Fund des Monats: Ein “Velie” von 1925 in Wiesbaden

US-Automobilhersteller waren bereits kurz nach 1900 am deutschen Markt präsent. Die ersten Unternehmen aus Übersee, deren Fahrzeuge sich hierzulande verkauften bzw. die in Lizenz nachgebaut wurden, waren vermutlich Oldsmobile und Locomobile.

Hier haben wir eine auf etwa 1902 datierbare Anzeige, mit der ein von Locomobile entwickelter Dampfwagen beworben wurde. Damals redeten noch keine fachfremden Bürokraten in die technologische Entwicklung hinein, weshalb in der Frühzeit Autos mit Elektro-, Benzin- oder Dampfantrieb frei konkurrieren konnten:

Locomobile-Reklame um 1902; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Ab etwa Mitte der 1920er Jahre war praktisch jeder US-Hersteller von mehr als nur regionalem Rang am deutschen Markt aktiv.

Teils importierte man komplette Fahrzeuge, teils montierte man sie in Deutschland, oft in Verbindung mit einer im Inland gefertigten Karosserie.

Ende der 1920er Jahre waren US-Fabrikate auf deutschen Straßen allgegenwärtig; die entwicklungs- und produktionstechnisch damals noch rückständige deutsche Autoindustrie vermochte die rasch zunehmende Nachfrage nicht annähernd zu stillen.

Doch es gab noch einen weiteren Weg, auf dem amerikanische Autos nach Deutschland gelangen konnten, nämlich im “Bordgepäck” gut situierter Reisender aus den Staaten.

Dass es keineswegs ungewöhnlich war, den eigenen Wagen auf Deutschlandtour mitzunehmen, belegt eine Broschüre, die seinerzeit über die deutsche Touristeninformation in New York vertrieben wurde und sich gezielt an US-Reisende wandte, welche die Sehenswürdigkeiten auf eigener Achse erfahren wollten:

Broschüre der Reichsbahnzentrale für den deutschen Reiseverkehr von 1934; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Das mir vorliegende Exemplar stammt zwar aus dem Jahr 1934 – es erwähnt unter anderem das Autobahnprojekt des nationalsozialistischen Regimes und die Planungen für die Olympischen Spiele 1936.

Doch basiert es erkennbar auf einer früheren Ausgabe der 1920er Jahre. Darauf weisen neben dem weitgehenden Fehlen von Staatspropaganda auch einige Abbildungen hin.

So findet sich auf der folgenden Darstellung der Reise über den Atlantik links unten ein Chevrolet des Modelljahrs 1928, der wenige Jahre später in den USA heillos veraltet war:

Broschüre der Reichsbahnzentrale für den deutschen Reiseverkehr von 1934; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Zu den Höhepunkten einer Deutschlandreise, die in dieser Broschüre angepriesen werden, gehören neben den historischen Städten, den modernistischen Bauten der 1920er Jahre, der großen Musiktradition und -stätten auch die zahlreichen mondänen Kurorte.

Neben Baden-Baden werden hier – kaum überraschend – Bad Nauheim (meine Heimatstadt) und Wiesbaden angeführt, die damals noch Bäder von internationalem Rang waren.

Nicht nur aus Lokalpatriotismus will ich auch die entsprechende Seite aus der erwähnten Broschüre zeigen:

Broschüre der Reichsbahnzentrale für den deutschen Reiseverkehr von 1934; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Tatsächlich lässt sich von hier – konkret von Wiesbaden aus – eine treffliche Brücke zu dem Fahrzeug schlagen, das ich heute als Fund des Monats März 2023 präsentiere.

Auf den ersten Blick handelt es sich um ein völlig unscheinbares Fahrzeug, doch bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass es perfekt das illustriert, worum es in der obigen Broschüre geht – nämlich als US-Tourist mit dem eigenen Wagen in Deutschland unterwegs zu sein.

Wer Wiesbaden kennt, wird sogleich erkennen, dass diese Aufnahme auf dem hoch über der alten Römerstadt gelegenenen Neroberg entstanden sein muss, wo noch heute der klassizistische Rundtempel steht, der hier im Hintergrund zu sehen ist:

Velie von 1925; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das im Original stark verblasste Foto dürfte der Komposition und technischen Qualität nach zu urteilen von einem vor Ort tätigen Berufsfotografen angefertigt worden sein.

Der großgewachsene Herr mit dem breitkrempigen Hut ist aus meiner Sicht der “reiche Onkel” aus Amerika, der seine Deutschlandreise vermutlich zum Verwandtenbesuch nutzte. Dier vier übrigen Personen sind wohl Einheimische.

Zunächst war mir die Sache mit dem hierzulande in dieser Ausführung untypischen Hut gar nicht aufgefallen. Das bemerkte ich erst, als ich den Wagen als US-Fabrikat identifiziert hatte.

Möglich war mir das übrigens nur, weil man auf der Nabenkappe des Vorderrads ein auf dem Kopf stehendes “V” erkennen kann und ich mangels Kandidaten aus dem deutschsprachigen Raum vermutete, dass es sich um einen amerikanischen Wagen handeln könnte:

Zum Glück umfasst der Abschnitt im “Standard Catalog of American Cars” von Kimes/Clark, der sich US-Marken mit Anfangsbuchstaben “V” widmet, nur rund ein Dutzend Seiten.

So landete ich rasch bei der 1908 von Willard L. Velie in Moline (Illinois) gegründeten Marke, von der ich zuvor noch nie gehört hatte.

Velie hatte als Hersteller landwirtschaftlicher Wagen angefangen und dank des Geldes seiner Mutter – Erbin des Landmaschinenriesen John Deere – gelang der Einstieg in die Serienproduktion von Automobilen.

Auf Einbaumotoren folgten später selbstkonstruierte Vierzylinderaggregate mit um die 40 bis 50 PS. Ab 1914 bot man außerdem kleine 6-Zylinder an, ab 1920 auch große. Die Produktion war zwar rentabel, aber stückzahlenmäßig nach US-Maßstäben unbedeutend.

Nach einem Hoch von 7.000 Fahrzeugen im Jahr 1920 pendelte sich die Produktion bei gut 4.000 Wagen jährlich ein. Daher halte ich es für weniger wahrscheinlich, dass Velie einst einen Vertrieb in Deutschland unterhielt.

Beweisen kann ich natürlich nicht, dass der einst auf dem Wiesbadener Neroberg für die Nachwelt festgehaltene Velie tatsächlich mit dem Herr mit breitkrempigen Hut über den Großen Teich gekommen war, doch plausibel erscheint es.

Datieren lässt sich das Fahrzeug, dessen eigenwillig gestalteter hinterer Rahmenausleger die Identifikation erleichterte, auf etwa 1925. Als Motor dürfte ein knapp 50 PS leistender 6-Zylinder verbaut gewesen sein.

Bereits 1929 endete die PKW-Produktion von Velie, nachdem Firmengründer Willard L. Velie und sein gleichnamiger Sohn kurz hintereinander verstorben waren.

Auch vor diesem Hintergrund dürfte dieses schöne Foto mit einem Velie aus deutschen Landen ziemlich exklusiven Charakter haben. Wer mehr über etwaige Europa-Aktivitäten dieser Marke weiß, möge dies über die Kommentarfunktion kundtun.

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Geht doch! Ein Loreley 6/14 PS von 1908

Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen: “Geht doch!” ist nicht mit der Anweisung an den ordinären Untertan zu verwechseln, sich wieder per pedes zur Arbeit aufzumachen, wenn man sich kein Elektroauto leisten kann. Denn man kann ja auch mit dem Rad fahren wie vor dem Krieg, nicht wahr? – Kleiner Scherz am Rande…

Wer meinen Blog schon länger verfolgt, der weiß, dass ich die Auffassung vertrete, dass das Automobil für jedermann die demokratische Erfindung schlechthin ist – eine Errungenschaft, die es gegen Kreise hierzulande zu verteidigen gilt, die Auto- und Flugverkehr ganz gern wieder für den neuen Adel unserer Tage reservieren möchten.

Nein, “Geht doch!” ist heute bloß ein Ausruf, der meiner Zufriedenheit mit der Tatsache Ausdruck verleiht, dass immer noch prächtige Zeugnisse sonst nur mäßig dokumentierter Fahrzeuge aus der automobilen Kinderstube auftauchen.

Heute darf ich das am Beispiel eines Wagens der Marke Loreley illustrieren, die 1906 von der Maschinenfabrik Rudolf Ley im thüringischen Arnstadt ins Leben gerufen wurde.

Den Anfang machte ein 6/10 PS-Vierzylindertyp, der auf zeitgenössischen Reklamen auch mit “9-10 PS” beworben wurde, was sich damals noch auf die Dauer- bzw. Spitzenleistung bezog und nicht als “9/10 PS”-Angabe (Steuer-PS/Nennleistung) zu interpretieren ist.

Verfügbar war dieses Modell als Zweisitzer mit kurzen Radstand, aber auch als vollwertiger Tourer (damals oft noch “Doppel-Phaeton” genannt). Bis 1908 wurde die Spitzenleistung bei annähernd unverändertem Hubraum (1,5 Liter) auf 14 PS erhöht.

Eine sehr mäßige Prospektabbildung dieses 6/14 PS-Loreley mit viersitzigem Aufbau findet sich etwa im Standardwerk “Autos in Deutschland 1885-1920” von Hans-Heinrich v. Fersen, das auch nach bald 60 Jahren mitunter noch gute Dienste tut.

Schon deutlich besser ist die Abbildung eines Loreley-Tourers 6/14 PS, die sich auf der Ley-Website von Manfred Kaiser in der Rubrik “Automobilbau” findet. Aus ähnlicher Perspektive, nämlich von der Seite, ist ein weiterer Wagen dieser Ausführung in “Autoland Thüringen” von Horst Ihling abgebildet (S. 36).

Bloß die ideale Ansicht schräg von vorne, die blieb uns bis dato vorenthalten, wenn ich das richtig sehe. Doch dank des Sammlerglücks von Matthias Schmidt aus Dresden kann ich heute rufen: “Geht doch!”

Loreley 6/14 PS um 1908; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Jetzt wissen wir auch, wie der Kühler eines solchen frühen “Ley-Wagens” aussah, in dem sich hier einige junge Herren haben ablichten lassen.

