Heute geht es 95 Jahre zurück in die Vergangenheit – ins Jahr 1927. Was sollte so besonders an jenem Jahr gewesen sein, was die Welt des Automobils angeht – fällt Ihnen etwas ein? Vielleicht ja, vielleicht nein.
Jedenfalls werden wir heute sehen, dass in jenem Jahr etwas Neues begann, was seinen Weg ging und einen Trend setzte.
Bereits seit Mitte der 1920er Jahre hatten US-Hersteller begonnen, den deutschen Automarkt aufzurollen. Die einheimischen Hersteller, selbstzufrieden und dem Wettbewerb entwöhnt, ließen ganze Marktsegmente brachliegen, welche sich die agilere Konkurrenz aus Übersee binnen kurzem sicherte.
Nehmen wir ein beliebiges Beispiel. 1927 hatte etwa Daimler-Benz das achtbare Modell 12/55 PS im Angebot, das wir hier auf einem Foto von Leser Klaas Dierks sehen:

Der großzügige Wagen begegnet uns hier mit Tourenwagenaufbau – der bei deutschen Herstellern damals immer noch verbreitetsten Karosserieausführung.
Unter der langen Haube arbeitete ein Sechszylindermotor konventioneller Bauart mit 3,1 Litern Hubraum.
So etwas – Sechszylinder-Tourenwagen – hatten natürlich auch die amerikanischen Konkurrenten im Angebot. Doch bei ihnen zeichnete sich längst der Trend zu anspruchsvolleren Aufbauten und zwei Zylindern mehr ab.
Und wenn eine offene Version angeboten wurde, dann war es oft eine Ausführung, die es bis dato bei deutschen Herstellern in dieser Klasse kaum gegeben hatte. Die Rede ist von Zweisitzer-Cabriolets auf einem Chassis, das einer Limousine angemessen gewesen wäre.
Die Amis nannten solche Aufbauten auf Basis von Oberklassemodellen dann auch noch frech “Roadster”, obwohl man damit landläufig einen kompakten Zweisitzer ohne Kurbelscheiben, mit sportlichem Türausschnitt und dünnem Notverdeck verstand.
Dieses verschwenderisch anmutende neue Konzept schlug auch im deutschsprachigen Raum ein. Hier sehen wir so einen “Roadster” der Marke Cadillac, aufgenommen in Wien:

Dieses wahrlich opulente Fahrzeug stammte aus dem Modelljahr 1928 und war damals in praktisch jeder Hinsicht eine Klasse für sich.
Doch war dieser Cadillac bei seinem Erscheinen nicht mehr als der Wiedergänger des Trendsetters, um den es heute eigentlich geht.
Denn nur ein Jahr zuvor – also 1927 – hatte man bei der Konzernmutter von Cadillac, General Motors, eine neue Marke geschaffen, die etwas darunter positioniert war: LaSalle.
Kurioserweise sollte der erste LaSalle zum Trendsetter für Cadillac werden, indem er viele Designelemente des 1928er Modells vorwegnahm. Das bot sich auch an, da die LaSalle-Wagen ohnehin in der Cadillac-Fabrik gebaut wurden.
Was man mit dem 1927er LaSalle auf die Beine stellte, war speziell in der Roadster-Version in der Oberklasse schwer an Lässigkeit zu überbieten:

Man sieht diesem Zweisitzer nicht an, dass er auf einem Chassis der gehobenen Klasse mit immerhin fast 3,20 Meter Radstand daherkommt – für längere Aufbauten gab es beim 1927er Modell eine Version mit 3,40 Meter Radstand.
Der sportlichen Optik angemessen war unter der Haube ein 75 PS starker Achtzylindermotor verbaut – allerdings kein Reihenaggregat wie sonst üblich, sondern ein V8 mit 90 Grad Zylinderwinkel.
Das stimmige Gesamtpaket überzeugte ganz offenbar auch Käufer hierzulande, denn dieser 1927er LaSalle Roadster war einst im Raum Chemnitz zugelassen. Das verrät die Kennung auf dem Nummernschild bestehend aus römisch “1” und “V”:

Hier sehen wir außerdem das “LaSalle”-Emblem auf der Scheinwerferstange – die verschlungenen Buchstaben “La” und “S”, anhand derer mir überhaupt erst die Identifikation des Herstellers gelang.
Der Kühler ähnelt in seiner Gestaltung stark dem des Cadillac, während die recht breiten und über die gesamte Haubenflanke verteilten Luftschlitze beim großen Bruder filigraneren und weiter hinten platzierten wichen.
Dessen ungeachtet sollte sich der 1927er LaSalle als Trendsetter erweisen, speziell in dieser Variante als “Roadster”. Entsprechend lässig erscheint hier auch der stolze Besitzer, der einen sportlichen Strickpullover trägt und auch sonst kaum der Konvention entspricht:

Leider ist mir über Ort und Anlass dieser Aufnahme nichts bekannt – es dürfte sich um eine Situation am Rand einer Sport- oder Concours-Veranstaltung gehandelt haben.
Man sieht: Vor 95 Jahren war man mit einem solchen Roadster von LaSalle in deutschen Landen definitiv ein Trendsetter – und man könnte es auch in der hiesigen Klassikerszene sein, wenn man mit einem solchen Prachtstück daherkäme.
Leider sind die gehobenen US-Marken, die Ende der 1920er Jahre einen erheblichen Marktanteil in Deutschland hatten, heutzutage deutlich unterrepräsentiert.
Man findet eher den x-ten Bentley-“Special”, der durch das Opfern eines Tourers oder einer Limousine neu entstand, anstelle eines solchen LaSalle mit originalem Roadster-Aufbau.
Vielleicht möchte im Jahr 2022 wieder erneut jemand ein lässiger Trendsetter werden, indem er mit einem solchen Wagen Geschmack abseits ausgetretener Pfade beweist…
Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.