Hat’s nie gegeben? Austro-Fiat Typ AF1 9/32 PS

Das Auto, das ich heute vorstelle, ist in mehrfacher Hinsicht ein Phantom. Denn einen Austro-Fiat des Typs AF1 9/32 PS hat es offiziell nie gegeben. Gleichzeitig findet man die Bezeichnung jedoch in der traditionellen Automobilliteratur und im Netz.

Ähnlich verhält es sich mit Fotos dieses Phantoms – es scheint nur ganz wenige davon zu geben, wenn ich mich nicht täusche. Ein erhaltenes Exemplar ist hier zu sehen. Doch dieses Fahrzeug weicht in Details von dem ab, das ich selbst aufgetan habe.

Am Ende fügt sich aber alles zu einem stimmigen Gesamtbild zusammen, hoffe ich. Ausgangspunkt war die Aufnahme eines Tourenwagens mit moderatem Spitzkühler, den ich zunächst für ein deutsches Fabrikat gehalten hatte.

Lange scheiterten alle Identifikationsversuche. Wie so oft half mir der Zufall auf die Sprünge. Bisweilen blättere ich nämlich einfach Sammelwerke mit Abbildungen von Vorkriegswagen durch in der Hoffnung, dass mir dort eine Übereinstimmung mit den zahllosen Fahrzeugen ins Auge fällt, die in Form alter Fotos aus meinem Fundus oder dem von Sammlerkollegen noch der Aufklärung harren.

Das Vorgehen machte sich schließlich auch bei diesem Rätselfoto bezahlt:

Typ AF1 9/32 PS der Österreichischen Automobilfabrik AG; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auf den ersten Blick fühlt man sich bei dem Kühler zwar an Stoewer-Wagen der frühen 1920er Jahre erinnert, doch war dort die Vorderkante leicht geneigt. Außerdem ist kein Emblem auf dem Oberteil der Kühlermaske zu erkennen.

Auch die filigranen Drahtspeichenfelgen schienen gegen einen Stoewer zu sprechen, jedenfalls was typische Tourenwagenausführungen angeht.

Ein erstes Indiz fand ich dagegen im Standardwerk “Österreichische Kraftfahrzeuge” von Seper/Krackowizer/Brusatti (1982). Dort ist auf S. 176 unten ein Wagen mit ganz ähnlicher Kühlerpartie und Drahtspeichenrädern abgebildet – bezeichnet als Austro-Fiat AF1 9/32 PS.

Unterschiedlich sind allerdings die Frontscheibe, die bei dem Wagen auf meinem Foto “gepfeilt” und nicht flach ist, sowie das lackierte (nicht metallisch glänzende) Kühlergehäuse:

Analog zu ähnlichen Wagen der frühen 1920er Jahre aus dem deutschsprachigen Raum zog ich die Möglichkeit in Betracht, dass die v-förmige Frontscheibe und der in Wagenfarbe gehaltene Kühler auf ein abweichendes Baujahr hindeuten oder schlicht eine normale Variation innerhalb einer Manufakturfertigung darstellten.

Um dies zu überprüfen, machte ich mich auf die Suche nach weiteren Fotos desselben Typs. Dabei stieß ich indessen auf unerwartete Schwierigkeiten.

So stellte ich bald fest, dass es eine Marke “Austro-Fiat” offiziell gar nicht gegeben zu haben scheint. Beginnen wir am besten ganz am Anfang:

1906 eröffnete Fiat in Wien eine Verkaufsniederlassung. Dem folgte 1907 die Gründung der “Österreichischen Fiat-Werke AG” (nach dieser Quelle auch: F.I.A.T.- Werke AG Wien). Diese begannen 1908 mit der Fertigung in der österreichischen Hauptstadt.

Bis zum 1. Weltkrieg erlangte die Fiat-Produktion in Wien beträchtliche Bedeutung und stützte sich zuletzt sehr weitgehend auf selbst hergestellte (nicht bloß zugelieferte Teile).

Nach dem 1. Weltkrieg wurden die Lizenzverträge mit Fiat in Turin erneuert, wenngleich der Mutterkonzern seine Beteiligung an der “Österreichischen Fiat-Werke AG” 1921 liquidierte. Unter der Herrschaft neuer Aktionäre erfolgte die Umbenennung in “Österreichische Automobil Fabrik AG, vormals Austro-Fiat“.