Die Ausführung des “Loreley”Schriftzugs scheint es übrigens so nur bis 1909 gegeben zu haben, was ausgezeichnet zu dem Erscheinungsbild des Autos passt, das man auf jeden Fall auf “vor 1910” datiert hätte.

Da das Auto etwas mitgenommen aussieht, könnte ich mir eine Entstehung des Fotos kurz vor dem 1. Weltkrieg, vielleicht sogar noch kurz danach vorstellen. So oder so gehörte ein solcher Loreley wie auch der dahinterstehende “Adler” bereits zum alten Eisen.

In der Frühzeit entsprachen fünf Jahre einer ganzen Automobilgeneration – heute undenkbar. Undenkbar wäre damals gewesen, dass sich 100 Jahre später praktisch jedermann (noch…) ein eigenes Fahrzeug leisten kann.

Wollen wir wirklich wieder zurück in die Klassengesellschaft, in der individuelle Mobilität das Privileg weniger Gutsituierter (bzw. vom Steuerzahler Ausgehaltener) ist?

“Geht gar nicht!” – ist meine Antwort.

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Gruß vom Adler aus Italien: Aquila

Am Wochenende bin ich von einer meiner kleinen Fluchten nach Italien zurückgekehrt – zumindest physisch.

Wieder war ich in Umbrien – der einzigen italienischen Region, die nicht ans Meer grenzt und die eine Balance aus Natur und Menschenwerk bietet, die ihresgleichen sucht.

Am Morgen der Abfahrt von meinem Aufenthaltsort Collepino bot sich mir folgender Anblick:

Blick auf Spello (Umbrien) von Osten, März 2023: Bildrechte: Michael Schlenger

Dies ist das an den Ausläufern des Monte Subiaso gelegene Städtchen Spello – wie alle umbrischen Hügelstädte über 2.000 Jahre alt, dennoch voller Leben und mit Hingabe gepflegt.

Keine Bausünde der Nachkriegszeit trübt das Bild, hier wurde und wird nur der örtlich anstehende leicht rosafarbene Kalkstein verbaut und auch bei Sanierungen nur der typische Tondachziegel verwendet, dessen Form sich seit der Römerzeit nicht verändert hat.

Niemand kommt auf solche Geschmacklosigkeiten und Primitivlösungen, wie sie im “reichen” Deutschland seit Jahrzehnten beim Bauen im historischen Bestand gang und gebe sind. Dabei lag diese Region 1945 ebenso am Boden und die Menschen waren bitterarm.

Die Front zwischen Wehrmacht und Alliierten war gnadenlos auch durch diese idyllische Welt gewandert. Weder US-Bombenterror noch verstörende Verbrechen des deutschen Militärapparats an Zivilisten blieben den Umbrern erspart.

Erst ab den 1960er Jahren begann sich die Region – wie das übrige Italien – zu erholen. Ungebrochen ist der Stolz auf eine uralte Geschichte und eine Kulturlandschaft, deren Anmutung sich seit der Antike nicht geändert hat, sieht man vom Gewerbe in der Ebene ab.

Die fruchtbaren Böden werden nicht für den Anbau sogenannter Biokraftstoffe missbraucht, die Hügel und Berge sind nicht den Profitinteressen der Windindustrie geopfert worden. Umbrien ist im wirklichen Sinn grün geblieben, nicht grünlackierten Lobbys ausgeliefert.

Diese Eindrücke sind aber nicht alles, was ich aus dem Land südlich der Berge mitgebracht habe. Vielmehr darf ich automobile Grüße vom italienischen Adler überbringen.

Vielleicht denkt jetzt einer an die gleichnamige Marke aus Frankfurt/Main, die tatsächlich sehr früh auch in Italien eine Niederlassung unterhielt:

Adler-Reklame von 1906/07; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Dies ist das erste und einzige Zeugnis früher Adler-Wagen aus Frankfurt/Main aus Italien, das mir bislang begegnet ist.

Dass Automobile von Adler dort größere Verbreitung fanden, wage ich zu bezweifeln, denn Wagen vergleichbarer Qualität brachte die italienische Industrie selbst zustande. Und sogar mit dem Namen “Adler” hatten die Frankfurter kein Alleinstellungsmerkmal.

So waren es bereits vor über 2.000 Jahren die römischen Legionen, die mit ihren Feldzeichen den Adler als erste in andere Länder gebracht hatten – zunächst gewaltsam, dann mit den Segnungen einer haushoch überlegenen Zivilisation.

Da wundert es nicht, dass der Adler schon lange vor der faschistischen Episode unter Mussolini als symbolträchtige Figur herhalten musste.

Hier schmückt er die Monatsschrift des italienischen Touring Clubs von Oktober 1916, die mir mein Wetterauer Oldtimer-Kamerad Rolf Ackermann zur Verfügung gestellt hat:

Mitgliederzeitschrift des Touring Club Italiano von 1916; Original aus Sammlung Rolf Ackermann

Wer schon immer wissen wollte, was das Vorbild des Adlers der deutschen Luftwaffe ab den 1930er Jahren war, weiß es jetzt vermutlich.

Nebenbei: Weite Teile der als ikonisch geltenden Symbolik im NS-Regime sind der Ästhetik im späteren italienischem Faschismus entlehnt, um es wertfrei auszudrücken.

“Aquila” heißt der Adler im Lateinischen und wie etliche andere antike Wörter hat er es unverändert ins Italienische geschafft.

Etwa zu dem Zeitpunkt, als Adler aus Frankfurt/Main die oben gezeigte Reklame in Italien platzierte, also 1906, wurde in Turin die “Fabbrica Italiana d’Automobili Aquila” gegründet.

Man war vielleicht etwas später dran als der Namensvetter aus Deutschland, doch dafür machte man gleich Nägel mit Köpfen.

Während viele Hersteller noch mit separat gegossenen Zylindern arbeiteten, besaßen die von Giulio Cesare Cappa konstruierten Aquila-Wagen von Anfang an einen einzigen Motorblock und das Getriebe war direkt angeflanscht.

Die Kurbelwelle lief in Kugellagern, die Einlassventile befanden sich strömungsgünstig im Zylinderkopf und als erster Serienhersteller überhaupt verbaute Aquila Leichtmetall-Kolben. Wie gesagt: 1906/07!

Neben Vierzylindern bot Aquila früh auch Sechszylindermotoren an, die bei deutschen Fabrikaten damals eine seltene Ausnahme blieben. Mit diesem Programm blieb man bis in den 1. Weltkrieg präsent.

Besonders stolz war man darauf, dass sich Aquila-Wagen auch im Ausland einiger Beliebtheit erfreuten, darunter auch den USA und sogar Australien. Das ergibt sich aus einem Bericht in der Mitgliederzeitschrift des Touring Club Italiano von Juni 1914.

Auch dieses Originaldokument verdanke ich Rolf Ackermann, hier das Titelblatt:

Mitgliederzeitschrift des Touring Club Italiano von Juni 1914; Original aus Sammlung Rolf Ackermann

Die Auflage von 160.000 Stück ist für das Jahr 1914 bemerkenswert hoch, auch wenn sicher nicht alle Exemplare an die italienischen Clubmitglieder (“soci”) gingen.

Zum Vergleich: Im Deutschen Reich gab es Mitte 1914 insgesamt gerade einmal 95.000 PKW, Motorräder und LKW (Quelle: Otto Meibes, Die deutsche Automobilindustrie, 2. Auflage, 1928).

Insofern scheint das Automobil kurz vor dem 1. Weltkrieg in Italien mindestens eine derartige Aufmerksamkeit genossen zu haben wie in Deutschland.

Zurück zum italienischen Adler – dem Aquila aus Turin. In der erwähnten Zeitschrift von Juni 1914 findet sich eine lobende Besprechung (oder eher als solche verkappte Reklame) des kleinen Vierzylindertyps K mit 15 PS Leistung:

Mitgliederzeitschrift des Touring Club Italiano von Juni 1914; Original aus Sammlung Rolf Ackermann

Hervorgehoben wird die Belastbarkeit und absolute Zuverlässigkeit der Konstruktion, die viele tausend Kilometer klaglos bei moderatem Benzinverbrauch absolviert, wie Langstrecken-Prüfungen in Frankreich erwiesen haben.

Am Ende wird neben dem 15 PS-Typ ein weiteres Vierzylindermodell mit 30 PS Spitzenleistung sowie ein großer Sechszylinder erwähnt, der 50 PS leistet, außerdem ist die Rede von Einbaumotoren mit bis zu 200 PS.

Hier haben wir noch einmal den kompakten Aquila K-Typ von 1914 in der Ausführung als offener Zweisitzer mit sportlich anmutenden Drahtspeichenrädern:

Mitgliederzeitschrift des Touring Club Italiano von Juni 1914; Original aus Sammlung Rolf Ackermann

Nur ein Jahr später, im August 1915, werden in der Mitgliederzeitschrift des Touring Club Italiano erneut die Meriten des Aquila Tipo K hervorgehoben.

Dabei wird auf die laufende Verbesserung im Detail hingewiesen, die sich nicht notgedrungen auch in äußerlichen Merkmalen niederschlagen muss.

Immerhin wird nun neben dem bereits bekannten Sport-Zweisitzer auch eine fünfsitzige Tourenwagenausführung gezeigt, außerdem eine LKW-Version:

Mitgliederzeitschrift des Touring Club Italiano von August 1915; Original aus Sammlung Rolf Ackermann

Inzwischen ist der 1. Weltkrieg in vollem Gang und seit Mai 1915 befindet sich Italien im Krieg gegen Österreich-Ungarn, ohne bis Kriegsende 1918 wirklich relevante Gebietsgewinne erzielen zu können. Die gab es dafür anschließend anstrengungslos in Form von Südtirol.

Unterdessen hatte die Fabbrica Italiana d’Automobili Aquila bereits 1917 die Segel gestrichen. Der einstige Chefkonstrukteur Giulio Cesare Cappa sollte später bei Fiat und anderen italienischen Herstellern wie Ansaldo und OM noch zu großer Form auflaufen.

