Das Konzept des Roadsters scheint dem deutschen Wesen nicht ohne weiteres entgegenzukommen, so mein Eindruck.
Jedenfalls fand dieses radikal unvernünftige Konzept – leichter offener Zweisitzer mit Notverdeck und tiefem Türausschnitt – hierzulande nie die Anhängerschaft wie in England, wo diese maximal unbequeme Form der Fortbewegung mit viel Spaß verbunden wurde.
Während ein flott bewegter Roadster im englischsprachigen Raum noch lange nach dem Krieg große Popularität genoß, wurde das Feld von deutschen Herstellern kaum beackert.
Was in Deutschland als Roadster angeboten wurde, war zwar meist sehr elegant, hatte mit dem eigentlichen Gedanken aber nur wenig zu tun. Als Beispiel mag dieser hinreißende Horch 930 V Roadster mit Karosserie von Gläser dienen:

Diese Blechskulptur ist nebenbei ein Beispiel dafür, wie schön sich das Heck eines Automobils gestalten lässt, wenn ausreichend Länge dafür zur Verfügung steht.
Ein echter Roadster war dies freilich nicht, dagegen sprechen schon die Kurbelfenster in den nur ansatzweise ausgeschnittenen Türen.
Formal gesehen puristisch umgesetzt wurde das Roadster-Ideal dagegen von Audi mit dem Typ 225 “Front Raodster”, wenngleich der Vorderradantrieb eigentlich nicht dazu passte:

Bezeichnenderweise war dieser perfekt gestaltete Roadster nur kurz in Produktion, die Stückzahlen waren minimal.
Nur Exotenstatus sollten auch die von Kennern bis heute geschätzten BMW-Roadster des Typs DA3 haben, die 1930/31 unter der Bezeichnung “Wartburg” im von Dixi übernommenen Werk in Eisenach gefertigt wurden.
Hier sehen wir das Düsseldorfer Dixi-Urgestein Helmut Kasimirowicz am Steuer seines (inzwischen verkauften) BMW “Wartburg” am Rhein gegenüber Schloss Drachenburg:

Die minimalistische Ausführung dieses Wagens entspricht dem britischen Konzept des Roadsters vollkommen. Tatsächlich konnte mit dem BMW Wartburg auch mancher sportlicher Lorbeer errungen wurden – es war also kein reines “Poser”-Auto.
Den Inbegriff des BMW Roadsters stellte dann der 328 von 1937-39 dar, ein formal wie technisch brillianter Wurf.
Allerdings war dieser wie schon die BMW Roadster auf Basis der Typen 313, 315 und 319 nach Ansicht der gusseisernen Fraktion beinahe schon zu perfekt und zu gefällig.
Rustikaler und aus meiner Sicht optisch raffinierter war indessen ein anderer Roadster deutscher Provenienz. Leider ist er viel schwerer greifbar als die BMW Roadster, jedenfalls was historische Fotos davon angeht.
Das erste Mal begegnet ist mir das Fahrzeug auf einem Sammelbild der 1930er Jahre:

Wüsste man nicht, dass dieses wie ein Raubtier auf dem Boden kauernde Geschöpf vom deutschen Motorradbauer Tornax (Wuppertal) geschaffen wurde, so würde man vermutlich Stein und Bein schwören, dass es sich um einen Briten-Roadster handeln müsse.
Tornax verwendete dabei als Antrieb einen frisierten Zweizylinder-Zweitaktmotor von DKW und übenahm auch den kompletten Vorderradantrieb. Dazu konstruierte man einen Zentralrohrrahmen, auf den man diese großartig gestaltete Karosserie schraubte.
Gern wüsste man, wer für diesen Entwurf verantwortlich war, der in der Roadsterkategorie alles in den Schatten stellte, was die großen deutschen Autohersteller damals anboten.
Wie im Fall des Audi 225 Front Roadster blieb die Produktion überschaubar, in der Literatur findet sich die Zahl von 150. Das ist sicher nur eine Schätzung – vielleicht zu hoch gegriffen gemessen an der Seltenheit zeitgenössischer Aufnahmen.
Die erste, die ich vor ein paar Jahren selbst entdeckt habe, ist diese:

Auch wenn man hier nur die Kühlerpartie mit dem Schriftzug “Tornax” sieht, ist das eine bemerkenswerte Aufnahme. Entstanden ist sie auf einer Fähre irgendwo im Mittelrhein – im Hintergrund nähern sich bedrohlich wirkende Frachter, großartig!
Großartig ist auch die extrem niedrige Windschutzscheibe – solche Details sind ebenso Ausweis einer minimalistischen Interpretation des Roadster-Themas wie die “Cycle-Wings”, die nach Motorradart gestalteten mitdrehenden Vorderschutzbleche.
So flach wie kein anderer Roadster aus deutscher Produktion kam der Tornax “Rex” daher – das ahnt man auf dieser Aufnahme eines überlebenden Exemplars aus dem Jahr 1952:

Leser meines Blogs, die mir auch nach einigen Jahren subjektiver Auseinandersetzung mit Vorkriegsautos und allerlei Abschweifungen treu geblieben sind, werden jetzt völlig zurecht anmerken:
“Heute macht es sich unser Blog-Wart etwas einfach, diese Aufnahmen kennen wir längst”.
Richtig, aber mir ist schon selbst klar, dass ich beim Titel “Deutschlands britischster Roadster” nicht mit einem müden Aufguss bekannten Materials davonkomme.
Zum Glück hat mir Leser und DKW-Experte Volker Wissemann vor längerer Zeit ein entsprechendes Dokument in digitaler Kopie zur Verfügung gestellt, das seinesgleichen sucht.
Denn egal wie viele (oder wenige) Fotos des Tornax “Rex” Sie schon gesehen haben, dieses hier dürfte einzigartig sein:

Noch britischer kann ein deutscher Roadster kaum wirken, meine ich.
Denkt man sich das Nummernschild (Pfalz) und das deutsche Nationalitätskennzeichen weg, wären der im ärmellosen Unterhemd agierende Mann und die Architektur der einzige Hinweis darauf, dass dieses sprungbereit dastehende Sportgerät nicht auf “der Insel” zuhause war.
Deutlich sieht man hier, dass die Karosserie reine Manufakturarbeit war, also von Hand über Holzmodellen zurechtgehämmert wurde. Ein hübsches Detail ist die offenbar verchromte Einfassung des Reserverrads; sie unterstreicht die Exklusivität des Wagens.
Gern wüsste man, wo genau einst dieser Tornax “Rex” zuhause war, der es scheinbar kaum erwarten konnte, dass das Hoftor aufgeht und er an einem strahlenden Sommertag die Straßen der Region unsicher machen kann:

Es hätte alles so schön sein können mit Deutschlands britischstem Roadster, nicht wahr?
Ideologische Wahnvorstellungen der deutschen “Eliten”, unterstützt von einer hinreichend großen Masse eines staatsgläubigen Bürgertums sollten dem im Wege stehen…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.