Wieder neu beleuchtet: Tourenwagen von „Helios“

Moment einmal, werden mit solider Kenntnis antiker Mythologie ausgestattete Zeitgenossen angesichts der Überschrift denken: Helios fuhr doch keinen Tourenwagen, sondern ein Gespann mit vier Pferden, jedenfalls als Geschäftsfahrzeug.

Der Sonnengott der alten Griechen hatte nämlich die Aufgabe, mit seinem Gefährt das Tagesgestirn über den Himmel zu transportieren. Ihm voraus ging seine Schwester Eos, die für die Morgenröte zuständig war – die andere Schwester, Selene, folgte ihm mit etwas Abstand, denn sie verkörperte den Mond.

Die vom Menschen erlebte und empfundene Welt solchermaßen als von göttlichen Kräften belebt zu beschreiben und diese zugleich als unvollkommene Wesen mit menschlichen Eigenschaften darzustellen, diese Sicht auf die Dinge war mir stets sympatisch.

So heiße ich die Sonne – wenn sie sich uns denn zeigt, wie in diesem prächtigen Nachsommer – gern persönlich willkommen und werfe ihr andernfalls ihre Versäumnisse vor.

Dass die bloße Anrufung der Sonne kein Garant dafür ist, dass sie sich zuverlässig zeigt, diese Erfahrung hätte schon die Kölner Industriewerke und die Delfosse Motorenfabrik GmbH skeptisch stimmen sollen, als sie in der gemeinsam gegründeten “Helios”-Automobilbau AG ab 1924 Kleinwagen unter diesem vordergründig glänzenden Namen bauen ließ.

Erstmals ist uns der Kölsche „Sonnenwagen“ hier im Blog in Form dieses markant gestalteten Exemplars mit Lieferwagenaufbau begegnet:

Helios Kleinwagen; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Tatsächlich war dem Helios wie unzähligen anderen deutschen Wagen dieser Klasse mangels Nachfrage keine große Laufbahn beschieden, schon 1926 ging ein für allemal das Licht aus für die Marke.

Doch für uns Verehrer dieser alten Vehikel hat Helios noch einmal die Pferde angespannt und uns den Gefallen einer abermaligen Fahrt über’s Erdenrund getan – das Beweisfoto dafür lieferte mir Sammler und Leser Jörg Pielmann.

Es zeigt diesmal die Tourenwagenausführung, die der Standardaufbau beim Helios gewesen sein dürfte, schlicht weil sie am preisgünstigsten war. Ohne das zuvor von Leser Klaas Dierks bereitgestellte Foto hätte ich dieses Exemplar aber nicht so leicht identifiziert:

Helios Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Jörg Pielmann

Im Vergleich kann man gut erkennen, dass die Lieferwagenvariante auf dem Tourer basierte, lediglich die Frontscheibe war höher und der Scheibenrahmen stand senkrecht.

Kleine Unterschiede wie das Vorhandensein oder Fehlen von Ersatzrad, Scheinwerferstange oder Werkzeugkasten auf dem Trittbrett spiegeln lediglich Ausstattungsvarianten wider – davon abgesehen sind die Wagen identisch.

Dass die Wirkung dennoch so unterschiedlich ist, das ist nicht nur dem unterschiedlichen Aufbau hinter der Windschutzscheibe geschuldet – auch die Belebtheit der Szene auf dem zweiten Foto lässt den dort abgebildeten Wagen dynamischer erscheinen.

Beinahe meint man, dass Helios hier kurz für seine Bewunderer angehalten hat und schon im nächsten Moment unbeirrt seine Bahn weiterverfolgen wird. Leider fällt mir zu den Personen in dem Tourer bzw. daneben nichts ein, was sie in Verbindung mit der griechischen Mythologie bringen würde.