Das aber ist eine andere Geschichte, die nichts mehr mit dem Adler aus Turin zu tun hat…

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Damit lässt sich auf Reisen geh’n: Opel 10/40 PS

Erst kürzlich hatte ich hier den inzwischen 100-jährigen Lancia Lambda zum idealen Reiseauto erkoren, wie immer etwas augenzwinkernd.

An diesem Urteil hat sich dem Grundsatz nach nichts geändert. Voraussetzung war und ist bloß, dass man sich dieses technische und ästhetische Kabinettstück auch leisten kann.

Wie sähe es nun aus, wenn das Budget vor 100 Jahren “nur” für einen Opel gereicht hätte? Gab es da etwas von ähnlich außergewöhnlichem Rang? Sagen wir: in technischer Hinsicht nicht, so innovativ wie der Lancia ist kein Opel je gewesen.

Immerhin gab es damals diesen optisch ansprechenden Tourenwagen aus Rüsselsheimer Produktion, der dank sehr niedrig gehaltener Karosserie von Kellner (Berlin) zumindest eine Annäherung an die knackige italienische Gestaltung darstellte:

Jedenfalls vermitteln die filigranen Drahtspeichenräder und die lässig montierten Skier eine Sportlichkeit, die den damaligen Opel-Serienwagen ansonsten völlig abging.

Nun haben wir es zwar eilig, endlich wieder auf Reisen zu gehen und dem Frühling entgegenzufahren, aber unterwegs haben wir doch Zeit und so stellen wir uns eher eine entspannte Tour gen Süden vor.

Neben viel Platz legen wir Wert auf ausreichend Leistung, denn dem Reiseglück stehen wie im richtigen Leben bisweilen Berge im Wege. Also lassen wir unseren zwar schicken, aber etwas schwachbrüstigen Zweisitzer daheim – das wäre dieser Opel 4/20 PS:

Opel 4/20 PS; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Weil wir nicht zu zweit bzw. zu dritt unterwegs sind, sondern noch Freunde mitnehmen wollen, führt kein Weg an einem erwachsenen Fahrzeug vorbei.

Nun sind wir ohnehin gerade auf der Suche nach einem solchen. Da für uns nur ein Opel in Frage kommt, sehen wir uns um, was man gebraucht auf dem Sektor bekommen kann.

Wir geben eine Anzeige in der einschlägigen Zeitschrift “Motor” auf, beschreiben unseren Bedarf und bitten um Angebote mit Bild. Nach einiger Zeit trudeln die ersten Schreiben ein – wir warten noch ein paar Tage und sichten dann das Angebot.

Schnell wird dabei deutlich, dass für uns als Besitzer eines Opel 4/20 PS nur ein Modell in Betracht kommt: der zwar deutlich durstigere, aber dafür auch doppelt so gut motorisierte Opel 10/40 PS. Der wurde 1925 quasi als großer Bruder des 4 PS-Typs eingeführt und folgt dessen bewährten Konstruktionsprinzipien.

Wir ordnen die zugesandten Fotos und verschaffen uns einen Überblick.

Den Anfang macht dieser Opel 10/40 PS Tourer, der uns hier vom Filius der Besitzer präsentiert wird – eine ansehnliche Tochter war wohl nicht verfügbar:

Opel 10/40 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Geradezu verstörend neu wirkt der Wagen hier. Warum ihn die Eigner wohl wieder loswerden wollen?

Am Ende zeigt das Foto gar nicht den wahren Zustand des Autos, der mit gut 10.000 Kilometern Laufleistung als gut eingefahren angepriesen wird.

Wir bleiben skeptisch und wenden uns der nächsten Aufnahme zu, die einen ganz ähnlichen Wagen zeigt, nur ohne die auffallenden Parkleuchten:

Opel 10/40 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Nicht ganz so perfekt gewienert, doch gut gepflegt wirkt dieses Fahrzeug. Interessanterweise wird es mit weniger Kilometern angeboten. Sollte dies das ehrlichere Auto sein?

Wie dem auch sei, der Funke will noch nicht so recht überspringen, irgendwie erscheint uns der Opel 10/40 PS in dieser Ausführung ein wenig uninspiriert.

Schon besser gefällt uns das folgende Exemplar mit großen vernickelten Radkappen – ein Extra, das dem Auto ein wenig Glamour verleiht.

Für eine gewisse Extravaganz sorgt auch auch der riesige Fahrtrichtungsanzeiger oberhalb des Suchscheinwerfers am Rahmen der Windschutzscheibe:

Opel 10/40 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt

Nicht schlecht – so gefällt er uns schon besser der ansonsten arg brav wirkende Opel. Aber bisher ist er auch das teuerste Angebot und wer weiß, wie er in Wirklichkeit aussieht?

Ohnehin sind wir uns noch nicht sicher, ob wir wirklich die Tourenwagenausführung nehmen sollen. Denn bei schlechtem Wetter bietet das ungefütterte Verdeck mit den nicht immer perfekt abdichtenden seitlichen Steckscheiben nur den nötigsten Schutz.

Wenn es einmal richtiges Sauwetter gibt, will man doch gerade auf Reisen behaglich unterwegs sein. Daher schauen wir uns als nächstes Angebot eine Limousinenversion an:

Opel 10/40 PS Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Er macht schon einiges mehr her mit geschlossenem Aufbau und sechs Seitenfenstern – der Opel 10/40 PS, nicht wahr?

Glänzende Radkappen und den modernen Fahrtrichtungsanzeiger gäbe es auch hier, nur die hohe Laufleistung schreckt uns ab: 25.000 km sind eine Menge Zeug und das Foto verrät nur wenig über den wahren Zustand der Karosserie.

Wie eine solche Limousine in “ehrlichem” Gebrauchzustand aussieht, das ist dann am nächsten Kandidaten zu besichtigen:

Opel 10/40 PS Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser in Pommern zugelassene Wagen hat erkennbar schon endlose Kilometer an schlechten Straßen gesehen. Zwar ist der Preis günstig, aber man darf davon ausgehen, dass erst einmal etliche verschlissene Lager und Buchsen am Fahrwerk erneuert müssen.

Und ganz ehrlich: Aus dieser Perspektive sieht er noch langweiliger aus, der brave Opel. Ist denn den Rüsselsheimern wirklich nichts Besseres eingefallen, als dieser plump-funktionalistische Kühler?

Erst einmal nicht, aber nach zwei Jahren Bauzeit erbarmte man sich dann doch und verpasste dem schon nicht mehr ganz neuen Opel 10/40 PS eine neue Kühlergestaltung.

Die Werbeleute ergingen sich daraufhin in schönster Lyrik, die auch vor Banalitäten wie den schlechten Straßenverhältnissen angemessenen Reifen nicht Halt machte:

Opel 10/40 PS Reklame ab 1927; Original: Sammlung Michael Schlenger

Aber eines muss man den Opel-Leuten lassen: Mut hatten sie schon.

Schon das “Maßnehmen” am Citroen 5CV bei der Entwicklung ihres Opel 4 PS-Modells hatte ihnen ein Plagiatsverfahren eingebracht, das man nur knapp gewann.

Als ob man sich wirklich nichts Eigenes ausdenken konnte, kopiert man man beim Opel 10/40 PS jetzt auch noch kühn den Kühler des amerikanischen Packard. Der war tatsächlich sehr markant und stand für ein hervorragendes Oberklasseauto, das auch außerhalb der USA höchstes Ansehen genoss.

Vermutlich sah man bei Packard in den USA darüber hinweg, weil Opel längst nicht mehr an der Spitze der Automobilhierarchie stand wie noch vor dem 1. Weltkrieg.

Der Opel 10/40 PS mit seinem harmlosen Vierzylinder würde Packard garantiert kein Geschäft im 6- und 8-Zylindersegment wegnehmen. Aber man muss zugeben: Den Opel-Modellen tat die optische Anleihe beim reichen Onkel aus Amerika ausgesprochen gut.

Schon die einfache Tourenwagenausführung des 10/40 PS, die stets die preisgünstigste war, besaß mit einem Mal ein charakteristisches “Gesicht”:

Opel 10/40 PS Tourenwagen ab 1927; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Sollte der mit diesem Foto angebotene Wagen vielleicht doch das Richtige sein? Wir vergessen alle Bedenken, den Wetterschutz betreffend und lassen uns von der Aussicht auf Ausflüge unter freiem Himmel verführen.

Einzig die antquiert wirkenden Trommelscheinwerfer stören uns beim obigen Angebot. Doch zufällig steht ein weiterer Tourer mit dem auffallenden “Packard”-Kühler zum Verkauf, der die von uns bevorzugten schüsselförmigen Scheinwerfer besitzt.

Noch dazu wirkt die gute Laune der Passagiere ansteckend. Für dieses Exemplar spricht außerdem, dass er von einem professionellen Fahrer gesteuert wurde – das lässt auf Sorgfalt in der Pflege und bei der Fahrweise schließen:

Opel 10/40 PS Tourenwagen ab 1927; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Nicht zuletzt mit der Zweifarblackierung gefällt uns dieses Fahrzeug ausnehmend gut. Laufleistung und aufgerufener Preis stehen in angemessenem Verhältnis. Das Angebot scheint keinen Pferdefuß aufzuweisen.

Doch dann denken wir wieder an Situationen, wie sie gerade auf ausgedehnten Reisen auftreten können – und genau für solche soll der Wagen ja eingesetzt werden – Regen, Kälte, scharfer Seitenwind über Stunden und vielleicht Tage.

Nein, wir schauen doch noch einmal, was an Limousinen zu bekommen ist auf Basis des überarbeiteten Modells mit dem unverwechselbaren Packard-Kühler. Auch so etwas ist ohne Weiteres zu bekommen – vom Opel 10/40 PS wurden über 13.000 Stück gebaut.

Und welches Gebrauchtwagenangebot könnte ehrlicher sein als dieses?

Opel 10/40 PS Limousine ab 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Klar hat so ein Wagen irgendwann den einen oderen kleinen Blechschaden davongetragen. So etwas wurde übrigens nicht gleich zwanghaft repariert, Alltagswagen waren durchweg mit solchen Einsatzspuren unterwegs, wie unzählige alte Fotos zeigen.

Gut sieht er aus der Opel 10/40 mit dem neuen Kühler, besonders als Limousine wirkt er geradezu repräsentativ. Da hatten die Opelaner schon das richtige Gespür gehabt, was die Wirkung dieser etwas fragwürdigen Modellpflege angeht.

