Intime Kenner der in die hunderte gehenden frühen Automarken aus Frankreich dürften sich fragen: Was bitteschön soll an einem Sizaire-Naudin so ungewöhnlich sein, dass er hier als Fund des Monats in den Adelsstand erhoben wird?
Verglichen mit den unzähligen wirklich raren französischen Fabrikaten der Zeit vor dem 1. Weltkrieg war dieser Hersteller ja geradezu etabliert und baute von 1905 bis 1921 Fahrzeuge, die sich unter anderem im Sport einen Namen machten.
Ein recht spätes Exemplar von 1913/14 habe ich schon einmal vorgestellt (hier), ohne dass ich allzuviel Aufsehens darum gemacht hätte:

Doch dieser sportliche Wagen aus der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg hat außer dem Namen praktisch nichts gemein mit dem Gerät, um das es heute geht.
Dazu muss man wissen, dass Sizaire-Naudin einer der frühen Autobauer war, der zunächst mit geringen Hubräumen achtbare Resultate am Markt erzielte zu einer Zeit, in der viele Konkurrenten ihre Kunden mit großvolumigen und reisetauglichen Wagen ansprachen.
Kurioserweise gelang es dem Hersteller mit einem Einzylindermotor jahrelang erhebliche Stückzahlen zu erzielen, was wohl der gezielt sportlichen Auslegung geschuldet war, welche im Rennsport bewährte Elemente umfasste.
Eines davon war ein für damalige Verhältnisse neuartiges Fahrwerk. So war die Vorderachse an einer querliegenden Blattfeder aufgehängt und die Räder konnten dadurch unabhängiger voneinander ein- und ausfedern als bei einer konventionellen Aufhängung an zwei längsliegenden Blattfedern.
Die Räder bewegten sich dabei in einer vertikalen Schiene auf und ab, die ein zusätzliches Dämpfungselement enthielt – laut Literatur angelehnt an ein älteres Patent des ebenfalls französischen Herstellers Decauville. Vielleicht kann ein sachkundiger Leser noch besser erklären, was daran so ingeniös war.
Mich beeindrucken an dem Fund des Monats – den wir Leser Klaas Dierks verdanken – ohnehin zwei andere Dinge.
Zum einen finde ich es bemerkenswert, einem Sizaire-Naudin im deutschsprachigen Raum zu begegnen, nämlich in Böhmen. Zum anderen – das war für mich ausschlaggebend – ist dieser Wagen auf wahrlich atemberaubende Weise für die Nachwelt festgehalten worden.
Hier schnurren gut 115 Jahre Zeitabstand mühelos zusammen und man kommt sich so vor, als habe man den lässig am Wegesrand abgestellten Wagen selbst direkt vor der Linse:

Geht es Ihnen auch so, dass man förmlich in dieses Bild hineingezogen wird?
Dazu trägt die radikal unkonventionelle Perspektive bei und natürlich das nach so langer Zeit immer noch gegenwärtige Leben auf der Aufnahme.
Die Tatsache, dass die Beifahrerin während der Belichtungszeit den Kopf ein wenig drehte, empfindet man hier gerade nicht als Mangel – auch das trägt zu dem Eindruck bei, der Situation hier und jetzt unmittelbar beizuwohnen.
Stellen Sie sich jetzt vielleicht noch den Duft vorn frischem Gras im Frühling vor, der von einer Mischung aus Öl- und Benzindämpfen überlagert wird. Es soll damals Parfüme gegeben haben, die etwas in der Richtung evozierten, vielleicht wird das in Zeiten nahezu emissionsfreier Verbrennermotoren demnächst wieder attraktiv…
Wann aber war dieses „damals“, was hier auf so magische Weise festgehalten wurde?
Nun, ich habe zwar von Sizaire-Naudin so wenig Ahnung wie von den zahllosen anderen Hestellern aus dem französischsprachigen Raum, die vor dem 1. Weltkrieg florierten.
Aber ich meine, dass ich über die Jahre ein Auge dafür entwickelt haben, wie man so ein exotisches Gefährt anhand weniger Vergleichsaufnahmen datiert. Und so meine ich, dass wir es mit einem Exemplar aus der 1-Zylinderära der Marke um 1908 zu tun haben – mit einer Genauigkeit von +/- 1 Jahr.
Wie ich darauf komme, das zu referieren, wäre langweilig. Wer es besser weiß, kann im übrigen in der Kommentarfunktion seine Sicht der Dinge darlegen – ich lerne gern dazu.
Nur eine Sache noch: Bemerkenswert an diesem Exemplar ist nicht zuletzt, dass es einen Aufbau als viersitziger Tourenwagen trägt. Das habe ich so sonst nirgends nicht gefunden – dem sportlichen Ruf der Marke entsprechend wurden die 8 bis 12 PS leistenden Einzylinderwagen offenbar meist als Zweisitzer geordert.
Das war’s für heute – mag sein, dass in Sachen frühe Franzosen besonders verwöhnte Leser, die sogar einen Kühler eines Sizaire-Naudin ihr eigen nennen können – hier nur gelangweilt abwinken.
Aber: Überraschungen harren auch im Alltäglichen und genau davon habe ich einiges an Material für Sie in petto – zumindest in der Hinsicht liegt ein herrlicher Herbst vor uns…
Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.





































