Ende August 2024 – heute war ein schöner warmer Sommertag von der Art, wie er sich in Deutschland dieses Jahr etwas rar gemacht hat. Gegen Abend beim Gießen der stets durstigen Oleander im Hof machte sich plötzlich unerwartete Kühle breit – das Thermometer sank auf nur noch 18 Grad und es begann früh zu dunkeln.
Unsere Katze Ellie saß verloren im großen Garten, auf den Boden geduckt und schaute mich fragend an: „Wo ist denn der Sommer hin, eben war er doch noch da?“
Da wurde mir bewusst, dass der Herbst vor der Tür steht und wie immer um diese Zeit stellte sich leise Melancholie ein.
Was hatte man sich alles vorgenommen, vieles geplant – und mit einem Mal merkt man, dass die Dinge und die Zeit ihr Eigenleben haben und es anders kommt als erhofft. Dieses Erleben ist eine Konstante im Dasein, damit souverän umzugehen, ist Lebenskunst.
In gewisser Weise gefiel mir sogar die Stimmung, die sich einstellte, denn sie passte perfekt zur letzten Folge der Beckmann-Spurensuche, die ich gemeinsam mit Beckmann-Urenkel Christian Börner seit gut einem Jahr hier unternehme.
Auch diese letzte Folge mit der merkwürdig anmutenden, von 1911-2024 reichenden Spanne ist aus Sicht von Christian Börner von Wehmut geprägt, denn dieser Abschied sollte eigentlich ein Wiedersehen der besonderen Art sein – doch daraus wurde leider nichts.
Damit übergebe ich an Christian Börner:
„Kennen Sie das? Sie freuen sich auf etwas ganz Besonderes, für Sie Einmaliges und dann kommt es im letzten Augenblick ganz anders. Seit 38 Jahren hattee ich auf den Tag hingefiebert, an dem ich zum ersten Mal ein einsatzfähiges Auto aus der Produktion meines Urgroßvaters Paul Beckmann, dem Autobauer aus Breslau sehen und quasi „in Besitz nehmen“ kann und als Beifahrer darin mitfahren kann. Das war für mich über Jahrzehnte meines Lebens eine Vision, die sich buchstäblich im allerletzten Augenblick aufgelöst hat.„
Das nun folgende Geschehen weist beinahe romanhafte Höhen und Tiefen auf und illustruiert für mich par excellence, warum die Beschäftigung mit Vorkriegsautomobilen eine so spannende, aber auch strapaziöse Sache sein kann. Nun wieder Christian Börner:
„Auch wenn wir im Rahmen der Beckmann-Spurensuche eigentlich bereits am Ende der Firmengeschichte anno 1927 angelangt waren, müssen wir für die heutige Zeitreise zunächst in das Jahr 1911 zurück.
Dieses Jahr war für Beckmann zwar nicht von besonderen Ereignissen geprägt, Produktion und Vertrieb liefen offenbar problemlos. Erst aus der Gegenwartsperspektive kam damals etwas im Wortsinn Bedeutsames ins Rollen im Breslauer Werk.
Dort wurde nämlich anno 1911 wurde ein siebensitziger Doppel-Phaeton (oder Tourenwagen) des vierzylindrigen Spitzentyps 21/45 PS fertiggestellt und einem unbekannt gebliebenen Kunden ausgehändigt.
Gut drei Jahre später – nach Ausbruch des 1. Weltkriegs – wurde das Auto für das deutsche Militär beschlagnahmt. Während die Masse der Soldaten mit Eisenbahn und Pferdefuhrwerk transportiert wurde bzw. zu Fuß ins Verderben marschierte, wurden für Offiziere, Melder und Kuriere in großer Zahl Automobile benötigt.“
Hier haben wir exemplarisch einen etwas jüngeren und deutlich kleineren Beckmann-Tourer im Militärdienst:

„So wurde auch der prächtige Beckmann 21/45 PS Tourenwagen als Heereskraftwagen eingesetzt – wo und wie genau ist unbekannt.
Erst 1920 gab es wieder ein Lebenszeichen von dem Fahrzeug. Anstatt ihn dem ursprünglichen Besitzer zurückzugeben wurde er zwecks Beschaffung wertvoller Devisen zusammen mit über 20.000 anderen Wagen aus deutschem Militärbestand exportiert.
Dazu wurden notwendige Reparaturen vorgenommen und die äußerlich nicht mehr moderne Karosserie durch eine zeitgemäße ersetzt. Solchermaßen fit für ein neues Autoleben gemacht, landete „unser“ Beckmann 10/45 PS in die schwedische Provinz Västernorrlands,wo er im Dezember 1920 auf einen Großhändler zugelassen wurde.
1924 wurde der Beckmann weiterverkauft, aber schon im Jahr darauf stillgelegt. Laut den erhaltenen Zulassungsdokumenten wurde er verschrottet, aber das galt nur für die Karosserie. Chassis, Motor, Getriebe und einiges mehr wurden tatsächlich eingelagert und dämmerten (bzw.) rosteten einer besseren Zukunft entgegen.“
Als noch 1944 in Breslau geborener Urenkel von Paul Beckmann hatte Christian Börner das sprichwörtliche Benzin im Blut, das einen wahren Automobil-Enthusiasten ausmacht. Bereits mit 18 Jahren, also 1962, begann er immer intensiver nach überlebenden Beckmann-Autos zu forschen.
„Damalige Recherchen waren mühsam und zeitaufwendig, denn sie erfolgten ausschließlich postalisch, meine Bemühungen blieben überwiegend ohne Antwort.
Dann, nach 24 Jahren des Suchens, der erste Lichtblick: Ich erfuhr, dass ein Landwirt und Oldtimer-Sammler in Lagan/Südschweden Reste eines Beckmanns besitzt. Also nichts wie hin!
Was fand ich dort 1986 vor? Fragmente des erwähnten 21/45 PS-Autos von 1911, wenn auch in bedauernswertem Zustand:

Wie man gut erkennen kann, hatte der damalige Besitzer begonnen, das Chassis und die Radnaben zu entrosten und zu lackieren. Von der Karosserie waren nur die Vorderkotflügel erhalten geblieben. Wichtiger war aber der kaum wiederzubeschaffende Beckmann-Kühler.
Erfreulicherweise hatte sich auch das Nummernschild der schwedischen Erstzulassung aus dem Jahr 1920 erhalten:

Und dann natürlich noch der komplette Motor mit seinen zwei mächtigen Zylinderblöcken – das unersetzliche Herz des Beckmann, dessen Leistung hauptsächlich dem großen Hubraum zu verdanken war:

Getriebe sowie die Gestänge von Schaltung und Handbremse waren ebenso vorhanden wie beide Achsen – technisch gesehen war also alles Wesentliche vorhanden.
Für versierte Oldtimer-Restauratoren, die vor einer Wiederherstellung der verlorenen Karosserie und des Inenraums nicht zurckschrecken, eine beinahe „ideale“ Basis.
Aber schon an diesem Punkt zeigte sich, dass die Dinge im Leben bisweilen nicht die erhoffte Richtung nehmen:
Der Besitzer hatte mir den Wiederaufbau zugesagt, hielt sein Versprechen aber nicht ein und trennte sich rund 20 Jahre später wieder von dem Chassis.
Auf Umwegen in Schweden und Dänemark fand sich schließlich ein Käufer für den Beckmann, und zwar in Norwegen. Es war 2006, als der heutige Besitzer, Rune Aschim aus Oslo, den Mut aufbrachte und damit begann, aus den Fragmenten wieder ein Automobil zu machen.
Der nunmehrige Besitzer des Beckmanns und ich als Urenkel des Herstellers lernten sich kennen und fieberten gemeinsam der Revitalisierung in kleinen Schritten entgegen.“
Hier haben wir zur Illustration des dabei im Detail Geleisteten eine Aufnahme des komplett überholten Motors:

Die größte Herausforderung war freilich der komplette Neuaufbau einer an zeitgenössischen Vorbildern Tourenwagen-Karosserie.
Die Rekonstruktion kam aufgrund unerwarteter Schwierigkeiten erst im Juni 2024 zum Abschluss als ein für Christian Börner wichtiges Ereignis bedrohlich näherrückte. Hier haben wir den beeindruckenden Aufbau im Frühjahr 2024 vor uns:

Wieder Christian Börner:
„Seine erste Bewährungsprobe sollte der wiedererstandene Beckmann-Tourer bei der Herkomer-Konkurrenz 2024 bestehen. Diese Traditionsveranstaltung findet alle zwei Jahre statt und es dürfen nur Fahrzeuge vor Baujahr 1930 teilnehmen).
Vielleicht fragen Sie sich, warum ausgerechnet dort, mehr als eineinhalbtausend Kilometer südlich von Oslo, dem Wohnsitz des Besitzers?
Nun, es sollte eine Reminiszenz an den Erzeuger dieses Wagens, Paul Beckmann, sein. Denn wie in unserer Sourensuche berichtet hatte er an zwei (1906 und 1907) der insgesamt drei historischen Herkomer-Konkurrenzen erfolgreich teilgenommen, und zwar mit einem ähnlich starken Vorgängermodell. Sicher erinnern Sie sich:

An dieser Stelle, kurz vor dem Ziel, geschah nun das, auf was ich eingangs anspielte – dass im Leben immer wieder die besten Vorhaben und die schönsten Szenarien auf eine Weise durchkreuzt werden, die uns deutlich macht, dass wir nicht Herr über alles im Dasein sind.
So berichtet Christian Börner weiter:
Genau eine Woche vor dem Rallyestart, für den der Wagen angemeldet war, stellte sich ein Beamter der norwegischen Zulassungsbehörde quer. Er sah die noch existierenden schwedischen Zulassungsdokumente der Jahre 1920 bis 1924 ein und stellte fest, dass diese nur auf das damals zugeteilte und erhaltene Kennzeichen AC607 (siehe Foto) abstellten, aber keine Chassisnummer beinhalteten. Diese geht zwar aus dem originalen Fabrikschild hervor, doch das genügte ihm nicht. Zu allem Überfluss verabschiedete sich der Beamte stante pede in seinen Sommerurlaub. Aus der Traum!
Man sieht, auch außerhalb Deutschlands gibt es Verwaltungsbeamte, die eines vergessen haben: Sie sind nicht das Aufsichtspersonal der Bürger, sondern deren Angestellte und werden von diesen gut dafür bezahlt, bestimmte wiederkehrende Verfahren fair, d.h. im Interesse des unbescholtenen Bürgers zu regeln.
Dazu gehört, dass man sich ein Gesamtbild der Situation macht, von vorhandenen Ermessensspielräumen Gebrauch zu machen und sich daran zu orientieren, was der Geist des Gesetzes ist. Der Zweck von Zulassungsbestimmungen ist nicht der, die Zulassung von Automobilen möglichst schwierig zu machen, sondern sie nachvollziehbar zu gestalten.
Wenn kein Risiko damit verbunden ist, kann in Fällen, die der Gesetzgeber nicht im Detail antizipieren konnte, der gesunde Menschenverstand eingesetzt werden, um eine auf plausiblen Kritierien fundierte Zulassung zu erlangen. Denn eine formal nachvollziehbare Zulassung ist der Zweck der Vorschriften, nicht deren Vereitlung durch möglichst strikte Auslegung einzelner Punkte, die im konkreten Einzelfall irrelevant sind.
Im Fall des Beckmann fragt man sich, was mit der Verweigerung der Zulassung durch einen einzelnen Staats“diener“ gewonnen bzw. welche Gefahr damit verhindert wurde. Es kann nicht der Zweck staatlicher Vorschriften sein, dass diese bzw. ihre subjektve Auslegung eine Eigendynamik entwickeln, welche der Lebenswirklichkeit der Bürger zuwiderläuft.
Wieder Christian Börner:
„Nun steht der weltweit einzige noch erhaltene Beckmann-Wagen in Norwegen und keiner weiß, wie es weitergehen soll. Können Sie meine Enttäuschung und die des Besitzers nachvollziehen?“