Tatsächlich zog der Opel mit der beinahe luxuriösen Anmutung nun auch eine Klientel an, die wusste, dass die von verbiesterten Denkern geschmähten Äußerlichkeiten doch das Salz in der Suppe des Daseins sind.

Die Freude an der schönen Form und am gelungenen Auftritt gehörte schon immer und überall zu den wenigen Dingen, die das kurze Menschendasein zwischen der ewigen Dunkelheit davor und danach erhellen und erwärmen.

So setzten sich auch die Besitzer dieser Opel 10/40 PS Limousine, von denen längst niemand mehr etwas weiß, hier für einen kurzen Moment in Szene, der über ihre Lebensspanne hinauswirkt und auch nach bald 100 Jahren Neugier und Sympathie weckt:

Opel 10/40 PS Limousine ab 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wollten wir nicht eigentlich bloß einen gebrauchten Opel 10/40 PS als Reisewagen erwerben? Jetzt haben wir uns die Wahl aber ganz schön schwer gemacht und sind am Ende gar noch an den Gestaden grundsätzlicher Gedanken gestrandet.

Was tun? Nun, es ist auch eine Grunderfahrung des Daseins, dass sich die guten Dinge bisweilen von selbst einstellen, wenn man aufhört, zu angestrengt danach zu suchen.

Also lassen wir die Angebote erst einmal liegen, gehen mit dem Hund vor die Tür, schnuppern die Luft, die auf einmal ganz mild geworden ist, bemerken die ersten Osterglocken im Garten, welche die Schneeglöckchen zu beerben gedenken.

Sogar das Gras ist nach Monaten erstmals wieder gewachsen, sollte der Winter wirklich vorüber sein? Zufrieden geht es wieder heim, morgen ist auch noch ein Tag.

Der Briefträger war wieder da, ein Opel-Angebot ist noch gekommen! Der Absender stammt aus dem Nachbarort, Glück muss man haben! Am nächsten Tag wird der Wagen besichtigt.

Ein ordentliches Auto in gutem Pflegezustand von Leuten, die selbst damit auf Reisen waren.

“Wir kaufen uns jetzt einen Amerikanerwagen mit 6-Zylindern, da muss unser braver Opel weichen. Aber enttäuscht hat er uns nie, er hat uns mehrfach über die Alpen gebracht”.

Dies ist das entscheidende Argument!

Wetterschutz und Packard-Kühler, alles zweitrangig. Der Verkäufer ist der Hausarzt im Nachbarort und hat einen Ruf zu verlieren, der geforderte Preis ist vollkommen in Ordnung und es gibt eine Grundausstattung an Verschleißteilen und Betriebsmitteln dazu.

So kommen wir am Ende doch noch genau zu dem Auto, das zu uns passt. Inzwischen ist der Opel 10/40 PS unser, wurde in der Umgebung erprobt und für gut befunden:

Nun ist der Wagen aufgetankt, alle Schmierstellen sind versorgt, Gepäck ist verstaut.

Morgen geht es in das Land südlich der Berge – und damit ist nicht das Lipper Bergland gemeint, wo dieser Opel 10/40 PS Tourer einst zugelassen war.

Nein, es geht nach Italien, dem Frühling entgegen, es ist höchste Zeit dafür. In einer Woche bin ich wieder da. Bis dahin wünsche ich viel Vergnügen bei automobilen Zeitreisen in die Welt von gestern…

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Braucht keinen Titel: Praga “Lady” von 1935

Ein Mensch, der sich seiner Kompetenz bewusst ist, und ein Charakter, der mit sich selbst im Reinen ist, braucht keinen Titel.

Davon war ich früh überzeugt, wissend wie sehr mancher in der Familie nach einem “Doktor” gierte oder sich gar adlige Abkunft herbeiphantasierte.

Nichts gegen einen durch solide Forschung oder das Glück einer uralten Familientradition erworbenen Titel. Doch nichts ist erbärmlicher als ein erschwindelter oder gekaufter.

Geistesadel braucht ohnehin kein “von und zu” und professionelle Exzellenz kommt ohne die angloamerikanischen Funktionstitel “Manager”, “Director” usw. aus, die man heute durch eine gewisse Spezialisierung mehr oder minder automatisch erwirbt.

Mit dem Foto und dem darauf abgebildeten Automobil, um das es heute geht, verhält es sich ähnlich. Beide brauchen keinen Titel, sie sagen über sich selbst schon alles:

Praga “Lady” von 1935; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Na, wissen Sie, was wir hier von uns haben? Auf die “Lady” wäre wohl jeder selbst gekommen, aber dass damit das Auto gemeint sein könnte, wer hätte es gewusst?

Ich jedenfalls hatte keine Ahnung davon, als ich begann, mich mit dem frisch erworbenen Abzug der 5 Euro-Billigklasse zu beschäftigen. Wenn man ständig nach solchen Sachen sucht, wird man etwas knauserig – doch oft genug zahlt sich das aus.

Mein Bauchgefühl sagte mir, dass es sich um ein tschechisches Fabrikat handeln muss. Es ist schwer zu beschreiben, aber die Tschechen pflegten speziell in den 1930er Jahren einen eigenen Stil in der Autogestaltung, den ich schätze.

Zunächst dachte ich an einen Skoda Popular “Rapid” ähnlich dem hier abgebildeten Cabrio:

Skoda Popular Rapid; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Letztlich beschränkte sich die Übereinstimmung jedoch nur auf die Gestaltung des Luftauslasses in der Motorhaube.

Das für Skoda typische Emblem bzw. die entsprechende Kühlerfigur – ein Pfeil mit stilisierter Schwinge – fand sich nämlich nicht auf der Frontpartie des Wagens auf meinem Foto.

Leider stand die “Lady” mit dem bis in die 1950er Jahre typischen Kleid nicht mehr für eine Auskunft zur Verfügung. Dass sie heute noch gute Figur neben dem Automobil macht, hätte ihr sicher gefallen.

Sorgfältig frisiert, mit Lippenstift, großen Ohrsteckern und auffälliger Halskette wusste sie das Beste aus sich zu machen und wirkte selbstbewusst genug, um der Neugier eines größeren Publikums standzuhalten.

Ich könnte mir sie gut als Opernsängerin vorstellen beispielsweise. Ganz gleich, was Ihnen zu dieser Lady einfällt, wir konzentrieren uns jetzt auf das Markenemblem des Autos, ja?

Praga “Lady” von 1935; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

“Das ist das Kühleremblem von Praga”, weiß man, wenn man entweder ein Kenner tschechischer Vorkriegsmarken ist oder öfters auf der fabelhaften Website von Claus Wulff herumstöbert, wo man einige prächtige Exemplare davon findet.

Von hier ist der Weg nicht weit zur endgültigen Identifikation des Wagens als Praga mit dem Namen “Lady”, den man sich hier kaum passender vorstellen könnte.

Dieses ab 1935 gebaute Auto war trotz bescheidener Dimensionen und moderater Leistung – es besaß einen 1,7 Liter-Vierzylinder mit 35 PS (gerade 3 mehr als der Mercedes 170 W15) – ein absolutes Schmuckstück.

Das mag bei der Betrachtung des heute vorgestellten Fotos übertrieben anmuten, auf dem man die “Lady” neben dem Auto für attraktiver halten würde als den gleichnamigen Praga.

Schuld an diesem Eindruck ist aber nur, dass die wahren Qualitäten der “Lady” mit vier Rädern im Schwarz-Weiß-Modus und auf diesem Dokument entschieden unterbelichtet bleiben.

Dass der kompakte Praga auch “ohne Titel” exzellente Klasse aufwies, das wird deutlich, wenn man ihn in Farbe und in der zweitürigen Ausführung betrachtet:

Praga “Lady”; Fotoquelle: www.garaz.cz; Bildrechte: Tomáš Kopečný

Wenn diese “Lady” Appetit auf mehr macht, dann nehmen Sie sich etwas Zeit für sie. Denn 50 wunderbare Bilder von ihr gibt es hier zu sehen!

Klicken Sie dort auf das große Foto und blättern Sie dann unten weiter. Dieses Auto mit seinen feinen Details begeistert. Das ist tschechische Automobilbaukunst, bei welcher der Name schon Programm ist: Diese Lady … hat keinen Titel nötig!

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Vom Rathaus zum Radhaus: Ein Opel 29/70 PS

Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie eigentlich die Titel meiner nächtlichen Ausflüge in die schwarz-weiße Wunderwelt der Vorkriegsautos zustandekommen?

Das kann ich Ihnen am heutigen Fotobeispiel vorführen, denn hier geht es fein der Reihe nach vom Rathaus zum Radhaus!

Am Anfang steht die Frage, welche Marke als nächste an der Reihe ist. Dabei versuche ich auf folgende Dinge zu achten:

1. Ein Hersteller sollte nur so oft vorkommen, dass er unter den im Blog angezeigten jüngsten 15 Einträgen lediglich einmal auftaucht. Manchmal weiche ich unbeabsichtigt von der Regel ab – weil ich schlicht vergessen habe nachzuschauen.

2. Deutsche und österreichische Fabrikate sollten den Schwerpunkt bilden, da dies der Interessenlage der meisten Leser entsprechen dürfte und das meiste mir vorliegende bzw. zugetragene Material nun einmal aus dem deutschsprachigen Raum stammt.

3. Hierzulande einst stark vertetene ausländische Fabrikate sollten angemessen repräsentiert sein. Daraus ergibt sich eine von der Zusammensetzung bei Oldtimertreffen in Deutschland stark abweichende Mischung – kaum britische, dafür viele amerikanische Autos.

4. Marken, zu denen es bekanntes Material ohne Ende gibt, bringe ich bevorzugt anhand ungewöhnlicher Typen oder Ausführungen. Ein Mercedes 170V oder ein Adler Trumpf ist daher ein seltener Gast, was die Liebhaber dieser Typen verkraften müssen.

Ich hoffe, dasss meine heutige Entscheidung in Sachen Opel alle diese Maximen berücksichtigt. Wenn nicht, ist es auch egal, ich bin hier nämlich der Chef und mache bei Bedarf von meinem Recht auf Willkür rücksichtslos Gebrauch.

