Ein Auto aus Pommern: Stoewer D3 von 1920

Mehr als 70 Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs schwindet hierzulande allmählich das Bewusstsein, dass es östlich der heutigen Landesgrenzen einst eine über Jahrhunderte gewachsene deutsche Kultur gab. Wer nicht wie der Verfasser familiär “vorbelastet” ist oder sich für die Geschichte seines Landes interessiert, verbindet mit Begriffen wie Pommern, Preussen oder Schlesien kaum noch etwas.

So dürften auch die wenigsten die Frage nach der ehemals am weitesten östlich gelegenen Automobilfabrik Deutschlands beantworten können. Um es kurz zu machen: Es waren die Stoewer-Werke in der alten Hansestadt Stettin. Bis 1945 war die Stadt an der Odermündung das Zentrum der preußischen Provinz Pommern, seither gehört sie zu Polen.

Stoewer war eine Qualitätsmarke, die für ihre oft sehr eleganten Karosserien bekannt war. Hier eine Originalreklame aus der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg:

Stoewer-Originalreklame um 1920

© Stoewer-Originalreklame, Anfang der 1920er Jahre; Sammlung Michael Schlenger

Die Ursprünge der Firma liegen in einer Mitte des 19. Jahrhunderts begonnenen Nähmaschinenproduktion, die später um eine Fahrradfertigung ergänzt wurde – man fühlt sich an die Marke Adler erinnert.

Die beiden Söhne des Firmengründers begannen 1897 mit der Herstellung motorisierter Dreiräder nach französischem Vorbild. Schon 1899 wagten sie die Konstruktion eines vollwertigen Wagens nach eigenen Plänen. Das Modell erwies sich als tauglich und markierte den Beginn der Serienfertigung von Stoewer-Automobilen.

Übrigens versuchten sich die Gebrüder Stoewer auch auf dem Gebiet des Elektroantriebs. Ihre 1905 vorgestellte E-Droschke erreichte ein Tempo von 30 km/h und hatte eine Reichweite von 40 km. Angesichts zu geringer Speicherfähigkeit und mangelnder Dauerhaftigkeit der Batterien im Alltagsbetrieb wurde das Experiment jedoch wieder beendet – nach 100 Jahren sieht es heute nicht viel besser aus.  

Stoewer erwarb sich in den Jahren bis zum 1. Weltkrieg einen Ruf als Hersteller feiner Automobile. Dazu trugen nicht zuletzt die selbstentworfenen Karosserien bei, die oft eleganter ausfielen als die Produkte der Konkurrenz. Doch soll hier nicht die gesamte Geschichte der Stettiner Marke erzählt werden – denn das tut bereits in vorbildlicher Weise folgendes Buch:

Gerhard Maerz: Die Geschichte der Stoewer-Automobile, Verlag Kohlhammer, 1983, ISBN: 3-17-007931-X (vergriffen, aber antiquarisch erhältlich)

Vielmehr soll ein zeitgenössisches Originalfoto eines Stoewer dazu dienen, Interesse an dieser zu Unrecht vergessenen Marke zu wecken:

Stoewer_D3_1920er Jahre

© Stoewer Typ D3, Ende der 1920er Jahre; Sammlung Michael Schlenger

Die hochwertige Aufnahme befindet sich schon seit längerem im Besitz des Verfassers. Eine sichere Zuschreibung des Wagens war zunächst nicht möglich. Der Spitzkühler lässt zwar an ähnliche Modelle von NAG, Horch und Opel denken. Doch die oben auf dem Kühler montierte Plakette passt dazu ebensowenig wie die  Speichenräder mit ihren zahlreichen Radbolzen und der markanten Nabenkappe:

Stoewer_D3_1920er Jahre_Frontpartie

Gewissheit erbrachten erst Vergleiche der Karosserie mit Abbildungen aus dem erwähnten Stoewer-Buch von Gerhard Maerz, der übrigens als gebürtiger Stettiner schon als Junge alles sammelte, was mit Stoewer zu tun hatte.

Dort finden sich Bilder von Stoewer-Wagen der 1920 vorgestellten D-Baureihe, die trotz unterschiedlicher Motorisierungen wesentliche Charakteristika mit dem Wagen auf unserem Foto teilen. Neben der identischen Gestaltung des Fahrzeugbugs findet sich dort vor allem der scharfe Knick in der Karosserie wieder, der von der Motorhaube schräg nach oben zum Ende der geknickten Windschutzscheibe führt.

Stoewer_D3_1920er Jahre_Mittelpartie

Auf dieser Ausschnittsvergrößerung finden sich noch andere interessante Details, dazu gleich mehr. Der abgebildete Wagen ist wahrscheinlich ein mittleres Modell der D-Baureihe von Stoewer, ein D3. Der von 1920-23 in etwas mehr als 2.000 Exemplaren gebaute Typ verfügte über einen 2,1 Liter großen Vierzylindermotor mit Seitenventilen, der 24 PS leistete. Die größeren Modelle wurden mit 6-Zylinder-Aggregaten angeboten, die deutlich leistungsfähiger waren.

Wie es der Zufall will, ähnelt der Wagen auf dem Foto stark dem stilisierten Fahrzeug auf der oben gezeigten Originalreklame. Dies unterstützt die hier vorgetragene These; vielleicht kann ein Leser hierzu noch mehr beitragen.

Nun nochmals ein Blick auf die Mittelpartie des Stoewer mit seiner schnittigen Windschutzscheibe. Dort ist in Fahrtrichtung links ein Winker angebracht, ein schön gestalteter Pfeil, der mechanisch betätigt wurde. Rechts vom Fahrer – Rechtslenkung war seinerzeit auch bei uns verbreitet – befindet sich ein wohl nachgerüsteter Rückspiegel. Seine Halterung sieht etwas improvisiert aus.

Aus dem Rahmen fällt die große elektrische Hupe, die seitlich zwischen Ersatzreifen und Vorderschutzblech montiert ist. Dieses Zubehör kann erst in den späten 1920er Jahren verbaut worden sein; dazu passt der gut gebrauchte Zustand des Stoewer.

Leider gibt die Kleidung des etwas abschätzig dreinschauenden Fahrers keinen weiteren Datierungshinweis. Seine über der Brust gedoppelte Lederjacke mit Pelzkragen wurde vom 1. Weltkrieg bis in die 1940er Jahre von Auto- und Motorradfahrern geschätzt – ein Klassiker, der sich auch heute hervorragend zu Veteranenfahrzeugen macht.

Das weitere Schicksal der Marke Stoewer war von einem ständigen Auf und Ab geprägt, wie es anderer Hersteller von Nischenmarken ebenfalls durchmachten. Immerhin überstand die Stettiner Firma die Weltwirtschaftskrise, allerdings verlor die Gründerfamilie in den 1930er Jahren die Kontrolle über das Unternehmen. Damit ging auch der eigene Charakter der Marke verloren.

Während des 2. Weltkriegs produzierte das Stoewer-Werk Militärfahrzeuge. Viel zu spät – im April 1945 – unternahm man im Geschützdonner der heranrückenden Roten Armee den Versuch der Evakuierung von Teilen der Produktionsanlagen und des Geschäftsarchivs. Die Sowjets beschlagnahmten das gesamte Material und die Fabrikanlage in Stettin, ohne nochmals eine Produktion zuwegezubekommen.

Damit war die Marke Stoewer Historie. Der Autor des erwähnten Stoewer-Buchs musste bei der Flucht aus Stettin 1945 seine bis dahin aufgebaute Sammlung zurücklassen. In den folgenden Jahrzehnten gelang es ihm in akribischer Kleinarbeit, wieder genügend Material für sein gelungenes Buch zusammenzutragen.

Zeitzeugen wie ihm ist es zu verdanken, dass wir überhaupt soviel über die Marke Stoewer wissen, in der sich nicht zuletzt ein Teil unserer Geschichte widerspiegelt.

Italienische Klassiker in Cervinia Anfang der 1950er Jahre

Die Wintersportfreunde wird es freuen: Nun haben die Skiorte in den Alpen doch noch “Schnee satt” bekommen. Wer dagegen genug von der kalten Jahreszeit hat und als Oldtimer-Liebhaber vom Saisonauftakt träumt, findet vielleicht Gefallen an folgendem Originalfoto aus dem italienischen Cervinia (Aostatal), das Anfang der 1950er Jahre entstanden ist:

Cervinia

© Postkarte aus Cervinia/Oberitalien, 1950er Jahre; aus Sammlung Michael Schlenger

Wie man sieht, hat die Berglandschaft auch ohne Schnee ihren Reiz. Wer klassische italienische Fahrzeuge mag, kommt auf diesem schönen Bild ganz auf seine Kosten. So stehen auf dem Parkplatz im Vordergrund einige interessante Wagen, darunter auch solche, die damals bereits absolute Raritäten darstellten:

Cervinia_Parkplatz

Praktischerweise stehen die Autos annähernd nach Baujahr und Anschaffungswert sortiert. Gehen wir sie einfach der Reihe nach von links nach rechts durch.

Links außen steht ein Fiat 1100, der in den späten 1930er Jahren vorgestellt wurde und am Anfang einer Modellgeschichte stand, die bis in die 1990er Jahre reichen sollte. Der hier zu sehende Wagen trägt den keilförmigen Kühlergrill, der 1939 erstmals verbaut wurde. In der Nachkriegszeit wurde der Wagen bis 1948 weiterproduziert. Übrigens haben wir es hier mit dem äußerst raren Cabriolet der Baureihe zu tun!

Fiat_1100_Cabriolet

Nächster in der Reihe ist das Modell Aprilia von Lancia. Dieser aerodynamisch optimierte Mittelklassewagen wurde von 1937-49 gefertigt – in kleinen Stückzahlen auch den gesamten 2. Weltkrieg über.

Mit knapp 50 PS aus 1,5 Liter Hubraum war der Wagen für damalige Verhältnisse großzügig motorisiert. Zum Vergleich: Mercedes mutete seinen Kunden beim hubraumstärkeren Modell 170 V weniger als 40 PS zu. Lancias Aprilia erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von 125 km/h, ohne als unzuverlässig zu gelten.

Lancia_Aprilia

Beim dritten Wagen sind wir bereits in den 1950er Jahren. Es handelt sich um einen Fiat 1400 in moderner Pontonform. Mit dem schon 1949 vorgestellten Modell zeigte die Turiner Marke, was in dieser Klasse möglich war, ohne auf Solidität und Verlässlichkeit zu verzichten (Bildbericht). Diesen innen wie außen großzügigen und technisch modernen Wagen kennt hierzulande kaum jemand.

Fiat_1400

Auch in dieser Zeit hielt Mercedes an formal wie technisch rückständigen Konstruktionen fest – gewiss nicht aus Unvermögen der Ingenieure, sondern aufgrund einer überängstlichen Geschäftspolitik. Borgward zeigte mit dem 1949 präsentierten Hansa, dass es auch anders ging.

Zurück zu unseren Italienern. Nächster im Bunde ist eine der Ikonen italienischen Automobilbaus der 1950er Jahre, das Lancia Aurelia B20 Coupé. Zum Rang dieses ersten Gran Turismo der Automobilgeschichte muss man nicht viel sagen.

Nur etwas mehr als 3.000 Stück wurden davon gebaut. Doch hat dieser unerhört schlichte, elegante und sportliche Wagen das Bild der Marke nach dem Krieg geprägt wie wohl kein anderes Modell. Vermutlich ist es heute schwieriger, eine der weit häufiger gebauten Limousinen des Typs anzutreffen als das herrliche Coupé.

Lancia_Aurelia

Wer meint, dass nun keine Steigerung mehr möglich sei, muss sich eines Besseren belehren lassen. Denn rechts außen – neben einem Renault 4CV, der uns das Heck zeigt, steht eine noch größere Rarität. Es handelt sich um ein Alfa Romeo 1900 Coupé.

Das verraten nicht nur die langgestreckten, fließenden Formen und der filigrane Dachaufbau, sondern vor allem der markant ausgestellte hintere Kotflügel. Kein anderer Wagen jener Zeit wies eine solche meisterhafte Linienführung auf.

Alfa-Romeo_1900_Coupe

Mehr zu dem grandiosen Modell von Alfa-Romeo – vermutlich ein Superleggera-Modell der Karosseriefirma Touring aus Mailand – findet sich in diesem Bildbericht. Es ist bewegend und erschütternd zugleich, welche Klasse die Marke Alfa-Romeo einst verkörperte und was davon übriggeblieben ist.

Leider muss man auch zu Lancia und Fiat feststellen, dass diese Hersteller ihre besten Zeiten lange hinter sich haben. Auf dem historischen Bild aus einem mondänen Urlaubsort sieht man Wagen dieser einst stolzen italienischen Marken versammelt und bekommt vorgeführt, was in etwas mehr als einem halben Jahrhundert aus dem alten Europa geworden ist – eine in jeder Hinsicht entgrenzte Region, in der ein beliebiger internationaler Geschmack Einzug gehalten hat.

