Neu vor 90 Jahren: Wanderer W10 Roadster-Cabriolet

Von der Wetter- und Gemütslage war für den heutigen Blogeintrag eigentlich ein herbstliches Motiv vorgesehen. Doch so etwas hat man vor der Haustür zur Genüge – wenn auch ohne Vorkriegsauto.

Nun hat zwar ein Motiv den Vorzug bekommen, das bei strahlendem Sonnenschein aufgenommen wurde. Es passt dennoch, da das darauf abgebildete Fahrzeug im Herbst vor 90 Jahren – im Oktober 1928 – vorgestellt wurde.

Genau genommen gilt das Jubiläum nur für die Karosserie, doch die verdient durchaus eigens zelebriert zu werden.

Die dabei verwendete Basis war ein braver Wanderer des ab 1926 gebauten Vierzylindermodells W10 6/30 PS. Hier haben wir die ab Werk verfügbare Tourenwagenversion:

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Wanderer W10-I 10/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Diese Aufnahme, die Leser Klaas Dierks beigesteuert hat, zeigt die erste Ausführung des Wanderer W10. Im Unterschied zum Vorgänger W9 besaß das Modell Links- statt Rechtslenkung und Vierradbremsen.

Ein äußerliches Erkennungsmerkmal der frühen Version des Wanderer W10 war das auf die Motorhaube aufgesetzte, nach hinten versetzte Blech mit Luftschlitzen.

Das Auto auf dem Foto muss aus dem Jahr 1927 stammen, als Wanderer erstmals elektrische Fahrtrichtungsanzeiger auf den Vorderschutzblechen anbrachte.

Ein Jahr später – 1928 – war der Wanderer W10-II erhältlich, mit auf 40 PS erstarktem Vierzylindermotor. Erkennbar war das verbesserte Modell daran, dass die Luftschlitze nun in zwei Gruppen auf der Motorhaube angeordnet waren:

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Wanderer W10-II; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auf dieser wohl von amerikanischen Filmen inspirierten Aufnahme sind neben den erwähnten „Blinkern“ auf den Kotflügeln die bis in die 1950er verbreiteten „Winker“ unterhalb der A-Säule des Aufbaus zu sehen.

Außer dem Tourenwagen und einer zwei- bzw. viertürigen Limousine, die ab Werk verfügbar waren, konnte man den Wanderer W10 auch als Cabriolet bekommen.

So waren unter anderem zwei- oder viertürige Cabrios mit Aufbauten von Gläser (Dresden) und Zschau (Leipzig) erhältlich.

Ein zweitüriges Cabriolet mit Karosserie von Gläser haben wir bereits vor längerem vorgestellt – hier die Heckansicht, die man so in der Literatur vergeblich suchen wird:

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Wanderer W10, 3-sitziges Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wer nicht glauben mag, dass sich dieses Fahrzeug als Wanderer W10 mit Aufbau aus 2-Türen-Cabriolet mit drei Sitzen identifizieren ließ, kann hier die ganze Geschichte nachlesen, zu der ein weiteres Foto gehört, das den Schlüssel dazu liefert.

Nebenbei, liebe „Besser als neu“-Restauratoren und „Nicht anfassen“-Angsthasen des 21. Jahrhunderts: So sah ein Auto im Alltagseinsatz Ende der 1920er Jahre aus.

Die Dellen im Blech und den Straßenstaub trägt das nur wenige Jahre alte Auto mit Würde, während die Insassen einen Stil an den Tag legen, den man hierzulande in der sonst angeblich so originalitätsorientierten Vorkriegsszene kaum findet…

Kommen wir zum eigentlichen Gegenstand dieses Blogeintrags. Im Oktober 1928 nahm Wanderer diesen offenen Aufbau in die Angebotspalette seines Typs W10 auf:

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Wanderer W10-III Roadster-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir mit einem Mal einen raffinierten Zweisitzer mit ausklappbarer Notsitzbank im Heck – dem berüchtigten Schwiegermuttersitz.

Man versteht die Boshaftigkeit dieser volkstümlichen Bezeichnung erst so richtig, wenn man sich das Verdeck geschlossen und den Himmel voller Regenwolken vorstellt…

Wir sehen den Wanderer-typischen Kühler mit leichtem Abwärtsschwung unterhalb des Markenemblems und die bereits erwähnten, in zwei Gruppen angeordneten Luftschlitze in der Haube.

Dass sonst fast alles anders wirkt als bei den bisher gezeigten Versionen des Wanderer W10, liegt vor allem an der Zweifarblackierung.

Dabei sind die Karosserieelemente oberhalb der Gürtellinie dunkel abgesetzt wie die Schutzbleche und die Schwellerpartie. Dadurch wird die Länge des Aufbaus betont, während die Höhe des Fahrgastraums kaschiert wird.

Bezeichnet wurde dieser Aufbau von Wanderer seinerzeit als „Roadster-Cabriolet“. In den USA hätte man einen solchen Wagen als „Rumbleseat Roadster“ angesprochen. Mit einem Roadster nach britischem Verständnis hat der Aufbau nichts zu tun, aber gut klang „Roadster-Cabriolet“ schon.

Dabei überwogen ganz klar die Cabrio-Elemente wie das vollwertige Verdeck mit seitlicher Sturmstange und die Kurbelfenster. Bei einem britischen Roadster hätten sich die Insassen mit Steckscheiben und dünnem Notverdeck begnügen müssen.

Letzteres war gewiss keine Option für die drei Generationen, die 1934 an Bord dieses Wanderer W10 Roadster-Cabriolets aufgenommen wurden. Sie wirken nicht gerade so, als seien sie an Wind und Wetter gewöhnt (vom Hund einmal abgesehen):

Wanderer_W10-III_Roadster-Cabriolet_Zschau_1934_Insassen

Nur die alte Dame hinter dem Lenkrad, die noch im 19. Jahrhundert geboren wurde, wird gewusst haben, wie hart das Leben für die meisten unserer Vorfahren war, bevor ihnen moderne Technologie und speziell das Automobil eine Bewegungsfreiheit eröffnet haben, die für uns heute selbstverständlich erscheint – aber nicht ist…

Gebaut wurde die feine Karosserie übrigens von Zschau aus Leipzig. Dieses und sein übriges Wissen zur Marke Wanderer verdankt der Verfasser dem maßgeblichen Standardwerk von Erdmann/Westermann: Wanderer-Automobile, 2. Auflage 2011.

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

 

 

Charakterkopf mit vielen Facetten: Wanderer W21/22

Heute treffen wir einen alten Bekannten mit viel Charakter, dem sich immer wieder neue Facetten abgewinnen lassen. Die Rede ist von den 6-Zylindertypen W21/22 der sächsischen Traditionsmarke Wanderer.

Die beiden 35 bzw. 40 PS leistenden Modelle wurden von 1933 bis 1935 gebaut – zu einer Zeit also, als die im Auto-Union-Verbund zusammengefassten Herstellern Audi, DKW, Horch und Wanderer nur noch bedingte Unabhängigkeit genossen.

Doch tatsächlich profitierte das Profil der Marken von dem Zusammenschluss. Unter der Federführung des Horch-Gestaltungsbüros bekamen die Fahrzeuge der vier Marken ein durchweg hochkarätiges Erscheinungsbild verpasst.

So erhielten die neuen Wanderer-Typen W21/21 eine Kühlerpartie, die eigentlich für einen Horch-Luxuswagen vorgesehen war. Kennzeichnend waren die V-förmig nach oben weisenden Doppelstreben in der dynamisch gezeichneten Kühlermaske sowie die zwei Reihen schräggestellter Luftschlitze:

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Reklame für die Wanderertypen W21/W22 von 1933; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Diese raffinierte Reklame ließ das neue Modell besonders sportlich und die Konkurrenz – speziell von Mercedes – alt aussehen.

Hier beginnt bereits unser Rundgang durch die facettenreiche Karosseriepalette, die die die beiden Typen W21/22 von Wanderer auszeichnete.

Die oben abgebildete vierfenstrige Limousine war dem schwächeren 35 PS-Modell W21 vorbehalten. Beim 40 PS leistenden W22 wurde die Limousinenausführung dagegen mit sechs Fenstern geliefert:

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Wanderer W22 Limousine; originales Zigarettenbild aus Sammlung Michael Schlenger

Das obige Zigarettensammelbild ist ein interessantes Beispiel dafür, dass man zeitgenössischen Zeichnungen von Vorkriegsautos nicht immer trauen kann. Hier ist nämlich nur eine Reihe durchgehender Luftschlitze in der Haube zu sehen.

Dass es das bei den Wanderer-Typen W 21/22 nicht gab, weiß man spätestens, wenn man das hervorragend bebilderte Standardwerk „Wanderer-Automobile“ von Erdmann/Westermann (Verlag Delius-Klasing, 2011) studiert hat.

Man ist deshalb gut beraten, sich an Originalfotos im Alltag betriebener Fahrzeuge zu orientieren. Selbst Werksfotos können Details zeigen, die es in der Serie nicht gab.

Zum Glück können wir mit einer Vorkriegsaufnahme der 6-Fenster-Limousine des Typs W22 aufwarten:

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Wanderer W22 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wir hatten diese reizvolle, an einer DEROP-Tankstelle in Sachsen entstandene Aufnahme hier bereits besprochen.

Selbst auf einem technisch schlechten Foto wie dem folgenden erlaubt die Zahl der Seitenfenster (bzw. der Mittelsäulen auf der Fahrerseite) die Identifikation als Wanderer des Typs W22 8/40 PS:

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Übrigens wurde der Wanderer einst vor dem Schiffshebewerk Niederfinow abgelichtet, das 1934 in Betrieb genommen wurde und noch heute (2018) seinen Dienst verrichtet (danke an Leser Klaas Dierks für diese Detailinformation).

Ebenfalls nur beim stärkeren Wanderer W22 gab es ein zweitüriges Cabriolet, dessen Aufbau bei Gläser in Dresden entstand. Leider konnten wir davon bislang nur ein Exemplar auf folgender Ausschnittsvergrößerung ausfindig machen:

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Das reizvolle, weit größere Originalfoto und die Besprechung sind hier zu finden.

Eine weitere offene Version war der Tourenwagen, der ebenfalls nur beim Wanderer W22 verfügbar war. Den Aufbau dieses in den 1930er Jahren meist nur noch von Behörden bestellten Karosserietyps lieferte Buhne aus Berlin.

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Wanderer W22 Phaeton in Paris; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Mehr zu diesem bemerkenswerten 1940/41 in Paris entstandenen Foto findet sich hier.

Aufmerksame Leser werden bemerkt haben, dass bislang nur alte Bekannte besprochen wurden, wenn auch in einer Zusammenstellung, deren Leitmotiv die unterschiedlichen verfügbaren Karosserievarianten sind.

Alle davon können wir noch nicht anhand zeitgenössischer Originalfotos dokumentieren. Zum einen fehlt die Cabrio-Limousine des W21, zum anderen die bei W21 und 22 verfügbare (sehr seltene) Kombi-Version mit großer Heckklappe.

Wer bisher Kombis für eine Nachkriegserfindung hielt, wird erkennen: alles schon früher dagewesen.

Kommen wir nun zum eigentlichen Höhepunkt des heutigen Blog-Eintrags. Denn es gibt eine weitere Karosserievariante des Wanderer W21/22, die wir noch nicht anhand eines historischen Originalfotos dokumentiert haben.

Die Rede ist von der 4-Fenster-Limousine des W21, die auf der eingangs gezeigten Wanderer-Reklame zu sehen ist. Da haben wir etwas Feines im Angebot

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Wanderer W21 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Mal ehrlich: Besser hätte auch eine Werksfotografie die Schokoladenseite des Wanderer W21 kaum einfangen können. Hier glaubt man gern, dass diese majestätische Frontpartie einst einem Horch-Luxusmodell zugedacht war.

Sehr wirkungsvoll die Positionierung des prachtvollen Wanderer am Rand einer einsamen Landstraße mit karger Herbst- oder Winterlandschaft als Hintergrund.

Kontrast und Tiefenschärfe sind perfekt, dabei ist das bloß eine Privataufnahme, die auf einem winzigen Abzug erhalten geblieben ist. Doch wie soll man hier erkennen, dass das eine 4-Fenster-Limousine des Wanderer W21 ist?

Nun, zusammen mit dieser schönen Aufnahme wurde ein weiteres Foto mitgeliefert, das bei derselben Gelegenheit entstand:

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Wanderer W21 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier ist deutlich zu erkennen, dass wir es mit einer Vierfenster-Limousine zu tun haben, die es nur in der schwächeren Version als Wanderer W21 7/35 PS gab.

Da dem Wagen die ab Mitte 1934 auf der Mittelstrebe der Kühlermaske montierten Auto-Union-Ringe fehlen, lässt sich dieser Wagen als frühes Exemplar des Wanderer W21 ansprechen.

Nur wenige tausend Stück davon entstanden in Manufaktur – übrigens im Zwickauer Horch-Werk. Selbst auf historischen Fotos findet man das Modell daher eher selten.

Doch wenn nicht alles täuscht, ist auf folgender Postkarte aus Hamburg in der Mitte ein Exemplar davon zu sehen:

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Wanderer W22 Cabriolet vor dem Hamburger Hauptbahnhof; Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Da es sich um ein Cabriolet handelt, muss es ein Wanderer des Typs W22 8/40 PS mit Karosserie von Gläser sein. Die einstige sächsische Autobaukunst wurde demnach auch von den sonst so nüchternen Hanseaten geschätzt…

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Charmantes Modell mit 15 PS: Wanderer W8 von 1923

Am reizvollsten Ansicht ist bei Vorkriegsautomobilen in der Regel die Ansicht von vorne – idealerweise aus spitzem Winkel, der auch den Verlauf der Seitenpartie erkennen lässt.

Das erscheint banal, doch wenn man Prospektabbildungen früher Automobile betrachtet, wird klar, dass diese Sichtweise alles andere als selbstverständlich ist.

In den meisten Fällen wurden Wagen der Zeit vor dem 1.Weltkrieg in Reklamen und Prospekten nämlich von der Seite gezeigt.

Das erschwert in vielen Fällen die Identifikation früher Automobile, obwohl die überlieferten Abbildungen dessen ungeachtet von allergrößtem Reiz sein können wie im Fall folgender NSU-Werbeanzeige von etwa 1914:

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NSU-Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir ein frühes Beispiel dafür, wie man das beworbene Fahrzeug in einen Kontext stellt, der es attraktiv erscheinen lässt, obwohl es selbst gar nicht im Mittelpunkt steht.

Wir erfreuen uns heute natürlich an solchen Kabinettstückchen unserer Vorfahren, doch bleibt das Problem, dass auf solchen Dokumenten von den Fahrzeugen jener Zeit oft kaum genug zu erkennen ist, um zur Identifikation von Autos auf historischen Fotos etwas beizutragen.

Umso willkommener sind originale Fotografien, auf denen die Wagen aus der erwähnten Idealperspektive zu sehen sind wie dieses hier:

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Wanderer Typ W8 5/15 PS; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Diese zauberhafte Aufnahme verdanken wir Leser Marcus Bengsch, der uns immer wieder an Fotografien aus seiner Sammlung teilhaben lässt – weiteres reizvolles Material wird hier in den nächsten Monaten nach und nach veröffentlicht.

Das Foto ist ganz ähnlich wie die NSU-Reklame ein Beispiel dafür, dass es nicht immer das Auto als solches ist, das uns die Szene reizvoll erscheinen lässt. Seien wir ehrlich: Wer kann sich dem leicht koketten Blick der jungen Dame am Lenkrad entziehen?

Sie ist es, die unseren Blick nach 95 Jahren noch magisch anzieht, erst dann ist das Auto an der Reihe, das im Jahr 1923 von Wanderer auf den Markt gebracht wurde.

Die Identifikation der Marke fällt aus dieser Perspektive nicht schwer. Etwas anspruchsvoller ist jedoch die Ansprache des genauen Typs.

Wanderer_W8_5-15_PS_ab_1923_Bengsch_Frontpartie

Die Kühlerpartie entspricht noch weitgehend derjenigen des Erstlings von Wanderer – des 1913 vorgestellten Typs W3 5/12 PS, auch als „Puppchen“ bekannt.