Heute ist also Opel wieder an der Reihe. Das populäre 4 PS-Modell bekommt hier nur ganz selten die Bühne, so nett speziell die ganz frühen Bootsheckversionen auch sind, die noch sehr nah am Charme des französischen Vorbilds Citroen 5CV sind:

Opel 4/14 PS von 1925; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Kontrast zu diesem zauberhaften Dokument könnte kaum größer sein, der sich bei Betrachtung des heutigen Hauptdarstellers aus Rüsselsheim ergibt.

Nicht nur handelt es sich um ein Riesenauto mit siebeneinhalbmal so großem Motor und Platz für sechs bis sieben Personen – auch die Umstände, unter denen es einst abgelichtet wurde, könnten in keinem krasseren Gegensatz stehen.

Unser heutiger Ausflug führt nämlich weit zurück in den 1. Weltkrieg in ein Umfeld, in dem Frauen außerhalb von Lazaretten, Bordellen und Munitionsfabriken keine Rolle spielten. Dabei scheint hier doch alles ganz friedlich, beinahe beschaulich auszusehen:

Opel 29/70 PSn von 1914; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ein mächtiger Tourenwagen mit markanten schrägstehenden Haubenschlitzen und am Heck kelchartig ausgeführtem Aufbau (sog. Tulpenkarosserie) hat gerade vor einer spätgotischen Arkade haltgemacht.

Im Wagen sitzen deutsche Soldaten – der preussische Adler auf der hinteren Tür bestätigt das. Sie werden von einigen entspannt bis neugierig wirkenden Kameraden erwartet.

Für ein wirklich “hohes Tier” hätte es einen großen Empfang gegeben, so bleibt der beeindruckende Wagen der Hauptdarsteller. Bevor wir uns an seine Identifikation machen, will erst einmal geklärt sein, wo diese Aufnahme überhaupt entstanden ist.

Zwar bin ich kein besonderer Kenner, aber die Architektur ließ mich gleich an Bauten in Belgien, den Niederlanden und Frankreich denken.

Offensichtlich handelt es sich um einen Profanbau, an dem die dort besonders reiche Spätgotik mit ersten leisen Renaissanceanklängen ihren Niederschlag gefunden hat.

In den reichen Kaufmannsstädten unserer westlichen Nachbarn wurden im ausgehenden Mittelalter vor allem die Bauten rund um den Marktplatz solchermaßen repräsentativ ausgestattet.

Für ein Kaufmanns- oder Gildenhaus erschien mir der Bau eine Nummer zu groß und so versuchte ich mein Glück mit einem Rathaus.

Nachdem ich bei meiner Bildersuche in den damals von deutschen Truppen besetzten belgischen Großstädten keinen Erfolg hatte, suchte ich einfach nach “Place du 8 Octobre” – wieso, das werden Sie gleich sehen – und wurde sofort fündig.

Dieser Suchbegriff führte mich ins nordfranzösische St. Quentin. Dort war schnell das Rathaus als Ort meines Fotos ermittelt. Es hat die starken Zerstörungen der Stadt überstanden, die durch französische (!) Artillerie gegen Ende des Kriegs entstanden.

Kommen wir nun vom Rathaus zu dem Auto, das wir gleich näher ins Visier nehmen. Ganz links auf dem Bildausschnitt findet sich auf einem Schild der Hinweis auf den “8 Ocktoberplatz”, der mir den Schlüssel für die Suche nach dem Ort lieferte:

Die (leider wenigen) Freunde ganz früher Opels werden sicher zustimmen, wenn ich dieses Fahrzeug als großes Modell ab 1914 anspreche.

Die durchlaufende Reihe leicht geneigter Kühlluftschlitze in der Motorhaube findet sich so vor allem bei den stark motorisierten Rüsselsheimer Modellen.

Der gleichmäßige Anstieg von Haube und daran anschließendem Windlauf zur Frontscheibe hin ist vor 1913 bei Opel nicht zu finden. Wie komme ich dann aber auf “ab 1914”?

Immerhin könnte das doch auch ein Opel der mittleren Typen mit rund 30 bis 40 PS in der 1913 eingeführten Karosseriegestaltung gewesen sein.

Das war auch meine erste Vermutung. Beim Vergleich mit den leider sehr wenigen Abbildungen solcher Opel-Wagen, bei denen der Typ bekannt ist, fiel mir jedoch etwas auf, was ich so letztlich nur an einem Modell fand.

Dazu nehmen wir das hintere Radhaus in Augenschein – wenn man diesen Begriff hier bereits verwenden mag, da das Rad vom Kotflügel weitgehend eingeschlossen ist:

Bei der Betrachtung des hinten weit nach unten gezogenen Schutzblechs – das man so bei Opel nach meiner Wahrnehmung erst ab 1914 findet – fiel mir etwas ganz anderes auf.

Bei mittleren und schweren Opel-Typen sind hinten durchweg 3/4-Elliptikfedern zu sehen. Das bedeutet, dass es zusätzlich zu dem unteren Blattfederpaket, an dem die Achse angebracht ist, oberhalb ein weiteres damit verbundenes halbes Blattfederpaket mit entgegengesetzter Kurvatur gab.

Auf dem obigen Foto sieht man aber nur das untere Federpaket, dessen hinteres Ende am starren Rahmenausleger fixiert ist. Eine solche Halbelliptikfederung an der Hinterachse findet sich laut Literatur (Bartels/Manthey: Opel Fahrzeugchronik Band 1, 2012, S. 55) erst am Opel 29/70 PS mit 7,5 Liter Vierzylinder von 1914!

So landet man am Ende zwingend beim Radhaus, wenn man beim Rathaus startet – aber eben nur, wenn man bereit ist, sich von dem leiten zu lassen, was an verborgenen Informationen auf diesen alten Fotos zu sehen ist.

Dass die Eindrücke gerade bei Kriegsfotos über das Erscheinungsbild des abgebildeten Autos hinausgehen, liegt in der Natur der Sache, weshalb man solche Dokumente auf die unterschiedlichste Weise zum Anlass für weiterführende Betrachtungen nehmen kann.

Für heute belasse ich es dabei, aber wer partout mehr vom Schauplatz sehen will, wird etwa hier sogar in bewegten Bildern fündig…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Der Frühling kann kommen: Ansaldo 6B von 1927/28

Eigentlich wollte ich heute das Ende der Skisaison ausrufen – denn ich habe das passende Foto dazu! Doch dann werfe ich einen kurzen Blick nach draußen: Da tanzen doch tatsächlich ein paar Schneeflocken durch die Luft!

Verflixt, jetzt muss ich schnell das Motto wechseln. Denn die Erfahrung zeigt, dass in meiner Heimatregion – der hessischen Wetterau – die Winter zwar meist milde sind, doch kann es bis in den April hinein immer noch Rückschläge mit Frost und Schneefall geben.

Da mir eine Prognose vor dem Hintergrund riskant erscheint, ich aber den Frühling kaum erwarten kann, will ich ihm zumindest auf diesem Wege mitteilen, dass er von mir aus lieber früher als später kommen kann.

Und als passende Geste dazu packen wir nun die Skier wieder ein und machen den Wagen klar für die Heimfahrt in der Hoffnung, dass uns der Frühling mutig auf dem Fuße folgt.

Natürlich sind wir in einem Tourenwagen der Vorkriegszeit unterwegs, es gibt ja kaum eine stilvollere Form der Fortbewegung, und gleich steigen alle in das Auto. Aber wo tut man eigentlich die Skier hin, wenn dieses vollbesetzt und das Dach offen ist?

Nun, da wusste man sich zu helfen, denn statt eines Dachgepäckträgers hatte man einst wohlgeformte Kotflügel, welche geradezu ideal für die Aufgabe geeignet waren:

Ansaldo 6B Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Man sieht: für diese Herrschaften war der Winter definitiv vorbei – kalt war es wohl noch, aber Schnee ist nirgends mehr zu sehen.

Also kann es heimgehen, was in diesem Fall die Fahrt nach Bozen in Südtirol bedeutet, wenn ich das Nummernschild richtig interpretiere.

“Ein eleganter Amerikanerwagen ist das ja!”, mag man jetzt denken. Zugegeben: Auf den ersten Blick ähnelt das Auto einem US-Fabrikat von Mitte/Ende der 1920er Jahre. Vor allem die Gestaltung der Stoßstange würde dazu passen.

Doch dann bemerkt man, wie ungewöhnlich flach dieser Tourenwagen baut. Denkt man sich die aufgesteckten Seitenscheiben – eine leichte Konstruktion aus Zelluloid und Kunstleder auf Holzrahmen – ist die Seitenlinie nur etwa hüfthoch.

Dennoch handelt es sich nicht gerade um einen kleinen Wagen – wie ist das möglich? Tja, dazu bedarf es einer Sache, die man jenseits des Atlantiks, aber auch nördlich der Alpen oft schmerzlich vermisst – italienisches Stilempfinden.

Nicht nur Lancia bekam beim legendären Lambda das Kunststück hin, einen großzügig bemessenen und gut motorisierten Wagen unerhört niedrig zu bauen. Auch der Hersteller unseres heutigen Skitransporters beherrschte diese Kunst.

Dabei handelt es sich um eine Firma, die Automobile eher nebenher baute – den traditionsreichen Waffenhersteller Ansaldo aus Turin. Wagen der Marke werden Sie vereinzelt auch in meinem Blog finden, doch bislang kaum einen dieser Klasse:

Ansaldo 6B Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wenn ich richtig liege, haben wir hier ein Exemplar des Sechszylindertyps 6B in der Ausführung von 1927/28 vor uns, dessen 2,2 Liter Motor mit obenliegender Nockenwelle über 50 PS leistete, was locker für über 100 km/h Spitze reichte.

Die Italiener hatten im Norden die dafür geeigneten Schnellstraßen dafür, lange bevor in Deutschland großspurig Autobahnen für die Volksgenossen gebaut wurden, die sich in der weit überwiegenden Mehrheit überhaupt kein Auto leisten konnten…

Nun haben wir noch zwei, drei Tage, bevor der Urlaub zuende ist – was läge da näher, noch rasch einen Abstecher an den Comer See zu machen und bei der Gelegenheit besagte “Autostrada dei Laghi” auszuprobieren, die seit 1925 von dort nach Mailand führt?

