NAG Typ D4 10/45 PS: Ein Tourenwagen aus Berlin

Zu den deutschen Qualitätsherstellern der Vorkriegszeit darf man zweifellos die Marke NAG zählen, die als Tochter des AEG-Konzerns bis 1934 sehr geschätzte Oberklassewagen fertigte. Leider reichten die Stückzahlen ab dem Ende der 1920er Jahre nicht aus, um die Marke überleben zu lassen.

Nach dem Porträt des Sportwagens NAG C4 10/50 PS soll es im Folgenden um den von 1924-27 gebauten Nachfolgertyp D4 10/45 PS gehen. Hier ein Originalfoto der 6-sitzigen Tourenwagenausführung:

NAG_D4_Tourer_1929

© Originalfoto NAG Typ D4, aufgenommen 1929; Sammlung: Michael Schlenger 

Das eindrucksvolle Fahrzeug erhielt einen neukonstruierten 2,6 Liter-Motor mit hängenden Ventilen, dessen Leistung ein Spitzentempo von 90km/h ermöglichte. Der hier gezeigte Tourenwagen wog mit 1,7 Tonnen weit weniger als die Limousine, doch hatte auch er keinen so sportlichen Anspruch wie der Vorgänger C4. War einmal der 4. Gang erreicht, ließ sich so ein Gefährt aber souverän bewegen.

Die Identifikation als Typ D4 wird durch die besondere Kühlerform erleichtert, die in jener Zeit ein Markenzeichen von NAG war. Dabei wurde die traditionell ovale Kühlermaske mit einem Spitzkühler kombiniert, der in den späten 1920er Jahren nicht mehr der letzte Schrei war, aber einem Tourenwagen immer noch gut stand.

Gestaltung und Dimension der Kühlermaske, Anordnung und Form der Scheinwerfer, die Vorderenden der Schutzbleche und die weit nach oben reichenden, schmalen Kühlschlitze in der Haube – all‘ das zusammen entspricht dem Erscheinungsbild eines NAG D4:

NAG_D4_Tourer_1929_Ausschnitt.

Neben dem Vergleich mit anderen historischen Aufnahmen des Typs D4 sind auch die hochwertigen Bilder im nachfolgend einsehbaren Verkaufs-Exposé eines restaurierten Wagens nützlich (Laden des Dokuments kann einen Moment dauern).

NAG Typ D4_Exposé der Fa. Thiesen

Angemerkt sei, dass der Verfasser in keiner Verbindung mit der Firma Thiesen oder dem Besitzer des NAG steht und keine Rechte an dem Dokument besitzt.

Natürlich ist die Wirkung des NAG auf den Farbfotos grundlegend anders. Eines der Bilder zeigt den Wagen aber ebenfalls von der Seite, dort wird die Übereinstimmung am deutlichsten erkennbar. Eine Frage werfen die modernen Bilder auf: Müsste der Messingkühler auf der historischen Aufnahme nicht ebenfalls glänzen?

Wie es scheint, hat die Kühlermaske auf der Schwarzweiß-Aufnahme denselben Ton wie Scheinwerfer, Haube und Schutzbleche. Denkbar ist, dass die Kühlermaske im Werk oder nachträglich ebenfalls lackiert wurde, da Messing bei Wind und Wetter recht schnell anläuft. Dafür würde ein Detail auf folgendem Bildausschnitt sprechen:

NAG_D4_Tourer_1929_Ausschnitt_2Die mittige Fixierung des Ersatzrads ist nämlich ebenfalls lackiert, während sie bei dem restaurierten Fahrzeug desselben Typs verchromt zu sein scheint. Nur die Türgriffe glänzen an dem NAG auf dem historischen Bild – dort würde eine Lackierung auch nicht lange halten. Übrigens erahnt man auf obiger Ausschnittsvergrößerung die markante Form der Stahlspeichen des NAG – eine weitere Bestätigung für die richtige Ansprache des Fahrzeugs.

Zur Aufnahmesituation des Fotos lässt sich Folgendes sagen: Handschriftlich vermerkt ist darauf das Datum 18. Juni 1929. Zu einem Frühsommertag passt die leichte Kleidung der Damen, die im Heck des Wagens dem Wind voll ausgesetzt sind. Die Umgebung wirkt einsam, offenbar entstand die Aufnahme auf dem flachen Land.

Der Fahrer ist namentlich bekannt – „Chauffeur Fröning“ lautet der Vermerk auf dem Bild. Der Name Fröning ist heute noch im Raum Hannover anzutreffen. Denkbar, dass die Aufnahme in dieser Gegend gemacht wurde. Der Fotograf gehörte sicher zu der kleinen Reisegesellschaft – Platz genug war ja in dem großen Wagen.

Ein solches Foto darf durchaus als Rarität gelten – denn vom Modell D4 sind nur wenige tausend Exemplare gebaut worden. Damit ist das Bild zugleich ein würdiges Denkmal der einstigen Qualitätsmarke NAG.

Hanomag „Kommissbrot“ – das verhinderte Volksauto

Zu den Mysterien der deutschen Automobilgeschichte gehört, dass es vor dem 2. Weltkrieg keinem der zahlreichen Hersteller hierzulande gelang, ein eigenständiges Volksauto zustandezubekommen. Dabei hatte in den USA Ford bereits vor dem 1. Weltkrieg mit dem „Model T“ das Rezept dafür vorgestellt:

Ein erwachsenes, robustes Auto ohne technische Experimente, rationell produziert und dadurch erschwinglich für jedermann – ob für den Arbeiter, der es fertigte, oder den einfachen Bauern. Und es sage niemand, dass es anno 1914 in den USA auf dem Lande moderner zuging als im Deutschen Reich – wohl eher im Gegenteil.

Sicher – nach dem 1. Weltkrieg und dem wirtschaftlich wie politisch fatalen Frieden von Versailles brach der Markt für Automobile in Deutschland nach kurzer Scheinblüte ein. Dennoch ergingen sich viele Hersteller weiter in Sport- und Luxuswagenträumen. Im Kleinwagenbereich reichte es dagegen nur zu Plagiaten bzw.  Lizenznachbauten von Citroen (Opel 4PS) bzw. Austin Seven (BMW Dixi).

Die Botschaft aus den USA war wohl vernommen, doch kaum richtig verstanden worden. Der Maschinenbaukonzern Hanomag, der später grundsolide und durchaus elegante Wagen zu bauen wusste, legte trotz sogenannter Fließbandfertigung auch erst einmal einen Fehlstart hin. Die Rede ist vom Hanomag 2/10PS, dem  „Kommissbrot“ oder „Kohlenkasten“. Hier sieht man eines dieser Fahrzeuge bei einem Ausflug Ende der 1920er Jahre:

Hanomag_Kommissbrot

© Hanomag 2/10 PS Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das 1924 vorgestellte und von 1925-28 hergestellte Wägelchen war in vielerlei Hinsicht außerordentlich – und genau das stand seinem Erfolg im Wege:

Die Form war unkonventionell und gemessen an den meisten Wagen jener Zeit schlicht verunglückt. Ein Fahrzeug mit 10 PS und einem Höchsttempo von 60km/h braucht gewiss keine äußerlich „geglättete“ oder „avantgardistische“ Karosserie.

Der lärmige Einzylinder-Motor wollte von innen per Seilzug gestartet werden wie ein Rasenmäher – allerdings ging das nur mit der linken Hand – keine gute Idee. Eine Kurbel wäre bei bloßen 500 ccm Hubraum die bessere Lösung gewesen.

Der Einstieg war nur von der Fahrerseite möglich, einen Kofferraum gab es auch nicht. Nun betrachte man sich einmal die beiden Herren auf unserem Foto im Verhältnis zur Wagengröße:

Hanomag_Kommissbrot_Ausschnitt

Wäre einer von beiden etwas stattlicher gebaut – oder eine Dame mit einer gut gefüllten Einkaufstasche dabei, wie würde das wohl ausgehen? Vermutlich wäre in der Stadt eher eine Heimfahrt mit der Tram anzuraten, und auf dem Land fuhr seinerzeit zum Glück noch überall die Eisenbahn.

Es ist kein Wunder, dass dieses zweifellos interessante Mobil den hehren Anspruch des „Volksautos“ seinerzeit nicht einlösen konnte. Die zeitgenössische Werbung „rassiger Bergsteiger“, „im schwierigsten Gelände glänzend bewährt“, „2 bequeme Sitze nebeneinander“ usw. konnte angesichts der Sachlage nicht verfangen.

Als einziger Vorteil kann der verbesserte Wetterschutz gegenüber dem Motorrad vorgebracht werden. Doch darüber hinaus bot der Hanomag keinen nennenswerten Zusatznutzen. Im Gegenteil setzte man sich dem Gespött der Mitmenschen aus, die sich unter einem vollwertigen Automobil zurecht etwas anderes vorstellten.

Und so blieb es von 1925-28 bei einer Gesamtproduktion des Hanomag 2/10 PS von etwas mehr als 15.000 Stück. Leider meint auch ein sonst hervorragendes heutiges Werk wie „Hanomag Personenwagen – Von Hannover in die Welt“ dieses bescheidene Ergebnis in einen Erfolg umdeuten zu müssen. Da ist von „besonderer Popularität“ und dem „ersten deutschen Volksauto“ die Rede.

Die Fakten: 1925 lebten in Deutschland über 60 Millionen Menschen. Bei einer Gesamtproduktion von 15.000 Hanomag 2/10 PS macht das rund 2,5 Wagen auf 10.000 Einwohner. Zum Vergleich: das Model T von Ford wurde zu Spitzenzeiten 9.000mal pro Tag (!) gebaut, obwohl es Mitte der 1920er Jahre bereits veraltet war…

Zum Glück bekam Hanomag mit den Nachfolgemodellen 3/16 PS bzw. 4/20 PS gerade noch die Kurve (Bildbericht folgt), doch ein exklusives Vergnügen blieben auch sie.

DKW „Front“ F1 zum Lieferwagen umgebaut

Die systematische Beschäftigung mit Fahrzeugtypen und -modellen der Vorkriegszeit wird oft durch das Fehlen geeigneter Literatur erschwert. Einer überbordenden Auswahl an Büchern zu populären Herstellern wie Volkswagen oder Mercedes steht ein dünnes Angebot bei weniger gängigen Marken gegenüber.

Zwar bieten die Standardwerke von Schrader (Deutsche Autos 1885-1920) und Oswald Deutsche Autos 1920-45) einen unverzichtbaren Gesamtüberblick zumindest für die wichtigsten Hersteller hierzulande. Doch längst nicht alle Varianten sind dort auch so abgebildet, wie das zu wünschen wäre. Von manchen Fahrzeugen sind nur Seitenansichten oder alte Prospektabbildungen verfügbar.

Ein Lichtblick für den Enthusiasten im wahrsten Sinne des Wortes sind die liebevoll und kompetent gemachten „Fotoalben“ aus dem Verlag Kleine-Vennekate. Wer sich beispielsweise mit der einstigen Automobilproduktion der Firma DKW befassen will, findet in der Reihe eine entsprechende Ausgabe, die systematisch sämtliche Vorkriegsmodelle wiedergibt:

Jörg Lindner: DKW Fotoalbum 1928-42, Verlag Johann Kleine-Vennekate, ISBN: 978-3-935517-56-0, erhältlich im Buchhandel oder bei www.amazon.de

Die ausgewählten Bilder sind meist technisch sehr gut und oft auch vom Motiv her ausgesprochen reizvoll. Kurze, gefällig geschriebene Texte liefern die nötigsten Informationen oder auch Spekulationen über das, was auf den Bildern zu sehen ist.

Dass es immer noch neue DKW-Varianten zu entdecken gibt, sollen die folgenden Originalfotos zeigen:

© DKW Front F1 Lieferwagen; Originalfotos aus Sammlung Michael Schlenger

Auf der Rückseite der Bilder steht der handschriftliche Vermerk „DKW F2, 600ccm, 18 PS“. Kenner der DKW-Typenhistorie werden bemerken, dass das nicht ganz stimmen kann. Denn das von 1932-35 gebaute Modell F2 besaß eine grundlegend anders gestaltete Kühlerpartie.

Tatsächlich zeigen die Fotos den Vorgänger DKW „Front“ (später F1), der 1931 vorgestellt wurde. Er sollte die Palette der DKW-Hecktriebler mit 4-Zylindermotoren nach unten hin ergänzen. Mit Frontantrieb und 600ccm-Zweizylindermotor wies er die wesentlichen Charakteristika auf, die den Erfolg von DKW noch bis in die 1940er Jahre bestimmen sollten. Werfen wir einen näheren Blick auf die Frontpartie des F1:

DKW Front_F1_vorne_2

Auch wenn die Aufnahme etwas unscharf ist, kann man den F1-typischen Kühler in klassischer „Tempel“-Form mit schräggestellten Unterteil erkennen. Die Stoßstange ist nachträglich angebracht worden, vermutlich stammt sie vom Nachfolgemodell F2. Ob der Knick in der Mitte von einem Unfall stammt oder dazu dient, die Stoßstange „passend“ zu machen, muss offen bleiben. Nachträglich angebracht wurde auch die Verbindungsstange zwischen den Scheinwerfern mit der Hupe. Die schlichten Scheibenräder ohne Radkappen dagegen waren so am F1 zu finden.

