Erinnern Sie sich an meinen kürzlichen Blog-Eintrag zum Audi Typ „Zwickau“?
Dort hatte ich darauf verwiesen, dass Audi für dieses grandiose Achtzylindermodell – sowie für den 6-Zylinder-Typ „Dresden“ . Motoren verwendete, die zuvor von Rickenbacker in den USA produziert worden waren.
Der damalige Besitzer von Audi – DKW-Chef Rasmussen – hatte die Fertigungsmaschinen für die beiden Aggregate aus der Konkursmasse der Firma Rickenbacker erworben, die 1927 aufgegeben hatte.
Heute kann ich als Fund des Monats April 2022 sogar einen ganzen Rickenbacker zeigen – und noch dazu einen, der einst in Deutschland einen Käufer gefunden hatte. Das ist eine mittlere Sensation, wie wir noch sehen werden.
Doch erst einmal zum Namen Rickenbacker, der manchem vielleicht bekannt vorkommen mag. In den Staaten gab es nämlich vor dem 1. Weltkrieg einen erfolgreichen Rennfahrer namens Edward Rickenbacher – Sohn schweizerischer Einwanderer.
Er hatte als 14-jähriger eine Anstellung als Mechaniker in der Oscar Lear Automobile Company erhalten. Nur zwei Jahre später 1906 war er bereits für die Vorbereitung von Rennwagen verantwortlich und ab 1910 sah man ihn selbst am Steuer.
In der Folge war er dreimal siegreich beim 300 Mile Event in Sioux City (Iowa), außerdem gewann er die 300 Mile Metropolitan Trophy in Sheepshead Bay, die 300 Mile Races in Omaha (Nebraska) und Des Moines sowie das Ascot Park Race in Los Angeles (Quelle).
1917 meldete er sich zur US-Armee und wurde binnen kurzem ein erfolgreicher Jagdflieger über Frankreich. Mit 22 Abschüssen gegnerischer Maschinen wäre er nach deutschen Maßstäben zwar nur im unteren Drittel der Erfolgsliste gewesen, aber gemessen an der Kürze seines Einsatzes waren diese Ergebnisse bemerkenswert.
Captain Rickenbacker – er hatte seinen Namen wegen der antideutschen Stimmung in den Staaten entsprechend geändert – war nach seiner Rückkehr in die USA bekannt wie ein bunter Hund.
Das mag dazu beigetragen haben, dass der amerikanische Automanager Barney Everitt zusammen mit einem Geschäftsfreund namens Walter Flanders und weiteren erfahrenen Männern 1921 die Rickenbacker Motor Company schuf.
Rickenbacker selbst fungierte als Vizepräsident und Vertriebschef der Firma. Inwieweit er Einfluss auf die Konstruktion der nach ihm benannten Wagen nahm, weiß ich nicht.
Bemerkenswert ist jedenfalls, dass der erste Rickenbacker-Wagen ein Jahr nach Erscheinen (1922) serienmäßig mit Vierradbremsen ausgestattet wurde, ein Novum in der oberen Mittelklasse, in welcher der 58 PS leistende Sechszylinderwagen in den USA angesiedelt war.
Für das Modelljahr 1925 hatte man außerdem einen 80 PS starken Achtzylindermotor entwickelt. Einen Rickenbacker mit genau dieser Motorisierung sehen wir nun auf folgender Aufnahme, die mir Leser Klaas Dierks aus seiner Sammlung zur Verfügung gestellt hat:
Rickenbacker „Eight“ von 1925/26; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks
So elegant kann ein schlichter Tourenwagen aussehen, wobei wir es hier mit einem besonders flach bauenden Karosseriekörper zu tun haben – von Rickenbacker als „Sport-Phaeton“ angeboten.
Dieser in jeder Hinsicht makellos gezeichnete Wagen mit seinem selbstbewussten Kühlerschriftzug ist sehr wahrscheinlich 1925 oder 1926 entstanden. Denn schon 1927 endete das kurze Dasein der „Rickenbacker Motor Company“.