Dieser leichte, für seine Zuverlässigkeit hochgeschätzte Kleinwagen wurde nach dem 1. Weltkrieg – in dem er als Kurier- und Aufklärungsfahrzeug zum Einsatz kam – im Detail überarbeitet.

Der Motor erhielt strömungsgünstig im Zylinderkopf hängende Ventile, die Karosserie wurde geräumiger gestaltet und der Käufer erhielt die Option auf einen elektrischen Anlasser anstatt der Kurbel zum Anwerfen des Motors.

Formal unterschied sich der neue Wanderer des Typs W8 5/15 PS unter anderem durch die vorn abgerundetene Schutzbleche, die nun seitlich mit dem Rahmen verbunden waren. Damit verlor der Wagen endgültig die Anmutung eines Cycleacrs.

Auch wenn Seitenansichten erklärtermaßen nicht unsere Favoriten sind, wollen wir dem Betrachter nicht die gestalterischen Elemente der Seitenpartie vorenthalten, die auf der obigen Aufnahme nur ansatzweise zu erkennen sind

Gemeint sind der vorn auf dem Trittbrett montierte Batterie- oder Werkzeugkasten und die weit hinten angebrachte, vorn angeschlagene Tür, die auf folgender Aufnahme erkennbar ist:

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Wanderer W8 5/15 PS; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Foto lässt ahnen, als wie spektakulär ein Automobil im Deutschland der frühen 1920er Jahre wahrgenommen wurde. Wir haben es vor längerer Zeit bereits besprochen – nun erfüllt es abermals seinen Zweck.

Die Kühlerpartie ist noch knapp zu erkennen – ganz klar ein Wanderer wie auf dem vorigen Foto. Die Seitenpartie zeigt ebenfalls alle dort erkennbaren typischen Elemente, außerdem die kastenartige Verkleidung der Rahmenpartie, den Schweller.

Interessant ist die nach vorne umgelegte Frontscheibe, die wie die gesamte Situation auf einen gerade absolvierten Sporteinsatz des kleinen Wanderers hindeutet.  Übrigens sind Ideen willkommen, was die Funktion des Sacks am unteren Ende des Frontscheibenrahmens angeht.

Auch wenn die hier mit einem Wanderer W8 5/15 PS abgebildeten Herrschaften dem Charme der ersten Aufnahme des Typs wenig entgegenzusetzen, handelt es sich um ein reizvolles Zeugnis.

Tatsächlich wurde der leichte und zuverlässige Wanderer W8 gern zu Wettbewerbszecken in der 5 PS-Klasse eingesetzt. Wanderer unterstützte diese Aktivitäten durch Angebot eines Werkssportmodells.

Selbst an der legendären Targa Florio nahmen Wanderer-Rennversionen teil.

Doch das Foto von Marcus Bengsch belegt, dass das 5/15 PS-Modell seinen Charme wie so oft aus den Menschen bezieht, die damit einst abgelichtet wurden…

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Abschied vom Kleinwagen: Wanderer 6/30 PS Typ W10-I

In vielerlei Hinsicht markierte die Mitte der 1920er Jahre eine Zäsur im deutschen Automobilbau.

Das Festhalten an oft schwach motorisierten Vorkriegsmodellen und das Fehlen von Vierradbremsen – in den USA längst üblich, teilweise schon hydraulisch! – ließ viele Firmen hierzulande ins Hintertreffen geraten oder untergehen.

Wanderer aus Chemnitz stand damals ebenfalls an einer Wegscheide.

Bis dato hatte man hauptsächlich Kleinwagen gebaut, die 1925 im Typ W8 5/20 PS ihre Vollendung fanden:

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Wanderer 5/20 PS Typ W8; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser Typ war die letzte Ausbaustufe des noch vor dem 1. Weltkrieg vorgestellten Wanderer „Puppchens“ mit offizieller Bezeichnung 5/12 PS (intern: Typ W 3).

So erwachsen der Wanderer 5/20 PS Typ W8 auch wirkte, war nicht zu übersehen, dass er einer anderen Epoche angehörte: außenliegende Handbremshebel, Gaspedal in der Mitte, Rechtslenkung, keine Vorderradbremse.

Angesichts immer schärferer Konkurrenz entschied man sich bei Wanderer zu einem Schnitt. Den Kleinwagentyp W8 ließ man auslaufen – er wurde noch bis 1927 angeboten – stattdessen setzte man auf zeitgemäße Mittelklasse.

Erfahrung mit größeren Fahrzeugen hatte man schon gesammelt, und zwar mit dem Wanderer 6/24 PS Typ W9, der neben dem W8 in kleinen Stückzahlen gefertigt wurde. Er lieferte die Basis für die Weiterentwicklung der Marke zu einem angesehenen Hersteller solider Mittelklasse.

Der Ende 1925 vorgestellte neue Wanderer 6/30 PS (W 10-I) in der Ausführung als Tourenwagen ist hier auf einer schönen Aufnahme zu sehen, die wir einmal mehr Leser Klaas Dierks verdanken:

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Wanderer 6/30 PS Typ W 10-I; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Abgesehen von der Frontscheibenpartie erinnert kaum noch etwas an den Kleinwagentyp W8.

Tatsächlich hatte Wanderer hier gründliche Arbeit geleistet: Der größere 1,6 Liter-Motor (W8: 1,3 Liter) ermöglichte mit 30 PS Höchstleistung eine auf 85 km/h gestiegene Spitzengeschwindigkeit – wichtiger war freilich die souveränere Kraftentfaltung.

Mit Vierradbremsen (in der letzten Serie des W8 ebenfalls verbaut) und Linkslenkung war man nun zeitgemäß unterwegs.

Die filigranen Drahtspeichenräder des kleinen W8 wichen beim Wanderer W 10 massiven Stahlspeichenrädern – stilistisch durchaus stimmig.

Der Tourenwagenaufbau entstand bei Wanderer selbst, während man anspruchsvollere Karosserien Herstellern wie u.a. Gläser aus Dresden überließ.

Hier haben wir ein schönes 2-türiges Cabriolet auf Basis des Wanderer W 10-I:

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Wanderer 6/30 PS Typ  W10-I; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Auch dieses schöne Exemplar stammt aus der trefflichen Sammlung von Klaas Dierks, der ein ausgezeichnetes Auge für Qualität hat und dessen Funde den Freunden von Vorkriegsautos hier schon viel Freude bereitet haben.

Mit solchen Aufnahmen lässt sich nach und nach die komplette Wanderer-Automobilhistorie in Vorkriegsfotos wiederaufleben lassen. Doch ein paar Lücken gibt es noch – vom erwähnten Wanderer 6/24 PS Typ W9 fehlt bislang jede Spur…

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An die Arbeitsfront im Wanderer 10/30 PS Typ W10-IV

Heute können wir eine der vielen Lücken in der Dokumentation deutscher Vorkriegswagen schließen, die eine der Zielsetzungen dieses Oldtimerblogs ist.

Irgendwann die PKW-Landschaft im Deutschland der Vorkriegszeit möglichst umfassend anhand zeitgenössischer Fotos nachzeichnen zu können, das gehört zu den Motiven des Verfassers.

Dabei dürfen die vielen untergegangenen Marken aus dem deutschsprachigen Raum natürlich nicht fehlen, zu denen auch der einstige Qualitätshersteller Wanderer aus dem sächsischen Chemnitz gehörte.

Eines der Modelle, die in der Wanderer-Bildergalerie bislang nicht zufriedenstellend vertreten sind, gehörte das 1930 vorgestellte „Krisenmodell“ 6/30 PS mit der internen Typbezeichnung W10-IV.

Immerhin ist bereits eine sehr reizvolle Aufnahme vertreten, die freilich vom Wagen nur wenig erkennen lässt:

Wanderer_W10-IV_Galerie

Wanderer W10-IV; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Foto ist zu schön, um es nur in der Bildergalerie schlummern zu lassen. Es zeigt wahrscheinlich drei Schwestern und den dezent im Hintergrund posierenden Besitzer des Wagens.

Wer seine Zweifel hat, was die Identität dieses Cabriolets mit Karosserie von Gläser aus Dresden hat, bekommt gleich ein überzeugendes Beweisfoto präsentiert. Doch zunächst zur Geschichte des Wanderer W10-IV.

In der Weltwirtschaftskrise ab 1929 benötigte Wanderer neben dem 6-Zylindermodell W11 dringend einen preisgünstigeren Typ, um rentabel produzieren zu können.

Man entschloss sich zur Reaktivierung des erst kurz zuvor eingestellten Vierzylindermodells 6/30 PS, das noch aus der Mitte der 1920er Jahre stammte:

  • Der bewährte 1,5 Liter große Motor wurde überarbeitet, die Bremsanlage von Gestänge- auf Seilzugbetrieb (Bendix-Patent) umgestellt, erstmals wurden hydraulische Stoßdämpfer verbaut.
  • Die größten Veränderungen gegenüber dem Vorgänger W10-III betrafen das Äußere. Das Auto erhielt ein völlig neues Gesicht, das luxuriös anmutete.
  • Dazu trug neben der verchromten Kühlermaske das Wanderer-Emblem bei, das beim 6-Zylindertyp W11 neu eingeführt worden war.
  • Auch die großen Frontscheinwerfer und die Doppelstoßstange nach US-Vorbild ließen den Wanderer W10-IV wertig erscheinen.

Das Ergebnis der nur ein Dreivierteljahr währenden Entwicklungsarbeit steht hier in voller Pracht vor uns:

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Wanderer W10-IV; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der einzige Unterschied zu dem Wagen auf dem ersten Foto betrifft den Aufbau: Hier haben wir es mit einer 4-fenstrigen Limousine zu tun.

Übrigens ließ Wanderer mangels eigener Kapazitäten die geschlossenen Aufbauten des Typs W10-IV im Sindelfinger Karosseriewerk von Daimler-Benz fertigen. Man war um kreative Lösungen nicht verlegen, wie man sieht.

Anhand des Kennzeichens lässt sich ablesen, dass der Wanderer in Schlesien („IK“) im Landkreis Hirschberg (Nummernkreis: 48801-49600) zugelassen war.

Zum Zeitpunkt der Aufnahme – wohl Mitte der 1930er Jahre – war der Wanderer schon einige Jahre in Gebrauch, wie der Zustand des Kennzeichens verrät:

Wanderer_W10-IV_RAD-Uniform_Frontpartie

Hier sieht man auch ein Merkmal früher Ausführungen des Wanderer W10-IV – die Scheibenräder mit sichtbaren Radmuttern. Im letzten Baujahr 1932 wurden diese durch verchromte Radkappen verdeckt.

Hinter der jungen Dame, die sich auf die Motorhaube des Wanderer stützt, erkennt man, dass die hintere Tür in Fahrtrichtung rechts geöffnet ist.

Demnach haben wir es nicht mit einem der vielen zeitgenössischen Autofotos zu tun, auf dem jemand neben einem Wagen fremder Leute posiert.

Wir dürfen also davon ausgehen, dass der uniformierte Herr auf der Fahrerseite entweder der Besitzer oder der Chauffeur des Wanderer war:

Wanderer_W10-IV_RAD-Uniform_Fahrer

Eine Umfrage unter den Mitgliedern des „Forum der Wehrmacht“ ergab, dass wir hier einen Angehörigen des Reichsarbeitsdienstes (RAD) vor uns haben.

Zu erkennen sind RAD-Leute an der Kombination aus Hakenkreuzarmbinde (für politische Organisationen) und dem spatenförmigen Aufnäher darüber.

Die Mitglieder des RAD waren ungeachtet der Armbinde nicht automatisch „Nationalsozialisten“ im politischen Sinne — schlicht deshalb, weil man sich dem anfänglich sechsmonatigen Pflichtdienst nicht entziehen konnte.

Strenggenommen handelte es sich beim Reichsarbeitsdienst um staatlich verordnete Zwangsarbeit, der man die Jugend des eigenen Volks unterwarf. Hauptziel war wie typisch für sozialistische Ideologien die strikte Einbindung des Einzelnen in ein übergeordnetes Kollektiv.

Wer über ökonomischen Sachverstand verfügt, wird sich nicht wundern, dass die wirtschaftliche Bedeutung des RAD unerheblich war. Der Mensch wirft sich im Frieden nur dann ins Zeug, wenn er starkem Konkurrenzdruck ausgesetzt ist oder für sich persönlich etwas herausholen kann.

Angesichts einer Bezahlung weit unter Hilfsarbeiterniveau und des Fehlens echter Erfolgsanreize blieb der RAD-Dienst letztlich die Vorstufe zum Militärdienst, auf den er im Lauf der Zeit immer stärker vorbereitete.

Offen bleibt, ob der RAD-Mann auf unserem Foto der Fahrer eines Funktionärs der Organisation war oder der Besitzer des Wanderer war, der ungeachtet einer herausgehobenen wirtschaftlichen Situation dienstverpflichtet war.

Das Foto zeigt einmal mehr: Bei der Beschäftigung mit Vorkriegsautos kommt man an der für uns oft fremden Lebenswirklichkeit unserer Vorfahren nicht vorbei…

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Vom Idyll ins Inferno: Wanderer W11 Kübelwagen

Heute befassen wir uns wieder einmal mit einer Gattung von Vorkriegsautos, die nicht jedermanns Sache ist – auf Zivil-PKW basierende militärische Kübelwagen.

So verständlich es ist, dass mancher hierzulande diesbezüglich Berührungsängste hat, so klar ist auch:

  • Die Zeit bis 1945 war nun einmal zu weiten Teilen von kriegerischen Konflikten geprägt – militärische Elemente waren auch sonst im Alltag unserer Vorfahren stark präsent, wobei sich die wenigsten das ausgesucht hatten.
  • Die einstigen Gegner schreckten ebenfalls vor Exzessen nicht zurück – seien es die gegen die Zivilbevölkerung gerichtete Nahrungsmittelblockade im 1. Weltkrieg oder die zur „Perfektion“ gebrachten Flächenbombardements im 2. Weltkrieg – dennoch wird bei den Alliierten die Militärgeschichte mit großer Ernsthaftigkeit gepflegt.
  • Über 70 Jahre nach Kriegsende – in einem auf friedliches Miteinander eingeschworenen Europa – darf man auch in Deutschland historische Militärfahrzeuge als das nehmen, was sie sind: politisch neutrale Zeugen ihrer Zeit.

Gehen wir im Folgenden auf eine Reise, die im Idyll vor dem deutsch-russischen Überfall auf Polen 1939 beginnt und irgendwann im Inferno des fortgeschrittenen 2. Weltkriegs endet.

Beginnen wir mit dieser anrührenden Aufnahme aus der Sammlung von Leser Klaas Dierks, die wohl Anfang der 1930er Jahre bei der historischen Grander Wassermühle in Schleswig-Holstein entstand:

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Wanderer W11 10/50 PS

Die Dame, die mit ihrem Schoßhund fotografiert wurde, sitzt auf dem Trittbrett eines Wanderer W11 10/50 PS – des 1928 vorgestellten ersten 6-Zylinderwagens der Marke.

Die Identifikation der hier beliebig erscheinenden Sechsfenster-Limousine war einfach.

Die beiden horizontalen Sicken in der Schwellerpartie, Größe und Anordnung der Luftschlitze in der Motorhaube und die geschüsselten Scheibenräder mit fünf Radbolzen sind typisch für den W11, mit dem Wanderer der damals starken US-Konkurrenz begegnete.

Wer skeptisch ist, sei auf den reichhaltig bebilderten Abschnitt zum W11 im Standardwerk „Wanderer Automobile“ von Erdmann/Westermann (Verlag Delius Klasing) und dort speziell auf Seite 111 verwiesen.

Wir haben den Wanderer dieses Typs außerdem bereits hier und hier anhand weiterer reizvoller Aufnahmen besprochen.

Seine Produktion endete 1932; doch das robuste Chassis mit hydraulischen Bremsen und kräftigem Motor sollte noch eine ganz eigene Karriere machen.