Während also die Frontpartie noch das ursprüngliche Fahrzeug ahnen lässt, liefern die Heck- und Seitenansicht Überraschendes:

DKW Front_F1_seitlich_2

Hier wurde offenbar eine F1-Limousine zum Lieferwagen umgebaut. Einen solchen Aufbau hatte es für den DKW Front ab Werk nicht gegeben. Das Erscheinungsbild deutet auf ein Einzelstück hin, das entweder während des 2. Weltkriegs oder kurz danach entstanden ist. Angesichts der geringen Motorleistung war das eine ausgesprochene Notlösung, doch zivile Transportkapazität war knapp und kostbar. Für den DKW F2 wurde ein ähnlicher Aufbau von der Karosseriefabrik Johannes Kester angeboten (vgl. DKW-Fotoalbum, S. 71).

Der Aufbau an unserem F1 wirkt formal harmonisch, möglicherweise wurde hier ein komplettes Teil eines anderen Fahrzeugs wiederverwendet. Sehr sauber ist der hintere Kotflügel angesetzt und auch die geschwungene Dachlinie macht einen gekonnten Eindruck. Nur die Tür wirkt wenig passend; sie stammt auch nicht von einem DKW F1. Die markante doppelte Zierleiste deutet auf eine Limousine des größeren Typs DKW V1000 als „Spender“ hin. Das hintere Scheibenrad entspricht ebenfalls nicht dem beim F1 verbauten Typ, vielmehr scheint es sich um ein Rad des DKW F2 zu handeln, das stärker profiliert war. Die Radkappe fehlt allerdings.

Insgesamt macht der Wagen einen schon stark mitgenommenen Eindruck. Der Zeitpunkt der Aufnahme dürfte in den späten 1950er Jahren liegen. Das vorne montierte Kennzeichen entspricht nämlich der ab 1954 vorgeschriebenen Systematik mit zwei Buchstaben für den Bezirk und zwei Ziffernpaaren. Der hier abgebildete Wagen scheint demnach aus dem Bezirk Potsdam zu stammen (1. Buchstabe „D“).

In den 1960er Jahren ist dieser wohl einzigartige DKW F1-Lieferwagen vermutlich ausrangiert worden. Es wäre interessant zu erfahren, ob er möglicherweise die Zeiten überdauert hat oder ob noch ähnliche Umbauten existieren. Auf jeden Fall wäre ein solcher Wagen heute eine außerordentliche Rarität!

Zur Dokumentation wurde auch dieses historische Foto in die chronologische DKW-Bildergalerie aufgenommen.

Im DKW F2 auf Verwandtenbesuch in „der Zone“

Der renommierte Motorradhersteller DKW hatte mit seinem ersten PKW-Modell, dem Typ P 15 PS, Ende der 1920er Jahre einen Achtungserfolg errungen (Bildbericht). Ab 1931 tat sich die Marke vor allem mit kompakten, elegant gezeichneten Wagen hervor, die mit Frontantrieb und Zweitaktmotor eigenen Charakter aufwiesen. Die gleichzeitig angebotenen DKW-Hecktriebler errangen keine vergleichbare Bedeutung.

Ab dem 1933 vorgestellten Modell F2 konnte die Motorleistung der frontgetriebenen DKWs als ausreichend gelten, statt anfänglich 15 PS wie beim DKW F1 verfügten die Wagen nun über 20 PS. Die Leistungssteigerung war der Anwendung der „Umkehrspülung“ zu verdanken, die auch bei den DKW-Motorrädern einen verbesserten Gaswechsel bewirkte. Dieser technische Stand blieb bis zum 2. Weltkrieg praktisch unverändert.

Die bis 1939 folgenden DKW-Modelle F4, 5 und 8 sollten sich im Wesentlichen nur durch verfeinerte Karosserieformen und Ausstattungsvarianten unterscheiden. Dank des Aufbaus aus Holz und Kunstleder waren Gewicht (700 bis 750 kg) und Verbrauch (ca. 7 Liter Zweitaktgemisch/100 km) niedrig.

Somit blieb auch ein recht frühes Modell wie der auf folgendem Originalfoto zu sehende DKW F2 von seiner Leistungscharakteristik den Nachfolgern ebenbürtig.

DKW_F4

© DKW F2, Baujahr: ab 1934, aufgenommen 1954; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Den 2. Weltkrieg überstanden überdurchschnittlich viele DKWs – aufgrund ihrer geringen Leistung wurden sie kaum von der Wehrmacht eingezogen. Ganz anders sah das bei den Motorrädern der Marke aus. Speziell die DKW 250 und 350 NZ wurden massenhaft requiriert. Die 350er Version wurde sogar bis 1945 weitergebaut, weil sie aufgrund geringen Gewichts und anspruchsloser Technik in vielen Situationen den schweren Maschinen von BMW und Zündapp überlegen waren. Von einer generellen Abneigung des Militärs gegen Zweitakter kann also keine Rede sein.

Nach dem Krieg waren die DKW-Wagen der 1930er Jahre noch lange im Alltag präsent. Der hier gezeigte Wagen ist ein gutes Beispiel dafür. Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man zwar meinen, das Bild sei noch vor dem Krieg entstanden. Doch zwei Dinge verweisen auf die Nachkriegszeit: Der Faltenrock der Dame ganz rechts und vor allem das Nummernschild des DKW:

DKW_F4_Ausschnitt

Bei dem Nummernschild handelt es sich um ein Besatzungskennzeichen der frühen Nachkriegszeit, wie es in unterschiedlichen Varianten von 1948-56 in Westdeutschland vergeben wurde. Der Buchstabe „N“ (anfänglich noch „B N“ steht für „Britische Zone Niedersachsen„, die Ziffernkombination 32 verweist auf den Landkreis Hameln-Pyrmont im Bezirk Hannover.

Interessant ist der Stempel des Fotolabors auf der Rückseite des Abzugs: „Foto-Dienst Wernigerode/Harz“. Der Ort ist zwar nur rund 140 km von Bad Pyrmont entfernt, lag aber damals hinter der Grenze zur „Sowjetisch Besetzten Zone“ (seit 1949 DDR). Die Aufnahme dürfte also beim Besuch von Verwandten aus dem Westen entstanden sein.

Auf der Rückseite des Fotos ist als Datum das Jahr 1954 vermerkt. Zu diesem Zeitpunkt war der abgebildete DKW schon rund 20 Jahre alt. Sieht man von den stark mitgenommenen Chrom-Stoßstangen und dem Unterteil der Kühlermaske ab, steht der F2 recht gut da, speziell der Lack macht einen gepflegten Eindruck. Auch die Auto-Union-Ringe und die DKW-Plakette am Kühler sind noch vorhanden.

Die Hupe mit dem markanten Wirbel auf der Abdeckung ist ein typisches Zubehör der Marke „Hella“ aus den 1930er Jahren, das bei vielen deutschen Wagen verbaut wurde. Bei Defekten hat man es nach dem Krieg oft durch zeitgenössische Teile ersetzt. Dass der Wagen dem Besitzer am Herzen liegt, sieht man an den Aufklebern an der Windschutzscheibe, die von Urlaubsreisen stammen dürften.

Wer nochmals das Ausgangsfoto studiert, wird bemerken, dass die Vorderräder eine unterschiedliche Bereifung tragen, vielleicht wurde auf einer Seite kürzlich ein altes Ersatzrad montiert. Details wie diese künden von den bescheidenen Verhältnissen jener Zeit, in der viele Dinge – so lange es ging – weiterbenutzt wurden.

Gleichzeitig kündet das Erscheinungsbild der Familie rund um den Wagen deutlich davon, dass man sich nicht unterkriegen lassen wollte. Als dieses Foto entstand, wussten unsere Landsleute im Osten nicht, dass ihnen noch 35 Jahre materielle Entbehrungen und Freiheitsentzug bevorstanden.

„La Petite Rosalie“ – allein unter Männern…

Ob Käfer, Landy oder Pappe – auf so geniale Autonamen kommt wohl nur der Volksmund. Leider versiegte diese kreative Quelle mit dem Einzug der neuen Sachlichkeit in den 1960er Jahren weitgehend: Seither gab man sich auch am Stammtisch mit Bezeichnungen wie 02er BMW, Strich-8er Mercedes oder Einser-Golf zufrieden. Rare Ausnahmen waren „Erdbeerkörbchen“ (Golf 1 Cabriolet ) und „Baby-Benz“ (Mercedes 190).

Interessanterweise waren auch in den 1920/30er Jahren Kosebezeichnungen für Automobile eher selten. Abgesehen vom Hanomag „Kommissbrot“ fiel dem Volksmund hierzulande zu zeitgenössischen Autos nicht viel ein. Das mag an der nur geringen Verbreitung von Kraftfahrzeugen gelegen haben.

In Frankreich sah das damals ähnlich aus, man begnügte sich meist mit der offiziellen Typangabe, die in der Regel der nach der Steuerformel berechneten PS-Zahl entsprach. Eine interessante Ausnahme der 1930er Jahre waren Citroens 8 bzw. 10 CV-Modelle, die den Beinamen Rosalie erhielten.

Dabei mag der Vertrieb von Citroen nachgeholfen haben, denn unter der Bezeichnung „La Petite Rosalie“ stellte 1933 ein Fahrzeug des Typs 8CV einen vielbeachteten Rekord auf. Als Nachweis der Zuverlässigkeit des 1932 vorgestellten 1,5 Liter-Modells ließ Citroen einen technisch identischen Special auf der Rennstrecke von Monthléry bei Paris 300.000 km abspulen. Der Wagen lief fast ununterbrochen über 133 Tage und Nächte und erzielte ein Durchschnittstempo von über 90 km/h. 

Hier ein historisches Filmdokument dieser Rekordfahrt (Sprache: Französisch):

© Filmquelle: Youtube; Urheberrechte: vermutlich Citroen S.A.

Der Kosename übertrug sich in der Folge auf alle Motorvarianten des Modells, also neben dem 8CV auch auf den stärkeren 10CV (1,8 Liter, 36 PS) und das seltene Sechszylindermodell 15CV (2,7 Liter, 56 PS). Äußerlich unterschieden sich die einzelnen Versionen von der Wagenlänge abgesehen kaum. Ab 1934 wurde die bisher senkrecht stehende Kühlermaske schräggestellt.

Eine solche „Rosalie“ von Citroen hat sich auf dem folgenden Bild versteckt. Es zeigt auf den ersten Blick lediglich eine Gruppe von Männern, die im Wald auf abenteuerliche Weise ihr Mittagessen zubereitet bzw. einnimmt:

Citroen_Rosalie  © Wehrmachtssoldaten mit Citroen Rosalie, um 1940; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

So viele junge Männer auf einem Haufen deuten auf eine Armee-Einheit hin, tatsächlich sind es deutsche Wehrmachtssoldaten. Uniformjacken, Kopfbedeckungen und persönliche Ausrüstung haben sie weitgehend abgelegt. Dies ließe darauf schließen, dass die Aufnahme bei einem Manöver entstanden ist.

Doch der Wagen rechts im Hintergrund legt eine andere Interpretation nahe. Denn weshalb sollte die kleine Rosalie einer Wehrmachtsübung beiwohnen? Der folgende Ausschnitt zeigt das Fahrzeug deutlicher:

Citroen_Rosalie_Ausschnitt

Das Fahrzeug verfügt noch über den senkrecht stehenden Kühler und nur vier seitliche Kühlluftklappen. Sehr wahrscheinlich handelt es sich um ein vor 1934 gebautes Vierzylindermodell (8CV oder 10 CV).

Der Wagen hat zwar keine Tarnscheinwerfer, aber möglicherweise bereits ein deutsches Nummernschild. Es wird wohl ein Beutefahrzeug sein, das den deutschen Truppen bei der Besetzung Frankreichs im Sommer 1940 in die Hände gefallen ist. Nach der Kapitulation Frankreichs war es vertretbar, wenn eine Wehrmachtseinheit jenseits des Rheins Rast machte, ohne gefechtsbereit zu sein.

Wer sich für deutsche Militaria jener Zeit interessiert, bemerkt die ungefärbte Arbeitshose (Drillichanzug) des im Vordergrund sitzenden Soldaten. Sein Kamerad ganz links ist am Winkel auf dem Ärmel als einfacher Mannschaftsdienstgrad (Gefreiter) zu erkennen. Gut zu erkennen ist der typische Schnitt der Uniformhosen mit hohem Bund. Was auf den ersten Blick wie T-Shirts aussieht, sind kurzärmlige Hemden mit Knopfleiste, die in der warmen Jahreszeit getragen wurden.

