Mut zur eigenen Linie: Ego 4/14 PS Tourer

Was man so hört, stellen in Grundschulklassen heute die überdurchschnittlich Begabten die absolute Mehrheit. Das Ergebnis gescheiterter oder erst gar nicht versuchter Erziehung gilt sogleich als Ausweis von Genialität und Eignung für alles Mögliche.

So viele prachtvolle Individuen gab es nie, herrliche Zeiten! Untertanen, ängstliche Anpasser und Befehlsempfänger kennt man nicht mehr. Erfinder- und Unternehmertum stehen in voller Blüte, kein Mensch strebt mehr nach Sicherheit bei Vater Staat.

Dem Mut zur eigenen Linie, gesundem Erwerbsstreben und einer Prise Egoismus verdanken wir alle möglichen Verheißungen: Elektrische Flugtaxis beispielsweise!

Es sind ja nur bald 10 Jahre, dass uns smart auftretende Jungunternehmer alles (Un)Mögliche vom Himmel herunterversprechen, es fehlen bloß noch ein paar Millionen Kapital von gutgläubigen Investoren, dann klappt es – versprochen!

Ironie beiseite. In Wahrheit wird im Technologiesektor hierzulande außer heißer Luft kaum noch Nennenswertes produziert, jedenfalls nicht im Vergleich zu den USA, Fernost oder auch – inzwischen genauso fern – dem Deutschland der Vorkriegszeit.

Geradezu atemberaubend war nicht nur die Explosion an Erfindungsreichtum und Schaffenskraft um die Jahrhundertwende; auch nach dem 1. Weltkrieg schien es an Ideen und dem Willen, etwas Neues auf die Beine zu stellen, nicht zu fehlen.

Vermutlich hunderte Firmen standen plötzlich ohne Rüstungsaufträge da, mussten sich neu erfinden und zurechtkommen mit der Härte eines Marktes, an dem es keine Subventionen, verbilligte Kredite oder sonst etwas auf Steuerzahlerkosten gab.

Allein im Sektor Automobilbau versuchten zahllose Firmen ihr Glück, meist mit ähnlichen Konzepten und meist ohne ausreichendes Kapital zum Skalieren der Produktion. Die Geschichte der früher oder später gescheiterten Autobauer im Deutschland der frühen 1920er Jahre will noch geschrieben sein. Material dazu ist zuhauf vorhanden.

Auch wenn ich nicht gezielt danach suche, findet sich ständig Neues und Reizvolles auf diesem Sektor. Kürzlich schickte mir Steffen Rothe aus Berlin – damals das Epizentrum des Kleinwagenbaus in Deutschland – diese hübsche Reklamekarte in digitaler Kopie:

EGO-Reklamepostkarte; Original aus Sammlung Steffen Rothe (Berlin)

Trotz der naiven Darstellung der Landschaft ist der Wagen bis ins Detail präzise getroffen, wie wir gleich sehen werden.

Hersteller des hier beworbenen “Ego”-Wagens war die Mercur Flugzeugbau GmbH, die Anfang der 1920er Jahre einen angeblich komplett selbst entwickelten Vierzylinderwagen im Stil sportlicher Cyclecars auf den Markt brachte.

Wer angesichts der Leistungsangabe 4/14 PS mitleidig lächelt, übersieht dabei, dass auch die französischen Vorbilder in dieser Klasse ähnlich angefangen haben. 1924 wurde die Leistung auf 20 PS angehoben, jedoch wurde kurz zuvor noch diese Reklame publiziert:

EGO 4/14 PS Reklame von 1924; Original: Sammlung Michael Schlenger

Der Vergleich mit obiger Postkarte zeigt, dass der Zeichner dort bei aller kunsthandwerklichen Freiheit die Eigenheiten des Ego 4/14 PS genau wiedergegeben hat.