Die Rede ist von der Kübelwagenversion, die Wanderer ab 1931 als Typ 10/50 PS für die Reichswehr und ab 1935 in größeren Stückzahlen in leistungsgesteigerter Ausführung 12/60 PS für die Wehrmacht lieferte:

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Wanderer W12/60 PS Kübelwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Am Vorhandensein von Blechtüren ist dieser Wanderer Kübelwagen als die spätere 12/60 PS-Version zu erkennen. Der Vorgängertyp 10/50 PS besaß – wenn überhaupt – leichte Türen aus Segeltuch.

Interessant ist hier, dass die Tür auf der Beifahrerseite entfernt wurde – offenbar schätzte hier jemand die Möglichkeit, den Wagen bei Gefahr möglichst schnell verlassen zu können – das Argument für den ursprünglich türlosen Kübelsitzwagen schlechthin.

Über Ort und Datum des Fotos wissen wir nichts Genaues. Gegen eine Aufnahme aus Kriegszeiten sprechen trotz der Tarnüberzüge auf den Lampen zwei Details:

Wanderer_W11_12-60_PS_Kübelwagen_spät_Detail

Die 2-türige Limousine des Typs Hanomag „Rekord“ im Hintergrund besitzt noch nicht die nach Kriegsausbruch auch bei Zivilautos vorgeschriebenen Tarnscheinwerfer.

Außerdem verfügt der Wanderer W11 12/60 PS-Kübelwagen auf unserem Foto lediglich über einen kleinen Dreieckskanister als Reserve hinter dem Ersatzrad. 

Damit wäre man angesichts eines Kraftstoffverbrauchs von 15 Liter im Feld nicht weit gekommen, wenn der Treibstoffnachschub nicht gewährleistet war.

Wanderer_W11_12-60_PS_Kübelwagen_spät_Detail2

Auf den meisten Kriegsfotos, die Kübelwagen der unterschiedlichsten Hersteller im Einsatz zeigen, sind daher fast immer von der Besatzung zusätzlich angebrachte große Reservekanister zu sehen.

Dabei handelte es sich um die 20 Liter fassenden Wehrmachts-Einheitskanister, die in der ab 1939 gängigen Form bis heute gefertigt werden.

Eine Aufnahme eines Wanderer-Kübelwagens des Typs W11 12/60 PS mit einem solchen, improvisiert angebrachten Zusatzkanister haben wir hier:

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Wanderer W11 12/60 PS Kübelwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Wanderer führte eine Kolonne von Heeresfahrzeugen in flachem grasbewachsenen Gelände an, eventuell in Russland. Genaueres zur Situation wird man wohl nicht mehr sagen können.

Aus ganz anderer Perspektive und in entspannter, sommerlicher Atmosphäre wurde dagegen folgender Wanderer W11 Kübelwagen in der frühen Ausführung ohne Türen abgelichtet:

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Wanderer W11 10/50 PS oder 12/60 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die beiden Männer, die hier freundlich in die Kamera schauen, waren Angehörige der Luftwaffe, was nicht heißen muss, dass sie selbst zum fliegenden Personal gehörten.

Auf dem Trittbrett haben wir einen Unteroffizier (silbern eingefasste Schulterklappe, eine Schwinge auf dem Kragen). Vor dem Wanderer steht ein altgedienter Oberfeldwebel (silbern eingefasste Schulterklappe mit zwei Sternen, vier Schwingen auf dem Kragen).

Ein sachkundiger Leser konnte das Abzeichen auf der Brust des Oberfeldwebels als SA-Sportabzeichen identifizieren, das es bereits vor 1933 gab. An der Ordensspange darüber ist zumindest das Band für das Eiserne Kreuz zu erkennen, dass der Veteran vermutlich bereits im 1. Weltkrieg als Tapferkeitsauszeichnung  erhalten hatte.

Übrigens haben wir eine zweite Aufnahme des Oberfeldwebels zusammen mit weiteren Kameraden, darunter einem adretten Oberleutnant in Ausgehuniform:

unbek_WL_Frankreich_Ausschnitt

Im Hintergrund steht ein Wagen mit altmodischer Landaulet-Karosserie, der sich bislang nicht identifizieren ließ.

Der Verfasser vermutet, dass das Foto in Frankreich auf einem herrschaftlichen Anwesen entstand, wo die Luftwaffeneinheit untergebracht war und noch ein alter Wagen aus Familienbesitz herumstand.

Ideen und Hinweise zu der Aufnahme sind wie immer willkommen.

Nun aber zurück zum Wanderer W11 Kübelwagen, wobei wir in Frankreich bleiben, wie ein Detail auf folgendem Foto klar erkennen lässt:

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Wanderer W11 Kübelwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser Wanderer gehörte zum Heer, worauf die Kragenspiegel der Soldaten hindeuten. Sie gehörten offenbar zu einer Nachrichteneinheit – das verrät das taktische Zeichen auf der Heckklappe des Kübelwagens.

Hier haben wir übrigens eine frühe Ausführung des Wanderer W11 Kübelwagens mit Segeltuchtüren. Hinter dem Ersatzrad begegnet uns der putzige Reservekanister aus Friedenszeiten wieder.

Dass die Aufnahme jedoch im Krieg – und zwar während des Frankreichfeldzugs 1940 entstanden sein muss, das können wir folgendem Ausschnitt entnehmen:

Wanderer_W11_Kübelwagen_10-50_oder_12-60_PS_früh_ Maison_Cochart_Charleville_Ausschnitt

Auf den Holzkisten lässt sich „Maison Cochart“ und „Charleville“ entziffern. Der Ort liegt an der Maas nahe der belgischen Grenze und wurde bereits am dritten Tag des Frankreichfeldzugs von deutschen Panzerspitzen erreicht.

Am 14. Mai 1940 überquerten zehntausende deutscher Soldaten und tausende Fahrzeuge die Maas. Folgende Originalaufnahme mit umseitiger Beschriftung „Über die Maas, 1940“ muss in den darauffolgenden Tagen entstanden sein:

Mercedes_Maas_1940_Galerie

Übergang über die Maas 1940; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Die überrumpelte französische Armee – an sich gut ausgerüstet, doch mit dem Bewegungskrieg der Wehrmacht überfordert und schlecht geführt – räumte die Gegend um Charleville rasch.

Für die hinter der kämpfenden Truppe nachströmenden deutschen Einheiten war von nun an Selbstbedienung angesagt, wenn es Zeit und Vorgesetzte erlaubten.

Ein Beispiel dafür zeigt unsere Aufnahme der Nachrichtensoldaten, die ihren Wanderer-Kübelwagen und weitere Fahrzeuge mit Alkoholika aus der Region beluden.

An dieser Stelle könnte die Geschichte mit Bildern siegestrunkener Landser in Frankreich enden – wie einst in der Deutschen Wochenschau.

Doch wie schnell das Pendel auch beim „Blitzkrieg“ gegen Frankreich zurückschlagen konnte, hat ein Soldat der Nachrichteneinheit auf folgender Aufnahme festgehalten:

Wanderer_W11_Kübelwagen_10-50_oder_12-60_PS_früh_zerstört_Galerie

Wanderer W11 Kübelwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir denselben Wanderer W11 Kübelwagen wie auf dem vorigen Foto (vgl. Kennzeichen „WH 153614“) wohl nach einem Jagdbomberangriff der zu diesem Zeitpunkt noch aktiven, wenn auch wenig erfolgreichen französischen Luftwaffe

Man ahnt an den Blech- und Glaspartien die fatale Splitterwirkung des Angriffs, die vermutlich nicht nur dem Wagenpark der Einheit Verluste zugefügt hat.

Solche Aufnahmen zerstörter eigener Fahrzeuge sind recht selten. Die Situation hat den Wehrmachtssoldaten, der hier vermutlich erstmals mit der Realität des Kriegs konfrontiert wurde, offenbar zur fotografischen Verarbeitung genötigt.

Möglicherweise kann jemand etwas zu dem Divisionsabzeichen auf dem rechten Vorderschutzblech des Wanderer – offenbar ein Stadttor mit zwei Türmen – sagen. Der Verfasser hat in dieser Richtung bislang vergeblich recherchiert.

Wie der Weltkrieg für die einstigen Soldaten ausgegangen ist, aus deren aufgelösten Fotoalben die hier vorgestellten Aufnahmen von Wanderer-Kübelwagen stammen, wissen wir nicht.

Die Produktion des Wanderer-Kübelwagens endete 1941, der schwere Wagen mit seinem Sechszylinder aus den 1920er Jahren war veraltet. Das Konzept des leichten und anspruchslosen Kübelwagens auf Volkswagenbasis setzte sich durch.

Dennoch müssen einige Wanderer Kübelwagen bis Kriegsende 1945 durchgehalten haben. Eine handvoll davon existiert heute noch in Museen oder in Sammlerhand.

Ein besonders eindrucksvolles Exemplar steht im Horch-Museum in Zwickau, wo die Geschichte der vier zum Auto-Union-Verbund gehörenden Marken eindrucksvoll präsentiert wird:

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Wanderer W11 12/60 PS Kübelwagen; Bildquelle: Wikimedia

Dieser unrestauriert gebliebene Wanderer muss nach dem Krieg irgendwo noch eine Weile mit einer hellen Lackierung seinen Dienst geleistet haben. Auch die nachträglich angebrachte Stoßstange von einem Zivilmodell weist darauf hin.

Damit endet unsere Zeitreise „vom Idyll ins Inferno“. Sie erinnert daran, welche Konsequenzen es haben kann, wenn ein Volk in den entscheidenden Fragen seiner Existenz nicht nach seiner Meinung gefragt wird…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

 

 

Tradition und Moderne in Harmonie: Wanderer W 21/22

Die Sehnsucht nach dem Vorkriegsautomobil speist sich aus vielen Quellen. Dabei ist es keineswegs so – wie man bisweilen hört – , dass die Autos einst unverwechselbar waren. Das trifft gerade auf die frühen Modelle bis Ende der 1920er Jahre oft nicht zu.

Der letzte Eintrag in diesem Blog für Vorkriegsoldtimer war ein gutes Beispiel dafür – denn nur auf dem Umweg über eine andere Aufnahme ließ sich ein Auto der frühen 1920er Jahre als Benz 10/30 PS Tourenwagen ansprechen.

Nein, der Verfasser sieht den Reiz der Vorkriegsautos nicht zuletzt darin, dass ihre Formensprache jahrhundertealten Traditionen verhaftet war. Noch in den 1930er Jahren waren PKW daher optisch keine Störfaktoren in unseren Altstädten.

Dieser Ausschnitt aus einer historischen Postkarte, die den Marktplatz in Wernigerode zeigt, mag dies illustrieren:

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Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Vor dem 500-jährigen Rathaus der sehenswerten Kleinstadt in Sachsen-Anhalt stehen vier Automobile, wie sie typischer für die 1930er Jahre kaum sein könnten  – ein DKW, ein Adler, ein Opel und ein Ford – aufgereiht nach Größe und Leistung.

Um diese Wagen soll es aber hier gar nicht gehen, sie sollen nur die Harmonie von traditioneller Formgebung und Technik illustrieren, die vor dem radikalen Einbruch moderner Gestaltungsprinzipien noch möglich war.

Der eigentliche Gegenstand der heutigen Betrachtung verbirgt sich auf einer Aufnahme, die vielleicht noch eindrucksvoller zeigt, wie sich das Automobil einst in eine über Jahrhunderte gewachsene Umwelt einfügte.

Bemerkenswert ist schon einmal, dass die Anwesenheit von Autos auf folgender Aufnahme zunächst gar nicht auffällt – so übermächtig ist der Eindruck des traditionellen Bauernhofs bei Hohwacht an der Ostsee:

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Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Auch auf die Gefahr hin, sich bei Angehörigen der Architektenzunft unbeliebt zu machen, vertritt der Verfasser die Ansicht, dass heute kaum jemand imstande ist, ein derartig großzügiges Gebäude so gefällig und dauerhaft zu gestalten.

Wer auch immer vor rund 80 Jahren dieses Foto machte, hatte Sinn für die malerische Szene und nahm die vor dem herrlichen Bau abgestellten Autos wohl kaum war.

Das ländliche Idyll mit Ententeich im Vordergrund vermochten die paar Wagen jedenfalls nicht zu stören, sonst wäre das Foto kaum entstanden.

Respektieren wir die Magie des hier festgehaltenen Augenblicks und nähern uns behutsam dem Gegenstand des heutigen Blog-Eintrags:

Wanderer_W21-22_DKW_Hohewacht_Ausschnitt1

Links und in der Mitte sehen wir wahrscheinlich Wagen der sächsischen Marke DKW, deren frontgetriebene Zweitakter zu den erfolgreichsten Typen im Deutschland der 1930er Jahre gehörten.

Uns interessiert aber das danebenstehende Vierfenster-Cabriolet mit Zweifarblackierung und zwei Reihen Luftschlitzen in der Motorhaube. 

Bei Lesern dieses Blogs und Kennern der deutschen Vorkriegsautohistorie wird gleich der Groschen fallen – dass muss ein Wanderer des 6-Zylindertyps W21 oder W22 sein:

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Wanderer W21/22, Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Wer auf der vorangegangenen Ausschnittsvergößerung genau hinsieht, wird sogar die Silhouette der typischen Kühlerfigur des Wanderer erkennen.

Die beiden 1933 vorgestellten Sechszylindertypen mit 35 bzw. 40 PS sollten vor allem in formaler Hinsicht Modernität ausstrahlen. Dazu erhielten sie eine ursprünglich für einen Horch–Achtzylinder vorgesehene dynamisch wirkende Kühlergestaltung.

Wir finden die mit breiten, v-förmig nach oben strebenden Lamellen ausgestattete Kühlerpartie beispielsweise auf dieser Aufnahme aus dem Hamburger Raum:

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Wanderer W21 oder W22; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Das Fehlen der vier Auto-Union-Ringe auf dem Kühler verweist übrigens auf einen Wanderer W21 oder W22 des Jahres 1933. 

Beide Typen verfügten über hydraulische Vierradbremsen, besaßen aber ein vibrationsanfälliges Fahrwerk – wohl die einzige Schwäche der Konstruktion.

Was die Bauweise angeht, verfügte die Karosserie des Wanderer W21 /22 noch über einen traditionellen Rahmen, der mit Blech beplankt wurde. Bei der Stückzahl von knapp 10.000 Exemplaren lohnte sich der Aufwand für eine eigenständige Ganzstahlkarosserie nicht.

So übernahm das Horch-Werk in Zwickau Gestaltung und Bau der Limousinen – wie übrigens für die anderen Marken im Auto Union-Verbund auch.

Das 4-Fenster-Cabriolet auf unserem Foto wurde aber von Gläser in Dresden gefertigt:

Wanderer_W21-22_DKW_Hohewacht_Ausschnitt2 Dieser klassische Aufbau war ab Werk nur für den Wanderer W22 verfügbar.

Ob „unser“ Wagen über die als Zubehör lieferbaren Drahtspeichenräder verfügte, lässt sich auf dem Ausschnitt nicht eindeutig sagen. Das Schema der Zweifarblackierung der Karosserie entspricht jedenfalls den Angaben in der Literatur.

Dort findet sich auch die Stückzahl des Cabriolets – gut 2.000 Exemplare wurden von 1933 bis 1935 gebaut (vgl. Erdmann/Westermann: Wanderer Automobile, Verlag Delius-Klasing, 2011).

Separate Fahrgestelle wurden vom Wanderer W21/22 übrigens nicht geliefert, sodass wir andere Karosseriebauer ausschließen können.

Nehmen wir Abschied von der ländlichen Szene und dem schönen Wanderer W22 Cabrio, das einst an einem sonnigen Tag im Schatten eines der typischen mächtigen Bauernhäuser in Norddeutschland abgestellt wurde.

Machen wir stattdessen ein Sprung in die Moderne – an eine DEROP-Tankstelle:

Wanderer_W21-22_Tankstelle_Sachsen_Galerie

Wanderer W22; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auf dem Originalabzug kann man auf der Karte mit dem DEROP-Tankstellennetz links oben die Ortsnamen Heidenau, Pirna und Schandau sowie Bautzen und Zittau lesen – dies erlaubt die Lokalisierung in Sachsen.

