Wer meinen Blog schon eine Weile verfolgt, dürfte bemerkt haben, dass ich gern eine eigene Sicht der Dinge einnehme – sowohl, was aktuelle Geschehnisse angeht, als auch die Beurteilung automobilhistorischer Phänomene betreffend.
Die Freiheit zur anderen Sicht gibt mir das Blog-Format, das ein völlig subjektives ist.
Ich kann darin frei von Verpflichtungen meinen Blick darlegen – ich habe keinen akademischen Ruf zu verlieren, ich muss auf keine Werbekunden Rücksicht nehmen, ich habe keine Vorgesetzten und keine Parteivertreter in einem Aufsichtsgremium.
Das heißt nicht, dass meine Perspektive zwangsläufig besser oder „richtiger“ ist – sie ist aber unabhängig und kennt keine Scheu vor angeblichen oder tatsächlichen Auto-Ritäten.
Das Widerständige, der Wille zur eigenen Meinung – das wurde mir nicht in die Wiege gelegt. In meiner Familie wurde man erst zum Gehorsam und dann zum Denken erzogen.
Ich habe meine Skepsis und das Bedürfnis, den Dingen selbst auf den Grund zu gehen, noch als Teenager irgendwann entdeckt, praktiziert und über die Jahre kultiviert.
Mir gefällt der Leitsatz „Im Zweifel für den Zweifel“, den ich mir von einem eigenwilligen deutschen Konservativen der Nachkriegszeit geborgt habe – Joachim Fest (1926-2006).
Wie alle interessanten Menschen war Fest „umstritten“ – wie sich das für jede wissenschaftliche Hypothese, theologische Konzepte und ästhetische Ideale gehört.
Fest begegnete mir erstmals, als ich mich Ende der 1980er Jahre für Italien zu interessieren begann. Abseits des Mainstreams den Facetten menschlicher Kultur nachzuspüren, das war das Thema von Joachim Fests meisterlichem Italienbuch „Im Gegenlicht“ (1988).
Fest hatte sich seinerzeit Italien „gegen den Strich“ vorgenommen – von Sizilien nach Norden reisend und aus einem Alltag berichtend, den ich auf meinen frühen Italienfahrten selbst noch ansatzweise erleben konnte, der aber über 30 Jahre später Geschichte ist.
Wie komme ich nun vom Fest’schen „Gegenlicht“ von anno 1988 zum Adler des Frontantriebstyps „Trumpf“ aus den Jahren 1932/33? Das ist einfach, auch wenn das Gegenlicht mit das Anspruchsvollste ist, das einem Fotografen begegnen kann.
Wie bei jeder guten Übung für Körper und Geist beginnen wir mit den einfachen Dingen, die leicht von der Hand gehen und einen ersten schönen Erfolg bescheren:

Was soll man hier schon falschmachen? Das Licht ist ausreichend, drei prächtige Individuen schauen gut gelaunt und zwanglos in die Kamera und den Hintergrund gibt ein moderner Frontantriebswagen ab.
Wie am Kühleremblem ersichtlich handelt es sich um einen Adler aus Frankfurt am Main, wobei die Gestaltung der Frontpartie (noch ohne Kotflügelschürzen) verrät, dass wir es mit einem frühen Exemplar des Modells „Trumpf“ von 1932/33 zu tun haben.
Damit folgte Adler dem Trend zu Fronttrieblern, den in Deutschland Stoewer und DKW initiiert hatten, gefolgt von Audi. Im Fall von Adler steckte dahinter Hans-Gustav Röhr mit seinem Team von Selberdenkern.
Röhr, der sich mit starren Strukturen und Hierarchien schwertat, verdankt Adler seinen größten Erfolg überhaupt. Die Fronttriebler „Trumpf“ und ab 1934 „Trumpf Junior“ zählten zusammen mit den DKWs und Opels bis zum 2. Weltkrieg zu den meistverkauften deutschen Autos.
Dem Erfolg nicht im Weg stand, dass man Adlers „Trumpf“ anfangs eine ziemlich bieder anmutende Karosserie verpasst hatte – jedenfalls die Limousine betreffend. Die besaß eine Ganzstahlkarosserie von Ambi-Budd (nebenbei: wo wurde diese noch verbaut?), die noch ganz im Stil der späten 20er Jahre gehalten war:

Allenfalls das Fehlen eines Trittbretts – kurioserweise ohne die naheliegende Konsequenz, den Passagierraum breiter zu gestalten – deutet hier auf die frühen 30er hin.
Die Stärke der äußeren Erscheinung des Adler Trumpf mit seinem konventionellen 1,5 Liter-Motor (32 PS) lag zweifellos auf der Frontpartie.
Hier haben wir den passenden Bildbeweis (Dank an Leser Marcus Bengsch), wobei dieses Exemplar über einen nachgerüsteten Nebelscheinwerfer an dem mittigen Bügel verfügt:

Auch wenn die Sonne von oben scheint, deutet sich das Thema „Gegenlicht“ bereits leise an – der Hintergrund wirkt grell und stört die Balance etwas.
Aber mit den Filmen der 30er Jahre war das kaum vermeidbar – speziell wenn das eigentliche Objekt dunkel gehalten war.
Noch schwieriger war es damals, einen solchen Wagen im Schnee abzulichten. Nicht, dass sich unsere Altvorderen dann nicht vor die Tür wagten – gerade der frontgetriebene Adler konnte unter winterlichen Bedingungen seine Stärken entfalten.
Doch der extreme Kontrast zwischen weißem Schnee und wiederum dunkler Lackierung überforderte das damalige Filmmaterial häufig:

Bei aller Kunst des Fahrers und der Konstrukteure des Frontantriebs ist hier doch zu konstatieren, dass die Kunst des Fotografen nicht daran heranreicht.
Dennoch: So ein Dokument bekommt man nicht alle Tage zu sehen, und unter anderem deshalb finden Sie ja auch den Weg hierher, nicht wahr?
Und zurecht erwarten Sie, am Ende durch das belohnt zu werden, was die hohe Kunst der Automobilfotografie im Gegenlicht auszeichnet.
Einen ersten Vorgeschmack mag diese Aufnahme vermitteln:

Zwar kommt auch hier das Sonnenlicht von oben, aber der helle Himmel überstrahlt fast alles im Hintergrund, was diesen umso geheimnisvoller erscheinen lässt.
Vielleicht vermag ja einer von Ihnen, liebe Leser, diese Flusslandschaft zu identifizieren. Zu dem Auto muss ja nichts sagen – so schnell lernt man den Adler „Trumpf“ als Limousine in der frühen Ausführung von 1932/33 selbst aus seitlicher Perspektive (er)kennen.
Bleibt die Frage, wie sich ein bis zur Erschöpfung dokumentierter Adler „Trumpf“ mit Limousinenaufbau von Ambi-Budd darstellt, wenn man ihn mal im Gegenlicht betrachtet.
Beantworten kann ich das anhand einer Aufnahme, die ich erst kürzlich erworben habe.
Sie zeigt den Adler vordergründig aus konventioneller Perspektive, bettet den Wagen aber in ein ungewohntes Umfeld ein, das den Blick in die Ferne gehen lässt – in ein geheimnisvolles Gegenlicht, vor dem sich eine wie Käpt’n Nemos „Nautilus“ anmutende Insel abzeichnet – und statuenhaft die Silhouette einer Frau, die entrückt ins Weite blickt:

DAS ist nach meiner unmaßgeblichen, aber nicht minder festen Überzeugung meisterlich.:
Der Mensch in seiner Vergänglichkeit und seine vordergründigen Schöpfungen vor der Kulisse einer Welt, die zuvor schon Milliarden von Jahren existierte und die nach uns ebenso ungerührt und für uns unergründlich fortbestehen wird.
Ob Sie nun meine Sicht der Dinge teilen oder nicht – heute haben Sie etwas vermeintlich Vertrautes gesehen wie nie zuvor – zunächst gewohnt gefällig, zuletzt hart im Gegenlicht. So sind die Realitäten und wir sollten Sie aus beiden Blickwinkeln betrachten und annehmen.
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