Dazu zählt die nach hinten abfallende Karosseriekante, die sich vom Kühler bis zum Verdeck hinzieht, außerdem der Schwung der Kotflügel und die Gestaltung des Kastens oberhalb des Trittbretts, unter dem sich die weit vorn angebrachte Auslegerfederung (Cantilever-Prinzip) der Hinterachse verbirgt.

Bei frühen Exemplaren des Ego 4/14 PS gab es diese Abdeckung noch nicht (vgl. W. Oswald, Deutsche Autos 1920-1945. S. 156), auch die Haubenschlitze waren anders gestaltet.

Dass Ego sich überhaupt einige Jahre am Markt halten konnte, ist bei deutschen Wagen dieser Kategorie eher die Ausnahme. Offenbar fand die eigene Linie der Konstruktion wie der Gestaltung ebenso Anklang wie die Qualität der Ausführung.

Neben dem Zweisitzeraufbau gab es übrigens auch eine Tourenwagenversion des Ego 4/14 PS; hier ein Foto, das mir ebenfalls Steffen Rothe (Berlin) zur Verfügung gestellt hat:

EGO 4/14 PS Tourer; Originalfoto: Sammlung Steffen Rothe (Berlin)

Die eigene Linie des Wagens wurde hier geschickt beibehalten. Statt die Karosserieoberkante hinter der Frontscheibe wie bei Tourern üblich höher anzusetzen, ließe man sie niedrig und zog sie einfach weiter nach hinten.

Dabei wurde zwar der Platz für das Reserverad geopfert, es ist aber denkbar, dass dieses auf die linke Fahrzeugseite wanderte, wo am hinteren Ende des Vorderkotflügels Platz genug war. Das Beweisfoto dafür steht allerdings noch aus.

Vielleicht eine Gelegenheit für die Sammler unter meinen Lesern, diesem eigenständig gestalteten Wagen der frühen 1920er Jahre in ihrem Fundus nachzuspüren.

Vielleicht lässt sich ja nun der eine oder andere bisher ungelöste Fall anhand der eigenen Linie des Ego klären. Von so gelungener Individualität kann es schließlich nie genug geben!

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Finde nicht nur ICH gut: EGO 4/14 Tourer

Mit dem Gebrauch von ICH sollte man eigentlICH sparsam umgehen. Allerdings ist dies manchmal ganz schön schwierICH – und heute lässt es sICH gar nicht vermeiden…

Liebhaber und Besitzer von Vorkriegswagen sind nämlICH fast immer Individualisten – das ist jedenfalls meine Erfahrung.

Bei der Beschäftigung mit dem richtICH alten Blech stößt man naturgemäß auf Charaktere, mit denen man nICH so schnell warm wird. Bei manchen muss man sICH mächtICH ins Zeug legen, bis man einen Zugang zu ihnen gefunden hat.

Doch oft genug entdeckt man hinter oberflächllCH eigenwilliger Erscheinung manch liebenswürdigen EGOisten. Genau das war vor rund einem Jahr hier der Fall:

EGO 5/25 PS Limousine; Originalfoto aus Sammlung MICHael Schlenger

Dieser von mir als Fund des Monats präsentierte Wagen mit eigenwilligem Spitzkühler entpuppte sich als rares Automobil der Mercur Flugzeugbau GmbH aus Berlin – als Typ 5/25 PS, um genau zu sein.

Das Modell mit kopfgesteuertem Vierzylinder markierte 1925 den Schlusspunkt der kurzen Automobilhistorie der Firma, die 1921/22 (die Angaben variieren) mit einem kompakten, aber durchaus sportlich daherkommenden 4/14 PS-Typ begann.

Eine zeitgenössische Werbung für das Modell konnte ich bereits seinerzeit präsentieren:

EGO-Reklame von 1924; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Was mir beim damaligen Blog-Eintrag fehlte, war freilich ein Foto dieses 4/14 PS Modells, mit dem einst der kurze EGO-Trip der Marke begann.