Wahrscheinlich wurde der erbeutete Citroen erst einmal in den Wehrmachtsfuhrpark eingegliedert – französische Qualitätsautos wurden auf deutscher Seite geschätzt. Doch sein fortgeschrittenes Alter dürfte ihn vor einem späteren harten Einsatz beim Russlandfeldzug (ab 1941) bewahrt haben. Dort mussten vor allem die modernen Citroen des Typs Traction Avant als Stabsfahrzeuge herhalten, wie viele Fotos zeigen.

Somit könnte es der kleinen Rosalie gelungen zu sein, dieser abenteuerlichen Männergesellschaft irgendwann wieder zu entwischen…

1928: PKW-Premiere bei DKW: Typ P 15 PS

Für Einsteiger in die Vorkriegsszene gehören die gefälligen und technisch anspruchslosen Wagen von DKW zu den günstigsten Angeboten hierzulande. Während die Modelle der 1930er Jahre in großer Zahl den Krieg überstanden und vergleichsweise oft angeboten werden, sind Exemplare des noch in den 20er Jahren präsentierten allerersten DKW des Typs P 15 PS heute höchst selten.

Mit seinem von 1928 bis 1929 gebauten Erstling, landete DKW auf Anhieb einen Achtungserfolg. Das war wohl nicht nur dem Vertrauen zu verdanken, das die Kunden dem renommierten Motorradhersteller entgegenbrachten. Absatzfördernd dürfte auch die für einen Kleinwagen sehr harmonische Form gewirkt haben. Hier ein Originalfoto des 4-sitzigen Cabriolets:

DKW_Typ_P_15PS_2

© DKW Typ P 15 PS, 4-sitziges Cabriolet von 1929; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der offenbar mit einer Mittelformatkamera und Kartentasche bewaffnete mutmaßliche Besitzer im eleganten Mantel ist sichtlich stolz auf den kleinen DKW. Vielleicht ist es sein erstes Auto überhaupt und das relativiert die aus heutiger Sicht bescheidene Papierform des Typs P 15 PS.

Sein 2-Zylinder-Zweitaktmotor leistete bei einem Hubraum von knapp 600ccm lediglich 15 PS. Damit war ein Spitzentempo von 80 km/h drin, doch die damaligen Straßenverhältnisse und der relativ hohe Kraftstoffverbrauch des Wagens  werden in der Praxis eine gemächlichere Gangart nahegelegt haben. Gleichwohl war ein solches Fahrzeug für einen vom Motorrad kommenden Käufer ein beachtlicher Aufstieg.

Entsprechend selbstbewusst stellten die Werbeleute von DKW damals den PKW-Erstling der Marke dar. Hier eine Originalreklame für das 1928 vorgestellte 2-sitzige Cabriolet:

DKW_P_15_PS_2-sitziges Cabriolet

© DKW Typ P 15 PS, 2-sitziges Cabriolet; Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

„Bequem wie im Klubsessel… sicher und schnell…“ Gewiss, im Vergleich zu einem Motorrad traf das annähernd zu. Doch Fahrkomfort im heutigen Sinn gab es nicht.

Allein die Vorstellung, dass unsere Ahnen einst mit solchen unbeheizten Gefährten auch im Winter unterwegs waren und sich bei Pannen selbst helfen mussten, erinnert daran, auf welchem Bequemlichkeitsniveau wir uns heutzutage bewegen. Ein Vorkriegsauto ist in vielerlei Hinsicht eine Zeitmaschine und genießt auch bei unbedarftem Publikum einen besonderen Aufmerksamkeitswert.

Nach gut 3.000 Exemplaren lief 1929 die Produktion des DKW Typ P 15 PS aus. Danach erwarb sich die Marke mit laufend verbesserten und stets attraktiven Modellen einen grundsoliden Ruf, der bis heute nachhallt. Man muss freilich schon ein Freund der Zweitakttechnik sein, um sich für DKW zu begeistern. Kenner der ausgereiften Motorräder der Marke werden damit sicher keine Schwierigkeiten haben.

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass DKW nach Ende der Bauzeit des Typs P 15 PS noch eine rassig daherkommende Roadsterversion anbot. Hier eine Aufnahme dieses heute extem selten Modells PS 600 Sport:

DKW_PS_600

© DKW PS 600 Sport von 1930/31; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Mehr Informationen zu diesem Typ und Interessantes zum Hintergrund der Aufnahme bietet die ausführliche Besprechung dieses Typs.

 

 

Zum Skivergnügen mit Chauffeur und Mercedes

In weiten Teilen der Republik hat sich nun doch der Winter festgebissen – nur Hartgesottene wagen sich jetzt noch mit historischen Vehikeln auf die vielerorts gestreuten Straßen. Doch kann man sich als Klassikerfreund auch gut die Zeit mit winterlichen Autobildern von anno dazumal vertreiben.

Das folgende Originalfoto aus den frühen 1930er Jahren erweist sich dabei als unerwartet zäher Gegner:

Mercedes-Benz_Mannheim_um-1930

© Limousine der späten 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die technische Qualität des Fotos ist sehr gut, doch die Personen auf dem Bild verdecken fast alle Partien, die eine Identifikation des Wagens erlauben. Ein Übriges tun mehrere Paar Skier nebst Stöcken, die zwischen Ersatzrädern und Motorhaube untergebracht sind.

Offenbar handelt es sich um eine klassische Limousine im Stil der späten 1920er Jahre. Die klare, schlichte Linienführung findet sich bei diversen deutschen Herstellern jener Zeit. Die Wahrscheinlichkeit spricht für Adler, Opel oder Mercedes. Vielleicht hilft ein genauerer Blick weiter:

Mercedes-Benz_Mannheim_um-1930_Frontpartie

Dummerweise ist die Kühlermaske durch einen Überzug verdeckt, an dessen unterem Ende eine Jalousie zur Drosselung der Luftzufuhr angebracht ist. Bei großer Kälte ließ sich nur so der Motor rasch auf Betriebstemperatur bringen. Auch der Blick auf eine etwaige Kühlerfigur ist verstellt. Nicht zuletzt sitzt der junge Herr mit dem Verband an der linken Hand so vor der Front, dass auch Bauteile wie Hupe oder Nebelscheinwerfer nicht zu sehen sind.

Vergleicht man Bilder solcher Limousinen jener Zeit, fällt ein Detail aus dem Rahmen – die Gestaltung der Felgen. Bei Adler oder Opel waren seinerzeit Scheibenräder gängig, Holzspeichenräder gab es bei schweren Fahrzeugen kaum noch. Hier handelt es sich jedoch um stählerne Speichenräder, und die finden sich in der vorliegenden Form Ende der 1920er Jahre bei Mercedes-Benz.

Tatsächlich: ein Mercedes-Modell stimmt in allen Details mit dem Wagen auf dem Bild überein, der Mercedes-Benz 300 bzw. 350, der von 1926-30 gebaut wurde. Darauf weist auch die Form der Trittschutzplatten unterhalb der Einstiegstüren hin, ebenso die Heckpartie der Karosserie und die Form der hinteren Schutzbleche.

Mercedes-Benz_Mannheim_um-1930_Heckpartie

Elemente wie Frontscheibe, Lenkrad und Suchscheinwerfer entsprechen formal ebenfalls den Gegebenheiten beim Mercedes 300 bzw. 350. Man möchte eine frühe Version des eleganter gezeichneten Nachfolgemodells „Mannheim“ nicht ausschließen, doch dagegen sprechen das Fehlen der Stoßstange und der Verbindung zwischen den Scheinwerfern sowie die Form der vorderen Schutzbleche.

Wie dem auch sei, ein in den späten 1920er Jahren entwickeltes Modell von Mercedes-Benz kann als sehr wahrscheinlich gelten. Wann aber wurde das Foto aufgenommen?

Die sportliche Kleidung der beiden Personen ganz links – eventuell Geschwister – deutet eher auf Mitte der 1930er als die späten 20er Jahre hin. Interessant ist auch der wenig schonende Umgang mit dem Mercedes – bei einem relativ neuen Wagen hätte man die Skier vermutlich nicht so lässig untergebracht.

Wahrscheinlich hatte das Auto zum Aufnahmezeitpunkt schon einige Jahre auf dem Buckel, da machte man sich um Lackbeschädigungen keine Sorgen mehr. Unterstützt wird diese Annahme durch das Erscheinungsbild des Herrn ganz rechts:

Mercedes-Benz_1930er_Chauffeur

Wäre da nicht der glattrasierte junge Mann im Vordergrund, könnte man sich den schnauzbärtigen Herrn im langen Mantel mit Pelzkragen auch auf einem Winterbild aus der Zeit des 1. Weltkriegs oder davor vorstellen. Genauso waren damals die noch im Freien sitzenden Chauffeure vermögender Automobilbesitzer ausstaffiert.

Zwar lässt es sich nicht mit Gewissheit sagen, doch die Gesamtsituation spricht dafür, dass sich hier eine junge Gesellschaft Papas angejahrten Mercedes nebst altgedienten Chauffeur für einen Skiausflug „ausgeliehen“ hat.

Mit Schneeketten war der wackere Mercedes offenbar auch bei winterlichen Straßenverhältnisse gut zu bewegen. Auf zeitgenössischen Aufnahmen sieht man dieses Accessoire recht oft – spezielle Winterreifen waren noch nicht üblich. Hier ein Ausschnitt aus einem Zubehörkatalog von 1935:

Pistor_Schneeketten_1935.jpg

© Schneeketten der Marke „Pistor“ im Katalog des Zubehörhändlers Otto Plümecke, Hannover; Faksimile des Archiv-Verlags

Auch das ist original: Hanomag „Rekord“ in der DDR

Auf die Frage, was bei einem historischen Fahrzeug als Originalzustand anzusehen ist, gibt es für viele Klassikerfreunde nur eine Antwort – Neuzustand. Tatsächlich kommt man in vielen Fällen nicht umhin, sich bei der Restaurierung daran anzunähern oder sich zumindest daran zu orientieren:

Bei Unfallfahrzeugen, unvollständigen Teileträgern oder völlig verschlissenen und nicht mehr funktionsfähigen Vehikeln führt am Neuaufbau kein Weg vorbei. Doch leider werden hierzulande immer noch komplette Fahrzeuge mit guter Substanz und viel Charakter ohne Not auseinandergerissen und „restauriert“.

Das heißt oft genug, dass unersetzliche Originalsubstanz wie Leder, Stoffe und Chromteile durch modernes, selten gleichwertiges Material ersetzt wird. Es bedeutet häufig auch, dass in einem langen Autoleben dazugekommene Accessoires und zeitgenössische Umbauten entfernt werden. Dabei ist früher kaum ein Fahrzeug nach der Auslieferung unverändert geblieben.

Zu den Spuren der Nutzung an Lack, Chrom und Innenraum traten Modifikationen, die der Verschönerung oder der Alltagstauglichkeit dienten. Gängig waren auch Improvisationen, weil keine Originalteile mehr zu bekommen waren. Dass das Ergebnis solcher Veränderungen nicht nur „originell“, sondern auch „original“ und damit erhaltenswert sein kann, zeigt folgendes Beispiel eines Hanomag Rekord aus den 1930er Jahren:

Hanomag_Rekord_DDR

© Hanomag Rekord in der DDR, um 1960; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Anstelle einer bereits andernorts erfolgten technischen Besprechung des Modells soll es hier um das gehen, was das abgebildete Exemplar „besonders original“ macht.

Zunächst einige Worte zum Entstehungszeitpunkt und Ort der Aufnahme. Ins Auge fällt das Nummernschild, das der 1953 in der DDR eingeführten Systematik entspricht. Dabei bezeichnete das Buchstabenpaar keine Städte, sondern Bezirke und Kreise. „KW“ stand für den Kreis Sangerhausen im Bezirk Halle in Sachsen-Anhalt.

Praktischerweise ist auf der Rückseite als Ortsangabe „Wippra“ vermerkt, ein idyllisch am Harz gelegenes Städtchen, keine 20km von Sangerhausen entfernt. Anlass war offenbar eine Wochenendspritztour der Familie – Muttern wird dabei das Foto geschossen haben. Vaters schmale Krawatte deutet auf die frühen 1960er Jahre.

Da als Wagentyp „Hanomag Rekord“ auf der Rückseite vermerkt ist, können wir das für bare Münze nehmen. Ohne diesen Hinweis wäre man auch darauf gekommen, doch hätten etliche Unstimmigkeiten für Irritation gesorgt. Werfen wir also einen näheren Blick auf den Wagen – es gibt einiges zu entdecken:

Hanomag_Rekord_DDR_Ausschnitt

Merkwürdig mutet zunächst der Kühler an. So fehlt der geschwungene Schriftzug „Rekord“, der meist auf der rechten Seite (in Fahrtrichtung angebracht) war. Entweder ist er verlorengegangen oder der Kühler ist durch ein Teil des schwächer motorisierten Hanomag „Garant“ oder „Kurier“ ersetzt worden, der ähnlich aussah.