Die Stückzahlen waren stets überschaubar geblieben, im besten Jahr 1925 entstanden etwas mehr als 8.000 Wagen – nach amerikanischen Maßstäben war das ein Fehlschlag.
Woran es gelegen hat, dass man nach vielversprechenden Anfängen und mit einem zugkräftigen Markennamen dennoch scheiterte, ist mir nicht klar. An den Qualitäten der Autos kann es kaum gelegen haben, vermutlich waren sie etwas zu teuer und dafür zu wenig eigenständig.
Interessanter ist ohnehin die Frage, wie dieser Rickenbacker einst über den Atlantik gelangt ist, denn zugelassen war er ganz eindeutig im Raum Berlin (Kennung „IA“). Ich kann mir nur vorstellen, dass jemand mit starkem Bezug zu den Vereinigten Staaten das Auto fuhr.
Der Name von Captain Rickenbacker dürfte auch in deutschen Landen nicht ganz unbekannt gewesen sein und das Markenemblem – ein umgekehrter Zylinder in einem Ring – entsprach sogar dem Staffelabzeichen seiner Einheit im 1. Weltkrieg.
Man stelle sich vor, jemand wäre wenige Jahre nach dem 1. Weltkrieg mit einem Auto in Paris umhergefahren, das den Namen „Richthofen“ (nach dem gefürchteten „Roten Baron“) auf dem Kühler trug – nicht gerade die naheliegendste Idee.
So wüsste man gern, wer der Besitzer dieses am europäischen Markt ganz und gar außergewöhnlichen Wagens war. Vermutlich wird sich das aber nicht mehr in Erfahrung bringen lassen.
Zum Trost – und weil gerade der Frühling neue Farbe in unser Leben bringt – kann ich immerhin mit einer kolorierten Fassung dieses bemerkenswerten Zeugnisses aufwarten…
Rickenbacker „Eight“ von 1925/26; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks
Nachtrag: Wie mir Thomas Ulrich (Berlin) mitteilte, war dieser Rickenbacker 18/80 PS auf einen Georg Leisegang zugelassen.
Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Zu den interessantesten Kapiteln des Automobilbaus im Deutschland der Vorkriegszeit gehören die unzähligen Hersteller von Kleinstwagen, die in der ersten Hälfte der 1920er Jahre ihr Glück versuchten – und allesamt scheiterten.
Meines Wissens gibt es bislang dazu keine umfassende mit Originalaufnahmen bebilderte Publikation. Am fehlenden Material kann es nicht liegen, da laufend „neue“ zeitgenössische Bilddokumente auftauchen.
Diese finden sich auch dann, wenn man nicht gezielt danach sucht, sondern einfach die Augen aufhält und – noch wichtiger – mit Sammlern zusammenarbeitet, die ihre Funde nicht ängstlich verbergen, sondern allen Interessierten zur Verfügung stellen.
Dieser unkomplizierten Kooperation verdanke ich auch den Fund des Monats März 2022. Beigesteuert hat ihn einmal mehr Leser Klaas Dierks, der eine besonders glückliche Hand hat, was solche Sachen angeht.
Im Gegensatz zu einschlägigen Druckwerken, die in solchen Fällen meist nur mit den immer gleichen Kopien historischer Reklamen oder Prospekten aufwarten können, lege ich Wert auf Originalabzüge mit klaren Besitzverhältnissen.
So haben wir heute das Vergnügen, vermutlich erstmals ein zeitgenössisches Foto eines sonst nur dürftig dokumentierten Fahrzeugs studieren zu können, welches von der Kölner „Helios“-Automobilbau AG von 1924-26 gefertigt wurde.
Gegründet wurde die Firma 1923 von den Kölner Industriewerken und der ebenfalls in der Domstadt ansässigen Delfosse Motorenfabrik GmbH. Die Kölner Industriewerke besaßen die Firmengebäude der liquidierten „Helios“ Elektrizitäts-AG, während Delfosse eine beachtliche Kompetenz im Motorenbau einbrachte.