Neben dem abgebildeten Sport-Zweisitzer erwähnt die Anzeige weitere Aufbauten, darunter einen “Viersitzer-Phaeton”. Hinter der traditionellen Bezeichnung, die Mitte der 1920er Jahre ein wenig “von gestern” war, verbirgt sich ein klassischer “Tourenwagen”.

Kaum war der damalige “Fund des Monats” publiziert, öffneten sich die Archive einiger Leser und hervor kamen Fotos genau dieses Typs 4/14 PS – und zwar als Tourer. Den Anfang machte Claus Wappler mit diesem Originaldokument:

EGO Typ 4/14 PS Tourenwagen; Originalabzug aus Sammlung Claus Wappler

Zwar sind hier die elf hohen Haubenschlitze nur zu erahnen, doch die gesamte Vorderpartie passt zum EGO Typ 4/14 PS mit der – von der Seite betrachtet – nach vorne ansteigenden Haubenkante und dem schlichten Spitzkühler, der sich deutlich von anderen Ausführungen jener Zeit unterscheidet, die dem Stil von Benz und Daimler folgten.

Ein zur Identifikation wichtiges Detail ist zwar auf obiger Aufnahme durch den Werkzeugkasten auf dem Trittbrett verdeckt.

Doch Leser Matthias Schmidt (Dresden) lieferte mir aus seinem Fundus das Konterfei eines praktisch identischen Wagens, das keine Wünsche offenlässt:

EGO 4/14 PS Tourenwagen; Originalabzug aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Diese liebenswerte Aufnahme, die dem sandigen Boden nach zu urteilen an der Ostsee entstanden sein könnte, erlaubt das Studium des EGO 4/14 PS Tourers in allen Details:

Auf dem Spitzkühler ist oben links in kursiver Schrift der Markenname zu entziffern (jedenfalls auf dem Originalabzug). Zur Gestaltung der mittigen Kühlerplakette kann ich leider nichts sagen.

Die filigranen Drahtspeichenräder sind ebenfalls typisch für das Modell – wie auch für viele andere Kleinwagen jener Zeit mit sportlicher Anmutung.

Wichtiger ist aber die vorn abgerundete Ausbuchtung der Schwellerpartie hinter dem hohen Kasten (in dem sich die Batterie verbirgt). Dieses Detail ist ein Hinweis auf die spezielle Ausführung der hinteren Blattfeder nach dem “Cantilever”-Prinzip.

Man findet dies öfters bei Wagen jener Klasse – so auch bei meiner französischen EHP-Voiturette von 1921 – hier jedoch unverkleidet:

EHP Voiturette von 1921; Bildrechte: Michael Schlenger

In der mir bekannten Literatur bleibt die Cantilever-Federung des EGO 4/14 PS unerwähnt, obwohl sie markante gestalterische Spuren an dem Wagen hinterlassen hat.

Viel mehr kann ich nach meinem derzeitigem Kenntnisstand leider nicht zu dem hübschen EGO 4/14 PS sagen, der in unbekannter Stückzahl wohl bis 1924 gebaut wurde.

Doch zeigt sICH, welche erfreulICHen Ergebnisse zustandekommen, wenn sich genügend EGOzentriker für eine Momentaufnahme automobiler GeschICHte zusammenfinden…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Fund des Monats: EGO 5/25 PS Limousine

Als Fund des Monats darf ich heute einen besonderen Leckerbissen präsentieren. Es handelt sich um ein Automobil der einstigen Mercur Flugzeugbau GmbH aus Berlin, für das man sich den griffigen Markennamen EGO ausgedacht hatte.

Über den Hersteller Mercur Flugzeugbau GmbH konnte ich nur wenig in Erfahrung bringen. Das in Berlin-Johannisthal ansässige Unternehmen baute offenbar während des 1. Weltkriegs unter anderem Albatros-Maschinen in Lizenz. Ob eine Verbindung zur Mercur Motorenbau GmbH in Berlin Adlershof bestand, ist unklar.

Jedenfalls besaß die Merkur Flugzeugbau GmbH die Kompetenz, ihren automobilen Erstling der Firma – ein 4/14 PS-Modell mit seitengesteuertem Vierzylinder – mit einem eigenen Motor auszustatten.

