Tradition trotzt Moderne: Elite S18 18/55 PS

Wer den Ursprüngen der Moderne nachspürt, landet unweigerlich in der Zeit vor 100 Jahren. Das Ende des Ersten Weltkriegs markiert eine bis heute nachwirkende Zeitenwende – einen epochalen Umbruch, nach dem scheinbar nichts blieb, wie es war.

Doch bei näherem Hinsehen ist dies das vereinfachende Schema einer Geschichtsschreibung, die nur Nacheinander, kaum aber Nebeneinander kennt.

Sei es die Grenze zwischen Antike und Mittelalter, sei es der Beginn von Renaissance und Industrialisierung – die abstrakten Begriffe von Wissenschaftlern werden der vielschichtigen Realität nur näherungsweise gerecht.

So ist das auch mit der Zäsur der 1920er Jahre, die Europa zwar in die Moderne katapulierte, aber gleichzeitig von einem erstaunlichen Beharrungsvermögen traditioneller Phänomene geprägt war.

Während sich in der Architektur rasch eine entwurzelte Sachlichkeit durchsetzte, die bis heute vorherrscht und die Städte immer unpersönlicher und öder macht, lebte in anderen Bereichen die Freude an der opulenten Form und am dramatischen Effekt fort.

Im Automobilbau findet sich noch in den 1930er Jahren eine ans Barocke grenzende Lust am schönen Schwung und am Ornament, die eine Gegenbewegung zur Versachlichung der Karosseriegestaltung Mitte der 1920er Jahre darstellte:

Horch 853 Cabriolet auf Schloss Dyck 2017; Bildrechte: Michael Schlenger

Doch schon vor dieser letzten Blüte gestalterischer Opulenz zeigten sich speziell bei Autoherstellern im deutschsprachigen Raum Kräfte, die sich dem Trend zur Simplifizierung in der Formgebung widersetzten, wenngleich sie um 1925 zwischenzeitlich erlahmten.

Der Widerstand der Tradition gegen eine als allzu drastisch empfundene Moderne lässt sich idealtypisch am erstaunlichen Fortleben des Spitzkühlers in deutschen Landen nach dem 1. Weltkrieg illustrieren.

Das will ich heute an einem Beispiel veranschaulichen, das zugleich exotisch und typisch ist. Exotisch ist dabei der Hersteller, um den es geht – die Elite-Werke mit Sitz im sächsischen Brand-Erbisdorf.

Es ist über sechs Jahre her, dass ich zum ersten – und bislang einzigen – Mal einen Wagen der 1914 gegründeten Marke vorgestellt habe, an der übrigens auch der spätere DKW-Gründer J.S. Rasmussen beteiligt war:

Elite Typ S18 18/70 PS von 1925; Originalabbildung aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser Elite-Wagen des Sechszylindertyps S18 von 1925 steht mit seinem – von den Markenemblemen abgesehen – völlig beliebigen Flachkühler für die Dominanz des streng sachlichen Stils im deutschen Automobilbau Mitte der 1920er Jahre.

Interessanterweise markiert dieses zwar leistungsstarke, doch viel zu teure und technisch veraltete Modell auch den beginnenden Niedergang der Marke Elite, welche gegen die aufkommende Konkurrenz modernerer und preisgünstiger US-Wagen chancenlos war.

Anders sah dies unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg aus, als Elite wie etliche andere deutsche und österreichische Hersteller mit ihrem betont der Tradition verhafteten Stil einen geschätzten Nationalcharakter repräsentierten, der ausländischen Fabrikaten fehlte.

Das zentrale Gestaltungselement war dabei der Spitzkühler, in dem eine Mode fortlebte, die 1913/14 aufgekommen war. Ob Adler, Benz, Opel oder Mercedes – kein deutscher Hersteller von Rang verschloss sich dem Trend zum Spitzkühler, welcher Dynamik und Aggressivität verkörperte und von der scharfen Bugform von Schiffen inspiriert war.

Sehr anschaulich wird dieses Prinzip anhand folgender hochexpressiver Originalreklame der deutschen Marke Dinos, die ich hier erstmals zeige:

Dinos-Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Für mich gehören die Spitzkühlerwagen von Herstellern aus dem deutschsprachigen Raum von 1913/14 bis 1925 zu den interessantesten Fahrzeugen der Vorkriegszeit.

Bemerkenswert in dem Zusammenhang ist, dass Mercedes-Benz nach einer Unterbrechung in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre zum Spitzkühler zurückkehrte – die grandiosen Kreationen der unmittelbaren Vorkriegszeit wären ohne dieses Detail kaum denkbar.

Davon abgesehen verschwand der Spitzkühler aber Mitte der 1920er Jahre endgültig und mit ihm etliche deutsche Automarken, die heute nur noch Spezialisten geläufig sind.

Das galt auch für die PKW-Produktion der Elite-Werke, die ab 1926 stark zurückging und 1929 endete – nachdem Opel bereits 1928 das Unternehmen übernommen hatte.

So war die große Zeit der Elite-Wagen die erste Hälfte der 1920er Jahre, als in Brand-Erbisdorf dieses eindrucksvolle Automobil entstand:

Elite Typ S18 18/55 PS; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Dieses hervorrragende Foto einer mächtigen Sechsfenster-Limousine verdanke ich Leser Matthias Schmidt (Dresden).

Man sieht hier sehr schön, wie der Spitzkühler im Stil von Daimler und Benz diesem Elite-Wagen eine dynamische Anmutung verleiht, die dem oben gezeigten späteren Automobil desselben Herstellers fehlt.

Zwar sind keine weiteren Details zu der Elite-Limousine auf dem Foto von Matthias Schmidt überliefert – dennoch lässt sich der Typ recht genau ermitteln.