Gemeinsam wollte man in Großserie einen selbstentwickelten Kleinstwagen produzieren, der mit 2-Zylinder-Motoren unterschiedlicher Bauart angeboten wurden. An die 10 PS Höchstleistung sollten ausreichend für das kompakte und leichte Automobil sein.
Bei Konstruktion und Ausstattung hatte man keine Kompromisse gemacht – so waren elektrischer Anlasser und innenliegende Hebel für Schaltung bzw. Handbremse vorgesehen.
Auch äußerlich handelte es sich beim Helios-Kleinstwagen um ein „richtiges“ Automobil – was man gut nachvollziehen kann, wenn man einmal ein hochwertiges Foto davon zu Gesicht bekommt:
„Helios“-Kleinstwagen; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks
Auf dieser außergewöhnlichen Aufnahme begegnet uns der Helios-Wagen sogar mit einem andernorts nicht dokumentiertem Lieferwagenaufbau.
Dass es sich um einen „Helios“ handelt, ist an einer Reihe von Details zu erkennen: Am markantesten sind die Scheibenräder mit der wohl einzigartigen Ausführung der Radbolzen.
Mit den Abbildungen auf zeitgenössischen Reklamen stimmen außerdem die Kühlergestaltung, Größe und Position der Griffmulde in der Motorhaube sowie die Anbringung der Scheinwerfer auf den Kotflügeln überein.
Eine Ähnlichkeit mit dem zeitgleich herausgebrachten 4-PS-Modell von Opel besteht nur auf den ersten Blick. Tatsächlich unterscheidet sich der Schwung der Vorderschutzbleche deutlich, zudem besaß der Opel anfänglich noch einen moderaten Spitzkühler.
Die Rüsselsheimer bauten zwar das erwachsenere Auto, welches immerhin einen 12-PS leistenden Vierzylindermotor besaß und etwas mehr Platz bot. Doch der Helios war mit unter 3.000 Mark erheblich preisgünstiger, da Opel für sein Auto im Jahr des Erscheinens 4.500 Mark aufrief.
Was war nun der Grund dafür, dass die Produktion des „Helios“-Kleinstwagens schon 1926 nach unbekannter Stückzahl wieder eingestellt wurde? Nun, das lag schlicht daran, dass es keine kaufkräftige Nachfrage in der Preisklasse gab.
Selbst für den später gesenkten Preis des Helios von rund 2.500 Mark hätte ein damaliger Durchschnittsverdiener rund zwei Brutto-Jahresgehälter aufbringen müssen. Es hätte von daher auf der Hand liegen müssen, dass die Stückzahlen gering bleiben würden.
Die wenigen Deutschen, die so viel verdienten, um sich ein Auto leisten zu können, griffen gleich zum Opel, der das insgesamt überlegene Angebot darstellte.
Wie bei allen deutschen Kleinstwagen krankte das Konzept des Helios also daran, dass man nicht der Frage nachgegangen war, wieviele Menschen überhaupt imstande waren, genügend Geld für irgendeinen fahrbaren Untersatz abzuzweigen.
Ohne annähernde Vorstellung vom Absatzmarkt ist aber keine realistische Kalkulation der Kosten und damit auch keine darauf abgestimmte Planung von Konstruktion und Fertigungsanlagen möglich.
So war der „Helios“-Wagen am Ende nur ein weiteres Beispiel für die bemerkenswerte betriebswirtschaftliche Blindheit deutscher Nischenhersteller, die sich mit Heroismus in einen Kampf warfen, der nicht zu gewinnen war und schon unzählige Opfer gefordert hatte.
Für etliche Liebhaber deutscher Vorkriegsautomobile sind diese Totgeburten freilich umso reizvoller, da es hier noch viel zu entdecken und zu erforschen gibt. Wer weiß, vielleicht macht sich ja einmal jemand ans Werk, die Geschichte der Kleinstwagen zu schreiben.
