Studien am Passo dello Stelvio: Lancia & Co.

Studieren können Sie heute alles Mögliche – Fahrradwissenschaften beispielsweise. Nun, bei den meisten Dingen ist nicht das drin, was außen draufsteht. Echte Wissenschaften stehen für sich selbst: Mathematik, Biologie, Paläontologie oder auch Linguistik.

Man könnte auf die Idee kommen, auch Vorkriegs-Autowissenschaft zum akademischen Fach zu adeln – leider gibt es keine öffentlichen Mittel dafür.

Dennoch haben Sie bei mir die Gelegenheit, mehr oder weniger ernsthaft (meist weniger) sich das Wissen anzueignen, das niemand braucht, aber das man unbedingt haben muss. Weder sind Studiengebühren fällig, noch gibt es einen Numerus Clausus.

Sie müssen nur den Hang des Dozenten zu Abschweifungen hinnehmen. Belohnt wird Ihre Geduld im besten Fall durch Erkenntnisse, die über das öde Studium reiner Fakten hinausgehen. Oft genug ist das Studium der Automobilität von gestern zugleich ein Besuch in der Schule des Lebens.

Bleiben wir für heute in dem Bild und lassen Sie uns gemeinsam die Hochschule besuchen – sie kennt keine muffigen Hörsäle in mieser Nachkriegsarchitektur, es weht dort herrlich frische Luft seit tausenden von Jahren.

Auf fast 2800 Meter Höhe ist diese Schule angesiedelt und sie trägt den klangvollen Namen „Passo dello Stelvio“. Die deutsche Bezeichnung „Stilfser Joch“ vermeide ich, sie klingt mir zu sehr nach Anstrengung und Buckelei – auch wenn es genau dessen von jeher bedarf, um dort nach oben zu gelangen:

Ostanstieg zum Passo dello Stelvio; Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Ganz gleich, von welcher Seite man den Pass angeht – man befindet sich in Italien, denn dort oben verläuft die Grenze zwischen dem Valtellina in der Lombardei und Südtirol, welches seit 1920 zu Italien gehört.

Von daher darf man vermuten, dass sich auf der Passhöhe insbesondere italienische Automobile studieren lassen.

Diese Annahme brachte mich dazu, ein entsprechendes Studienprogramm vorzubereiten, wobei das Lernziel wie bei echter Wissenschaft nicht bereits feststand, sondern durch die Empirie und daran anknüpfende Überlegungen erreicht werden sollte.

Dass das Ganze auf „Lancia & Co“ hinauslaufen sollte, hatte ich nicht erwartet, doch so hat es sich ergeben. Bereits bei der Anfahrt von der Sütiroler Seite klang das Thema das erste Mal an:

Passo dello Stelvio; Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Die hier zu sehende Immobilie ist für heute quasi das Hauptquartier unserer Hochschule, aber wie gesagt: wir wollen uns dem Freiluftstudium hingeben – denn nirgends lernt man so viel wie unter dem weiten blauem Himmel.

Selbiger ist im vorliegenden Fall zwar in einem Grauton gehalten, aber gleich dem Himmel zustreben sollten wir als Studienanfänger ohnehin keineswegs. Wir bleiben also auf dem Boden der Tatsachen und betrachten neugierig, was sich unserem Auge dort darbietet.

Hier kommen uns praktischerweise die ersten Studienobjekte bereits entgegen:

Passo dello Stelvio; Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Gar nicht übel für den Anfang, nicht wahr? Zwar gibt uns das erste Vehikel – ein Tourer von Anfang der 1920er Jahre mit hufeisenförmigen Kühler – Rätsel auf, aber wir sind ja noch Erstsemester und müssen den Blick zunächst an einfacheren Phänomenen schulen.

Da Sie als Blogleser hoffentlich die nötige (sittliche) Reife für die Zulassung zu dergleichen Studien erlangt haben oder aus eigenen Quellen darüber verfügen, wird Ihnen schon der zweite Wagen bekannt vorkommen.

Das muss ein Lancia der frühen 20er Jahre sein!“ Die klassische Kühlerform mit dem typischen Emblem spricht jedenfalls dafür. Ich stelle hier die These in den Raum und damit zur Diskussion, dass wir es mit einem Lancia „Trikappa“ zu tun haben.

Puh, auf einmal wird es anstrengend – man muss sich Handwerkszeug aneignen, es erproben, sich ein eigenes Bild machen und im Zweifelsfall ein vom Konsens abweichendes Votum abgeben können.

DAS ist Wissenschaft – das bloße Reproduzieren der herrschenden oder vorgegebenen Sicht ist es mitnichten. Auch beim Studium in der Freiluftuni hoch auf dem Passo dello Stelvio gilt also gerade nicht: „the science is settled„, sondern das glatte Gegenteil.

Daher bin ich gespannt, zu welchen Einschätzungen und Ergebnissen Sie noch kommen werden. Bevor wir uns das nächste Studienobjekt vornehmen, ist Entspannung angesagt.

Der Weg zu dieser Hochschule war weit und beschwerlich – jetzt genießen wir für einen Moment, dass wir es hierher geschafft haben, während es im Hintergrund geschäftig zugeht:

Touristen auf dem Passo dello Stelvio; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Rasch knüpft man die ersten Kontakte – alle sind in Hochstimmung und voller Begierde, hier etwas zu lernen, was einem in den Niederungen des Alltags nicht zugänglich ist.

Die Aussicht ist in der Tat erhebend, man fühlt sich privilegiert und wagt einen ungewohnten Blick ins Weite – gut für die Augen und gut für’s Denken:

Aussicht vom Passo dello Stelvio; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Im Vordergrund versammeln sich die ersten Studienobjekte, doch sie erscheinen uns noch nicht so interessant.

Viel lockender sind die Perspektiven in der Ferne. Doch die wollen erarbeitet sein. Dabei ist es gut zu wissen, dass man mit seiner Wissbegier und seinem Streben nicht allein ist.

Also schaut man sich um, mit wem sich die Studienzeit möglichst angenehm gestalten lässt.

Bitte entschuldigen Sie die kurze Ablenkung, aber ich fühle mich gerade an ein Erlebnis in meinem Grundstudium erinnert, das mich seinerzeit vorübergehend aus der Bahn warf, nachdem es unverhofft in meinen Studienalltag getreten war:

Auf dem Passo dello Stelvio; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Sie sehen, wie leicht es ist, sich vom ernsthaften Studium ablenken zu lassen, das wir uns doch alle vorgenommen hatten.

Die Automobile aus der Kategorie „Lancia & Co“ führen hier vorübergehend eine bloß schattenhafte Existenz in unserer Wahrnehmung.

Doch nach kurzer Krise besinnen wir uns und finden zurück zu unserer sachorientierten Betrachtungsweise. Dabei hilft uns Novizen die geordnete Präsentation der Studieninhalte:

Passo dello Stelvio; Ansichtskarte von 1929 aus Sammlung Michael Schlenger

Man bemüht sich nun erstmals, einen klareren Blick und erste Erkenntnisse zu gewinnen. Doch das fällt schwer, die Dinge sind einfach noch zu abstrakt.

Also strengen wir uns an und nähern uns aufmerksam, vielleicht wollen sich ja dann erste Geistesblitze einstellen:

Passo dello Stelvio; Ansichtskarte von 1929 aus Sammlung Michael Schlenger

Na, was sagen Sie nun? – Wenn Sie bei dieser Gelegenheit ins Schwitzen kommen wie in einer Prüfung, die doch noch in weiter Ferne liegt, dann seien Sie beruhigt.

Ich scheitere ebenfalls an der sicheren Ansprache auch nur eines dieser Automobile.

Dergleichen Entäuschungen tragen zum Erwerb der Demut bei, die einem in allen Lebenslagen nützlich ist, denn das Scheitern auch bei besten Voraussetzungen zählt zu den Grunderfahrungen des Daseins.

Man darf nur nicht verzweifeln, sondern muss lernen, beharrlich zu bleiben und den eingeschlagenen Weg weiterzuverfolgen, solange er noch aussichtsreich erscheint.

Und wo könnte es aussichtsreicher zugehen in Sachen Vorkriegsautos auf alten Fotos als auf dem Passo dello Stelvio? Studienmaterial zur Schärfung des Blicks findet sich zuhauf.

Also lassen wir uns nicht beirren und unternehmen einen neuen Versuch:

Passo dello Stelvio; Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Auch der Erstsemester mit Basiswissen wird hier nach einem Rundumblick Zuversicht schöpfen.

Zwar ist die Versuchsanordnung fast dieselbe wie beim ersten Mal. Doch nun finden wir mit einem Mal Zugang zum Studienobjekt – die Qualität des didaktischen Material entscheidet offenbar.

Plötzlich erleben wir, wie leicht die Anwendung bislang abstrakter Fähigkeiten fällt, wenn man einmal verstanden hat, worauf es ankommt.

Hier bekommen wir mit etwas Erfahrung gleich zwei eindeutige Ergebnisse unserer Bemühungen um Wissenserwerb serviert:

Der niedrig auf der Straße liegende Wagen ganz rechts – das ist doch ebenfalls ein Lancia mit typischer Gestaltung der Kühlerpartie und des Markenemblems!

Genau, bloß ist es diesmal nicht der ab 1922 gebaute Typ „Trikappa“, sondern der sensationelle „Lambda“, der bei Erscheinen 1923 das fortschrittlichste Auto der Welt war.

Der Wagen war schon oft Gegenstand in meinem Blog, weshalb ich bei dieser Gelegenheit auf weitere Details verzichte – diese sind leicht verfügbares Basiswissen.

Auch der hochbeinige Wagen daneben ist ein alter Bekannter: Die kurze und hoch bauende Motorhaube mit den ungewöhnlich niedrigen Luftschlitzen und dem oben leicht abgerundeten Kühlergehäuse sind typisch für den Fiat 501.

Die Meriten des ersten (ab 1919) massenhaft gebauten und international erfolgreichen Fiat sind ebenfalls x-mal Gegenstand meiner Blog-„Tutorien“ gewesen.

So, nach diesen ersten Erfolgserlebnissen in Sachen „Lancia & Co.“ sind wir jetzt reif für die nächste Herausforderung – dabei entscheidet sich, ob uns das Fach wirklich liegt.

Passo dello Stelvio; Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Mmh, hier schleicht sich ein gewisses Unbehagen ein. Irgendwie will es nicht so recht gelingen, sich für diese Facetten des Fachs zu erwärmen.

Merkwürdig unzugänglich kommen einem die Studiengegenstände hier vor.

Könnte es sein, dass wir uns für eine Richtung entschieden haben, die sich uns nur mit großer Anstrengung erschließt, aber keine Leidenschaft zu wecken vermag?

Geben wir der Sache noch eine Chance, zumal man es sich nicht mit der reizvollen Kommilitonin mit den dunklen Locken aus derselben Fachrichtung verderben will, die einen in letzter Zeit begleitet, auch wenn noch nichts Ernsthaftes zur Debatte stand:

Verflixt, es will sich einfach keine Begeisterung und kein spontaner Zugang zu dieser Materie einstellen. Die Sache ist zu unstrukturiert, es mangelt hier an der Klarheit und Logik, nach der es einen verlangt.

Es hilft alles nichts – man muss in einem solchen Fall eine andere Richtung einschlagen. Kein gänzlich neues Fach, das nicht, aber eine Variante, in der man sich zuhause fühlt und in der einem die Resultate bei guter Vorbereitung förmlich zufliegen.

Eine kurze Umorientierung und siehe da: Hier findet man schon leichter Anschluss, auch wenn einem nicht gleich alles auf dem Silbertablettt serviert wird:

Passo dello Stelvio; Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Wie man sieht, stellt sich jetzt einiges anders dar: Unser „Studentenwohnheim“, das wir außer für etwaige Parties geflissentlich ignorieren, ist erweitert worden und die vor einem stehenden Herausforderungen zeichnen sich in denkbar großer Klarheit ab.

Nun gilt es vor allem, englischsprachige Literatur durchzuackern, aber nicht nur, denn auch einige Beiträge aus dem guten alten Europa sind zur Kenntnis zu nehmen.

Diese Mischung aus klassischer Tradition und überseeischer Moderne gefällt uns – beide Seiten haben etwas für sich und aus dem intensiven Neben- und Miteinander ergeben sich erfrischend neue Sichtweisen und Impulse.

Schauen wir auch hier näher hin, denn es gibt bei diesem Kulturaustausch ohne Berührungsängste Erstaunliches zu lernen:

Die beiden US-Großserienmodelle um 1935 im Vordergrund bzw. an dritter Stelle wären Gegenstände für solide Seminararbeiten – die betrachten wir als abgehakt.

Interessanter und für den wirklich wissbegierigen Studenten anspruchsvoll sind der kompakte Wagen ganz rechts – den überlasse ich mutigen Freiwilligen – und die kolossale Sechsfenster-Limousine im Hintergrund.

Für letztere melde ich mich als Diplom-Aspirant, denn dafür bedarf es fortgeschrittener Qualitäten, die ich nach 10 Jahren Bloggerei und mehreren tausend einschlägigen Fotos zumindest in Teilbereichen beanspruche:

Machen wir es im Fall des Wagens mit dem schrägstehenden Dreieckskühler kurz. Also präsentiere ich zwecks „Peer-Review“ meine These:

Lancia „Astura„, Serie 3 ab 1933, Tipo 233L mit extralangem Radstand.

Diese spektakuläre Reiselimousine war mit ihrem gut 80 PS leistenden V8-Motor zur komfortablen und schnellen Überwindung großer Distanzen geeignet. Solche Wagen fuhren reiche Unternehmer aus Oberitalien, die mehr als nur eine Begleiterin nebst Gepäck hatten.

Damit ging es entweder über die Autostrada dei Laghi – die erste Autobahn der Welt – von Mailand an die oberitalienischen Seen oder (wie hier der Fall) auf große Tour durch die Alpen.

Eine ungefähre Vorstellung von der stilistischen Klasse dieser Wagen vermittelt folgender Bildausschnitt, welcher eine ähnliche (allerdings kürzere) noch existierende Limousine auf Basis des Lancia „Astura“ mit weitgehend übereinstimmender Frontpartie zeigt:

Lancia „Astura“ Limousine von ca. 1934; Netzfund ohne Quellenangabe

Ich kann hier durchaus falsch liegen und bin aufgeschlossen für das bessere Argument, wie es gute Praxis in echter Wissenschaft ist (korrigiere: sein sollte).

Damit wäre ich am Ende meines heutigen Studienreise auf den Passo dello Stelvio.

Wer immer noch nicht müde ist und unterwegs besonders gut aufgepasst hat, mag sich jetzt mit diesem merkwürdigen Gefährt auseinandersetzen, welches uns heute als Randerscheinung des Hochschulbetriebs begegnet ist:

Ich als italienerprobter Reiseleiter und selbstbewusster Blog-Wart habe eine klare Vorstellung davon, um was es sich hier handelt.

Was aber sagen Sie, liebe Absolventen der Hochschule des Daseins und des akribischen Selbststudiums zu diesem Kandidaten, welcher sich einst ebenfalls auf dem Passo dello Stelvio zur Outdoor-Party unter dem Motto „Lancia & Co“ einfand?

Nachtrag: Leser Michael Müller macht zurecht darauf aufmerksam, dass es einst auch ein legendäres Bergrennen am Stelvio gab, damals noch auf Schotterpisten.

„Wiederentdeckt“ wurde die grandiose Strecke im Rahmen einer Folge der britischen Heizer-Serie „Top Gear“, leider ohne Vorkriegsautos, aber dies eine Mal ist das egal…:

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Nichts gegen Nadelstreifen! Ein 1929er DeSoto im Schnee

Wer schon länger in deutschen Landen residiert, kennt die sprichwörtlichen „Nieten in Nadelstreifen“ – großspurig auftretende Manager, die durch krasse Fehlentscheidungen von sich reden machen. Es gab Anfang der 1990er Jahre sogar ein Buch mit dem Titel.

Ich konnte der Tatbestandsbeschreibung nie viel abgewinnen – aber nicht, weil ein Nadelstreifenanzug über Jahre zu meiner beruflichen Uniform gehörte und ich nie ein grundsätzliches Problem mit Leuten hatte, die sich eine Krawatte binden können.

MIch lehrte die Lebenserfahrung, dass es Versager, Blender und sogar Kriminelle in allen Berufständen gibt – bei Ärzten, Bankern, Gewerkschaftlern, Lehrern, Pfarrern, Autohändlern oder Malermeistern.

Nur einen Berufstand – oder sollte ich sagen: eine Klasse? – will ich ausnehmen: vom Volk gewählte Politiker. Diese hegen durchweg edle Absichten, sind selbstlos und machen alles richtig – sonst wären sie ja nicht an der Macht oder blieben nicht lange an derselben.

Ich hoffe, mich hier korrekt ausgedrückt zu haben, denn ich stehe nur ungern früh auf.

Nun zum eigentlichen Thema – am Ende werden Sie übrigens zumindest einem speziellen Nadelstreifenträger mit Sympathie begegnen. Hier begegnet er uns das erste Mal:

DeSoto von 1929; Originalfoto Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme entstand offenbar unweit des Millstättersees im österreichischen Kärnten – darauf lässt das Schild im Hintergrund schließen.

Sicher verbindet der eine oder andere Leser etwas mit der Region, mir dagegen war die Gegend unbekannt. Aber was lernt man nicht alles beim Studium von Vorkriegsfotos auf alten Fotos – und deshalb versammeln wir uns hier ja auch beinahe täglich, nicht wahr?

Also: Der Herr im Nadelstreifenanzug rechts sowie die Dame in der Mitte und der Knickerbockerträger links scheuen sich nicht, ihr feines Schuhwerk dem Schneematsch auszusetzen. Das tun sie sicher nicht aus Vergnügen.

Meine Vermutung ist die, dass die beiden Herren die mit feinem Profil ausgestatteten Räder behelfsmäßig gegen eine Rutschpartie zu sichern versuchen – wohl mit Abschnitten eines Seils. An gängige Schneeketten hatten die Herrschaften (m/w/d) wohl nicht gedacht.

Dennoch verbietet sich hier das Votum „Nieten in Nadelstreifen“ ganz klar – denn wer selbst nicht nur von der Teppichetage aus abstrakte Arbeitsanweisungen geben kann, sondern auch selbst Hand anzulegen weiß, wenn Not am Mann ist, der verdient unsere Sympathie.

Hier haben wir unseren Nadelstreifler mit einem Mal in gebückter Position und im gemeinsamen Einsatz mit weiteren Ortskräften (kleiner Scherz) und diese Aufnahme sieht nicht gestellt aus. Der Mann wusste wirklich anzupacken:

DeSoto von 1929; Originalfoto Sammlung Michael Schlenger

Wir sehen, was passiert ist: Die paar Seile an den Rädern haben nicht viel geholfen – oder zumindest nicht verhindert, dass der Wagen – eine große Sechsfenster-Limousine – von der Fahrbahn in den Straßengraben gerutscht ist.

Kenner der Materie werden sofort erkennen, dass das Auto aus München stammte.

Sicher ist es unangebracht, den Bayern eine generelle Distanz zum Automobil zuzuschreiben. Mir ist nur aufgefallen, dass zur genialsten Erfindung vor dem Personal Computer und dem Internet die Bajuwaren vor dem Krieg fast nichts beigetragen haben.

Selbst BMW musste das Handwerk bekanntlich mit Hilfe der „Dixi“-Leute im thüringischen Eisenach lernen. Aber lassen wir das und gehen der Frage nach, was das für ein Wagen war, der hier mit Vertretern der Münchener Schickeria auf Abwege gekommen war.

Gewohnheitsmäßige Konsumenten meines Blogs werden nun lässig aus der Hüfte schießen: „Irgendein Ami-Importwagen von Ende der 1920er Jahre.“ – Treffer!

Auch wenn alle deutschen Hersteller – mit Ausnahme von Daimler-Benz – dem dominierenden US-Stil jener Zeit nacheiferten, traf ihn keiner 100%ig und das war wohl auch die Absicht. Optischen Plagiaten sehr nahe kamen teilweise Opel und zeitweilig Horch.

Ein US-Fabrikat der 1920er Jahre lässt sich immer als solches erkennen, das ist auch hier der Fall. Vielleicht erinnern Sie sich an meinen Blog-Eintrag vom Sommer 2024, in dem ich dieses schöne Foto mit nachdenklichen Bezügen zur Gegenwart verband:

DeSoto Roadster, Modelljahr 1929/30; Originalfoto: Schenkung von Helmut Kasimirowicz (Düsseldorf)

Auch wenn wir es hier mit einem leichten Aufbau als Zweisitzer-Cabriolet (nach US-Diktion „Roadster“) zu tun haben, stimmt doch die Kühler- und Haubenpartie überein.