Bescheidene Anfänge: BMW 3/15 PS von 1929

Die Bemühungen um den Bau von Kleinwagen oder Autos für’s Volk in den 1920er Jahren sind nicht gerade ein Ruhmeskapitel der deutschen Automobilgeschichte.

Hanomags “Kommissbrot” war ein Kuriosum, das schon aufgrund seines Erscheinungsbilds nicht massentauglich war. Erst mit dem ab 1929 gebauten Modell 3/16 bzw. 4/20 PS gelang der Firma aus Hannover ein Kompaktwagen, der formal wie technisch überzeugte:

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© Hanomag 3/16 oder 4/20 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Opel aus Rüsselsheim unternahm erst gar nicht den Versuch einer eigenen Kleinwagenkonstruktion – die Marke stand bis dahin für gehobene Fahrzeuge – und kopierte ab 1924 Citroens Erfolgsmodell 5CV, ohne Erlaubnis der Franzosen. Hier ein solcher Opel mit eleganter Dame am Steuer:

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© Opel 4/14 PS, Baujahr: 1925-26; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

DKW – der renommierte Motorradhersteller aus Zschopau/Sachsen – hatte mit dem 1928 vorgestellten Typ P 15 PS ein eigenständiges Gefährt in der Einsteigerklasse geschaffen, das wie ein richtiges Auto aussah:

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© DKW Typ P 15 PS, 4-sitziges Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Doch zum Publikumserfolg wurden erst die ab 1931 gebauten Frontantriebswagen (siehe Bildberichte zu F2, F4, F5, F7 und F8).

In dieser Gemengelage trat 1929 auch die Firma BMW auf den Plan, die bis dato nur Motorräder gebaut hatte. Zunächst wollte man als PKW-Erstling eine Konstruktion von SHW weiterentwickeln, doch ergab sich die Möglichkeit, durch Übernahme des Herstellers Dixi dessen Kleinwagen 3/15 PS ins eigene Programm zu übernehmen.

Dixi ist ein weiteres Beispiel für das Unvermögen vieler deutscher Hersteller jener Zeit, erfolgreiche Kompaktautos zu entwerfen. Das 1925/26 realisierte Dixi 3/12 PS-Modell war zu kompliziert geraten und kam für eine Massenfertigung nicht in Frage. Offenbar waren sich viele deutsche Ingenieure zu gut dafür, sich auf die speziellen Anforderungen im Kleinwagenbau einzulassen.

Jedenfalls fiel auch Dixi – wie Opel – nichts Besseres ein, als ein ausländisches Modell nachzubauen, in diesem Fall wenigstens mit ordentlicher Lizenz. Man entschied sich für den britischen Austin Seven, der sich seit seiner Vorstellung 1922 zum Erfolgsmodell entwickelt hatte.

Austin_Seven_Goodwood-Revival_2015

© Austin Seven beim Goodwood Revival 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

1927 schließlich begann Dixi, die nicht mehr ganz taufrische, aber unvermindert populäre Austin-Konstruktion unter eigenem Namen zu fertigen.

Nach Übernahme der Dixi-Werke Ende 1928 fertigte BMW das 3/15 PS-Modell noch wenige Monate unverändert weiter. Ab Sommer 1929 wurde der Wagen dann mit BMW-Markenlogo und Vierradbremse gebaut. Ein solches Fahrzeug ist auf folgendem Originalfoto zu sehen:

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© BMW 3/15 PS, 4-sitziges Cabriolet um 1930; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

So unglaublich es erscheint: Dies ist ein viersitziges Cabriolet, wohl eines der kürzesten überhaupt. Technisch war das Gefährt mit seinem 750ccm großen 4-Zylinder und einer Leistung von 15 PS unspektakulär. Immerhin lag der Verbrauch niedriger als beim gleichstarken DKW Typ P 15 PS, dessen Zweizylinder-Zweitakter zudem lauter war.

Wirtschaftlich gesehen war der erste BMW also vernünftig.  Immerhin 16.000 Exemplare konnte man bis 1932 absetzen. Verglichen mit der formalen Klasse des DKW war es allerdings ein sehr bescheidenes, schmucklos daherkommendes Fahrzeug. BMWs Einstieg in die PKW-Produktion war somit denkbar schlicht. Es war noch ein langer Weg zu eigenständigen Qualitätswagen unter dem blauweißen Propeller-Logo

Wer sich für die hochwertigen Eigenkonstruktionen der Marke Dixi interessiert, dem wird vielleicht dieser Bildbericht gefallen.

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

Der erste Kompressor-Mercedes: Typ 6/25/40 PS

Wer denkt beim Stichwort Kompressor-Mercedes nicht an die legendären Sportwagen der zweiten Hälfte der 1920er Jahre mit reichlich Hubraum und armdicken Auspuffrohren? So selten sie auch waren und sind – sie haben das Bild der Marke Mercedes weltweit entscheidend mitgeprägt und gelten bis heute als Ikonen.

Doch nur wenigen Klassikerfreunden dürfte das erste serienmäßig gebaute Kompressormodell von Mercedes geläufig sein – der 1921 vorgestellte Typ 6/25/40 PS. Wer angesichts des Hubraums von 1,6 Liter und der Leistungswerte – 6 Steuer-PS / 25 PS Dauerleistung / 40 PS Spitzenleistung – gelangweilt abwinkt, der verkennt, dass das verbaute Aggregat seinerzeit ein Spitzenprodukt war.

Eingeflossen waren die im 1. Weltkrieg gesammelten Erfahrungen von Mercedes mit dem Bau aufgeladener Motoren für Kampfflugzeuge. Entsprechend inspiriert ging man nach Kriegsende an die Konstruktion eines sportlichen PKW-Motors heran. Mit zwei obenliegenden Nockenwellen, die über Königswellen angetrieben wurden, hängend montierten Ventilen und zuschaltbarem Kompressor entsprach das Aggregat dem “state of the art” im damaligen Motorenbau.

Das Konzept als solches hatte Mercedes bereits beim noch aus der Vorkriegszeit stammenden großvolumigen Typ 28/95 PS in einigen Exemplaren erprobt. Mit einem solchen Wagen errang 1921 Max Sailer einen 2. Platz im Gesamtklassement bei einem der anspruchsvollsten Rennen aller Zeiten – der Targa Florio auf Sizilien. Hier ein historisches Sammelbild, das den geschmückten Wagen nach dem Rennen zeigt.Mercedes_28-95_PS_Targa-Florio_1921

© Mercedes Typ 28/95 PS von 1921; historisches Zigarettenbild aus Sammlung Michael Schlenger

Zurück zum kleinvolumigen 6/25/40 PS-Modell. Man möchte kaum glauben, dass so eine feine Maschine, die sich in leichtgewichtigen Sportwagen vielfach bewährte, auch in herrschaftlichen Limousinen verbaut wurde. Und doch hat es das gegeben. Darauf gebracht hat den Verfasser ein Leser dieses Blogs – Lutz Heimhalt aus Fuhlsbüttel – der ihm ein Foto aus Familienbesitz in Kopie zur Verfügung gestellt hat.

Eigentlich ging es ihm nur darum, den Wagentyp zu identifizieren, doch nun hat sich das Fahrzeug als so außergewöhnlich herausgestellt, dass hier eine nähere Besprechung der großartigen Aufnahme erfolgen soll. Das ist das gute Stück:

Mercedes

© Mercedes Typ 6/25/40 PS; Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Lutz Heimhalt

Die Ansprache als Mercedes vor der Fusion der Firmen Daimler und Benz (1926) erlaubt der schlichte Stern auf dem Kühler. Ansonsten gab es Wagen ähnlichen Typs mit Spitzkühler kurz vor und nach dem 1. Weltkrieg auch von Adler, Horch oder Opel.

Die dem Verfasser zugängliche Literatur zur Mercedes-Wagen jener Zeit liefert ein Bild, das demjenigen auf dem Privatfoto fast genau entspricht. Es handelt sich um eine Limousine des besagten Typs 6/25/40 PS vor der Kulisse eines herrschaftlichen Anwesens. Dazu wird das Baujahr 1922 angegeben.

Der Aufbau entspricht von der Proportion und beinahe allen Details dem Fahrzeug auf unserem Bild. Es gibt nur zwei Unterschiede: Zum einen sind die Kühlluftschlitze bei den beiden Wagen einmal weiter vorne und einmal weiter hinten angebracht.Das will bei nur 250 (!) gefertigten Exemplaren allerdings nicht viel heißen. Zum anderen ist der Handbremshebel bei dem hier gezeigten Fahrzeug noch außen angebracht, während er bei den Abbildungen in der Literatur bereits innen liegt.

Das letztgenannte Detail könnte ein Hinweis auf eine sehr frühe Entstehung des abgebildeten Mercedes 16/25/40 PS sein. Wie gesagt, wurde der Typ bereits 1921 vorgestellt, doch zogen sich die Vorbereitungen bis zur “Serien”fertigung bis 1923 hin. Erst dann galt der hochbelastete Motor als hinreichend drehzahlfest.

Für den Entstehungszeitpunkt des Fotos aufschlussreich ist ein näherer Blick auf den selbstsicher in die Kamera schauenden Herrn neben dem Mercedes:

Mercedes_Ausschnitt

Er trägt zu Hemd und Fliege einen auffallend kurz geschnittenen Mantel, wie er erst ab Mitte der 1920er Jahre üblich wurde. Der Mercedes war zu diesem Zeitpunkt bereits einige Jahr alt, wie auch die Delle am rechten Vorderschutzblech verrät.

Doch war der Wagen auch Ende der 1920er Jahre für die damaligen Straßenverhältnisse noch leistungsfähig genug. Die Spitzengeschwindigkeit von 100km/h war dabei weniger wichtig, als die jederzeit zum Überholen kurzfristig verfügbare Kompressorleistung. Man darf davon ausgehen, dass sich der nicht allzu schwere Wagen so souverän bewegen ließ, wie das die Besitzer geschätzt haben dürften. “Rasen” wollte man in einem so hochwertigen Auto ohnehin nicht.

Übrigens handelt es sich bei dem Herrn auf unserem Foto um den Großvater des Bildbesitzers Lutz Heimhalt. Er vermutet, dass sein Opa seinerzeit als Chauffeur angestellt war. Leider gebe es niemanden mehr in der Familie, der Genaueres sagen könne. Das ist natürlich bedauerlich, denn gerne hätte man mehr über das Verhältnis des Mannes zu “seinem” Mercedes erfahren.

Hier ist der Mercedes noch einmal voll besetzt zu sehen, am Steuer Fritz Heimhalt, der vielleicht mehr Teil der Familie war, als der Beruf des Chauffeurs vermuten lässt.

Mercedes_16-25-40_PS

© Mercedes Typ 6/25/40 PS; Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Lutz Heimhalt

Das sind in jeder Hinsicht seltene, schöne Fotos aus Familienbesitz, um die man Lutz Heimhalt beneiden darf. Er ist übrigens selbst Besitzer eines klassischen Mercedes-Roadster und freut sich über Besuch in seiner Online-Buchhandlung. Der kleine Werbehinweis ist keineswegs Zweck dieses Beitrags, sondern ist als Dankeschön für die Möglichkeit der Veröffentlichung eines außergewöhnlichen Fotos gedacht.

Ein “O.M.”-Transporter der 1920er Jahre in Holland

Historische Fahrzeugfotos sind in vielerlei Hinsicht reizvoll: Sie zeigen die heute allzuoft nur als Museumsstück dienenden Vehikel in ihrer einstigen Umgebung – häufig zusammen mit ihren ehemaligen Besitzern – und verraten viel darüber, wie sie im Alltag eingesetzt wurden.

Es gibt allerdings auch Abbildungen, bei denen sich zwar Fahrzeugtyp und sogar Aufnahmeort genau identifizieren lassen, die aber dennoch rätselhaft bleiben. Das folgende Originalfoto der 1920er Jahre ist ein gutes Beispiel dafür:

OM

© O.M. Lieferwagen Typ 469; aus Sammlung Michael Schlenger

Der recht große Abzug ist von technisch hoher Qualität, das war sicher keine Gelegenheitsaufnahme. Außer dem Wagen der Marke O.M. – dazu gleich mehr – ist nichts Spezifisches auf dem Foto zu erkennen, kein Nummernschild, keine Werbeaufschrift, auch keine Person.

Die italienische Marke O.M. ist hierzulande allenfalls Kennern des legendären Mille-Miglia-Rennens geläufig. Beim Auftaktrennen 1927 belegten Wagen des Typs O.M. 665 “Superba” die ersten drei Plätze.  Ein hübscher Zufall, dass ein in Brescia gebautes Automobil das dort beginnende Rennen so glanzvoll gewinnen sollte.