Anlass für die Modifikation des Kühlers könnte ein Unfall gewesen sein. Dabei wäre dann vermutlich auch die Stoßstange ersetzt worden. Diese entspricht nicht mehr dem durchgehenden Hanomag-Originalteil, sondern ähnelt der bei DKW in den 1930er Jahren verbauten zweiteiligen, geschwungenen Stoßstange. Sie wurde nach dem Krieg beim IFA F8 – der Wiederauflage des DKW F8 – weiterverbaut. Im Unterschied zu Vorkriegsversion wies sie oft eine horizontal verlaufende Verdickung auf, die auch auf dem Foto zu erahnen ist.

Wahrscheinlich hat man sich hier mit einem IFA-Teil beholfen, das gemessen am Alter des Wagens noch in auffallend gutem Zustand ist. Ebenfalls Standardteile aus DDR-Produktion dürften die mittig montierte Hupe (evtl. von einem Motorrad MZ RT 125) und der Rückspiegel am Dachholm sein. Letzter entspricht der Form nach bei Mofas und Mopeds der „Vogelserie“ verbauten Teilen.

Vermutlich von einem Fremdfahrzeug stammen auch die Radkappen, die glattflächiger wirken als bei Hanomag-Modellen. Möglicherweise wurden sogar komplette Räder eines anderen Wagens verbaut, eventuell eines Wanderer W24. Rätselhaft erscheint die Verkleidung vor dem Unterteil des Kühlers.

Man fragt sich, ob es den Hanomag auf dem Bild heute noch gibt, immerhin war er zum Zeitpunkt der Aufnahme schon rund 25 Jahre alt. Liebhaber dieser soliden Wagen aus Hannover gab es schon früh, und in der DDR hat man selten etwas Hochwertiges weggeworfen. Wenn er nicht irgendwann selbst als Ersatzteilspender herhalten musste, könnte dieser „Rekord“ noch existieren. Vielleicht weiß jemand aus der Hanomag-Szene Näheres. 

Auf jeden Fall zeigt das Bild eindrucksvoll, wie ein solcher Wagen einst im Alltag ausgesehen hat. Würde man ihn in genau diesem Zustand bekommen, wäre es das Beste, ihn auch so zu konservieren. Originaler als in diesem authentischen Zustand kann ein historisches Fahrzeug kaum sein. Vielleicht eine Anregung für Klassikerbesitzer, bei wirklich gut erhaltenen Fahrzeugen auf unnötige Rückbauten und Neuteile zu verzichten.

Ein in Würde gealtertes Fahrzeug wie der hier vorgestellte Hanomag wird auch vom Publikum als echte Persönlichkeit wahrgenommen, was man von „auf neu“ gemachten und nicht mehr genutzten Fahr(Steh)zeugen kaum behaupten kann.

Rätselhaftes Foto eines Hanomag-Cabriolets von 1933

Vielleicht kennen andere Sammler das auch: Selbst wenn man nicht immer zielgerichtet sucht – oder vielleicht gerade dann – finden die schönsten Fundstücke von alleine den Weg zu einem. So geschehen bei dem hier vorgestellten Originalfoto aus der Vorkriegszeit.

Der Anbieter vermutete, dass ein Ford darauf zu sehen und das Bild in den 1920er Jahren entstanden ist. Damit lag er zwar nicht richtig, doch war sein Bauchgefühl einigermaßen fundiert. Denn zweisitzige Cabriolets dieser Machart („rumble seat“) wurden in den späten 20ern und frühen 30ern auch von amerikanischen Marken wie Buick, Chrysler und eben Ford gebaut.

Hanomag_6_32PS_Hannover_1933

© Originales Pressefoto der 1930er Jahre; Bildquelle: Sammlung Michael Schlenger

Bevor es an den Versuch einer Identifikation des Wagens geht, eine Spekulation über die Aufnahmesituation. Das Auto scheint neu zu sein – unter dem vorderen Kennzeichen mit der Buchstabenkombination IS für Provinz Hannover sieht man ein Blanko-Nummernschild wie bei Ausstellungsstücken in einem Autohaus.

Das Foto ist eine Profiarbeit: der gekonnte Bildaufbau, die präzise Steuerung der Tiefenschärfe und die von den Schatten bis in die hellsten Partien differenzierten Tonwerte sprechen ebenso dafür wie das großzügige Format von 16,5 x 21 cm. Die elegant gekleidete junge Dame auf dem Bild posiert wie ein Fotomodell und ist wohl auch eins. Man fragt sich, ob es bei dem Bild in erster Linie um das Auto ging, oder ob es nicht eher eine Modeaufnahme war.

Für letzteres spricht, dass der Fotograf die Zone maximaler Schärfe auf das Model gelegt hat. Dennoch sind in der Vergrößerung der Frontpartie des Wagens  entscheidende Details zu erkennen:

Hanomag_6_32PS_Hannover_1933_Frontpartie

Das Kühleremblem gehört eindeutig zu einem Hanomag und die sich nach unten zuspitzende Form ist so typisch, dass nur zwei Modelle in Frage kommen: der Typ 11 mit 4/23 PS (später „Garant“) oder der Typ 15 mit 6/32 PS (später „Rekord“).

Die Kombination aus Kühlerform, mittig geknicktem Scheinwerferbügel mit Hupe und die markante Verdickung der Stoßstange deutet auf die von 1933-34 gebaute frühe Version des Wagens hin. Beim 4/23 PS gab es ein 2-Fenster-Cabriolet nur 1933. Auf Bildern des 2-Fenster-Cabrios des 6/32 PS-Modells sind bereits Kotflügelschürzen zu sehen, außerdem ist die Heckpartie anders. Markant ist mittig angebrachte, leicht nach unten geneigte (Nebel)-Scheinwerfer, ein selten zu sehendes Zubehör.

Die Wahrscheinlichkeit spricht für eine Cabrio-Version des 4/23 PS-Modells, von dem Werner Oswald („Deutsche Autos 1920-45“) schreibt, dass ihm der Hersteller unbekannt sei. Da es seit Erscheinen des Buchs (1977) Erkenntnisfortschritte gegeben haben könnte, an dieser Stelle die Bitte an sachkundige Leser, sich mit etwaigen weiterführenden Informationen zu melden (siehe Kommentarfunktion).

Vielleicht hilft auch eine nähere Betrachtung der Heckpartie des Hanomag weiter:

Hanomag_6_32PS_Hannover_1933_Heckpartie

Auf dem hinteren Kotflügel ist eine Trittplatte zu erkennen, über die der Zugang zum Schwiegermuttersitz („rumble seat“) möglich ist. Wenn nicht alles täuscht, ist das Ersatzrad unter einer separaten Blechverkleidung verborgen. Die sehr schmal wirkenden Reifen sind ein weiteres Indiz für das schwächere 4/23 PS-Modell.

Noch eine Anmerkung zum Aufnahmeort: Ein Hanomag mit Kennzeichen der Provinz Hannover ist natürlich in der gleichnamigen Stadt aufgenommen. Das Gebäude im Hintergrund ist das Alte Rathaus Hannovers. Seine Außenmauern haben die weitgehende Zerstörung der Altstadt im 2. Weltkrieg so gut überstanden, dass es wiederaufgebaut werden konnte. Bemerkenswert ist, dass die Rüstungsproduktion bei Hanomag erst nach dem letzten von 80 Bombenangriffen auf die historische Stadt eingestellt werden musste, das war Ende März 1945…

 

Vor über 100 Jahren: Familienausflug im Opel 45/50 PS

Als Klassikerliebhaber, der in den 1970er/80er Jahren aufgewachsen ist, hat man meist keine Vorstellung von den Qualitätsautos, die die Marke Opel einst hergestellt hat – speziell vor dem Ersten Weltkrieg. Beim Verfasser haben das Kindheitstrauma eines D-Kadett-Diesel als Zweitwagen in der Familie sowie die legendären Roster Astra und Omega ihren Teil dazu beigetragen, um die Klassiker der Rüsselsheimer Marke lange einen großen Bogen zu machen.

Die Konfrontation mit einigen großen Opel der Vorkriegszeit – Admiral und Super 6 – hat dagegen den Blick dafür geöffnet, auf welchem Niveau Opel sich einmal bewegte. Nach ersten Gehversuchen mit Lizenzbauten (Lutzmann und Darracq) hat sich Opel ab 1905/06 mit eigenständigen Konstruktionen hervorgetan, die zum besten gehörten, was man damals in Deutschland zu kaufen bekam.

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© Originalreklame Opel Darracq vor 1906; aus Sammlung Michael Schlenger

Ein nach Ende des Lizenzvertrags mit der französischen Firma Darracq enstandenes frühes Opel-Modell soll hier anhand eines über 100 Jahre alten Originalfotos vorgestellt werden:

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© Originalfoto Opel 45/50 PS Baujahr 1906; Bildquelle: Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn keine Markenschriftzüge zu erkennen sind – das berühmte Opel-Auge wurde erst 1910 eingeführt – lässt sich der Wagen als das 1906 gebaute 45/50 PS-Modell von Opel identifizieren. Das legt der Vergleich mit einem zeitgenössischen Bild in Halwart Schraders Standardwerk „Deutsche Autos 1885-1920“ (S. 284) nahe. Der Kühler mit der rechteckigen Plakette und dem hohen Verschluss, die Form der Frontkotflügel, das Profil der Rahmenausleger, die Form von Speichen und Naben der Räder, selbst die Nietenreihe auf der Schottwand entsprechen einander auf beiden Bildern genau.

Der Vierzylinder-Motor des Opel 45/50 PS holte seine Leistung aus heute unvorstellbaren 8 Litern Hubraum. In Verbindung mit dem 4-Gang-Getriebe war für souveränen Vortrieb gesorgt, wenn auch keine genauen Daten überliefert sind. Was damals zählte, war vor allem Steigfähigkeit, ohne dauernd die unsynchronisierte Schaltung bemühen zu müssen – das dürfte gewährleistet gewesen sein. Mit einem Preis von 20.000 Reichsmark bewegte sich das Modell in der Luxusklasse.

Wer sich so etwas leisten konnte, dem konnte auch die kurz zuvor eingeführte Hubraumsteuer gleichgültig sein, die der deutschen Automobilindustrie für Jahrzehnte Fesseln anlegen sollte. Damit wären wir bei den Insassen bzw. den Personen, die auf diesem eindrucksvollen Bild rund um den Opel versammelt sind:

Opel_45_50_PS_1906_Ausschnitt

Sehr wahrscheinlich haben wir es hier mit drei Generationen einer Familie zu tun. Der schnauzbärtige ältere Herr neben dem Chauffeur dürfte der Besitzer sein. Die Damen auf der Rückbank und der im Einsteigen begriffene glattrasierte Herr mit Fernglastasche könnten die 2. Generation repräsentieren, das Mädchen zwischen Chauffeur und Besitzer dürfte die Enkelin sein – offenbar steht ein Ausflug an.

Den stärksten Eindruck hinterlässt die würdevolle ältere Dame, die auf dem Trittbrett Platz genommen hat. Kleidung und Schmuck verweisen auf die Mode des späten 19. Jahrhunderts, sie dürfte um die 50 Jahre alt sein und ist wahrscheinlich die Gattin des Besitzers. In diesem Alter Großmutter zu sein, war seinerzeit Normalität und dass das Leben auch bei Vermögenden kein Zuckerschlecken war, sieht man den Menschen auf diesen alten Bildern an.

Wann genau das Bild entstanden ist, lässt sich kaum sagen. Der nur im Jahr 1906 gebaute Opel 45/50 PS wirkt jedenfalls gut gebraucht – der linke Kotflügel ist bereits reichlich mitgenommen. Damit bewegen wir uns irgendwann zwischen etwa 1910 und dem Beginn des 1. Weltkriegs 1914. Eine spätere Entstehung kann man aufgrund der typischen Hutmode der Damen ausschließen.

Interessant ist, dass man den neben dem Opel stehenden Herrn mit der Schiebermütze für sich genommen ohne Weiteres in die 20er Jahre datieren würde. Er repräsentiert aus damaliger Sicht bereits die Moderne, die sich nach dem Krieg Bahn brach. Die Dame auf dem Trittbrett dagegen ist eine Botin aus einer Zeit, als von Automobilen niemand zu träumen wagte. Dieses Bild lässt ahnen, wie rasant sich die technische Entwicklung vor 100 Jahren vollzog und ist zugleich ein würdiges Zeugnis der Menschen, die dazu einst beigetragen haben.