In beiden Fällen handelte es sich um einen DeSoto des Modelljahrs 1929/30. Nach US-Maßstäben war das ein bodenständiger Wagen der unteren Mittelklasse, ausgestattet mit 55 PS leistendem Sechszylindermotor.

Die Marke war überhaupt erst 1929 vom Chrysler-Konzern geschaffen worden und es beeindruckt, wie schnell man dieses völlig neue Fahrzeug auch am deutschen Markt verkaufen konnte. Für mich ein neueliches Indiz für die enorme Angebotslücke heimischer Hersteller, die von Importeuren aus den USA, Italien und Frankreich gefüllt wurde.

Die einmalige logistische Kompetenz der amerikanischen Industrie änderte aber nichts daran, dass auch ein DeSoto bei winterlichen Verhältnissen besondere Fahrkompetenz verlangte.

Sofern es daran im vorliegenden Fall gemangelt haben mag, erweist sich der am Desaster beteiligte oder gar schuldige Nadelstreifenträger aber immerhin als fähig, den Kahn in gemeinsamer Anstrengung wieder auf Kurs zu bringen.

Solches beherztes Handeln wünscht sich in unseren Tagen auch mancher von den Industriekapitänen hierzulande. Dazu muss aber erst an ganz anderer Stelle das Ruder herumgeworfen werden. Ob das geschieht, bleibt freilich abzuwarten…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Fund des Jahres: Aus dem Gau in den Stau zum Gardasee…

Was auch immer Sie als Fund des Jahres 2024 erwartet oder sich erhofft haben – ich bin sicher, dass Sie mit dem Ergebnis zufrieden sein werden, auch wenn dieses etwas anders ausfällt als sonst.

Als passionierter Italienreisender bin ich zwangsläufig auch leidenschaftlicher Kilometerfresser. Perfekt dazu passte die Entdeckung einer ganzen Bilderfolge – die zwar viel Arbeit gemacht hat, bis sie präsentabel war, aber mich nebenher mit einer Route und Ansichten belohnt hat, die mir bislang unbekannt waren.

Denn zum südlichsten See Deutschlands – wie die Italiener zu sagen pflegen – also dem Gardasee, bin ich in bald 40 Jahren Reiserei über die Alpen nie gelangt. Mich hat es stets weiter den Stiefel hinunter gezogen und das tut es bis heute.

Den wenigsten ist das Glück gegeben ist, sein Leben mit gewohnheitsmäßigen Italienreisen und dem Erhalt von Vorkriegsautos zu bereichern – außerdem lässt der Winter einen gern von blauem Himmel, Sonnenschein und Wärme träumen.

So dachte ich mir, dass ich gerade den Lesern in der finsternsten Zeit des Jahres vielleicht eine Freue mache, welchen dieser Lebenstil nicht vergönnt ist oder die vielleicht nicht mehr selber reisen können.

Nun machen Sie es sich bequem und nehmen Sie an einer außergewöhnlichen siebentägigen Reise teil, die am 4 Juni 1938 in Halle begann. Stellen wir uns vor, wir besäßen einen Stoewer „Greif“, wie er auf dieser alten Reklame für Benzin der Marke Standard abgebildet ist:

Stoewer „Greif“- auf Reklame für „Standard“-Kraftstoff; Original: Sammlung Michael Schlenger

Der 1935 eingeführte Stoewer wird hier völlig angemessen auf der Autobahn gezeigt. Denn mit seinem luftgekühlten 34 PS-Motor erreichte er die damals wichtige Marke von 100 km/h.

Das moderne Chassis mit Zentralrohrrahmen und komfortablem Fahrwerk mit Querblattfedern machte den ursprünglich von Tatra entwickelten Wagen zu einem angenehmen Reisefahrzeug, das überdies leistungsfähige hydraulische Bremsen besaß.

Früh machen wir uns auf den Weg, denn wir haben einiges vor.

Doch kaum sind wir auf der Autobahn, die von Halle in Richtung Nürnberg gen Süden führt, finden wir uns in einem Stau vom Feinsten wieder – so sieht es jedenfalls auf den ersten Blick aus:

Wagenkolonne auf der Autobahn; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Naja, mögen Sie jetzt denken, es gibt Schlimmeres als so eine Ansammlung von Vorkriegswagen, auch wenn im Moment nichts mehr zu gehen scheint. Die Leute stehen ja sogar auf der Straße herum!

Offenbar dauert es, bis weitergeht, warum auch immer.

Also steigen wir aus unserem Stoewer „Greif“ aus, greifen zur Kamera und wechseln die Straßenseite, die fast völlig leer ist. Schauen wir doch, ob sich etwas Interessantes auf den frisch eingelegten Rollfilm im Format 9 x16 cm bannen lässt:

Wagenkolonne auf der Autobahn; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Und tatsächlich! Das Auto ganz am Ende, das ist doch ein BMW 326 in der Ausführung als viertürige Limousine. Von dessen 50 PS starkem Sechszylinder und Spitze 115 km/h können wir nur träumen.

Mit 5500 Reichsmark spielt er aber auch preislich in einer ganz anderen Liga als unser braver Stoewer – und schon der ist mit 3650 für die Cabrio-Limousine) kein Billigheimer.

Übrigens ist unser „Greif“ der zweite Wagen von links auf diesem Ausschnitt – zwei Mercedes trennen ihn vom BMW.

Nachdem sich der „Stau“ endlich aufgelöst hat, folgen wir weiter der Autobahn via Nürnber Richtung München. Unterwegs gibt es einen nunmehr planmäßigen Halt bei Eichstätt im Altmühltal, wo wir den Blick auf die Willibaldsburg genießen:

Aussichtspunkt bei Eichstätt; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wieder nutzen wir die Gelegenheit, unseren wackeren Stoewer – in der erwähnten Ausführung als Cabrio-Limousine vor eindrucksvoller Kulisse abzulichten.

Das ist übrigens eine Gelegenheit, den „Greif“ aus ganz ungewöhnlicher Perspektive zu studieren – noch dazu mit geöffnetem Kofferraum, der darauf ausgelegt war,weit mehr Gepäck zu fassen als man denkt. Er blieb dann eben auch während der Fahrt offen:

Stoewer „Greif“ bei Eichstätt; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Nach diesem Idyll geht es bald weiter gen Süden – an München vorbei und in Richtung Alpen – denn über die wollen wir drüber.

Aber irgendwie scheint in dieser Fahrt der Wurm drin zu sein – jedenfalls den Bildern nach zu urteilen. Denn kurz vor Garmisch-Partenkirchen – wir haben schon das majestätische Wettersteingebirge mit der Zugspitze vor Augen – bildet sich der nächste Stau.

Bereits routiniert steigen wir aus, die Kamera in der Hand und nutzen die Gelegenheit, um Bilder zu machen:

Straße nördlich von Garmisch; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wie es der Zufall will, haben wir wieder einen BMW vor der Linse, doch diesmal ein Cabriolet mit schicker Zweifarblackierung. Der jungen Dame im Wagen ist offenbar langweilig und so posiert sie freundlich für uns in dem edlen Fahrzeug.

Bald nimmt die Sache wieder Fahrt auf und nach nicht allzulanger Zeit sind wir bereits in Österreich. Der nächste Höhepunkt ist der Fernpass, wo wir einen kurzen Halt zur Proviantaufnahme nutzen.

Ein Tiroler Bub reicht uns eine Papiertasche mit Wegzehrung. Was darauf und auf der Seitenscheibe zu lesen gibt Ihnen eventuell einen ersten Hinweis auf den wahren Charakter dieser Fahrt – doch so oder so folgt die Auflösung am Ende.

Zwischen Fernpass und Nauders; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Aufbau unseres Stoewer kommt hier gut zur Geltung, nicht wahr? Als Cabrio-Limousine verbindet er das Beste aus zwei Welten.

Weiter geht es nun über Nauders auf immerhin knapp 1400 Meter Höhe, bevor wir den Reschenpass ins seit 1920 italienische Südtirol hinein überqueren.

Auf der anderen Seite finden wir uns doch tatsächlich erneut in einem Stau wieder:

Unterhalb des Reschenpasses; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Meine Güte, was ist denn nun schon wieder los? So könnten unbeherrschte Zeitgenossen reagieren. Doch wir blieben ganz gelassen so wie unser luftgekühlter Stoewer die Passfahrt völlig „cool“ nahm.

Wie es scheint, sammeln sich hier an einer Tankstelle die zahlreichen Wagen, für welche die bisherigen Strapazen mehr waren als gewohnt, und nehmen erst einmal diverse Flüssigkeiten zu sich.

Da wir mit unserem „Greif“ mitten in der Kolonne stecken, nutzen wir erneut die Gelegenheit zur Fotopirsch. Noch ist der erste Film in der Kamera – noch sechs von sagenhaften 12 Aufnahmen auf verbleiben uns.

Also gehen wir sparsam mit dem Material um und treten einfach etwas näher heran:

Unterhalb des Reschenpasses; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wir haben Glück: Ganz vorne sehen wir einen Sechszylinderwagen in schöner Cabrio-Ausführung, diesmal einen Hanomag. Das Modell mit der Bezeichnung „Sturm“ konkurrierte von der Papierform her mit dem BMW 326, sah aber nicht so modern aus.

In Zweifarblackierung und mit sportlich wirkendne Drahtspeichenrädern auf jeden Fall ein gutaussehendes Fahrzeug für eher konservative Käufer.

Direkt dahinter haben wir – wenn ich nicht irre – zwei ebenfalls flotte Vertreter der Marke Wanderer, ganz rechts außerdem ein Opel mit eher biederer Anmutung.

Nachdem sich auch dieser Stau endlich aufgelöst hat, ist Schlanders die nächste Station. Wir halten kurz, um die pittoreske Lage des Ortes festzuhalten.

Schlanders (Südtirol); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Für große Worte bleibt keine Zeit – wir haben es eilig und wollen bis abends in unserem nächsten Etappenziel ankommen: Meran!

Hier genießen wir erstmals mediterranes Klima – man merkt, dass Italien nicht mehr weit ist.

Wir gönnen uns nach inzwischen gut 800 Kilometern Wegstrecke eine Nacht in einem Hotel, das sich sehen lassen kann bzw. konnte, denn heute wird der 1908 gegründete „Albergo Emma“ leider profaner genutzt. Da schauen wir lieber zurück in die Welt von gestern:

Hotel „Emma“ in Meran (Südtirol); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Links geschickt einbezogen parkt unser treuer Stoewer „Greif“, nun mit über die Nacht geschlossenem Dach. Keine Sorge, bald werden wir das Auto noch aus vorteilhafterer Perspektive sehen.

Vorher gilt es allerdings noch einige Kilometer zu absolvieren, denn uns zieht das nächste große Ziel magisch an – der Gardasee!

Bozen lassen wir unterwegs links liegen, nur auf dem Mendelpass gönnen wir uns angesichts der grandiosen Aussicht bei strahlendem Sonnenschein eine kurze Pause:

Auf dem Mendelpass (Südtirol); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die abgebildeten Personen gehörten übrigens alle zur Besatzung des Stoewer – er hatte also vier erwachsene Insassen an Bord.

Alle wieder einsteigen, wir haben noch eine hübsche Wegstrecke vor uns.

Diese führt übrigens westlich der Hauptroute via Trient in Richtung Gardasee. Auf dem Weg dorthin genießen wir die grandiose Szenerie am Molvenosee mit der Brenta-Gruppe im Hintergrund:

Molvenosee (Südtirol); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auf dem weiteren Weg hält uns kein Stau mehr auf, denn wir haben geschickt eine weniger stark befahrene Route gewählt.

Über geschotterte Pisten und teils kühne Serpentinen geht es schließlich von der Höhe hinunter ans Ziel – den zauberhaften Ort Riva am Nordufer des Lago di Garda.

Nach erquickendem Schlaf und gutem Frühstück im Hotel Sole wechseln wir am folgenden Tag das Fortbewegungsmittel, denn eine Rundfahrt zu ausgewählten Schönheiten des Gardasees steht auf dem Programm.

Hier eine Aufnahme kurz nach der Abfahrt mit Blick Riva und unser Hotel:

Riva am Gardasee; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Natürlich muss man die berühmten Burgen am Seeufer gesehen haben – allen voran die bei Malcesine, welche durch eine abenteuerliche Episode in Goethes „Italienischer Reise“ im deutschsprachigen Raum berühmt wurde.

Hier haben wir die Ansicht der malerisch gelegenen Festungsanlage direkt von unserem Dampfer:

Malcesine am Gardasee; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Da wir bislang sparsam mit unserem Filmmaterial umgehen können, erlauben wir uns nun den einen oder anderen Schnappschuss vom Treiben an Bord.

Merkwürdig, dass praktisch alle Passagiere deutsch sprechen und sich überdies gut zu kennen scheinen. Das Ganze hat etwas von einem Familienausflug:

Auf dem Gardasee; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Nun gut, das wird seine Gründe haben.

Wir lenken unterdessen den Blick des geübten Fotografen wieder auf die Schönheit der Landschaft und lichten wie alle anderen gelernten Touristen natürlich auch die im Baedeker vermerkte „Punta S. Vigilio“ ab.

Die pittoreske Landspitze am Ostufer des Gardasees mit ihrer direkt am Wasser gelegenen kleinen Kirche ist aber auch unwiderstehlich für einen neuen Gast aus dem Norden:

Punta S. Vigilio am Gardasee; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Bevor wir an unser eigentliches Ziel auf der Westseite des Sees gelangen – den Ort Maderno – gibt es noch Gelegenheit zum Tanz an Deck, die von einigen Reisenden gern genutzt wird.

Dergleichen Situationen ist nicht leicht eine besondere Note abzugewinnen, zumal sich nicht alle Personen bei dieser Gelegenheit von ihrer besten Seite zeigen. Doch der geübte Fotograf wird dennoch den richtigen Moment abpassen und der Nachwelt einen hübschen Schnappschuss hinterlassen:

Auf dem Gardasee; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Bei unserem Halt in Maderno auf der westlichen Seeseite nutzen wir die Gelegenheit zur Begutachtung eines Hotels, das uns von erfahrenen Gardasee-Reisenden für künftige Gelegenheiten empfohlen wurde.

Kurioserweise trägt das Etablissement ebenfalls den Namen „Maderno“, doch das stört uns nicht, denn Lage und Erscheinungsbild des Hotels gefallen uns ausnehmend gut. Dass es in der italienischen Variante des Jugendstils – der Liberty-Stil errichtet wurde, welcher in Italien übrigens bis Ende der 1920er Jahre fortlebte, spricht uns besonders an.

Was wir bei unserem Besuch noch nicht wissen konnten, ist der Umstand, dass just in diesem Hotel von 1943-45 das Innenministerium der von deutschen Gnaden installierten Marionettenregierung von Mussolini residieren sollte.

Überhaupt lassen wir uns bei unserer Reise von den Zeitumständen den Spaß nicht verderben. Nichts wird ungeschehen dadurch, dass man die wenigen schönen Seiten ausblendet, die zumindest im Privaten möglich waren.

Dem Horror begegnet man in Italien ohnehin auf Schritt und Tritt, das erweist sich auch auf unserer Weiterfahrt nach dem Abschied vom Gardasee in Richtung Dolomiten über Canazei hinauf auf den Pordoi-Pass:

Deutscher Soldatenfriedhof am Passo di Pordoi; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier liegen deutsche Soldaten begraben, die bei den Kämpfen zwischen italienischen und deutsch/österreichischen Truppen im 1. Weltkrieg ihr junges Leben verloren.

Wie es sich gehört, halten wir inne, lesen stumm die Namen der Gefallenen, denken an Kriegsteilnehmer in der eigenen Familie und ziehen nachdenklich wieder von dannen.

Oben auf dem Pass gönnen wir uns und dem „Greif“ eine Pause und nutzen die Gelegenheit, den Wagen endlich einmal von seiner schönsten Seite zu zeigen:

Auf dem Pordoi-Pass (Südtirol); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier is neben der Aufschrift „Stoewer Greif“ auf der Kühlerattrappe – merke: der Wagen war luftgekühlt – auch das Magdeburger Kennzeichen zu sehen.

Da wir die Kamera schon gezückt haben und das Wetter prächtig ist, nutzen wir die Gelegenheit, von der Passhöhe aus auch die majestätische Spitze des 3.200 Meter hohen „Sassolungo“ auf das Negativ zu bannen:

Auf dem Pordoi-Pass; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Förmlich berauscht von der Höhe und dem lustvollen Befahren der Pässe gehen wir gleich das nächste Ziel in dieser Hinsicht an – den Falzaregopass.

Er ist die letzte Zwischenstation auf dem Weg weiter gen Osten in Richtung Cortina d’Ampezzo. Vor der Auffahrt halten wir noch einmal an und nehmen den Pass mit der Kamera ins Visier:

Auffahrt zum Falzarego-Pass; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Herrlich, ganz alleine auf weiter Flur in solch grandioser Landschaft.

Was für ein Privileg, hier mit dem Stoewer „Greif“ unterwegs zu sein, in dem Wissen, dass ihm die Steigungen nichts ausmachen, auch wenn er einiges zu schleppen hat.

Man wähnt sich fast allein auf der Welt, bis einen in Cortina d’Ampezzo die Realität wieder einholt. Abermals ein Stau – das kann doch gar nicht sein! Und wir mit dem Greif mitten drin:

Cortina d’Ampezzo; Auf dem Gardasee; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Leider hat sich nun auch das Wetter gegen uns verschworen. Wir brechen daher die Fotodokumentation der weitere Reise ab, zumal das Filmmaterial zur Neige geht.

Bloß eine kurze Gelegenheit zu einer letzten Aufnahme bietet sich an, als für einen Moment die Sonne durch die Wolken bricht – das ist kurz vor der Weiterfahrt über den Passo Tre Croci in Richtung Norden via Misurino und Toblach.

An den entsprechenden Hinweisschildern entsteht dieses Foto, diesmal ohne den Stoewer:

In Cortina d’Ampezzo; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Von hier ist es nicht mehr weit bis zur österreichischen Grenze und dann bietet sich die Route über Innsbruck zur Heimreise an.

Wie genau das vonstatten ging, das kann ich leider nicht mehr erzählen, denn weitere Dokumente dieser beeindruckenden Tour fehlen.

Nachtrag: Im zeitgenössischen Bericht zu der Fahrt finden sich die wenigen noch fehlenden Stationen zwischen Cortina und Innsbruck, von wo aus die Teilnehmer einzeln wieder heimwärts fuhren:

Originalbericht zur DDAC-Pfingstfahrt von 1938; Quelle: Archiv des ADAC (bereitgestellt von Jochen Thoma)

Damit wären wir bei der Auflösung des Rätsels, was das für eine Fahrt war, welche auf so vielen schönen Fotos von ungewöhnlicher Qualität dokumentiert ist.

Sämtliche Aufnahmen fand ich in einem originalen Album des Deutschen Automobils-Clubs DDAC. Dessen Sektion „Gau 18 Mitte“ unternahm an Pfingsten 1938 eine Reise mit rund zwei Dutzend Automobilen an den Gardasee mit einem Abstecher in die Dolomiten:

DDAC-Fotoalbum von 1938; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger; Wiedergabe des Hakenkreuzes ausschließlich im Sinne der historischen Dokumentation ohne jede politische Botschaft

Mir stellen sich hier folgende Fragen:

Welchen Raum deckte der „Gau 18“ des DDAC ab? Ich habe eine Weile gesucht und dann aufgegeben. Irgendwo in Mitteldeutschland dürfte das gewesen sein.

Nachtrag: Laut Jochen Thoma von der Abteilung „Klassik-Veranstaltungen & Organisation“ des ADAC war „Gau 18 Mitte“ wohl „Halle Saale“.

Bekamen die Teilnehmer ein solches Fotoalbum mit Aufnahmen eines sie begleitenden Fotografen, bestückten sie diese mit eigenen Fotos oder beides?

Auch hier wusste Jochen Thoma mehr: Laut ADAC-Archiv gab es bei den DDAC-Ausfahrten beide Varianten.

Und zuletzt: Warum bricht die Dokumentation in Cortina d’Ampezzo ab, obwohl die Reise nicht zuende war und noch einige leere Albumseiten folgen?

Damit Sie eine bessere Vorstellung haben, hier die unbearbeitete Seite 1 des Albums:

Sämtliche Aufnahmen waren im Format 9×6 cm aufgenommen, die Abzüge waren identisch gestaltet und trugen den umseitigen Stempel des „Groß-Fotohauses Martin Könnecke“ aus Magdeburg.

