mit zu konkreten Vorstellungen auf die Jagd zu gehen. Gerade bei Autos der Frühzeit wissen viele Verkäufer nicht, was in ihrem Fundus schlummert. Geht man offen an die Sacheheran und sichtet einfach viel altes Material, gelingen immer wieder schöne Entdeckungen; so auch im vorliegenden Beispiel.
Erster Gedanke beim Auffinden des folgenden Bildes: Das ist doch der Eingang zur Friedberger Burg! Wer die einst stolze Stadt im Herzen der Wetterau von Kindesbeinen an kennt, erkennt das sofort. Mit einem Mal ist das Foto ein Dokument zur Geschichte der Mobilität in unserer Region. Eine reizvolle Aufnahme obendrein, klarer Kauf!
Die Kenntnis des Aufnahmeorts ist hilfreich bei der Bestimmung des Fahrzeugs. Der Form nach handelt es sich um einen offenen Tourenwagen, einst auch als Doppel-Phaeton bezeichnet. Dieser Typ findet sich vor dem 1. Weltkrieg in identischer Form bei französischen, englischen und deutschen Wagen.
Beim gegebenen Aufnahmeort ist es am wahrscheinlichsten, dass der Wagen aus deutscher Produktion und aus einer der nächstgelegenen Fabriken stammt. In Frage kommen dafür vor allem Adler in Frankfurt/Main und Opel in Rüsselsheim.
Zum Glück unterscheiden sich die Kühlerformen der beiden Marken vor dem 1. Weltkrieg. Sonst gibt es wenige Anhaltspunkte. Bei fast allen Wagen der Zeit stößt die Motorhaube rechtwinklig auf die Schottwand, Scheinwerfer und andere Anbauteile sind kaum zu unterscheiden. Markenschriftzüge auf den Nabenkappen sind oft nicht lesbar.
Bleibt also der Kühler, den es in dieser Form kurz nach 1900 bei Opel gab, nicht dagegen bei Adler. Man meint, das ovale Opel-Auge am Oberteil des Kühlergehäuses zu erahnen:
Das Opel-Auge wurde 1910 zum Markenlogo der Firma, auf Anregung des kunstsinnigen Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen, dem Bad Nauheim sein einzigartiges Jugenstilerbe zu verdanken hat.
Befasst man sich mit den Opel-Modellen jener Zeit, stößt man rasch auf Typen, die dem Wagen auf dem Foto ähneln. Ein Beispiel dafür ist der folgende 10/18 PS Doppel-Phaeton, der vor einigen Jahren in einer Ausstellung von Wagen der Messingära in Schweden zu sehen war.
Für diesen Wagen wird zwar als Baujahr 1908 angegeben, aber das Opel-Logo kann nachträglich montiert worden sein. Ganz ähnliche Tourenwagen gab es damals auch von stärker motorisierten Opel-Modellen.
Ein solcher Opel zwischen 1908 und 1910 dürfte auf unserem alten Originalfoto zu sehen sein!
Der Entstehungszeitpunkt des Fotos liegt vor 1914, also vor Beginn des 1. Weltkriegs. Darauf deutet der Hut des Mädchens hin, der der Vorkriegsmode entspricht, ebenso der Kaiser-Wilhelm-Bart des Chauffeurs. Gegenüber dem schwedischen Fahrzeug von 1908 wirkt der Wagen in Details wie Schutzblechen und Zusatzscheinwerfern moderner. Auch das unterstützt eine geringfügig spätere Datierung.
Jetzt das Unglaubliche: Das Gesicht des bärtigen Mannes auf der Sitzbank hinter dem Mädchen kam dem Verfasser bekannt vor. Könnte das Zar Nikolaus II. von Russland sein, der 1910 mit seiner Familie in Friedberg weilte, auf Einladung des Großherzogs von Hessen, des Bruders der Zarin?
Eine Online-Recherche bringt Klarheit: Im Hessischen Staatsarchiv gibt es eine ähnliche Aufnahme von 1910, die denselben Wagen vor der Friedberger Burg zeigt. Vermerkt ist dort, dass darauf der russische Zar und Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt zu sehen sind. Letzterer sieht dem Herrn mit dem Schnauzbart ganz rechts auf dem Foto sehr ähnlich. Ein weiteres Belegfoto zeigt den Opel in Rüsselsheim. Er war der Privatwagen des Großherzogs, Enkel der englischen Königin Victoria.