Winterspaß im Osten mit einem DKW F8

Nach mildem Auftakt hat der Winter inzwischen vor allem den Osten Deutschlands fest im Griff. Dazu passt dieses Foto, das ein vergnügtes Paar im Schnee mit seinem Auto zeigt: DKW_oder_IFA_F8

© Originalfoto um 1950, aus Sammlung Michael Schlenger

Der Wagen ist schnell identifiziert – die vier Ringe an der mittleren Kühlerstrebe weisen auf ein Modell aus dem 1932 gebildeten Auto-Union-Konzern hin. Dazu gehörten die Marken Audi, DKW, Horch und Wanderer.

Die markant geschwungene, geteilt wirkende Stoßstange gab es nur bei DKW und Wanderer. Die eng beieinanderliegenden Kühlerstreben und die Form der Kühlermaske weisen auf einen DKW F8 hin, der von 1939 bis 1942 gebaut wurde. DKW-typisch verfügte der Wagen über Frontantrieb und einen Zweitaktmotor.

Die beiden Varianten des DKW F8 „Reichsklasse“ und „Meisterklasse“ unterschieden sich nur geringfügig in Motorisierung und Ausstattung. Der Preisunterschied war allerdings drastisch: Für 20 statt 18 PS und 85 statt 80 km/h Höchstgeschwindigkeit war bei der Limousine ein Aufschlag von rund 30 % fällig!

Weil Zweitaktwagen während des Krieges meist nicht von der Wehrmacht eingezogen wurden, haben viele davon überlebt. Ihre gefällige Form trägt zu ihrer bis heute anhaltenden Beliebtheit bei – und für eine Landpartie reicht die Leistung allemal. Günstiger ist Vorkriegseleganz kaum zu bekommen.

Was Ort und Zeitpunkt der Aufnahme angeht, hilft ein Blick auf das amtliche Kennzeichen des DKW:

DKW_oder_IFA_F8_Front

Links von der Zahlenkombination sind übereinander die Buchstaben „S“ und „B“ zu erkennen. Dieses Kürzel steht für Sowjetische Zone und das Land Brandenburg. Es handelt sich also um ein Besatzungskennzeichen, wie es in der DDR zwischen 1950 und 1953 ausgegeben wurde. Die erste Zifferngruppe weist auf den Landkreis hin, die 30 steht für Kreis Oberbarnim, Bad Freienwalde/Oder an der Grenze zu Polen.

Damit wäre die Herkunft des Wagens geklärt – die Skistöcke weisen jedoch eher auf einen Aufnahmeort im Erzgebirge hin, wo der Wintersport eine lange Tradition hat. Das Gepäck der beiden spricht jedenfalls für eine Urlaubssituation, wenngleich unter den bescheidenen Bedingungen jener Zeit.

Übrigens wurde der DKW F8 im ehemaligen Audi-Werk in Zwickau ab 1949 äußerlich kaum unverändert weitergebaut. Lediglich sein Name wurde in IFA F8 geändert, wobei IFA für Industrieverband Fahrzeugbau stand, in dem die Fahrzeughersteller in der sowjetischen Zone zusammengefasst waren. Das abgebildete Fahrzeug könnte somit prinzipiell auch ein IFA F8 sein. Konstruktiv wäre es dennoch ein DKW gewesen, auch wenn sich der gleichnamige Hersteller mittlerweile im Westen (Ingolstadt) befand. DKW und IFA F8 stehen somit ebenso für die deutsche Teilung wie beispielsweise DKW und IFA RT 125.

In dem Foto ist also nicht nur ein vergnügter Wintertag festgehalten, sondern auch ein Stück deutscher Geschichte.

Ein Adler „Primus“ von 1932 im DDR-Alltag

Spätestens in den 1960er Jahren trennten sich die Deutschen in West und Ost von Wagen, die den Krieg überlebt hatten und ihnen in den Jahren des Wiederaufbaus treue Dienste geleistet hatten. Auch in der DDR standen inzwischen zeitgemäßere Fahrzeuge zur Verfügung.

Doch damals gab es zum Glück Individualisten, die lieber ein „altes Auto“ fahren wollten als sich mit moderner Massenware abzugeben. Während heute ein dreißig Jahre altes Auto wie zum Beispiel ein Mercedes 190 ohne Einschränkungen im Alltag gefahren werden kann, sah das in den 1960er Jahren ganz anders aus.

Wer sich damals auf ein Vorkriegsauto einließ, bekam in der Regel schwachbrüstige Motoren mit unsynchronisierten Getrieben, mäßige Bremsleistung, oft nicht vorhandene Heizung und beengte Platzverhältnisse. Die überlebenden Wagen hatten meist einen harten Einsatz im Krieg hinter sich und waren technisch am Ende. Für die Ersatzteilversorgung musste der Schrottplatz herhalten.

Wir heutigen Klassiker-Enthusiasten müssen dankbar sein, dass es einst genügend Altauto-Liebhaber gab, die unter ungünstigsten Bedingungen Wagen der Vorkriegszeit am Laufen hielten. Ein schönes Beispiel dafür zeigt das folgende Originalfoto:

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© Originalfoto Adler Primus in der DDR um 1960, aus Sammlung Michael Schlenger

Der Wagen trägt ein DDR-Nummernschild der ersten Serie, die ab 1953 vergeben wurden. Die Buchstaben standen nicht für Städte oder Landkreise wie in der Bundesrepublik, sondern für Bezirke. Hier handelt es sich um ein Fahrzeug, das im Bezirk Suhl /Thüringen zugelassen war. Der Kleidung nach zu urteilen, ist das Bild Anfang der 1960er Jahre entstanden.

Der Wagen wirkt stark gebraucht, speziell die Kotflügel sehen äußerlich mitgenommen aus. Mit Durchrostungen war aufgrund der damaligen Blechstärken und praktisch nicht vorhandener Hohlräume jedoch kaum zu rechnen. Von der Lackqualität abgesehen macht das Auto einen gesunden Eindruck. Es sind noch die typischen Bosch-Scheinwerfer der Vorkriegszeit montiert, auch der empfindliche Kühler wirkt intakt.

Dass wir es hier mit einem im Alltag genutzten Fahrzeug zu tun haben, ist am Dachgepäckträger zu erkennen, der wohl ein Eigenbau der Nachkriegszeit ist. Gleichzeitig weisen Details darauf hin, dass der Besitzer den Wagen nicht nur unter Nützlichkeitsaspekten schätzt. So erfüllen die nachgerüsteten Scheinwerferschirme keinen Zweck, sehen aber hübsch aus:

Adler_Primus_DDR_60er_Jahre_2

Der vergnügte Gesichtsausdruck der jungen Dame auf der Rückbank weist darauf hin, dass ihr der alte Wagen keineswegs peinlich war. Das Grinsen des Herrn, der unter der Motorhaube hantiert, spricht ebenfalls Bände – vielleicht hat der Fotograf kurz vor diesem Schnappschuss eine witzige Bemerkung gemacht. Wer genau hinschaut, sieht unter seiner Haartolle eine weitere Person hervorlugen – die Schwiegermutter?

Kenner werden die Marke des Wagens spätestens anhand obiger Ausschnittsvergößerung identifiziert haben – es handelt sich um einen Adler der frühen 1930er Jahre. Man kann die dreieckige Plakette des Frankfurter Herstellers auf der Kühlermaske gut erkennen.

Wie es der Zufall will, lassen sich Wagentyp und Herstellungsjahr genau benennen. Bei dem Auto handelt es sich um einen Adler „Primus„, ein konventionelles 4-Zylinder-Modell mit 32 PS aus 1,5 Liter Hubraum. Vorgestellt wurde der Primus 1932, und aus diesem Jahr dürfte auch der abgebildete Wagen stammen. Denn schon 1933 wurde der Flachkühler mit der Chrommaske durch den des  Frontantriebsmodells „Trumpf“ ersetzt.

Wir haben es also bei dem Wagen auf dem Foto mit einer Rarität zu tun. Das gilt erst recht für heutige Verhältnisse. Während der frontgetriebene Adler Trumpf noch vergleichsweise häufig anzutreffen ist, ist ein Primus mit Flachkühler nur selten zu sehen. Bei der Classic Gala 2015 im Schlosspark Schwetzingen war ein solches rares Exemplar zu bewundern:

Adler_Primus_Schwetzingen_2015

© Adler Primus, Schlosspark Schwetzingen 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Man darf davon ausgehen, dass der Primus auf dem alten Foto aus DDR-Zeiten heute noch existiert. Vielleicht kann jemand aus der Adler-Szene Näheres dazu beitragen.

„Voll“ praktisch – Hanomag Rekord Pickup

Auch im Internet-Zeitalter hat das Oldtimer-Buch längst nicht ausgedient. Denn oft gerät das Netz an seine Grenzen, wenn es um zuverlässige, in die Tiefe gehende, ansprechend präsentierte Informationen zu entlegenen Marken und Fahrzeugtypen geht. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Meist liegt das daran, dass die entscheidende Recherchearbeit zu einem Zeitpunkt geleistet wurde, als es das Internet noch nicht gab. Die Ergebnisse wurden dann in Druckwerken festgehalten, deren Auflage sich an der Zahl der dafür empfänglichen Enthusiasten orientierte; danach ist meist nichts mehr passiert.

Man nehme etwa das Werk von Görg/Hamacher: Hanomag-Personenwagen – Von Hannover in die Welt, erschienen 1999. Wer sich für die einstige PKW-Produktion des Maschinenbaukonzerns interessiert, kommt an dieser Publikation nicht vorbei – vorausgesetzt, man kann ein antiquarisches Exemplar ergattern wie der Verfasser.

Diese Situation ist unbefriedigend: Zum einen rückt der Tag näher, an dem es heißt „Was nicht online ist, existiert auch nicht“. Für Hanomag-Enthusiasten werden künftig die gedruckten Informationen zur Marke unerreichbar sein, wenn sie nicht ins Internet überführt werden. Zum anderen ist ein laufendes Fortschreiben des Recherchestands nicht gesichert, wenn die Basis dafür nicht online ist.

Ein Beispiel dafür soll hier präsentiert werden, ein Hanomag „Rekord“ Pickup der frühen Nachkriegszeit. Ab Werk war keine Transporterversion dieses von 1934 bis 1938 produzierten Mittelklassewagens verfügbar. Und doch hat es so etwas als Spezialanfertigung eindeutig gegeben:

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© Hanomag Rekord Pickup 1940/50er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses scheinbar unspektakuläre Foto liefert bei näherem Hinsehen hochinteressante Details. Dabei stand der Wagen bei der Aufnahme gar nicht im Mittelpunkt – der Fotograf hat die Person am Steuer in den Mittelpunkt gesetzt – ein schönes, ausdrucksstarkes Bild.

Das Auto lässt sich anhand weniger Details als Hanomag Rekord ansprechen. Die Kühlluftklappen, die zur A-Säule aufsteigende Linie, die sich in einer Zierleiste an der Regenrinne am Dach fortsetzt, die parallele Ausrichtung von Motorhaubenabschluss und Türvorderkante – alles das gibt es bei der für den Rekord (und den seltenen „Sturm“) von Ambi-Budd gelieferten Karosserie, Typ „Jupiter“.

Doch die Standardkarosserie endet hinter dem Fahrersitz, eigentlich schon hinter der A-Säule. Denn die horizontale Linie, die sich von der Motorhaube nach hinten fortsetzen sollte, ist abgeschnitten – die Tür hat eine komplett flache Außenhaut. Dahinter folgt ein rein funktionell gestaltete Ladefläche mit hohen Seitenwänden.

Was ist das für ein Umbau? Den entscheidenden Hinweis liefert die Plakette, die oberhalb des hinteren Kotflügelendes seitlich angebracht ist:

Ausschnitt_Hanomag_Rekord_3

Klar zu lesen ist dort „VOLL“. Wer hier an die Berliner Karosseriemanufaktur Voll & Ruhrbeck denkt, liegt daneben. Vielmehr gab es von 1926 bis 1992 in Würzburg die Karosseriefabrik Voll KG, die wahrscheinlich für diesen Umbau veranwortlich war.

Dafür spricht der Name des Fotostudios, der auf der Rückseite des Fotos  vermerkt ist: „A. Schmal, Hammelburg“. Der Ort liegt nur 50 km von Würzburg entfernt. Das macht es plausibel, dass von der dort ansässigen Firm Voll in der Nachkriegszeit ein Hanomag Rekord zu einem Transporter umgebaut wurde.

Möglicherweise handelte es sich um ein ehemaliges Wehrmachtsfahrzeug, das bei Kriegsende 1945 in der Nähe aufgegeben worden war. So fragwürdig ein Erwerb von Militäreigentum war: Man brauchte auf dem Land dringend Transportkapazität und man kann davon ausgehen, dass das von offizieller Seite möglich gemacht wurde.