Dafür kann ich aber noch zwei weitere Dinge zum Thema Helios und Automobil beisteuern: So ist wissenswert, dass die alten Griechen dem Helios einen Sohn zusprachen, der auf den Namen Phaeton hörte – das war die ursprüngliche Bezeichnung von Tourenwagen!

So lässt sich die komplexe Götterwelt der Antike doch viel leichter begreifen als in der Schule, sofern diese dort überhaupt noch ein Thema war – in meinem hessischen Gymnasium war schon in den 1980er Jahren eher Marxismus als Bildungsgut angesagt.

Hier pflegen wir zum Glück immer schön das automobile Erbe, das mindestens so spannend ist wie die wunderbare Welt der Göttter und Halbgötter der Antike. Während dort die Geschichte – leider – abgeschlossen ist, gibt es in Sachen Vorkriegsautos immer noch Neues zu entdecken, und zwar auch Helios betreffend:

Helios-Reklame, 1900-1905; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Offenbar machte Helios schon früher die Gegend mit einem Phaeton unsicher, denn diese Anzeige müsste bereits kurz nach der Jahrhundertwende publiziert worden sein.

Mit der Kölner Helios-Autofabrik hatte dieser deutsch-österreichische Hersteller nichts zu tun. Zumindest konnte ich ihn im Standardwerk „Österreichische Kraftfahrzeuge“ von Seper/Krackowizer/ Brusatti (1982) nicht finden.

Wer etwas zur Geschichte dieses bis dato unbekannten Helios weiß, auch wenn sich keine Verbindung zur Götterwelt der alten Griechen herstellen lässt, möge uns im Kommentarteil erleuchten!

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Fund des Monats: Ein „Helios“-Kleinlieferwagen

Zu den interessantesten Kapiteln des Automobilbaus im Deutschland der Vorkriegszeit gehören die unzähligen Hersteller von Kleinstwagen, die in der ersten Hälfte der 1920er Jahre ihr Glück versuchten – und allesamt scheiterten.

Meines Wissens gibt es bislang dazu keine umfassende mit Originalaufnahmen bebilderte Publikation. Am fehlenden Material kann es nicht liegen, da laufend „neue“ zeitgenössische Bilddokumente auftauchen.

Diese finden sich auch dann, wenn man nicht gezielt danach sucht, sondern einfach die Augen aufhält und – noch wichtiger – mit Sammlern zusammenarbeitet, die ihre Funde nicht ängstlich verbergen, sondern allen Interessierten zur Verfügung stellen.

Dieser unkomplizierten Kooperation verdanke ich auch den Fund des Monats März 2022. Beigesteuert hat ihn einmal mehr Leser Klaas Dierks, der eine besonders glückliche Hand hat, was solche Sachen angeht.

Im Gegensatz zu einschlägigen Druckwerken, die in solchen Fällen meist nur mit den immer gleichen Kopien historischer Reklamen oder Prospekten aufwarten können, lege ich Wert auf Originalabzüge mit klaren Besitzverhältnissen.

So haben wir heute das Vergnügen, vermutlich erstmals ein zeitgenössisches Foto eines sonst nur dürftig dokumentierten Fahrzeugs studieren zu können, welches von der Kölner „Helios“-Automobilbau AG von 1924-26 gefertigt wurde.

Gegründet wurde die Firma 1923 von den Kölner Industriewerken und der ebenfalls in der Domstadt ansässigen Delfosse Motorenfabrik GmbH. Die Kölner Industriewerke besaßen die Firmengebäude der liquidierten „Helios“ Elektrizitäts-AG, während Delfosse eine beachtliche Kompetenz im Motorenbau einbrachte.

Gemeinsam wollte man in Großserie einen selbstentwickelten Kleinstwagen produzieren, der mit 2-Zylinder-Motoren unterschiedlicher Bauart angeboten wurden. An die 10 PS Höchstleistung sollten ausreichend für das kompakte und leichte Automobil sein.