Vermutlich ist unser Foto 1910in Friedberg entstanden. Die Zarenfamilie begab sich damals regelmäßig zur Kur ins benachbarte Bad Nauheim. Sie wohnte in der Friedberger Burg und hatte von dort nur wenige Kilometer zu fahren; der Opel auf dem Foto steht bereits in entsprechender Fahrtrichtung.
Man darf annehmen, dass das Mädchen im Vordergrund eine der vier Töchter des Zaren war. Wahrscheinlich handelt es sich um Maria Nikolaevna Romanova, die 1899 geboren wurde. Sie wurde 1918 mit ihren Eltern und Geschwistern von den Bolschewisten erschossen.
Man kann es nicht oft genug sagen: Die Beschäftigung mit der Historie der Mobilität ist immer auch eine Konfrontation mit der Zeitgeschichte.
Weitere solche Entdeckungen vor dem Friedberger Burgtor gibt es übrigens hier und hier.
Transporter-Versionen klassischer Automobile haben einen ganz eigenen Reiz. Gerade bei Pritschenwagen der Vorkriegszeit sorgt der Bruch zwischen der gefälligen Frontpartie und dem schmucklosen Aufbau für eine Spannung, die der Limousine meist fehlt.
Oft genug ist das Heck ohnehin die weniger attraktive Partie. Beim Peugeot 202 etwa hat der Abschluss der Normalausführung keine Chance, mit der großartigen Linienführung an der Front mitzuhalten. Folglich vermisst man beim Pickup hinter der Fahrerkabine auch nichts.
Dann gibt es Modelle mit hohem Niedlichkeitsfaktor, denen man kaum eine Nutzfahrzeugvariante zutraut. Die als “Giardiniera” bezeichnete Kombiversion des Fiat 500 beispielsweise sorgt immer wieder für Erstaunen. Auch hier hat der Kontrast zwischen der hübschen Ausgangsversion und der sachlichen Heckpartie seinen Reiz.
Es gibt allerdings auch Fahrzeuge, bei denen das Bemühen erkennbar ist, die schnöde Transportfunktion durch handwerklich aufwendige und formschöne Gestaltung des Hecks zumindest etwas zu kaschieren. Eines der seltenen Beispiele dafür zeigt das folgende Bild:
Zu sehen ist ein Fiat 1100 Lmit offener Ladefläche, der als Furgoncino oder Camioncino bezeichnet wurde, was so viel wie Kleintransporter bedeutet. Das “L” weist auf das gegenüber der Standardversion verlängerte Chassis hin, das es von 1938 bis 1948 gab.
Für das italienische Militär wurden tausende Exemplare der Transportversion des “Millecento” gebaut, für den harten Einsatz im Afrika-Feldzug (1940-1943) auch als “Coloniale”mit verstärktem Fahrwerk und höherer Zuladung (750 kg).
Der Fiat auf obigem Bild ist offenbar einer dieser militärisch genutzten Transporter vom Typ 1100L. Dennoch verfügt auch er über die schön geschwungene Heckpartie in bester Schreinerarbeit, die in merkwürdigem Gegensatz zum eigentlichen Nutzwert steht.
Die Ausschnittsvergrößerung lässt nur ahnen, wie aufwendig der Aufbau des Transporters tatsächlich war. An einem restaurierter Fiat 1100L Camioncino kann man die sorgfältige Holzkonstruktion genau studieren.
Das Bild muss zwischen 1943 und 1945 in Italien entstanden sein. Die drei Soldaten tragen die für die Südfront typische deutsche Uniform. Der Fiat stammt wohl von den ehemaligen italienischen Verbündeten, die nach der Eroberung Siziliens durch die Alliierten 1943 die Seiten wechselten. Er trägt jedenfalls keine Divisionsabzeichen und taktischen Zeichen, wie sie bei der Wehrmacht auch bei Fremd- und Beutefahrzeugen üblich waren.
Über den genauen Entstehungsort des Fotos lässt sich nur mutmaßen. Die Landschaft deutet auf eine dünn besiedelte Gegend irgendwo im Apenninen-Gebirge hin. Die Straße scheint jedoch bereits asphaltiert zu sein, was eher für Mittelitalien spricht als für den tiefen Süden.
Die Ladung umfasst offenbar einen Motorradreifen und allerlei Ausrüstung. Sollte der Fiat allein unterwegs gewesen sein, hätten zwei der vier Mann (einschließlich des Fotografen) nur Platz auf der Ladefläche finden können. Die Szenerie hat etwas von einer “Lustreise” abseits des Dienstalltags.