Sie haben richtig gelesen: “Austro-Fiat”. Hieß es nicht eingangs, dass es diesen Hersteller nie gegeben habe? Ja, aber inoffiziell hatte sich in Österreich bereits früh diese eingängige Bezeichnung durchgesetzt, die sich an “Austro-Daimler” ein Vorbild nahm.

So kam es, dass man den volkstümlichen Markennamen nachträglich adelte, indem man ihn in die neue Firmenbezeichnung aufnahm. In Form des Buchstabenpaars “AF” fand “Austro-Fiat” dann auch Eingang in die Typennamen wie AF1 9/32 PS.

Ein Exemplar dieses 1922 eingeführten neuen Typs sehen wir wahrscheinlich auf dem eingangs präsentierten Foto – hier in kolorierter Ausführung:

Nachdem sich das Rätsel um den Markennamen verflüchtigt hat, bleibt das Problem, dass dieses spezielle Modell für mich schwer zu fassen bleibt. Im Netz fand ich nur eine Abbildung, die einen solchen Tourenwagen mit gepfeilter Frontscheibe und lackiertem Kühler zeigt (hier).

Allerdings soll es sich dabei um einen Austro-Daimler Typ C1 9-24 PS handeln. Eventuell kann ein sachkundiger Leser hier für Aufklärung sorgen.

War der C1 eine weitergebaute Vorkriegskonstruktion, die 1922 vom neuen Typ AF1 9/32 PS abgelöst wurde? Und besaß letzterer anfänglich eventuell noch das gleiche Erscheinungsbild wie der C1?

Irgendwie muss sich dieses Phantom doch noch zur Strecke bringen lassen…

© Michael Schlenger, 2021. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Fund des Monats: Ein Austro-Fiat Typ 1001

Für den Fund des Monats April 2020 hätte ich zwar spektakulärere Kandidaten in petto. Doch ist der Vorkriegswagen, den ich heute präsentiere, außergewöhnlich genug, um auch den Ansprüchen verwöhnter Kenner historischer Automobile zu genügen, so hoffe ich.

Gern wüsste ich jedenfalls, wer auf Anhieb in der Lage wäre, den Tourenwagen auf folgendem Foto zu identifizieren – österreichische Enthusiasten einmal ausgenommen:

Austro-Fiat Typ 1001 Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser schöne Abzug, der einen klassischen Tourenwagen der späten 1920er Jahre zeigt, wurde einst vom “Photo-Kunst-Salon J. Weitzmann” in der Praterstraße 9 in Wien angefertigt (mehr zu dem Atelier siehe hier).

Der Stempel des Fotoateliers war ein erster Hinweis auf die Herkunft des Autos – denn dass es sich um kein deutsches Fabrikat handelt, war rasch klar.

Doch was könnte das für eine Marke sein? Das unscharf wiedergegebene Logo auf der Radkappe wie auch die Plakette des Karosserielieferanten sagten mir zunächst nichts:

Mein erster Gedanke war, dass es sich um ein Modell von Steyr handeln könnte – denn der Typ XII der Marke weist eine gewisse Ähnlichkeit auf – das merkwürdige Logo wollte jedoch nicht passen.

Bis ich den Wagen endlich identifizieren konnte, ging einige Zeit ins Land. In solchen Fällen kehre ich immer wieder zu solchen Rätselfotos zurück in der Hoffnung, dass ich in der Zwischenzeit irgendwo etwas gesehen habe, das mich daran erinnert.

Mitunter kann es Jahre dauern, bis man Erfolg mit dieser Technik hat. Oft bedarf es erst eines neuen Buchs oder Vergleichsfotos von Sammlerkollegen, die einen auf die richtige Spur bringen. Manchmal hilft es auch, bereits vorhandene Literatur durchzublättern.

Auf die eine oder andere Weise – genau weiß ich es nicht mehr – bin ich auf die Lösung gestoßen . Jedenfalls stellte sich heraus, dass der Wagen einst als Austro-Fiat firmierte.