Der “O.M.”-Konzern hatte seinen eigentlichen Ursprung und Sitz aber in Mailand. Dort wurde 1849 ein Kutschbaubetrieb gegründet, der sich rasch Renommee erwarb und sich später auf den Bau von Eisenbahnwaggons verlegte. Daraus entstand 1899 eine Aktiengesellschaft, die in ihrem Firmennamen bereits den Zusatz “Officine Mecchaniche” – zu deutsch “Mechanische Werkstätten” – trug. Sie stieg in den Lokomotivbau ein, den sie bis in die 1950er Jahre erfolgreich betrieb.

Das Mailänder Unternehmen erwarb noch während des 1. Weltkriegs – 1917 – die Automobilfertigung des Herstellers Brixia-Züst mit Sitz in Brescia. Die Autosparte blieb formal selbständig und firmierte später unter “O.M. Fabbrica Bresciana di Automobili.” Die PKW-Produktion konzentrierte sich auf die 1920er Jahre, später verlegte man sich – als Teil des Fiat-Konzerns – auf den Nutzfahrzeugbau.

So deutet der Wagen auf unserem Foto bereits auf die spätere Ausrichtung der Firma hin. Werfen wir einen genaueren Blick darauf:

OM_Ausschnitt

Die Frontpartie mit dem Kühler in klassicher Tempelform ähnelt zeitgenössischen Modellen von Fiat, ist aber im Detail eigenwilliger ausgeführt. Die Form der Scheinwerferhalter und der raffinierte obere Abschluss der Motorhaube erlauben eine Ansprache als Modell O.M. 469. Dabei steht die erste Ziffer markentypisch für die Zylinderzahl, während die beiden folgenden das Maß der Zylinderbohrung angeben.

Das Modell 469 wurde ab 1922 in zahlreichen Ausführungen gebaut (Bildbeispiel), wobei der Hubraum von anfangs 1,4 Litern im Lauf der Jahre anstieg. Ob der geschlossene Transporteraufbau des Wagens auf unserer historischen Aufnahme von O.M. stammt, ist ungewiss. Offenbar handelt es sich um einen kleinen Lieferwagen, der an der Seitenfläche ein nicht näher erkennbares Logo aufweist.

Der abgebildete Wagen scheint zum Zeitpunkt der Aufnahme neu gewesen zu sein. Merkwürdig nur, dass sich der Besitzer nicht hat stolz damit ablichten lassen. Vollends rätselhaft ist der handschriftliche Vermerk auf der Rückseite des Abzugs: “Amerongen” steht dort ohne Jahresangabe. Amerongen ist ein kleiner Ort in den Niederlanden in der Nähes des gleichnamigen Schlosses. Die Architektur im Hintergrund mit den hohen Schornsteinen würde dazu passen – in Italien ist diese Aufnahme jedenfalls nicht entstanden.

Da das Foto einen professionellen Eindruck macht, könnte es sich um die Dokumentation der lokalen Karosseriebaufirma handeln, die für den Aufbau verantwortlich war. Dann wäre das Foto im Hinterhof der Werkstatt oder beim Kunden entstanden.Vielleicht steckt aber auch etwas anderes dahinter.

Jedenfalls fragt man, sich wie ein so seltenes italienisches Fahrzeug einst in die Niederlande gekommen ist. O.M. hatte einen guten Ruf, aber sicher keine Vertretung außerhalb Italiens (und eventuell noch der Schweiz). Wer weiß dazu mehr?

Wer sich für spätere Nutzfahrzeuge der in den 1970er Jahren untergegangene Marke O.M. interessiert, findet nachfolgend ein schönes Beispiel:

OM-Bus der 50er Jahre in Atrani_2

© O.M. Omnibus in Atrani (Amalfiküste, Italien); Bildrechte: Michael Schlenger

Winterfoto eines DKW F7 “Spezial” von 1937

Freunde der frontgetriebenen Zweitaktmodelle von DKW finden auf diesem Blog einiges an Anschauungsmaterial – vom F1 bis zum F8 ist jeder Typ vertreten. Einen Überblick über alle einschlägigen Beiträge findet sich unter dem Begriff “DKW” in der Schlagwortwolke.

Dennoch gibt es noch immer Varianten, die eine eigene Abhandlung verdienen. Im vorliegenden Fall geht es um den Wagen auf dem folgenden schönen Winterfoto:

DKW_F7_Reichsklasse_Spezial

© DKW Front F7 Baujahr 1937; Fotoquelle: Sammlung Michael Schlenger

Auf den ersten Blick scheint das Foto wenig Aufregendes zu bieten. Kenner werden zurecht auf ein relativ spätes Modell des Typs F7 tippen. Die Form und Zahl der Kühlluftschlitze in der Haube sowie der gerade verlaufende vordere Türabschluss verraten das.

Manch’ einer wird aus dem reichen Chromschmuck außerdem ableiten, dass es sich um die gehobene Variante “Meisterklasse” handeln müsse. Sie unterschied sich bei den DKW-Fronttrieblern seit jeher von der günstigeren “Reichsklasse” durch den etwas stärkeren Motor (700ccm mit 20 PS statt 600 ccm mit 18 PS), eine attraktivere Karosserie und hochwertigere Innenausstattung.

Doch mit der Vermutung, dass man eine “Meisterklasse”-Ausführung vor sich hat, liegt man falsch. Vielmehr handelt es sich um eine Zwischenvariante mit der Bezeichnung “Reichsklasse Spezial”. Die Besonderheiten dieser erstmals beim Typ F7 angebotenen Version lassen sich auf folgender Ausschnittsvergrößerung unseres Bildes herausarbeiten:

DKW_F7_Reichsklasse_Spezial_Front

Ein erster Hinweis, dass der Wagen nicht über die “Meisterklasse”-Ausstattung verfügt, sind die lackierten Radkappen – in der gehobenen Variante wären sie verchromt gewesen. Des Weiteren fehlt der Einlass an der Oberseite der Frontscheibe, der beim F7 “Meisterklasse” eine Belüftung des Innenraums erlaubte. Nicht zuletzt spricht die Farbgebung gegen eine “Meisterklasse”-Ausführung, die eine die Wagenlinie betonende Zweifarblackierung aufwies.

Was unterscheidet die “Reichsklasse Spezial” von der Basisversion? Nun, da wären zunächst die Chromstoßstangen, die es bei der “Reichsklasse” nur als Sonderzubehör gab. Vor allem aber kam die “Reichsklasse” ohne die Chromzierleisten an der Motorhaube und um die Windschutzscheibe daher. Nicht zuletzt gab es die beiden feinen Zierleisten in der Kühlermitte nur bei der Austattung “Reichsklasse Spezial”-

Was wir leider nicht sehen können, ist die gegenüber einer schlichten “Reichsklasse” etwas großzügigere Innenausstattung des Wagens. So wurde serienmäßig neben dem Tacho eine Benzinuhr verbaut, außerdem gab es eine Innenbeleuchtung und etwas gediegener verarbeitete Sitze.

Die auf dem Foto gut sichtbare, innen montierte Scheibenheizung war ein Zubehör aus dem Handel, dort waren auch die ganze Scheibe abdeckende Versionen erhältlich. Die Zweifach-Scheibenwischer waren auf Bestellung auch bei der Reichsklasse erhältlich, waren also nicht an eine spezielle Ausstattungsvariante gebunden. Die geben uns aber einen Hinweis auf das Baujahr des Wagens. Denn nur 1937 waren die Wischer unten montiert, im Jahr darauf wanderten sie nach oben.

Auch das Aufnahmejahr lässt sich eingrenzen. Der Wagen trägt ein Nummernschild des Deutschen Reichs, wobei das Kürzel “IV B” eine Zulassung im damaligen Land Baden anzeigt. Der Wagen trägt noch keine Tarnüberzüge auf den Scheinwerfern und auf dem Nummernschild fehlt der markante Haken für Privatwagen, die mit Sondergenehmigung auch nach Kriegsausbruch 1939 weitergenutzt werden durften.

Somit ist das Foto entweder im Winter 1937/38 oder 1938/39 entstanden. Damals stand es um die politische Großwetterlage in Europa bereits denkbar schlecht und der Besitzers des Wagens schaut dazu passend mit gemischten Gefühlen in die Ferne…

Rätselhaft bleibt der in feiner Kursivschrift verfasste Vermerk auf der Rückseite: “Auf einer Fahrt zum Kurs, mein Meister Lutz”.

Ford Eifel im Wintereinsatz bei der Wehrmacht

Auch wenn heute abend (23. Februar 2016) die ersten Wildgänse über Bad Nauheim nach Osten in Richtung ihrer Sommerquartiere flogen, ist der Winter wohl noch nicht ganz vorbei. Und solange der Bilderfundus dazu passende Aufnahmen hergibt, genießen Fotos von Autos im Wintereinsatz Vorrang auf diesem Blog.

Vor einiger Zeit geriet der Verfasser an den nachstehenden Abzug im ungewöhnlich großen Format von 18×13 cm. Vermutlich ist das Foto aber im Kleinbildformat entstanden, denn für eine Großbildkamera ist die Schärfe nicht ausreichend.

Ford_WH_Eifel_Wk2

© Ford Eifel Baujahr 1937-39 bei der Wehrmacht; Fotoquelle: Sammlung Michael Schlenger

Stimmungsvoll ist die Aufnahme aber allemal und man darf einen erfahrenen Amateur als Urheber vermuten. Angesichts der extremen Helligkeitsunterschiede hat er die einzig richtige Belichtung gewählt. So weist die Schneelandschaft im Hintergrund noch viel Zeichnung auf, gleichzeitig sind die Schattenpartien im Vordergrund nicht völlig “zugelaufen”. Mehr Differenzierung war in einer solchen Situation mit dem damaligen Filmmaterial kaum möglich.

Auch der Bildbau ist gekonnt, der Schneewall neben der geräumten Straße ist geschickt in die Gestaltung einbezogen und die Silhouetten der beiden Männer sorgen für eine wirkungsvolle Zentrierung. Uns interessiert aber mehr der Wagen, der neben ihnen steht; schauen wir ihn uns näher an:

Ford_WH_Eifel_Wk2_Ausschnitt Der keilförmige Kühler mit der schemenhaft erkennbaren Kühlerfigur ist typisch für Ford-Modelle der späten 1930er Jahre. Größe und Proportionen weisen auf einen europäischen Typ hin – es handelt sich eindeutig um einen Ford “Eifel” in der von 1937-39 gebauten Ausführung.

Die für das Modell charakteristische mittig abwärtsgeknickte Stoßstange – ein seltenes Detail bei deutschen Fahrzeugen – ist ansatzweise zu erkennen. Man kann sie unterhalb des Nummernschilds nach rechts verfolgen und ahnt dann den weiteren Verlauf.

Dass von der durchgängig verchromten Stoßstange so wenig zu sehen ist, ist mit der Aufnahmesituation zu erklären. Es handelt sich um einen von der deutschen Wehrmacht eingezogenen Privatwagen, dem der beim Militär übliche mattgraue Anstrich verpasst wurde. Da Lack auf Chrom am schlechtesten haftet, geht er dort auch am schnellsten wieder ab, Ansätze dazu sind auf dem Foto zu erkennen. Wer genau hinsieht, kann auf dem in Fahrtrichtung linken Schutzblech die aufgemalten Buchstaben “WH” erahnen, die für “Wehrmacht Heer” standen.

Das zivile Nummernschild mit Kennung “IE” für Provinz Brandenburg ist allerdings noch vorhanden. Oft war keine Zeit zur Montage eines militärischen Kennzeichens, das dann ebenfalls mit “WH” begonnen hätte. Kurios ist, dass nur einer der Scheinwerfer den üblichen Tarnüberzug trägt, der Nachtfahrten erlaubte, ohne dass das Fahrzeug gleich kilometerweit zu sehen ist. Dies ist ein Indiz dafür, dass das Bild an einem sicheren Ort fern der Front entstanden ist. Die beiden Soldaten scheinen keinerlei Ausrüstung bei sich zu haben, sie tragen nur die Feldjacke mit den aufgesetzten bauchigen Taschen.

Wo könnte eine solche Aufnahme entstanden sein? Leider trägt das Foto auf der Rückseite keinen entsprechenden Hinweis, sodass man auf Vermutungen angewiesen ist. Für eine Entstehung in Russland sieht das Bild zu sehr nach einer friedlichen Lustreise aus. Auch die geräumte und offenbar solide Straße spricht gegen einen Aufnahmeort im Osten. Und einen Ausflug in die heimischen Alpen mit einem Militär-PKW und rationiertem Benzin darf man im Krieg ebenfalls ausschließen.

Die Landschaft wirkt zudem eher skandinavisch und dann käme nur Norwegen als Aufnahmeort in Betracht, das 1940 von deutschen Truppen besetzt wurde, um der Bildung eines britischen Stützpunktes in dem rohstoffreichen Land zuvorzukommen. Die rechtswidrige Besetzung des neutralen Norwegens nahm man ebenso in Kauf, wie das die in diesen Fragen auch nicht pingeligen Briten vorhatten.