Zu einer Datierung in die frühe Nachkriegszeit passt das Erscheinungsbild der Fahrerin. Sie trägt lange Zöpfe, die spätestens in den 1950er Jahren „abgeschnitten gehörten“. Der grobe Strickpullover unterstreicht die rustikal anmutende Gesamtsituation. Interessant ist die Frontscheibenheizung, die man auf folgender Ausschnittsvergrößerung zusammen mit dem Winker an der A-Säule gut erkennen kann:

Ausschnitt_Hanomag_Rekord

Es ist unwahrscheinlich, dass der Besitzer des Wagens dieses nützliche Accessoire in der frühen Nachkriegszeit anbrachte – man hatte andere Sorgen. Vermutlich war das Zubehör bereits im Hanomag installiert, als er nach Kriegsende den Besitzer wechselte. Auf Fotos von Wehrmachts-PKW an der Ostfront sieht man öfters solche Scheibenheizungen.

Dass der in Fahrtrichtung rechte Scheibenwischer fehlt, passt ebenfalls zu einem bereits intensiv genutzten Fahrzeug, bei dem nur noch der praktische Wert zählte. Für eine entspannte Einstellung zu dem einst begehrten Vehikel spricht nicht zuletzt, dass an der zweiteiligen Radkappe am linken Hinterrad der Abschlussdeckel fehlt:

Ausschnitt_Hanomag_Rekord_2

Bilder wie diese sagen viel darüber, wie ein Hanomag Rekord einst wirklich genutzt wurde. Das hat nichts mit dem Zustand „besser als neu“ zu tun, den leider immer noch viele vermeintliche Oldtimer-Freunde gerade hierzulande anstreben.

Zur Geschichte einer Automarke und eines speziellen Wagentyps gehören auch historische Belegstücke wie das hier präsentierte. Es wäre zu wünschen, dass Bilder und Informationen wie diese künftig ebenso systematisch aufbereitet und allgemein zugänglich gemacht würden, wie dies bislang in einschlägigen Druckwerken – und dort oft auch nur eingeschränkt  – der Fall war.

Weiterer Artikel zum Hanomag Rekord

Hanomag „Rekord“ Cabriolet im Militäreinsatz

Mit dem deutschen Maschinenbauer Hanomag verbinden die meisten Lastkraftwagen und Schlepper. Dass der Konzern aus Hannover bis 1941 auch PKW baute, ist vielen Klassikerfreunden kaum präsent. Allenfalls das skurrile Hanomag „Kommissbrot“ aus den 1920er Jahren erfreut sich noch einer gewissen Bekanntheit.

Tatsächlich landete Hanomag seinen größten Erfolg im Autobau erst Mitte der 1930er Jahre, mit dem Mittelklassewagen „Rekord“. Nachdem die Firma zuvor nur Kleinwagen gebaut hatte, stieß sie damit in den Kreis der größten PKW-Produzenten in Deutschland vor.

Der Hanomag Rekord wartete mit einem 1,5 Liter großen Vierzylinder-Motor auf, der besonders robust ausgelegt war, da daraus auch ein Dieselaggregat abgeleitet werden sollte. Mit 35 PS war der Rekord für damalige Verhältnisse ausreichend motorisiert, er erreichte knapp die 100 km/h-Marke.

Mit 4-Gang-Getriebe, Einzelradaufhängung vorne und hydraulischen Bremsen war der Rekord auf der Höhe der Zeit. Die gefällige Ganzstahlkarosserie vom Ambi-Budd tat ihren Teil dazu, den Wagen zu einem – gemessen an deutschen Verhältnissen – Verkaufserfolg werden zu lassen. Von 1934 bis 1938 entstanden gut 18.000 Exemplare.

So ist es kein Wunder, dass auch der Hanomag Rekord ab Kriegsbeginn 1939 zur Wehrmacht eingezogen wurde. Die Konstruktion galt als robust und Ersatzteile waren relativ schnell verfügbar. Nur Zweitakter und Exoten entgingen seinerzeit der Requirierung. Hier ein Originalfoto eines Hanomag Rekord im Militäreinsatz:

Hanomag_Rekord

© Hanomag Rekord Cabriolet, um 1940; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das Foto zeigt die Cabriolet-Version des Hanomag Rekord, für die es gegen Aufpreis sogar Lederpolster gab. Ob der hier gezeigte Wagen so luxuriös ausgestattet war und ob es sich um die 2- oder 4-Fenster-Variante handelte, lässt sich nicht entscheiden.

Jedenfalls sieht der Wagen schon gut gebraucht aus, die vorderen Kotflügel sind zerdellt und an der Stoßstange kommt unter der Lackierung in Feldgrau die Verchromung wieder zum Vorschein.

Kurios ist, dass die vor dem Kühler montierte Hupe nicht ebenfalls überlackiert worden ist. Sie war serienmäßig ebenso verchromt wie der Bügel zwischen den Scheinwerfern, an dem sie befestigt ist.

Ausschnitt_RekordDenkbar ist, dass die Hupe nach einem Defekt nachträglich ersetzt worden ist. So weist der Mittelstab der Kühlermaske auf eine Beschädigung hin. Dann wäre eine improvisierte Reparatur zu vermuten, vielleicht war gerade keine Tarnfarbe verfügbar.

Dass man auf konsequente Tarnung keinen Wert legte, mag mit der Aufnahmesituation zu tun haben. Zwar sind auf der Rückseite des Fotos keine Hinweise auf Ort oder Zeitpunkt vermerkt. Jedoch lassen sich aus dem Kontext einige Rückschlüsse ziehen. Das Bild zeigt offenbar einen Nachschubtreck mit Pferdewagen. Während die meisten deutschen Kampfeinheiten ab 1940 motorisiert waren, wurde das Gros des Materials nach wie vor mit der Eisenbahn oder von Pferden gezogenen Lastwagen transportiert.

Das erklärt auch den unstillbaren Hunger der Wehrmacht nach privaten PKW – zu keinem Zeitpunkt des Krieges waren ausreichend motorisierte Transportkapazitäten vorhande. Das war übrigens bei den europäischen Kriegsgegnern nicht anders. Nur die Amerikaner waren dank ihrer Massenproduktion nicht auf Zivilfahrzeuge angewiesen.

Werfen wir einen näheren Blick auf die drei Soldaten im Hanomag:

Ausschnitt_Rekord_2

Der schon etwas Ältere links ist der Schirmmütze nach zu urteilen ein Unteroffizier, vom Alter her könnte er als junger Mann schon den 1. Weltkrieg erlebt haben. Der jüngere Kamerad in der Mitte dürfte den Schulterklappen nach zu urteilen ein Feldwebel sein. Er trägt den linken Arm in einem Dreieckstuch, was auf eine jüngst erlittene Verletzung hindeutet. Der Soldat zu seiner Linken ist ein Gefreiter – zu erkennen am Winkel auf dem Ärmel. Als Mannschaftsdienstgrad trägt er keine Schirmmütze, sondern ein Schiffchen.

Alle drei Soldaten tragen die feldgraue Uniform der Infanterie mit dunkelgrünem Kragen, die es nur bei Kriegsbeginn gab. Das spricht für eine frühe Entstehung des Bildes. Zieht man die Benutzungsspuren des Hanomag ins Kalkül – siehe auch den Frontscheibenrahmen – spricht einiges für den Frankreichfeldzug, der im Sommer 1940 nach sechs Wochen „Blitzkrieg“ mit der französischen Kapitulation beendet war.

Vermutlich ist die Aufnahme bei einer nachrückenden Versorgungseinheit im Hinterland fernab jeder Bedrohung entstanden. Was aus dem Hanomag und den Männern auf dem Bild wurde – wer weiß…

Weiterer Bildbeitrag zum Hanomag Rekord

Fiat 1400 und 1900: Gediegene Mittelklasse

Der jahrzehntelange Erfolg, den Fiat einst mit den Modellen 500/600 und dem 1100 (Millecento) hatte, prägt bis heute das Image der Marke.

Kaum bekannt ist, dass Fiat nach dem Zweiten Weltkrieg für eine ganze Weile gehobene Mittelklassewagen baute, die in Europa fast ohne Konkurrenz waren.

Ende 1949 begann die Fertigung des Fiat 1400, eines großzügig geschnittenen Viertürers in Pontonform. Zu dieser Zeit baute Mercedes noch Autos, die formal in den 1930er Jahren stehengeblieben waren.

Hier ein erster Blick auf den 1400er Fiat (rechts), der neben einer Lancia Aprilia und einem Fiat 1100 der 1930er/40er Jahre (links) in der Tat hochmodern wirkt:

Fiat_1400

© Ausschnitt aus einem Originalfoto der 1950er Jahre; Sammlung Michael Schlenger

Die formale Rückständigkeit von Mercedes war auch nicht mit dem verlorenen Krieg zu erklären. Borgward präsentierte Ende 1949 mit dem Hansa ebenfalls eine Ponton-Limousine, die erste deutsche Neukonstruktion nach dem Krieg. Und für Italien war der 2. Weltkrieg trotz des Seitenwechsels 1943 ebenfalls ein Desaster in jeder Hinsicht.

Fiat wollte nach dem Krieg so schnell wie möglich den Anschluss an die PKW-Entwicklung schaffen, die in den USA trotz des Krieges nicht stehengeblieben war. Mit dem 1400er gelang das eindrucksvoll:

Fiat_1400_Triest_Sommer_1954

 

© Steyr-Fiat 1400 in Triest, August 1954; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei diesem großzügigen Wagen wird wohl kaum jemand an einen Fiat denken, und doch ist es einer. Dieser 1400er wurde bei Steyr in Österreich in Lizenz gebaut und ist hier im Sommer 1954 in Triest zu sehen. Ab diesem Jahr wurde der Wagen übrigens mit 50 PS-Motor verkauft, damit war eine Höchstgeschwindigkeit von 125 km/h möglich. Schon der 44-PS-Vorgänger war eine Neukonstruktion nach dem Krieg.

Fiat bot den 1400er auch als zweitüriges Cabriolet an. Im Unterschied zur Limousine hatte die offene Version seitliche Chromleisten, die von den Besitzern der Viertürer gern nachgerüstet wurden. Folgendes Foto zeigt ein solches „aufgehübschtes“ Exemplar:

Fiat_1400_1955

 

© Fiat 1400 in den Dolomiten, 1955; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ab 1953 war der Fiat 1400 außerdem in einer Dieselvariante erhältlich. Auch hier war man schneller als Mercedes (Ponton-Diesel ab 1954).

Von Anfang an hatten die Konstrukteure des Fiat 1400 eine stärkere Motorenvariante im Blick. Wenn es nach den Ingenieuren gegangen wäre, hätte man gern einen 6- oder gar 8-Zylinder-Motor implantiert. Doch Platzverhältnisse und Kostenerwägungen standen dem entgegen.

Man entschied sich, den 1,4 Liter Motor auf 1900ccm aufzubohren und mit der Karosserie des Fiat 1400 zu kombinieren. Dass dies gelang, spricht ebenso für die Robustheit des Ausgangsaggregats wie die Raumökonomie des 1400er.

Der auf diese Weise kreierte Fiat 1900 wurde 1952 vorgestellt. Er kam mit einer für damalige Verhältnisse sensationellen Ausstattung daher.

Statt eines 4-Gang-Getriebes mit herkömmlicher Kupplung verfügte er über ein Strömungsgetriebe mit 5-Gängen. Dabei wurde der Kraftschluss hydraulisch hergestellt und es konnte schaltfaul gefahren werden. Im 4. Gang konnte man von 30 km/h bis zur Höchstgeschwindigkeit durchbeschleunigen, der 5. Gang war lang ausgelegt.

Die Motorleistung wurde bis Produktionsende 1958 von 60 über 70 auf zuletzt satte 80 PS gesteigert – das war eine annähernde Verdopplung gegenüber dem ersten Fiat 1400 und unterstreicht nochmals die Qualität der Konstruktion. Mercedes wagte bei seinem bis 1962 gebauten Ponton-Modell keine vergleichbar großzügige Leistung

Im Fiat 1900 war ein Radio serienmäßig  verbaut, und es gab eine über Türkontakte aktivierte Innenraumbeleuchtung, damals eine Seltenheit. Äußerlich unterschied sich der Fiat 1900 durch mehr Chromschmuck vom 1400er Modell.  Das erlaubt die Identifikation des 190oer, der sich auf folgendem zeitgenössischen Foto „versteckt“:

Amalfi_1953

 

© Fiat 1900 in Amalfi 1953; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses schöne Bild ist ausweislich des Vermerks auf der Rückseite im Jahr 1953 entstanden. Aufnahmeort ist die alte Handels- und Hafenstadt Amalfi an der gleichnamigen Küste zwischen Neapel und Salerno – einer der grandiosesten Kulturlandschaften Europas.