Sollte der Fiat den Krieg überstanden haben, stand ihm noch ein hartes Dasein bevor. Denn im Nachkriegsitalien wurde jede Form motorisierter Transportkapazität gnadenlos aufgebraucht. Deshalb sind gerade die Nutzfahrzeugvarianten von Fiat und Co. heute so selten und faszinierende Zeitzeugen.
Die Beschäftigung mit historischer Mobilität erschöpft sich keineswegs im Schrauben an alten Fahrzeugen oder dem Bewegen und Pflegen derselben. Intensiv betrieben bringt einen das Hobby immer wieder auf Tuchfühlung mit der Zeitgeschichte.
Vor einiger Zeit erwarb der Verfasser ein Sammelbild der Vorkriegszeit, das ein ihm unbekanntes Modell von Alfa-Romeo zeigt. Die Grand-Prix-Wagen der Marke sind einem dank starker Präsenz auf historischen Motorsportveranstaltungen natürlich geläufig.
Doch wer hat eine Vorstellung davon, wie ein Alfa Romeo RL Super Sport der 1920er Jahre aussah? Hier besagtes Sammelbild, das ein solches Exemplar aus dem Jahr 1925 zeigt:
Das Modell RL war Alfa-Romeos Antwort auf die 1921 neu geschaffene Sportwagenklasse mit 3 Liter Hubraum, die den vor dem 1. Weltkrieg üblichen Hubraummonstern den Boden entzog. Der neue Wagen verfügte über einen 6-Zylinder-Reihenmotor mit obenliegender Nockenwelle, der in der Rennversion an die 100 PS leistete.
Beim Straßenrennen Targa Florio auf Sizilien belegte Alfas RL im Jahr 1923 die Plätze 1, 2 und 4. Der Sieger hatte übrigens das später für die Marke charakteristische Kleeblatt auf die Karosserie seines Wagens gemalt. Auch Enzo Ferrari nahm in einem Alfa RL an dem Rennen teil.
Aus der Rennversion abgeleitet wurde eine etwas schwächere Straßenvariante, die je nach Spezifikation zwischen 60 und 80 PS leistete. Von diesem Wagen verkaufte Alfa Romeo zwischen 1922 und 1927 immerhin 2.640 Stück. Obiges Sammelbild zeigt eine solche zivile Version des Alfa Romeo RL, wahrscheinlich die Ausführung Super Sport.
Noch interessanter wird es, wenn man sich mit der Dame am Steuer des Alfa-Romeo beschäftigt. Auf der Rückseite des Sammelbilds steht ihr Name: Ernes Merck aus Darmstadt. Die “passionierte Automobilistin”, so der Text weiter, entstammte preußischem Uradel und kam 1898 als Ernestina Rogalla von Bieberstein in Pommern auf die Welt.
Unter dem Einfluss ihres Ehemanns Wilhelm Merck, Miteigentümer des Darmstädter Pharmaunternehmens, begann Ernes Merck 1922 Rennen zu fahren, sie entpuppte sich rasch als Talent. Im selben Jahr wurde sie Werksfahrerin bei Mercedes-Benz und sorgte in der Folgezeit durch ihr beachtliches Abschneiden für Furore. Ernes Mercks größter Erfolg war der 2. Platz hinter Rudolf Caracciola beim Klausenpass-Rennen 1927.
Kurz danach nahm sich Ernes Merck mit 29 Jahren das Leben. Ihr Sohn – Johannes Peter Mercedes Merck – war zu diesem Zeitpunkt keine 10 Monate alt. Er lernte seine Mutter nie kennen, doch die Leidenschaft für den Rennsport hatte er von ihr geerbt. In den 1950er Jahren trat er als Privatfahrer unter anderem bei der Rallye Monte Carlo an.
Geschichten wie diese erinnern einen daran, dass Technikhistorie immer auch eine menschliche Dimension hat.
Die italienische Marke Lancia stand jahrzehntelang für technische und gestalterische Leckerbissen – heute muss der ehrwürdige Name unter anderem für US-Massenware herhalten. Es scheint, als wolle der Fiat-Konzern der 1969 übernommenen Marke mit Gewalt ein Ende bereiten.