Da der Stoewer aus Magdeburg das meistfotografierte Auto ist, vermute ich, dass seine Insassen alle Aufnahmen selbst angefertigt haben. Dafür spricht die sehr gleichmäßige Qualität, die auf eine gehobene Mittelklassekamera im damals gängigen Fornat 9×6 schließen lässt – etwa eine Zeiss Nettar.

Mich interessieren Ihre Gedanken zu diesen Bildern und ihre ggf. auch abweichenden Einschätzungen. Überhaupt freue mich auf ein weiteres Jahr genüsslichen Bloggens zum wohl überflüssigsten Thema, das man sich vorstellen kann, und hoffe, dass Sie mir als still genießende Leser wie aktive Kommentatoren erhalten bleiben.

Davon unabhängig wünsche ich uns allen ein in möglichst vieler Hinsicht besseres Jahr 2025!

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Bremer Braut bei Bingen: BMW 327 Cabriolet

Heute brauche ich keine umständliche Einleitung und komme gleich zur Sache: Fühlen Sie sich vom Christkind großzügig bedacht oder ließ Weihnachten zu wünschen übrig?

Gab es Streit in der Familie? Wollte das vegane Schnitzel nicht zu Klößen und Rotkohl passen? Waren die verwöhnten Kinder undankbar und wollten Sie belehren? Oder, was schlimmer wäre: Waren Sie unfreiwillig allein?

Ich werde seit Jahr und Tag von alledem verschont, freue mich aber auch für jeden, der harmonisch nach alter Tradition Weihnachten als Familienfest feiert. Es soll ein jeder nach seiner Fasson selig werden – nichts ist schlechter, als im falschem Leben festzustecken.

Für all‘ die, deren Erwartungen enttäuscht wurden, werde ich unterdessen gerne seelsorgerisch tätig. Schauen Sie, nie war alles vollkommen, aber oft genug in der Geschichte war manches vollkommen, selbst unter den schwierigsten Umständen.

Davon sollten wir das uns Beste in Gegenwart und Alltag gönnen, wann immer das geht, auch wenn es sich in den großen Dingen nicht zum Besseren wendet hierzulande.

Das Bild, das ich heute präsentiere, bringt das in Perfektion zum Ausdruck. Man weiß, wann es entstand und man möchte nicht tauschen mit den Menschen, die darauf abgebildet sind.

Und dennoch gibt es da einige Dinge zu sehen, die zeitlos und einfach zauberhaft sind:

BMW 327 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Muss ich über diesen Wagen viele Worte verlieren? Selbst wer nicht vertraut ist mit deutschen Vorkriegsautos, dem ist dieses Exemplar auf merkwürdige Weise bekannt.

Für manche ist dieses 327er Cabriolet, das ab 1937 gebaut wurde, die Quintessenz eines BMW – man erkennt ihn sofort und ist hingerissen.

Für einen Moment steht die Zeit still, denn hier ist das Beste aus der Vorkriegswelt und der sich ankündigenden Moderne vereint.

Kühler und Scheinwerfer sind keine eigenständigen Bauteile mehr, man kann ihnen förmlich dabei zusehen, wie sie mit dem Wagenkörper verschmelzen. Doch die Kotflügel sind gerade noch als solche erkennbar, kraftvoll geformt wie wohltrainierte Muskeln.

Die Trittbretter sind nur noch angedeutet, funktionslos geworden, die niedrige Frontscheibe fügt sich ebenso dem Diktat des Luftstroms wie die ganze Vorderpartie. Wie der kurz nach dem Krieg als Improvisation entstandene sensationelle Jaguar XK 120 sah der BMW 327 schon im Stand wie ein sprungbereites Raubtier aus.

Nicht zufällig schmückt genau dieser Wagen den Deckel des lange ersehnten, über 400 Seiten starken BMW-Standardwerks von Nyncke/Simons/Zeichner (BMW 1929 bis 1945, Verlag Geramond, 1. Auflage 2022).

Es gehört zu den vielen Verdiensten dieses Werks, endlich den Männern Ehrerbietung zu zollen, welche in den späten 1930er Jahren das Gesicht von BMW geprägt haben.

Das Buch macht Schluss mit der Geringschätzung der Leistung der Gestalter deutscher Vorkriegswagen, die für den Erfolg mindestens so entscheidend waren wie die Techniker.

Für die aus jeder Richtung vollkommene Linie des BMW 327 war Wilhelm Kaiser verantwortlich. Geboren 1908 und gelernter Karosseriebauer, kam er 1936 zu BMW nach Eisenach. Sein Name ist für immer mit den sensationellen Typen 327/328 verbunden.

Ab 1941 verliert sich seine Spur – man weiß schlicht nicht, was aus ihm geworden ist. Dieses Verschwinden aus der Geschichte ist typisch für unzählige seiner Zeitgenossen – so wohl auch für die beiden hier:

BMW 327 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Außer dass dieses Paar aus Bremen stammte, wissen wir nur, dass es auf der rechten Rheinseite gegenüber von Bingen haltgemacht hatte, als diese Aufnahme entstand.

Der Titel „Bremer Braut bei Bingen“ ist spontan dieser Tatsache entsprungen. Zwar ist auf der Rückseite des Originalabzugs nichts vermerkt, doch mir kam die Landschaft im Hintergrund bekannt vor.

Es ist ein Vierteljahrhundert her, dass ich für eine Weile in Wiesbaden wohnte und bei schönem Wetter abends nach der Arbeit Ausflüge mit dem Motorrad in den Rheingau unternahm. Doch die bei gemütlicher Fahrt mit gerade einmal 40 PS aus einzylindrigen 500ccm gewonnenen Eindrücke genügten, um sich ins Langzeitgedächtnis einzubrennen.

Der Aufnahmeort war in der Nähe der Burgruine Ehrenfels gegenüber der Stelle, an der die Nahe in den Rhein mündet. Auf der anderen Seite des Flusses erkennt man am Horizont die Silhouette der Rochus-Kapelle.

Wenn man von hier weiter dem Fluss folgte, war man binnen kürzester Zeit in einer der bis heute großartigsten deutschen Landschaften – dem Mittelrheintal.

Dorthin wird auch der Fahrer des BMW 327 mit seiner Bremer Braut weitergefahren sein – dieser Rheinabschnitt präsentiert sich in unseren Tagen (hoffentlich) noch so wie einst.

Ich war schon lange nicht mehr dort, doch heute bin ich für eine Weile zurückgekehrt, habe mich an den warmen Sommerwind im Gesicht erinnert und an die Landstraße, die bei weniger Verkehr zum genüsslichen Kurvenräubern einlädt.

Was mag aus dem BMW 327 geworden sein, der auf unserem Foto das Abzeichen des staatlichen NSKK auf dem Kühlergrill trug – der auf das Kraftfahrwesen spezialisierten Unterorganisation der NSDAP?

Und was mag aus dem hier so zufrieden erscheinenden Paar geworden sein? War er überzeugter Nationalsozialist oder wies die NSKK-Zugehörigkeit auf eine oberflächliche Anpassung hin, um weiteren Bücklingen gegenüber dem Regime zu entgehen?

Nichts davon wissen wir und alles ist möglich. Auch, dass wir hier das letzte Zeugnis der beiden sehen. Vielleicht verschwanden sie in den Kriegswirren wie Wilhem Kaiser, dem wir das ikonische Design des BMW 327 verdanken.

Wir sehen: alles Persönliche hat eine ungewisse Zukunft, aber die Schöpfungen der Vergangenheit bleiben uns im besten Fall als beglückende Begleiter auf dem weiteren Weg. Der BMW 327 wird uns dabei wiederbegegnen, das kann ich schon jetzt versprechen…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Von hier an geht’s abwärts: Ein Oldsmobile von 1923/24

Jetzt habe ich’s doch getan! Sind denn Lage und Stimmung in deutschen Lagen nicht bereits mies genug – zumindest für die, welche das Ignorieren von Problemen nicht gewerbsmäßig betreiben?

Keine Sorge: Zumindest dieses Mal bleiben Sie von Anspielungen auf die Irrungen und Wirrungen im Hier und Jetzt verschont – die Rechnungen, die nächstes Jahr auf den Tisch kommen, dürften ohnehin für sich sprechen.

Ein Grund mehr, sich die Laune nicht schon im alten Jahr verderben zu lassen. Dennoch muss ich darauf bestehen: Von hier an geht’s abwärts:

Blick auf Collepino (Umbrien); Dezember 2024; Bildrechte: Michael Schlenger

Diese Aufnahme fabrizierte ich heute mit meinem Uralt-Telefon, das erklärt die mäßige Qualität beim Hineinzoomen. Nach einer Woche Arbeitsaufenthalt in der Nähe von Spello im italienischen Umbrien geht es nun wieder nach Deutschland.

Die wunderbaren spätherbstlichen Farben auf 600 Meter Höhe täuschen über die Tatsache hinweg, dass auch hier der Winter vor der Tür steht. Auf dem angrenzenden Hausberg, dem gut 1000 Meter hohen Monte Subasio, liegt seit gut einer Woche Schnee.

Bevor es auch in niedrigeren Lagen mit den Temperaturen abwärtsgeht, starte ich morgen früh bei Büchsenlicht den Wagen und mache mich auf den Weg ins Tal – die Valle Umbra zwischen Spoleto im Süden und Perugia im Norden.

Dort geht es auf die Superstrada gen Norden bis Cesena, dann weiter über die Autostrada via Bologna und Mailand in Richtung Schweiz und Deutschland. Knapp 1200 km Fahrt stehen auf dem Programm und im Schnitt sind dafür 12 Stunden zu veranschlagen.

Die Strecke hat ihren Schrecken längst verloren, auch wenn 12 Stunden solo im Auto nicht von Pappe sind. Aber von Pappe waren auch unsere Vorfahren nicht, für die es vor rund 100 Jahren ebenfalls tendenziell abwärts ging – egal ob mit oder ohne Auto.

Auch die wenigen, die sich in Deutschland einen Wagen leisten konnten, mussten einiges wegstecken können. Die günstigsten Autos waren offene Tourer mit nur leichtem Verdeck und seitlichen Einsteckscheiben.

Wenn es nicht regnete, fuhr man auch bei niedrigen Temperaturen offen, man wollte ja etwas sehen und mangels Heizung galt es ohnehin, sich warm zu kleiden.

Das sah dann so aus:

Oldsmobile von 1923/24; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auch hier geht es erkennbar abwärts – entsprechend scheint die Stimmung an Bord:

Der junge Herr mit der karierten Ballonmütze – nebenbei die haarschonende und besser durchlüftete Alternative zur Baseballkappe – sitzt geknickt auf dem Tritbrett und schaut geradezu mitleiderregend drein.

Mit mehr Fassung tragen die Damen im Heck ihr Geschick – sie haben die zugigsten Plätze und die eine blickt noch einmal sehnsüchtig zurück, bevor es abwärtsgeht.

Nur der Fahrer schaut furchtlos und stoisch nach vorne. Vermutlich ist er innerlich schon unterwegs ins Tal und macht sich Gedanken über die Wahl des richtigen Gangs, um die nur auf Hinterachse und Antriebswelle wirkenden Bremsen zu schonen – denn Vorderradbremsen hatte dieses Auto erkennbar noch nicht.

Das liefert uns einen ersten Hinweis auf die Datierung des Fahrzeugs. Zwar führten Spitzenhersteller wie Delage bereits Anfang der 1920er Bremsen auch an den Vorderrädern ein – also dort wo sie am effektivsten wirksamsten, aber wegen der Wirkung auf die Lenkung auch am diffizilsten waren. Zum Standard wurden sie jedoch erst ab 1925.

Das gilt grundsätzlich auch für US-Fabrikate, obwohl diese leistungsmäßig und was die rationale Fertigung angeht, der europäischen Konkurrenz weit voraus waren.

Jetzt mögen Sie sich fragen, weshalb ich bei einem Foto, das einen in Chemnitz zugelassenen Wagen Mitte der 1920er Jahre zeigt, ausgerechnet amerikanische Fabrikate ins Spiel bringe. Deren ganz große Zeit am deutschen Markt war doch etwas später, oder ?

Schon, aber erste Vorboten der automobilen US-Invasion in Deutschland waren schon deutlich früher zu verzeichnen. Einige Marken waren sogar schon vor dem 1. Weltkrieg am deutschen Markt sehr aktiv:

Oldsmobile-Reklame von 1905; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Für die Marke Oldsmobile, die bereits kurz nach der Jahrhundertwende ihre anfänglich sehr simplen, aber bewährten Wagen recht häufig in deutschen Landen an den Mann brachte, habe ich mich zwecks Illustration früher US-Autovertriebsaktivität nicht zufällig entschieden.

Denn auch wenn ich ziemlich lange dafür gebraucht habe, war der Tourer aus Chemnitz auf dem zuvor gezeigten Foto, ebenfalls ein Wagen der Marke Oldsmobile.

Anhand stilistischer Elemente wie der Kombination trommelförmiger Scheinwerfer mit schmalen und niedrigen Haubenschlitzen, die leicht geneigt sind, konnte ich das Modelljahr 1923/24 als das wahrscheinlichste eingrenzen“.

Neben dem Vierzylindertyp „43“ bot Oldsmobile auch das Sechszylindermodell „30“ an, welches knapp über 40 PS leistete. Ich vermute aufgrund der Proportionen der Motorhaube, dass wir es mit so einem Sechszylindertyp zu tun haben.

Dafür spricht auch, dass die vor 1925 am häufigsten gebauten deutschen Wagen (von Brennabor, NAG, Presto und Protos) meist maximal 30 PS leisteten und Vierzylinder besaßen. Mit dem Sechzylinder-Oldsmobile bekam man also nicht nur mehr Leistung, sondern auch mehr Laufkultur in Verbindung mit reichlich Hubraum (3,3 Liter).

Diese Stärken waren freilich zweitrangig, wenn es so abwärtsging wie auf unserem heutigen Foto. Da waren das Können des Fahrers und die Standfestigkeit der Bremsen gefragt.

Und dass es für diesen Oldsmobile jetzt nicht nur ein paar hundert Meter abwärts ging, sondern über etliche Kilometer, das weiß ich, weil mir der Aufnahmeort bekannt vorkommt.

Aus vergleichbaren Autofotos ziehe ich den Schluss, dass die stark abfallende Piste mit den markanten Begrenzungsteinen den Abschnitt direkt unterhalb des Fichtelbergs im Erzgebirge darstellt – mit gut 1200 Metern der höchste Berg in Sachsen.

Ich bin zuversichtlich, dass die sachkundigen Leser aus dem Osten der Republik das bestätigen können.

Das war es für heute. Einmal noch bekommt nun der herrenlose, aber anhängliche Kater Leoncino etwas vor die Tür gestellt, den ich nun schon den dritten Winter begleite. Er wurde entweder ausgesetzt oder ist einfach ein robuster Outdoor-Vertreter.

Seinem Pelz und Backenbart nach zu urteilen, hat er sich auf einen harten Winter eingestellt. Für ihn geht es in den nächsten Wochen rapide abwärts mit dem Futterangebot, doch ich hoffe, ihn beim nächsten Besuch im Neuen Jahr wiederzusehen…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Begegnungen im Zeittunnel: Fiat 505 Tourer

Gerne bezeichne ich meine Ausflüge in die Welt des Vorkriegsautomobils als Zeitreise. Oft sind für mich entsprechende historische Abbildungen ein Anlass, den Zumutungen des Hier und Jetzt zu entgehen, oft aber auch Konfrontation mit den Zumutungen von damals.

Von diesen Zeitreisen kehre ich zurück mit der einen Erkenntnis, dass wir in der besten aller Zeiten leben, weil wir über das Beste von einst mühelos und ohne die Lebensrisiken von einst verfügen könnten, wenn wir denn wollten.

Paradoxerweise geht damit die andere Erkenntnis einher, dass wir in erbärmlichen Zeiten leben, weil wir so wenig aus der Vergangenheit lernen oder zumindest an Stilsicherheit nachleben.

Eine zum Verlieben schöne Reklame wie die für das Mercedes-Cabriolet 380 in meinem letzten Blogeintrag werden Sie in unseren Tagen vergebens suchen. Schlimmstenfalls wird klassische Schönheit verspottet wie jüngst im Spot einer einst britischen Sportwagenmarke.

Heute lasse ich Sie an einer etwas anderen Zeitreise teilhaben, auch wenn Sie dabei wieder auf Ihre Kosten in Sachen Vorkriegsautofotos kommen, sofern Sie die Einleitung überstehen.

Begleiten Sie mich auf einer echten Reise durch den Zeittunnel und erleben Sie die Begegnungen mit, die ich dabei machte.

An diesem Wochenende stand meine letzte Italienreise für dieses Jahr auf dem Programm. Wie immer ging es in die uralte Kulturregion „Valle Umbra“ – die Region zwischen Perugia und Spoleto, wo sich seit 2.500 Jahren in Sachen Kulturlandschaft wenig geändert hat.

Und wie fast immer handelt es sich dabei um keine Urlaubsreise, denn ich habe meist einen Haufen Arbeit dabei, so auch dieses Mal. Aber Arbeit belastet mich nicht, jedenfalls nicht in der Weise, wie mich andere Dinge bedrücken.

Ich war allein unterwegs, die bessere Hälfte musste nochmals daheimbleiben, um die Betreuung ihrer Eltern einzuweisen, die für einige Wochen aus Breslau (seit 1945 in Polen) angereist kam und in der frisch renovierten Dachwohnung im gleichen Haus residieren wird.

Auf dem langen Autobahnabschnitt von Mailand über Bologna nach Cesena goss es ohne Unterlass. Die Fahrbahn ist jedoch so ausgeführt, dass das Wasser nirgends steht, weshalb einem das peinliche Schild „80 bei Nässe“ wie auf der deutschen A5 ab Basel erspart bleibt.

Man kann also getrost mit 130 Sachen weiterfahren, sofern der Verkehr nicht zu dicht wird. Allerdings geschahen merkwürdige Dinge, je länger ich unterwegs war. Mir war zusehends so, als sei ich in einem Zeittunnel unterwegs.

Der Himmel war grau, links und rechts war alles grau, die Straße war grau und die silberne Motorhaube vor mir ebenfalls. Es gibt schon bei gutem Wetter auf dieser Strecke wenig zu sehen, bei schlechtem Wetter reduziert sich das auf „nichts“ – mit Ausnahme der Scheibenwischer und der roten Rücklichter vor einem.

Nichts wies mehr auf Raum und Zeit hin. Als ich an der Ausfahrt „Cremona“ vorbeifuhr, war ich mit einem Mal wieder Mitte der 1990er Jahre unterwegs – auch damals in strömendem Regen, allerdings mit meinem 1200er Käfer auf dem Weg in die Marken (die östlich an Umbrien angrenzende, hierzulande noch weniger bekannte Region.

Seinerzeit fuhr ich in Cremona ab, suchte mir eine Bleibe für die Nacht – aus meiner Lektüre von Hermann Hesses Italiengeschichten und -gedichten wusste ich, wie schön die Altstadt ist.

Dafür war diesmal keine Zeit und so ging es weiter durch den grauen Tunnel, begleitet von undefinierten roten Lichtern vor mir.

Doch zwei dieser Lichter auf der rechten Spur erweckten meine Aufmerksamkeit. Sie befanden sich ungewöhnlich niedrig und recht weit auseinander. Zunächst dachte ich an einen alten Mercedes, doch dann trat das kantige Heck eines Ford „Granada“ aus dem Grau hervor. Der Wagen trug ein uraltes italienisches Kennzeichen, das auf „Varese“ verwies.

So einen Wagen hatte ich ewig nicht gesehen und auch wenn die in Europa hergestellten Ford-Wagen damals längst unzeitgemäß waren – man denke an die Blattfeder-Hinterachse des Pseudosportlers „Capri“ (den ich dennoch mag) – so freute sich das junggebliebene Herz.

Die gute alte Tante BRD war damals trotz Kalten Kriegs in Topform – man hielt die Sowjets auf Abstand, kaufte dennoch ihr günstiges Gas und vor allem: man sprach trotz aller ideologischen Gegnerschaft miteinander auf Augenhöhe – der Entspannungspolitik sei Dank.

Für einen weiteren Schritt zurück auf meinem Weg durch den Zeittunnel sorgte dann mein bevorzugter Radiosender in Italien: RAI Musica Tutta Italiana – ganz in Landessprache, ohne Belehrungsanspruch und komplett werbefrei.

Diesmal wurden anlässlich des über 70-jährigen Jubiläums des Musikfestivals in San Remo einige Werke aus den 1950/60erer Jahren präsentiert, als man in Italien einen eigenen Stil pflegte. Die Traditionalisten sangen wie in den 30ern, die „Modernen“ sangen technisch zwar anders und freier, aber noch kaum beeinflusst von Rock und Pop.