Norwegen blieb bis 1945 besetzt und spielte eine wichtige Rolle bei der Versorgung der deutschen Rüstungsindustrie mit sonst nicht ausreichend vorhandenen Metallen. Abgesehen von begrenzten Auseinandersetzungen mit Widerstandsgruppen blieb die Lage in Norwegen bis zur Kapitulation vergleichsweise friedlich, wenngleich das Land unter der Fremdherrschaft natürlich litt, auch wirtschaftlich.

Dennoch konnten die einigen hunderttausend deutschen Soldaten in Norwegen von Glück reden, da es ihnen wenigstens dort erspart blieb, für die vermessenen Ziele ihrer politischen und militärischen Führung ins Feuer gejagt zu werden. Diese Situation würde am besten zu der friedlichen Stimmung auf dem Foto passen.

Der Rücktransport der Soldaten aus Norwegen zog sich übrigens bis Sommer 1946 hin. und man kann sich vorstellen, dass mancher es nicht allzu eilig hatte, in ein am Boden liegendes Deutschland zurückzukehren. Der Ford Eifel ist damals sicherlich im Norden zurückgeblieben und hat mit seinem soliden 1,2 Liter-Vierzylinder mit 34 PS – diese Zahlenkombination wird VW-Freunden bekannt vorkommen – einem Einheimischen vielleicht noch gute Dienste geleistet…

DKW F5 Luxus-Cabriolet: “Der kleine Horch”

Die populäre Marke DKW aus Zschopau/Sachsen hatte bereits mit dem 1934 vorgestellten Typ F4 gezeigt, wie elegant ein kleiner Wagen aus deutscher Produktion sein kann. Ohnehin fällt auf, dass die Kreationen der sächsischen Hersteller und Karosseriebauer der Vorkriegszeit oft stilsicherer und leichter wirkten als die Konkurrenzprodukte aus dem Westen des Deutschen Reichs.

1935 wagte DKW auf Basis des Typs F5 einen Wurf, der die luxuriöse Optik der grandiosen Horch-Wagen aus dem Auto-Union-Verbund mit der anspruchslosen Zweitaktmotorisierung und dem damals noch exotischen Frontantrieb verband.

Um es vorwegzunehmen: Der Spagat gelang und der Verkaufserfolg übertraf bei weitem die Erwartungen. Eigentlich wollte man nur einige hundert Exemplare eines Luxus-Cabriolets bauen, das eine exklusive Karosserie sowie hochwertige Details wie Lederpolster, gefüttertes Verdeck und Drahtspeichenräder bot.

DKW_F5_Luxus-Cabriolet

© DKW F5 Luxus-Cabriolet, Baujahr 1937; Bildrechte: Audi AG

Zwar war der in den Horch-Werken bzw. bei Hornig karossierte Wagen nicht billig, doch am Ende reichte die Nachfrage für gut 3.000 Exemplare des DKW F5 Luxus Cabriolets.

Ein zeitgenössisches Bild eines solchen Wagens aufzutreiben, darf angesichts der Stückzahlen als Glücksfall gelten. Im vorliegenden Fall muss man sich mit einem Originalfoto begnügen, das nur einen Teil des Autos zeigt, aber genügend Details zur Identifikation und näherungsweisen Ermittlung des Baujahrs enthält:

DKW_F5_Luxus-Cabriolet_1936-37

© DKW F5 Luxus-Cabriolet 2-sitzig, Baujahr 1936/37; Fotoquelle: Sammlung Michael Schlenger

Das entscheidende Detail auf dieser reizenden Aufnahme, das den Wagentyp verrät, ist die einzigartige Ausführung der seitlichen Zierleiste in Form eines Kometenschweifs. Die kurzen Speichen und großen Radkappen der Räder sprechen für 1936 als frühestes Baujahr. Gegen eine Entstehung nach 1937 sprechen der unten montierte Winker (danach in der A-Säule) und die niedrige Frontscheibe.

Der DKW sieht karosserieseitig schon etwas mitgenommen aus – wobei einige Kratzer dem Zustand des Fotos geschuldet sind. Das Verdeck dagegen macht noch einen fast neuwertigen Eindruck. Auffallend ist der nicht verchromte Verdeckbügel, den man erst bei späten Modellen sieht. Es bleibt die Frage: Wann und wo ist die Aufnahme entstanden? Der Kleidung, Frisur und schlanken Figur der Damen auf dem Foto nach zu urteilen ist bis in die späten 1940er Jahre alles möglich.

Der Verfasser vertritt folgende These: Der Besitzer des DKW ist auf Besuch bei seiner nicht minder flotten Freundin – die im Auto sitzt und vermutlich in einer öffentlichen Einrichtung arbeitet oder zur Ausbildung ist. Aufgereiht neben dem Auto sind ihre Kolleginnen, die gerade Spaß miteinander haben.

Das Foto wird der DKW-Fahrer selbst geschossen haben. Er hatte ein gutes Auge und auch Glück  – nicht nur hinsichtlich Auto und Freundin –  denn er hat im rechten Moment auf den Auslöser gedrückt. So gelungene Privatfotos von Menschen mit Automobilen sind selten.

Übrigens gab es auch eine von der Karosseriefirma Baur gefertigte viersitzige Ausführung des DKW F5 Front Luxus Cabriolets.

1928: Ein Citroen B14 “Made in Germany” am Klausenpass

Ein interessantes, aber unterbelichtetes Kapitel der deutschen Automobilhistorie sind die Fremdfabrikate, die hierzulande in Lizenz oder aus Bausätzen montiert wurden, vor allem in der Zwischenkriegszeit. 

Ein Beispiel dafür wurde hier kürzlich vorgestellt – Citroens 8 bzw. 10 CV-Modell aus den 1930er Jahren, bekannt als “Rosalie“. Die französische Marke begann bereits in den 1920er Jahren, ihre wichtigsten Modelle in Deutschland zu produzieren.

1927 startete Citroen in Köln mit der Fertigung des B14. Wenn einem das nichts sagt, ist das keine Bildungslücke – der Verfasser stieß auch erst durch folgendes Originalfoto auf den ihm bis dahin unbekannten Typ:

Citroen_B14_Klausenpass_1928

© Citroen B14, aufgenommen 1928 am Klausenpass, aus Sammlung Michael Schlenger

Das grandiose Bergpanorama weckt Assoziationen an die amerikanischen Rocky Mountains, und auch das Auto könnte auf den ersten Blick ein amerikanischer Typ der 1920er Jahre sein. Doch muss sich das gute alte Europa in punkto landschaftlicher Höhepunkte nicht hinter der Neuen Welt verstecken. Zudem weist der Wagen eine ganze Reihe von Charakteristika auf, die seine europäische Herkunft verraten.

Auffallend ist die schlanke Silhouette mit dem hohen Aufbau, die in den USA unüblich war. Dort bevorzugte man von jeher den breiten Auftritt, schließlich mussten sich die Autos auch abseits geteerter Straßen im Gelände bewähren. Weiteren Aufschluss gibt folgender Bildausschnitt:

Citroen_B14_Ausschnitt

Auf den Reifen ist der Schriftzug “Michelin” zu erkennen, was für ein französisches Fabrikat spricht. In Frankreich wäre man seinerzeit nicht auf die Idee gekommen, deutsche oder britische Reifen zu montieren – dasselbe galt natürlich auch umgekehrt. Die Bevorzugung heimischer Zulieferteile hatte meist logistische Gründe, muss also nicht als Ausdruck von Nationalismus gewertet werden.

Die hufeisenförmige Kühlermaske gibt einen Hinweis auf Citroen als Hersteller. Die Anordnung der Kühlluftschlitze in der Motorhaube und die Zugknöpfe des Werkzeugkastens oberhalb des Trittbretts erlauben schließlich die Ansprache als Modell B14, das von 1926-29 in fast 140.000 Exemplaren gebaut wurde.

Das Mittelklassemodell war mit seinem 1,5 Liter-Seitenventiler und 25 PS technisch unprätentiös, verfügte aber über Vierradbremsen – damals noch keine Selbstverständlichkeit. Außerdem waren die Wagen markentypisch solide konstruiert und zuverlässig. Vor allem die rückwärtigen Passagiere genossen ein großzügiges Platzangebot, gleichzeitig ließ der schlanke Aufbau den Wagen elegant wirken.

Die schmale Linie ist gut auf folgendem Foto zu erkennen, das einen Citroen B14 im 1947 entstandenen französischen Films “Non coupable – Nicht schuldig” zeigt:

Citroen_B14_Filmfoto

© Citroen B14, Filmfoto von 1947; Bildquelle: www.imcdb.org

Kommen wir zur Aufnahmesituation. Laut umseitiger Beschriftung ist das Bild 1928 am Klausenpass in der Schweiz entstanden. Der genaue Ort lässt sich anhand der  Bergformation im Hintergrund eingrenzen: Der Blick geht ostwärts vom oberen Ende des Urnerbodens, im Hintergrund ist der Ortstock zu sehen (Situation heute).

Interessant ist das deutsche Kennzeichen des Citroen. Das Kürzel “II Z” verweist auf eine Zulassung im Kreis Schwaben (zu Bayern gehörig). Da wir es mit einem weitab von der französischen Grenze in Deutschland zugelassenen Wagen zu tun haben, ist es sehr wahrscheinlich, dass das Auto aus deutscher Produktion stammt.

Citroen fertigte von 1927-28 im Kölner Werk knapp 9.000 Exemplare des Typs B14 und setzte dabei auch Zulieferteile aus deutscher Produktion ein, beispielsweise Solex-Vergaser und Bosch-Elektrik.

Im wirtschaftlich schwierigen Umfeld jener Zeit einen solchen Erfolg in Deutschland zu landen, spricht für das Preis-Leistungsverhältnis der Wagen von Citroen. Es ist kein Zufall, dass Opel seinerzeit im Kleinwagensegment nichts Besseres einfiel, als den Typ 5CV der französischen Konkurrenz zu kopieren. Dazu gelegentlich mehr…

1938: Wintersportfreuden mit einem DKW F7

Die hübschen Fronttriebler der 1930er Jahre von DKW gehörten seinerzeit zu den meistverkauften Autos in Deutschland. Nach den Bildberichten zu den Vorgängern F1, F2 und F4 soll es hier um das Modell F7 gehen, das 1937/38 gebaut wurde.

Technisch bot der Wagen keine Überraschungen: Nach wie vor wurden in den beiden Ausführungen “Reichsklasse” und “Meisterklasse” 2-Zylinder-Zweitaktmotoren  mit 600 bzw. 700 ccm verbaut, die 18 bzw. 20 PS leisteten. In Verbindung mit der kunstlederbezogenen, leichten Sperrholzkarosserie reichte das für 80 bzw. 85 km/h Höchstgeschwindigkeit.

Das folgende Originalfoto zeigt einen solchen DKW F7:

DKW_F7_Dezember_1938

© DKW F7, aufgenommen Weihnachten 1938, aus Sammlung Michael Schlenger

Gegenüber dem Vorgänger F5 ( das Modell F6 war nur ein Prototyp) wies die Karosserie eine Reihe von Änderungen auf. Markant war insbesondere die höhere Dachlinie, die eine größere Frontscheibe ermöglicht. In der Vorderansicht ist dieses Detail das einzige, das eine sichere Identifikation des Wagens erlaubt.

Beim näherem Hinsehen sieht man nicht nur die hinter der Frontscheibe verbaute Heizung – ein Nachrüstteil – sondern auch die oben montierten Scheibenwischer. Sie wanderten erst 1938 dorthin, vorher waren sie unterhalb der Scheibe befestigt:

DKW_F7_Dezember_1938_Ausschnitt.jpg

Damit ist das Baujahr des Wagens gesichert, denn auf der Rückseite trägt das Foto den handschriftlichen Vermerk: 25. Dezember 1938. Der DKW war also zum Aufnahmezeitpunkt erst einige Monate alt, was die Besitzer jedoch nicht davon abhielt, ihn zu einem Wintersportausflug zu nutzen.

Die drei Ausflügler tragen zeittypische Wintersportkleidung – über der Brust gedoppelte kurze Jacken, die den Fahrtwind abhalten und zugleich Bewegungsfreiheit in der Hüfte geben. Die Hosen sind aus schwerer Wolle, die dank des materialeigenen Fetts Nässe eine ganze Weile fortzuhalten vermag:

DKW_F7_Dezember_1938_Ausschnitt2Im Zeitalter kunststoffbasierter “Funktionskleidung” kann man sich kaum vorstellen, dass unsere Vorfahren so auf die Piste gingen – und das auch noch ohne Sturzhelm. Aber diese Generation war aus einem anderen Holz geschnitzt als unsereins – schließlich fuhren die Leute auch meist ohne Heizung im Winter herum, wenn sie überhaupt Wagenbesitzer waren.