Bilder wie das des heute vorgestellten Helios stehen jedenfalls für ernsthafte Publikationen reichlich zur Verfügung. Nur steht zu befürchten, dass der deutsche Drang zur Perfektion im Detail – man könnte auch sagen: der Hang zur Verzettelung – zur Folge hat, dass auch dieses Kapitel auf ewig ungeschrieben bleibt…
Als ich zum ersten Mal das Foto des Wagens sah, das ich heute zeigen kann, wusste ich sofort: Das ist ein „sicherer“ Kandidat für die Kategorie „Fund des Monats“.
Das Auto erwies sich nämlich als ein rarer Vertreter der kurzlebigen Firma Certus – benannt nach dem lateinischen Wort „certus“, was neben „sicher“ auch „verlässlich“ bedeuten kann, beides Attribute, die man einem Automobil gern zuspricht.
Mein Dank geht in diesem Zusammenhang an Willem Krämer aus Hamburg, einem ausgesprochen netten Zeitgenossen, der mir nicht nur großzügig den Originalabzug mit dem Certus spendiert, sondern auch noch eine reizende Geschichte mitgeliefert hat.
Doch vor dem vergnüglichen Teil einige trockene Fakten – keine Sorge, viele werden es nicht. Über die Wagen des Certus-Automobil-Werks aus Offenburg (Baden) ist nur wenig bekannt (das Folgende stammt im wesentlichen aus dieser Quelle).
1919 gründeten der gebürtige Thüringer Franz Wroblewski und ein gewisser Wilhelm Dierks in Offenburg eine Werkstatt für Karosseriebau und Reparaturen. Auch als Vertreter für Dürkopp-Automobile war man zeitweise aktiv.
Offenbar liefen diese Geschäfte gut und nachdem man umfassende Erfahrung mit allen konstruktiven und technischen Aspekten des Wagenbaus gesammelt hatte, wurde 1927 der Wunsch nach einer eigenen Autofabrikation Wirklichkeit.
Mit zugelieferten Motoren der französischen Firma Scap entstanden sowohl ein Vierzylinder-Wagen (Typ 7/32 PS) als auch zwei große Achtyzlinder-Typen (8/45 PS bzw. 9/55 PS).
Zwar trat ein Certus im September 1927 sogar bei einem Tourenwagenrennen an und belegte dort den fünften Platz, doch ahnt man schon, wie die Sache ausgehen musste. Nach nur einigen Dutzend Exemplaren ging das Certus-Automobilwerk 1929 pleite.
Damit teilte Certus das Schicksal unzähliger deutscher Kleinserienhersteller und wie diese gehört er längst zu den Namen, die keiner mehr kennt. So gehören Originalaufnahmen von Certus-Automobilen heute zu den ganz großen Raritäten.
Indessen ist es nicht das erste Mal, dass mein Blog für Vorkriegsautos zur Bühne eines Comebacks wird, mit dem man kaum noch rechnen durfte. Und hier haben wir den Altstar mit dem Künstlernamen Certus kaum gealtert vor uns, als sei es erst gestern gewesen:
Certus 7/32 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger (Schenkung von Willem Krämer, Hamburg)
So sieht also ein Wagen aus, der von einer zuvor nicht als Autobauer in Erscheinung getretenen Firma gefertigt wurde – beeindruckend, nicht wahr?
Das Auto konnte es formal mit jedem deutschen Mittelklassefabrikat der späten 1920er Jahre aufnehmen – man sieht, dass der Karosseriebau die Stärke des Unternehmens war. Man vergleiche den Certus einmal mit Basteleien anderer Kleinserienhersteller jener Zeit.
Nie hätte ich gedacht, dass dieser makellos gestaltete Wagen das Produkt eines nur lokal bedeutenden Karosserie- und Reparaturbetriebs war. So stand ich zunächst auch auf dem Schlauch, um was für ein Fabrikat es sich handelt.
Erst eine Ausschnittsvergrößerung förderte Teile des Markennamens zutage, anhand derer mir schließlich mit Hilfe von Claus Wulff aus Berlin die Identifikation gelang – das ist ein Certus, soviel ist sicher!
