Heute geht es in der Geschichte der US-Luxusmarke Cadillac zurück in die Zeit, als man die Vierzylinder-Ära hinter sich gelassen hatte und sich auf das konzentrierte, was künftig einen Wagen dieses Herstellers auszeichnen sollte: einen bärenstarken V8-Motor.
Der Cadillac des Modelljahrs 1915 war der erste, welcher mit dem 70 PS leistenden Aggregat ausgestattet wurde, das seine Leistung aus gut 5 Litern Hubraum bezog.
Dass ich mich heute in diese entlegenen Gefilde begeben und dabei ein bemerkenswertes Rendezvous mit Kraft und Anmut haben würde, war nicht absehbar, als ich herauszufinden versuchte, was für ein Wagen auf folgendem Foto abgebildet war, das in Amerika geschossen worden war und auf unbekannten Wegen nach Europa gelangte:

Mein erster Gedanke beim Studium dieses zweisitzigen Cabriolets war zwar schon, dass dies ein US-Fabrikat sein muss, dafür sprach die Kühlergestaltung, doch auf Cadillac kam ich nur auf einem Umweg.
Ausgehend von den elektrischen Standlichtern im Windlauf vor der Frontscheibe lautete meine Arbeitshypothese “General Motors-Fabrikat ab 1914”.
Da die Kühlerplakette ein diagonales Element zu enthalten schien und die GM-Marke “Buick” eine auf den ersten Blick ähnliche Plakette aufwies, probierte ich mein Glück in der “Google”-Bildersuche.
Zu meiner Überraschung stieß ich so auf Anhieb auf einen 1914er Buick “Roadster”, der eine identische Karosserie mit den schön geschwungenen Hinterkotflügeln besaß.
Die erste Begeisterung legte sich jedoch, als ich bemerkte, dass das Buick-Emblem damals doch etwas anders aussah, außerdem waren die Standlichter deutlich größer.
Die formale Übereinstimmung konnte aber kein Zufall sein, weshalb ich weitere Marken aus dem GM-Verbund durchprobierte, nun mit dem Zusatz “Roadster”. So landete ich rasch beim 1914er Cadillac, der einen fast identischen, bloß größeren Aufbau besaß.
Dummerweise war damit das Problem der zu großen Standlichter nicht gelöst, außerdem trugen Cadillacs im Modelljahr noch keine solche Kühlerplakette. Der Weg zur Lösung war allerdings nicht mehr weit, beim 1916er Cadillac “Roadster” stimmte dann alles!

Der V8 unter der Haube war beim 1916er Cadillac bereits auf 77 PS erstarkt, geworben wurde aber weiterhin konservativ mit einer Dauerleistung von 60 PS – auch das war damals ein kolossaler Wert. Dank des enormen Drehmoments ließ sich der Wagen von starken Steigungen abgesehen praktisch schaltfrei fahren.
Die mühelose Leistungsentfaltung verbunden mit einem relativ leichten zweisitzigen und noch dazu offenen Aufbau muss es gewesen sein, die den damaligen Besitzer zu dem handschriftlichen Vermerk auf der Vorderseite veranlasste:
“To handle power is a great thing” – In der politischen Sphäre würde man so den Genuss am Umgang mit der Macht beschreiben. Dieser kann bekanntlich fatale Konsequenzen haben , nicht nur für die Untertanen, bisweilen auch für die Mächtigen selbst.
Im automobilen Kontext ist die Bedeutung eine andere: “Mit Leistung umzugehen, ist eine großartige Sache” oder freier: “Über Leistung satt zu verfügen, macht Laune“.
So dankbar wir für diesen authentischen Vermerk aus alter Zeit sind, so sehr beeinträchtigt er doch den Blick auf die Heckpartie des Cadillac. Daher habe ich einen – zugegeben laienhaften – Versuch unternommen, ihn wegzuretuschieren.
Das Ergebnis meiner Bemühungen stellt sich wie folgt dar:

Da ich selbst mein größter Kritiker bin, erspare man mir den Hinweis, dass man es hätte besser machen können – immerhin lässt sich die Linienführung des Cadillac nun ungestört studieren.
Ich mag diese anmutige, niedrig gehaltene Heckpartie, speziell den eleganten Schwung des hinteren Kotflügels, der demjenigen des vorderen entsprechen dürfte. Und da ich durchaus Verständnis für Verschwendung habe, gefällt mir der Luxus, dass ein dermaßen starker und enorm teurer Wagen bloß dem Transport von zwei Personen diente.
In Zeiten, in denen “grüne” Ministerpräsidenten den Hubschrauber nehmen, um einen neu errichteten Aussichtsturm in einem Naturschutzgebiet zu besichtigen, empfinde ich ganz ohne Scheu Sympathie für dekadentes Wohlleben – es sollte nur privat bezahlt sein.
Man könnte es bei diesen Betrachtungen bewenden lassen, hätte mir der Zufall nicht schon vor längerer Zeit eine weitere Aufnahme beschert, die ich zwar erst einmal überhaupt nicht einordnen konnte, aber im Hinterkopf in der Rubrik “Anmut” abgelegt hatte.
Nach der x-ten Betrachtung gelangte ich zu dem Eindruck, dass es sich bei dem angebildeten Wagen um einen frühen Cadillac handeln dürfte, aber weiter gekommen war ich nicht.
Heute kann ich endich die Auflösung dieses reizvollen Rätsels präsentieren:

Dem Zustand des Wagens und der Kleidung der jungen Dame nach zu urteilen, entstand diese wunderbare Aufnahme irgendwann in den fortgeschrittenen 1920er Jahren.
Doch das Auto muss ebenfalls ein Cadillac des Modelljahrs 1916 sein, hier allerdings mit konventionellem Tourenwagen-Aufbau, der sechs bis sieben Personen Platz bot.
Kraft und Anmut sind auf diesem Dokument auf das Schönste vereint – Herz, was willst Du mehr?
Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.