Bedauerlich, dass die Leidensfähigkeit dieser Generation von Politikern zur Durchsetzung ideologischer Zwangsvorstellungen missbraucht wurde. Dass das Volk in elementaren Fragen seiner Existenz nicht gehört wird, zeigt sich leider auch in unseren Tagen wieder. Übrigens trägt der DKW auf unserem Foto ein Nummernschild der Provinz Schlesien (Kürzel IK). Sofern die abgebildeten Personen den 2. Weltkrieg überlebt haben, stand ihnen damals auch noch der Verlust der Heimat bevor.

1916: Ein deutsch-belgischer “Bergmann” im Krieg

Wer sich nach der Überschrift fragt, ob er auch im richtigen Blog sei, kann beruhigt sein: Auch beim folgenden Eintrag geht es natürlich um ein historisches Gefährt, aber auch um die allgemeinen Verhältnisse in seiner Zeit.

Die Geschichte ist verwickelt, doch spannend genug, um sie ausführlich zu erzählen: Sie beginnt Mitte des 19. Jh. im frankophonen Süden Belgiens, der frühzeitig stark industriell geprägt war, während im flämischen Norden des Landes der Handel dominierte. In jener Zeit gehörte Belgien zu den wichtigsten Industriestandorten Europas, wo zeitweilig auch Motorrad- und Autohersteller florieren sollten.

Nach Gründung der Eisenbahnfabrik La Métallurgique in Belgien baute man ab 1899 auch Automobile, zunächst Wagen mit Kettenantrieb. Doch schon wenig später rückte die Firma zu den führenden Autoherstellern auf dem Kontinent auf.

Dafür sorgte der deutsche Ingenieur Ernst Lehmann, der 1903 von Daimler zu Métallurgique wechselte. Zusammen mit seinem Landsmann Martin Stolle (später bei BMW) schuf er eine Reihe moderner Sportwagen, die mit Motorenleistungen von 80 bis 100 PS aufwarteten. Daneben gab es Modelle mit kleineren Aggregaten mit 18 und 40 PS, die für den Ruf der Marke Métallurgique aber weniger wichtig waren.

Ein Merkmal dieses Produkts deutsch-belgischer Kooperation war der Spitzkühler, wohl der erste seiner Art überhaupt (ab 1906). Unverwechselbar war das pyramidenförmige Oberteil des Kühlergehäuses. Dieses Detail ermöglichte die Identifikation des Wagens auf folgendem Originalfoto: Bergmann-Metallurgique

© Bergmann-Métallurgique, aufgenommen im Jahr 1916, aus Sammlung Michael Schlenger

Bevor wir uns der Aufnahmesituation zuwenden, ein weiterer interessanter Exkurs: Seit 1905 gab es eine Niederlassung der Firma Métallurgique in Deutschland  (Köln). Diese wurde auf Initiative von Herzog Ludwig von Bayern, dessen Schwester mit dem belgischen (!) König verheiratet war, von der Berliner Bergmann Elektrizitätswerke AG übernommen, die auch Elektroautos (ein alter Hut…) baute.

Diese weitere deutsch-belgische Verbindung wurde dadurch unterstrichen, dass der autobegeisterte Herzog sich nicht zu schade war, Mitglied des Aufsichtsrats der neu gegründeten Bergmann-Métallurgique-Gesellschaft zu werden. Sie baute die Wagen von Métallurgique bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs in Lizenz.

Die bis dahin gedeihliche Verbindung deutscher und belgischer Schaffenskraft fand mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 ein jähes Ende. Die deutschen Truppen rückten in Erwartung eines raschen Sieges wie 1870/71 im August durch das neutrale Belgien vor und besetzten dieses.

Zwei Jahre später, im Jahr 1916, war Belgien immer noch vom deutschen Militär besetzt, doch eine Entscheidung des Kriegs war in weiter Ferne. Nach der gescheiterten deutschen Offensive gegen Verdun kam es ab Sommer 1916 zur Schlacht an der Somme, die 1 Million Soldaten das Leben kostete, ohne dass es zu einer Änderung der Lage kam.

In dieser Zeit gnadenloser Stellungskämpfe ist die oben vorgestellte Aufnahme entstanden. Es handelt sich um ein im Postkartenformat abgezogenes Foto. Auf der Rückseite schreibt wahrscheinlich der im Auto sitzende Träger eines imposanten Schnauzbartes mit Datum vom 15. August 1916 an eine ihm nahestehende Person.

Bergmann-Metallurgique_Ausschnitt

Die Ausschnittsvergrößerung lässt erkennen, dass die beiden Soldaten Lederjacken mit doppelter Knopfleiste und Schutzbrillen tragen – sicher waren sie Fahrer hoher Offiziere, denen als einzigen im 1. Weltkrieg Automobile zur Verfügung standen. Die beiden konnten von Glück reden, dass Ihnen der Dienst in den Schützengräben erspart blieb, und sie waren sich vermutlich ihrer privilegierten Stellung bewusst.

Es kann sein, dass dieser Wagen kein in Belgien beschlagnahmter Métallurgique war, sondern ein in Deutschland in Lizenz produzierter Bergmann-Métallurgique. Das auf der Karosserie angebrachte Wappen des bis 1918 existierenden Königreichs Bayern verweist auf eine Einheit der bayrischen Armee, wobei das Kürzel E.K.K.65 auf der Motorhaube vermutlich die Truppenbezeichnung ist (wer weiß mehr darüber?).

Es ist ein merkwürdiger Zufall, dass ausgerechnet eine Truppeneinheit aus dem Königreich Bayern, das einst für die Verbindung von Bergmann & Metallurgique gesorgt hatte, über einen solchen Wagen verfügt. Könnte dahinter mehr stecken?

Wir wissen es nicht. Jedenfalls ging der Krieg trotz des deutsch-österreichischen Friedensangebots von Ende 1916 erbarmungslos weiter. Erst zwei Jahre später war das Schlachten vorbei, danach wurde der deutschen Firma Bergmann die Lizenz um Bau von Métallurgique-Wagen entzogen. Bergmann baute bis 1939 Elektrofahrzeuge für die Deutsche Post, während Métallurgique 1928 die Autoproduktion einstellte.

Das hier gezeigte Auto ist damit ein Zeuge der komplizierten Verhältnisse, die zwischen den Völkern Europas vor 100 Jahren herrschten und seither nicht einfacher geworden sind. Eine Konstante scheint zu sein, dass die breite Bevölkerung in Europa für Ideale, Konflikte und Projekte einer “Elite” aus selbstherrlichen Politikern herhalten muss, ohne nach ihrer Meinung gefragt zu werden.

1930: Endlich ein “richtiges” Auto von Hanomag!

Der Maschinenbaukonzern Hanomag hatte mit seinem ersten PKW-Modell – dem eigenwilligen 2/10 PS “Kommissbrot” – Mitte der 1920er Jahre zwar eine gewisse Öffentlichkeitswirkung erlangt – doch mit einer Gesamtproduktion von nur 15.000 Exemplaren verfehlte man klar den Anspruch, ein Auto für’s Volk zu bauen.

Mittlerweile hatte Opels P4 einen großen Publikumserfolg erzielt – obwohl oder gerade weil er eine dreiste Kopie des Citroen 5 CV Typ C3 war. Gleichzeitig schickte sich DKW an, in der Kleinwagenklasse mitzuspielen. Wenn Hanomag mit dem PKW-Bau Erfolg haben wollte, musste man endlich ein vollwertiges Fahrzeug anbieten. Genau das gelang auf Anhieb mit den ab 1929/30 gebauten 3/16 PS bzw. 4/20 PS-Modellen.

Hier eine Originalreklame für das zuerst vorgestellte 2-Sitzer-Cabriolet mit “Schwiegermuttersitz” im Heck:

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© Hanomag-Originalreklame um 1929/1930 aus Sammlung Michael Schlenger

Der hübsche Wagen bot zwar technisch nur Hausmannskost: Der wassergekühlte 4-Zylinder-Seitenventiler mit 800 ccm (später 1.000 ccm) leistete gerade einmal 16 PS (später 20 PS), doch das Höchsttempo von 75-80 km/h war für die damaligen Straßen ausreichend. Die Firma Hanomag bürgte für eine solide Konstruktion – Zuverlässigkeit war seinerzeit wichtiger als Spitzenleistung.

Zum Beweis wurde noch 1929 ein serienmäßiges Fahrzeug unter Aufsicht des ADAC über eine Strecke von 10.000 km geschickt, die im Wesentlichen die Geröllpisten diverser Balkanstaaten abdeckte. Der Wagen überstand diese Tortur glänzend und existiert noch heute unrestauriert in einer Privatsammlung.

1930 legte Hanomag nach und bot auch eine Limousine an. Davon zeugt die folgende zeitgenössische Werbung:

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© Hanomag-Originalreklame um 1930 aus Sammlung Michael Schlenger

Interessant ist zum einen der Hinweis auf ein Differential, die erste Serie musste noch ohne ein solches auskommen. Zum anderen ist die Angabe “3-4 Sitze “aufschlussreich. Sie bedeutet verklausuliert, dass nur Platz für 3 Erwachsene in dem Wagen ist, ein kleingewachsener Passagier aber noch mitgekommen werden kann.

Übrigens spiegelt die eigentümliche Schreibweise von Limousine und Cabriolet die Versuche zur Eindeutschung von Fremdwörtern wider, denen wir auch Schöpfungen wie die “Kekse” (von engl. “cakes”)  und das Kuvert (von frz.”couvert”) verdanken.

Da Reklamebilder schon immer ein möglichst günstiges Bild der beworbenen Fahrzeuge zeichneten, werfen wir einen Blick auf ein Originalfoto einer Hanomag-Limousine des Typs 3/16 PS bzw. 4/20 PS (äußerlich nicht zu unterscheiden):

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© Hanomag 3/16 oder 4/20 PS, Anfang der 1930er Jahre, aus Sammlung Michael Schlenger

Auf dem gestochen scharfen und gekonnt aufgebauten Foto wird deutlich, dass der Hanomag erwachsen wirkte, zumindest gemessen an der Körpergröße unserer Vorfahren. Zu dem Eindruck trägt sicher auch die Stoßstange bei, die wohl nachgerüstet wurde und möglicherweise von einem anderen Fahrzeug stammt.

Auch ohne Vergrößerung gut erkennbar sind der Kühlerüberzug, der bei Winterbetrieb unerlässlich und für alle gängigen Fahrzeuge als Zubehör erhältlich war. Sehr schön zur Geltung kommt auch die typische Kühlerfigur, die das Wappentier des Landes Niedersachsens zeigt, in dem Hanomag ansässig war.

Der Wagen macht auf dem Foto bereits einen gut gebrauchten, aber nicht heruntergekommenen Eindruck. Der Stolz des mutmaßlichen Besitzers ist unübersehbar. Wer sich für zeitgenössische Kleidung jener Zeit interessiert, sollte einen Blick auf folgende Ausschnittsvergrößerung werfen:

Hanomag_4-20PS_1930-31_Ausschnitt

Der gutgekleidete Herr trägt keineswegs Reitstiefel, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Stattdessen hat er zu seinen Halbschuhen passende Ledergamaschen angelegt. Damit ist eine ähnliche Optik erzielbar, ohne sich der Prozedur des Stiefelan- und -ausziehens unterziehen zu müssen. Dazu passend trägt er eine Kniebundhose mit seitlicher Schnürung und sicherlich Kniestrümpfe, sodass auch nach Ablegen der Gamaschen ein ordentliches Erscheinungsbild gewährleistet war.

Insgesamt hat man den Eindruck, dass es sich um eine Szene in ländlicher Umgebung handelt. Das Kennzeichen verweist auf eine Aufnahme in der Gegend von Braunschweig.  Wer Freude an so etwas hat, wird die handwerklichen Details an der Hausfassade im Hintergrund registrieren, die bei heutigen “Sanierungen” oft ohne Not und ohne Gespür zerstört oder durch minderwertiges Material ersetzt werden…

Eleganz im Kleinformat: DKW F4 von 1934/35

Zu den einst populärsten deutschen Vorkriegsautos – und bis heute zu den verbreitetsten Klassikern jener Zeit – gehören die kleinen Zweitaktmodelle von DKW aus dem sächsischen Zschopau.

Das lag gewiss nicht am mäßigen Temperament und dem wenig stabilen Aufbau der Wagen. Ein Gutteil des Erfolgs lässt sich wohl mit den von Anfang an gelungenen Linien erklären – so attraktiv verpackte sonst kein Hersteller ein Auto dieses Formats.