Und immer ging es mit schönen Worten und Bildern um „amore“ – das ist auch bei den aktuellsten Werken so, mögen sie noch sehr von internationalen Musiktendenzen beeinflusst sein. Nirgends sonst höre ich „aktuelle“ Musik außer in Italien, wobei auch die Stimmen eine Rolle spielen – speziell die weiblichen, die eine ganz eigene Magie haben.

Wenn Sie nun denken, „Zur Sache, Schätzchen“, dann liegen Sie vom Timing richtig. Denn alles unterwegs Erlebte mündete in die Idee, dass ich diese Reise im Blog fortsetzen muss.

Jetzt geht es in einem Rutsch durch den Zeittunnel zurück in die 1920er Jahre. Plötzlich schält sich aus dem Nebel und dem Grau der Vergangenheit diese Erscheinung hervor:

Fiat 505 Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die Aufnahme fasziniert mich schon eine ganze Weile – heute sind Zeitpunkt und Stimmung gerade recht, um sie zu veröffentlichen.

Vor gut 100 Jahren entstand irgendwo im damaligen Osten Deutschlands – so meine Vermutung – diese Aufnahme, die auf dem Land drei Generationen einer betuchten Familie zeigt, welche es sich auf drei Sitzreihen bequem machen konnte.

Das setzte in einem der typischen Tourenwagen der damaligen Zeit einen beträchtlichen Radstand voraus, während die Dimension der Motorhaube durchaus zu einem etwas kompakteren Tourer mit nur zwei Sitzreihen passen würde.

Die Gestaltung der Frontpartie mit oben abgerundeter Haube und auffallend niedrigen schmalen, doch zahlreichen Luftschlitzen ist typisch für die Fiat-Großserienwagen, die ab 1919 entstanden und weltweit in Stückzahlen verkauft wurden, wie das sonst kein Hersteller auf dem europäischen Kontinent zustandebrachte.

Neben dem kompakten 501 (1,5 Liter, 23 PS) war es dessen stärkerer und deutlich größerer Bruder 505 (2,3 Liter, 33 PS), der auf vielen Fotos aus deutschen Landen zu sehen ist. Die Anwendung industrieller Massenproduktion machte diese Fiats nahezu konkurrenzlos.

Zu erkennen sind sie aus der Frontperspektive an dem leicht hufeisenförmigen Kühler:

Fiat 505 Tourenwagen mit deutscher Zulassung; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieses in Deutschland zugelassen Exemplar des Typ Fiat 505 wurde nachträglich mit größeren Scheinwerfern ausgestattet, als es der Serienausführung entsprach.

Mehr Schein als Sein – ein zeitloses Thema. Vielleicht wollte der Besitzer den Anschein des prinzpiell gleich gestalteten, aber nochmals wesentlich größeren Sechsyzlindertyps Fiat 510 erwecken, den ich hier schon einmal anhand eines deutschen Exemplars vorgestellt habe.

Wie gesagt: diese Fiat verkauften sich in Deutschland mangels Konkurrenz hervorragend, und der Erfolg der Turiner Marke blieb bis Ende der 1930er Jahre ungebrochen.

Interessant wäre es zu erfahren, ob Fiat – eine Marke, die vor dem 1. Weltkrieg sogar in den USA Autos baute – mit ihrer streng rationalen, auf den Weltmarkt ausgerichteten Entwicklungs- und Produktionsphilosopie damals mehr Wagen außerhalb Italiens absetzte als am Binnenmarkt, wo die breite Masse noch ärmer war in Deutschland.

Ich könnte mir das vorstellen, wenngleich sich in meiner Fiat-Galerie immer wieder auch Exemplare mit italienischer Zulassung finden. Hier ein bislang noch nicht gezeigtes Foto, das in Italien entstand und einen Tourer des Typs 501 oder des Typs 505 zeigen könnte:

Fiat 501 oder 505 Tourenwagen in Italien; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme mit den dürren Buben daneben, die mit aufs Foto wollten – eventuell waren sie Nachbarn oder Kameraden des größeren der Drei – lege ich Ihnen deshalb ans Herz , weil man sich hier den charakteristischen Kühler aller Fiats der frühen 1920er Jahre einprägen kann.

Auch die Form des hier nur schemenhaft erkennbare Markenemblems ist bei der Identifizierung früher Fiats immer wieder hilfreich.

Liebe Leser, nun haben Sie für heute genug erduldet und vielleicht das eine oder andere mitgenommen, das Ihnen die Einordnung vergleichbarer Wagen erleichtert. Das dürfte sich auf alte Fotos beschränken, denn die einst in deutschen Landen sehr präsenten Fiats der 1920er Jahre sind auf heutigen „Oldtimer“veranstaltungen Mangelware.

Erinnern Sie sich an mein eingangs verwendetes Bild des „Zeittunnels“? Ich habe den Begriff nicht nur wegen meiner Erlebnisse im Regen auf der italienischen Autobahn gewählt.

Es gibt auch ein Foto dazu, das zu denen zählt, die lange darauf warten, einen würdigen Rahmen zu erhalten.

Andere würden das fortwerfen, ich hingegen mag so etwas, weil es viel von den Empfindungen transportiert, die man bei der Beschäftigung mit den Automobilen und ihren Besitzern von einst hat, auch wenn sich ihre materielle Existenz längst im Nebel der Zeit verflüchtigt hat.

Wie die hier erörterten Schatten leben sie noch einmal am Zeittunnel auf, merkwürdig schemenhaft. Es liegt nach allem Gesagten an Ihnen, sich einen Reim darauf zu machen…

Fiat 501 oder 505 Tourenwagen mit deutscher Zulassung; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Auch das war einst echte Wertarbeit! Skoda 645

Den Kult um die angeblich unerreichte deutsche Wertarbeit habe ich nie verstanden – jedenfalls nicht im Hinblick auf Automobile.

Wie in anderen Ländern auch finden sich in Deutschland neben großen Geniestreichen ebenso ausgemachte Fehlkonstruktionen, neben Vorbildern in Sachen feinster Verarbeitung ebenso mies gemachte Klapperkisten.

Der Mercedes-Stern konnte einen lahmen Roster wie den Heckflosser meines Vaters zieren, aber auch den genialen „Baby-Benz“ 190 der 1980er Jahre, der heute noch im Alltag zu finden ist – nach Meinung vieler eines der besten Autos der Marke der letzten 40 Jahre.

Volkswagen baute anfangs gnadenlos zuverlässige und ewig haltbare Autos wie den Käfer, der in Gestalt des 63er Exportmodells mit schickem Faltschiebedach bis Ende der 80er der Alltagswagen meiner Mutter war. Leider wurde er im Jahr meines Führerscheinerwerbs, der mir auf einem unkultivierten und dröhnigen Golf II Diesel gelang, gegen einen bräsigen Opel D-Kadett eingetauscht, der Rost, Plastikinterieur auf Ostblockniveau und Motormalaisen bot.

Nach einer solchen Historie war der erste und einzige deutsche Wagen, den ich je besaß, natürlich ein Käfer, den ich für 2.000 Mark mit ca. 100.000 km auf der Uhr erwarb. Er blieb mir bis Kilometerstand 220.000 treu, als der noch originale Motor nach über 10 Jahren Vollgas-Ganzjahresbetrieb aufgab. Für den Wagen mit Motorschaden bekam ich dann noch 1.000 EUR – meine beste Erfahrung mit deutscher Wertarbeit, ach nee: er kam ja aus Mexiko!

Seither habe ich nur ausländische Fabrikate besessen – vor allem englische (MGB, Jaguar XJ6, Landrover Serie III) und italienische (Fiat 1100, Innocenti-Mini). Alle haben bloß ein paar Tausender gekostet und vom Fiat abgesehen haben sie hohe sechstellige Laufleistungen. Ein Platter am MGB, ein kaputter Zündkondensator beim Inno und eine abgerissene Antriebswelle beim Landy waren die einzigen Defekte – keiner verhinderte, das ich wieder heimkam (beim Landrover rettete mich der Allradantrieb).

Ok, werden Sie jetzt sagen, aber die werden sicher nur wenig gefahren. Stimmt, auch wenn ich mit dem MGB schon in Italien und mit dem Jaguar in England war.

Im Alltag – und das heißt vor allem auf meinen Touren nach Italien – fahre ich einen Dacia „Duster“. Also ebenfalls keine deutsche „Wertarbeit“ – entwickelt in Frankreich und gebaut in Rumänien – oje…

Nach problemlosen, komfortabel und verbrauchsgünstig absolvierten 45.000 km weiß ich, warum sich der Duster seit vielen Jahren so gut verkauft. Für vergleichbare Qualität und Ausstattung (u.a. zuschaltbarer Allradantrieb) hätte ich für ein deutsches Fabrikat fast das Doppelte ausgeben und eine langweilige Optik akzeptieren müssen.

Dazu passt – und jetzt kommen wir zum eigentlichen Gegenstand der heutigen Betrachtung – dass den Volkswagen aus Wolfsburger Produktion die qualitativ mindestens ebensoguten, aber günstigeren und viel margenstärkeren Skodas im selben Konzern gegenüberstehen.

Die Tschechen schaffen das Kunststück mit weit weniger Arbeitern mehr Gewinn zu erwirtschaften und das bei anerkannter Top-Verarbeitung – so las ich kürzlich.

Das glaube ich sofort. Denn auch wenn es bedingt durch den Kommunismus in der einstigen Tschechoslowakei keine Konstruktionstradition bei Skoda gibt, die in die Gegenwart reicht, ist es eine altbekannte Sache, dass die Tschechen schon vor dem 2. Weltkrieg eine Reihe ganz ausgezeichneter und oft gutaussehender Autos bauten.

Vielleicht erinnern sich einige Leser noch an diese schöne Aufnahme eines Skoda 645 in Österreich, die ich vor gut zwei Jahren hier vorgestellt habe:

Skoda 645 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Bei diesem Cabriolet mit hell abgesetzten Zierleisten handelt es sich um Skodas Sechszylindertyp mit 45 PS – daher die Bezeichnung 645 – der 1929 eingeführt wurde und von dem bis 1934 rund 750 Stück gebaut wurden.

Daneben bot Skoda mit dem Typ 860 auch einen beeindruckenden Achtzylinderwagen an, von dem aber keine 50 Stück entstanden.

Wie alle tschechischen Hersteller hatte Skoda das Problem eines zu kleinen lokalen Markts im Anschluss an die Zerschlagung des österreichisch-ungarischen Reichs anno 1918. Das stand einer Skalierung der Produktion entgegen, welche die Voraussetzung für niedrigere Preise gewesen wäre.

So blieben auch die Skodas jener Zeit trotz zeitgemäßer Konstruktion und bester Werkmannsarbeit ausgesprochen seltene Erscheinungen – weshalb jedes „neu“ auftauchende Foto zu begrüßen ist, weil es die Marke ins verdiente Licht zu rücken hilft – so wie hier:

Skoda 645; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wie ich den Wagentyp identifiziert habe, muss ich wohl nicht eigens erklären – alles Nötige dazu findet sich auf dem Kühlergrill – das würde man sich bei manchem anderen Wagen der Vorkriegszeit ebenfalls wünschen.

Hübsche Details sind neben der dreidimensional gestalteten Kühlerfigur, deren Silhouette sich bis in unsere Tage erhalten hat, die beiden vor der Windschutzscheibe angebrachten Lüftungseinlässe – eine markante Alternative zu den sonst gebräuchlichen seitlichen Belüftungsklappen.

Wohl nicht mehr klären lässt sich die Frage, woher dieser Skoda kam – das Nummernschild könnte sogar ein deutsches gewesen sein – und wo er unterwegs war. Ich tippe auf eine Bergregion irgendwo auf dem Balkan – aber das ist ein weites Feld.

Festzuhalten bleibt, dass Skoda mit seinen Sechszylinderwagen – 1931 folgte noch der kompakte Typ 633 – damals hervorragende Beispiele für echte Wertarbeit ablieferte. Der inländische Hauptkonkurrent Praga war nur hinsichtlich der Stückzahlen überlegen (vgl. diesbezüglich: P. Kozisek/J. Kralik: L&K- Skoda, Teil 1 1895-1945, hrsg. 2004).

Zum Abschluss können Sie sich hier ein eigenes Urteil von der gelungenen Anmutung und hervorragenden Verarbeitung des Skoda machen – der innen mit aufwendiger Holzausstattung geradezu luxuriös erscheint:

Videoquelle: Yuotube.com; hochgeladen von FreeMotionCanvas

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Entspannungs-Übung: Benz-Tourer vor 100 Jahren

Ein arbeitsames Wochenende liegt hinter mir und eine arbeitsame Woche steht bevor – doch ich bin zufrieden mit dem Erledigten und schaue dem zu Erledigenden gelassen entgegen.

Das zielgerichtete „tätige Leben“ nach Goethe ist ein gutes Leben – dafür sind wir gemacht.

Zwischenzeitliche Entspannung ist freilich die Vorbedingung, dass die Arbeit uns nicht zu beherrschen beginnt, sondern umgekehrt wir sie beherrschen.

Überhaupt ist Entspannung ein Begriff, der zuwenig Beachtung findet in unseren Tagen, meine ich.

In meiner Jugend war die Entspannungspolitik eines der großen Themen. Dazu gehörte, dass ehemals verfeindete oder sich als Gegner betrachtende Mächte selbstverständlich das Gespräch miteinander suchten.

Die Verweigerung des Gesprächs unter Gegnern ist nicht nur Ausweis mangelnder Souveränität und Ausdruck kindischen Gemüts – „mit Dir rede ich nicht!“ – sie ist auch ein Grund dafür, dass mögliche und nötige Entspannung nicht zustandekommt.

Jeder Kampfsportler, der seinem Gegner die Hand reicht, hat mehr Intelligenz als Zeitgenossen, die aus eigener Hybris oder Mangel an Selbstvertrauen meinen, sich dem Dialog oder auch einer robusten Auseinandersetzung mit Kontrahenten entziehen zu müssen.

Doch diese Facette des Themas Entspannung will ich gar nicht vertiefen – jeder mag Beispiele dafür in unserer Gegenwart finden. Vielmehr geht es heute wirklich nur um eine ganz unbeschwerte Übung zur Entspannung für mich und Sie, liebe Leser.

Dafür brauchen wir keine speziellen Geräte – ein einfaches Foto, das vor rund 100 Jahren entstand, genügt vollauf. Darin sich zu versenken, führt zu tiefer Entspannung, auch wenn es dabei auch ein wenig zu tun gibt, was ich aber als leichte Übung bezeichnen würde:

Benz-Tourenwagen um 1925; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Verflüchtigen sich bei diesem Anblick nicht umgehend alle trüben Gedanken? Weckt diese Aufnahme nicht unmittelbar die Sehnsucht nach dem Sommer und einer Ausfahrt im offenen Automobil und in gutgelaunter Gesellschaft durch eine malerische Landschaft?

So sollten doch die entspannten Momente im Leben aussehen, oder?

Nur zwei Fragen müssen wir beantworten – die erste davon übernehme ich. Was war das für ein Wagen, welcher bei diesem Damenausflug zum Einsatz kam?

Wenn Sie schon etwas länger hier mitlesen, ahnen Sie bereits, was jetzt kommt: Wir müssen uns dazu die Kühler- und Haubenpartie genau anschauen. Denn vor den 1930er Jahren waren eigentlich nur dort Hinweise auf den Hersteller zu finden.

Der übrige Aufbau – ob wie hier ein Tourer, oder eine Limousine, ein Landaulet usw. – folgte allgemeinen Konventionen, die noch in den Traditionen des Kutschbaus wurzelten.

Also: Was ist hier festzuhalten? Zum einen ein spitz zulaufender Kühler, zum anderen eine Motorhaube mit einer Reihe niedriger Luftschlitze in der hinteren Hälfte. Das ist alles.

Aber bleiben wir entspannt – denn das ist alles, was wir brauchen. Spitzkühler waren nach dem 1. Weltkrieg praktisch nur noch bei Herstellern im deutschsprachigen Raum en vogue (ja ich weiß, Fiat verbaute an speziellen Typen vereinzelt auch Spitzkühler).

Schließen wir einmal österreichische Fabrikate aus, bei denen der Spitzkühler weniger ausgeprägt war, denkt man bei deutschen Herstellern angesichts dieser Silhouette vor allem an Adler, Benz, Daimler und beispiesweise Simson.

Beginnen wir mit Adler – könnten wir es mit einem Typ 9/24 PS wie diesem zu tun haben?

Adler 9/24 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Sie sehen, wie sehr sich deutsche Tourenwagen in der ersten Hälfte der 1920er Jahre ähnelten.

Doch ein Blick auf die Zahl, Höhe und Anordnung der Luftschlitze in der Motorhaube genügt, um den Adler 9/24 PS auszuschließen, der nebenbei heute praktisch völlig unbekannt ist, aber in meiner Adler-Galerie in beachtlicher Zeit vertreten ist.

Ganz ähnlich erscheinen auch die Tourer der Marke Simson aus dem thüringischen Suhl – heute ein noch größerer Exot als die Wagen aus den Adlerwerken in Frankfurt/Main:

Simson Typ Bo 6/22 PS, Bauzeit: ab 1919; Ansichtskarte von 1923

Lassen Sie sich nicht von dem etwas abweichenden hinteren Aufbau mit ausgeprägter „Schulter“partie und der genickten Frontscheibe ablenken, das gab es in den frühen 20ern parallel zu schlichteren Aufbauten mit glatter Scheibe bei den meisten Herstellern.

Auch hier gilt „entspannt bleiben“ – nur die Frontpartie ist entscheidend. Zwar findet sich dort ebenfalls ein prächtiger Spitzkühler und diesmal sogar glänzend vernickelt und nicht lediglich lackiert wie dem zuvor gezeigten Adler.

Doch abermals ist es die abweichende Gestaltung der Haubenschlitze, die uns erkennen lässt, dass dies noch nicht die Lösung ist. Nebenbei: Dass die Luftschlitze in der Motorhaube ein oft entscheidendes Detail sind, gilt für die allermeisten Vorkriegsmarken.

Was nun? Es gab am deutschen Markt dutzende weitere Tourenwagen, welche ebensolche Spitzkühler trugen und etliche davon harren noch der Identifikation.

Doch lassen wir uns von der Wahrscheinlichkeit leiten und halten uns an die damals meistgebauten Fabrikate mit so einem Spitzkühler. Wer denkt da nicht zuerst an Daimlers „Mercedes“? Die Antwort: Ich nicht. Aber dazu kommen wir noch.

Dennoch müssen wir natürlich die Mercedes-These testen. Das lässt sich recht gut anhand meiner einschlägigen Galerie tun, die keinen einzigen Wagen der Marke der frühen 1920er Jahre zeigt, welcher zu passen scheint, was die Anordnung der Luftschlitze betrifft.

Als Beispiel sei dieser Tourenwagen angeführt, welcher von der Größenordnung allerdings in einer höheren Liga angesiedelt war:

Daimer „Mercedes“ 16/45 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Machen wir uns nicht unnötig Arbeit – diese Übung soll ja vor allem der Entspannung dienen und keine wissenschaftliche Abhandlung werden.

Daher erlaube ich mir, einfach zum aus meiner Sicht wahrscheinlichsten Kandidaten überzugehen und das war kein Mercedes, sondern ein Benz – bekanntlich vor dem Zusammenschluss der beiden Marken nicht dasselbe.

Die in der hinteren Hälfte der Motorhaube angesiedelten, recht niedrigen und eng beieinander liegenden Luftschlitze finden sich bei Benz-Wagen bereits kurz vor dem 1. Weltkrieg. Hier ein ungeachtet der Umstände besonders beeindruckendes Exemplar:

Benz-Tourenwagen im 1. Weltkrieg auf Chateau Peltzer (heute: Chateau La Tourelle) in Belgien

So völlig anders die Aufnahmesituation war und so groß der Unterschied in der Motorisierung – der im 1. Weltkrieg aufgenommene Benz war wohl ein Exemplar des Typs 25/55 PS – so offensichtlich ist, dass der Hersteller in den ersten Nachkriegsjahren die wesentlichen Details der Gestaltung beibehalten hat – wie die meisten deutschen Hersteller.

Hier haben wir sehr wahrscheinlich ein Exemplar des kleinen Typs 8/20 PS, welchen Benz nach dem 1. Weltkrieg anfänglich weiterbaute.

Benz-Tourenwagen der frühen 1920er Jahre, wohl 8/20 PS; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Abermals gilt: Entspannt bleiben und den Aufbau ab der Windschutzscheibe ignorieren – nichts, was dort zu sehen ist, war in irgendeiner Weise marken- oder gar typenspezifisch. Jeder Karosseriehersteller kommt dafür in Frage.