DEROP stand übrigens für Deutsche Vertriebsgesellschaft für russische Oel-Produkte, die Benzin aus der Sowjetunion an rund 2.000 Tankstellen im Deutschen Reich verkaufte. 1935 wurde die DEROP von der ARAL-Mutter BV übernommen.

Ob die alten Markenschilder dann gleich entfernt wurden, ist dem Verfasser nicht bekannt. Falls ja, könnten wir auch den Entstehungszeitpunkt des Fotos auf spätestens 1935 eingrenzen.

Interessanter ist aber der Wanderer in der Ausführung als Sechsfenster-Limousine, der hier Halt gemacht hat. Auch dieser Aufbau war nur beim W22 8/40 PS verfügbar, der schwächere W 21 wurde mit vier Fenstern oder als Cabrio-Limousine angeboten.

Gut erkennbar ist hier wiederum die dynamische Frontpartie mit den markanten Kühlerlamellen, die es so nur 1933 gab und natürlich die Haube mit den in zwei  Reihen angeordneten Luftschlitzen.

Mehr als 2.500 dieser Wagen wurden im Horch-Werk sowie aus Kapazitätsgründen auch von Hornig in Meerane und Reutter in Stuttgart gefertigt. 5.250 Reichsmark waren dafür hinzulegen, das Gläser-Cabrio war mit 6.250 Mark noch teurer.

So schön diese Wanderer Sechszylinder-Typen der frühen 1930er Jahre auch waren, blieb ihnen nur eine kurze Blüte vergönnt. Denn ab 1934 eroberte der weit billigere 2 Liter-Sechszylinder von Opel im Sturm den Markt.

Damit schließt sich der Kreis, denn genau solch ein Modell ist auf der eingangs gezeigten Postkarte aus Wernigerode im Vordergrund zu sehen:

Opel_2_Liter_Wernigerode

Im Vergleich zum eleganten Wanderer wirkt der Opel – auf den der Bub am Brunnen einen neugierigen Blick zu werfen scheint -weit sachlicher und behäbiger. Dabei konnte der Rüsselsheimer in punkto Fahrleistungen durchaus mit dem Sachsen halten.

In der Karosserieform kündigt sich das Ende der Epoche mit sinnlich geschwungenen Schutzblechen an, auch auf das edle Mehrfarbschema des Wanderer musste der Opel-Käufer verzichten.

Von hier bis zur Moderne im Karosseriebau war es nicht mehr weit. Nur fünf Jahre später entstanden in den USA die ersten Pontonkarosserien. Damit begann eine neue Zeit, die ihre eigenen Glanzseiten bot, doch die Vorkriegswelt mit ihrer ungebrochenen formalen Tradition war ein für allemal passé…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

Ein weiter Weg bis zum Wanderer 6/30 PS Typ W10

Ein weiter Weg war es vom ersten Auto-Entwurf der sächsischen Wanderer-Werke aus dem Jahr 1906 bis zum Typ W10 der späten 1920er Jahre, von dem wir heute zwei Exemplare zeigen wollen.

Am Anfang stand dieses Gefährt:

Wanderermobil_1906_Galerie

Wanderer W1; historische Postkarte des Verkehrsmuseums Dresden

Hier sehen wir den Wanderer W1, ein 1906 konstruiertes Einzelstück mit 12 PS-Zweizylindermotor.

Das war auf Anhieb ein richtiges Auto – sogar den modernen Kardanantrieb hatte man verbaut, als andere Hersteller noch auf Kettenantrieb setzten.

Mangels Fertigungskapazitäten sahen die Wanderer-Werke von einer Serienproduktion des W1 ab – der Bau von (auch motorisierten) Zweirädern und Schreibmaschinen ließ vorerst keinen Raum für vierrädrige Experimente.

Dass der Prototyp des Wanderer W1 noch im Verkehrsmuseum Dresden existiert, ist ein seltener Glücksfall – der Wagen ist sogar original erhalten.

Noch 1906 konstruierte man außerdem einen Vierzylinderwagen, der aber ebenfalls über das Prototypenstadium nicht hinauskam, das war der Wanderer W2.

Dennoch ließ das Projekt Automobilbau die Oberen von Wanderer nicht los. Überliefert ist unter anderem, dass man ein Exemplar eines 5/15 PS Wagens orderte, das ein gewisser Ettore Bugatti unter der Typbezeichnung 13 konstruiert hatte.

Beinahe wäre es zu einer Bugatti-Lizenzfertigung durch Wanderer gekommen, doch die Sachsen vertrauten auf das eigene Können.

So kam es 1911 zur Entwicklung des ersten Serienwagens von Wanderer – des Typs W3 – von dem wir ein Exemplar auf folgender Aufnahme sehen:

Wanderer_Puppchen_Auto_BayerEtMunKol1916_Dierks_Galerie

Wanderer W3; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Dieses Foto verdanken wir einmal mehr Vintagefoto-Sammler Klaas Dierks. Es zeigt den ab 1913 in Serie hergestellten Wanderer W3 im Kriegseinsatz 1916.

Ein vom Volksmund als „Puppchen“ bezeichnetes Auto mit 2 Sitzen und 12 PS  als Militärfahrzeug? Nun, das war alles andere als abwegig. Der leichte Wanderer W3 5/12 PS erwies sich im 1. Weltkrieg als durchaus fronttauglich.

Während „hohe Tiere“ in für den Geländeeinsatz ungeeigneten Prestigewagen herumkutschiert wurden, lernten fronterfahrene Unterführer bald die Qualitäten des wendigen Wanderer als Aufklärungs- und Kurierfahrzeug schätzen.

Kein Wunder, dass die Produktion des Wanderer W3 für das Militär ab 1915 immer weiter anstieg. Eindrucksvoll vor Augen führt das folgende Aufnahme, die im November 1917 irgendwo in Siebenbürgen (heute Rumänien) entstand:

Wanderer_W3_Siebenbürgen_11-1917_Dierks_Galerie

Wanderer W3; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Dieses preisverdächtige Foto zeigt rund 30 Wanderer W3 bei einer Militäreinheit, leider wissen wir nichts Genaueres zu diesem außergewöhnlichen Dokument.

In der dem Verfasser zugänglichen Literatur zu Wanderer findet sich keine damit vergleichbare Aufnahme, die nebenbei wieder Klaas Dierks beigesteuert hat.

Schnitt und Szenenwechsel. Gut zehn Jahre später, im März 1928 wurde folgende friedliche Situation fotografisch festgehalten:

Wanderer_W8_5-20_PS_und_W_10-1_Cabrio_WerdenhagenMV_Dierks_03-1928_Galerie

Wanderer-Automobile; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Zum Zeitpunkt der Aufnahme aus dem Fundus von Klaas Dierks war der Wanderer erwachsen geworden. Das einstige „Puppchen“ war behutsam, aber stetig weiterentwickelt worden.

Die letzte mit dem Wanderer W3 zumindest noch äußerlich verwandte Generation sehen wir auf dem Foto im Hintergrund, einen Typ W8:

Wanderer_W8_5-20_PS_und_W_10-1_Cabrio_WerdenhagenMV_Dierks_03-1928_Ausschnitt1

Typisch für den Wanderer W8 waren zunächst die Drahtspeichenräder und der flotte Schwung des Heckschutzblechs.

Während der langen Produktionsdauer (1921-27) erfuhr der W8 eine Leistungssteigerung von 15 auf 20 PS. Das ab 1925 verfügbare stärkere Modell erhielt zudem einen vernickelten Kühler und ab 1926 Stahl-Speichenräder.

Demnach scheint „unser“ Wanderer W8 ein Typ 5/20-Modell aus der Übergangszeit 1925/26 zu sein. Was war aber eigentlich mit den auf das „Puppchen“ W3 folgenden Wanderer-Typen W4 bis W7?

Nun, W4 und W5 waren Prototypen, die kriegsbedingt nicht in Serie gingen. Der 1920 vorgestellte Wanderer W6 wurde nur in wenigen Exemplaren hergestellt.

Sein 6/18 PS-Motor basierte noch auf Vorkriegstechnik, während man dem Aggregat des bewährten 5/15 Typs im Zylinderkopf hängende Ventile verpasste.

Der damit ausgestattete Wanderer W8 war nicht nur das modernere Auto, es sollte auch die tragende Säule des PKW-Geschäfts der Marke werden. Nichts in Erfahrung bringen ließ sich über den Wanderer W7, den es ebenfalls gegeben haben muss.

Selbst das Standardwerk „Wanderer Automobile“ von Erdmann/Westermann (Verlag Delius-Klasing) schweigt sich dazu aus. Weiß ein Leser mehr?

Zurück zu dem atmospärischen Foto von Klaas Dierks:

Wanderer_W8_5-20_PS_und_W_10-1_Cabrio_WerdenhagenMV_Dierks_03-1928_Ausschnitt2Die versonnen lächelnde junge Dame, deren Mantel perfekt zum Zweifarbschema des 2-Fenster-Cabriolets neben ihr passt, weiß natürlich, was das für ein Auto ist.

Die Kühlerjalousie aus Kunstleder zur Regulierung der Luftzufuhr in der kalten Jahreszeit scheint aber alle Hinweise auf den Hersteller zu  verdecken.

Könnte das ein amerikanischer Wagen sein? Vom Stil her schon, wobei die US-Massenfabrikate der 1920er Jahre noch stämmiger und hochbeiniger daherkamen – sie mussten auch mit unbefestigten Wegen klarkommen.

Zum Glück zeigt die Aufnahme ein Detail, das das Auto als Wanderer ausweist:

Wanderer_W8_5-20_PS_und_W_10-1_Cabrio_WerdenhagenMV_Dierks_03-1928_Ausschnitt3Die Rede ist von den markant gestalteten Leuchten auf den Schutzblechen. Das sind aber keine Positionslichter, die nachts als Standlicht fungierten.

Es handelt sich um eine der wenigen Innovationen, die man mit der konservativen Firma Wanderer verbinden kann: elektrische Fahrtrichtungsanzeiger!

Sie waren als orangerot leuchtende Pfeile ausgestaltet und wurden vom Armaturenbrett aus manuell betätigt. Ergänzt wurden diese Richtungsanzeiger durch einen senkrechten Pfeil in Kühlermitte, der bei Geradeausfahrt leuchtete.

Diese durchdachte Einrichtung war bei Wanderer ab 1927 verfügbar. Demnach wird es sich bei dem schicken Cabrio um einen Typ W10 6/30 PS handeln, der im Herbst 1926 auf den Markt kam.

Dem neuen Modell hatte man nicht nur einen deutlich leistungsfähigeren Motor spendiert, sondern auch Linkslenkung und gestängebetätigte Vierradbremsen.

Vorbei waren außerdem die Zeiten der außenliegenden Handbremse, die man an dem hinteren Wagen auf dem Foto gut erkennen kann.

Formal hatte man die typische Wanderer-Optik beibehalten, wobei der Typ W10 um einiges größer war als der W8. Das war längst kein „Puppchen“ mehr, sondern ein eindrucksvolles Automobil der Mittelklasse:

Wanderer_W10-1_12_08_1928_Galerie

Wanderer W10-I; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Mit dieser stimmungsvollen Aufnahme aus dem Hochsommer 1928 – also aus demselben Jahr wie das Foto des 2-Fenster-Cabriolets – endet dieser kleine Rundgang durch die Geschichte der einst so geschätzten Marke Wanderer.

Nicht genau sagen lässt sich, ob wir hier einen W10-I oder W10-III sehen. Die beiden Typen sahen sich verflixt ähnlich, sie unterschieden sich hauptsächlich darin, dass der W10-III ab Ende 1927 mit einem 6-Zylinder-Motor daherkam, der wie der Vierzylinder des W10-I rund 30 PS leistete, aber drehfreudiger war.

So ein Wagen machte damals einiges her – und das nicht nur auf dem Lande, wo die Ernte zum größten Teil noch von Hand eingebracht wurde:

Wanderer_W10-1_12_08_1928_Ausschnitt

Ein erwachsenes und leistungsfähiges Auto wie dieses blieb auch für viele Städter im Deutschland der späten 1920er Jahre ein unerreichbarer Traum.

Nur einige tausend Exemplare dieser ausgezeichnet verarbeiteten und ansprechenden Wanderer-Wagen wurden gebaut, darunter solche mit Aufbauten von Karosseriefirmen wie Gläser, Hornig und Zschau.

Wer einst dieses schöne Wanderer W10-Cabriolet baute, verbleibt aufgrund der Qualität des Abzugs aber wohl im Dunkel der Geschichte…

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Offenes Geheimnis: Wanderer 10/50 PS Cabriolet (W11)

Der gestrige Blogeintrag befasste sich mit der Herausforderung, die die preisgünstigen 6-Zylinderwagen aus US-Großserienproduktion ab Mitte der 1920er Jahre für die rückständige deutsche Autoindustrie darstellten.

Eine der frühesten Antworten darauf gab die Frankfurter Marke Adler im Jahr 1927 mit dem Typ „Standard 6“, den wir (nebst Verwandten wie dem „Favorit“)  schon besprochen haben – in zeitgenössischen Originalfotos, versteht sich.

1928 folgte im sächsischen Chemnitz die bis dahin ebenfalls im Tiefschlaf liegende Marke Wanderer. Aus dem Motor des grundsoliden, aber der Konkurrenz aus Übersee unterlegenen Vierzylindertyps 10/30 PS (W10) leitete man einen Sechszylinder ab, der aus 2,5 Liter Hubraum beachtliche 50 PS leistete.

Damit sicherte man sich zugleich produktionstechnische Vorteile, denn das neue Aggregat hatte viele Teile mit dem parallel weitergebauten Vierzylinder gemeinsam.

Mit dem weich laufenden, kraftvollen Antrieb und einer nach US-Vorbildern überarbeiteten Frontpartie rückte Wanderer eine ganze Klasse nach oben.

Wie eindrucksvoll die neuen 10/50 PS-Wagen daherkamen, das konnten wir bereits vor längerem an dieser schönen Aufnahme sehen:

Wanderer_W11_10-50_PS_Limousine_Galerie

Wanderer 10/50 PS (W11); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier hatten die Techniker und Gestalter von Wanderer endlich ganze Arbeit geleistet. Damit konnte man sich blicken lassen!

Neben dem 6-Zylindermotor, der schaltfaules Fahren erlaubte, hatte man dem neuen Spitzenmodell hydraulische Vierradbremsen spendiert. Die Kühlermaske war nun voll verchromt und besaß von innen verstellbare Lamellen.

Neu war auch das geflügelte „W“, das Vertriebsvorstand von Oertzen ersonnen hatte – er war auch bei der Imagekampagne federführend, die Wanderer damals erfolgreich in die Reihe der gehobenen Adressen rückte.

Die Scheibenräder, die profilierten Schutzbleche, die Fahrtrichtungsanzeiger auf denselben, die Positionsleuchten sowie die Doppelstoßstange behalten wir an dieser Stelle im Hinterkopf – darauf kommen wir zurück.

Hier nun die eigentliche Aufnahme, um die es heute gehen soll – sie wurde uns von Leser Marcus Bengsch zur Verfügung gestellt, der aus seiner Sammlung bereits zwei hochkarätige Fotos von Röhr-Automobilen beigesteuert hat (hier und hier):

Wanderer_W11_1929-30_Harzburg_Pfingsten_1932_Sammlung_Bengsch_Galerie

Wanderer 10/50 PS (W11); Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Auf den ersten Blick glaubt man kaum, dass dieser kompakt erscheinende Wagen ebenfalls ein Sechszylindertyp von Wanderer ist – noch dazu aus derselben Zeit.

Die andersartige Wirkung hat zum einen mit der hellen Lackierung zu tun, zum anderen mit dem Aufbau als zweitüriges Cabriolet.

Kein Wunder, dass der Verfasser das Auto erst einmal in die Vierzylinderschublade steckte – die zeitgleich mit dem Wanderer W11 gebauten kleineren W10/III-Modelle waren optisch entsprechend aufgewertet worden.