Das Foto hat jemand am zentralen Platz der Stadt unterhalb des Doms von Amalfi geschossen. Wer sich heute dort in einem der Cafés niederlässt, kann dasselbe Achitekturensemble genießen.

Geändert hat sich nur das Erscheinungsbild der Besucher und Bewohner – die Eleganz jener Zeit sucht man in unseren Tagen vergeblich. Dennoch ist Amalfi immer noch einen Aufenthalt wert. Wenn die Tagestouristen fort sind, scheint die Zeit dort stillzustehen. Der Ort eignet sich perfekt als Standquartier für die gesamte Amalfiküste, wo übrigens immer noch viele klassische Fiats unterwegs sind.

Ein Fiat 1900 wie auf dem Foto ist allerdings heutzutage auch in Italien eine ganz große Rarität. Hier nochmals ein näherer Blick auf das Exemplar, das dort vor über 60 Jahren in der Sommersonne stand:

Fiat_1900_Amalfi_1953

 

Eindeutig identifizieren lässt sich der Wagen als 1900er anhand der Chromleisten. Diese reichen nur bis zu C-Säule, während 1400er mit nachgerüsteter Chromleiste vom Cabriolet diesen Schmuck nur an Vorder- und Hinterkotflügel tragen.

Die Weißwandreifen sprechen ebenfalls für die große Variante. Die Front wird zwar durch einige Stühle verdeckt, doch der Fall ist klar – das ist der Wagen von jemand, der „es geschafft hatte“…

Ganz schön rar: DKW Bootsheck-Roadster

Es ist schon spannend, was einem bei der „freien Jagd“ nach historischen Automobil-Fotos alles vor die Flinte kommt. Wer nicht auf bestimmte Marken und Typen festgelegt ist, kann echten Raritäten auf die Spur kommen.

Wohl jeder Freund deutscher Automarken erkennt auf Anhieb die gefällig gezeichneten DKW-Modelle der Vorkriegszeit mit markanten Bezeichnungen wie Reichsklasse und Meisterklasse.

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© DKW F7 Cabrio-Limousine 1937-38; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Von diesen eleganten Fahrzeugen haben viele Exemplare überlebt, weil sie wegen ihrer Zweitaktmotoren im Krieg nicht von der Wehrmacht eingezogen wurden. Wer einen bezahlbaren deutschen Vorkriegswagen mit Charme sucht und sich an der geringen Leistung nicht stört, kommt an DKW kaum vorbei.

DKW hatte von Anfang an eine glückliche Hand, was das Erscheinungsbild seiner Automobile anging. Das Publikum sah über die Schwächen des Zweitaktantriebs hinweg und erfreute sich an bezahlbarer Mobilität mit Stil. Allein die Cabriolets (gebaut bei Baur und Horch) der Typen F4, 5 und 7 verkauften sich rund 30.000 Mal. 

Selbst Kenner müssen aber erst einmal passen, wenn sie folgendes Fahrzeug zu Gesicht bekommen – ein rassiger Bootsheck-Roadster. Man denkt vielleicht zuerst an ein englisches Modell oder hält einen Special der Nachkriegszeit für möglich. DKW_PS_600

© Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Markenembleme sind auf dem Foto nicht zu erkennen. Da das Bild in Deutschland aufgenommen wurde, spricht die Wahrscheinlichkeit erst einmal für ein deutsches Fabrikat.

Fündig wird man schließlich beim Durchblättern des „Oswald“ (Deutsche Autos 1920-45): Auch das ist ein DKW! Dazu noch das heute seltenste Modell überhaupt – ein PS 600. Es war die Sportversion des braven DKW P15, des ersten Automobils von DKW. Damit hatte die Firma 1928 auf Anhieb einen Volltreffer gelandet.

Umsteiger vom Motorrad wussten, was sie vom Zweitaktspezialisten DKW erwarten konnten und störten sich weder am trotz Wasserkühlung lauten Motorengeräusch oder an der Karosserie aus kunstlederbezogenem Sperrholz.

Während der P15 mit nur 15 PS auskommen musst, holte das hier gezeigte Sportmodell aus demselben 600ccm-Zweizylindermotor 18 PS. Mit einem Werks-Tuning-Satz waren sogar 20 PS drin. Das entsprach dem Wert beim Motorrad DKW 600 Super Sport, das ebenfalls einen wassergekühlten 600ccm-Motor hatte und damals als Traummaschine galt. Die Motorisierung des DKW PS 600 erscheint heute dürftig, doch bei einem Wagengewicht von 550 kg war damit eine zügige Fortbewegung möglich.

Nicht zu verachten war die Wendigkeit des Wagens, zu der neben dem geringen Gewicht auch die schmale Bereifung im Motorradformat 3,25 x 19 beitrug. Die Bremsleistung war dagegen mäßig. Immerhin gab es Bremstrommeln rundum, die über Seilzüge betätigt wurden, wie auf der Ausschnittsvergrößerung am Hinterrad gut zu erkennen ist:

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Dass der Wagen nicht nur rasant aussah, sondern tatsächlich eine gewisse sportliche Charakteristik hatte, belegen zahlreiche Klassensiege zwischen 1929 und 1933, unter anderem am Schauinslandrennen und auf dem Nürburgring. 1930 stellte der DKW PS 600 auf der Steilwandstrecke in Monthléry bei Paris sogar einen Rekord auf, als er bei einer 24h-Fahrt einen Durchschnitt von über 90 km/h erreichte.

Gebaut wurden vom DKW PS 600 bis 1931 nur 500 Exemplare. Dass davon überhaupt einige überlebt haben, dürfte der attraktiven Form und der Tatsache zu verdanken sein, dass in der DDR alles am Laufen gehalten wurde, was den Krieg überstanden hatte. Damit kommen wir zum mutmaßlichen Entstehungsort und dem Zeitpunkt der Aufnahme. Ein erster Hinweis findet sich im Hintergrund:

DKW_PS_600_Ausschnitt_2Der Schriftzug Berliner Bären-Lotterie über dem Schaufenster verweist auf eine 1953 in der DDR geschaffene staatliche Glücksspieleinrichtung. Somit dürfte das Bild in der Nachkriegszeit in Ostberlin oder einer anderen ostdeutschen Großstadt entstanden sein. Für Berlin spricht der rückseitige Stempel „Foto Boss Treptow“.

Die Datierung lässt sich noch etwas präzisieren. Den entscheidenden Hinweis gibt der im Hintergrund vorbeihuschende Lieferwagen.

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Das Fahrzeug ist so markant, dass es eindeutig identifiziert werden kann: Es handelt sich um einen Barkas B 1000, der das ostdeutsche Pendant zum VW Transporter darstellte. Er wurde 1961 vorgestellt und war seinerzeit eine durchaus moderne Konstruktion.

Damit rückt der Entstehungszeitpunkt des Fotos in die 1960/70er Jahre. Der Barkas wurde zwar kaum verändert bis 1990 gebaut, doch der gezahnte Rand des Fotos und sein Zustand sprechen für ein erhebliches Alter der Aufnahme. Das Fahrzeug sieht für eine Alltagsnutzung zu gepflegt aus, speziell das Verdeck macht einen sehr guten Eindruck. Vielleicht kam der DKW von einem Veteranentreffen zurück und der Fotograf hat ihn durch Zufall aufgenommen.

Gut stehen jedenfalls die Chancen, dass dieses Exemplar des DKW PS 600 heute noch existiert. In Ostdeutschland sind mindestens zwei dieser attraktiven Wagen mit ihrer markanten Zweifarblackierung erhalten, nämlich im August Horch Museum in Zwickau und im Museum für sächsische Fahrzeuge in Chemnitz.

Beide Sammlungen sind übrigens für Freunde von Vorkriegsfahrzeugen unbedingt empfehlenswert!

Citroen „Rosalie“ in seltener 6-Zylinder-Version

Beim Stichwort Vorkriegs-Citroen denken die meisten sicher an den legendären Traction Avant – technisch wie gestalterisch eine Ikone einstiger französischer Automobilbaukunst. Der Vorgänger der „Gangsterlimousine“ dagegen ist wohl nur noch Liebhabern der Marke bekannt: das von 1932-35 gebaute Modell Rosalie.

Eigentlich galt der Spitzname nur dem kleinsten Wagen der Baureihe mit 8CV-Motor. Wie auch hierzulande beschränkten sich viele Hersteller bei der Typbezeichnung seinerzeit auf die Angabe der Steuer-PS. Noch bis zur Ente (2CV) hielt Citroen daran fest.

Deutlich mehr Platz im Innenraum als die kleine Rosalie bot die 10CV-Version, deren 4-Zylinder-Motor zudem 36 statt 32 PS leistete. Damit war die magische Grenze von 100km/h erreichbar, wenngleich der Wert auf den Landstraßen jener Zeit eher ein theoretischer war.

Insgesamt rund 88.000 Citroen 8 bzw. 10CV entstanden während der relativ kurzen Bauzeit – ein beachtlicher Erfolg. Bis in die französischen Kolonien gelangte der Wagen, wie folgendes Originalfoto belegt.

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© Citroen Rosalie 8 oder 10 CV; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die wüstenartige Landschaft und die arabische Wiederholung der Nummer auf dem Kennzeichen lassen vermuten, dass das Bild in Nordafrika entstanden ist. Der stolz posierende Besitzer im saloppen Safari-Dress hat auf der Rückseite vermerkt: „Mon Auto!“

Die heruntergefahrenen Reifen sprechen für einen herzhaften Einsatz des robusten Gefährts. Langlebigkeit und Zuverlässigkeit waren ebenso typisch für Citroen wie das markante und stilsichere Erscheinungsbild.

Die Schrägstellung der Kühlermaske weist auf eine Entstehung ab 1934 hin, vorher stand der Kühler der Rosalie senkrecht im Wind. Man ahnt in der Frontpartie bereits den eleganten Nachfolger.

Wie beim Traction Avant gab es auch von der Rosalie eine 6-Zylinder-Version, die schon damals zu den Raritäten gehörte. Nur etwas mehr als 7.000 Exemplare wurden davon gefertigt, 50 davon übrigens im Kölner Zweigwerk von Citroen.

Dieses als 15CV bezeichnete Ausführung war noch länger als der 10CV und auch technisch ein beeindruckendes Fahrzeug. Sein 2,7 Liter-Reihensechszylinder ermöglichte eine kultivierte und souveräne Fortbewegung.

Ein zeitgenössisches Foto der raren Spitzenausführung der Rosalie zu ergattern, ist reine Glückssache. Im vorliegenden Fall erschloss sich erst auf den zweiten Blick, dass es sich hier tatsächlich um die 6-Zylinder-Version handeln muss:

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© Citroen 15 CV; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Kenner ahnt bereits, dass es sich um ein französisches Fahrzeug handelt, auch wenn nirgends ein Markenemblem zu erkennen ist.

Erste Vermutung: ein Peugeot 401? Die Frontpartie ist in der Tat ähnlich, doch sind die Kühlluftklappen beim Peugeot horizontal ausgerichtet. Außerdem sind die Scheinwerfer dort niedriger angebracht. Wahrscheinlichster Kandidat ist Citroens Rosalie, hier passen alle Details, auch wenn das Markenemblem nicht erkennbar ist.

Citroen_15CV_Rosalie_Ausschnitt

Die Identifikation als großes 15CV-Modell mit Sechszylinder ermöglicht die Zahl der Kühluftklappen – bei den kleineren Versionen sind es nur vier statt fünf. Für den größeren Motor war ein 15cm längerer Vorderwagen erforderlich, was der Linie durchaus zuträglich ist.

Einige Überlegungen zur Entstehung des Bilds: Offenbar wurde der 15CV als Schlafgelegenheit genutzt, die Vordersitze sind noch flachgelegt. Die nicht mehr ganz junge Dame rechts scheint eine Hose zu tragen. Zusammen mit dem legeren Oberteil spricht dies gegen eine Entstehung in den 1930er Jahren. Die ursprünglichen Besitzer eines solchen Fahrzeugs wären kaum auf das Auto als Schlafgelegenheit angewiesen gewesen.

Denkbar wäre, dass der Wagen in der frühen Nachkriegszeit von einem weniger betuchten Zweit- oder Drittbesitzer für einen kleinen  Urlaubsausflug auf’s Land genutzt wurde. Der Citroen weist deutliche Gebrauchsspuren auf und könnte mit etwas Glück der Requirierung im Krieg entgangen sein – speziell in Frankreichs Süden, der erst Ende 1942 von deutschen Truppen besetzt wurde und sich kaum kontrollieren ließ.

Auf jeden Fall ist das Bild an einem sonnigen Sommertag entstanden, ob unter entspannten Umständen oder nicht, lässt sich ebenso wenig klären wie das Schicksal des Wagens. Heute gibt es nur ganz wenige Überlebende des 6-Zylinder-Modells von Citroens Rosalie.

Weiterer Bildbericht zur Rosalie.