Entscheidend bleibt die Kombination aus Spitzkühler und im hinteren Teil der Motorhaube angebrachte, eher niedrige Luftschlitze. Genau dieses Muster findet sich an dem Benz-Tourer, welcher auf folgendem Foto zu sehen ist:

Benz-Tourenwagen der frühen 1920er Jahre, wohl 8/20 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So unterschiedlich auch hier wieder die Gestaltung des Aufbaus ist – diesmal offenbar mit „Tulpenkarosserie“ mit integriertem Verdeckkasten, so groß ist doch die Übereinstimmung mit dem Vorderteil des eingangs gezeigten Tourers mit der Damen-„Mannschaft“.

Ich will nicht einmal ausschließen, dass wir es hier mit einem kleinen Benz noch aus der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg zu tun haben, auf jeden Fall aber mit einem Exemplar, das spätestens in den frühen 1920er Jahren anzusiedeln ist.

Letztendliche Gewissheit werden wir wohl nicht mehr erlangen können, was die Identität dieses Wagens betrifft.

Ich bleibe in diesem Fall ganz entspannt und kann mit der Arbeitshypothese gut leben (und ruhig schlafen), dass wir es mit einem Benz des Typs 8/20 PS um 1920 zu tun haben, welcher um die Mitte der 20er Jahre aufgenommen wurde.

Die zweite Frage ist aber noch zu beantworten: Wenn hier sechs Frauenzimmer zu sehen sind, muss es doch wenigstens auch den einen anderen Herren gegeben haben, oder?

Wie ist dieser Damenüberschuss zu erklären, welcher natürlich keineswegs zu beklagen ist? Die eine oder andere der Ladies konnte natürlich schon einen Führerschein gehabt haben, das steht außer Frage und ist zu begrüßen.

Aber zu einem entspannten Verhältnis zwischen den Geschlechtern würde ich mir doch auch ein paar Buben dazuwünschen. Waren die alle mit dem Beheben von Pannen an anderen Wagen bei einer gemeinsamen Ausfahrt beschäftigt?

Oder war jemand der Ansicht, dass so ein Benz dann das beste Bild abgibt, wenn er nur mit Frauensvolk in pittoresker Situation abgelichtet wird? Das könnte ich durchaus nachvollziehen, ich vermisse hier zu meiner Entspannung rein gar nichts…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ausflug in’s Reich der Schatten: Austro-Daimler ADM

Eine zuverlässige Methode, an den Unzuträglichkeiten und Zumutungen der Gegenwart nicht verrückt zu werden, ist die Beschäftigung mit der Vergangenheit.

Die Auseinandersetzung mit den Lebensverhältnissen von einst bewahrt einen vor der Überbewertung des Hier und Jetzt – sie ist stets auch Mahnung an die Endlichkeit und finale Bedeutungslosigkeit aller Dinge.

Man stellt dabei fest, dass wohl kaum ein überzeitlicher, wirklich lebenskluger Gedanke nicht schon vor Jahrunderten oder gar Jahrtausenden gedacht wurde.

So hat mich stets die Illusionslosigkeit der antiken Griechen beeindruckt, für die auf den Tod – von einigen Heroen abgesehen, die zu den Göttern entrückt werden – ein endloses tristes Dämmerdasein als Schatten folgte.

Die Düsterheit der Aussicht auf das Schattenreich – des Hades – erschien mir von jeher als wirkungsvolle Mahnung, das Leben auszukosten und darin möglichst alles zu wagen.

Das Wedeln irgendwelcher Heilsversprecher mit den bunten Reiseprospekten in ein angebliches Paradies kam mir dagegen billig vor – früh fragte ich mich: was macht man da eigentlich die ganze Zeit? – Niemand weiß darauf eine Antwort, aber geglaubt wird’s trotzdem. Es kann ja auch nicht schaden, von daher soll jeder denken, was er will.

Ganz gleich, wovon Sie überzeugt sind oder worauf Sie hoffen, mögen Sie mich heute dennoch auf einem Ausflug ins Reich der Schatten begleiten, auch wenn Ihnen der Gedanke eher fremd ist, dass es der wahre Aufenthaltsort der Toten ist.

Als düsterer Wegweiser auf der Reise dorthin sei diese Anzeige des österreichischen Herstellers Austro-Daimler gedacht, welche im Kriegsjahr 1917 in der Allgemeinen Automobil-Zeitung Nr. 38 erschien:

Austro-Daimler-Reklame aus: Allgemeine Automobil-Zeitung Nr. 38, 1917; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Dass schon vor Ende des 1. Weltkriegs die Dinge heillos aus den Fugen geraten waren, ist an den fast wie von einem Kind gezeichnet wirkenden Buchstaben des Namenszugs zu ersehen, welche sich weder in der Höhe noch in der Breite an die Konvention halten wollen.

Geradezu unheimlich wirkt unterdessen die schattenhafte Silhouette des abgebildeten Tourenwagens und ich muss sagen, dass ich diese künstlerische Darstellung für außerordentlich gelungen halte.

Im Unterschied zur sogenannten Modernen Kunst erkennt man, worum es geht, muss sich aber auf den vom Urheber gewählten Blick einlassen.

Das tue ich mit Vergnügen und fühle mich berufen, meine Assoziation kundzutun in Form dieser fotografischen Aufnahme eines Austro-Daimler des Typs ADM der 1920er Jahre:

Austro-Daimler Typ ADM: Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser Wagen wurde einst „auf der Rückfahrt aus Polen“ aufgenommen und war ein erst ab 1923 gebautes Modell der österreichischen Luxusmarke.

Dennoch finde ich es bemerkenswert, wie der Grafiker anno 1917 die Silhouette eines solchen Tourers vorweggenommen hat, auch was die abgerundete Form des Kühlers betrifft. Denn diese gab es vor Beginn der 1920er Jahre noch gar nicht bei Austro-Daimler.

Ob künstlerischer Freiheit oder seherischer Fähigkeit geschuldet, die Anzeige von 1917 hat etwas Unheimliches – nicht zuletzt angesichts der Millionen von Soldaten, die damals in Europa ins Reich der Schatten befördert wurden, weil keine der Regierungen der Kriegsparteien einsehen wollte, dass sie schlicht ihre männliche Jugend für lokale Konflikte und zur Religion erhobene Hegemonieansprüche verheizt, ohne irgendetwas von Dauer zu gewinnen.

Nachdem das Ganze vorbei war und am grünen Tisch der vermeintlichen Sieger Grenzverläufe dergestalt neu bestimmt worden waren, dass künftige Konflikte garantiert waren, gab es einige Jahre relativer Ruhe.

Allerdings zogen spätestens Ende der 1920er Jahre abermals Wolken am politischen Horizont in Europa auf und neuerliche Ereignisse warfen ihre Schatten voraus.

Auf wiederum unheimliche Weise dazu passend entstand im August 1928 diese Aufnahme unterwegs „vom Glocknerhaus nach Heiligenblut“ in den Hohen Tauern in Österreich – so ist es jedenfalls auf der Rückseite des Abzugs vermerkt…

Austro-Daimler Typ ADM: Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Kenner der Gegend werden sicher genau sagen können, wo dieses Foto entstanden ist und welchen (mutmaßlichen) Grenzübergang oder Kontrollposten es zeigt.

Ich wollte Ihnen auf keinen Fall diese Originalaufnahme vorenthalten, die mit ihren harten Kontrasten, der Düsterheit des Bergmassivs und den langen Schatten der winzig erscheinenden Menschen beeindruckt.

Wie eine Parabel auf das ameisenhafte Treiben des Menschen in einem gigantischen Bau, welchen der Einzelne nicht überschauen kann, kommt mir diese Situation vor.

Aber wir wollen nicht vergessen, dass es hier ja vorwiegend – aber keinesfalls nur – um Vorkriegsautos auf solchen Dokumenten aus längst vergangener Zeit geht.

Also nähern wir uns respektvoll den Schatten der Vergangenheit, zu denen nicht nur etliche Zweibeiner beiden Geschlechts gehörten, sondern auch eine Kolonne an Automobilen:

Eine bemerkenswerte Situation ist das. Man meint hier förmlich Zeuge zu sein, wie sich das Automobil mit Macht Bahn bricht auf Wegen, welche seit Urzeiten vom Menschen zu Fuß und bestenfalls mit vierbeinigen Begleitern begangen wurden.

Noch scheinen die Zweibeiner selbstbewusst und unbeirrt unterwegs zu sein wie seit jeher, doch man ahnt, dass sich die Verhältnisse bald ändern würden und die Welt der Technik die Oberhand gewinnt – mit allen ihren Vor- und Nachteilen.

Im vorliegenden Fall können wir genau sagen, in welcher Form die Welt der Moderne hier kraftvoll und raumgreifend Einzug hält. Denn der Tourenwagen, der uns entgegenkommt, war ein Austro-Daimler des Typs ADM (1923-28), wenn ich es richtig sehe:

Zum Vergleich darf ich auf die zahreichen Fotos dieses kraftvollen 6-Zylindertyps in meiner Austro-Daimler-Galerie verweisen.

Was das Kennzeichen angeht, verlasse ich mich darauf, dass einer meiner Leser schneller als ich herausfindet, wo dieses Exemplar zugelassen war.

Ich möchte am Ende noch ein wenig über die Aussage dieses Dokuments sinnieren. Vordergründig ist es eine bloße Momentaufnahme aus vergangener Zeit wie viele andere.

Doch mich berührt es, wie uns hier die abgebildeten Menschen fast in Bewegung scheinend entgegenkommen, jeder auf seinem eigenen Weg, für einen Augenblick vereint und danach ihrem individuellen Ziel zustrebend.

Wenn sie uns hier so schattenhaft erscheinen und außer ihrer Silhouette kaum etwas von ihnen zu erahnen ist, dann erinnert uns daran, dass sie längst zu den eingangs erwähnten Schatten geworden sind, welche nach Überzeugung der alten Griechen den Endzustand alles menschlichen Daseins repräsentieren.

Wir sind die letzten, welche ihrer auf dem Weg in die ewige Nacht nochmals ansichtig werden.

Wem das zu düster erscheint, dem sei gesagt: In der Anschauung solcher Zeugnisse vergangenen Lebens steckt immer auch die Aufforderung, jeden Tag daran zu arbeiten, mehr aus seinem Leben zu machen, endlich etwas zu wagen, auch Grenzen zu überschreiten – letzlich: über den eigenen Schatten zu springen, bevor einen dieser einholt…

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Die Größe muss man haben! Cadillac von 1930

Einem kleinen Geist fällt naturgemäß eines unendlich schwer: einzusehen, dass man heillos überfordert ist, dass man sich und andere hinsichtlich des eigenen Könnens getäuscht hat und dass man sich nur noch genau ein Verdienst ans Revers heften kann: Rückzug auf eine Position, der man wirklich gewachsen ist.

Vermutlich kennt jeder solche Figuren, doch ganz gleich, an wen man dabei denkt – stets ist in solchen Fällen eines vonnöten und meist unterentwickelt – die nötige Größe dazu!

Heute will ich indessen zwei Beispiele dafür zeigen, in denen man anerkennend feststellen (und zugleich heimlich für sich wünschen) möchte: „Die Größe muss man haben!“

Auf der folgenden Aufnahmen zeigen gleich zwei Zeit“genossen“ der untergegangenen DDR, dass ihnen ganz entgegen der von traurigen kleinen Geistern im Politbüro ausgegebenen Doktrin sehr wohl der Sinn nach unproletarischer Größe stand:

Cadillac von 1930; Aufnahme der 1960er Jahre; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dass dieser prachtvolle Cadillac des Modelljahrs 1930 ausgerechnet in der automobilmäßigen Tristesse des angeblich real existierenden Sozialismus überlebt hatte, war ein großartiger Treppenwitz der Geschichte.

Mit seinem über 90 PS leistenden V8-Motor erinnerte er die im Arbeiter- und Bauernparadies eingesperrten Landsleute an eine Tradition, die bis zum 2. Weltkrieg auf demselben Boden lebendig war und ebenfalls großartige Ergebnisse gezeitigt hatte.

Die Rede ist von den Achtzylinderwagen der sächsischen Marke „Horch“, die sich bis ins Detail der Gestaltung eng an den Wagen der US-Luxusmarke Cadillac orientierten.

„Die Größe muss man haben“ sagte man sich in Zwickau und schuf ab Ende der 1920er Jahre entsprechend grandiose Achtzylinderautos, die bis heute nicht ihren Nimbus verloren haben und die einst auch die Konkurrenz von Daimler-Benz in den Schatten stellten.

Allerdings zeigt die pure Existenz des abgebildeten Cadillac von anno 1930 auf deutschem Boden, dass einige heimische Käufer trotz aller Meriten der „Horch“-Automobile dann doch das Original wollten und einen Cadillac bestellten.

„Die Größe muss man haben“ auch als ansonsten patriotisch veranlagter Deutscher anzuerkennen, dass die amerikanischen Wagen damals letztlich eine Klasse für sich darstellten.

Im Fall des 1930er Cadillac wurde dies nicht zuletzt dadurch unterstrichen, dass es neben dem V8-Modell auch eine Version mit 16-Zylinder gab, die sagenhafte 170 PS leistete und nochmals aufwendiger ausgestattet war.

Diese Größe musste man vermutlich nicht unbedingt haben, zumal dieses Gerät auch mit einem phänomenal großen Preisschild daherkam.

Doch der „normale“ V8-Cadillac aus dem Jahr 1930 genügte vollauf, wenn man den Mitmenschen wahre Größe vorführen wollte. Anstatt aber nur die Nachbarn zu beeindrucken, war es den Besitzern auch ein Bedürfnis, die wahre Größe dieser kraftvollen und komfortablen Wagen auf Reisen zu erleben.

Hier haben wir das passende Beweisfoto, aufgenommen auf der Axenstraße am Südende des Vierwaldstädter Sees in der Schweiz:

Cadillac von 1930; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Man war offenbar am Ostufer unterwegs und der Kühler des Cadillac zeigt in die auch von mir bevorzugte Richtung – gen Süden.

Heute verläuft die Hauptroute Richtung Gotthard von Luzern kommend auf der Westseite des Sees – doch die Galerien der alten Axenstraße sind von dort noch heute zu sehen.

Und so werde ich morgen an dieses Foto und den mächtigen Cadillac denken, wenn ich wieder Richtung Italien unterwegs bin und dort vorbeikomme. Für einen Moment reise ich dann in der Zeit zurück und fühle ich mich den Automobilisten nahe, die dort vor gut 90 Jahren Halt machten und den Blick auf den See genossen.

Die Größe dieses Wagens hätte ich dann gerne ebenfalls, wenn ich mit meinem 1,3 Liter-Vierzylinder (immerhin 150 PS) dort entlangfahre. Doch muss man auch die Größe haben einzugestehen, dass einem die automobilen Höhen der Vorkriegszeit ewig versagt bleiben werden.

Genießen kann man ein wenig davon gleichwohl auch in unseren Tagen – dank überlebender Fahrzeuge und vielleicht auch dank dieses Blogs, in dem inzwischen einige tausend Vorkriegswagen wieder „auf die Straße“ gekommmen sind, zumindest virtuell.

Mein nächstes Lebenszeichen wird dann aus dem Süden kommen und ich weiß, wie exklusiv es ist, jetzt dort weilen zu können, wenngleich mich einige Arbeit begleitet.

Auch diese Größe muss man haben – zu wissen, dass es Fortuna gut mit einem gemeint hat, selbst ohne 8 Zylinder…

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Alles im grünen Bereich? Ein Oldsmobile F28 anno 1929

Wer meine Blog-Einträge verfolgt, der weiß ich dass derzeit im italienischen Umbrien weile. „Ist denn dort noch alles im grünen Bereich„, werden besorgte Konsumenten des staatlichen Wetterdienstes fragen?

Nun, egal wie dunkelviolett seit vielleicht zwei, drei Jahren hochsommerliche Temperaturen auf amtlichen Wetterkarten angezeigt werden, kann ich sagen: Hier ist alles im grünen Bereich, will heißen – wie fast jeden Sommer in Mittelitalien.

Je nach dem, wo man sich aufhält, wann und vor allem wie man die aktuelle Temperatur ermittelt, bekommt man Ergebnisse zwischen 30 und 40 Grad. Wer partout auf schwarzem Asphalt oder im Auto nach drei Stunden Sonnenbestrahlung seine Messung vornimmt, wird mühelos weit höhere Ergebnisse feststellen.

Wenn ich wie die ganze Woche meine mittägliche Radtour über schweißtreibende Pisten am Monte Subasio (Nähe Assisi) absolviere, erlebe ich das volle Programm von stehender Backofenhitze auf fast weißen Schotterabschnitten bis hin zu angenehm kühler Waldluft in den prächtigen Laubwäldern, durch die man immer wieder fährt.

Ja wie, gibt es im Süden denn überhaupt noch Grün, ist denn nicht alles längst verdorrt? Nö, alles im grünen Bereich – die Vegetation ist an die starken Temperaturschwankungen gewöhnt (im Winter schneit’s hier bisweilen stärker als in der Wetterau, in der ich in D’land wohne).

Chiona-Tal oberhalb von Spello (Umbrien) im August 2024; Bildrechte: Michael Schlenger

Allerdings war hier auch keiner so dumm, sich seine Wälder mit ortsfremdem Holz wie der Fichte zu ruinieren.

So dominieren kerngesunde ausgedehnte Laub- und Mischwälder – schon während der zweistündigen Fahrt von der Autobahnabfahrt Cesena Nord bis in die Valle Umbra hinein, welche sich als intakte Kulturlandschaft präsentiert wie seit 2000 Jahren.

Wenn ich in den umbrischen Forsten eine Pause mache, kann ich davon ausgehen, dass ich in den meisten Fällen mein Radl an eine solide Eiche lehnen kann.

Am Monte Subasio (Umbrien) im August 2024; Bildrechte: Michael Schlenger

Von verheerenden Waldbränden in der Region habe ich in all den Jahren noch nie gehört – in Umbrien ist die Forstaufsicht wachsam und trifft von jeher gezielte Gegenmaßnahmen – mir sind sogar schon Patrouillen mit Ferngläsern begegnet, die Früherkennung betreiben.

Überhaupt ist man in Umbrien sehr auf den Erhalt der grandiosen grünen (und uralten kulturellen) Erbes bedacht; die Einheimischen sind fleißige, konservative Leute, die genau wissen, was sie daran haben, und opfern ihre Kulturlandschaft keine Renditeinteressen:

Blick auf Collepino (Umbrien) im August 2024; Bildrechte: Michael Schlenger

Daher ist es auch kein Zufall, dass hier die Farbe „Grün“ in politischer Hinsicht keine Chance hat – außer in der Studentenhochburg Perugia – aber die kann man links liegen lassen. Es gibt dort nichts, was sich nichts andernorts in Umbrien leichter zugänglich fände.

Die gute Botschaft aus Italiens grünem Herz (neben Umbrien reklamieren auch andere Regionen wie die Marken und Ligurien ähnliches für sich) ist also: Alles in Ordnung – alles im grünen Bereich – soweit das in unserem Dasein möglich ist.

War es das aber auch vor 95 Jahren, als im Jahr 1929 diese grandiose Aufnahme entstand?

Oldsmobile F28 und weitere Tourenwagen; Originalaufnahme von 1929 aus Sammlung Michael Schlenger

Natürlich ist hier auf den ersten Blick alles im grünen Bereich, das ist sogar im Schwarz-Weiß-Modus unübersehbar.

Wir sehen vier Tourenwagen der 1920er Jahre irgendwo im Grünen – zwar nicht im naturbelassenen Wald, aber wohl in einer Gegend, in der man mit der Natur und nicht gegen sie zu leben verstand.

Der Wagen vorne links ist schnell als Fahrzeug der US-Marke Oldsmobile identifiziert – als Modell F28 von 1928, um genau zu sein. Die Amis hatten damals speziell in europäischen Ländern ohne nennenswerte eigene PKW-Produktion weite Teile des Markts für sich erobert, nachdem deutsche Fabrikate dort bis zum 1. Weltkrieg noch sehr präsent waren.

In der Zwischenkriegszeit machten das Rennen dann Hersteller, die frühzeitig auf Großserienproduktion gesetzt hatten – darunter Fiat und französische Hersteller wie Citroen und Renault.

Tatsächlich ist neben dem Oldsmobile ein Renault der 1920er Jahre zu sehen.

Oldsmobile F28 und weitere Tourenwagen; Originalaufnahme von 1929 aus Sammlung Michael Schlenger

Ich will Sie heute nicht mit Überlegungen belästigen, um was genau es sich bei den anderen Fabrikaten wohl gehandelt haben mag. Weitaus interessanter finde ich die Frage, wo wohl diese Aufnahme in der Botanik entstanden sein mag.