Der hohe Schweller mit den beiden horizontalen Sicken ist aber ein untrügliches Zeichen, dass wir hier tatsächlich ein 6-Zylindermodell vor uns haben. Auch die Größe der Insassen in Relation zum Aufbau verrät: das ist ein erwachsenes Auto!

Nun aber zu den Details – hier die Frontpartie in der Vergrößerung:

Wanderer_W11_1929-30_Harzburg_Pfingsten_1932_Sammlung_Bengsch_Frontpartie

Wir sehen wieder: schüsselförmige Scheibenräder, verchromte Doppelstoßstange, Chromkühler mit lackierten Lamellen, Wanderer-Emblem und -Kühlerfigur sowie die ausgeprägten Sicken in den Schutzblechen.

Auch die vollverchromten Scheinwerfer entsprechen dem Erscheinungsbild der Limousine. Die Scheibenräder wurden im Frühjahr 1929 eingeführt. Kühler und Schutzbleche in dieser Ausführung gab es nur bis Ende 1930.

Anhand dieser Beobachtugen können wir die Bauzeit beider Autos recht genau eingrenzen: 1929/30 – das ist nicht immer so einfach. Doch aufmerksame Leser werden sich fragen: Was ist mit den Fahrtrichtungsanzeigern passiert?

Ein interessanter Punkt, denn sie wichen erst Ende 1930/Anfang 1931 Winkern – am Frontscheibenrahmen. Die Erklärung hat mit dem „offenen Geheimnis“ zu tun, das im Titel dieses Blogeintrags anklang.

Denn wer sich näher mit der Marke Wanderer befasst, stellt fest, dass es bei den offenen Varianten eine enorme Vielfalt an Karosserien und Detaillösungen gab. Das gilt besonders für das hier gezeigte zweitürige Cabriolet:

Wanderer_W11_1929-30_Harzburg_Pfingsten_1932_Sammlung_Bengsch_Seitenpartie

Ganz offensichtlich ist dies ein viersitziges Fahrzeug, doch die Ausführung mit nur zwei Türen und zwei Fenstern lässt den Wagen beinahe sportlich wirken.

Es ist wohl kein Zufall, dass die reizvollsten Karosserien auf Basis des Wanderer 10/50 PS (W11) eine Variation über dieses Thema darstellten.

Die Literatur („Wanderer Automobile“ von Thomas Erdmann/Gerd G. Westermann, Verlag Delius Klasing) führt als Hersteller solcher zweitüriger Cabrios auf Basis des Wanderer W11 einige der angesehensten deutschen Karosseriebauer auf:

  • Gläser aus Dresden, Baur und Reutter aus Stuttgart, Drauz aus Heilbronn, Hebmüller aus Wülfrath, Neuss aus Berlin und Zschau aus Leipzig.

Im Unterschied zu Mercedes-Benz etwa gab es bei Wanderer keine Werkskarosserien. Allenfalls bei der Limousine darf man annehmen, dass viele davon einen konventionellen Aufbau von Ambi-Budd erhielten.

Die offenen Karosserien dagegen waren individuell und das könnte das Fehlen der Blinker auf den Kotflügeln erklären. Vielleicht sind sie auch später ersetzt wurden, als Winker auf Türhöhe statt am Fensterrahmen angebracht wurden.

Wie auch immer: An der Identifikation des Wagens als Wanderer 10/50 PS (W11) von 1929/30 kann kaum ein Zweifel herrschen. Nur das „offene Geheimnis“ hätte der Verfasser gern noch geklärt: Wer war der Lieferant dieses Aufbaus?

Vermutlich nicht dabei helfen wird folgende Information, die der Rückseite des Abzugs zu entnehmen ist: Demnach entstand dieses Foto an Pfingsten 1932 in Bad Harzburg (Niedersachsen), das Kennzeichen passt dazu.

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Rarer Auftritt in Paris: Wanderer W22 „Phaeton“

Auf einem Oldtimerblog, der Vorkriegsautos auf historischen Originalfotos vorstellt, taucht man immer wieder tief in die an Katastrophen reiche europäische Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein.

In den Momenten, die auf Schwarzweißfilm verewigt wurden, ist mitunter mehr an Geschehen verdichtet, als es auf den ersten Blick erscheint.

Wenn sich dann noch eine automobile Rarität darauf entdecken lässt, dann ist das „großes Kino“ und ersetzt einige Stunden blutleeren Geschichtsunterrichts.

Nehmen wir zur Illustration diese Aufnahme hier:

Wanderer_W22_Phaeton_Plymouth_1937_Peugeot_402_Galerie

Champs-Elysées in Paris; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Wenn Absolventen moderner Bildungsanstalten hier auf eine Szene „vor dem Brandenburger Tor“ tippen, kann man es ihnen nicht verdenken.

Die Zeiten, in denen selbst Volksschüler die ikonischen Bauwerke europäischer Großstädte kannten und nebenbei noch die Rechtschreibung beherrschten, sind dank einer auf einheitlich niedriges Niveau abzielenden Bildungspolitik vorbei.

Leser dieses Blogs – die wohl ein ans Pathologische grenzendes historisches Interesse haben müssen – und Anhänger der Tour de France natürlich werden aber den Arc de Triomphe auf den Pariser Champs Elysées erkennen.

Das zeitliche Zusammenfallen dieses Blogeintrags vom 8. Mai 2017 mit dem Triumphzug des als „jung und unabhängig“ inszenierten französischen Präsidentschaftskandidaten Macron ist übrigens rein zufällig.

Dass zum Zeitpunkt des Entstehens dieser Aufnahme in Paris ganz andere Machtverhältnisse herrschten, die bis heute in der europäischen Politik nachhallen, zeigt sich bei näherem Hinsehen:

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Der mattlackierte Wagen links ist eindeutig ein Militärfahrzeug, und zwar ein Peugeot des 1935 vorgestellten Stromlinientyps 302 oder 402. Exemplare dieses Modells waren in großer Zahl bei der französischen Armee im Einsatz.

Nach dem siegreich beendeten deutschen Frankreichfeldzug im Sommer 1940 wechselten die meisten dieser hochwertigen und leistungsfähigen Wagen den Besitzer – das war offenbar auch hier der Fall.

Auf dem Originalabzug sind die Anfangsbuchstaben des Kennzeichens zu lesen: „WL“ gefolgt von sechs Ziffern. Diese Kombination verweist auf eine Registrierung bei der deutschen Luftwaffe (WL: „Wehrmacht Luftwaffe“).

Damit hätten wir den frühestmöglichen Entstehungszeitpunkt unseres Fotos: Sommer 1940. Auf die bis 1944 anhaltende deutsche Besatzungszeit weist auch der für die Champs Elysées ungewöhnlich geringe Autoverkehr hin.

Die meisten brauchbaren PKW im besetzten Teil Frankreichs wurden für die Wehrmacht beschlagnahmt – was die deutschen „Volksgenossen“ zu diesem Zeitpunkt in den meisten Fällen übrigens bereits hinter sich hatten.

Was lässt sich nun zu den beiden anderen Autos sagen, die in voller Fahrt abgebildet sind? Schauen wir auch hier genauer hin:

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Beginnen wir mit dem hinteren Fahrzeug – ein amerikanisches Fabrikat. Er ist anhand der Literatur schnell als Plymouth P4 des Modelljahrs 1937 identifiziert.

Mit dem dank Ganzstahlkarosserie robusten, komfortablen und gut motorisierten Modell (3,3 Liter, 6 Zylinder, 80 PS) landete Plymouth in der Mittelklasse einen enormen Erfolg: über 566.000 Stück wurden vom P4 in nur einem Jahr gefertigt!

Konstruktiv und gestalterisch war der Plymouth dem Wagen im Vordergrund in jeder Hinsicht eine ganze Generation voraus. Einzige Gemeinsamkeit der beiden ist die Aufschrift „NSV“ auf dem rechten Kotflügel – darauf kommen wir noch zurück.

Nun endlich zur versprochenen Rarität.

Zunächst erschien der vordere Wagen konventionell; klar war, dass es ein Wanderer sein musste. Form und Neigung der Kühlermaske sprechen dafür, außerdem ist auf dem Abzug das auf dem Kühler thronende „Wanderer“-Emblem zu erahnen.

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Nicht zu erkennen ist, ob die Streben im Kühlergrill senkrecht oder schräg verlaufen – damals ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal der Modellgenerationen der sächsischen Traditionsmarke.

Doch zum Glück gibt uns etwas anderes den entscheidenden Hinweis, nämlich die sichelförmigen, vollverchromten Halterungen der ausstellbaren Frontscheibe. 

Nur ein Wanderer-Modell der 1930er Jahre zeichnet sich durch dieses Detail aus: Der Tourenwagen auf Basis des Modells W22, der unter der damals schon veralteten Bezeichnung „Phaeton“ angeboten wurde.

Die Meriten des ab 1933 gebauten Wanderer W22 und seines schwächeren Pendants W21, die mit den 6-Zylindertypen 170 und 200 von Daimler-Benz konkurrieren sollten, haben wir im damaligen Bildbericht ausführlich gewürdigt.

Leider blieb der Erfolg trotz herausragender Technik und eleganter Formgebung hinter den Erwartungen zurück; die klassische Mercedes-Kundschaft bevorzugte die konservativen Modelle aus Stuttgart.

Daran änderte auch die ab 1934 größere Karosserievielfalt beim Wanderer W22 nichts, zu der die Tourenwagenversion auf unserem Foto beitrug. Sie wurde übrigens bei der Berliner Karosseriebaufirma Buhne gefertigt.

Sofern das Auto-Union-Emblem – also die vier Ringe, die heute Audi verwendet – nicht verlorengegangen ist, erlaubt sein Fehlen eine Datierung des Wagens auf Anfang Juni 1934.

Denn erst in diesem Monat wurde die Tourenwagenvariante vorgestellt und noch im Juni wurde auch bei Wanderer das zuvor fehlende Auto-Union-Emblem angebracht.

Erstaunlicher als die genaue Eingrenzung des Produktionszeitpunkts ist etwas anderes: Von der Tourenwagenversion des Wanderer W22, die wir hier auf den Pariser Champs Elysées sehen, wurden nur 109 Stück gebaut!

Ein historisches Foto dieser raren Ausführung des Wanderer W22 zu finden, ist bereits außergewöhnlich. Dann aber noch eines mit einem so prominenten Aufnahmeort und unter so speziellen Bedingungen, das ist bemerkenswert.

Oder vielleicht doch nicht?

Die Tourenwagenvariante des Wanderer W22 wurde nur an Behörden ausgeliefert, in unserem Fall an die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV), ab 1933 die dominierende Wohlfahrtsorganisation des NS-Regimes.

Wer außer privilegierten Vertretern der Staatsmacht hätte im 2. Weltkrieg Mittel und Möglichkeit gehabt, im Tourenwagen über die Champs Elysées zu paradieren?

Für Parteigänger gibt es in totalitären Systemen ja immer besondere Anreize und Belohnungen. So konnten sich hier vermutlich „verdiente“ NSV-Bonzen aus der Heimat auch einmal als Sieger fühlen.

Insofern also wohl gar nicht so zufällig, diesen Wagen in einer solchen Konstellation anzutreffen. Aber ungeheuer selten bleibt so eine Aufnahme dennoch.

Wenn auch nur einer dieser wenigen Wanderer W22-Tourenwagen die Wirren des 2. Weltkriegs, den schmählichen Rückzug der deutschen Besatzer und die kargen Nachkriegsjahre überlebt hätte, wäre dies umso erstaunlicher…

Verwendete Literatur:
Thomas Erdmann/Gerd  G. Westermann: Wanderer Automobile, Verlag Delius-Klasing, 2. Auflage 2011

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

Lässt Mercedes alt aussehen: Der Wanderer W 21/22

Dieser Oldtimerblog speziell für Vorkriegsautos kennt keine Vorlieben für bestimmte Marken. Der Anspruch ist, ein möglichst vollständiges Bild der einstigen Markenvielfalt im deutschsprachigen Raum zu zeichnen.

Das Besondere – um nicht zu sagen: Einzigartige – besteht darin, dass das heutige Angebot an historischen Automobilfotos als Grundlage dient.

So kommen auch Marken und Typen zu ihrem Recht, die fast völlig vergessen sind, aber einst hochbedeutend waren – NAG und Presto beispielsweise.

Außerdem lässt sich so vermeiden, heute als besonders prestigeträchtig angesehenen Marken mehr Raum einzuräumen als ihnen gebührt.

Heute zeigen wir ein schönes Beispiel für diesen Ansatz:

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Wanderer W21/22; Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Hier hat ein Werbemensch vor über 80 Jahren ganze Arbeit geleistet – so schnittig wie diese Wanderer-Limousine daherkommt, davon wäre man in England, Frankreich und Deutschland gleichermaßen begeistert gewesen.

Schräggestellter Kühler, lange Haube, coupéhaft kurz wirkende Passagierkabine – das ist ziemlich nahe am Ideal eines eleganten Wagens der 1930er Jahre. Und dann noch „Hochleistungs-Motor, Schwingachse, Fortschritt usw.“.

Wer wollte da nicht begeistert zugreifen? Doch damals wusste man als kritischer Kunde schon, dass es nun einmal das Wesen der Werbung ist, keine wissenschaftlich exakten Wahrheiten zu verbreiten.

So darf man auch hier nicht jede Werbebotschaft auf die Goldwaage legen. Schauen wir einmal, was die sächsische Marke Wanderer bei ihrem 1933 vorgestellten Modell W21/21 tatsächlich zu bieten hatte:

Da waren zunächst zwei 6-Zylinder-Motoren, die mit 1,7 Liter (35 PS) und 2,0 Liter (40 PS) genau auf die Sechszylindertypen 170 und 200 von Mercedes-Benz  abzielten, die seit 1931 bzw. 1933 gebaut wurden.

Hinter der vergleichbaren Papierform verbargen sich allerdings unterschiedliche Konzepte: Die Mercedes-Motoren waren noch seitengesteuert, während Wanderer eine modernen Zylinderkopf mit strömungsgünstigen hängenden Ventilen bot.

Auch formal ließen die Wanderer-Sechszylinder die Mercedes-Konkurrenz alt aussehen:

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Mercedes-Benz 170 oder 200; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

So schön diese Aufnahme eines Mercedes 170 oder 200 auch ist – Hinweise zur Örtlichkeit sind willkommen – so altbacken sieht das Modell aus.

Formal ist der Wagen in den späten 1920er Jahren stehengeblieben. Denkt man sich den Stern weg, könnte das ein beliebiges Mittelklasseauto europäischer Produzenten aus der zweiten Reihe sein.

In Frankreich sahen um 1930 die Limousinen von einem halben Dutzend Nischenhersteller so aus. Warum man einen 6-Zylindermotor mit einer so beliebigen Karosserie anbot, bleibt das Geheimnis von Mercedes.

Dagegen waren die Wanderer-Typen W20/21 formal ganz auf der Höhe der Zeit:

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Wanderer W20 oder 21; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zur Entlastung von Mercedes-Benz muss man sagen, dass die braven Schwaben nicht über dermaßen fähige Gestalter für die Mittelklasse verfügten wie Wanderer.

Wanderer profitierte als Teil des Auto-Union-Verbunds vom Können des Karosserie-Konstruktionsbüros der Horch-Werke in Zwickau.

Dort wurde die Karosserie und die charakteristische Frontpartie des Wanderer W20/21 mit schrägstehendem Kühler und v-förmig angeordneten Zierleisten entworfen. Auch die Aufbauten selbst entstanden im Horch-Karosseriewerk:

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Wanderer W20/21; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Kühlerpartie mit den kiemenartigen Zierleisten wurde 1934 verfeinert, sodass die hier gezeigten Wanderer W20/21 auf 1933 zu datieren sind.

Die Eleganz der Wanderer-Wagen wurde am deutschen Markt kaum gewürdigt. Mercedes konnte von seinen banal gestalteten 6-Zylindermodellen der Typen 170 und 200 rund doppelt soviele Wagen absetzen wie die Sachsen vom Typ W20/21.