Derartige Momente sind der Lohn unzähliger Stunden Arbeit, die mir zwar niemand vergütet, die sich aber unbedingt lohnen, wie die Reaktionen meiner stetig wachsenden Leserschaft zeigen.
Da ich im Unterschied zu manchen Sammlern mit besserem Material und mehr Ahnung im Netz visibel bin, erhalte ich immer wieder Anfragen von Menschen, die einfach nur wissen wollen, was das für ein Auto war, auf dem die Uroma oder der Großvater zu sehen sind.
Nicht immer springt etwas dabei für mich heraus im Sinne verwertbaren Bildmaterials. Doch wenn ich wie gerade gestern eine Schweizerin glücklich machen kann, die nun weiß, dass Ihr Großvater einst einen feinen Citroen C6 besaß, der bloß aus ziemlich ungünstiger Perspektive fotografiert worden war, dann bin ich auch zufrieden.
Geradezu begeistert bin ich freilich dann, wenn Schätze wie dieser Certus an den Gestaden meiner virtuellen Heimstatt im Netz stranden. Und ich bin wunschlos glücklich, wenn ich genau weiß, wem das Auto gehörte und wer einst mit ihm abgelichtet wurde:
Der junge Mann, der hier mit einer Coolness posiert, die man erst einmal erreichen muss, war der Vater jenes Willem Krämer, dem ich dieses Dokument verdanke – und nicht nur dies.
Willem Krämer hat mir nämlich noch etwas über seinen alten Herrn aus der Zeit erzählt, als dieser noch im „Halbstarkenalter“ war – das war in den frühen 1930er Jahren.
„Willi ist links zu sehen und sein Kumpel Hermann Schmidt rechts. Die beiden fuhren samstags die Dörfer rund um Kehl, Offenburg und Straßburg ab und sammelten die Mädels ein, die sie dann zum Tanz in Großvaters Gasthof „Zur Linde“ in Stadelhofen bei Kehl kutschierten.“
So lief das einst ganz real mit dem „Dating“ – irgendwie mussten die jungen Leute ja zusammenkommen können, wenn keine Eltern in der Nähe sollten.
Der Certus fungierte also gewissermaßen als „Abschleppwagen“, bis er irgendwann etwas Modernerem wich – mehr weiß auch Willem Krämer leider nicht über das Auto. Dabei dürfte es sich der Größe nach zu urteilen übrigens um das Vierzylindermodell 7/32 PS gehandelt haben. Die beiden Achtzylinder besaßen eine wesentlich längere Haube.
Immerhin konnte mir Willem Krämer aber berichten, was aus seines Opas Gasthof und Tanzschuppen „Zur Linde“ wurde. Der war offenbar dem örtlichen katholischen Pfarrer ein Dorn im Auge – wohl nicht nur, weil der Wirt ein Protestant war, sondern auch, weil viele Männer am Sonntag den Besuch des Gasthauses dem der Kirche vorzogen.
Dagegen wetterte der Gottesmann nicht nur von der Kanzel, angeblich bewerkstelligte er es auch, dass dem Gasthof auf bürokratischem Wege der Garaus gemacht war – ein früher Fall von „Cancel Culture“ also.
Das sind die Geschichten, die einst das Leben schrieb und wir ersehen daraus, dass manche Dinge sich wohl nie ändern, andere dagegen vergänglich sind wie der Certus.
Gegen die Vergänglichkeit und das Vergessen tun kann indessen jeder etwas, dessen Herz an der Welt von gestern hängt – ich tue das auf meine Weise mit diesem Blog und werde es noch lange tun, soviel ist sicher!
Wer die Ankündigung des Funds des Monats mit etwas Spektakulärem verbindet, der sei gewarnt: Eventuell fällt die Überraschung kleiner aus als gedacht.