Ich würde anhand der Trachten und der vorwiegend blonden Haare des hier dominierenden Frauensvolks (nicht abwertend gemeint, Copyright: Monty Python) auf eine Region in Osteuropa tippen – mein Favorit ist einer der Ostseeanrainerstaaten.

Wir wissen aus der Geschichte, dass dort damals nur wenige Jahre nach Entstehen dieser Aufnahme längst nicht mehr alles im grünen Bereich war und für lange Zeit nicht mehr in diesen Zustand zurückkehren sollte.

Also: ganz gleich, welche Katastrophe einem gerade präsentiert wird, sollte man sich als Selberdenker stets fragen: Ist das alles wirklich alles so schlimm, wie behauptet wird, oder ist unser gegenwärtiges Dasein gemessen an der Vergangenheit nicht in den entscheidenden Dingen ganz im grünen Bereich?

Jedenfalls meine ich, dass diese Zeitgenossen die hochgejazzten Krisen unserer Tage mit einem Lächeln quittiert hätten: „Gemessen an den Härten und Umbrüchen unserer Welt ist bei Euch wahrlich alles im grünen Bereich„.

Oldsmobile F28; Originalaufnahme von 1929 aus Sammlung Michael Schlenger

Damit verabschiede ich mich bis auf Weiteres. Morgen stehen 12-13 Stunden Heimfahrt auf dem Programm. Klingt schlimmer als es ist – ich liebe Autofahren.

Ein kurzer Check im Motorraum vor dem Start muss indessen sein: Denn die Wassertemperatur sollte schließlich im grünen Bereich bleiben – immerhin sind schon wieder hochsommerliche Temperaturen zu erwarten – und das im August!

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Spezielle Typen-Studie: Ford Rheinland „Pullman“

Nachdem ich noch im letzten Blog-Eintrag einen coolen Typen präsentieren durfte, haben wir es heute mit Zeitgenossen zu tun, die ich als das genaue Gegenteil empfinde.

Diese speziellen Typen, derer wir gleich ansichtig werden, hatten an sich allen Grund, sich beim Fototermin entspannt und von ihrer besten Seite zu zeigen. Leider gelingt das keinem der fünf Herren, die einst in Idar-Oberstein vor einer speziellen Version des Ford-Typs „Rheinland“ abgelichtet wurden.

Das in der Kölner Ford-Werken von 1934-36 gebaute Modell entsprach dem in den USA seltenen Ford Model 4/40 – in den Staaten fuhren damals nur arme Schlucker mit einem Vierzylinder herum. Sechs bis acht Zylinder waren Standard, auch bei Brot- und Butter-Herstellern wie Chevrolet und Ford.

Im Deutschland der 1930er Jahren waren die Verhältnisse völlig andere. Der Durchschnittsverdiener konnte sich im besten Fall ein leichtes Motorrad leisten, Autos waren einer dünnen Schicht von Gutverdienern vorbehalten.

Der deutsche Steuerzahler wurde für Prestigeprojekte wie weitgehend autofreie Autobahnen und vor allem die Hochrüstung des Militärs gemolken, denn viele inzwischen alte doch unbelehrbare Herren hatten noch eine Rechnung mit der halben Welt offen.

Einige dieser speziellen Typen sind auf dieser Aufnahme zu besichtigen, die in Idar-Oberstein entstand:

Ford „Rheinland“ Pullman-Limousine; Originalfoto: Michael Schlenger

Der spezielle Typ im Hintergrund ist schnell abgehakt – es handelt sich um die eher seltene Ausführung des Ford „Rheinland“ als sechsfenstrige Pullman-Limousine.

Vollbesetzt war der Wagen mit diesem schweren Aufbau einigermaßen untermotorisiert, aber das war egal – denn wirklich autobahntaugliche Wagen waren im damaligen Deutschland noch die Ausnahme – schön für die wenigen, für die ein Dauertempo von deutlich über 100 km/h kein Problem war, sie hatten freie Fahrt in den Süden.

Diese Herren dürften ohnehin andere Interessen gehabt haben – behaupte ich. Keinem davon hätte ich auch nur ein Fahrrad abkaufen wollen – ich empfinde sie alle als sehr unangenehm.

Das gilt sowohl für diejenigen, welche auf die Verlegenheitsgeste der hinter dem Rücken verschränkten Arme angewiesen zu sein scheinen, als auch für den vulgär mit breitbeiniger Positur und Hand in der Hosentasche posierenden, etwas jüngeren Typen.

Normalerweise haben bei mir Zeitgenossen auf Fotos aus dem nationalsozialistischen Deutschland einen gewissen Kredit, wenn ich sonst nichts über sie weiß. Doch diesen speziellen Typen, wohl alles Teilnehmer des 1. Weltkriegs – traue ich alles zu.

Irgendwo müssen sie ja gewesen sein, all die Schreibtischtäter in Beamtenstuben, Schulen und Universitäten, Kirchen und Konzernen, welche noch eine Rechnung aus dem 1. Weltkrieg offen hatten und zu deren Begleichung sie die junge Generation (oft die eigenen Kinder) ins Feuer schickte – je länger das Ganze dauerte, desto rücksichtloser.

Sie müssen meine Wertung natürlich nicht teilen, vielleicht sehen Sie ja hier nur lauter sympathische ältere Herren vor einem Ford Rheinland auf Betriebsausflug nach Idar-Oberstein. Mir behagen diese speziellen Typen indessen überhaupt nicht.

Irgendwer muss die Generation junger Männer abgerichtet haben, die meist von der Schulbank weg in die Kaserne und dann ins Feld geschickt wurden, um gegen Nachbarvölker zu kämpfen, deren junge Männer ihnen gar nichts getan hatten.

Um dieses Paradox kommt man bei der Betrachtung solcher Fotos selten herum. Sehen Sie mir den Ausflug in die Sphäre der Privat-Psychologie und -Physiognomie nach – es kommen auch wieder andere Fotos, bei deren Besprechung es unbeschwerter zugeht…

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Schneller als man(n) denkt: Ein Whippet um 1928

Manche Dinge gehen schneller als man denkt – nicht nur im großen Weltgeschehen, das oft mit plötzlich freigesetzten Energien und rapiden Richtungswechseln aufwartet. Nein, sogar vor der eigenen Haustür kann es mitunter schneller gehen als Mann denkt.

Die merkwürdige Schreibweise hat ihren guten Grund. Wenn man wie ich in der hessischen Wetterau wohnt, wo das nächste Waldstück und der nächste Feldrand nie weit entfernt sind, sind Besitzer von Hunden mit Auslauf-Bedürfnis keine Seltenheit.

Mindestens zweimal am Tag kommt eine Nachbarin mit ihrem großen Windhund und einem zwar kleineren, aber sportlicheren „Whippet“ vorbei. Sie hat ihre Vierbeiner fest im Griff, weshalb ich mir keine Sorgen mache, wenn sie sich nähert und unsere Katze Ellie regelmäßig Interesse bei den Hunden weckt.

Katzen aktivieren vor allem bei dem Whippet den Jagdinstinkt – dann braucht es eine starke Hand und besagte Nachbarin verfügt darüber. Neulich glaubte allerdings auch ihr Gatte, der Sache gewachsen zu sein und führte die beiden Hunde aus.

An unserer Hofeinfahrt entfalteten sich dann die Dinge schneller als man(n) dachte – der Whippet wurde angesichts unserer Ellie ganz wild und riss sich los. Es dauerte eine Weile, bis wir den Whippet dank unseres Nachbarn wieder eingesammelt hatten. Unsere Katze – selbst eine kleine Jägerin – hat er nicht gekriegt.

Tja, meine Herren, im Zeitalter „starker Frauen“ sollte man(n) sich der eigenen Kräfte nicht nur theoretisch gewiss sein, sondern sie in der Praxis auch abrufbereit haben.

Also bitte die Armmuskeln nicht nur mit dem Bierglas trainieren, sonst übernehmen die Damen demnächst ganz den Laden und die Herren werden zum Chauffeur degradiert oder schauen betröppelt in die Röhre – wie hier:

Whippet um 1928; Originalfoto aus Schenkung von Helmut Kasimirowicz (Düsseldorf)

Dieses schöne Foto verdanke ich der Großzügigkeit von Helmut Kasimirowicz, bekanntlich seit Jahrzehnten Sammler, was den Eisenacher Lizenz-Nachbau des Austin Seven angeht – den Dixi DA1 3/15 PS, welcher die Basis für das erste BMW-Serienautomobil darstellte.

Da er wusste, dass ich mit dem Gefährt auf diesem Foto mehr anzufangen weiß als er, hat er es mir mit etlichen anderen vermacht. Das ist mir Ehre, Verpflichtung und Vergnügen zugleich.

Im vorliegenden Fall gilt das besonders, haben wir es doch mit einem Automobil zu tun, das perfekt zu der kleinen Geschichte passt, die ich eingangs erzählt habe. Denn auch das ist ein „Whippet“ – zwar klein, aber nicht zu unterschätzen.

Wieselflink jagte der Wagen ab 1927 den Herstellern Ford und Chevrolet einen Schreck ein, denn angeboten mit einem 30 PS-Vierzylinder oder einem 40 PS-Sechszylinder war er der billigste US-Serienwagen in dieser Kategorie überhaupt.

Hinter dem Konzept stand die Firma Willys-Overland, die es mit dem Whippet ausdrücklich auf Beutemachen am europäischen Markt abgesehen hatte. Der Coup gelang und der Whippet war in Europa kaum zu bremsen, wozu die eigens gegründete Firma Willys-Overland-Crossley beitrug, die auch in Berlin eine Niederlassung hatte.

Schon im ersten Jahr liefen über 100.000 Whippets vom Band – wobei man sagen muss, dass sechstellige Produktionszahlen pro Jahr für die US-Autoindustrie an sich Standard waren – sofern es sich nicht um Luxusfabrikate handelte.

Da speziell die deutschen Autohersteller – von Opel abgesehen – damals keine wirklich großangelegte Serienfabrikation zustandebrachten – fanden auch jede Menge „Whippets“ Käufer auf dem chronisch unterversorgten Markt in Deutschland.

Entsprechend finden sich zahlreiche Wagen dieser Marke mit deutschem Kennzeichen in meiner US-Auto-Galerie. Der „Whippet“ schlug schneller zu, als man(n) es sich auf den Teppichetagen der rückständigen etablierten Hersteller in Deutschland vorstellen konnte.

Sogar in München – schon vor 100 Jahren nicht gerade als Armeleute-Metropole bekannt – fanden sich Käufer des „Whippet“ – hier als zweitürige Limousine („Coach“):

Whippet um 1928; Originalfoto aus Schenkung von Helmut Kasimirowicz (Düsseldorf)

Mir scheint hier klar zu sein, wer das Sagen hat – die wenig beeindruckenden männlichen Protagonisten jedenfalls nicht. Die selbstbewusste Dame posiert entsprechend besitzergreifend von dem Gefährt nebst Insassen.

Viel mehr möchte ich heute dieser schönen Aufnahme, die im Alpenraum entstand, gar nicht abringen. Sie passte bloß gut zu meinem kürzlichen Erlebnis und nochmals ermahne ich die Herren der Schöpfung:

Wenn Sie sich allein auf die Chromosomen-Ausstattung und die Tradition verlassen, aber sonst nichts Greifbares für ihren Status tun, dann werden Sie schneller als man(n) denkt, von überlegeneren und agileren Kräften abserviert.

Das kann keiner wollen, zudem sind nach meiner Wahrnehmung die Damen durchaus zufrieden, wenn die Herren öfters die Muskeln spielen lassen – bei der Gartenarbeit, beim Schrauben und Renovieren oder beim Sport.

Dazu sollten die Muskeln freilich sichtbar sein – das ist auch eine Mahnung an die junge Milchbart-Generation: Was nicht frühzeitig aufgebaut wird, ist später kaum nachzuholen. Also öfter mal den „Whippet“ in sich entdecken oder den auf vier Beinen bändigen lernen!

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Was Links und Rechts unterscheidet: Simson So 8/40 PS

Oje, die Überschrift lässt nichts Gutes ahnen – heute lässt unser Blog-Wart uns wieder einmal an seiner Weltanschauung teilhaben, mag jetzt mancher denken.

Doch keine Sorge, ich streife die politischen Verhältnisse nur am Rande. Mit „Links und Rechts“ weiß ich nämlich in weltanschaulicher Hinsicht wenig anzufangen.

Einst saßen auf der Rechten im französischen Parlament die Vertreter des Adels und links die freiheitlich gesinnten Revolutionäre, später waren rechts die Vertreter des freien Bürgertums angesiedelt und links die nach autoritärer Herrschaft strebenden Sozialisten – dann gab es noch den speziellen Fall, dass sich linke und rechte Sozialisten gegenübersaßen.

Diese Zuschreibungen taugen also letzlich wenig, sie sind im Zeitverlauf variabel und dienen im Wesentlichen der Feindmarkierung auf beiden Seiten.

Für mich ist „in politicis“ von jeher nur eine Unterscheidung relevant: Betrachtet ein Politiker den Bürger als seinen Auftraggeber, dessen Interessen er bestmöglich zu verfolgen hat und dem er uneingeschränkt rechenschaftspflichtig ist, oder sieht er in ihm einen Untertan, dem er Befehle zur Lebensführung erteilen und nach Belieben Auskünfte vorenthalten kann.

Richtungen, Farben und Parolen – das alles interessiert mich nicht – ich kenne nur die Unterscheidung zwischen Kollektivismus und Individualismus – Unterordnung und Eigenveranwortung, Herdenverhalten und Selberdenken.

Nach dieser Vorrede können wir uns neutral linken wie rechten Anschauungen widmen – und zwar anhand eines alten Bekannten aus Suhl in Thüringen – dem Simson Typ So 8/40 PS, gebaut von 1925-29:

Simson Typ So 8/40 PS; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Hier haben wir den Blick von links auf dieses Gefährt mit seinem feinen 2-Liter-Motor mit obenliegender Nockenwelle – eine Entwicklung von Paul Henze, der einst auch bei Steiger beeindruckende Konstruktionen hinterließ.

Wir merken uns die auffallend kurzen Luftschlitze auf dieser Seite der Haube, welche der Tatsache geschuldet sind, dass darunter zwei dicke Auspuffrohre ihren Weg ins Freie suchen – die Mercedes-Kompressortypen lassen grüßen.

Ich verkneife mir die Bemerkung, dass aus linker Sicht ein solches Manufakturgefährt nur durch Ausbeutung der armen Arbeiter möglich war, die es anfertigten. Ebenso spare ich mir den Hinweis, dass es böse US-Kapitalisten waren, die ebendiesen Arbeitern erstmals auf der Welt den Erwerb eines eigenen Automobils ermöglichten.

Kurioserweise können sich aus linker Perspektive die gleichen Dinge ganz anders darstellen – so sind die Auffassungen viel differenzierter, als es das übliche Schema erwarten lässt:

Simson Typ So 8/40 PS; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Hier ist auf einmal nicht mehr die Maschine der Gegenstand der Betrachtung, sondern das menschliche Element kommt hinzu, das sich der schablonenhaften Beschreibung und damit auch der schematischen Behandlung entzieht – wir kommen am Ende darauf zurück.

Allerdings stellt sich hier auch das Fahrzeug als solches anders dar, obwohl es sich sehr wahrscheinlich ebenfalls um einen Simson des Typs So 6/40 PS handelt.

Doch die weniger strenge Gestaltung der Vorderkotflügel und die damit verbundene andere Anbringung des Reserverads erinnert uns daran: die Verhältnisse des individuellen Falls können sich anders darstellen, als dies ein an Standards orientierter Betrachter meint.

Auch die menschliche Komponente mahnt hier dazu, dass man Automobile besser nicht als nur mechanische Phänomene einordnet und rein technologisch betrachtet. Bereits eine Person – hier die uns zugewandte Dame im Heck – macht einen enormen Unterschied aus.

Wie sehr der Einzelne das Bild zu bestimmen vermag und wie großartig es ist, ihm Raum zur Entfaltung zu geben, während die technologische Ebene und alle abstrakten Aspekte in den Hintergrund rücken, das offenbart schließlich der Blick von „rechts“ auf denselben Wagen:

Simson Typ So 8/40 PS; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Natürlich registrieren wir hier beiläufig, dass sich die Haubenschlitze aus „rechter Perspektive“ ganz anders darstellen – sie sind weit höher.

Doch wie gesagt: es sind nicht die technischen Details der Analyse, die uns den Simson hier ganz anders erscheinen lassen. Nein, die Magie dieses Fotos liegt hauptsächlich in der berührenden Menschlichkeit der Individuen begründet, die wir sehen.

Dass wir den Einzelnen hier in seiner Würde wahrnehmen, ist nur zufällig der Einnnahme des Blicks von rechts geschuldet – denn wie eingangs geschildert taugen diese unpräzisen Kategorien in weltanschaulicher Hinsicht nichts.

Ob man den Menschen nur als beliebiges, austauschbares und unmündiges Element einer großen Masse betrachtet oder als ein auch bei Einbeziehung seiner Unvollkommenheiten zu achtendes autonomes Geschöpf – das macht den Unterschied, nicht zuletzt bei der Frage, ob man ein Autofoto mit oder Menschen bevorzugt.

Der Vertreter des technokratischen Ansatzes wird das unbelebte Werksfoto bevorzugen, da er die Individualität etwaig anwesender Personen als störend ansieht.

Der Anhänger der humanistischen Sicht wird dagegen die Ansicht vertreten, dass erst die Anwesenheit individueller Charaktere tote Materie zum Leben erweckt und das Dasein bei aller Problematik zu einer Sache adelt, für die es keine allein richtige Betrachtungsweise gibt, nicht von links und nicht von rechts…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Als Anhalter durch die Galaxis: Oryx von 1913/14

In meinem vorherigen Blog-Eintrag hatte ich „gute Laune serienmäßig“ als erstrebenswert gepriesen, gerade wenn man es mit so unvollkommenen Dingen wie einem Hanomag 2/10 PS „Kommissbrot“ zu tun hat.

Heute schauen wir nach Wegen, wie wir uns die heitere Gestimmtheit auch unter den unvollkommenen Verhältnissen unserer Zeit erhalten, selbst wenn uns kein kurioses Spaßmobil zur Verfügung steht.

Ich muss mich immer wieder zu dergleichen Selbsttherapien zwingen, fällt es mir doch schwer, in unseren Tagen positive Entwicklungen im großen Ganzen zu sehen.

Doch zwei Wege der Betrachtung haben sich nach meiner Erfahrung bewährt, um die Zumutungen des Daseins keine Macht über das Seelenheil erlangen zu lassen.

Der eine Weg ist der Blick in die Gesteinsschichten unter uns – bisweilen auch vor oder über uns, wenn man im Bergland unterwegs ist. Da präsentieren sich einem pro Schicht Jahrzehnte oder Jahrhunderte vergangenen Lebens auf ein paar Dezimeter komprimiert und versteinert.

Das Ganze endlos übereinandergestapelt, auch wild aufgefaltet oder gar um 90 Grad gedreht. Alles was uns heute ausmacht, begeistert oder aufregt, wird eines Tages genau diese Form angenommen haben. Beruhigend.

Wer aus Gründen der Topographie kein derartiges Anschauungsmaterial vor der Haustür zur Meditation über das flüchtige Wesen unseres Daseins vorfindet, dem sei der zweite Weg empfohlen – der nächtliche Blick nach oben zum Sternenhimmel.

Am besten begibt man sich in einer mondlosen Nacht auf eine abgelegen vom Licht der Zivilisation gelegene Wiese – ideal ist eine Lichtung im Wald. Als Ausrüstung empfiehlt sich eine Decke und ein Picknickkorb mit kühlen Getränken nach Gusto – auch gleichgesinnte Begleitung ist dem Genuss nicht abträglich.

Dann legt man sich auf den Rücken und überlässt sich dem Anblick des Sternenhimmels. Was sich den Augen dort offenbart, ist ein Blick in die wahren Dimensionen der Welt.

Man sieht nach einer Weile der Gewöhnung sogar die Spiralarme unserer Galaxis – in einem davon befindet sich unter Millionen anderer Sterne unsere Sonne.

Was das mit Vorkriegsautos auf alten Fotos zu tun hat? Eine ganze Menge, denn das Licht, das wir am Sternenhimmel sehen, ist seit tausenden oder gar Millionen Jahren unterwegs – der nächtliche Blick nach oben ist immer ein Blick in die Vergangenheit unserer Galaxis.