Schon vor dem 2. Weltkrieg scheint man hierzulande dem Prestige – also der Meinung der Nachbarn – höheren Wert beigemessen zu haben als Schönheit und Eleganz, selbst bei mindestens gleichwertiger Technik und Verarbeitung…

DKW Front Luxus Cabrio trifft alten Wanderer

Als Betreiber eines Oldtimerblogs für Vorkriegswagen ohne Markenbindung hat man es nicht leicht: Weit über tausend Hersteller gab es einst allein in Europa. Da kann man nicht auch noch Ahnung von zeitgenössischen Autos haben.

Das ist vermutlich der Grund dafür, dass der Verfasser moderne Wagen der letzten – sagen wir zehn – Jahre nicht auseinanderhalten kann.

Aufgefallen ist ihm zwar, dass die Karosserien immer gestaltloser, die Namen immer abstruser und die Materialien immer aseptischer werden – doch einen aktuellen Peugeot zum Beispiel kann er nach wie vor nicht vom Vor-Vorgänger unterscheiden.

Merkwürdig: Bei den Automobilen der Vorkriegszeit machten zwei Modellgenerationen oder zehn Jahre Welten aus – formal wie technisch.

Das folgende Foto aus den 1930er Jahren, das zwei typische Wagen aus deutscher Produktion zeigt, macht das anschaulich:

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DKW F5 Front Luxus Cabriolet und Wanderer W10-1 Tourenwagen

Links haben wir ein satt auf der Straße liegendes Cabriolet mit großzügigem Einstieg und elegant geschwungenen Radkästen. Die filigranen Speichenräder glänzen mit Chromkappen, dahinter großdimensionierte Bremstrommeln. Kühler, Frontscheibe und Heckpartie sind strömungsgünstig geneigt.

Rechts dagegen ein hochbeiniges Gefährt mit rustikalen Felgen, kleinen Bremsen (immerhin vier!) und primitiven Schutzblechen. Der Einstieg führt durch schmale Türen über ein Trittblech nach oben. Frontpartie und Winschutzscheibe stehen senkrecht im Wind. Am unförmigen Heck ist das Reserverrad lieblos montiert.

Jetzt die Preisfrage: Wieviele Jahre liegen zwischen diesen Autos, die beide in Sachsen entstanden und hier einträchtig an einer Tankstelle haltmachen?

20 Jahre? 15, 10? Die richtige Antwort lautet: 8 (in Worten: acht). Tja, solche Entwicklungssprünge waren bei Großserienautos in der Vorkriegszeit normal. Und da reden wir bisher nur von Äußerlichkeiten.

Beginnen wir mit dem älteren der beiden Wagen, einem Wanderer W10-I von 1927:

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Auf die Marke Wanderer kam der Verfasser, weil er sich an ein Foto eines Wagens der Marke erinnerte, das ein ganz ähnliches Heck aufwies, das Modell W8 5/20 PS.

Dessen 1926 vorgestellter Nachfolger W10 war zwar in mancher Hinsicht moderner – so besaß er Vierradbremsen und leistete 30 PS. Doch der Tourenwagen besaß nach wie vor das unglücklich gestaltete Heck mit dem senkrecht angehängten Reserverrad.

Die übrigen Details – die farblich abgesetzten Schweller, Form und Anordnung der Luftschlitze in der Motohaube, selbst die Zahl der Radbolzen – passen ebenfalls zum Wanderer W 10-I, wie er bis 1927 gebaut wurde.

1928 legte Wanderer angesichts der Konkurrenz aus den USA nach und steigerte die Leistung des W-10 drastisch auf 40 PS. Damit gingen auch äußerliche Änderungen einher- doch das ist eine andere Geschichte, die des Wanderer W10-II.

Machen wir nun einen Sprung ins Jahr 1935:

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Hier haben wir es – wie schon beschrieben – mit einem völlig neuen Konzept zu tun.

So stellt man sich einen deutschen Serienwagen der 1930er Jahre vor: Wohlproportioniert, jedoch nicht extravagant, mit ein paar feinen Details wie der als Kometenschweif auslaufenden Seitenleiste und der Einfassung des Ersatzrads.

Wer auf diesem Blog die Einträge zur Marke DKW verfolgt hat, weiß sofort Bescheid: Das ist das Front Luxus Cabriolet, das auf Basis des Modells F5 bei Horch in Zwickau mit Stahlkarosserie gebaut wurde.

Dies war nicht nur die eleganteste, sondern auch die haltbarste Variante der populären Zweitakt-Wagen von DKW, die schon Frontantrieb besaßen. Damit ließen sie fahrwerkstechnisch den Wanderer W10 „alt“ aussehen.

Mit gerade einmal 20 PS war der DKW dem 50 % stärkeren Wanderer zwar auf dem Papier unterlegen. Doch im Spitzentempo von 85 km/h lag er gleichauf, und das bei rund 30 % geringerem Verbrauch.

Deshalb brachten die aus heutiger Sicht schwachen deutschen Wagen der 1930er Jahre im Alltag erhebliche Vorteile gegenüber ihren schweren Vorgängern der 20er mit sich.

Und in puncto Fahrkomfort machten die gerade einmal acht Jahre, die die beiden Wagen auf unserem Foto voneinander trennten, Welten aus. Müsste sich der Verfasser für einen der beiden entscheiden, würde er dennoch beide nehmen wollen…

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Reise ohne Wiederkehr: Wanderer W35/40/45/50

Der heutige Eintrag in diesem Oldtimerblog dreht sich in vielfacher Hinsicht um das Thema Abschied und Verlust – natürlich geht es dabei wie immer um Vorkriegsautos.

Abschied nehmen heißt es von den letzten klassischen Modellen der sächsischen Traditionsmarke Wanderer, deren Wurzeln noch in die Zeit vor der Integration in den Auto-Union-Verbund zurückreichen.

Das bedeutet auch Abschied nehmen von der letzten noch von Ferdinand Porsche verantworteten Motorenkonstruktion für Wanderer.

Die Rede ist von den Wanderer-Wagen der Typen W35, 40, 45 und 50, die in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre die tragende Säule der Marke darstellten.

Bei der Gelegenheit begleiten wir Mensch und Maschine zugleich auf einer Reise ins Ungewisse, die allzuoft eine ohne Wiederkehr werden sollte.

Beginnen wir zu einer Zeit, als für die meisten Deutschen die Welt noch heil war und sich ein trügerisches Bild der Stärke und neuen Ansehens bot – im Olympiajahr 1936.

Damals brach die Gesellschaft auf folgendem Foto zu einer Reise mit unbekanntem Ziel auf:

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Immerhin können wir genau sagen, um was für einen Wagen es sich handelte. 1936 brachte Wanderer eine optisch und technisch weiterentwickelte Modellreihe heraus, deren 6-Zylindermotoren noch von Porsche entworfen worden waren.

Diese waren mit 35 bis 50 PS verfügbar – entsprechend lauteten die Typenbezeichnungen Wanderer W35 bis W50, so einfach war das damals.

Gemeinsam hatten alle Typen den neuen Kühlergrill mit senkrechten Streben; bei den Vorgängertypen W235 bis W250 wurden schräge Streben verbaut. Wichtiger war, dass die neue Modellreihe vorne nun über einzeln aufgehängte Räder verfügte.

Damit waren die Probleme der zuvor starren Vorderachse Vergangenheit. Porsche hatte übrigens schon beim Vorgänger eine Doppelkurbelachse mit querliegendem Drehstab vorgeschlagen. Die sollte später bei so unterschiedlichen Autos wie dem Auto-Union 16-Zylinder-Rennwagen und dem Volkswagen Karriere machen…

Auf die Vorderachskonstruktion der neuen Wanderer-Modelle kommen wir am Ende noch zurück. Beibehalten wurden natürlich die hydraulischen Vierradbremsen und die 12-Volt-Elektrik, damals alles andere als selbstverständlich.

Äußerlich sind die einzelnen Typen der Modellreihe schwer auseinanderzuhalten.

Den Wanderer W35 erkennt man an den schüsselförmigen Frontscheinwerfern; bei den stärkeren Modellen war das Lampengehäuse tropfenförmig – wie auf dem ersten Foto. Den W35 gab es außerdem nur als Limousine (und Lieferwagen).

Wer einen Wanderer der Modellreihe als Cabriolet haben wollte, musste sich mindestens für das Modell W40 entscheiden – das schauen wir uns weiter unten an.

Erst ist der Tourenwagen auf folgender Aufnahme (im Vordergrund) an der Reihe:

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Gut zu erkennen sind hier die senkrechten Kühlerstreben, die die Modellreihe von vorne auszeichnen. Man ahnt auch das auf der Mittelstrebe angebrachte Auto-Union-Emblem mit den vier Ringen.

Alle Chromteile sind hier überlackiert wie beim dahinterstehenden Wagen – wohl ein Mercedes 170 Tourer. Dieser trägt ein Kennzeichen der deutschen Luftwaffe (WL=Wehrmacht Luftwaffe).

Vermutlich ist der Wanderer ebenfalls ein Luftwaffenauto. Dafür würde die gegenüber Heeresfahrzeugen etwas stärker glänzende Lackierung sprechen, die bei der Luftwaffe zumindest vor dem Krieg öfters zu sehen ist.

Der Länge nach zu urteilen dürfte es sich um den W50-Tourenwagen mit verlängertem Radstand handeln (3,15 m ggü. 3,00 m), wie er speziell für Behördenzwecke gebaut wurde.

Hochinteressant ist, was auf dem Foto außer dem Wanderer noch zu sehen ist – auch hier klingen wieder die Themen Reise und Abschied an:

wanderer_w40_45_wien_ausschnitt Der Wanderer steht offenbar direkt vor einem Reisebüro, in dessen Schaufenster Plakate für Urlaub in fernen Ländern werben. In der Etage darüber hat man sich auf „Autoversicherungen und Autokredite“ spezialisiert.

Praktisch – denn die Klientel dafür war eine ähnliche. Dazu passt die mondäne Umgebung, wir befinden uns nämlich ausweislich des Schilds über der Tür am „Kärntnerring“. Dieser ist Teil der berühmten Wiener Ringstraße, liegt in Sichtweite der Staatsoper -und beherbergte luxuriöse Hotels und Geschäfte.

Dass der Wanderer tatsächlich in dieser feinen Gegend Wiens geparkt ist, beweist ein weiteres Detail auf dem Foto – die Werbung für das Photoatelier d’Ora Benda an der Gaslaterne.

Gegründet wurde dieses Atelier von Dora Kallmus, einer österreichischen Gesellschaftsfotografin. Sie führte den Künstlernamen Madame d’Ora und erlangte Bekanntheit durch Porträts zahlreicher Wiener Künstler.

1927 nahm sie Abschied von Wien, um eine noch größere Karriere in Paris zu beginnen, die durch den Einmarsch deutscher Truppen 1940 jäh beendet wurde – denn sie war jüdischer Abstimmung. In Südfrankreich fand sie zum Glück Unterschlupf.

Ihr einstiger Assistent Arthur Benda hatte unterdessen das Wiener Atelier weitergeführt. Ab 1938 residierte Benda in der Kärntnerstraße – das Atelier hieß damals d’Ora Benda wie auf dem Geschäftsschild auf dem Foto.

Somit ist nicht nur der Aufnahmeort Wien bestätigt; auch der Entstehungszeitpunkt lässt sich eingrenzen. Da die beiden Luftwaffen-Tourenwagen noch keine Tarnscheinwerfer tragen, muss das Foto 1938 oder 1939 entstanden sein.

In den folgenden Jahren waren Wanderer-Wagen in halb Europa „auf Reisen“ – im Dienst der Wehrmacht. Auch von den hier vorgestellten Modellen  finden sich zahlreiche Aufnahmen aus Kriegszeiten – oft in den unmöglichsten Gegenden:

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Dieses Exemplar wurde einst irgendwo auf dem Balkan fotografiert, wahrscheinlich mit drei Offizieren der Armee des verbündeten Bulgariens an Bord.

Merkwürdig ist, dass sich der LKW hinten notdürftig gegen Erkennung aus der Luft getarnt hat, die Herrschaften vorn sich aber wie auf dem Präsentierteller zum Fototermin eingefunden haben. Man verließ sich wohl auf das Hufeisen am Kühler…

In Sicherheit wähnte sich offenbar auch dieser einfache Wehrmachtssoldat, der hier im Winter neben einem Wanderer posiert. Das 2-türige Cabriolet gab es nur bei den Typen W40 und W45 – hergestellt wurde es von der Manufaktur Gläser.

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Dass es ein Wanderer ist, verraten das Flügellogo auf dem Kühler und das typische  schmale Band mit dem Luftschlitzen in der Haube.

Der Umgebung entsprechend ist der Wagen komplett weiß übertüncht, nur die laufende Nr. des Wagens (vermutlich Fzg. 3 einer Kompanie) wurde frei gelassen.

So gut genährt wie der Kamerad auf unserem Foto sahen Frontkämpfer selten aus – vermutlich haben wir es mit einem Soldaten im Hinterland der Ostfront zu tun, der sich näher an den Fleischtöpfen befand.

Die meisten dieser Kriegsfotos zeigen Soldaten in relativ sicheren Situationen – der kämpfenden Truppe stand ein größerer Anteil an Soldaten gegenüber, die mit Nachschub, Instandsetzung und Nachrichtenübermittlung befasst war.

Recht oft finden sich Aufnahmen, die Bergungs- oder Reparatursituationen zeigen. Sie verraten viel von den Herausforderungen des nur unzureichend mit Standardfahrzeugen ausgestatteten Heeresfuhrparks.

Wie beim Gegner auch wurde im 2. Weltkrieg auf Seiten der Achsenmächte so ziemlich alles an PKW und LKW eingesetzt, dessen man habhaft werden konnte.

Die 6-Zylinder-Wanderer der zweiten Hälfte der 1930er Jahre waren wie andere Wagen der Auto-Union – außer DKW – begehrte Stabsfahrzeuge. Sie wurden unter Kriegsbedingungen bis zum bitteren Ende beansprucht und verschlissen.

Hier hat es im Winter einen Wanderer des Typs W40, W45 oder W50 erwischt:

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Der neben dem Wagen stehende Soldat ist gerade frisch eingezogen worden; er trägt noch nicht einmal Gefreitenwinkel. Sein Kamerad bringt gerade eine Schleppachse unter dem Vorderwagen des Wanderer an.

Solche Vorrichtungen ermöglichten das Abschleppen von Fahrzeugen, deren Vorderräder nicht mehr einsatzfähig waren.

Die Schleppachsen mussten darauf ausgelegt sein, dass etliche PKW keine starre Vorderachse hatten, die man hätte von unten abstützen können. Auch unserer Wanderer verfügte über eine Einzelradaufhängung.

Man kann hier gut die herunterhängende Querblattfeder und den abgerissenen Gelenkarm erkennen, der am unteren Teil des Achsschenkels montiert war:

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Zwar wissen wir nichts über die Umstände dieses Fotos. Wir können aber davon ausgehen, dass es nach einem Unfall an der winterlichen Ostfront entstanden ist.

Dass der Wanderer danach wieder auf die Straße gekommen ist, ist zweifelhaft. Er wird wohl eher als Ersatzteilspender für andere Wagen derselben Modellreihe gedient haben – eine letzte Reise ohne Wiederkehr.

Der Nachschub aus dem Wanderer-Werk versiegte mit dem Bau der letzten Wagen Ende 1942. Nach 1945 sollte es nie wieder Automobile mit dem traditionsreichen Namen geben.  

Bemerkenswert ist, dass sich auf Fotos der Nachkriegszeit viele Vorkriegsmodelle von DKW, Hanomag, Opel und Mercedes finden, aber kaum Wanderer-PKW. Einige Exemplare haben zwar bis in unsere Tage überlebt – doch die allermeisten sind mit der Welt der Vorkriegszeit untergegangen…

Hydraulikbremse und 6 Zylinder: Wanderer W11

Auch wenn im Fundus noch einige Fotoraritäten der Veröffentlichung auf diesem Oldtimerblog harren – unter anderem von Vorkriegsautos der Marken AGA, Brennabor, NAG, Presto und Stoewer – haben auch historische Aufnahmen konventionellerer Modelle ihre Qualitäten.