Ähnlich verhielt es sich mit der Reklame für das Automobil, das ich heute anhand eines raren Fotos vorstellen kann. Wenn ein Kleinwagen ausdrücklich als „DER GROSSE ERFOLG“ beworben wird, sollte man besser die Erwartungen herunterschrauben.
Außer zahlreichen Werbeanzeigen, mit denen Anfang der 1920er Jahre die Berliner Lindcar Auto AG ihren Kleinwagen vollmundig anpries, scheinen die bis etwa 1925 gebauten Fahrzeuge so gut wie keine Spuren hinterlassen zu haben.
Zu den wenigen Relikten gehören zwei Kühlerembleme, die ihren Weg in die fabelhafte Sammlung von Claus Wulff aus Berlin gefunden haben. Das scheint aber auch schon alles zu sein – jedenfalls ist bislang kein überlebendes Lindcar bekannt.
Dabei wurden die leichten Zweisitzer mit Einbaumotoren unterschiedlicher Hersteller zu Lebzeiten als „sofort lieferbar“ bezeichnet, was auf eine beachtliche Serienfertigung hindeutet (eventuell aber auch mit „Ladenhütern“ erklärbar wäre).
Mit dieser schmucken Anzeige machte man Interessenten auf sich aufmerksam:
Lindcar-Reklame; neuzeitliche Reproduktion aus Sammlung Michael Schlenger
Ein fantasievolles Logo hatte man sich eigens zugelegt, das wohl an den legendären „Lindwurm“ erinnern sollte und so eine uralte Tradition suggerierte.
Tatsächlich war die Lindcar Auto AG erst 1920 entstanden, als ein gewisser Carl Lindemann (in manchen Quellen als Bankier bezeichnet) die Fabrik der Lichtenrader Metallfabrik kaufte, um dort Automobile zu produzieren.
Wer für die Konstruktion zuständig war, ist mir nicht bekannt, aber in Berlin gab es nach dem 1. Weltkrieg jede Menge vor allem im Flugzeugbau erprobter Ingenieure, die sich auch ein einfaches Automobil zutrauten.
Anfänglich scheint man mit luftgekühlten Zwei- und Vierzylindermotoren experimentiert zu haben, bevor man zum Einbau zugekaufter Fremdaggregate mit Wasserkühlung (zum Beispiel von Steudel) überging.
Steudel-Reklame von 1924/25; Original aus unbekannter Zeitschrift
Angeboten wurde das Lindcar in der Motorisierung 4/12 PS und später 5/15 PS, was in Kombination mit einer leichten Holzkarosserie für akzeptable Fahrleistungen sorgte.
Neben dem Schaltgetriebe war sogar ein aufwendiges Vorwählgetriebe (Patent Soden) erhältlich, darauf weist auch ein Detail in der obigen Reklame hin. Links vom Lenkrad sieht man nämlich die Vorrichtung zum Vorwählen der zu schaltenden Übersetzung.
Wieviele dieser Lindcar-Wagen bis zum Ende der Produktion (1924, nach anderen Angaben 1925) entstanden, ist wie bei den meisten deutschen Kleinwagen jener Zeit unbekannt.
Bezeichnenderweise sind zeitgenössische Fotos davon kaum auffindbar, während Reklamen naturgemäß zahlreich erhalten sind, wurden sie doch über die Jahre sicher tausendfach reproduziert.
Umso großartiger ist es dann, wenn doch einmal ein solcher Fund gelingt – im vorliegenden Fall hatte mein Sammlerkollege Matthias Schmidt aus Dresden den richtigen Riecher:
Lindcar 4/12 PS; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Dieser schicke Dreisitzer mit Bootsheck entspricht ziemlich genau dem Wagen auf der zuvor gezeigten Reklame – nur der Türausschnitt ist hier anders gestaltet.
Die dunkel abgesetzte Luftauslässe in der Motorhaube und die ebenfalls farblich akzentuierte Oberkante zeugen von einem Sinn fürs gestalterische Detail, den man nicht bei allen der unzähligen damals auf den Markt geworfenene Kleinwagen findet.