Für in der Wolle gefärbte Lancisti zählen ohnehin nur die Modelle vor der Übernahme durch Fiat, bei denen sich der Ingenieursgeist noch ungestört austoben durfte. Das war wirtschaftlich nicht immer erfolgreich, doch allemal besser als das, was folgen sollte.
Zu den konstruktiven Meisterstücken von Lancia gehören die V-Motoren mit engem Zylinderwinkel. Charakteristisch war die Unterbringung beider Zylinderbänke in einem Block und der Antrieb der Ventile durch eine gemeinsame obenliegende Nockenwelle.
Die bekannteste Anwendung des Prinzips dürfte der V6-Motor der Lancia Aurelia sein, die auch formal als erster Gran Turismo eine Klasse für sich ist.
Doch schon die 1937 vorgestellte Lancia Aprilia kam mit einem 4-Zylinder-Motor in V-Anordnung daher. Dank aerodynamisch optimierter Karosserie waren mit weniger als 50 PS bis zu 130km/h Spitzengeschwindigkeit möglich. Die Aprilia war das letzte unter Firmengründer Vincenzo Lancia entwickelte Modell.
Hier ein Exemplar der Aprilia mit Pritschenwagenaufbau aus der frühen Nachkriegszeit, als auch in Italien Transportkapazität knapp war und viele Limousinen zu solchen “Lasteseln” umgebaut wurden.
Die Geschichte der V-Motoren bei Lancia reicht aber noch weiter zurück. Lancia-Kenner werden vermutlich den Lancia Lambda von 1922 als bekannteste Anwendung des Prinzips bei Vorkriegs-Lancia nennen.
In der Tat war der Lambda ein Technologieträger höchsten Ranges: mit der ersten selbsttragenden Karosserie in Serie, Einzelradaufhängung vorne und Mitteltunnel für die Antriebswelle, wodurch erstmals eine tiefe Sitzposition möglich wurde. Kein anderer Wagen der frühen 1920er Jahre wies eine derartig niedrige Linie auf.
Was kaum bekannt ist: Als der Lambda noch im Werden war, stellte Lancia 1922 den Trikappa vor, der über einen V8-Motor mit obenliegender Nockenwelle verfügte und aus 4,6 Liter Hubraum 100 PS schöpfte. Formal entsprach der Trikappa der Konvention der Zeit, wie dieses Originalfoto der Tourenversion mit Torpedo-Karosserie zeigt:
Das hier gezeigte Exemplar stammt aus der ersten Serie, die vorne noch nicht über Bremsen verfügte. Ab 1923 wurden Vierradbremsen Standard und das Werk bot eine Nachrüstung für ältere Exemplare des Trikappa an. Dass Lancia seinerzeit vielen Konkurrenten voraus war, zeigen auch Details wie die 4-Gang-Schaltung und die 12-Volt-Elektrik von Bosch.
Bis 1925 baute Lancia ganze 847 Exemplare des Trikappa. Das ist aus heutiger Sicht nicht der Rede wert, doch damals galten andere Maßstäbe: Qualität vor Quantität, das war das Motto vieler Hersteller in Europa in der Zwischenkriegszeit.
In einem Lancia Trikappa eröffnete 1924 der italienische König Vittorio Emanuele III. die erste Autobahn der Welt – von Mailand nach Varese.
Es gibt heutzutage nur wenige Gelegenheiten, originale Grand-Prix-Wagen der 1930er Jahre außerhalb von Museen zu Gesicht zu bekommen.
Zwar werden “Silberpfeile” von Mercedes und Auto Union aus der Vorkriegszeit bisweilen auf historischen Rennsportveranstaltungen spazierengefahren. Doch oft genug handelt es sich um Nachbauten oder die Fahrzeuge sind äußerlich in einen überperfekten Zustand versetzt worden.
Auch die meisten überlebenden Alfa Romeo-Rennwagen jener Zeit sind irgendwann während ihres langen Lebens mehr oder weniger restauriert worden. So auch das nachfolgende Exemplar, das 2015 beim Goodwood Revival immerhin im scharfen Renneinsatz antrat:
Zu den raren unrestaurierten Ausnahmen gehört der nachfolgend abgebildete Monoposto des Typs P3 B von 1934. Er war 2015 beim Concours d’Elegance auf Schloss Chantilly bei Paris ausgestellt.
Das Fahrzeug ist prinzipiell identisch mit dem in Goodwood eingesetzten Wagen, es wurde im selben Jahr gebaut. Und doch wirkt es merkwürdig anders, wie ein Botschafter aus einer untergegangenen Welt.