NAG C4: Ein Sportwagen aus dem AEG-Konzern

Dass Berlin vor dem 1. Weltkrieg ein bedeutender Standort für Flug- und Fahrzeugbau war, dürfte heute nur noch Spezialisten geläufig sein. Längst Geschichte sind einst stolze Firmen wie die Albatros-Flugzeugwerke oder die Nationale Automobil Gesellschaft (NAG), von 1901 bis 1934 die Fahrzeugsparte im AEG-Konzern. Was bleibt, sind einige wenige Überlebende in Museen und natürlich: historische Fotos.

Oft ist es eine Herausforderung, den alten Aufnahmen ihre Geheimnisse zu entlocken, doch mit Geduld und Glück kommt man meist ans Ziel. Bisweilen gerät man dabei an Marken und Geschehnisse, die einem zwar geläufig sind, aber gar nicht Ziel der Suche waren (siehe auch hier).

So stieß der Verfasser über das Foto eines „Bentley“ ungewollt auf ein Fabrikat der Berliner Firma NAG. Auf den ersten Blick hat der Sportwagen links im Bild tatsächlich Ähnlichkeit mit einem der großartigen Gefährte von W.O. Bentley. Die wohl auf einem Flugplatz entstandene Aufnahme ist reizvoll, da wird nicht lange überlegt und das Bild gekauft.

NAG Typ C4

© Originalfoto NAG Typ C4, um 1930; Sammlung: Michael Schlenger 

Bei näherer Betrachtung macht das Nummernschild (IM=Provinz Sachsen) stutzig. Ein Bentley mit deutscher Zulassung wäre in der Zwischenkriegszeit zwar nicht ausgeschlossen, aber doch ziemlich unwahrscheinlich. Folgt man der alten Regel, sich für die naheliegendste Erklärung zu entscheiden, sollte das ein deutsches Auto sein.

Schaut man genau hin, fällt der Kühlerausschnitt auf. Er ist nicht hufeisenförmig wie bei Bentleys und vielen anderen Wagen der Zeit, sondern bildet ein geschlossenes Oval. Der Ovalkühler war ein Kennzeichen der Marke NAG bis weit in die 1920er Jahre hinein.

NAG Typ C4_Kühlermaske

NAG baute nach dem 1. Weltkrieg nur wenige PKW-Typen. Mit einer kurzen Recherche lässt sich der Wagen als NAG Modell C4 identifizieren, das von 1922 bis 1924 gebaut wurde. Ein solches Fahrzeug steht im sehenswerten Automuseum in Amerang und dort hat ein Enthusiast einige Bilder dieses Prachtstücks gemacht.

In der Serienversion leistete der 2,5 Liter-Vierzylinder des NAG C4 der  zwar nur maximal 45 PS. Doch in Rennspezifikation war weit mehr drin, ohne die Konstruktion zu überfordern. Beim 24-Stunden-Rennen von Monza im Jahr 1924 holte ein NAG C4 den Sieg mit einem Durchschnitt von knapp 120 km/h.

Die Straßenausführung bekam daraufhin den – offenbar verkaufsfördernden – Namenszusatz „Monza“. Immerhin rund 5.000 Exemplare des C4 konnte NAG seinerzeit absetzen, was im wirtschaftlich darniederliegenden Deutschland der 1920er Jahre beachtlich war.

Kommen wir zur Datierung des Fotos, wobei folgender Ausschnitt hilfreich ist. Das legere Erscheinungsbild der Herrschaften und der Haarschnitt der meisten spricht für eine Aufnahme Anfang der 1930er Jahre. Der junge Offizier, der auf dem Trittbrett sitzt, trägt den bei der Reichswehr bis 1933 üblichen Uniformrock. Später wird das Bild also kaum entstanden sein.

Ausschnitt Bisher nicht klären lassen sich Ort und Anlass der Aufnahme. Der kräftig wirkende Mann ganz rechts trägt eine seinerzeit bei Piloten verbreitete kurze Jacke und fixiert offenbar dasselbe Objekt wie ein Teil der übrigen Anwesenden, möglicherweise ein bereitstehendes Flugzeug.

Ausschnitt_2

Ein weiteres Indiz dafür, dass die Aufnahme bei einer Flugveranstaltung entstanden ist, sind die Pilotenbrillen, die zwei der Anwesenden tragen. Der bullige Knickerbocker-Träger hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem populären Jagdflieger Ernst Udet, der sich seinen Lebensunterhalt in der Zwischenkriegszeit mit Kunstflugvorführungen verdiente.

Gesichert ist seine Identität aber nicht, weshalb weiterführende Hinweise willkommen sind. Unabhängig davon ist dieser Zufallsfund ein Anlass, sich näher mit dem einstigen Qualitätshersteller NAG zu beschäftigen:

Bildbericht zum Nachfolgemodell NAG Typ D4 10/45 PS

Mercedes-Wagenwäsche vor 100 Jahren

Während heutzutage „Feinstaub“ herhalten muss, um ständig neue Umweltauflagen zu rechtfertigen, und in Großstädten wie Frankfurt auf mehrspurigen Ringstraßen Tempo 30 verordnet wird (der „Red Flag Act“ lässt grüßen), ist es hilfreich, sich die Ökostandards vor 100 Jahren zu vergegenwärtigen.

Damals war es eine Errungenschaft, dass jede Kleinstadt im Deutschen Reich an das Eisenbahnnetz angeschlossen war, das freilich auf Dampfbetrieb beruhte. In den Industriemetropolen qualmten die Schornsteine Tag und Nacht. Damals wurden die Grundlagen des Wohlstands geschaffen, den wir heute wie selbstverständlich genießen.

Automobile setzten sich nach Jahren der Anfeindung als sinnvolle und begehrenswerte Schöpfungen durch. Für die damit verbundenen Vorteile – individuelle Mobilität für berufliche und private Zwecke – war jedoch ein Preis zu zahlen, der schon bald deutlich wurde.

Die Unfallgefahren waren hoch, für Insassen und sonstige Verkehrsteilnehmer gleichermaßen. Die Abgas- und Lärmbelästigung durch das Automobil wurde bereits früh angeprangert. Elektro- und Dampfwagen waren entsprechend populär, solange Reichweite und Gewicht weniger wichtig waren.

Kein Thema war dagegen lange Zeit die Belastung von Gewässern und Boden durch Öl und sonstige Schmierstoffe. Als Beispiel mag das folgende Originalfoto dienen, das Soldaten bei der Wagenwäsche im 1. Weltkrieg zeigt.

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© Originalfoto Mercedes in Serbien, wohl 1914/15; Sammlung: Michael Schlenger 

Laut umseitiger Beschriftung wurde das Bild an der Morawa aufgenommen, einem serbischen Zufluss der Donau. Der Wagen – wohl ein Stabsfahrzeug – trägt unter der Windschutzscheibe ein militärisches Nummernschild und die Bezeichnung der Truppeneinheit, einer Jäger-Kompanie.

Es handelt es sich um einen Mercedes der Daimler-Werke, doch das genaue Modell ist bislang unbekannt. Die simple Form der Schutzbleche verweist auf ein Exemplar um 1910, während der Übergang der Motorhaube zur Schottwand und die integrierten Leuchten auf eine spätere Entstehung hindeuten.

Kurios ist das Erscheinungsbild der Drei, die den Mercedes im Fluss waschen. Der Soldat rechts posiert vorschriftsmäßig im Arbeitsanzug mit „Knobelbechern“ und Schirmmütze. Sein Kamerad in der Mitte ist an Kopfbedeckung und Brille immerhin noch als Fahrer zu erkennen. Doch er hat sich schon eine „Anzugerleichterung“ erlaubt. Der Soldat links trägt nur eine Schirmmütze – ansonsten ein Handtuch als Lendenschurz.

Wer meint, das sei ein Privatfoto unter Kameraden, liegt falsch. Es handelt sich ausweislich der Beschriftung auf der Rückseite um eine offizielle Aufnahme, die vom Stellvertretenden Generalstab zur Veröffentlichung freigegeben war. Offenbar wollte man zeigen, dass es an der Front mitunter fidel und freizügig zugeht. Aus dem 2. Weltkrieg gibt es ähnliche Aufnahmen, die es bis in die Deutsche Wochenschau geschafft haben. So verklemmt, wie man heute meint, waren unsere Ahnen nicht.

Nur der Umweltschutz hatte damals noch keine Priorität. In Zeiten hervorragender Luft- und Wasserqualität hierzulande ist das ein Anlass, heutige Weltuntergangsszenarien etwas gelassener zu sehen.

Ein Fiat 1100 Transporter der 1940er Jahre

Transporter-Versionen klassischer Automobile haben einen ganz eigenen Reiz. Gerade bei Pritschenwagen der Vorkriegszeit sorgt der Bruch zwischen der gefälligen Frontpartie und dem schmucklosen Aufbau für eine Spannung, die der Limousine meist fehlt.

Oft genug ist das Heck ohnehin die weniger attraktive  Partie. Beim Peugeot 202 etwa hat der Abschluss der Normalausführung keine Chance, mit der großartigen Linienführung an der Front mitzuhalten. Folglich vermisst man beim Pickup hinter der Fahrerkabine auch nichts.

© Peugeot 202UH von 1949, Peugeot 201, NSU Fiat 500, Autobianchi Panoramica, Fiat 500 Giardiniera; Bildrechte: Michael Schlenger 

Dann gibt es Modelle mit hohem Niedlichkeitsfaktor, denen man kaum eine Nutzfahrzeugvariante zutraut. Die als „Giardiniera“ bezeichnete Kombiversion des Fiat 500 beispielsweise sorgt immer wieder für Erstaunen. Auch hier hat der Kontrast zwischen der hübschen Ausgangsversion und der sachlichen Heckpartie seinen Reiz.

Es gibt allerdings auch Fahrzeuge, bei denen das Bemühen erkennbar ist, die schnöde Transportfunktion durch handwerklich aufwendige und formschöne Gestaltung des Hecks zumindest etwas zu kaschieren. Eines der seltenen Beispiele dafür zeigt das folgende Bild:

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© Originalfoto Fiat 1100 L Transporter aus dem 2. Weltkrieg; Sammlung: Michael Schlenger 

Zu sehen ist ein Fiat 1100 L mit offener Ladefläche, der als Furgoncino oder Camioncino bezeichnet wurde, was so viel wie Kleintransporter bedeutet. Das „L“ weist auf das gegenüber der Standardversion verlängerte Chassis hin, das es von 1938 bis 1948 gab.

Für das italienische Militär wurden tausende Exemplare der Transportversion des „Millecento“ gebaut, für den harten Einsatz im Afrika-Feldzug (1940-1943) auch als „Coloniale“mit verstärktem Fahrwerk und höherer Zuladung (750 kg).

Der Fiat auf obigem Bild ist offenbar einer dieser militärisch genutzten Transporter vom Typ 1100L. Dennoch verfügt auch er über die schön geschwungene Heckpartie in bester Schreinerarbeit, die in merkwürdigem Gegensatz zum eigentlichen Nutzwert steht.

Fiat_1100L_Furgone_Ausschnitt

Die Ausschnittsvergrößerung lässt nur ahnen, wie aufwendig der Aufbau des Transporters tatsächlich war. An einem restaurierter Fiat 1100L Camioncino kann man die sorgfältige Holzkonstruktion genau studieren.

Das Bild muss zwischen 1943 und 1945 in Italien entstanden sein. Die drei Soldaten tragen die für die Südfront typische deutsche Uniform. Der Fiat stammt wohl von den ehemaligen italienischen Verbündeten, die nach der Eroberung Siziliens durch die Alliierten 1943 die Seiten wechselten. Er trägt jedenfalls keine Divisionsabzeichen und taktischen Zeichen, wie sie bei der Wehrmacht auch bei Fremd- und Beutefahrzeugen üblich waren.

Über den genauen Entstehungsort des Fotos lässt sich nur mutmaßen. Die Landschaft deutet auf eine dünn besiedelte Gegend irgendwo im Apenninen-Gebirge hin. Die Straße scheint jedoch bereits asphaltiert zu sein, was eher für Mittelitalien spricht als für den tiefen Süden.

Die Ladung umfasst offenbar einen Motorradreifen und allerlei Ausrüstung. Sollte der Fiat allein unterwegs gewesen sein, hätten zwei der vier Mann (einschließlich des Fotografen) nur Platz auf der Ladefläche finden können. Die Szenerie hat etwas von einer „Lustreise“ abseits des Dienstalltags.

Sollte der Fiat den Krieg überstanden haben, stand ihm noch ein hartes Dasein bevor. Denn im Nachkriegsitalien wurde jede Form motorisierter Transportkapazität gnadenlos aufgebraucht. Deshalb sind gerade die Nutzfahrzeugvarianten von Fiat und Co. heute so selten und faszinierende Zeitzeugen.

Mehr zur Modellgeschichte des Fiat 1100 hier.