Zum Schluss möchte ich nochmals an Christian Börner übergeben, der übrigens doch an der Herkomer-Konkurrenz 2024 in einem anderen Wagen des Beckmann-Besitzers Rune Aschim teilgenommen hat – in einem herrlichen 12-Zylinder Packard.
Wie er mir mitteilte, hat dieses Erlebnis ein wenig den Schmerz gelindert, der sich aus dem geplatzten Traum ergab, welcher ihn jahrzehntelang begleitete. Vielleicht wird ja zu einem späteren Zeitpunkt doch noch etwas daraus.
„Aus welchen Quellen habe ich als Chronist der Automobilfirma Otto Beckmann & Co eigentlich meine Informationen gesammelt? Mir stand leider nichts zur
Verfügung, was ich einem Firmennachlass oder in Original-Dokumenten am Ort des
Geschehens, also Breslau (heute) Wroclaw, hätte finden können. Dort ist bei Kriegsende bzw. danach alles verlorengegangen.
Was die zeitgenössische Literatur betrifft, vor allem Automobil-Periodika, so war einiges in Staats- und Universitätsbibliotheken zu finden, vor allem in der Bibliothek des Deutschen Museums in München. Dort habe ich über Jahre hinweg viel Freizeit investiert.
Die Nachkriegs-Fachliteratur zu Beckmann weist aber fast durchweg große Lücken und einige Fehler auf. Lediglich der Klassiker aller Bücher über alte Autos, die dreibändige Chronik des Nestors der deutschen Automobilhistoriker Hans-Heinrich von Fersen „Autos bzw. Sportwagen in Deutschland“, weist insgesamt 10 Seiten über Beckmann auf. Bei den zwei jüngeren Bänden von Halwart Schrader sind es 3 ½ Seiten, bei Oswald noch weniger.
Ausgerechnet die 640 Seiten umfassende „Chronik des Automobils“ von Hans-Otto Neubauer hat keine Zeile für Beckmann übrig – obwohl ich diesem damals mein bis dahin mageres Material zur Verfügung gestellt hatte.
Kurios ist, dass kein einziger dieser Autoren das richtige Jahr des Beginns des Beckmann’schen Automobilbaus genannt hat. Es erscheint mir sicher zu sein, dass alle deutschen Publikationen, die nach von Fersens Büchern erschienen sind, weitgehend von diesem „inspiriert“ worden sind (man könnte es auch Abschreiben nennen). Für das richtige Datum des Beginns des Automobilbaus bei Beckmann – 1898 – hätte man nur mal in die „Automobil-Welt“ von 1905 hineinzuschauen brauchen.
Bevor wir nun Abschied von der Firma Beckmann nehmen, möchte ich den Aufruf von Christian Börner nicht unerwähnt lassen, seiner unbedingt sehenswerten und heute wieder quícklebendigen Geburtsstadt einen Besuch abzustatten.
Er selbst hat dort bleibende Spuren hinterlassen in Form einer von ihm initiierten Gedenktafel, die am Standort der Firma Beckmann an diesen bemerkenwerten Teil der langen und wechselhaften Geschichte der Stadt erinnert.
Wer hätte das gedacht im Februar 1945, als die Familie Beckmann angesichts der vorrückenden Roten Armee wie die meisten Breslauer aus der anschließend heftig umkämpften Stadt fliehen musste?
Wie mir Christian Börner einmal schrieb, hing sein Leben als Einjähriger damals an einem seidenen Faden – buchstäblich mit Goldschmuck und Familiensilber erkaufte man sich auf dem Weg nach Westen das, was der Kleine zum Überleben benötigte.
Erst kürzlich ist Christian Börner 80 geworden und er ist voller Tatendrang. Ich bin dankbar, dass er mich an den Früchten seiner lebenslangen Spurensuche in Sachen Beckmann hat teilhaben lassen und hoffe, dass sich doch noch das eine oder andere Fragment findet.
Sie, liebe Leser, haben hoffentlich ebenfalls davon gehabt – noch einmal wird eine solche Fortsetzungsgeschichte quasi aus erster Hand nicht mehr möglich sein. Daher erlaube ich mir, Christian Börner unser aller Dank und Verehrung für sein Tun auszusprechen. Ich und mein Blog waren dabei nur das Medium.
Nun ist es wieder spät geworden, just in dem Moment ist unsere Katze Ellie hereingekommen – ihr ist’s nun wirklich zu frisch draußen. Ein paar schöne warme Tage wird es wohl noch geben, aber der Sommer neigt sich unweigerlich dem Ende zu.
Erwarten und planen wir generell nicht zuviel. Es kann jeden Tag alles ganz anders kommen. Lassen wir uns lieber überraschen, wenn uns Fortuna doch einmal hold ist – eine zeitlose Lehre, meine ich.
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.


































