Ebenso erblicken wir auf alten Autofotos Fahrzeuge, Menschen und Situationen, die längst vergangen sind. Je nach dem, was uns gerade in automobiler Hinsicht begegnet, können wir quasi als Anhalter durch die Galaxis der Vorkriegsautowelt reisen.

Spätestens jetzt dürfte mancher an die Science Fiction-Satire „Per Anhalter durch die Galaxis“ des britischen Autors Douglas Adams denken. Der fand sich eines Abends angeschickert auf einer Wiese in Österreich wieder, wo er als Tramper unterwegs war.

Beim Blick zu den Sternen kam ihm die Idee zu dem grotesken Werk, das wie die Bücher Franz Kafkas die Absurdität des menschlichen Daseins zum Thema hat – und statt einer Lösung nahelegt, sich damit in heiterer Gestimmtheit abzufinden.

Für die heutige Tour durch Zeit und Raum habe ich als geeignetes Fahrzeug einen Oryx aus der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg ausgewählt. Das meiste, was Sie über den Berliner Hersteller und seine Typen wissen sollten, finden Sie in einem alten Blogeintrag.

Wer gerade keine Lust auf diese schon beinahe historische Lektüre hat, dem sei zumindest das damals vorgestellte Fahrzeug hier präsentiert:

Oryx Typ K 6/18 PS oder K2 7/21 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese im 1. Weltkrieg in Frankreich entstandene Aufnahme zeigt deutsche Soldaten mit ihrem Oryx – siehe den Schriftzug oben auf dem Kühlergehäuse.

Mangels Literatur bleibt eine gewisse Unsicherheit, mit welcher der drei bis vier damals in Frage kommenden Motorisierungen wir es zu tun haben.

Fotos von Oryx-Wagen sind nach meiner Wahrnehmung äußerst selten und jedes neu aus den Tiefen der Vorkriegs-Galaxis auftauchende ist bereits ein Gewinn – über die Typen zu spekulieren, erscheint mir beim derzeitigen (Un)Kenntnisstand müßig.

Stattdessen wollen wir uns an der Komposition der folgenden Aufnahme erbauen, die offenbar einen ähnlichen Oryx-Wagen mit dem damals typischen birnenförmigen Kühler zeigt:

Oryx-Tourenwagen von 1913/14; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wo der Wagen genau angehalten hat, kann ich nicht sagen. Doch der Umstand eines Halts an einem romantischen und nur mäßig „gezähmten“ Flußlauf ist auch nicht der Grund, weshalb ich auf den kalauernden Titel „Als Anhalter durch die Galaxis“ kam.

Der eigentliche Grund offenbart sich erst bei näherer Betrachtung des Autos.

Dabei bemerkt man nur einen Unterschied zu dem im Weltkrieg abgelichteten Exemplar – eine zweite Windschutzscheibe für die rückwärtigen Passagiere mit ausstellbaren Windabweisern:

Doch Rückschlüsse auf das Modell lässt dieses Zubehör nicht zu. Bemerkenswert ist etwas anderes: Hier haben wir in frühes Beispiel für die Mitnahme von Anhaltern durch ein Automobil!

Im vorliegenden Fall haben wir es gleich mit einer ganze Bande von Anhaltern zu tun und sie haben sich sogar des Steuers bemächtigt.

Dieser Oryx, der irgendwo auf dem in unserer Galaxis als „größtenteils harmlos“ geltenden Planeten Erde aufgenommen wurde, war im mitteldeutschen Herzogtum „Anhalt“ zugelassen.

Ha, werden nun einige unter Ihnen ausrufen: Dann waren die Insassen des Oryx aber keine Anhalter, sondern Anhaltiner! Das mag sein, aber für ein gelungenes (?) Wortspiel bin ich bereit, es mit den Fakten nicht ganz so genau zu nehmen.

Sie erinnern sich an das, was ich eingangs über die zwei Wege geschrieben habe, die nötige Distanz zu den Zwängen unserer kleinen Erdenwirklichkeit zu gewinnen?

So gern ich bei der Beschäftigung mit den automobilen Zeitmaschinen Radbolzen und Luftschlitze nachzähle oder auch über längst überholte modische Details wie Rocklängen und Hutdurchmesser räsonniere, so locker nehme ich die Sache, wenn mir danach ist.

Es geht hier um nichts Wichtiges oder Ernsthaftes, letztlich ist die Beschäftigung mit Vorkriegsautos auf alten Fotos reine Unterhaltung und eine von vielen Formen, sich die kurze Zeit auf diesem Planeten angenehm zu machen.

Wir sind bloß auf der Durchreise„, pflegte meine Mutter zu sagen, wenn sie zum Ausdruck bringen wollte, dass wir unserer Augenblicksexistenz und dem Ort unseres Aufenthalts nicht zuviel Bedeutung beimessen sollten. Was deprimierend klingt, ist in Wahrheit befreiend.

So setzen wir gut gelaunt und (idealerweise) gut motorisiert unsere anhaltende Reise durch die Galaxis auf vier Rädern fort – vielleicht treffen wir uns ja irgendwann alle im Restaurant am Ende des Universums…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Eine unmögliche Situation? Opel 7/34 bzw. 8/40 PS

Vielleicht liegt es an jahrelanger Bloggerei zu später Stunde, vielleicht aber auch an traumatischen Erlebnissen mit der deutschen Staatsbahn zu Zeiten meines zum Glück seit über zehn Jahren zurückliegenden Pendlerdaseins:

Einer meiner wiederkehrenden Träume jedenfalls handelt davon, dass ich mich irgendwo in einer fernen Stadt befinde und binnen weniger Stunden an einem bestimmten anderen Ort sein muss, aber entweder den Bahnhof nicht finde, auf dem Weg dahin aufgehalten werde oder spätestens im Zug auf Abwege gerate.

Regelmäßig endet das Ganze in der Erkenntnis einer unmöglichen Situation – keine Chance, das Ziel rechtzeitig zu erreichen. Das Kuriose dabei ist: während ich solche Traumsituationen erlebe, weiß ich, dass es bloß eine weitere Variante über das alte Thema ist.

Der Effekt ist somit letztlich ein entspannender, denn während mein Kopf von den Vorgaben des Verstands befreit, seinem eigenen Drehbuch folgt, ist ein Teil des Bewusstseins aktiv und verbucht das erlebte Scheitern unter längst Bekanntem. Leider sind mir am Morgen meist nur noch Bruchstücke dieser unmöglichen Situationen gegenwärtig.

Das ist bedauerlich, sodass ich Sie nicht mit entsprechenden Geschichten auf die Folter spannen kann, bevor ich endlich zum Thema komme. Nur das eine sei festgehalten: So faszinierend die unmöglichen Situationen sind, in die ich im Traum gerate, so faszinierend ist die, in welche ich heute mit Ihnen eintauchen will.

Natürlich kennen Sie unmögliche Situationen, in denen man sich auch als halbwegs bewanderter Freund von Vorkriegswagen wiederfindet – etwa, wenn man so ein schönes Foto erblickt und leider einsehen muss, dass es wohl unmöglich bleibt, mit Sicherheit herauszufinden, um was für ein Automobil es sich handelt:

unbekannter deutscher Tourenwagen der frühen 1920er Jahre; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich bin sicher, dass wir es hier mit einem in Deutschland gefertigten Tourenwagen der frühen 1920er Jahre zu tun haben. Man beachte den wie eine Skulptur in allen drei Dimensionen durchgeformten Karosseriekörper – diese gestalterische Auffassung verschwand leider mit dem Aufbau der Sachlichkeit ab 1925 (wenngleich es in den 30ern eine Nachblüte gab).

Es könnte sich bei diesem Wagen beispielsweise um einen Benz handeln – die Position der Haubenschlitze und die Radnaben würden dazu passen, aber es fehlt der Blick auf Partien, die eine klare Ansprache der Marke erlauben – also eine unmögliche Situation!

Dieses „Ärgernis“ sollte uns allerdings nicht verdrießen, denn es gibt zum Glück Autofotos aus ganz ähnlicher Perspektive, die nur auf den ersten Blick ebenfalls eine unmögliche Situation zeigen. Tatsächlich erweisen sie sich mitunter als ganz wunderbare Dokumente, die nichts zu wünschen übrig lassen.

So einen Fall darf ich heute präsentieren – bitte erwarten Sie keine Sensationen, aber einen alten Bekannten, wie Sie ihn wohl noch nie gesehen haben:

Opel 7/34 PS oder 8/40 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So eine Aufnahme hätten viele Sammler erst gar nicht in Betracht gezogen. Ich bin aber in der Billigliga unterwegs und zahle meist nur um die 5 EUR für solche Originalabzüge.

Da muss man nehmen, was andere nicht wollen, doch wird man oft genug belohnt durch ungewöhnliche Perspektiven und Details – wobei in diesem Fall auch Erhaltungszustand und technische Qualität achtbar sind.

Haben Sie noch die komplexe Durchgestaltung der Türpartie beim eingangs gezeigten Tourenwagen vor Augen? Meisterhaft in der handwerklichen Ausführung und nichts, was der Form abträglich wäre.

Dagegen hier simpel wie zwei Gartentore ausgeführte Türen mit außenließegenden Scharnieren, an denen das Auge auf unangenehme Weise „hängenbleibt“. Die gesamte Seitenlinie eine endlose Horizontale – kein Schwung, keine Spannung.

An sich eine unmögliche Situation, in der sich dieser banal erscheinende Wagen präsentiert, wären da nicht die Damen im Heck, welche die wenig ansprechende metallene Hülle mit Leben füllen und den groben Linien die Härte nehmen:

So gesehen ist das mit einem Mal eine herrliche nostalgische Situation und unter anderem deshalb schauen wir in ästhetischer Hinsicht wenig verwöhnten Menschen des 21. Jh. doch diese alten Fetzen belichteten Papiers an, nicht wahr?

Doch ist es immer noch eine unmögliche Situation, in der wir uns wiederfinden, weil wir die Insassen leider nicht mehr fragen können, in was für einem Wagen sie einst unterwegs waren – gegen Abend bei tiefstehender Sonne, wie die langen Schatten verraten.

Aber halt, ist die Situation vielleicht doch nicht so unmöglich wie im Fall des ersten Fotos? Schauen wir noch einmal genauer hin:

Zwei Dinge sind hier festzuhalten: ein markantes Kühlerprofil, wie man es vom amerikanischen Packard kennt, und zwei glänzende Schutzbleche an der Blechpartie unterhalb der Türen, welche Kratzer im Lack beim Einsteigen verhindern sollten.

Das hat man schon öfters gesehen, wenn man die Opel-Modelle der zweiten Hälfte der 1920er Jahre ein wenig kennt. Für das damals verbreitete 4 PS-Modell – landläufig als Laubfrosch bekannt – ist dieser Tourenwagen eine Klasse zu groß.

Doch gab es von Opel zwischen 1927 und 1929 heute wenig bekannte größere Modelle mit 50 bis 60 Leistung – die nach ihrer Höchstgeschwindigkeit benannten Modelle 90 und 100. Die waren wiederum weit oberhalb unseres Rätselwagens angesiedelt.

Dazwischen wurde der Mitteklassetyp 80 angeboten – mit Motorisierung 10/40 PS:

Opel Typ 80 (10/40 PS); Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Könnte dies das gesuchte Modell sein – der Vierzylinder-Opel 10/40 PS? – Nein.

Zwar finden sich auch hier die von Packard abgekupferte Kühlerform – was die Amis herzlich wenig störte, denn Opel wurde nicht annähernd als Konkurrenz angesehen – außerdem die erwähnten Trittschutzbleche in der für Opels jener Zeit typischen Gestaltung:

Aber: Dieses Modell besaß einen etwas längeren Radstand (siehe den Abstand zwischen den Türen) und verfügte über sechs Radbolzen, während „unser“ Opel Tourer nur vier besaß.

Dieses Detail findet sich beim 1927 ergänzend eingeführten Sechszylindertyp 7/34 PS (später 8/40 PS), mit dem Opel versuchte, den überlegenen US-Importwagen etwas entgegenzustellen.

Fotos dieses Modells sind zwar nicht leicht zu finden, hier jedoch ein besonders schönes, das ich bereits vorgestellt habe und das die Limousinenausführung zeigt:

Opel 7/34 PS bzw. 8/40 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Tourenwagen-Ausführungen dieses Opel-Typs sind nach meiner Wahrnehmung noch seltener, was zusätzlich zur „unmöglichen Situation“ beiträgt, in welcher der heute vorgestellte Wagen einst für Mit- und Nachwelt festgehalten wurde.

Und weil das Ganze so schön ist, hier das Ausgangsfoto im Originalformat – Wiederholungen dieser Art sind Ihnen hoffentlich ebenso willkommen wie die unmöglichen Situationen, in denen ich mich wiederfinde, wenn ich im Land der Träume unterwegs bin…

Opel 7/34 PS bzw. 8/40 PS Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

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Die guten Seiten der DDR: Ein Fiat-NSU 1000

Um es gleich zu sagen: Das politische System der DDR war für Freiheitsliebende das zweitschlimmste, was es je auf deutschem Boden gegeben hat.

Millionen von Menschen jahrzehntelang einzusperren, sie um ein selbstbestimmtes Leben und die Früchte ihrer eigenen Arbeit – oft auch um ererbtes Eigentum – zu bringen, lässt sich nicht irgendwie schönreden, so sehr die DDR-Insassen versuchten, das Beste daraus zu machen und dabei oft Erstaunliches zuwegebrachten.

Dennoch gab es viele gute Seiten der DDR. Die bislang für mich beste war die sehr frühzeitige Organisation der Vorkriegsautoszene in Mittel- und Ostdeutschland.

Diese war ursprünglich aus der Not geboren, denn natürlich gelang es der DDR-Planwirtschaft nicht, in ausreichender Zahl zeitgemäße Automobile fertigen zu lassen.

Ohne Wettbewerb, Privateigentum und freie Preisbildung kann keine Wirtschaft die Bedürfnisse der Konsumenten stillen. Die wie in allen sozialistischen Regimen bildungs- und intelligenzmäßig beschränkten Machthaber meinten freilich, wenn man es nur oft genug versucht, wird es schon gelingen (nebenbei ein zeitloses Thema).

Also hielten die DDR-Bürger mit einer bewundernswerten Improvisationsfähigkeit die vielen Vorkriegsautos am Laufen, welche nach der Kapitulation noch vorhanden waren. Die Kompetenz dafür war im Osten unseres Landes zum Glück vorhanden, denn das Herz der deutschen Autoindustrie schlug einst in Thüringen und Sachsen.

Dabei gelang es oft, sogar ausländische Fabrikate (hauptsächlich amerikanische) weiter in Betrieb zu halten, was eine bemerkenswerte Leistung ist, wenn man bedenkt, dass fehlende Teile in Eigenleistung nachgefertigt werden mussten.

Hinzu kam, dass die Qualitätsstandards der meisten Vorkriegswagen weit über dem Niveau der Gefährte lagen, welche unter den Bedingungen der sozialistischen Mangelwirtschaft entstanden. Hier war private Kompetenz und Initiative gefragt – und es gab sie!

Neben hochkarätigen Prestigewagen wurden so vor allem Brot-und-Butter-Modelle am Laufen gehalten, die wenig Kraftstoff benötigten, aber zugleich eine souveräne und stilvolle Fortbewegung ermöglichten – was DDR-Gewächse definitiv nicht boten.

Ein hübsches Beispiel dafür findet sich auf diesem Foto der 60er Jahre:

NSU-Fiat 1000 mit DDR-Kennzeichen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Trotz einiger Veränderungen wie den nachgerüsteten Blinkern und dem Außenspiegel lässt sich diese hübsche Zweitürer-Limousine leicht als Fiat 1000 identifizieren, wie er auch im alten NSU-Werk in Heilbronn ab 1934 gebaut wurde.

Die deutschen Ausführungen dieses mit einem drehfreudigen Vierzylinder mit 24 PS motorisierten Fiats sind leicht an den Luftklappen in der Motorhaube zu erkennen. Diese sind auch auf meinem Foto zu erahnen.

Außerdem gibt es hier etwas zu sehen, was mich zum Titel meines heutigen Blog-Eintrags motivierte – ein DDR-Kennzeichen in der typischen Ausführung mit einer Gruppe aus zwei Buchstaben, gefolgt von zwei Gruppen zu je zwei Ziffern.

Im Unterschied zu den Nummernschildern in der Bundesrepublik (nach der Ära der Besatzungskennzeichen) erlauben diese Kennungen keine direkte Ableitung des Zulassungsorts aus den am Anfang stehenden Buchstaben.

Doch gab es neben der erfreulichen Seite der DDR, welcher wir eine im Westen unvorstellbare Zahl an überlebenden Vorkriegswagen verdanken, weitere 89 Seiten, die ich zu schätzen weiß.

Das verdanke ich Leser Reinhard Barthel, der mich dieser Tage mit einer Sendung der besonderen Art erfreute. Er schickte mir einen Nachdruck des „Schlüsselverzeichnis der polizeilichen Kennzeichen für zugelassene Fahrzeuge“, welches vom DDR-Innenministerium zuletzt im Mai 1990 herausgegeben wurde.

Dabei handelt es sich nicht nur um eine der letzten Amtshandlungen der DDR-Bürokratie, sondern zugleich um ein enorm hilfreiches analoges Dokument, das binnen kürzester Zeit die Zuordnung von Nummernschildern zum einstigen Zulassungsbezirk erlaubt.

Ich war von dieser Geste so angetan – vielen Dank an Herrn Barthel an dieser Stelle – dass ich die Gelegenheit dazu nutzte, das Verzeichnis am Beispiel des NSU-Fiat 1000 zu erproben.

Nur wenige Sekunden und ich fand die benötigte Information auf Seite 21: Demnach war der Nummernkreis DP-02-66 bis DP 47-85 dem Bezirk Potsdam zugeordnet – großartig!

Sie sehen nun, was ich – augenzwinkernd- mit den vielen guten Seiten der DDR als Staat meine. Doch die beste bleibt für mich als Wessie immer noch die eingangs erwähnte: die vorbildliche Vorkriegsautoszene, die bis heute unübersehbar fortwirkt.

Ihr verdanken wir das Fortleben so vieler schöner Wagen und sei es nur in Form von Fotos, die den zweiten Frühling von Vorkriegsautomobien nach dem 2. Weltkrieg dokumentieren.

Diese Fahrzeuge waren nicht nur Notlösungen, sie wurden als kostbare Schätze in einer Zeit betrachtet, in der sich die aktuelle Produktion auf traurigem Niveau befand.

Das zweite Foto unseres NSU-Fiat 1000 aus Potsdam in ungestörter Kulturlandschaft mag dies illustrieren – man hatte offenbar schon früh ein Bewusstsein für die besonderen ästhetischen Qualitäten wirklich alter Autos…

NSU-Fiat 1000 mit DDR-Kennzeichen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Das Rätsel vom Furka-Pass: Wanderer W51/52

Gibt es im Jahr 2024 noch Bahnhofsbuchhandlungen? Ich frage deshalb, weil ich – einst passionierter Bahnfahrer – die deutsche Staatseisenbahn seit gut 10 Jahren mit Ignoranz strafe. Die Gründe dafür sind, sagen wir: vielfältig, und bedürfen keiner Vertiefung.

In meinem früheren Pendlerdasein ergab sich öfters die Gelegenheit, mir die Zeit bis zur Abfahrt im Bücherangebot auf dem Hauptbahnhof zu Frankfurt am Main zu vertreiben. Meist landete ich in der Ecke mit Reiseführern und Kartenmaterial. Doch auf dem Weg dorthin kam ich nicht umhin, die Titel typischer Trivialliteratur zur Kenntnis zu nehmen.

Das ging etwa nach diesem Schema: „Die Mumie aus dem Moor„, „Der Heiler vom Berg“ „Das Grauen im Spiegel“ usw. Sollte ich jemals in die Verlegenheit geraten, meinen Lebensunterhalt mit der Fließbandproduktion von Kriminal-, Geister- oder Ärzteromanen verdienen zu müssen, weiß ich schon einmal, wie man einen zugkräftigen Titel findet.

So sind sie doch auch schon ganz begierig zu erfahren, was es mit dem „Rätsel vom Furka-Pass“ auf sich hat, nicht wahr?

Sie werden es nicht bereuen, darauf hereingefallen zu sein und können sogar eine hübsche Aufgabe lösen, an der ich aus Zeitmangel gescheitert bin. Das ist tatsächlich der einzige Preis, den Sie bisweilen bezahlen müssen, um weiter in den kostenlosen Genuss meiner nächtlichen Berichte aus der Wunderwelt der Vorkriegsautos zu gelangen.