So hatten wir vor einiger Zeit eine Limousine des Typs Wanderer W11 vorgestellt (Bildbericht). Das Foto bezog seinen Reiz jedoch eher aus den vier hübschen Damen, die auf dem Trittbrett posierten, vom Auto selbst konnte man nicht viel sehen.

Wer damals Zweifel an der Identifikation des Wanderer hegte, bekommt heute ein perfektes Vergleichsexemplar präsentiert:

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© Wanderer W11; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese schöne Privataufnahme kommt dem Ideal eines Autofotos sehr nahe: Wagen schräg im Bild platziert, ein gekonnt posierendes Fotomodell und beste Belichtung.

Zwar lässt die Schärfe im vorderen Bereich des Wagens etwas zu wünschen übrig; das kann allerdings Absicht sein. Für den Fotografen – und vermutlich Besitzer des Wanderer – war wohl die Dame auf dem Trittbrett das Hauptmotiv:

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Wer sich von der charmanten Trittbrettfahrerin losreißen kann, wird bemerken, dass dies ein richtig großer Wagen ist – eine Sechsfenster-Limousine, die hinten einen Platz bot, von dem man heute selbst in Luxuswagen nur träumen kann.

Mit diesem Modell – dem Typ W11 – stellte die bis dato konservativ agierende Marke Wanderer 1928 ein Auto vor, mit der man der starken US-Konkurrenz etwas entgegensetzen konnte.

Der Wagen verfügte erstmals über einen 6-Zylindermotor, der aus 2,5 Liter Hubraum solide 50 PS leistete. Das Aggregat verfügte über im Zylinderkopf hängende Ventile, was den Gaswechsel erleichterte.

Hervorzuheben ist neben der 12-Volt-Elektrik die hydraulische Bremsanlage von ATE. Auch dieses Detail unterstreicht den Anspruch des Wanderer W11 als Qualitätswagen.

Zum Vergleich: Bei den 50 PS-Sechszylindern von Opel gab es Ende der 1920er Jahre nur seitlich stehende Ventile, 6-Volt-Elektrik und Seilzugbremsen. Nicht umsonst verspottete der Volksmund diese technisch primitiven Wagen als Bauern-Buick.

Wanderer dagegen gelang es auch, seinem neuen 6-Zylinder-Wagen ein repräsentatives Äußeres zu geben:

wanderer_w11_10-50_ps_frontpartie

Die ersten, ab Oktober 1928 gebauten Exemplare des Wanderer W11 trugen noch einen schlichten Kühler nach Art des W10-Vierzylinders. Zum Jahresende führte man die üppig verchromte Kühlermaske mit von innen verstellbaren Lamellen ein, wie sie auf unserem Foto zu sehen sind.

Erstmals trug dieses Modell das geflügelte „W“, das der Vertriebsvorstand vorgeschlagen hatte. Heute braucht man für ein dermaßen aufmerksamkeitsstarkes Markenemblem eine externe Agentur, die sich das dann sehr gut bezahlen lässt…

Weitere typische Elemente sind die vollverchromten Scheinwerfer und die Doppelstoßstange. Wanderer-spezifisch sind außerdem die flachen Blinker auf den Schutzblechen.

Die Scheibenräder verraten, dass der Wagen auf dem Foto erst ab Frühjahr 1929 gebaut worden sein kann, vorher gab’s Speichenfelgen. In dieser Form wurde der Wanderer W11 bis Ende 1930 produziert.

Damit können wir das Baujahr des Wagens recht gut eingrenzen. Auch der Aufnahmezeitpunkt dürfte im Jahr 1929/30 gewesen sein. Die Kleidung unseres Fotomodells verweist nämlich noch auf die späten Zwanziger.

Übrigens gab es bei den gewohnt fabelhaften Classic Days auf Schloss Dyck 2016 genau solch einen Wanderer W11 zu bewundern. Der Wagen war dort verdientermaßen in bester Gesellschaft platziert, wie man bemerken wird:

© Wanderer W11 bei den Classic Days 2016 auf Schloss Dyck; Bildrechte: Michael Schlenger

Das Puppchen ist erwachsen: Wanderer 5/20 PS

Bei manchen Vorkriegsautos macht die Dokumentation in historischen Originalfotos auf diesem Oldtimerblog nur mühsam Fortschritte. Von manchen Exotenfahrzeugen der Zwischenkriegszeit findet man leichter Bilder als von der Marke Wanderer.

Dabei waren die Wagen der vierten im Jahr 1932 in der Auto-Union zusammengefassten sächsischen Marke schon in den 1920er Jahren recht populär. Den Beginn der Autoproduktion von Wanderer hatte 1913 der Kleinwagen 5/12 PS markiert, der vom Volksmund den Spitznamen „Puppchen“ erhielt.

Mehr zu diesem PKW-Erstling des Maschinenbaukonzerns aus Chemnitz-Schönau findet sich im Blogeintrag zum Wanderer W8 der frühen Nachkriegszeit.

Die Automobilentwicklung bei Wanderer wurde stets nur behutsam vorangetrieben. Jedenfalls steht die Marke für keine irgendwie geartete Innovation. Das mag erklären, weshalb sie weitgehend in Vergessenheit geraten ist.

Doch was Wanderer auf dem PKW-Sektor fabrizierte, war qualitativ stets über jeden Zweifel erhaben. Man fühlt sich an Hanomag erinnert, wo man bei der Autoproduktion ebenfalls dem Bewährten und Robusten den Vorzug gab.

Mitte der 1920er Jahre sah man auch bei Wanderer, dass man selbst im Kleinwagensegment mit den zuletzt verbauten 15 PS-Motoren nicht mehr konkurrenzfähig war. Während das „Puppchen“ anfänglich mit zwei Sitzplätzen auskam, waren inzwischen vier Sitze Standard und das bedeutete: mehr Gewicht.

Mehr Leistung war daher die Devise für die ab 1925 vorgestellte Ausführung des Wanderer W8, die wir hier sehen:

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© Wanderer W8, Baujahr: 1925/26; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Durch klassisches „Frisieren“ – also höhere Verdichtung und geänderten Vergaser – erreichte man bei unverändert 1,3 Liter Hubraum eine Leistung von 20 PS.

Die schon 1921 eingeführte Motorenkonstruktion mit hängenden Ventilen bedurfte keiner weiteren Anpassungen. Das Aggregat quittierte den leistungssteigernden Eingriff nicht nur mit einer auf 80 km/h erhöhten Spitzengeschwindigkeit, sondern auch mit einem Rückgang des Benzinverbrauchs von 9 auf 8 Liter.

Geschaltet wurde über ein 3-Gang-Getriebe und auch das Fahrwerk barg mit Starrachsen keine Überraschungen. Bis 1926 wurden standardmäßig Speichenräder verbaut, wie sie auf unserem Foto zu sehen sind.

Formal bot die 5/20 PS-Version des Wanderer W 8 allerdings einige Neuerungen:

wanderer_w8_5-20_ps_baujahr_1925_frontpartie

Erstmals besaß die Kühlermaske einen glänzenden Nickelüberzug, außerdem machte sie nicht mehr einen so exaltierten Bogen um das Wanderer-Emblem herum. Leider kann man diese Partie auf dem obigen Ausschnitt nur erahnen.

Besser zu sehen sind die neun breiten Luftschlitze in der Motorhaube, die vom Vorgänger übernommen wurden. Neu war die fixe, nicht mehr umlegbare Windschutzscheibe, die zum erwachseneren Erscheinungsbild des Wagens beitrug.

Der außenliegende Handbremshebel erinnert allerdings noch an die bescheidenen Anfänge des „Puppchens“ als schmales Vehikel für zwei Personen. Mehr getan hatte sich bei der letzten Ausbaustufe des Modells im Heckbereich:

wanderer_w8_5-20_ps_baujahr_1925_heckpartieDeutlich zu erkennen ist das geräumige Gepäckabteil hinter der Rückbank, das von innen zugänglich war. Bei unverändertem Radstand erhöhte sich die Länge des späten Wanderer W8 hierdurch auf knapp 3,90 m.

Die beiden Reserveräder wurden kurzerhand an der Rückwand des Kofferraums befestigt, was den Wagen in der Seitenansicht etwas hecklastig wirken ließ.

Ab Mai 1926 erhielten die hier gut zu sehenden hinteren Trommelbremsen ein Pendant an der Vorderachse. Außerdem wurden zeitgleich Gußspeichenräder verbaut. Demnach muss der Wanderer W8 auf dem Foto vorher entstanden sein.

Den Besitzer unseres Wanderer macht dennoch einen zufriedenen Eindruck. Vermutlich war der kleine Qualitätswagen sein erstes Auto. Was das damals bedeutete, können wir heute nicht annähernd ermessen.

Übrigens verabschiedete sich Wanderer mit der letzten Ausbaustufe des „Puppchens“ aus dem Kleinwagensegment und baute fortan Mittelklasseautos. 1942 endete die Produktion ziviler Automobile bei Wanderer für immer.

Wanderer W10 mit rarem Cabrio-Aufbau

Wer sich einmal auf die Welt der Vorkriegsautos einlässt, stellt irgendwann fest, dass ein Menschenleben vermutlich kaum reicht, um die unglaubliche Vielfalt an Fahrzeugen zu erfassen, die es in der Frühzeit des Automobils einst gab.

Was davon heute in Museen und in privater Sammlerhand noch vorhanden ist, stellt nur einen Ausschnitt einer untergegangenen Welt dar. Eine bessere Vorstellung von der enormen Vielfalt an Fabrikaten und individuellen Aufbauten vermitteln historische Fotografien – genau das ist der Zweck dieses Blog.

Heute schauen wir uns zwei zusammengehörige Aufnahmen an, die auf einer Urlaubsreise vor 85 Jahren entstanden sind – im Juni 1931. Die erste lässt zunächst wenig Spektakuläres erkennen:

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© Wanderer W10/II Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Qualität des Fotos lässt zwar zu wünschen übrig – offenbar ist in die Kamera unbeabsichtigt Licht eingedrungen und hat zu einer unharmonischen Belichtung geführt. Das Motiv hat aber seinen Reiz, hier verstand jemand etwas von Bildaufbau.

Der Wagen lässt sich aus dieser Perspektive gut identifizieren – es ist ein Wanderer W10, wie er in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre gebaut wurde. Vom Vorgänger W8 5/15 bzw. 5/20 PS, der hier bereits besprochen wurde, unterschied sich das Modell durch den stärkeren Motor (6/30 bzw. 8/40 PS) und die größeren Abmessungen.

Auf folgendem Bildausschnitt kann man zwei untrügliche Erkennungsmerkmale des Wanderer W10 erkennen:

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© Wanderer W10/II Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Im Unterschied zum Vorgänger besaß der Wanderer W10 Linkslenkung und eine Verbindungsstange zwischen den Scheinwerfern. Das markante Wanderer-Emblem auf der Kühlermaske war hier außerdem blau und nicht mehr rot unterlegt – hier natürlich nicht zu erkennen.

Ein weiterer Unterschied waren Form und Zahl der Luftschlitze in der Motorhaube. Da sie hier nicht zu sehen sind, ist auch unklar, ob es sich um die 30 oder 40 PS-Variante des Wanderer W 10 handelt.

Die Motorisierung dieses hochwertigen Mittelklassewagens soll an dieser Stelle auch gar nicht interessieren, weit spannender ist der Aufbau. Dazu wenden wir uns nun der Heckpartie des Wagens zu, die Überraschendes preisgibt:

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Der Wanderer hatte ganz offensichtlich einen Reifendefekt. Wie in den 1920er Jahren nicht selten, führte man zwei Reserveräder mit sich, das ersparte einem auf längeren Fahrten das aufwendige Flicken unterwegs.

Der gut gebräunte Herr im karierten Anzug scheint gerade die letzten Radbolzen am aufgebockten rechten Hinterrad einzudrehen, während die junge Dame neben ihm den Radschlüssel bereithält:

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Neben dem Hinterrad sieht man übrigens die Kurbel des Wagenhebers hervorschauen, davon liegt eine Handluftpumpe. Diese Utensilien scheint man im großen Kofferraum mitgeführt zu haben, auf dem das Verdeck aufliegt.

Schaut man näher hin, wird einem klar, dass man es mit einem zweitürigen Cabriolet zu tun hat, keinem Tourenwagen, wie er – neben der Limousine – ab Werk angeboten wurde. Eine solche sportlich wirkende Karosserie mit großzügigem Gepäckfach musste eine Sonderanfertigung sein!

Tatsächlich findet sich in der Literatur (Wanderer-Automobile von Thomas Erdmann/Gerd G. Westermann, Delius-Klasing 2011) eine Abbildung genau eines solchen Aufbaus, der von der Karosseriefirma Zschau in Leipzig hergestellt wurde.

Dieser spezielle Aufbau bot lediglich Platz für drei Insassen, weshalb wir annehmen müssen, dass das Foto vom Passagier eines Begleitfahrzeugs gemacht wurde. Dass die beiden Aufnahmen tatsächlich dasselbe Auto zeigen, beweist das Nummernschild, das auf eine Zulassung im Raum Dresden verweist.

Das ist eine schöne Entdeckung, die deutlich macht, dass es unter der Wanderer-Kundschaft anspruchsvolle Leute gab, denen die Werksaufbauten zu brav waren. Nur eines gibt Rätsel auf:

Was treibt die patente Dame mit dem feschen Hut auf der anderen Seite des Wanderer? Vorschläge sind willkommen…

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Wanderer W11 bei den Classic Days 2016

Man kann es nicht oft genug wiederholen: Deutschlands schönste Veranstaltung für historische Fahrzeuge sind zweifellos die Classic Days auf Schloss Dyck am Niederrhein.

Die Kulisse eines majestätischen Wasserschlosses, ein weitläufiger englischer Garten, rare und populäre Klassiker aller Epochen in Aktion, ein vielfältiges Programm – das sind die Zutaten für ein magisches Wochenende, das noch lange nachhallt…

Wie jedes Jahr trieb es den Verfasser und Gleichgesinnte aus der Wetterau gen Norden – je nach Route ist man aus unserer Region in zweieinhalb bis drei Stunden am Ziel.

Schon am Freitag, an dem sich die Veranstaltung noch im Aufbau befindet, stößt man dann auf unerwartete Schätze wie diesen Wanderer W11 von 1929:

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© Wanderer W11 von 1929, Classic Days auf Schloss Dyck 2016; Bildrechte: Michael Schlenger

Wer hier zuerst an ein US-Modell von Buick, Chevrolet oder Chrysler denkt, liegt gar nicht so verkehrt. Denn Ende der 1920er Jahre gaben die amerikanischen Großserienhersteller den Ton an – in technischer wie formaler Hinsicht.

Die deutschen Marken brauchten eine Weile, um den gut motorisierten US-Wagen mehr als nur hilflose Werbeparolen entgegenzusetzen. Die Frankfurter Adlerwerke entschlossen sich immerhin schon 1927, das amerikanische Erfolgskonzept zu kopieren, und zwar mit dem Standard 6.

Bei der übrigen inländischen Konkurrenz hielt der Tiefschlaf noch eine Weile an. Die Marke Wanderer aus Chemnitz rang sich schließlich ebenfalls dazu durch, ihre Zurückhaltung aufzugeben und präsentierte 1929 den Typ W11.

Das war endlich ein Wagen, der es von der äußeren Erscheinung und den inneren Werten her mit den amerikanischen Produkten aufnehmen konnte. Hier das großzügige und gefällige Fahrzeug in der Seitenansicht:

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© Wanderer W11 von 1929, Classic Days auf Schloss Dyck 2016; Bildrechte: Michael Schlenger

Die Dimensionen dieses wohlproportionierten Automobils erschließen sich erst, wenn man daneben steht: Wer 1,80m groß ist, wird von dem Wanderer immer noch deutlich überragt, und der Radstand von 3 Metern ermöglicht den Insassen im Fonds einen Fußraum, von dem man heute nur träumen kann.