Rückblende: Der ab 1932 gebaute Alfa Romeo P3 Tipo B war der erste einsitzige Grand-Prix-Wagen und der erfolgreichste Rennwagen der Mailänder Marke vor dem 2. Weltkrieg. Damit errangen Rennlegenden wie Rudolf Caracciola und Tazio Nuvolarireihenweise Siege.
Konstrukteur Vittorio Jano zeigt hier sein ganzes Können: Der Reihen-8-Zylinder wurde durch zwei Kompressoren aufgeladen und leistete je nach Spezifikation bis zu 265 PS. Das Differential war direkt hinter dem Getriebe angebracht, sodass die beiden Antriebswellen seitlich am Fahrer vorbei nach hinten geführt werden konnten. Dies ermöglichte eine tiefere Sitzposition und eine verbesserte Straßenlage.
Der in Chantilly gezeigte Wagen mit der Serien-Nr. 50002 wurde 1934 gebaut und von der Scuderia Ferrari eingesetzt. Später wurde er in die USA verkauft, wo er 1939/1940 und 1946/47 am 500-Meilen-Rennen in Indianapolis teilnahm.
In den 1950er Jahren war der Alfa nicht mehr einsatzfähig. Nach einem Aufenthalt in Australien kehrte er in die USA zurück. Heute (2015) befindet er sich in der Obhut des britischen Sammlers Hugh Taylor.
Das Fahrzeug verfügt zwar nicht mehr über den Originalmotor, doch das wird wettgemacht durch den äußerlich unberührten Zustand. Die Karosserie präsentiert sich genau so wie zum Zeitpunkt der Renneinsätze in den USA in den späten 1930er und 1940er Jahren. Die Aufschrift “Don Lee” verweist auf den Vater des damaligen Besitzers Tommy Lee aus Kalifornien.
Der verwitterte Lack, die Korrossionsspuren an den Alublechen der Karosserie und der brüchige Firnis des ledernen Fahrersitzes verleihen dem Wagen eine einzigartige Aura. Näher heran an die Zeit, in der das Fahrzeug eingesetzt wurde, und näher heran an die Menschen, die es einst bauten, fuhren und reparierten, kann man nicht gelangen.
Neben einer solchen Rarität verblassen zwangsläufig alle auf Hochglanz gebrachten Concours-Fahrzeuge. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Automobil in den Händen sachkundiger Besitzer bleibt, die sich als Bewahrer eines einzigartigen Zeitzeugen verstehen.
Die Automobile des französischen Luftfahrtpioniers Gabriel Voisin (1880-1973) zählen zu den faszinierendsten ihrer Art aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Nach 1918 trug die Firma den Hinweis auf ihre Herkunft aus dem Flugzeugbau nur noch im Namen: “Avions Voisin” konzentrierte sich fortan auf die Entwicklung hochwertiger Automobile.
Gabriel Voisin war einer der letzten Erfinder-Unternehmer jener Zeit, der mit extravaganten Konstruktionen erstaunlich erfolgreich war. Zu seinen Leidenschaften zählten Leichtbau und Sicherheit, Gewichtsverteilung und Fahrkomfort. Dabei verstand sich der Lebemann Voisin nie bloß als Ingenieur, sondern als Schöpfer von Kunstwerken, die auch gestalterisch eine Klasse für sich waren. Die Produzenten industrieller Massenware verachtete er.
Eines der Fahrzeuge, die Voisins Anspruch verkörpern, war das nachstehend abgebildete Modell C14 (1928-32). Es war der meistgebaute Wagen der Firma mit 1.795 Exemplaren. Nur wenige davon haben überlebt. Dieser hier war 2015 beim Concours d’Elegance in Chantilly zu sehen.
Technisch entsprach das Modell weitgehend seinem Vorgänger C11. So verfügte es über einen 2,3 Liter großen 6-Zylinder-Motor mit Schieber-Steuerung (Knight-Patent). Der Wegfall der herkömmlichen Ventilsteuerung über Stoßstangen und Kipphebel sorgte für besonders ruhigen Motorlauf, bedeutete aber konzeptbedingt erhöhten Ölverbrauch.
Das Getriebe wurde durch eine elektrisch zuschaltbare Übersetzung (Cotal-Patent) ergänzt, mit der in jedem der 3-Gänge ein zusätzliches Übersetzungsverhältnis gewählt werden konnte – ähnlich dem später bei britischen Fahrzeugen üblichen Overdrive, der im 3. und 4. Gang zwei unterschiedliche Übersetzungen bot. Angeboten wurde außerdem eine der frühesten Servo-Unterstützungen für die Lenkung überhaupt.
