Als Liebhaber von Vorkriegsautos, der nicht auf eine Marke festgelegt ist, kommt man an französischen Wagen nicht vorbei.
Deutsche Erfinder hatten zwar die Grundlagen für das benzingetriebene Automobil geschaffen. Doch der rasante Fortschritt bis zum 1. Weltkrieg war maßgeblich französischen Herstellern zu verdanken.
Die meisten davon sind heute nur noch Spezialisten geläufig, dabei gab es bis zum 2. Weltkrieg über 1.000 Automarken in Frankreich. Ein schönes Beispiel für den Grad der Vervollkommung, den die Franzosen bereits kurz nach Anfang des 20. Jahrhunderts erreichten, ist auf folgenden Bildern zu sehen:
© Rolland-Pilain, Baujahr 1909; Foto aus Sammlung Michael Schlenger
Das ist keine pferdelose Kutsche mehr, sondern ein Auto, wie es auch Anfang der 1920er Jahre noch Stand der Technik war, wenn man von den Scheinwerfern absieht. Nur: dieser über 100 km/h schnelle 2 Liter-Wagen wurde bereits 1909 gebaut!
Wem der Hersteller dieses Automobils – Rolland-Pilain– nichts sagt, ist nicht allein. Der Verfasser wusste auch nichts von der Marke, bis er 2014 auf der Messe Interclassics & Topmobiel in Maastricht auf dieses Prachtexemplar stieß.
Es soll hier nicht die gesamte Geschichte dieser Firma ausgebreitet werden, nur so viel: Rolland-Pilain wurde 1905 in Tours im Loire-Gebiet gegründet. Namengebend waren der Finanzier (Francois Rolland) und der technische Kopf (Emile Pilain) des Unternehmens.
Die Firma litt stets unter chronischer Kapitalknappheit, stürzte sich aber von Anfang an in ehrgeizige Vorhaben, die auch (meist erfolglose) Rennaktivitäten umfassten. Im Jahr 1910 etwa bot man neun Modelle an. Dazu gehörten neben einem ventillosen 6-Zylinder nach Knight-Patent etliche 4-Zylinder-Motoren von 1,4 bis 14 Liter Hubraum.
Mit 8-Zylinder-Rennwagen trat Rolland-Pilain in den 1920er Jahren bei diversen Grand Prix und Le-Mans-Rennen an. Diese Aktivitäten überforderten jedoch die Firma, die in der Zwischenkriegszeit lediglich mit 4-Zylinder-Wagen kommerziellen Erfolg hatte.
1927 endete die Autoprouktion nach nur 5.000 Exemplaren und 1932 erlosch auch die Firma Rolland-Pilain. Was bleibt sind die wenigen überlebenden Zeugen aus der Frühzeit der Marke und historische Fotos, die nicht minder faszinierend sind:
© Rolland-Pilain, Frankreich im Spätsommer 1914; Foto aus Sammlung Michael Schlenger
Dieses Originalfoto ist ein ganz außergewöhnlicher Fund und man weiß gar nicht, was darauf eindrucksvoller ist – das Auto oder die Situation, in der es aufgenommen wurde.
Beginnen wir mit dem Wagen und arbeiten uns dann weiter vor: Das Auto liegt außerhalb des Schärfebereichs der Aufnahme, doch es handelt sich mit einiger Wahrschenlichkeit um einen Rolland-Pilain, der kurz vor dem 1. Weltkrieg gebaut wurde.
Werfen wir einen näheren Blick auf das Fahrzeug, nachdem der störende Knick – vielleicht auch in Riss im Glasnegativ? -weitgehend wegretuschiert wurde.
Auf der in Fahrtrichtung linken Seite des Küherlgrills ist ein schräg nach oben laufender Schriftzug zu erkennen. Man erahnt ein großes “R” oder “P” als Anfangsbuchstabe, weiter hinten deutet sich ein (vermutlich) doppeltes “l” an.
Zusammen mit der markanten Form des gemäßigten Spitzkühlers spricht dies stark für einen Rolland-Pilain. Auch die Form von Scheinwerfern und Karosserie passen zu zeitgenössischen Modellen der Marke, wenngleich diese Details nicht einzigartig sind.
Spannend ist nun die Situation, in der dieser französische Wagen abgelichtet wurde. Links davon sieht man nämlich einen Trupp deutscher Soldaten, wie an den Pickelhauben erkennbar ist.
Die mit Karabiner K98 bewaffneten Männer mit Marschgepäck blicken beobachtend der Sonne entgegen. Man sieht hier gut, welche fatale Wirkung die polierten Spitzen der Pickelhauben im offenen Gelände hatten – sie waren weithin zu erkennen.
Kein Wunder, dass bald Stoffüberzüge für den Helm und ab 1915 der unverkennbar deutsche Stahlhelm angeschafft wurde. Die Pickelhauben erlauben somit eine Datierung in die Frühphase des 1. Weltkriegs. Dies wird durch den handschriftlichen Vermerk auf der Rückseite bestätigt: “1914, bei Saint-Priel”.
Einen Ort dieses Namens sucht man zunächst vergeblich, doch nach einigen Recherchen lässt er sich lokalisieren. Es ist eine alte Flurbezeichnung in der Nähe von Moyenmoutier in den nördlichen Vogesen. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen zu Kriegsbeginn im August 1914 fanden auch in dieser Gegend Kämpfe statt. In Gefallenenmeldungen auf französischer Seite aus jener Zeit wird Saint-Priel jedenfalls erwähnt.
Danach blieb es dort vergleichsweise ruhig. Im Spätsommer 1914 fand ein Truppenbesuch in der Region seitens des deutschen Kronprinzen – des Sohns Kaiser Wilhelms II. – statt. Bei dieser Gelegenheit könnte unsere Aufnahme entstanden sein, vermutlich zeigt sie eine Übung hinter der Front.
Der Rolland-Pilain war zu diesem Zeitpunkt ein deutsches Beutefahrzeug und er scheint eine entsprechende Markierung unterhalb der Windschutzscheibe zu tragen. Die Soldaten auf unserem Foto wirken übrigens nicht wie Rekruten, offenbar hat man hier ältere Wehrpflichtige eingesetzt, die abseits der Front in Nachschubeinheiten Dienst taten.
Dessenungeachtet erinnert das Bild an eine Zeit, in der die deutsche Führung – wie übrigens die französische auch – kein Problem damit hatte, Einheit auf Einheit in die Materialschlachten im Westen zu schicken, so wie man Holzscheite ins Feuer schiebt.
Nach all den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts sind die Völker Europas auch heute gut beraten, hochfliegenden politischen Plänen und Utopien abgehobener Eliten auf Kosten der Mehrheit eine Absage zu erteilen. Insofern vermittelt dieses über 100 Jahre alte Foto eines Automobils eine zeitlose Botschaft…