Nicht umsonst sagte man damals, dass man ins Auto „einstieg“, was eine Bewegung nach oben bedeutete – kein demütiges Bücken, wie das heutige Gefährte verlangen. Eine Vorstellung von den Platzverhältnissen gibt der Blog-Artikel „Vier Grazien und sechs Zylinder“, der ein historisches Originalfoto des Wanderer W11 zeigt.

Auch unter der Motorhaube ging es für damalige Verhältnisse großzügig zu: Der Wanderer W11 besaß einen 2,5 Liter-Sechszylinder, der angemessene 50 PS leistete. Unverständlich nur, warum man kein 4-Gang-Getriebe anbot, doch war das beim Adler Standard 6 nicht anders.

Typisch für den Wanderer W11 ist vor allem die geschwungene Kühlermaske mit den in Wagenfarbe lackierten Lamellen. Ab Frühjahr 1929 wurde der Wagen nur noch mit den eleganten Scheibenrädern angeboten. Die markanten Blinker auf den Schutzblechen gab es nur bei Wanderer.

© Wanderer W11 von 1929, Classic Days auf Schloss Dyck 2016; Bildrechte: Michael Schlenger

Die Aufbauten unterschieden sich je nach Karosseriehersteller im Detail. Viertürige Limousinen auf Basis des Wanderer W11 wurden von einem halben Dutzend Firmen gefertigt, darunter Gläser aus Dresden und Baur in Stuttgart. Werkseigene Karosserien spielten bei Wanderer Ende der 1920er Jahre kaum noch eine Rolle, sie waren zu teuer.

Bei dem Wagen, der auf Schloss Dyck zu sehen war, handelte es sich übrigens um eine Landaulet-Ausführung, wie ein genauer Blick auf die hinten unterteilte Dachpartie zeigt:

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Wanderer 10/50 PS (W11) Landaulet; Bildrechte: Michael Schlenger

1932 endete die Produktion des Wanderer W11, doch das galt nur für die zivile Variante. Inzwischen hatte die Reichswehr einen Kübelwagen auf Basis des 6-Zylinders in Auftrag gegeben, der bis 1941 produziert werden sollte. Aber das ist eine andere Geschichte, die hier gelegentlich anhand zeitgenössischer Originalfotos erzählt wird.

Wanderer W11 als 12/50PS Kübelwagen der Reichswehr

Wer öfters auf diesem Blog vorbeischaut weiß, dass hier nicht nur zivile Personenwagen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts anhand von Originalfotos vorgestellt werden, sondern auch darauf basierende militärische Kübelwagen.

Enstprechende Exemplare von Adler, Horch und Stoewer wurden bereits abgehandelt. Heute geht es um die Kübelwagenvariante, die auf dem Wanderer W11 basierte. Unterscheiden lassen sich zwei Motorisierungen, doch wir beschränken uns zunächst auf die seriennahe Variante 10/50 PS, die ab 1930 für die deutsche Reichswehr gebaut wurde:

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© Sammelbild der frühen 1930er Jahre, Wanderer W11 Kübelwagen Typ 10/50 PS der Reichswehr; aus Sammlung Michael Schlenger

Das Sammelbild lässt die Merkmale dieser frühen Version erkennen: Die komplette Frontpartie mit Kühler, Motorhaube und geschwungenen Schutzblechen wurde von der Zivilausführung übernommen. Den recht einheitlichen Kübelwagenaufbau besorgten dann Dritthersteller.

Anfänglich wurde auf feste Türen verzichtet, um ein schnelles Verlassen des Wagens bei Beschuss zu ermöglichen. Diese frühen Kübelwagen wurden also noch als Gefechtsfahrzeuge angesehen – eine Rolle, die später im scharfen Einsatz rasch gepanzerte Kfz übernahmen.

Interessant auf dem Sammelbild ist die mehrfarbige Tarnlackierung, die auf Vorbildern aus der Spätphase des 1. Weltkriegs basiert. Dieses Farbgebung wich vor Beginn des 2. Weltkriegs einer Einfarblackierung, wie sie auf folgendem Originalfoto zu sehen ist:

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© Wanderer W11 Kübelwagen, Typ 10/50 PS, Baujahr: 1931-35; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Anschein einer Mehrfarblackierung entsteht durch unterschiedlichen Lichteinfall auf Motorhaube und Vorderschutzblechen. Tatsächlich haben wir es hier bereits mit einer Weiterentwicklung des Wanderer W11 Kübelwagens 10/50 PS zu tun. Darauf weisen die Scheibenräder mit Radkappen hin, die die anfänglichen Speichenräder ablösten.

Die seitlichen Segeltuchabdeckungen sorgten zwar für Schutz vor Verschmutzung, standen aber in Widerspruch zur ursprünglichen Kübelwagenidee. Sie wichen bei späteren Modellen festen Türen.

Der 2,5 Liter-Motor des Wanderer W11 scheint sich in Verbindung mit dem Chassis des Zivilmodells bewährt zu haben. Jedenfalls wurden bis 1937 zahlreiche Kübelwagen dieses Typs an Reichswehr bzw. Wehrmacht geliefert, die im 2. Weltkrieg eingesetzt wurden.

Für Kenner interessant sein könnte die doppelte Reihe von Luftschlitzen auf dem Foto:

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Weist dieses sonst nicht zu sehende Detail auf eine Sonderausführung des Wanderer W11 10/50 PS Kübelwagens hin?

Gut zu erkennen auf dem Bildausschnitt ist der Soldat mit seiner Uniformjacke des bei der Reichswehr bis 1935 gängigen Typs. Offenbar handelt es sich um einen Mannschaftsdienstgrad, der als Fahrer fungierte.

Leider wissen wir weder, welches „hohe Tier“ er einst chauffiert hat, noch vor welchem eindrucksvollen Torbau im Stil antiker Triumphbögen er fotografiert wurde. Weiß ein  Leser mehr dazu?

Literatur: T. Erdmann/G. Westermann: Wanderer Automobile, hrg. vom Delius-Klasing-Verlag, 2. Auflage 2011, S. 126-160

Wanderer-Kübelwagen im Netz: Kfz der Wehrmacht

 

BMW Kübelwagen der 1930er Jahre im Militäreinsatz

Wer denkt beim 3er-BMW nicht an die knackigen Sportlimousinen der 1970er und 80er Jahre, die seinerzeit Agilität und Alltagstauglichkeit wie kein anderes deutsches Auto ihrer Klasse vereinten und bis heute begeistern?

Doch der Dreier hat eine viel längere Tradition, die bis in die Vorkriegszeit zurückreicht. Mit den Sechszylinder-Modellen 303, 315 und 319 reklamierte BMW schon damals eine Nische, in der der Marke kein Konkurrent das Wasser reichen konnte.

Noch weniger bekannt dürfte sein, dass es auch Kübelwagenversionen des 3er BMWs für das Militär gab. Diese ist auf zeitgenössischen Fotos eher selten zu finden, da die Kübelwagen von Horch, Mercedes, Stoewer und Wanderer prestigeträchtiger waren und weit öfter im Kriegseinsatz fotografiert wurden.

Mit etwas Geduld finden sich aber auch Originalaufnahmen des BMW „Kübel“, die von den Nehmerqualitäten der seriennahen Konstruktion zeugen. Hier ein Beispiel aus der Vorkriegszeit:

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© BMW 3er Kübelwagen im Geländeeinsatz; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das leicht verwackelte, dennoch reizvolle Foto zeigt einen BMW Kübelwagen bei einer Bachdurchfahrt.

Um welches Modell genau es sich handelt, ist schwer zu sagen. Die ersten BMW 3er ähnelten sich von vorne stark – erst die Seitenansicht ermöglicht die Identifikation der Motorisierung, die vom 900ccm Vierzylinder bis zum 1,9 Liter Sechsyzlinder reichte.

Leider sind auf der Rückseite des Fotos keine Hinweise zur Aufnahmesituation vermerkt. Doch mit etwas Spürsinn lässt sich der Anlass identifizieren. Dazu werfen wir einen näheren Blick auf das Bild:

BMW_Kübelwagen_Wasserdurchfahrt_Detail

Auffallend ist, dass der im Auto stehende, behelmte Soldat die Bachdurchfahrt zu genießen scheint. Im Auto dahinter – wohl ebenfalls ein BMW Kübelwagen – ist ebenfalls ein aufgerichteter Soldat zu sehen. Die Situation und das Fehlen von Tarnüberzügen an den Scheinwerfern spricht gegen einen Schnappschuss im Kriegseinsatz und eher für eine routinemäßige Geländeprüfung in Friedenszeiten.

Im Hintergrund sind einige Zuschauer wahrzunehmen, eventuell Angehörige der Hitler-Jugend, die wenig später ungefragt für die außenpolitischen Vorhaben der Berliner Führung herhalten mussten.

Dazu bestand ab 1939 bekanntlich umfassend Gelegenheit und so gelangten die eher kompakten BMW-Kübelwagen an diversen Fronten zum Einsatz:BMW_315_Kübelwagen_Galerie © BMW 3er Kübelwagen (Vordergrund); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wo dieses Foto mit einem ganzen Rudel an BMW-Kübelwagen entstand, ist ungewiss. Es dürfte eine Situation kurz vor Kriegsausbruch zeigen, worauf der Wachsoldat links mit Stahlhelm und geschultertem Karabiner K98 hinweist.

Die Nummernschilder der vorderen Wagen verweisen auf eine Einheit, die im Wehrkreis Dresden ausgehoben wurde (Quelle). Von den übrigen Fahrzeugen der unbekannten Wehrmachts-Einheit lassen sich einige weitere identifizieren:

BMW_315_Kübelwagen_Ausschnitt

So dürfte der Wagen mit geschlossenem Verdeck ein Kübelwagen des Typs Wanderer W11 sein, der auf diesem Blog noch näher vorgestellt wird.

Bei den Krädern scheint es sich um Solomaschinen zu handeln, vermutlich vom Typ DKW NZ 350, der sich als leichtes und robustes Meldemotorrad bis Kriegsende bewährte.

Die Identifikation der leichten LKW im Hintergrund bleibt interessierten Lesern überlassen, da dieser Blog sich auf Personenkraftwagen beschränkt. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang das Netz-Fotoalbum von Holger Erdmann, das die Kraftfahrzeuge der Wehrmacht mit Ausnahme von Panzern umfassend und kenntnisreich vorstellt.

Endlich 6 Zylinder! Wanderer W11 mit 4 Grazien

Unter dem Dach der Auto-Union der 1930er Jahre wurde einst neben Audi, DKW und Horch auch die heute kaum bekannte Marke Wanderer integriert. Neben den wenig eingängigen Modellbezeichnungen mag die anspruchslose Technik dazu beigetragen haben, dass Wanderer weitgehend in Vergessenheit geraten ist.

Dabei war ein Wanderer ab den späten 1920er Jahren ein ausgewiesenes Qualitätsauto, das das Kleinwagenimage des Erstlings – des „Puppchens“ – abgelegt hatte.

Kürzlich haben wir hier den Wanderer W10 / IV besprochen, mit dem sich die Firma als Mittelklassehersteller etablierte. So gut verarbeitet diese Vierzylinderwagen auch waren – der zunehmenden Konkurrenz aus Übersee in Form preisgünstiger, leistungsfähiger und komfortabler 6-Zylinder Autos aus US-Produktion hatten sie nichts entgegenzusetzen.

Wie die Frankfurter Marke Adler mit dem „Standard 6“ beschloss auch Wanderer 1927 den Bau eines Sechszylinders, der als W11 bezeichnet wurde. Der Motor war aus dem 4-Zylinderaggegrat des W10 abgeleitet, auch formal ähnelte der ab 1928 gebaute W11 zunächst dem Vorgänger. 

1929 wurden dann endlich eine der Klasse des Wagens entsprechende Karosserie angeboten, die sich eng an amerikanischen Vorbildern orientierte. Einen solchen 6-Zylinder-Wanderer mit vier Grazien zeigt folgendes Originalfoto:

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© Wanderer Typ W11, Bj. 1929/30; Foto aus Sammlung Michael Schlenger

Bevor wir uns den Damen zuwenden, steht als Pflichtprogramm zunächst die Identifizierung des Wagentyps an. Denn dass es ein Wanderer W11 ist, der hier als dekorativer Hintergrund und Sitzgelegenheit dient, ist nicht ganz einfach herauszufinden.

Dieses Bild ist ein Beispiel dafür, dass man auch im Internetzeitalter am guten alten Autobuch nicht vorbeikommt, wenn es um die zuverlässige Ansprache von Marke und Typ geht. Zwar wird in unseren Tagen viel von digitaler Intelligenz schwadroniert, doch keine noch so schlaue Suchmaschine wird einem jemals verraten, was das für ein Auto ist.

Dagegen reicht ein Fundus an -sagen wir – zwei Dutzend gut bebilderten Autobüchern und vielleicht eine Stunde Recherche,  um den genauen Typ zutagezufördern.

Am Anfang steht die plausible Annahme, dass ein in Deutschland erworbenes Foto der Vorkriegszeit wahrscheinlich ein Fahrzeug zeigt, dass auch hierzulande gebaut wurde. Damit schließen wir bei aller äußeren Ähnlichkeit insbesondere amerikanische Wagen der späten 1920er und frühen 1930er Jahre aus, obwohl auch sie einst recht zahlreich im deutschen Sprachraum zu finden waren.

Um 1930 kommen für ein Auto dieses Formats nur wenige Großserienhersteller in Frage: Adler können wir anhand der Kühlluftschlitze ausschließen, Brennabor ebenso. Opels 12/50 PS Modell und der NAG 12/60 PS wirken von Dimension und Proportion auf den ersten Blick ähnlich, dennoch ergibt sich auch hier keine volle Übereinstimmung.

So bleibt der Verdacht, dass es sich um einen Wanderer handelt und tatsächlich liefert die einschlägige Literatur ein exaktes Pendant zu dem Auto auf unserem Foto. So ist im vorbildlichen Werk „Wanderer Automobile“ von Erdmann/Westermann (Verlag Delius Klasing, 2. Auflage 2011) auf Seite 111 praktisch derselbe Wagen abgebildet.

Typisch sind die schlichten Luftschlitze in der Motorhaube, die Chromscheinwerfer, die Scheibenräder mit fünf Radbolzen und verchromter Nabenkappe sowie die Platzierung der Türgriffe in der dunkel abgesetzten Zierleiste unterhalb der Dachpartie. Ahnen lassen sich auch die Blinkleuchten auf den Schutzblechen, die es so nur bei Wanderer gab.

In dieser Ausführung wurde der Wanderer W11 ab 1928 angeboten. Mit seinem 2,5 Liter großen und 50 PS starken Sechszylinder, hydraulischen Bremsen und bester Verarbeitung konkurrierte der Wagen insbesondere mit dem Adler Standard 6.

Leider verhinderte die Weltwirtschaftskrise einen größeren Erfolg dieses repräsentativen Wagens. Dennoch erwarb sich Wanderer mit dem W11 beträchtliches Prestige, das auf die nachfolgenden Modelle abstrahlte.

Zum Schluss seien auch die vier Damen gewürdigt, die für unsere Aufnahme auf dem Trittbrett Platz genommen haben:

Wanderer_W11_4_GrazienDer Reiz dieser vier Grazien liegt nicht zuletzt darin, dass sie vollkommen individuell wirken – sowohl vom Typ als auch von Kleidung und Frisur her. Das Klischee vom Modediktat der Vorkriegszeit erweist sich hier als ebensolches.

Bei keiner der Damen hat man den Eindruck, dass sie einem ihrem Typ widersprechenden Vorbild aus Film, Funk und Fernsehen nacheifern oder sich von ihrer Friseuse oder Visagistin zu einem deplatzierten Erscheinungsbild haben überreden lassen.

Der geneigte Leser stelle sich die Vier für einen Moment mit sogenannter Funktionsjacke, Trekkinghosen und Turnschuhen vor. Wäre das Ergebnis auch nur halb so attraktiv?

Genau. Deshalb sind diese alten Fotos von Autos und den Menschen, die einst damit unterwegs waren, in vielerlei Hinsicht eine Offenbarung.