Was zum Teufel…? Ein Cottin & Desgouttes

Heute darf ich einen verteufelt schwierigen Fall präsentieren, obwohl sich der Wagen eigentlich genau so präsentiert, wie man sich das wünscht:

Schön schräg von vorne aufgenommen, sodass man die Kühlerpartie ebenso studieren kann wie die Gestaltung der Vorderkotflügel und der Räder. Und dann prangt auch noch der Markenname unübersehbar auf dem Kühlergrill!

Was will man mehr? Nun, ein Datierungshinweis der fraglichen Aufnahme wäre wohl hilfreich, dann ließe sich auch der Typ eventuell zuverlässiger ermitteln.

Denn der seit 1904 aktive Hersteller aus Lyon – zunächst nur nach Gründer Pierre Desgouttes benannt, ab 1906 dann auch nach dem Kapitalgeber Cyrille Cottin – baute in den 1920er Jahren, in denen wir uns im fraglichen Fall bewegen, eine Reihe von Typen, die sich auf den wenigen erhaltenen Dokumenten oft stark ähneln.

Cottin & Desgouttes hatte nach Ende des 1. Weltkriegs zunächst die Produktion seiner Luxusmodelle mit bis über 7 Liter Hubraum wieder aufgenommen.

1922 brachte man dann den moderater, aber moderner motorisierten Vierzylindertyp M heraus – mit kopfgesteuerten Ventilen, Aluminiumkolben und fünf Kurbelwellenlagern, außerdem – wie andere französische Premiumfabrikate – bereits mit Vierradbremse.

So etwas scheint auf der folgenden Aufnahme links festgehalten zu sein:

Cottin & Desgouttes, aufgenommen in den 1920er Jahren am Roche du Diable in Lothringen; originale Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Keine Sorge, wir werfen gleich noch einen näheren Blick auf den hier unscheinbar wirkenden Tourer am linken Bildrand. Vorher sei noch darauf hingewiesen, wo diese Situation einst festgehalten wurde:

Am Roche du Diable im östlichen Lothringen war das. Von dort aus kann man einen grandiosen Blick auf den westlich gelegenen Lac de Longemer genießen. Östlich grenzt das Elsass an, man befindet sich etwa auf der Höhe von Colmar, aber in einer völlig anderen wildromantischen Landschaft.

Für die dort entlangführende Straße hat man den Felsdurchbruch später etwas erweitert, doch ansonsten sieht es dort noch ziemlich so aus wie vor bald 100 Jahren. Nur einem Cottin & Desgouttes wird man dort kaum noch begegnen.

Wagen dieser hochkarätigen Marke, die schon früh auch Nutzfahrzeuge baute (Gründer Desgouttes war zuvor bei Pierre Berliet als Konstrukteur beschäftigt) blieben stets rar. Bloß einige hundert Fahrzeuge pro Jahr wurden gebaut und nur wenige haben überlebt.

Zwar gibt es eine sehr informative Website und im April 2017 publizierte mein bevorzugtes Altauto-Magazin “The Automobile” ein Porträt der Firma, dennoch tue ich mich schwer mit der genauen Typansprache bei diesem speziellen Cottin & Desgouttes:

Dummerweise änderte sich die Kühlerform in der ersten Hälfte der 1920er Jahre kaum und auch die Scheibenräder (bzw. abgedeckten Drahtspeichenräder) findet man bei mehreren Typen, zu denen auch das sportliche Sechszylindermodell M6 Léger zählte.

Auch frühe Exemplare des 1925 entwickelten neuen Typs 11 CV “Sans Secousse” sahen noch genauso aus (siehe die Reklame hier). Dieses innovative Fahrzeug zeichnete sich unter anderem durch Einzelradaufhängung an allen vier Rädern aus.

Ich möchte nach derzeitigem Kenntnisstand nicht ausschließen, dass ein solcher Cottin & Desgouttes “Sans Secousse” einst am Roche du Diable haltmachte. Vielleicht liefert ja das Kennzeichen einen Datierungshinweis (bei französischen Nummernschildern möglich).

“Was zum Teufel ist das?” bleibt also vorerst die Frage und die vorläufige Antwort lautet “Ein Cottin & Desgouttes” der frühen bis mittleren 20er Jahre…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.