Nachdem wir uns bereits mit DKWs Erstling, dem Typ P 15 PS,und dem Typ F2 befasst haben, soll nun der DKW F4 den gestalterischen Anspruch der Marke illustrieren. Mit dem 1934 vorgestellten Modell blieb zwar technisch fast alles beim alten – 20 PS aus einem 700ccm-Zweizylinder verbunden mit Frontantrieb –  doch karosserieseitig gab es einen Sprung eine ganze Klasse nach oben.

Anhand des folgenden Originalfoto lässt sich dies nachvollziehen:

DKW_F4

© DKW Typ F4 von 1934/35; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bevor wir uns den Details widmen, sei daran erinnert, dass DKW seit 1932 Teil des Auto-Union-Konzerns war, dem auch die Oberklassemarken Audi, Horch und Wanderer angehörten. Äußerlich erkennbar war die Zugehörigkeit zur Auto-Union am Emblem mit den vier Ringen, das nach der Neugründung von Audi in den 1960er Jahren zum zeitlosen Erkennungszeichen der Marke avancierte.

Ab Mitte der 1930er Jahre sind die Bemühungen unübersehbar, die Wagen von DKW äußerlich den hochwertigen Fahrzeugen der übrigen Auto-Union-Marken anzunähern. Dies ist mit dem DKW F4 uneingeschränkt gelungen. Werfen wir nun einen näheren Blick auf die Feinheiten, die seine Klasse ausmachen:

DKW_F4_Ausschnitt

Am augenfälligsten ist wohl die neu gestaltete Kühlermaske, die nun schnittiger im Wind steht und erstmals eine verchromte Umrandung aufweist. Zu nennen ist des Weiteren die serienmäßige Montage von Stoßstangen – viele ältere DKWs tragen auf historischen Fotos lediglich nachgerüstete Teile, mitunter von ganz anderen Wagen.

Neu sind auch die verchromte Zierleiste an der Motorhaube, die nun bis an die Frontscheibe reicht und deren schräger Abschluss die dynamische Linie der A-Säule betont. Die Vorderkotflügel decken einen größeren Teil des Rades ab und schützen dank der seitlichen Schürzen nun die Karosserie besser vor Straßenschmutz.

Ein kleines, aber wichtiges Detail sind die geprägten Chromradkappen. Sie erlauben die Unterscheidung des Modells vom Nachfolgertyp F5, wo sie größer ausfallen. Erwähnenswert sind außerdem die großzügig dimensionierten Riemann-Scheinwerfer. Der Eindruck einer höheren Wagenklasse setzt sich im Innenraum fort: Das Armaturenbrett bot nun neben Tachometer und Benzinanzeige auch eine Zeituhr und einen Ampèremeter, alle Instrumente waren indirekt beleuchtet.

Angesichts dieser Ausstattungsqualität war es kein Wunder, dass der DKW F4 trotz seiner kurzen Bauzeit (1934/35) ein großer Erfolg wurde. Der Nachfolger, das Modell F5 sollte den Ruf der Marke weiter stärken, dazu gelegentlich mehr.

Leider lässt sich nicht genau sagen, was auf der unterhalb der A-Säule montierten Plakette steht. Mehr als “J.Herold” ist auf dem Originalfoto nicht zu entziffern – vermutlich war das der Name des Autohauses, das den DKW einst verkaufte. Das Nummernschild mit der Kennung “II H” verweist auf eine Zulassung in Oberfranken hin. Vielleicht weiß jemand, wo der Wagen damals in der Region erworben wurde.

Seltener Nachkriegs-Skoda: 1101 Tudor

Unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg brachten praktisch alle europäischen Hersteller – sofern sie überhaupt wieder zur PKW-Produktion fähig waren – zunächst kaum veränderte Vorkriegsmodelle heraus. Mercedes hielt im Fall des 170ers sogar bis in die 1950er Jahre an einem formalen Konzept der 30er fest.

Peugeot brachte immerhin 1948 mit dem Modell 203 ein neu konstruiertes Fahrzeug im amerikanischen Stil heraus, Borgward folgte 1949 mit dem Hansa in moderner Pontonform. Wer würde da glauben, dass ausgerechnet in der gerade erst  wieder neu gegründeten Tschechoslowakei bereits 1946 ein Wagen vorgestellt wurde, an dem kaum noch etwas an die Linien der 1930er Jahre erinnerte?

Der Verfasser wusste davon auch nichts, bis er auf das folgende Winterbild stieß:

Skoda_1101_Tudor_Österreich

© Skoda 1101 Tudor in Österreich, Ende der 1940er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Im ersten Moment ist man geneigt, an einen Ford Buckeltaunus der frühen 1950er Jahre zu denken, doch “passen” die Zierleisten am Kühler und die ausgeprägten Scheinwerferringe nicht. Da der Wagen wie eine Kreuzung aus Peugeot 203 und Renault 4 CV (“Cremeschnittchen”) wirkt, könnte man auch an ein französisches Fabrikat denken, doch auch hier: Fehlanzeige.

Erst die Recherche nach einem Vorkriegsmodell der tschechischen Marke Skoda – dem Popular 1100 – erbrachte zufällig die Lösung: Es handelt sich um den formal komplett überarbeiteten Nachfolger, den Skoda 1101 Tudor. Unter der gründlich modernisierten Karosserie wurde im Wesentlichen noch die Technik des Popular geboten: ein Vierzylinder mit 1,1 Liter Hubraum und 32 PS.

Aufgegeben wurde allerdings die Transaxle-Bauweise des Vorgängers, also die Anordnung des Getriebes hinter der Hinterachse. Dieses Detail lässt übrigens ahnen, dass Skoda vor dem 2. Weltkrieg zu den innovativen Herstellern gehörte, wenn man auch radikale Konzepte wie Tatra mied (Ausnahme: Stromlinien-Prototyp 935).

Mit dem 1101 Tudor bot Skoda ein seinerzeit konkurrenzfähiges und markentypisch solides Fahrzeug, das auch im Ausland abgesetzt werden konnte. Unser Foto liefert einen Beleg dafür:

Skoda_1101_Tudor_Österreich_Ausschnitt Der Blick auf das Nummernschild verrät, dass dieser Wagen in der österreichischen Steiermark zugelassen war. Die entsprechende Kennzeichensystematik verweist auf eine Zulassung frühestens im Jahr 1947. Sehr alt wird der Skoda zum Aufnahmezeitpunkt nicht gewesen sein, er macht vom Winterdreck an der Front abgesehen einen sehr guten Zustand.

Die Kleidung des großgewachsenen Mannes neben dem Skoda spricht ebenfalls für die späten 1940er Jahre. Auch vom verbreiteten Wohlstandsspeck besser Situierter in den 1950er Jahren ist nichts zu sehen. Sicher bedurfte es auch in Österreich nach dem verlorenen Krieg einer privilegierten Position, um sich einen Neuwagen leisten zu können.

Aus deutscher Produktion war zu dieser Zeit für Privatleute so gut wie nichts verfügbar. Die österreichische Qualitätsmarke Steyr, die in den 1920er/30er Jahren einen hervorragenden Ruf für leistungsfähige Wagen hatte, sollte nach dem Krieg nur noch Fiat-Modelle in Lizenz fertigen (teilweise mit eigenen Motoren) und auch das erst ab 1950. Somit stellten die Skoda-Wagen der frühen Nachkriegszeit aus der benachbarten Tschechoslowakei eine naheliegende Lösung dar.

Übrigens gelangten Exemplare des Skoda 1101 Tudor in der frühen Nachkriegszeit auch nach Ostdeutschland (Bildbericht). Schade nur, dass man solche interessanten Fahrzeuge hierzulande aufgrund der Fixierung auf wenige Marken und Prestigemodelle praktisch nicht zu sehen bekommt.

Ein Hanomag “Sturm” im russischen Winter

In der PKW-Palette der Hannoveraner Firma Hanomag war in den 1930er Jahren oberhalb des kompakten “Kurier” und des populären “Rekord” (Bildberichte 1, 2, 3) das Spitzenmodell “Sturm” angesiedelt.

Hanomag_Reklame© Hanomag PKW-Palette, Originalreklame der 1930er Jahre aus Sammlung Michael Schlenger

Wie bei Hanomag üblich bot der Wagen technisch keine Überraschungen, doch bekam der Käufer des “Sturm” ein großzügiges, solides und angemessen motorisiertes Fahrzeug in stilsicherer Verpackung.

Hier eine Originalreklame des von 1934-39 gebauten Wagens:

Hanomag_Sturm_Reklame

© Hanomag Sturm, Originalreklame der 1930er Jahre aus Sammlung Michael Schlenger

Man muss die Leistung des Wagens von 55 PS im damaligen Kontext sehen. Damit war der Hanomag Sturm einem Mercedes 230 durchaus ebenbürtig. Beide Wagen hatten einen 6-Zylinder-Motor, auch die Fahrleistungen waren vergleichbar (Spitze ca. 115 km/h). Allerdings verfügte das Aggregat des Hanomag bereits 1934 über hängende Ventile, während Mercedes bei der Vorstellung des 230ers im Jahr 1937 am überholten Seitenventilprinzip festhielt.

Der Mercedes 230 verfügte über das modernere Fahrwerk, war allerdings auch merklich teurer als der Hanomag Sturm. Die Ganzstahl-Karosserie des Hanomag wurde von Ambi-Budd zugeliefert und bot weniger Variationsmöglichkeiten als dies beim Mercedes der Fall war. Doch von Prestigeaspekten abgesehen war der große Hanomag in seiner Klasse sehr konkurrenzfähig.

Viele Hanomag-Käufer überzeugte nicht zuletzt die solide Qualität, die man bei Produkten eines Maschinenbaukonzerns erwarten würde. So verwundert es einen nicht, dass PKWs von Hanomag auch häufig auf historischen Fotos auftauchen, die Zivilfahrzeuge im Kriegseinsatz zeigen. Hier ein Beispiel:

Hanomag_Sturm_Russland

© Hanomag Sturm in Russland, 1940er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das laut umseitiger Beschriftung in Russland aufgenommene Bild zeigt eindeutig einen Hanomag Sturm. Zwar kam dessen Ambi-Budd-Karosserie auch bei Adler zum Einsatz, doch verweisen das schmalere Kühleremblem, die markanten Hupen und die typische Anordnung der Kühlluftklappen auf Hanomag als Hersteller.

Interessant ist der Wagen auf der Aufnahme aus mehreren Gründen: In markantem Gegensatz zum Einsatzzweck stehen die glänzenden Chromteile (Scheinwerfer, Hupen, Scheibenrahmen), die bei Wehrmachtsfahrzeugen normalerweise grau lackiert wurden. Auch sind keine Tarnüberzüge für die Scheinwerfer vorhanden. Dagegen ist die verchromte Stoßstange bereits überlackiert, und die Chromradkappen fehlen. Für den Wintereinsatz ist eine Frontscheibenheizung verbaut:

Hanomag_Sturm_Russland_Ausschnitt

Der merkwürdig uneinheitliche Zustand des Wagens könnte damit zu erklären sein, dass er erst kurz vor Entstehung der Aufnahme für das Militär requiriert wurde. Vielleicht war bei der Einheit, der er zugeteilt wurde, nicht mehr genug Farbe vorhanden, um die Tarnlackierung zu vervollständigen.

Das Kennzeichen verweist übrigens auf eine eilige Beschlagnahmung des Hanomag. Der Buchstabe “P” steht für eine Zulassung in der ab 1939 besetzten Region Posen (seit 1918 polnisch). Die V-förmige Markierung oberhalb des Bindestrichs bedeutete, dass es sich um einen Privatwagen handelte, der mit behördlicher Genehmigung auch nach Kriegsbeginn vom Besitzer verwendet werden durfte.

Dennoch ist der Hanomag auf irgendeine Weise an die Front gelangt und scheint nur noch auf sein Wehrmachts-Kennzeichen und die üblichen taktischen Zeichen auf den Schutzblechen zu warten. Die rückseitige Beschriftung des Fotos “Russland” lässt jedenfalls keinen Zweifel am Aufnahmeort zu. Denkbar ist auch, dass das Bild während der späten Phase des deutschen Ostfeldzugs entstand, als vorschriftsmäßige Tarnung und Markierung der Fahrzeuge oft vernachlässigt wurden.

Welche persönlichen Schicksale mit dieser Aufnahme aus dem russischen Winter vor über 70 Jahren verbunden sind – die des einstigen Besitzers des Hanomag und die seiner militärischen Nutzer – bleibt im Dunkel der Geschichte.

Vorkriegs-Fiat mit 6-Zylindermotor: der 1500er

Auf einer Skala technischer Exzellenz wird man Mercedes heute weit oben ansiedeln, während Fiat wohl auf einem der hinteren Ränge landet. Das war aber keineswegs immer so.

Sicher gab es schon vor dem 2. Weltkrieg Mercedes-Modelle, die sich durch fortschrittliche Elemente auszeichneten. Doch meist wurde technische Hausmannskost geboten, wenn auch gepaart mit ausgezeichneter Verarbeitung und hoher Zuverlässigkeit.