Los geht’s – wir haben noch einen hübschen Weg vor uns, also ist nur Zeit für einen kurzen Schnappschuss, bevor wir uns zum Furka-Pass aufmachen:

Wanderer W51 oder W52; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Na, würden Sie hier bereits Hersteller und Typ des Autos erkennen, dessen Frontpartie so wirkungsvoll in diese Gruppenaufnahme einbezogen wurde?

Rein von der Chronologie her betrachtet, liefert uns der seitlich weit heruntergezogene Kotflügel eine grobe Orientierung. Solche Kotflügel“schürzen“ finden sich erstmals beim amerikanischen Graham „Blue-Streak“ des Modelljahrs 1932.

Schon ab 1933 findet man kaum noch ein deutsches Fabrikat, das etwas auf sich hielt, welches nicht ebenfalls dieses neue Detail aufwies, das einer von vielen kleinen Schritten zur modernen Karosserie war, wie sie noch vor Kriegsende in den Staaten definiert wurde.

Bloß bei der Identifizierung hilft uns diese Beobachtung nicht weiter. Doch vielleicht haben Sie das schemenhaft erkennbare geflügelte „W“ auf der Radkappe des Ersatzrads bemerkt – Hinweis auf einen „Wanderer“ aus dem deutschen Auto Union-Verbund.

Jetzt wissen wir schon einmal, wo wir weitersuchen müssen. Zwei Dinge liefern die entscheidenden Hinweise. Im Unterschied zu den bisher vorgestellten Modellen von Wanderer, zuletzt dem Typ W21 bzw. W22 von anno 1933, wartete der Hersteller ab 1936 mit einem komplett neugestalteten Sechszylinderwagen auf.

Dieses neue Modell W51 (2,3 Liter, 55 PS) bzw. später W52 (2,6 Liter, 62 PS) bot neben autobahntauglicher Dauergeschwindigkeit von deutlich über 100 km/h eine Karosserielinie, die sich am Vorbild damaliger US-Vorbilder orientierte.

Dazu gehörte eine bullige Kühlerpartie, die nichts mehr mit der klassischen Formgebung der Vorgänger gemein hatte. Wie das von vorne aussah? Geduld, wir kommen am Ende dazu.

Erst einmal gilt es, zum Furka-Pass zu gelangen, welcher die Verbindung von der südwestlichen Schweiz in Richtung Andermatt und Gotthard herstellt. Dort sehen wir den eingangs noch etwas scheuen Wanderer nun auf gesamter Länge:

Wanderer W51 oder W52 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Moment einmal, mögen Sie jetzt sagen: Der Wagen hat hier ja ganz andere Felgen und auch die Chromradkappen sind abhandengekommen.

Gewiss, aber die beiden Damen sind dieselben wie die in der Mitte auf dem ersten Foto, nicht wahr? Rätselhaft..

Ich habe diese Fotos zusammen mit einem dritten erworben, und sie alle zeigen einen Wanderer W51 bzw. W52 (äußerlich kaum zu unterscheiden) von 1936/37.

Es müssen einige Jahre zwischen den Aufnahmen liegen. Die zusammengewürfelte Kleidung der jüngeren der beiden Damen sowie der Zustand des Autos sehen mir nach früher Nachkriegszeit aus.

Nun fragt man sich: Woher kam dieser Wanderer, als er auf der Furka-Pass in der Schweiz fotografiert wurde?

Einen Hinweis gibt der umseitige Stempel eines Fotoladens aus Schönheide in Sachsen. Das war freilich in der Ostzone, die man auch vor dem Bau der Mauer nicht ohne weiteres verlassen konnte, außerdem brauchte man für so eine Auslandstour rare Devisen.

Sie verstehen nun sicher, warum ich mich für den Titel „Das Rätsel vom Furka-Pass“ entschieden haben – oder Sie haben eine Erklärung, auf die ich nicht gekommen bin.

Den Schlüssel zur Lösung sollte letztlich das dritte Bild aus dieser kleinen Reihe enthalten, das jedoch zugleich ein neues Rätsel aufgibt:

Wanderer W51 oder W52 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was meinen Sie? Ein großartiges Foto auf jeden Fall, meine ich, auch wenn es für mich mehr Fragen aufwirft als beantwortet.

Sicher kann jemand über das Nummernschild herausfinden, wo dieser alte Wanderer zugelassen war. Als Datierung der Situation würde ich „um 1960“ vorschlagen, wobei ich mich vor allem an der Frisur der jungen Dame ganz links orientiere.

Das Auto war zum Aufnahmezeitpunkt rund 25 Jahre alt, es muss aber noch so zuverlässig gewesen sein, dass seine Besitzer ihm eine solche Fernreise in den Süden zutrauten. Dass wir uns irgendwo in einer großen Hafenstadt in Südfrankreich oder Italien – vielleicht Ligurien – befinden, das ist meine vorläufige Einschätzung.

Aber wo entstand dieses Foto wirklich? Das Gebäude im Hintergrund mit den orientalisch anmutenden Spitzbögen sollte den entscheidenden Hinweis geben.

Ich bin gespannt, was an Lösungsvorschlägen für das heutige „Rätsel vom Furka-Pass“ eintrudelt – nutzen Sie bitte dazu die Kommentarfunktion. Und wenn Ihnen auch sonst noch etwas ein- oder auffällt, nur zu!

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Traumschiff anno 1927: Studebaker Big Six „Victoria“

Das letzte Mal, dass ich „Das Traumschiff“ sah, muss bald 40 Jahre zurückliegen. Damals wohnte ich als Schüler noch zuhause und kam in den Genuss solcher Meisterwerke des westdeutschen Staatsfernsehens.

Angeblich gibt es die Serie immer noch, aber da ich seit meinem Auszug nie wieder ferngesehen habe (den Zwangs“beitrag“ zahle ich trotzdem), weiß ich weder, wie der Dampfer heute aussieht noch wer dort als Kapitänsdarsteller fungiert.

Daher kann ich ganz unvoreingenommen (wie es meine Art ist…) an ein Gefährt gehen, welches meiner Vorstellung von einem Traumschiff viel näherkommt als die schwimmenden Massenquartiere mit x Restaurants und Einkaufszentren.

Dazu versetze ich mich in die Situation eines betuchten Paares irgendwo im deutschsprachigen Raum in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre und stelle mir vor, was dieses wohl unter einem Traumschiff verstanden hätte.

Nun, reichlich Platz für zwei plus reichlich Gepäck, perfekten Rundumblick, die Option auf den Himmel über einem und die Aussicht auf die weite Welt direkt vor einem. Angetrieben sein sollte das Schiff von einem kraftvollen Aggregat, das unangestrengt seine Arbeit verrichtet.

Damit ließe sich kommod und elegant auf Reisen gehen, möchte man meinen. Wie das Ergebnis eines solchen schönen Traums damals aussehen konnte, das darf ich heute anhand einer Aufnahme zeigen, die ich erst dieser Tage erworben habe.

An dem Dokument gefällt mir nicht nur die traumhafte Inszenierung irgendwo an einem See im Alpenraum, sondern auch, dass es ein „Traumschiff“ zeigt, das wohl auch altgediente Kenner der Materie noch nicht oft zu Gesicht bekommen haben:

Studebaker „Big Six“ Victoria Modelljahr 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wer auch immer hier einst auf den Auslöser gedrückt hat, verstand sein Handwerk perfekt. Dieses Foto hätte jeden Verkaufsprospekt geadelt und wäre in jedem Gesellschaftsmagazin ein Glanzstück gewesen. Leider ist umseitig nichts vermerkt.

So müssen wir uns wie so oft unsere eigenen Gedanken dazu machen, was aber zum Reiz der Beschäftigung mit diesen Zeugen der Vergangenheit beiträgt.

Hand auf’s Herz: Wer von Ihnen hat schon einmal ein Fahrzeug dieses Typs gesehen? Und wer hat auf Anhieb gewusst, worum es sich handelt?

Dabei war dies kein rares Manufakturmobil, wie man aufgrund der ungewöhnlichen Karosserie vermuten konnte, die sich dadurch auszeichnet, dass sich die hintere Dachpartie wie bei einem Landaulet öffnen lässt – bloß, in Verbindung mit einem Coupé-Aufbau.

„Victoria“ nannte man das in der englischsprachigen Welt. Zufälligerweise fand sich in meinem Fotobestand eine Aufnahme, die einen sehr ähnlichen Wagen zeigt, auf dessen Nabenkappe ein „S“ zu sehen ist, ein Hinweis auf die US-Marke Studebaker:

Studebaker „Victoria“ Modelljahr 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Während die Ansprache als „Studebaker“ von 1927 sicher ist, konnte ich den genauen Typ in diesem Fall noch nicht ermitteln. In Frage kommen die drei Sechszylindermodelle „Standard Six“, „Big Six“ und „President Big Six“ – mit Leistungen zwischen 50 und 75 PS.

Letztlich zählt aber nur, dass diese Aufnahme mir die Identifikation des „Traumschiffs“ als Fabrikat von Studebaker aus South Bend im US-Bundesstaat Indiana ermöglichte. Alle weiteren Details lieferte dann das Ausgangsfoto selbst.

Die Datierung auf 1927 ergibt sich aus Details wie dem langen Dachüberstand (1928 wich er einer verstellbaren Sonnenblende) und die Identifikation als „Big Six“ aus dem Vorhandensein von Scheibenrädern, welche es in dieser Form nicht beim kleineren Standard Six gab:

Den „Victoria“-Aufbau gab es beim noch größeren „President Six“ nicht, allerdings verfügte der „Big Six“ über denselben Antrieb in Form eines seitengesteuerten Reihensechszylinders mit 75 PS Höchstleistung aus satten 5,8 Litern Hubraum.

Man mag jetzt mäkeln, dass der Ventiltrieb technisch überholt war. Doch wenn ich damals die Wahl gehabt hätte zwischen einem sportlichen kleinen Aggregat mit kopfgesteuerten Ventilen und hoher Drehzahlfestigkeit und einem großvolumigen Motor mit massig Drehmoment schon bei niedrigen Touren, hätte ich als Reisewagen stets die US-Lösung bevorzugt.

Speziell auf Alpentouren waren diese bärenstarken Motoren überlegen, wenn es darum ging, schaltarm und mit nur geringer Belastung „über’n Berg“ zu kommen. Nicht zuletzt waren die US-Maschinen konstruktiv auf astronomische Laufleistungen ausgelegt.

Was in den Staaten mit ihren enormen Entfernungen gut war, konnte nicht verkehrt sein, wenn man – sagen wir – von Hamburg nach Salerno fahren wollte, weil man die unweit gelegenen grandiosen griechischen Tempel von Paestum sehen wollte.

Für solche Bildungsbürger-Träume war das Schiff von Studebaker in Form des Big Six wie gemacht und gern macht man sich Gedanken darüber, wohin es dieses junge Paar aus deutschen Landen einst mit ihrem eleganten „Victoria“ einst verschlagen hat:

Nebenbei illustriert dieser Ausschnitt, was Vorkriegswagen so anders macht als Fahrzeuge der Nachkriegszeit.

Ja, das Outfit der beiden lässt sich mit einiger Geduld noch heute rekonstruieren – und aus eigener Erfahrung darf ich sagen: man fühlt sich besonders seriös darin – doch versuchen Sie einmal diese Aufnahme mit irgendeinem Mobil der Neuzeit nachzustellen.

Auch deshalb bleiben diese großartigen vierrädrigen Schöpfungen nach so langer Zeit auf ganz eigene Weise Traumschiffe…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Gut genug für 20 Jahre: Stoewer „Greif“

Genug von den 20er Jahren? Ist es das, was Sie vielleicht denken? Natürlich nicht in Bezug auf die Gegenwart – es ist ja alles perfekt wie nie zuvor in unseren Tagen, nicht wahr?

Aber die 1920er, die werden in meinem Blog vielleicht dem einen oder anderen zuviel. Auch wenn ich diesen unbeabsichtigten Schwerpunkt erklären kann:

Die 30er haben zwar die großartigeren Karosserie-Kreationen hervorgebracht – doch die Markenvielfalt war schon damals infolge der Auslese der Weltwirtschaftskrise arg reduziert.

Gleichzeitig bietet die Frühzeit bis zum 1. Weltkrieg zwar die größte Auswahl an Konzepten und Fabrikaten, doch aufgrund der geringen Stückzahlen ist das noch vorhandene Material nicht so umfangreich – so ergibt sich ein natürlicher Fokus auf die 20er Jahre.

Dennoch soll es heute um eine andere Ausprägung von 20 Jahren gehen – nicht als Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, sondern schlicht als Zeitraum von 20 Jahren.

Paradoxerweise wird die Welt in diesem Zeitraum zwar einmal auf den Kopf gestellt – doch eine Konstante begleitet uns dabei und bleibt erstaunlich auf der Höhe der Zeit.

Das Auto, das sich als „gut genug für 20 Jahre“ erwies, war der 1935 eingeführte Stoewer „Greif“ – anfänglich als „Greif Junior“ bezeichnet. Die aus der Insolvenzmasse von Röhr übernommene Konstruktion stammte ursprünglich von Tatra und ist kaum noch bekannt:

Ein luftgekühlter Vierzylinder mit 34 PS – war das nicht die Spezifikation des VW Käfer ab den 1960er Jahren? Nur mit dem Unterschied, dass der Hubraum 1,5 Liter statt 1,2 Liter beim VW betrug und der Stoewer „Greif“ nur 100 km/h schnell war – verglichen mit knapp 120 km/h beim Käfer (mein gut eingestellter 1200er schaffte das jedenfalls).

Aber: Anno 1935 gab es den VW nur als Vorserienexemplar und mit sparsamen 22 PS aus 1 Liter Hubraum. Damals war Stoewers Greif also eindeutig das bessere Auto und zudem tatsächlich zu kaufen, wenn auch für den Normalbürger unerschwinglich.

Dass der „Greif“ von Stoewer gut genug für die nächsten 20 Jahre war, das will ich mit einer Bilderserie illustrieren – die entgegen sonstiger Gewohnheit mit wenigen Worten auskommt.

Dabei unternehmen wir zugleich eine Zeitreise durch 20 Jahre deutscher Geschichte. Stellen Sie sich auf einige erstaunliche Begegnungen ein. Den Anfang macht diese elegante Limousine mit Berliner Zulassung:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Das Modell gab es außerdem als schicke Cabriolet-Limousine mit besonders schnittiger Optik, wie an diesem Exemplar aus Süddeutschland zu besichtigen:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Doch auch ein vollwertiges Cabriolet ohne die feststehenden Seitenteile der Cabriolimousine war zu bekommen – hier ein Beispiel wiederum aus dem Raum Berlin:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ein adrettes Automobil war das, finden Sie nicht? Dabei kennt ihn heute kaum einer mehr.

Der Stoewer Greif wurde sogar in einem zeitgnössischen Tankstellenaushang eigens hervorgehoben – und zwar in ziemlich rasanter Form – bei dem es um Kraftstoffe für die damals in Deutschland gebräuchlichen Autotypen ging:

Standard-Reklame mit Abbildung einer Stoewer „Greif“-Limousine; Original: Sammlung Michael Schlenger

Eine weitere Aufnahme aus meinem Fundus zeigt wieder eine im Raum Berlin zugelassene Limousine dieses Typs. Hier gefällt mir vor allem der unzeitgemäße Haarschnitt des jungen Manns auf der Fahrerseite in Verbindung mit der verwegenen Krawatte:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ein weiteres hübsches Dokument, das einen Stoewer „Greif“ in Friedenszeiten zeigt, ist das folgende, welches im schlesischen Liegnitz entstand. Zum Aufnahmezeitpunkt ging meine Mutter dort noch auf die Grundschule, während diese junge Dame schon volljährig war:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Damit hätten wir die ersten fünf Jahre der Karriere des Stoewer Greif abgedeckt.

Zwar endete im Jahr des Kriegsausbruchs 1939 die Produktion des Wagens – Stoewer baute von nun an Militärfahrzeuge – doch das Modell sollte noch ein langes Leben vor sich haben, auch wenn die Umstände denkbar ungünstig waren.

Hier sehen wir nun ein frisch für die Wehrmacht beschlagnahmtes ziviles Exemplar wohl im Jahr 1940 während des deutschen Angriffs auf Frankreich:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zwei deutsche Soldaten bei der Morgenwäsche – was hier noch friedlich wirkt, stellt sich beim nächsten Dokument schon ganz anders dar. Hier sehen wir nämlich einen Stoewer Greif inmitten einer deutschen Militärkolonne während des Kriegs gegen die Sowjetunion:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wie die Sache ausgeht, wenn es mit deutscher Arroganz gegen die angeblich primitiven Ostvölker geht, scheint heute bei vielen Zeitgenossen in Vergessenheit geraten zu sein.

Deshalb kann man nicht oft genug daran erinnern, was man auslöst, wenn man sich einmal leichtfertig auf die militärische Option (sofern man eine hat..) einlässt.

Daran ändert auch die vermeintliche Harmlosigkeit vieler Privataufnahmen aus Kriegszeiten nichts. Diese hier entstand im Mai 1944 – also vor genau 80 Jahren – irgendwo in Deutschland und zeigt einen Stoewer Greif im Dienst einer Luftwaffeneinheit:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zu diesem Zeitpunkt war das Kriegsende nur noch ein Jahr entfernt, doch bis dahin sollte es auf deutscher Seite mehr Opfer geben als im gesamten bisherigen Kriegsverlauf.

Ob der bieder wirkende ältere Militär rechts – wohl ein Veteran des 1. Weltkriegs – „seine Jungs“ nach Möglichkeit schonte oder sie rücksichtslos verheizte, als die Front näherrückte – wer kann das wissen?

Der Krieg entfaltet seine eigene unheilvolle Dynamik – schon allein deshalb gilt es ihn möglichst zu vermeiden, sofern es nicht um das blanke Überleben eines Volkes geht.

Im Mai 1945 – rund 10 Jahre nach Erscheinen des Stoewer Greif – schwiegen zumindest in Europa die Waffen. Nicht allzulange Zeit danach entstand irgendwo in Hessen dieses Dokument, das zeigt, dass das Leben weiterging:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Selbst im zerbombten und in den letzten Kriegswochen zerschossenen Berlin oder dessen Umland scheint der andere oder andere Stoewer Greif irgendwie überlebt zu haben.

Jedenfalls sehen wir hier ein Exemplar, das 1952 im Grunewald abgelichtet wurde:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die Cabrio-Limousine scheint die Kriegswirren gut überstanden zu haben, obwohl das Modell gern für das Militär einkassiert worden war und nur selten heil die Zeit überstand.

Noch bemerkenswerter finde ich aber etwas anderes: Der Wagen wirkt auch auf diesen Nachkriegsaufnahmen keineswegs „aus der Zeit gefallen“ oder einfacher gesagt: veraltet.

Erinnern wir uns: Anfang der 1950er Jahre war der VW Käfer nach mühsamem Beginn dank britischer Starthilfe allmählich ins Laufen gekommen. Aber damals war er immer noch dem Stoewer in vielen Belangen unterlegen.

Neben der besseren Motorisierung bot der Stoewer auch hydraulische Bremsen, während der Volkswagen – wenn ich mich nicht irre – noch mit seilzugbetätigten Bremsen unterwegs war. Natürlich funktioniert das, aber es hat schon seinen Grund, weshalb sich die Hydraulikbremse ab den 1920er Jahren – da sind sie wieder! – durchzusetzen begann.

Wie gut der Stoewer Greif auch nach 20 Jahren noch in die Zeit passte – von seiner Eleganz her – das illustriert das für heute letzte Foto, das Mitte der 1950er Jahre entstand:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So sehr ich meinen Käfer für seine langjährigen Alltagsdienste (er gab erst bei 220.000 km mit erstem Motor auf) schätzte, könnte ich mir vorstellen, dass nach dem 2. Weltkrieg genausogut der Stoewer Greif das Rennen hätte machen können.

Doch das Werk in Stettin war ein Opfer des Kriegs geworden und nicht auf Großserienproduktion ausgelegt gewesen. Nur 4.000 Wagen des Stoewer Greif wurden zwischen 1935 und 1939 gebaut.

Eine ganze Reihe davon haben wir heute auf ihrem Weg durch die Zeiten begleitet und man darf wohl das Fazit ziehen, dass diese Konstruktion ohne weiteres „gut genug für 20 Jahre“ war, ohne dabei irgendwie alt auszusehen.

Sehen Sie es mir nach diesem Ausflug durch bewegte Zeiten nach, dass mich der nächste Blog-Eintrag wieder in die 20er Jahre zurückführt. Das ist auch nicht meine Schuld, vielmehr will der nächste Abschnitt der „Beckmann-Spurensuche“ angegangen werden…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.