Ein erster Anhaltspunkt ist die schiere Länge des Vorderwagens – unter dieser Haube verbarg sich keiner der kleineren Vierzylindermotoren, die Hubräume zwischen 2,6 und 3,8 Liter besaßen und Leistungen von 38 bis 50 PS entwickelten.

Stattdessen dürfen wir hier den 1921 anlässlich der AVUS-Eröffnung vorgestellten Sechszylindermotor mit 4,7 Litern Hubraum annehmen.

Dieses Aggregat war von Chefkonstrukteur H.W. Zimmermann aus dem Vierzylinderaggregat des Elite Typ E10 10/38 PS entwickelt worden – ein Rezept, das wegen der notwendigen Verlängerung der Kurbelwelle einfacher klingt, als es umzusetzen war.

Im vorliegenden Fall scheint das Experiment gelungen zu sein, denn immerhin war das resultierende Aggregat prinzipiell das gleiche, das leistungsgesteigert ab 1925 im weiter oben gezeigten Elite Typ S18 18/70 PS verbaut wurde.

Das Fehlen von Vorderradbremsen auf dem Foto von Matthias Schmidt lässt vermuten, dass die darauf abgebildete Elite-Limousine eher ein 18/55 PS-Modell war, wenngleich Teile der Literatur das stärkere Modell 18/70 PS bereits auf 1923 datieren.

Dafür gibt es sogar einen schlagenden Beweis, der zugleich das Thema „Tradition trotzt Moderne“ blendend illustriert.

Denn die folgende Reklame von 1923 zeigt nicht nur ein rasantes Elite-Sportmodell mit außenliegenden Auspuffrohren, wie man sie von Benz, Daimler und Stoewer kennt, sondern erwähnt auch den offenbar brandneuen 18/70 PS-Typ neben den beiden Vierzylindern:

Elite-Reklame; Original aus Sammlung Michael Schlenger

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Elite – Qualitätsmarke der 1920er Jahre aus Sachsen

Vor dem 2. Weltkrieg waren etliche bedeutende deutsche Automobilfirmen in Sachsen angesiedelt. Zu den heute noch bekannten Marken gehören DKW, Horch und Wanderer, die 1932 mit Audi in der Auto-Union zusammengefasst wurden.

Einer der vielen Hersteller aus der Region, die nur noch Spezialisten geläufig sind, waren die Elitewerke aus Brand-Erbisdorf. Mit weniger als 10.000 Einwohnern dürfte das Städtchen im Erzgebirge der kleinste Ort in Deutschland mit eigener Automobilfabrikation gewesen sein.

Man sollte meinen, dass an einem solchen Standort nur unbedeutende Kleinwagen gefertigt worden sein können. Weit gefehlt: Unter der Marke ELITE entstanden von 1913 bis 1929 große und leistungsstarke Automobile sowie für kurze Zeit auch hochwertige Motorräder.

Das folgende Originalfoto zeigt eine Elite-Limousine von Anfang bis Mitte der 1920er Jahre.

Elite_Limousine_1920er_Jahre

© Elite-Limousine der frühen 1920er Jahre; Sammlung: Michael Schlenger

Für die frühe Entstehung sprechen die Holzspeichenfelgen und das Fehlen von Vorderradbremsen. Das Foto kann erst ab 1928 entstanden sein, da in Deutschland vorher keine elektrischen Winker verbaut wurden. Auch die Positionsleuchten sind vermutlich nachgerüstet. Das genaue Modell ist leider unbekannt.

Nachfolgend außerdem eine alte Abbildung des Elite S 18/70PS mit 4,7 Liter großem 6-Zylindermotor, der von 1923 bis 1927 gebaut wurde. Elite_S_18-70PS_1925

© Elite S 18/70PS; Sammlung: Michael Schlenger

Die noch stärkere Sportvariante des Elite S 18 leistete bei gleichem Hubraum fast 100 PS. Damit spielten die Elite-Wagen in einer ähnlichen Liga wie die zeitgleichen Modelle von Simson aus dem thüringischen Suhl.

Dass die Elitewerke für Qualität standen, lässt sich auch daran erkennen, dass DKW-Gründer Rasmussen sich nach dem Ersten Weltkrieg daran beteiligte. 1920 schloss sich die Firma ihrerseits mit den Diamant-Fahrradwerken zusammen.

In dieser Zeit entstanden heute sehr begehrte großvolumige Motorräder unter der Marke Diamant, die den Ruf des Konzerns weiter stärkten. 1928 wurde schließlich Opel auf Elite-Diamant aufmerksam und erwarb eine Mehrheitsbeteiligung daran.

Opel ließ von Elite-Diamant für kurze Zeit die Opel Motoclub 500 fertigen, eine vom Künstler und Techniker Ernst Neumann-Neander entworfenene, unkonventionelle Oberklassemaschine. Hier ein unberührtes Exemplar aus dem PS-Speicher in Einbeck.

Opel_Motoclub_PS-Speicher-Einbeck

© Opel Motoclub 500, PS-Speicher Einbeck; Bildrechte: Michael Schlenger

Doch schon 1929 brachte die Weltwirtschaftskrise das Ende für Elite-Diamant. Opel trennte sich im Zuge der Übernahme durch General Motors von seiner Beteiligung an der Firma.

Überlebensfähig blieben nur die bis heute existierenden Diamant-Fahrradwerke. Die Produktion im alten Elite-Werk in Brand-Erbisdorf wurde dagegen eingestellt.

Damit endete die PKW-Fertigung nach schätzungsweise 3.000 Fahrzeugen. Nur eine Handvoll Elite-Wagen ist noch bekannt. Damit gehören sie heute zu den seltensten Zeugen der deutschen Automobilgeschichte überhaupt.