Umgekehrt beschränkte sich das Angebot bei Fiat keineswegs auf Kleinwagen. Zwar gehörten der 500er (“Topolino”) und der 1100er (“Millecento”) schon vor dem Krieg zu den Erfolgsmodellen der Turiner Marke – auch in Deutschland. Doch daneben baute man ab 1935 einen modernen Wagen der gehobenen Mittelklasse, den 1500er.

Folgendes Originalfoto zeigt einen solchen Fiat 1500 in den späten 1930er Jahren auf einer Passtraße in Österreich:

Fiat_1500

© Fiat 1500, Ende der 1930er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Fiat 1500 ähnelte formal zwar dem 1100, war aber deutlich großzügiger dimensioniert. Auch die integrierten Scheinwerfer und die zweiteilige Frontstoßstange sind Merkmale des “großen Fiat”.

Was der 4,40 m lange Wagen technisch bot, war beachtlich: Der laufruhige 6-Zylinder-Motor mit hängenden Ventilen leistete solide 45 PS bei einem Wagengewicht von knapp 1.100 kg, die Vorderradaufhängung nach Dubonnet-Prinzip sorgte für hohen Federkomfort und die 12-Volt-Elektrik ermöglichte eine angemessene Lichtausbeute bei Nachtfahrten. 4-Gang-Getriebe und hydraulische Bremsen waren in dieser Klasse selbstverständlich.

Werfen wir zum Vergleich einen Blick auf den am deutschen Markt verbreiteten Mercedes 170V: Er verfügte nur über einen altertümlichen Vierzylinder-Motor mit Seitenventilen, der aus 1,7 Liter Hubraum gerade einmal 38 PS schöpfte. Die geringe Leistung stieß auf ein Wagengewicht von fast 1,2 Tonnen. Lediglich das Fahrwerk konnte als modern gelten. Nicht konkurrenzfähig war die 6-Volt-Elektrik, an der einige deutsche Hersteller ohne Not bis in die 1960er Jahre festhielten.

Zwar war der Mercedes 170V deutlich billiger als der Fiat 1500. Doch das spiegelte in erster Linie die höheren Produktionskosten des im alten NSU-Werk in Heilbronn für den deutschen Markt gefertigten Fiat-Modells wider. Mercedes konnte aufgrund weit höherer Stückzahlen natürlich einen attraktiveren Preis realisieren.

Das technisch und vom Platzangebot überlegene Auto war aber sicher der Fiat 1500. Selbst der großgewachsene Herr auf unserem Foto passte offenbar in den nur 1,54 m hohen, aber innen recht geräumigen Fiat:

Fiat_1500_Ausschnitt

Mercedes bot erst beim größeren und weit teureren 230er Modell einen 6-Zylinder mit moderater Leistung: 55 PS aus 2,3 Liter Hubraum. Damit waren dann dem Fiat 1500 vergleichbare Fahrleistungen möglich, doch weiterhin nur mit 6-Volt-Elektrik.

Der Fiat war also in einer Nische angesiedelt, in der selbst Mercedes nichts Entsprechendes zu bieten hatte. Ohne die deutsche Lizenzfertigung entstanden bis zum Beginn des 2. Weltkriegs über 35.000 Exemplare des Fiat 1500. In Deutschland wurde der Wagen als NSU-Fiat sogar bis 1941 weitergebaut. Das wäre unter den Bedingungen der Kriegswirtschaft nicht geschehen, hätte es nicht einen Bedarf an Wagen dieser Klasse gegeben, der mit der Produktion einheimischer Hersteller nicht zu stillen war.

Zum Abschluss noch ein Bild desselben Fiat 1500 in der Seitenansicht:

Fiat_1500_Seitenansicht

© Fiat 1500, Ende der 1930er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Gut zu erkennen sind die aerodynamische Frontpartie und die großzügig bemessene Kabine. Ein interessantes Detail: Der Viertürer verfügte über keine B-Säule, sodass auch hinten ein müheloser Ein- und Ausstieg möglich war. Die versenkten Türgriffe nehmen typisch italienische Lösungen der Nachkriegszeit vorweg.

Insgesamt war der Fiat 1500 ein hochinteressantes Auto, von dem leider kaum Exemplare überlebt haben. Im Krieg und in den Jahren danach wurden diese hochwertigen Wagen bis zum bitteren Ende aufgebraucht.

Der 1500er wurde nach dem Krieg mit veränderter Frontpartie noch eine Weile weitergebaut. Sein Nachfolger wurde der hochmoderne Fiat 1400 bzw. 1900. Weitere zeitgenössische Bilder des Fiat 1500 finden sich hier.

Oldsmobile von 1938 bei der Instandsetzung im Osten

Während des 2. Weltkriegs verfügte keine der europäischen Parteien annähernd über die Fahrzeugkapazitäten, die für die immer rascheren Operationen benötigt wurden. Nach den Stellungskämpfen von 1914-18 war nur wenigen Militärs mit Weitblick bewusst, dass die Auseinandersetzungen der Zukunft Bewegungskriege sein würden.

So wurde nach Kriegsausbruch 1939 auf allen Seiten hastig alles an zivilen Fahrzeugen beschlagnahmt, was einigermaßen einsatztauglich erschien und nicht für unabweisbare private Zwecke benötigt wurde. Nach der Niederlage Frankreichs und dem Desaster der britischen Truppen bei Dünkirchen im Jahr 1940 fielen der deutschen Wehrmacht tausende PKW und LKW der Alliierten in die Hände, die  willkommene Ergänzungen des eigenen Fahrzeugbestands darstellten.

Geschätzt wurden von den Soldaten nicht nur die Frontantriebswagen von Citroen und die 02er-Modelle von Peugeot. Auch Beutefahrzeuge amerikanischer Provenienz wurden in den Wehrmachtsfuhrpark aufgenommen; sie waren in vielerlei Hinsicht das Modernste, was seinerzeit verfügbar war. Einige Typen von Buick, Chevrolet und Ford wurden vor dem Krieg sogar in Deutschland montiert.

So begegnen einem auf den unzähligen Privatfotos, die einst von deutschen Landsern an allen Fronten geschossen wurden, immer wieder US-Fahrzeuge mit Nummernschildern und taktischen Zeichen der Wehrmacht. Doch selbst auf diesem vermeintlich abgegrasten Feld macht man bisweilen überraschende Entdeckungen.

Folgendes Originalfoto zeigt ein solches Beispiel:

Oldsmobile_Bj1938_Ostfront

© Oldsmobile, Bj. 1938, bei der Wehrmacht; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Wagen stammt unverkennbar aus dem General Motors-Konzern, nur die Identifikation der Marke gelang erst mit Hilfe der kompetenten Website KfZ der Wehrmacht. Dort hat Holger Erdmann eine einzigartige Sammlung von Originalfotos zusammengetragen, die alle nur erdenklichen Fahrzeuge auf deutscher Seite während des 2. Weltkriegs in strukturierter Form zeigen.

In der Rubrik “US-Autos” kann man dort nach Marken stöbern, und nachdem die üblichen Verdächtigen wie Buick, Chevrolet, Chrysler, Dodge und Ford nicht zum Ziel führten, wurde der Verfasser schließlich bei Oldsmobile fündig. Wagen dieser bereits 1897 gegründeten Marke scheinen nur in geringer Zahl Eingang in den Beutefahrzeugbestand der Wehrmacht gefunden zu haben.

Der Wagen auf unserem Foto lässt sich jedenfalls als Oldsmobile der F-Serie des Modelljahrs 1938 identifizieren, vor allem die waagerechten Kühlerstreben verraten dies. Der Blick auf die technischen Daten des Wagens verrät, dass man ein solches Fundstück gewiss nicht verschmähte: Das Mittelklasseauto wurde von einem Reihensechszylinder mit 3,8 Liter Hubraum und über 90 PS angetrieben. Damit bewegte man sich leistungsmäßig auf dem Niveau eines Oberklasse-Horch 930 V mit Achtzylindermotor, dessen Fahrwerk kaum besser war.

Problematisch wurden solche Exoten natürlich dann, wenn komplexe Reparaturen anstanden. Bei normaler Alltagsnutzung waren die robusten “Amis” kaum kleinzukriegen, doch speziell der Kriegseinsatz in Russland hinterließ früher oder später Spuren. Tatsächlich befindet sich auch der Oldsmobile auf unserem Foto offenbar bei der Instandsetzung:

Oldsmobile_Bj1938_Frontpartie

Jedenfalls ist der Wagen vorne aufgebockt – man kann die entlastete Einzelradaufhängung gut erkennen und innen macht sich jemand am Auto zu schaffen. Vielleicht muss etwas an der Lenkung repariert werden. Um die Vorderstoßstange scheint ein Abschleppseil gewickelt zu sein, das in der gefürchteten Morastperiode nach Winterende an der Ostfront oft benötigt wurde. Das Reifenprofil ist alles andere als geländegängig, doch noch erstaunlich gut. Möglicherweise wurde irgendein von der Dimension passender Neureifen montiert.

Die Instandsetzungseinheiten der Wehrmacht mussten angesichts des bunt durcheinandergewürfelten Fahrzeugparks über großes Improvisationsvermögen verfügen. Für Beutefahrzeuge waren – mit Ausnahme einiger französischer Modelle – keine Ersatzteile zu bekommen und Spezialwerkzeug fehlte ganz.

Die Arbeitsbedingungen in Frontnähe kamen als zusätzliche Erschwernis hinzu. Au der Ausschnittsvergrößerung sieht man hinter dem Oldsmobile einen massiven Holztisch, auf dem unter freiem Himmel einige Teile ausgebreitet scheinen.

Oldsmobile_Bj1938_Hintergrund

Was von den Instandsetzungsabteilungen täglich geleistet wurde, gehört zu den unbesungenen “Heldentaten”, über die es keine Literatur gibt. Die Frontsoldaten auf allen Seiten wussten aber natürlich, was sie ihren ölverschmierten Kameraden hinter den Linien schuldig waren…

Ein Buick Master Six 18/80 PS “Made in Germany”

Freunde deutscher Automobile der Zwischenkriegszeit werden es nicht gern hören – doch in den 1920er Jahren taten sich viele Hersteller hierzulande schwer, mit der internationalen Konkurrenz mitzuhalten.

Dies wird nicht nur im Kleinwagenbereich deutlich, in dem es nur zu Kopien französischer und britischer Modelle (Opel “Laubfrosch” und BMW Dixi) reichte – während Ford für jedermann erschwingliche Wagen einfacher, aber bedarfsgerechter Bauart in den USA millionenfach produzierte.

Auch in der gehobenen Klasse machten die Amerikaner seinerzeit vor, wie man überzeugende Qualität und Leistung in wirtschaftlichen Stückzahlen produziert. Ein Beispiel dafür ist auf folgendem Originalfoto zu sehen:

Buick Master Six_1926-7

© Buick Master Six 18/80 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zunächst einige Überlegungen zum Aufnahmeort: Laut umseitiger Beschriftung entstand das Foto in der “Agnesgasse”. Eine Straße mit dieser seltenen Bezeichnung gibt es in Deutschland zwar in Nürnberg, doch ein Blick auf das Satellitenfoto bei “Google Earth” spricht dagegen: Mitten in der Nürnberger Altstadt sah es auch früher nicht so ländlich aus wie auf unserem Foto.

Das Kennzeichen weist ohnehin auf eine österreichische Zulassung hin. Bis 1939 zeichneten sich die Nummernschilder in Österreich durch weiße Schrift auf schwarzem Grund aus, wobei auf die Länderkennung eine bis zu 6-stellige Zahl folgte. Im Österreich der Zwischenkriegszeit konzentrierte sich der Fahrzeugbestand auf Wien, und siehe da: In einem Wiener Vorort gibt es eine “Agnesgasse”, die noch heute ländlich anmutet; dort dürfte das Foto entstanden sein.

Ungeachtet des Aufnahmeorts haben wir es aber mit einem amerikanischen Wagen der Marke Buick zu tun. Auf folgendem Bildausschnitt ahnt man den diagonal verlaufenden Markenschriftzug auf der Kühlermaske. Das Profil des oberen Kühlerabschlusses und die trommelförmigen Scheinwerfer erlauben es, den Typen genau zu identifizieren:

Buick Master Six_Frontpartie

Es handelt sich um einen Buick Master Six 18/80 PS, der in dieser Form nur von 1926-27 gebaut wurde, danach änderte sich unter anderem die Scheinwerferform.

Ein Blick auf die technischen Daten macht deutlich, in welcher Leistungsklasse sich dieser Wagen damals befand: Der 80 PS starke und 4,5 Liter große Sechszylinder verfügte bereits über hängende Ventile – damals waren Seitenventiler Standard.