Der Verbesserung der Gewichtsverteilung dienten die auf den Trittbrettern montierten Gepäckkisten. Beim Modell C12 waren dort die Benzintanks angebracht. Das Fahrzeuggewicht profitierte von der Verwendung von Aluminium für den Aufbau.
Die nachfolgend abgebildete viertürige Ausführung des Voisin C14 ist äußerlich unberührt geblieben und lässt Rostansatz nur am Chassis erkennen. Kontaktkorrosion zwischen dem stählernen Rahmen und dem Aluminiumaufbau sorgte dennoch dafür, dass nicht viele der Karosserien so außergewöhnlich intakt die Zeiten überdauern konnten.
Auch dieses außergewöhnliche Exemplar war 2015 beim Concour d’Elegance auf Schloss Chantilly bei Paris zu bewundern. Gerade die Gegenüberstellung mit dem restaurierten Modell war für den Besucher besonders eindrucksvoll und lehrreich.
Denn so majestätisch das aufgearbeitete Fahrzeug wirkt – so hat es nur für einen kurzen Moment in seiner Geschichte ausgesehen: unmittelbar nach der Fertigstellung. Das unberührte Exemplar dagegen zeigt die Spuren von 80 Jahren Nutzung und Aufbewahrung wie in einer Zeitkapsel eingeschlossen.
Wenn ein Fahrzeug die Zeiten in einem solchen außergewöhnlichen, kompletten und funktionsfähigen Zustand überdauert hat, sollte es so bleiben dürfen. Eine herkömmliche Restaurierung, die bei einem Wrack oder unvollständigen Exemplar vollkommen legitim ist, käme hier einer Zerstörung gleich.
Ein derartig authentischer Zustand lässt sich nie wieder erreichen und macht das Fahrzeug nicht nur historisch bedeutend, sondern mittlerweile auch für Sammler zunehmend wertvoll. Denn während ein Mercedes-Flügeltürer heute in jeder Farbe geliefert werden kann und die meisten Bugatti-Rennwagen schlicht Nachbauten sind, lassen sich Automobile in dieser Qualität nicht vermehren.
Einen weiteren Bericht über einen einzigartigen französischen Patina-Wagen der Vorkriegszeit – einen Turcat-Méry PJ6 Grand Sport von 1919 – gibt es übrigens hier.
Zu den Dingen, die das jährliche Goodwood Revival Meeting in Südengland einzigartig machen, gehört die Konsequenz, mit der dort alles auf “Vintage” getrimmt wird.
Wer auf eine besondere “Zeitreise” aus ist, kann sich beispielsweise mit einem historischen Taxi zum Ort des Geschehens kutschieren lassen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um den bekannten Austin FX4, der über Jahrzehnte das Londoner Straßenbild geprägt hat.
Stattdessen stellen Enthusiasten der London Vintage Taxi Association seltene Modelle der 1930er bis 50er Jahre zur Verfügung. Zu den besonderen Raritäten dieser Art gehört der nachfolgend abgebildete Beardmore:
Der in Glasgow ansässige Industriekonzern Beardmore begann nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Taxibau und hatte bald den Ruf, den Rolls-Royce unter den Taxis zu bauen.
Ab den 1930er Jahren wurden die aufwendig gebauten Beardmores allmählich durch die günstigeren Modelle von Austin verdrängt. Hier ein Austin FX3 der frühen Nachkriegszeit:
Dieses gelungene Modell etablierte sich rasch. Konkurrent Beardmore hielt noch bis 1966 eine Kleinserienproduktion aufrecht. Ab dann beherrschte Austin mit dem FX4 den Markt – erst 1997 endete die Produktion des populären Modells.
Beim Goodwood Revival bekommt man am Taxistand auch noch einige andere automobile Schätze der Zeit zu sehen, die der Besucher ebenso mieten kann. Sonst selten zu sehen sind etwa die folgende Modelle der hierzulande kaum bekannten Marke Jowett:
Nicht nur wegen der außergewöhnlichen Fahrzeuge lohnt es sich, ein wenig am Taxistand zu verweilen und dem Kommen und Gehen zuzusehen. Immer wieder bieten sich filmreife Szenen, die so nur in England möglich sind – die Briten verstehen sich perfekt auf den echten Retro-Look.