Flott sahen sie obendrein aus, die EGO-Kleinwagen, wie sie hier beworben wurden:

Ego_4-14_PS_Reklame_1924_Galerie

Originalreklame für den EGO 4/14 PS aus Sammlung Michael Schlenger

Es mag dahingestellt sein, ob der serienmäßige EGO 4/14 PS wirklich die behaupteten 85 km/h Höchstgeschwindigkeit erreichte. 70-75 km/h dürften realistischer gewesen sein.

Jedenfalls erhöhte der Hersteller die Leistung Ende 1924 auf 20 PS und bot außerdem ein Sportmodell mit 24 PS an – in derselben Hubraumklasse. Für die Leistung dieses 4/24 PS-Typs war sonst der doppelte Hubraum üblich.

Das Spitzenmodell von EGO und zugleich den Endpunkt der Entwicklung dieser kurzlebigen Marke sehen wir auf dieser raren Aufnahme:

Ego_5-25_PS_1924-27_Galerie

EGO Typ 5/25 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir das angeblich 1925 eingeführte 5/25 Modell, dessen Aggregat über kopfgesteuerte Ventile und damit erst recht sportliche Qualitäten verfügte.

Im Unterschied zu den Modellen mit 4 Steuer-PS verfügt dieser Wagen über mehr seitliche Luftschlitze in der Motorhaube, was zum stärkeren Kühlungsbedarf des 1,3 Liter Motors passt.

Auch stilistisch spricht einiges für eine spätere Entstehung, insbesondere der geschwungene Übergang des Vorderschutzblechs zum Trittbrett. Die Stoßstange dagegen dürfte ein Zubehörteil gewesen sein.

Interessant ist, dass die mir zugängliche Literatur zu EGO-Automobilen nur offene Wagen zeigt, während wir hier einen deutlich teureren Limousinenaufbau sehen.

Kürzlich fand ich eine weitere Aufnahme eines solchen geschlossenen EGO des mutmaßlich selben Typs 5/25 PS:

Ego_Taxi_Galerie

EGO 5/25 PS; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Zwar kann man hier die Luftschlitze nicht erkennen, doch stilistisch entspricht dieser EGO weitgehend dem zuvor gezeigten Wagen. Sogar die Stoßstange dieses als Taxi genutzten Fahrzeugs ist sehr ähnlich.

Dass wir es hier nicht mehr mit einem “Kleinauto” zu tun haben, wie man damals zu sagen pflegte, unterstreicht auch das im Vorderkotflügel platzierte Reserverad. 

Der EGO 5/25 PS war –  abgesehen von seiner in dieser Hubraumklasse unter deutschen Herstellern konkurrenzlosen Leistung – ein vollwertiges Mittelklasseautomobil.

Trotz seiner unzweifelhaften Qualitäten war der EGO 5/25 PS offenbar zu teuer, denn der Hersteller wurde noch im Jahr seiner Einführung insolvent.

Die Hiller-Automobilwerke aus Berlin – nicht zu verwechseln mit den Phänomen-Werken von Gustav Hiller in Zittau – übernahmen die Produktion des Modells, gingen kurz danach aber offenbar selbst pleite. Eine als Auffanggesellschaft neugegründete EGO-Autobau GmbH führte den Betrieb noch bis 1927 weiter.

Mehr konnte ich über diese interessante Automarke nicht in Erfahrung bringen und die wenigen Quellen widersprechen sich in einigen Details.

Damit gehört die Marke EGO zu den vielen spannenden Episoden des deutschen Automobilbaus der Vorkriegszeit, die noch einer gründlichen Aufarbeitung harren.

Vielleicht findet sich ja jemand, der sich darin so hineinkniet, wie das vor wenigen Jahren Kai-Uwe Merz mit seinem verdienstvollen Buch über die ebenfalls aus Berlin stammenden AGA-Wagen getan hat…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.