Die schnurgeraden Abschnitte nach Mailand nehmen wir mit Dauervollgas – darauf war der Ansaldo ausgelegt. Die Marke genoss auch deshalb einen hervorragenden Ruf.

Wir haben aber noch einen Grund zur Eile, denn abends haben wir Opernkarten für die Mailänder Scala! Vorher wirft man sich im Hotel in Schale, dann geht es im Ansaldo direkt vor’s Opernhaus:

Gerade will unsere Gesellschaft ein Erinnerungsfoto mit dem Wagen vor der prächtigen Fassade machen, da geschieht, was geschehen muss. Ein deutscher Tourist – nach Teutonenart nachlässig gekleidet – stellt sich frech ins Bild und lässt sich dort ablichten.

Dabei steht er so hölzern da, als habe er einen Karabiner geschultert, dabei hält er sich bloß an seinem Kameragurt fest, der Arme.

Man sieht, wie die Umstehenden – nach Mailänder Art stadtfein zurechtgemacht und durchweg “bella figura” machend – erstaunt bis fassungslos der Szene beiwohnen. Der Herr neben der dunklen Limousine greift sich sogar an den Kopf:

Ansaldo 6B Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So ist leider Blick auf den Ansaldo ruiniert, dabei haben wir uns sogar die Mühe gemacht, die Skier abzumontieren, um ja nicht unangenehm aufzufallen.

Die ganz Schlauen unter Ihnen werden natürlich bemerkt haben, dass es sich nicht um exakt dasselbe Auto handelt und ich mir die kleine Story bloß ausgedacht habe. “Se non e vero e almeno ben trovato”, pflegt man in Italien dann zu sagen – wenn die Geschichte schon nicht wahr ist, ist sie doch wenigstens gut erfunden (hoffe ich).

Jetzt kann es sein, dass einer in Sachen Vorkriegsautos keinen Spaß versteht und darauf drängt, für diesen Verstoß gegen die historische Genauigkeit entschädigt zu werden.

Auch solche strengen Gemüter sind bestechlich, meine ich. Auch sie werden schwach, wenn man ihnen nur das richtige Material direkt vor die Nase hält. Und alle übrigen werden es ohnehin genießen, was ich zum Abschluss aus dem Hut zaubere.

Der elegante Stil des Ansaldo 6B der späten 1920er Jahre ließ sich nämlich in unwiderstehliche Weise noch auf die Spitze treiben.

Das unternahm die Karosseriebaufirma Bertone, wie folgendes Foto belegt, das ich auf der Facebook-Präsenz der italienischen Oldtimer-Zeitschrift “Ruote Classiche” fand:

Ansaldo 6B Tourenwagen (Karosserie Bertone); Quelle: Ruote Classiche

Noch enger auf den Leib schneidern ließ sich das Blechkleid sicher nicht bei diesem Ansaldo 6B von 1928.

Dem stolz daneben posierenden Herrn – wohl der Besitzer – reicht das Auto gerade bis zur Hüfte wie bei dem eingangs präsentierten Exemplar. Doch hat es Bertone geschafft, hier auch den Vorderwagen genauso niedrig zu halten – ein Meisterstück!

Mit so einem Ansaldo jubelnd dem Frühling entgegenzufahren, der sich in den nächsten Wochen von Italien aus nach Norden vorarbeitet – davon wenigstens zu träumen, ist alles, was uns Nachgeborenen vergönnt ist.

Draußen wirbeln immer noch ein paar Flocken – vielleicht sollte ich demnächst auch wieder einen meiner therapeutischen Aufenthalte im gesegneten Land südlich der Berge antreten…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Das Rätsel der Bosch-Villa: Protos Typ G2 Tourer

Heute sind Sie wieder einmal besonders gefragt, liebe Leser.

So willkommen mir auch sonst alle fundierten Kommentare sind (die unterhaltsam geschriebenen mag ich auch), meist habe ich den Anspruch, selbst die Rätsel auf den alten Autofotos zu knacken, die ich hier präsentiere (falls es überhaupt welche sind).

Diesmal brauche ich aber wirklich Verstärkung, denn meine detektivischen Fähigkeiten haben sich bereits mit der Identifikation des folgenden Fahrzeugs erschöpft (für heute):

Protos Typ G2 um 1912; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die alten Hasen und Häsinnen (so viel Spaß muss sein) unter meinen Lesern mögen diesen Tourenwagen für einen klaren Fall halten. Ich befasse mich aber überhaupt erst seit 2015 mit Vorkriegsautos und war daher lange ziemlich ratlos.

Natürlich bin ich selbst schuld daran, denn ich kaufe systematisch Fotos der 5 Euro-Klasse, die nicht auf Anhieb erkennen lassen, was darauf zu sehen ist. Wenn man sonst keine Probleme hat, macht man sich halt welche.

Zum Glück habe ich während meiner kurzen Karriere bereits etliche Gleichgesinnte kennen- und schätzengelernt, die schon etwas länger solche Sachen sammeln und studieren. Einer davon konnte mir wieder einmal helfen, ohne es zu wissen.

Aber der Reihe nach: Schauen wir doch erst einmal, was sich im vorliegenden Fall mit “Bordmitteln” erreichen lässt. Dazu werfen wir einen genaueren Blick auf die bei Vorkriegsautos in der Regel alles entscheidende Vorderpartie:

Frontscheinwerfer und Positionslampen (vor der Windschutzscheibe) sind noch gasbetrieben – ein klarer Hinweis auf eine Entstehung vor dem 1. Weltkrieg, und zwar noch vor 1913/14.

An die fast waagerecht verlaufende Motorhaube schließt sich übergangslos ein stärker nach oben ansteigendes Blech an, der sogenannte Windlauf. Dieser hielt bei Serienautos im deutschen Sprachraum 1910 Einzug auf breiter Front.

Frühe Ausführungen wirken noch wie nachträglich aufgesetzt – das waren sie oft auch – während spätere (1913/14) meist mit der Motorhaube eine harmonische Linie bilden. Die Situation auf meinem Foto entspricht etwa dem Zwischenstand von 1912.

Was lässt sich sonst noch festhalten?

Je drei in zwei Gruppen zusammengefasste Luftschlitze in der Motorhaube, klar erkennbare Nietenreihen entlang der Haubenkanten und der Verstärkung dienende Sicken am vorderen und hinteren Ende der Haube.

Hilft das irgendwie weiter? Nur dann, wenn man ein zweites Foto mit denselben Details findet, bei dem der Hersteller identifizierbar ist. Genau damit konnte mein Dresdener Sammlerkollege Matthias Schmidt aufwarten, der schon etwas länger “im Geschäft” ist.

Denn vor einiger Zeit “versorgte” er mich mit der folgenden Aufnahme aus seinem Fundus, die den Hersteller klar erkennen lässt: Protos aus Berlin!

Protos Typ G2 um 1912; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmid (Dresden)

Dieses hervorragende Foto ist eines von unzähligen, die von der Selbstverständlichkeit zeugen, mit der unsere Altvorderen auch im Winter mit ihren damals fahrwerksseitig noch unvollkommenen Wagen unterwegs waren.

Schmale Räder mit großem Durchmesser und mit Schneketten versehen sind bei solchem Untergrund allerdings durchaus geeignet, um für Traktion zu sorgen. Schnell gefahren wurde ohnehin unter diesen Bedingungen nicht und Gegenverkehr gab es kaum.

Für die Schneeflöckchen unserer Tage, die bereits als Knirpse auf dem Laufrad Helm tragen müssen (gerade kürzlich wieder gesehen), wäre freilich bereits die Aussicht auf eine winterliche Ausfahrt ohne Verdeck und ohne Gesichtsmaske das Grauen pur.

Lassen Sie sich nicht vom elektrischen Standlicht dieses Wagens im Windlauf irritieren, so etwas gab es als Option bereits vor elektrischen Frontscheinwerfern, als ab etwa 1912.

Dieses Auto besitzt sogar letztere, das wird aber damit zu tun haben, dass die Aufnahme auf 1928 datiert ist und der Wagen nach dem 1. Weltkrieg eine komplette elektrische Anlage von Bosch erhalten haben muss:

Ansonsten entspricht die Gestaltung des Tourers vollkommen derjenigen des eingangs gezeigten Exemplars. Bloß sehen wir hier die Kühlergestaltung eines “Protos”, die unverwechselbar ist.

Aus meiner Sicht haben wir es hier mit einem Wagen des Vierzylindertyps G2 8/22 PS zu tun, der recht gut dokumentiert ist (siehe auch meine Protos-Galerie).

Den Vergleich der weiter oben aufgezählten Details der Haubenpartie überlasse ich Ihnen. Aus meiner Sicht ergeben sich hinreichende Übereinstimmungen – beide Fotos zeigen offenbar einen Protos dieses G-Typs aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg.

Rätselhaft bleibt aus meiner Sicht bloß dies:

Nachdem uns bei dem Protos auf dem zweiten Foto eine komplette Bosch-Lichtanlage begegnet ist, was hat es mit der “Bosch”-Villa im Hintergrund auf dem ersten Foto auf sich?

Die bekannte Villa der Familie Bosch sieht ganz anders aus und auch die Bosch-Villa in Radolfzell scheint nicht zu passen.

Nachdem ich mit der Identifikation des Protos-Tourers meine Schuldigkeit getan habe, sind nun Sie an der Reihe, dieses Rätsel zu lösen…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Neues vom “Frisurmodell”: NSU 5/25 PS

Dass man nicht mehr ganz jung ist, das registriert man spätestens dann, wenn man bemerkt, dass man sich mehr mit der Vergangenheit als mit der Zukunft beschäftigt.

Ich für meinen Teil war früh schon ganz schön alt, denn mich hat bereits als Jugendlicher die Beschäftigung mit dem Altertum fasziniert – noch bevor die Leidenschaft für historische Mobilität erwachte.

Kein Wunder, wenn man in einem Zipfel des römischen Imperiums großwurde, in dem römische Kastelle, Villen und Straßen in großer Zahl ihre Spuren hinterlassen haben – der hessischen Wetterau.