Der Fahrer schaut entschlossen nach vorne, während sein Nachbar den Fototermin eher mit Belustigung absolviert. Kurios ist der dritte Mann im ausklappbaren Sitz im Bootsheck. Er betrachtet entzückt das wohl frisch erworbene Kennzeichen.
Da der Wagen nicht mehr ladenneu wirkt – man beachte die unterschiedliche Bereifung, könnte es sein, dass der frischgebackene Besitzer das Lindcar gebraucht erworben hat und sich nach der Umschreibung zusammen mit Freunden hat ablichten lassen.
Was von dem improvisiert wirkenden Frontscheinwerfer zu halten ist, sei dahingestellt. Abbildungen des wohl ab 1923 gebauten Typs 5/15 PS (mit Spitzkühler) zeigen jedenfalls ein herkömmliches Scheinwerferpaar.
Wann genau das Foto entstanden ist und was aus dem Lindcar wurde, wissen wir wie so oft nicht. Aber überhaupt auf ein solches Dokument zu stoßen, stellt etwas Besonderes dar.
Übrigens versuchte der Firmengründer Carl Lindemann ab 1924 mit Gerüchten über eine bevorstehende Übernahme des kleinen Werks durch einen US-Autohersteller den Aktienkurs hochzutreiben, was ihm aber außer einer Verurteilung nichts einbrachte.
Unter der Marke Lindcar wurden nach Ende der Autoproduktion und Übernahme durch eine gewerkschaftseigene Bank noch eine Weile Fahrräder produziert, von denen es noch einige zu geben scheint.
Nach einer Quelle wanderte Carl Lindemann nach Brasilien aus, wo Mitglieder seiner Familie angeblich eine Autovermietung mit dem Firmennamen Lindcar betrieben. Vielleicht hat ein Leser Zugang zu weiteren Informationen – dann bitte die Kommentarfunktion nutzen.
Als Fazit bleibt, dass das bis heute nicht annähernd aufgearbeitete Kapitel der zahlreichen deutschen Kleinwagenhersteller nach dem 1. Weltkrieg immer wieder gut für Überraschungen ist. Fotos wie das des Lindcar von Matthias Schmidt helfen, die großen Lücken in der Literatur nach und nach zu schließen.
Das Jahr 2021 eilt seinem Ende entgegen. Höchste Zeit, zum Jahreswechsel einen beschwingten Ausflug in die Wunderwelt des Vorkriegsautomobils unternehmen.
Sind Sie vielleicht über den Namen „Schebera“ im Titel gestolpert? Ich kann Sie beruhigen, das liegt nicht daran, dass Sie vielleicht schon ein Sektchen zuviel intus haben oder mit Ihrer Flamme (m/w/d) einen zu rasanten Silvester-Quickstep hingelegt haben.
Nein, mit „Schebera“ verbinden nur die allerwenigsten Vorkriegsfreunde etwas. Und wenn Ihnen etwas dazu einfällt, hat es wahrscheinlich „bloß“ mit Autokarosserien zu tun.
Manchem ist geläufig, dass vor dem 1. Weltkrieg ein Berlin eine Firma namens „Carosserie Schebera“ tätig war, die 1911 von Ernst Schebera gegründet worden war.
Bevor selbiger 1919 in die Vereinigten Staaten auswanderte, entstanden bei Schebera großzügige Aufbauten wie dieser, der ein zeittypisches Spitzkühlermodell schmückte:
Schebera-Reklame aus dem 1. Weltkrieg; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Nachfolger in der Geschäftsführung von Schebera wurde 1919 eine der schillerndsten Gestalten der Automobilbranche im damaligen Deutschland – Jacob Schapiro.
Er wird in der Literatur meist als „Spekulant“ abqualifiziert, während ich seine Finanztransaktionen, die ihn zeitweise zur bedeutendsten Einzelperson am deutschen Automarkt machten, als Ökonom aus sachlicherer Perspektive betrachte.