Eine vergleichbare Leistung bot in Deutschland nur der Adler 18/80 PS, übrigens zu einem ähnlichen Preis (rund 17.500 Reichsmark). Bei Qualitätsmarken wie Audi, Horch, Mercedes-Benz oder Opel suchte man Mitte der 1920er Jahre vergeblich eine ähnlich souveräne Motorisierung.

Wie aber kam seinerzeit ein US-Oberklassefahrzeug – Buick war im General-Motors-Konzern unterhalb von Cadillac angesiedelt – in den deutschsprachigen Raum? Nun, seit 1927 wurden Buicks in Berlin aus Montagesätzen zusammengebaut. In Deutschland gefertigte Teile dürften dabei kaum verwendet worden sein – allenfalls aufpreispflichtiges Zubehör wie beispielsweise Scheibenheizungen und Kühlerüberzüge für den Winter.

Jedenfalls scheint sich die Montage in Deutschland eine Weile wirtschaftlich gelohnt zu haben, bis die einheimischen Hersteller in der Lage waren, in der Oberklasse Vergleichbares zu liefern. 1931 endete die Buick-Produktion in Deutschland.

Interessant ist der Entstehungszeitpunkt unserer Aufnahme – laut Vermerk auf der Rückseite der 27. Juli 1933. Dazu passt das Erscheinungsbild der jungen Herren, die an jenem Sommertag wohl eine Spritztour mit dem Buick unternahmen:

Buick Master Six_Detail

Man ist geneigt, die drei lässig posierenden Herren für Studenten aus vermögendem Hause zu halten, die sich Vaters Wagen für ihren Ausflug ausgeliehen haben. Der Buick war damals zwar noch keine zehn Jahre alt, doch optisch war er “von gestern”. Die Leistung des Wagens war indessen nach wie vor mehr als konkurrenzfähig, wenngleich sich in Sachen Fahrkomfort einiges getan hatte.

Jedenfalls konnte man sich mit so einem starken Wagen nach wie vor sehen und lassen – sonst hätte man kaum so selbstbewusst davor posiert. Vielleicht haben wir es sogar mit frühen Vertretern von Altautoliebhabern zu tun, die Freude am Unkonventionellen hatten. Man würde sie von Kleidung, Frisur und Haltung her auch eher in den frühen 1950er Jahren ansiedeln.

Für die These eines fidelen Ausflugs klammer Studenten dürfte nicht zuletzt ein Blick auf die abgefahrenen Reifen sprechen – man “investierte” wohl lieber in modische Anzüge als in neue Pneus…

Buick Master Six_Frontpartie2

Der letzte Benz: 16/50 PS-Modell der 1920er Jahre

So paradox es klingt: Wenn jemand heute hierzulande von seinem “Daimler” oder seinem “Benz” spricht, meint er meistens bloß seinen “Mercedes”. Dass alle drei Bezeichnungen einst unterschiedliche Marken oder auch spezielle Typen bezeichneten, ist wohl nur noch den Freunden von Vorkriegswagen bewusst.

Bis zum erzwungenen Zusammenschluss der bis dato unabhängigen Hersteller im Jahr 1926 wäre niemand auf die Idee gekommen, Daimler und Benz in einen Topf zu werfen. Und dass ein Mercedes ursprünglich nur die Bezeichnung eines speziellen Modells von Daimler war, wusste einst jedes Kind.

Umso reizvoller ist es, heute einen näheren Blick auf einen echten “Benz” zu werfen, der als letztes Modell vor der Fusion zu Daimler-Benz entstand. Dieser letzte Benz begegnete dem Verfasser auf einem historischen Foto, das 1934 vor dem Bahnhof in Luxemburg entstand – so der handschriftliche Vermerk auf der Rückseite.

Benz_16-50PS_Luxemburg_1934.jpg

© Benz 16/50PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zum Aufnahmezeitpunkt waren Wagen dieses Typs mit Spitzkühler und langgestreckter Tourenwagenkarosserie schon “Oldtimer”. Die frühesten Vertreter dieser Gattung findet man kurz vor Ausbruch des 1. Weltkriegs und so unterschiedliche Marken wie Adler, Horch, Opel und Presto, aber eben auch Benz fertigten solche Fahrzeuge, die äußerlich oft schwer auseinanderzuhalten sind.

In Fällen, in denen auf Anhieb keine sichere Identifikation möglich ist, hat es sich bewährt, die entsprechenden Bilder erst einmal ruhen zu lassen. Meist findet sich später eine ähnliche Abbildung, die den entscheidenden Hinweis gibt, so auch im vorliegenden Beispiel eines Benz 16/50PS.

Der bewährte “Oswald” (Deutsche Autos 1920-45) bietet leider zur Marke Benz auffallend wenig Bilder. Man glaubt kaum, dass die Archive zur Entstehungszeit des Werks (1977) so wenig hergaben. Vielleicht spielten persönliche Vorlieben der Bildlieferanten eine Rolle, die seinerzeit zu dem Buch von Werner Oswald beitrugen.

Doch half der “Oswald” am Ende (buchstäblich) doch weiter. Denn das Schlusskapitel ist den vielen Herstellern von Sonderkarosserien gewidmet, die vor dem 2. Weltkrieg zu einer heute unvorstellbaren Vielfalt am deutschen Automarkt beitrugen.

Und dort findet man unter dem Eintrag “Schebera” doch tatsächlich die Abbildung eines ganz ähnlichen Benz-Tourenwagens wie auf unserem Foto. Dabei handelt es sich um ein 16/50PS-Modell von 1923/24. Die Schebera-Ausführung weicht nur in wenigen Details ab, beispielsweise weist der Wagen eine mittig unterteilte Frontscheibe auf, auch verfügt er über Holz- statt Drahtspeichenräder.

Doch der Gesamteindruck legt nahe, dass es sich um einen Wagen desselben Typs handelt. Möglicherweise verfügte unser Benz ebenfalls über eine Karosserie der Firma Schebera, die seinerzeit einen Großteil der Aufbauten für Benz lieferte. Die Ähnlichkeit ist jedenfalls verblüffend, und natürlich gab es das 16/50 PS Modell wahlweise auch mit Drahtspeichenrädern wie auf dem Foto.

Die Technik des letzten Benz war unspektakulär: Der Sechszylindermotor war ein Aggregat konventioneller Bauart mit Seitenventilen, der seine Leistung aus fast 4,2 Liter Hubraum schöpfte. Mitte der 1920er Jahre war das kein Ausweis technischer Exzellenz, doch die konservative Kundschaft schien mit dem Gebotenen zufrieden.

Für den Alltag auf den damaligen Straßen war die Leistung allemal ausreichend und das hohe Drehmoment des Motors ermöglichte ein entspanntes Fahren, ohne dass man laufend das unsynchronisierte Getriebe bemühen musste.

Vermutlich war den damaligen Besitzern das eindrucksvolle Erscheinungsbild des fast fünf Meter langen Wagens wichtiger als sportliche Leistung, wie sie andere Marken wie Simson oder Steiger in ähnlicher Verpackung boten. Die Tatsache, dass der Benz 16/50 PS auf unserem Foto noch rund zehn Jahre nach seiner Entstehung eigens fotografiert wurde, lässt auch auf einen gewissen Stolz des Besitzers schließen.

Steiger 11/55PS von 1925: modern, markant und rar

Kenner denken bei in Deutschland gebauten Kleinserien-Sportwagen der Zwischenkriegszeit wohl am ehesten an die Supra-Modelle von Simson, mit denen populäre Rennfahrer wie Karl Kappler seinerzeit zahllose Siege errangen.

Simson_Supra_SW

© Simson Supra Tourenwagen; Originalfoto: Verkehrsmuseum Dresden; Sammlung Michael Schlenger

Es gab aber eine weitere Marke, die in vergleichbarer Weise anspruchsvolle Technik mit charakteristischer Optik verband – und wirtschaftlich ähnlich erfolglos blieb. Die Rede ist von der Firma Steiger, die nach dem 1. Weltkrieg im schwäbischen Burgrieden avancierte und markant gestaltete Wagen produzierte.

Firmeninhaber Walter Steiger – ein Schweizer – hatte sich bereits während des 1. Weltkriegs gemeinsam mit Konstrukteur Paul Henze Gedanken darüber gemacht, wie man die kleine, in die Rüstungsproduktion eingebundene Maschinenfabrik nach dem Krieg auslasten könnte.

Noch vor dem Ende der Kampfhandlungen hatte man einen Automobil-Prototypen entwickelt, der bereits einiges von dem vorwegnahm, was die Wagen der Marke später auszeichnen sollte: Moderne, vom Flugzeugbau inspirierte Motoren und ein sportliches Erscheinungsbild.

Mit diesem Konzept war man ab 1920 für wenige Jahre recht erfolgreich, zwar nicht betriebswirtschaftlich, aber bei einer auf sportliche Leistung und individuelle Optik fixierten Kundschaft.

Die technischen Details des Steiger 11/55 PS (1924-25) lassen exemplarisch den Anspruch erkennen, mit dem diese Fahrzeuge gebaut wurden: hängende Ventile, von obenliegender Nockenwelle betätigt, Königswellenantrieb, Leichtmetallkolben Vierradbremse, 12 Volt-Elektrik.

Das Ganze war verpackt in einem optisch geglätteten Motorblock, der bewusst auf die ästhetische Wirkung hin gestaltet war – in dieser Hinsicht Bugatti vergleichbar. Der kreative Kopf dahinter war Paul Henze, der später zu Simson wechseln sollte.

Nach nur rund 2.000 Fahrzeugen endete 1926 die Produktion der rassigen Wagen der Marke Steiger. Woher nimmt man angesichts dieser Stückzahl ein zeitgenössisches Bild? Nun, man übt sich in Geduld und lässt den Zufall walten.

Schon seit einiger Zeit ist der Verfasser im Besitz eines historischen Fotos, das eine ganze Reihe von Wagen der 1920er Jahre an einer leichten Steigung aufgereiht zeigt. Ort und Anlass der Aufnahme sind unbekannt. Lediglich die Jahreszahl 1927 findet sich auf der Rückseite des Abzugs.

Wagen der 1920er Jahre

© Automobile der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei einer gelegentlichen Durchsicht hatte der Verfasser den Eindruck, dass ihm die Frontpartie des ersten Wagens bekannt vorkam. Der erste Gedanke war “Simson”, doch die Vermutung bestätigte sich nicht.

Zum Glück wird im “Oswald” (Deutsche Autos 1920-45) gleich nach Simson die Marke Steiger abgehandelt. Der markante Spitzkühler und die sehr hoch ansetzenden Kühlluftschlitze in der Motorhaube des im “Oswald” abgebildeten 10/50 PS-Tourenwagens von Steiger weckten einen Anfangsverdacht.

Zum Glück ist die Marke Steiger mit einer umfangreichen eigenen Website im Internet repräsentiert. Der Inhaber der Seite – Michael Schick – hat dort die Ergebnisse jahrzehntelanger Recherchen zu der Marke online gestellt, darunter auch den kompletten Inhalt seines leider vergriffenen Buchs zu Steiger.

Besonders hilfreich sind die zahlreichen Orginalfotos und -dokumente zu andernorts nicht abgehandelten Typen von Steiger, darunter auch des 11/55 PS-Modells von  1924/25. Denn um einen solchen Wagen handelt es sich offenbar bei dem Fahrzeug auf unserer Aufnahme:

Steiger_11-55PSSteigertypisch ist der Spitzkühler mit einer Unterteilung ähnlich den Mercedes-Modellen. Man meint auf der in Fahrtrichtung rechts befindlichen Seite des Kühlers einen diagonal verlaufenden Schriftzug zu erahnen – dort war bei Steiger-Wagen der Markenname angebracht.

Die Anordnung der Anlasserkurbel, die Form der bis zu den vorderen Enden des Rahmens reichenden Kotflügel, Scheinwerferkombination, Kühlwasserthermometer und Suchscheinwerfer finden sich alle an zeitgenössischen Fotos von Steiger-Tourenwagen des Typs wieder. Selbst die Zahl der Kühlluftschlitze (15) “passt”.

Dass es sich tatsächlich um ein Fahrzeug des genannten Typs mit langem Radstand (3,25m) handelt, konnte Steiger-Spezialist Michael Schick bestätigen. Seine oben erwähnte Website ist – man muss es nochmals sagen – eine wahre Fundgrube an Informationen, Dokumenten und Bildern rund um die Marke aus Burgrieden.

Man erfährt dort nicht nur, dass es (anders als im “Oswald” vermerkt) doch mehr als nur einen noch erhaltenen Steiger-Wagen gibt, sondern kann auch genüsslich durch ein komplettes historisches Fotoalbum mit Steiger-Bildern blättern (übrigens auch  solchen aus unserer Region) – und das alles in bester Qualität.

Davon kann sich manche Online-Präsenz weit bekannterer Vorkriegsmarken eine Scheibe abschneiden…