Den Sommer zwischen Abitur und dem Beginn des Wehrdienstes verbrachte ich 1988 als Hilfskraft auf einer archäologischen Ausgrabung in meiner Geburtsstadt Bad Nauheim. Dieser faszinierenden Erfahrung folgten nach Monaten des Eingrabens als Panzergrenadier “beim Bund” etliche weitere Ausgrabungskampagnen während meiner Semesterferien.

Beeindruckende jungsteinzeitliche Siedlungsreste, raffinierte keltische Siedeanlagen, großzügige römische Gutshöfe und beigabenreiche Friedhöfe sowie erschütternd primitive alamannische Behausungen der Spätantike – das waren bei Wind und Wetter meine Aufenthaltsorte unter Aufsicht der Wetterauer Kreisarchäologie.

Von der dabei erworbenen körperlichen Fitness profitiere ich heute noch, wenn es darum geht, irgendwelches unerfreuliches Nadelgehölz im Garten mit Stumpf und Stiel aus dem Boden zu holen – mit Kreuzhacke, Spaten und Schaufel wie einst.

Und der Sinn für’s Detail, der beim maßstabsgerechten Zeichnen von Bodenverfärbungen, Fundamentresten und Schnitten durch Abfallgruben oder Gräber geschärft wurde, ist mir heute noch beinahe täglich dienlich, wenn ich mich in alte Autofotos versenke.

Die Entdeckerfreude kommt auch dabei keinesfalls zu kurz, und an einem solchen Fund will ich Sie heute teilhaben lassen. Zuvor muss ich an ein attraktives “Frisurmodell” erinnern, das ich vor zweieinhalb Jahren hier präsentiert habe.

An sich ging es dabei um eine Sportversion des NSU 5/25 PS von Mitte der 1920er Jahre, doch für jeden Zeitgenossen, der neben der Autoverrücktheit auch mit dem Sinn für die sonstigen Schönheiten des Daseins ausgestattet ist, war der Star sicher die junge Dame, die uns hier mit intensivem Blick fesselt und den Wagen zum Statisten macht:

NSU 5/25 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Mit dem erwähnten Spürsinn und systematischem Vorgehen des Archäologen war es mir seinerzeit gelungen, diesen auf den ersten Blick etwas beliebig wirkenden Tourenwagen als NSU 5/25 PS zu identifizieren.

Beweisen konnte ich das damals nicht, aber ich war mir meiner Sache so sicher, wie man in einem solchen Fall sein kann. Auch wenn es sich hier nur um die “unfrisierte” Serienversion dieses NSU-Modells handelte, ließ sich thematisch trefflich an der dunklen Lockenpracht der Insassin anknüpfen – sodass wir es auch hier mit einem Frisurmodell zu tun hatten.

Diese hübsche Begegnung war mir längst entfallen, als ich gestern abend die virtuelle Schaufel ansetzte und bislang noch nicht abschließend durchsiebte Hinterlassenschaften vergangener Akivitäten in meinem Mail-Friedhof auf etwaige Trouvaillen durchsuchte.

Dabei stieß ich auf eine Botschaft des Besitzers obigen Fotos – Klaas Dierks – mit der ich mich damals wohl nur oberflächlich befasst hatte. Auf einem weiteren Foto aus seiner Sammlung war nämlich nun ganz eindeutig ein NSU zu sehen, dazu musste man nicht einmal Archäologie studiert oder praktiziert haben:

NSU 5/25 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Ein irres Foto, nicht wahr? Wer würde so etwas fabrizieren?

Da hat man schon so ein Paar filigrane Damenbeine als willkommene Bereicherung des Automotivs “zur Verfügung” und belässt es einfach dabei. Niemand, der bei Sinnen ist, würde so etwas machen, nicht wahr?

Nun, ich muss mich im vorliegenden Fall selbst dieses Frevels bezichtigen. Wie alle Delinquenten habe ich aber selbstverständlich aus edlen Motiven gehandelt.

Denn mir ging es bei meinem verwerflichen Tun darum, meine Leser dazu zu nötigen, sich möglichst auf das Auto zu konzentrieren – wegen eines Details: Sie sehen die beiderseitig auf der Motorhaube angebrachten, merkwürdigen weißen Streifen?

Nun, die lassen sich mit etwas gutem Willen als Nummer 130 lesen – kommt Ihnen das bekannt vor?

Ja, tatsächlich, wir haben ihn wiedergefunden, genau den NSU 5/25 PS, der anno 1926 bei der Württembergischen Zuverlässigkeitsfahrt Platz 2 belegte – so war es nämlich auf der Rückseite des ersten Fotos von alter Hand vermerkt.

Ein überraschender Fund, da schlägt das Herz des Automobil-Archäologen höher. Noch mehr in Wallung gerät es indessen, wenn es feststellt, dass auch das bereits so wunderbar dokumentierte “Frisurmodell” wieder eine Rolle spielt.

Diesmal ist es jedoch eine so prominente, dass man sich nur vorsichtig daran herantasten darf. Nun aber wollen wir es wagen:

Sie sehen: Bei einer unvorbereiteten Konfrontation mit dieser umwerfenden Situation wäre das innere Gleichgewicht bedroht und das durften wir wir nicht riskieren.

Triumphierend hält unsere gertenschlanke (zweite) Siegerin etwas in der Hand, was wie eine Kopfbedeckung aussieht – wohl ein fesches Barett.

Die Herren ziehen vor soviel Anmut ebenso den Hut wie vor dem Mut, solchermaßen auf dem glatten Rund der Kühlerpartie zu balancieren. Allein dort hochzukommen, erfordert erhebliches Geschick – sich dann noch so selbstverständlich zu halten, das verlangt die kraftvolle, nach außen völlig unauffällige Kontrolle einer Ballett-Tänzerin.

Der über die Haube gespannte Stoff mit den Startnummern mag für etwas mehr “Grip” gesorgt haben, aber die dadurch vermittelte Sicherheit war eine trügerische.

Unsere Bewunderung für diese bezaubernde Kühlerfigur wird grenzenlos, wenn wir die Lässigkeit der Pose und den geradezu entrückten Gesichtsausdruck unseres “Frisurmodells” studieren, dessen Locken wie bestellt vom Wind bewegt werden:

Kann man sich einen beglückenderen Abschluss eines Auto-Porträts vorstellen?

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Gruselfaktor inklusive: Adler 6/24 PS Tourenwagen

Zur Geisterstunde pflege ich ein langjähriges Vertrauensverhältnis. Zwar glaube ich nicht an Gespenster – jedenfalls keine, die nicht von unserer Phantasie erzeugt werden – dennoch fühle ich mich im Dunkel der Zeit um Mitternacht von guten Geistern umgeben.

Anders fehlte mir wohl die Inspiration, mich zu später Stunde an Vorkriegsautos auf historischen Fotos abzuarbeiten.

Nur ein Teil davon ist einigermaßen ernst gemeintem Dokumentationsinteresse geschuldet – das ist ja eher die Domäne der Automobilhistoriker, wenngleich ich deren Produktivität hierzulande für entschieden steigerungsfähig halte.

Größeren Raum ein nimmt mitunter die Beschäftigung mit grundlegenden Fragen von Stil und Gestaltung sowie dem menschlichen Bedürfnis, seinem Dasein einen bestimmten Ausdruck zu verleihen und spezielle Momente davon für sich und andere festzuhalten.

Die Art und Weise, wie Mensch und Maschine auf diesen Dokumenten inszeniert wurden, ist für mich ein Quell nicht versiegender Faszination. Oft sind es Kleinigkeiten, die mit dem eigentlichen Fahrzeug wenig zu zu tun haben, welche fesseln.

Heute haben wir wieder so einen Fall und ich darf in Aussicht stellen, dass es dabei zur rechten (Uhr)Zeit durchaus ein wenig gruselig zugeht.

Beginnen wir ganz harmlos mit dieser technisch mäßigen, dennoch reizvollen Aufnahme:

Adler 6/24 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser eher kompakte Tourenwagen birgt keine besonderen Geheimnisse. In das Kühlernetz ragt das dreieckige Markenemblem der Adlerwerke aus Frankfurt/Main hinein.

Da das Kühleremblem nur unscharf wiedergegeben ist, hat man uns den Gefallen getan, zusätzlich eine unübersehbare Kühlerfigur in Adlerform zu montieren, die so kaum serienmäßig war.

Ebenfalls ein Zubehör waren die kunstledernen “Schürzen” an den Vorderkotflügeln, die einer stärkeren Verschmutzung des Wagens vorbeugen sollten. Bewusst aufgefallen sind mir diese merkwürdigerweise bisher nur bei Adler-Wagen der Typen 6/24 und 6/25 PS.

Von den meiner Adler-Galerie versammelten Fahrzeugen dieses Typs war etwa jeder zweite Wagen damit ausgestattet. Offenbar erfüllte der werksseitige Kotflügel seinen Zweck nur unzureichend, denn eine Verschönerung stellen diese Teil nicht gerade dar.

Die Drahtspeichenräder sind übrigens das Hauptunterscheidungsmerkmal zwischen dem 1923/24 gebauten Adler 6/24 PS und seinem 1925 eingeführten “Nachfolger” 6/25 PS, welcher leicht anhand seiner Scheibenräder zu erkennen ist.

Technisch waren diese kleinen Vierzylindertypen vollkommen konventionell, hervorzuheben gibt es da nichts. Der Käufer wusste vor allem, dass er sich auf die Adler-Qualität unbedingt verlassen konnte.

Wer schnelle und geräumige Reisewagen suchte, musste sich andernorts umschauen. Für die Spritztour am Wochenende mit der Familie oder Freunden war der Adler 6/24 PS aber allemal vorzüglich geeignet, man findet ihn oft bei solchen Ausflugssituationen abgelichtet.

Mitunter ergaben sich dabei sogar charmante Dokumente wie dieses hier:

Adler 6/24 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Manchem Leser wird die Aufnahme bekannt vorkommen – ich habe sie vor längerem als Teil einer netten kleinen Serie präsentiert.

Nehmen Sie sich etwas Zeit, sich die Insassen dieses Wagens einzuprägen, allesamt prächtige Individuen, die uns hier über einen Abstand von bald 100 Jahren anblicken.