Bevor ich Näheres zum Typ verrate, ein Exkurs zur Historie des Markennamens. Wie man sich denken kann, war Austro-Fiat eine Bezeichnung, die vom Turiner Fiat-Werk zum Vertrieb seiner Produkte in Österreich verwendet worden war.

Tatsächlich hatten die Italiener bereits 1907 im Wiener Stadtteil Floridsdorf die Österreichische Fiat-Werke Aktiengesellschaft gegründet. Dabei ging es keineswegs nur um den Bau von Fiat-Automobilen, sondern auch andere Produkte des Konzerns, beispielsweise Schiffs- und später Flugmotoren.

Nach anfänglicher Montage von Konstruktionen aus Turin scheint man ab 1910 beim Wiener Ableger zunehmend eigenständiger geworden zu sein. Inwieweit die bis zum 1. Weltkrieg gefertigten Modelle – insbesondere der Typ C1 – bereits “Eigengewächse” waren, konnte ich auf die schnelle nicht ermitteln.

Nach dem 1. Weltkrieg jedenfalls nahm man wieder Kontakt mit dem Turiner Mutterkonzern auf und erneuerte das Vertragsverhältnis. Unklar ist mir, inwieweit die ab 1919 gebauten Austro-Fiats noch den Entwicklungen in Turin folgten. Vielleicht weiß jemand eine Quelle dazu.

Mein Eindruck aus der dünnen mir vorliegenden Literatur (vor allem: “Österreichische Kraftfahrzeuge”, von: Seper/Krackowizer/Brusatti, 1982) ist der, dass man in Wien die Vorkriegsmodelle eigenständig weiterentwickelte.

Dazu würden zwei Dinge passen: Zum einen erfolgte 1921 die Umbennung in Österreichische Automobil-Fabriks-Aktiengesellschaft, zum anderen bestand eine Kooperation mit zwei anderen österreichischen Herstellern: Austro-Daimler und Puch.

So halte ich es für wahrscheinlich, dass der Austro-Fiat auf dem heute vorgestellten Foto tatsächlich mehr österreichische als italienische Gene in sich trägt (siehe hier). Klar ist nur, dass es sich um den 1928 vorgestellten Typ 1001 mit 6/32 PS-Vierzylinder handelt.

In der mir vorliegenden Literatur findet sich kein entsprechendes Foto, wohl aber im Netz:

Austro-Fiat Typ 1001; Quelle: Coachbuild-Forum

Diese Quelle nennt auch den Hersteller der Karosserie – die Firma A. Weiser & Sohn, die 1920 von der Österreichische Fiat-Werke AG übernommen worden war.

Interessant ist, dass man in Wien auf Basis des Typs 1001 auch Nutzfahrzeugversionen baute – neben Taxis sogar leichte LKW.

Bis mindestens 1931 scheint der Austro-Fiat 1001 noch als PKW gebaut worden zu sein, später beschränkte man sich auf Nutzfahrzeuge. Wann der letzte Personenwagen des Typs 1001 das Werk in Wien-Floridstadt verließ, konnte ich nicht ermitteln.

Wahrscheinlich war es kein Tourenwagen mehr wie auf dem eingangs gezeigten Foto – dieser Aufbau war mittlerweile veraltet. Die Insassen des heute vorgestellten Austro-Fiat 1001 scheinen damit jedoch zufrieden gewesen zu sein:

Offenbar war der Wagen für eine Festivität geschmückt, vielleicht eine Hochzeit.

Auffallend die Ähnlichkeit zwischen den beiden Passagieren auf der Rückbank – wahrscheinlich Mutter und Tochter. Man sieht förmlich, wie das Mädchen als erwachsene Frau aussehen wird.

Ob der Fahrer ebenfalls zur Familie gehörte oder nur angestellt war – mitunter waren die Übergänge fließend – muss offenbleiben.

Auf jeden Fall ist das ein schönes Dokument, das zwar keine Sensation darstellt, aber für viele Leser wohl Neuland bedeutet und zudem einige Fragen aufwirft, die sich vielleicht irgendwann noch beantworten lassen…

Übrigens: Auf der famosen Website von Claus Wulff zu historischen Markenlogos und -emblemen finden sich auch mehrere Beispiele zu Austro-Fiat!

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.