Bei Konstruktion und Ausstattung hatte man keine Kompromisse gemacht – so waren elektrischer Anlasser und innenliegende Hebel für Schaltung bzw. Handbremse vorgesehen.

Auch äußerlich handelte es sich beim Helios-Kleinstwagen um ein „richtiges“ Automobil – was man gut nachvollziehen kann, wenn man einmal ein hochwertiges Foto davon zu Gesicht bekommt:

„Helios“-Kleinstwagen; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Auf dieser außergewöhnlichen Aufnahme begegnet uns der Helios-Wagen sogar mit einem andernorts nicht dokumentiertem Lieferwagenaufbau.

Dass es sich um einen „Helios“ handelt, ist an einer Reihe von Details zu erkennen: Am markantesten sind die Scheibenräder mit der wohl einzigartigen Ausführung der Radbolzen.

Mit den Abbildungen auf zeitgenössischen Reklamen stimmen außerdem die Kühlergestaltung, Größe und Position der Griffmulde in der Motorhaube sowie die Anbringung der Scheinwerfer auf den Kotflügeln überein.

Eine Ähnlichkeit mit dem zeitgleich herausgebrachten 4-PS-Modell von Opel besteht nur auf den ersten Blick. Tatsächlich unterscheidet sich der Schwung der Vorderschutzbleche deutlich, zudem besaß der Opel anfänglich noch einen moderaten Spitzkühler.

Die Rüsselsheimer bauten zwar das erwachsenere Auto, welches immerhin einen 12-PS leistenden Vierzylindermotor besaß und etwas mehr Platz bot. Doch der Helios war mit unter 3.000 Mark erheblich preisgünstiger, da Opel für sein Auto im Jahr des Erscheinens 4.500 Mark aufrief.

Was war nun der Grund dafür, dass die Produktion des „Helios“-Kleinstwagens schon 1926 nach unbekannter Stückzahl wieder eingestellt wurde? Nun, das lag schlicht daran, dass es keine kaufkräftige Nachfrage in der Preisklasse gab.

Selbst für den später gesenkten Preis des Helios von rund 2.500 Mark hätte ein damaliger Durchschnittsverdiener rund zwei Brutto-Jahresgehälter aufbringen müssen. Es hätte von daher auf der Hand liegen müssen, dass die Stückzahlen gering bleiben würden.

Die wenigen Deutschen, die so viel verdienten, um sich ein Auto leisten zu können, griffen gleich zum Opel, der das insgesamt überlegene Angebot darstellte.

Wie bei allen deutschen Kleinstwagen krankte das Konzept des Helios also daran, dass man nicht der Frage nachgegangen war, wieviele Menschen überhaupt imstande waren, genügend Geld für irgendeinen fahrbaren Untersatz abzuzweigen.

Ohne annähernde Vorstellung vom Absatzmarkt ist aber keine realistische Kalkulation der Kosten und damit auch keine darauf abgestimmte Planung von Konstruktion und Fertigungsanlagen möglich.

So war der „Helios“-Wagen am Ende nur ein weiteres Beispiel für die bemerkenswerte betriebswirtschaftliche Blindheit deutscher Nischenhersteller, die sich mit Heroismus in einen Kampf warfen, der nicht zu gewinnen war und schon unzählige Opfer gefordert hatte.

Für etliche Liebhaber deutscher Vorkriegsautomobile sind diese Totgeburten freilich umso reizvoller, da es hier noch viel zu entdecken und zu erforschen gibt. Wer weiß, vielleicht macht sich ja einmal jemand ans Werk, die Geschichte der Kleinstwagen zu schreiben.

Bilder wie das des heute vorgestellten Helios stehen jedenfalls für ernsthafte Publikationen reichlich zur Verfügung. Nur steht zu befürchten, dass der deutsche Drang zur Perfektion im Detail – man könnte auch sagen: der Hang zur Verzettelung – zur Folge hat, dass auch dieses Kapitel auf ewig ungeschrieben bleibt…

© Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.