Wenn es doch so etwas wie Geister gibt, erfreuen sich diese nun vielleicht daran, dass die Nachgeborenen nach so langer Zeit immer noch Genuss an dem Moment empfinden, der hier einst festgehalten wurde.

Vielleicht treiben sie aber auch etwas Schabernack mit uns. Denn auf mysteriöse Weise hat lange nach dem Erwerb der kleinen Serie, aus der dieses Foto stammt, eine weitere Aufnahme den Weg zu mir gefunden – wie eine Flaschenpost aus der Vergangenheit, die einen etwas längeren Weg zurückzulegen hatte als die anderen.

Irgendetwas hat mich lange davon abgehalten, auch dieses Zeugnis vorzustellen. Doch wie das oft so ist bei meinen nächtlichen Rendezvous mit den automobilen Hinterlassenschaften unserer Altvorderen, wusste ich heute plötzlich, dass nun die Zeit gekommen ist.

Noch gut fünf Minuten bis Mitternacht. Auch wenn es vielleicht nicht dem Ideal einer Gruselgeschichte entspricht, unternehmen wir gleich noch einen Spaziergang zur Tankstelle, wo man uns bereits erwartet.

Die Herrschaften, die wir mit ihrem Adler 6/24 PS gerade (wieder) getroffen haben, werden uns dort auf eine Weise wiederbegegnen, die nur auf den ersten Blick vertraut wirkt. Erst auf den zweiten Blick enthüllt sich das, was vielleicht für einen kalten Schauer sorgen wird.

Im Unterschied zu Ihnen weiß ich bereits, was uns erwartet, auch wenn ich erst heute abend den Gruselfaktor dieser Aufnahme entdeckt habe.

Sind Sie bereit? Gerade schlägt es Mitternacht von der kleinen gotischen Kirche her, die nur wenige hundert Meter entfernt steht. Und mit einem Mal ist es wieder heller Tag – zumindest auf einem Teil des Bildes, während der Rest in rätselhaftem Dunkel verharrt:

Adler 6/24 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Schon etwas merkwürdig, diese Situation an der Tankstelle, nicht wahr?

Rationale Geister werden uns nun sofort eine Erklärung für das Phänomen liefern können, das diesen Adler 6/24 PS wie im Zwischenreich von Dämmerung und strahlend hellem Tag erscheinen lässt.

Gut, das war jetzt noch nicht wirklich gruselig, oder? Gut, denn dann haben Sie das ebenfalls auch erst einmal übersehen, was sich in diesem Foto an Mysteriösem verbirgt.

Tatsächlich lässt sich erst einmal in gewohnt kühler Manier die Frontpartie des Wagens studieren – mit ein paar Handgriffen lässt er sich dem Reich der Schatten entreißen:

Fällt Ihnen hier etwas Außergewöhnliches auf? Nein? Nun, ganz rechts deutet sogar eine Hand genau darauf!

Hinter dem Adler zeichnet sich nämlich die Frontpartie eines unheimlich wirkenden mächtigen Tourenwagens ab, der offensichtlich einer anderen Hubraumklasse angehört.

Was könnte das sein? Ich tippe auf einen Dinos der frühen 1920er Jahre, aber es könnte auch ein anderes deutsches Fabrikat der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg sein (Vorschläge bitte per Kommentarfunktion).

War’s das jetzt etwa schon? Nein, natürlich nicht, aber ich wollte ihren Blick erst einmal in eine andere Richtung lenken, damit der folgende Effekt umso mehr Wirkung zeigt.

Denn jetzt schauen wir mit einem Mal in ein gleißendes, beinahe übernatürliches Licht:

Das ist auf den ersten Blick eine reizvolle Situation, nicht wahr?

Man hat sogar freundlich die Tür des Adler offengelassen, als ob man uns einladen wollte, doch einfach mitzukommen? Wer wollte da widerstehen?

Doch ich warne Sie, lassen Sie sich nicht täuschen! Hier stimmt nämlich etwas nicht – die Tür ist in Wahrheit gar nicht offen!

Schauen Sie noch einmal hin: Das Rund des Kotflügels geht durch die offene Tür, wie kann das sein? Die Tür kann in der Realität nicht gleichzeitig auf und zu sein.

Nur in einer von Geistern bewohnten Welt scheint ein solches Nebeinander möglich zu sein. Sind denn diese Geister dann vielleicht sogar selbst hier abgelichtet? Ja, das sind sie.

Schauen Sie sich noch einmal den letzten Bildausschnitt an:

Plötzlich sehen sie dort die Gesichtshälfte einer jungen Frau mit Brille, die sie anschaut. Und neben dem Herrn auf der Rückbank schweben geisterhaft die Schemen eines Ohres und einer Fahrerbrille im leeren Raum…

Ein wenig gruselig fand ich das schon, als ich das entdeckte. Aber wie gesagt: Es gibt für alles eine vollkommen rationale Erklärung…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

“Das ist unser Kleiner…”: Ein Buick von 1937

Wer sich ein klein wenig mit US-Automobilen der zweiten Hälfte der 1930er Jahre auskennt, wird bei der Überschrift stutzen: “Unser Kleiner”, bei einem 1937er Buick?

Wie kann das sein, wo die Marke in der gehobenen Mittelklasse angesiedelt war – nach amerikanischen Maßstäben natürlich – und schon das Basismodell einen 3,7 Liter messenden 6-Zylindermotor mit über 80 PS besaß?

Auch das äußere Erscheinungsbild wirkte alles andere als kompakt, selbst wenn diese Dame vielleicht nicht die größte war, die sich hier liebevoll an ein in Wien zugelassenes Exemplar schmiegt:

Buick “Eight”, Modelljahr 1937; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wie es scheint, handelt es sich bei diesem Wagen sogar um die äußerlich fast identische, aber etwas längere Achtyzlinder-Version, die rund 100 PS aus 4,1 Litern bot.

Diese großzügigen US-Wagen verkauften sich auch im Deutschland der späten 1930er Jahre immer noch, wenngleich nicht annähernd so, wie das während des “Amerikaner”-Booms Ende der Zwanziger der Fall gewesen war.

Gründe, ein solches “Kapitalistengefährt” im Deutschen Reich zu kaufen, das damals eine bemerkenswerte Kombination aus staatlicher Planwirtschaft und gewinnorientiertem Privateigentum praktizierte, gab es offenbar immer noch.

Hier sehen wir jedenfalls ein Exemplar mit deutscher Zulassung:

Buick, Modelljahr 1937; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Vielleicht haben wir hier es mit Vertretern derjenigen “Volksgenossen” zu tun, die immun gegen die Propaganda der braunen wie der roten Sozialisten waren und für die Amerika mit seinem Ideal individueller Entfaltungsfreiheit das positive Gegenbild des primitiven Kollektivismus war, der in Europa damals so viele Anhänger fand.

Möglicherweise hatte man Verwandtschaft in den Staaten und wurde von dort auf dem Laufenden gehalten, was die Entwicklungen im US-Autobau anging, der ab 1933 offiziell nicht mehr als vorbildlich galt, was zuvor ganz anders ausgesehen hatte.

Amerikanische Automobile waren von den selbstgefälligen deutschen Herstellern ab Mitte der 1920er Jahre so fleißig kopiert worden wie die führenden französischen Fabrikate um 1900. Erst ab 1930 emanzipierte man sich hierzulande von den US-Vorbildern und begann wieder eine eigene, wenn auch konservative Formensprache zu entwickeln.

An den US-Modellen der späten 1930er Jahre kündigten sich dagegen bereits formale Elemente an, die nach dem Krieg dominieren sollten. Deshalb wirkte bereits der Ende 1936 entwickelte Buick des Modelljahrs 1937 vor allem an der Frontpartie so modern.

Ist ja schön und gut, wenn hier immer mal wieder am Selbstbild der deutschen Autoindustrie gekratzt wird, mag jetzt mancher denken, aber was hat es jetzt mit dem “Kleinen” auf sich?

Nun, den sehen wir auf dem folgenden Foto eines weiteren 1937er Buick:

Buick, Modelljahr 1937; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir zwar ein in den USA zugelassenes Exemplar, doch dies gehörte deutschen Auswanderern, die das Foto an die Verwandschaft im inzwischen nationalsozialistisch durchgestylten Deutschland schickten.

Auf der Rückseite hat die keck posierende Dame auf Deutsch vermerkt: “Unser Kleiner, Harvey, hinter Paul”.

Der hochgeschossene Bub war also bereits dem Namen nach so perfekt integriert, wie man sich das in jedem vernünftigen Einwanderungsland wünscht – die deutschen Eltern waren es aber ebenfalls, wenn man sich ihren sozialen Status betrachtet.

Der baumlange Harvey hätte seine Wurzeln wohl bereits in den Staaten verortet – das in der alten Heimat verbreitete Schollendenken zu erwerben, werden ihm seine Eltern erspart haben.

Deshalb spricht übrigens von religiösen Minderheiten wie den Amish abgesehen in den USA längst keiner der Amerikaner mit deutschen Wurzeln mehr die Sprache seiner Vorfahren.

Man kann an den Vereinigten Staaten manches beanstanden, so den zunehmend eigengesetzlich agierenden Militärapparat, aber der dortige, auf dem radikalen Freiheitsversprechen der Verfassung basierende Patriotismus hat meine Sympathie.

Leider bedurfte es kurz nach Entstehen des letzten Fotos des Einsatzes Amerikas, um ein Deutschland niederzuringen, in dem die Bauern zwar noch die Ernte mit Ochsenkarren einbrachten, das aber dennoch meinte, seine Nachbarn mit blindem Furor überziehen zu müssen, wie das schon in der Antike die germanischen Stämme getan hatten.

So dürfte auch Harvey auch das Schicksal hunderttausender deutschstämmiger Landsleute geblüht haben, im 2. Weltkrieg als amerikanischer Infanterist, Panzersoldat, Jagdflieger oder Bomberpilot Tod und Verderben ins alte Europa zu bringen oder selbst dort den Tod zu finden.

Auch diese Geschichte ist mit solchen alten Fotos verbunden – wir können sie im 21. Jahrhundert “sine ira et studio” betrachten und uns Gedanken machen, die über die Beschäftigung mit den technischen und formalen Seiten von Vorkriegsautos hinausgehen…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.