Zu den schönen Seiten der Oldtimerei gehört, dass man immer wieder neue Entdeckungen macht. Das klingt merkwürdig bei einem historischen Gegenstand, der sich nicht mehr vermehren kann – doch die heute unvorstellbare Marken- und Typenvielfalt der Vergangenheit macht es möglich.
Dieser Tage stieß der Verfasser auf ein altes Foto, das auf den ersten Blick einen frühen Ford Taunus aus den 1930er bis 50er Jahren zeigt.
Der Karosserie nach ein Buckeltaunus der ersten Serie, der nach dem Krieg äußerlich unverändert weitergebaut wurde. Doch dann fällt der Blick auf die Scheinwerfer – so haben die beim Ford Taunus nie ausgesehen.
Die Chromumrandung ist viel zu stark und dürfte nicht rund sein, sondern sollte – wie auch das Scheinwerferglas – nach unten spitz zulaufen. Merkwürdig mutet die Stoßstange mit der weit außen liegenden Schloßschraube an, außerdem fehlen die Stoßstangenhörner.
Nächste Auffälligkeit: Die vordere Felge und die Nabenkappe sehen genauso aus wie die des Volkswagens. Die beim Ford Taunus serienmäßigen Radkappen fehlen.
Ein Blick auf die hinteren Kotflügel liefert ebenfalls Überraschendes. Sie sind stärker ausgeformt, als bei der Werkskarosserie. Auch hier ist die vom Volkswagen bekannte Felge zu sehen. Markant außerdem der grobstollige Reifen, der auf Geländeeinsatz ausgelegt zu sein scheint.
Endgültigen Aufschluss gibt die Betrachtung der Heckpartie. Zwar entsprechen Seitenfenster, Gürtellinie und Platzierung des Winkers den Verhältnissen beim Buckeltaunus. Doch da ist noch eine aufgesetzte Hutze – hier wurde Luft für einen Heckmotor angesaugt!
Es bleibt nur eine Erklärung: Jemand hat eine Buckeltaunus-Karosserie auf ein Volkswagen-Fahrgestell montiert.
Von den Abmessungen her war das machbar: Der Radstand von Buckeltaunus und Volkswagen liegt nur 1 cm auseinander. Länge und Breite der beiden Karosserien entsprechen sich ebenfalls weitgehend. Beide Autos verfügten über separate Chassis.
Nur die Spurweite des Volkswagen war deutlich größer als die des Ford. Das erklärt den breiteren Kotflügel hinten und lässt vermuten, dass auch die Vorderkotflügel angepasst wurden. Dieser Umbau kann erst nach dem 2. Weltkrieg entstanden sein, vorher wurde der Volkswagen nicht in Zivilversion verkauft.
Während des Krieges wurden über 50.000 Kübelwagen und Allradversionen auf dem VW-Fahrgestell gebaut, die letzten im April 1945. Nach der Kapitulation wurden die überlebenden Fahrzeuge einfach stehengelassen – spätestens, wenn das Benzin alle war.
In ländlichen Gegenden sicherten sich Bauern und Forstleute zurückgebliebene Exemplare des geländegängigen Wagens. Dennoch war es riskant, mit einem Ex-Militärfahrzeug unterwegs zu sein, zumal da kein legaler Erwerb möglich war.
Lösung:Wehrmachtsaufbau entsorgen und auf das Fahrgestell eine zivile Karosserie setzen. Das lag nahe, wenn Chassis und Technik eines Vorkriegswagens nicht mehr zu retten waren. Genau das scheint sich der Besitzer des abgebildeten Ford gedacht zu haben.
Man wüsste gern, welche Änderungen noch notwendig waren, um dieses Fahrzeug seinerzeit zugelassen zu bekommen. Das Nummernschild deutet auf Österreich hin – vermutlich hat man es dort in der frühen Nachkriegszeit nicht so genau genommen.
Heute wäre ein solcher Zwitter ein Wagen von großem historischen Wert – sehr original, obwohl nicht werkskonform. Dass eine solche Notlösung irgendwo überlebt hat, ist sehr unwahrscheinlich. Eher finden sich Käfer-Aufbauten auf ehemaligen VW-Kübel-Fahrgestellen (Beispiel).
Man kann es nicht oft genug sagen: Das jährliche Goodwood Revival Meeting in Südengland ist eine Fundgrube für Freunde echter automobiler Raritäten.
Während gerne Mondpreise für Massenfabrikate aus Zuffenhausen oder für unrettbaren Schrott aus “Scheunenfunden” aufgerufen und bezahlt werden, sind in England abseits des Mainstreams immer noch unglaubliche Entdeckungen zu machen.
Gemeint sind Autos, die nur in geringer Stückzahl gebaut wurden, funktionsfähig sind, aber nie “richtig restauriert” worden sind und sich so eine einzigartige Alterswürde bewahrt haben.
Ein schönes Beispiel eines solchen raren Patina-Fahrzeugs war 2015 – neben einem Humber Super Snipe – an der Rennstrecke unweit von Chichester zu bewundern – ein Jowett Jupiter.
Jowett gehörte zu den vielen Herstellern aus England, die entgegen aller Wahrscheinlichkeit über Jahrzehnte ein Auskommen mit eigenwilligen Konstruktionen fanden.
Vor dem 1. Weltkrieg baute die Marke aus Bradford (Yorkshire) das erste Leichtbauauto auf der Insel. Es verfügte über einen wassergekühlten 2-Zylinder-Boxermotor, der dank drehmomentstarker Charakteristik bis 1936 in Produktion blieb.
Abgelöst wurde die Konstruktion durch einen 4-Zylinder-Boxer mit 1,5 Liter Hubraum, der in der Nachkriegszeit weitergebaut wurde. Er trieb auch den hier gezeigten Jowett Jupiter an, der damit knapp 140 km/h Höchstgeschwindigkeit erreichte.
Von diesem Modell wurden von 1950 bis zum Ende der Marke 1954 nur 900 Exemplare gebaut. Interessant ist der Wagen nicht zuletzt deshalb, weil der zuvor bei Auto-Union und Porsche tätige Ingenieur Robert Eberan-Eberhorst das Chassis entwickelte.
Bei solchen Fahrzeugen schlägt das Herz des Kenners höher, denn hier war noch kein “Restaurator” oder Spekulant am Werk. Alles neu machen, das kann jeder mit entsprechender Brieftasche. Aber eine solche Rarität einfach am Laufen zu halten und die Spuren des Alters nicht zu verbergen, das verdient Anerkennung.
Freunde rarer Vorkriegswagen finden ein Beispiel für ein außergewöhnliches Patina-Fahrzeughier.
2015 wurden auf dem herrlichen Areal von Schloss Dyck unweit von Düsseldorf zum zehnten Mal die fabelhaftenClassic Days zelebriert.
Wenn es sie nicht gäbe, müsste man sie glatt erfinden, denn eine zweite Klassikerveranstaltung dieser Größenordnung, in der das Umfeld sowie die Vielfalt und Qualität des Gebotenen zu einem harmonischen Ganzen verschmelzen, gibt es in Deutschland kein zweites Mal.
Hier kommen nicht nur die Freunde klassischer Fahrzeuge der 1950er bis 60er Jahre auf ihre Kosten – auch die Vorkriegsfraktion ist stets mit einer erlesenen Auswahl an seltenen und eindrucksvollen Gefährten vertreten.
Besonders charmant: Man kann einen Großteil der Autos in Aktion erleben, denn auf einer eigens abgesperrten Rundstrecke treten die ganze Veranstaltung über die unterschiedlichsten Felder an.
Zwar wird überwiegend gemächlich gefahren, doch beim Start der Motoren im Fahrerlager und beim Einnehmen der Startaufstellung kommt durchaus Rennatmosphäre auf. Viele Besucher genießen das Treiben bei einem entspannten Picknick.
Übrigens lohnt es sich, bereits am Freitagnachmittag über das weitläufige Gelände zu flanieren. Ein Großteil der Fahrzeuge steht dann schon an seinem Platz oder trifft nach und nach ein. Gleichzeitig ist die Besucherzahl noch überschaubar und man kann ungestört fotografieren.
Neben den obigen Bildern der Classic Days 2015 soll auch der folgende Film Appetit auf die Neuauflage am 5. bis 7. August 2016 machen. Er nimmt sich viel Zeit für die Veranstaltung und gibt die Atmosphäre in allen ihre Facetten wieder.
Mit dem Film lassen sich auch Zeitgenossen für die Classic Days gewinnen, die sich bisher nicht für altes Blech und laute Motoren erwärmen konnten. Der Magie des Ortes und der prachtvollen Vehikel kann man sich jedenfalls kaum entziehen.