Es gehören an der Börse nämlich immer zwei Seiten zu Geschäften, die einem den Ruf als Spekulanten einbringen. Leute wie Schapiro waren natürlich Draufgänger, aber sie waren auch Kapitalgeber dort, wo das sonst niemand sein wollte.
Ein spekulativer Aufkäufer von sonst kaum nachgefragten Unternehmensanteilen kann damit durchaus Konstruktives bewirken, indem er beispielsweise profitable Firmenkerne isoliert oder mit anderen zusammenbringt, die eine Ergänzung darstellen.
Im Fall von Jacob Schapiro mögen wir es mit einem eher windigen Vertreter der Spekulantenzunft zu tun haben, doch muss man sich fragen, wieso sonst niemand die Masse an Anteilen an Firmen wie Daimler und Benz haben wollte, die er akkumulierte.
Schapiro strebte ein Imperium an, in dem sich verschiedene Marken und Aktivitäten ergänzten. So veranlasste er, dass die von ihm kontrollierte Karosseriefirma Schebera ausreichend Aufträge von Benz beispielsweise bekam, wo er über 40 % des Kapitals hielt.
Inwieweit das betriebswirtschaftlich aus damaliger Perspektive vernünftig war, vermag ich nicht zu beurteilen. Jedenfalls hat Schapiro in zumindest einem Fall einer sonst wohl zum Untergang verdammten Firma für etliche Jahre ein neues Dasein ermöglicht – Cyklon!
Die Cyklon-Werke hatten ab 1904 in Berlin ein dreirädriges Motorfahrzeug gebaut, das sich wie das sehr ähnliche Phänomobil bis kurz nach dem 1. Weltkrieg gut verkaufte. Doch waren die Tage dieses Gefährts gezählt – richtige Autos waren zunehmend gefragt.
Unter dem Einfluss des Großaktionärs Schapiro lieferte Cyklon ab 1920 (andere Quellen nennen 1922/23) ein Chassis mit 5/18 PS Vierzylindermotor an die Schebera-Werke, wo auf dieser Basis schlichte Kleinwagenaufbauten entstanden.
Die daraus resultierenden Schebera-Automobile wurden zeittypisch vollmundig beworben, scheinen aber laut Literatur ein veritabler Flop gewesen zu sein. Umso bemerkenswerter ist der Fund dieser Originalbroschüre, für die ich einiges hinblättern musste:
Schebera 5/18 PS Prospekt; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Dieses sehr seltene Dokument ist so interessant, dass ich es heute mit Ihnen online durchgehen will – nebenbei etwas, was den Besitzern vergleichbarer Prospektraritäten anderer Marken gut zu Gesicht stehen würde, bevor ihre ängstlich gehüteten Schätze beim nächsten Generationenwechsel in der Altpapiertonne landen…
Zwei Dinge sind auf dem Deckblatt festhaltenswert: Zum einen hatte man die Schebera-Karosseriewerke unter Schapiro kurzerhand zum Automobilhersteller geadelt. Zum anderen firmiert der Schebera-Wagen hier als 5/18 PS-Modell – darauf kommen wir später zurück.
Wir blättern erst einmal weiter…
Schebera 5/18 PS Prospekt; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Allein in Berlin fünf Verkaufsstellen, das erscheint eindrucksvoll. Die Adressen in Hamburg und München sind wohl alte Standorte der Cyklon-Werke, man wüsste gern, ob das noch mehr als Briefkastenadressen waren, als der Schebera-Wagen gebaut wurde.
Die Süddeutschen Scheberawerke, die hier als weitere Verkaufsstelle genannt werden, waren ein Karosseriewerk (Heilbronner Fahrzeugfabrik), das 1921 in das Imperium von Schapiro eingegliedert worden war. Dorthin lieferte Cyklon die fahrfähigen Chassis für den Schebera-Wagen.
Wir prägen uns kurz noch die Gestaltung des Markenemblems ein und blättern weiter…
Schebera 5/18 PS Prospekt; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Hier haben wir nun einen dieser Schebera-Wagen mit 5/18 PS-Motor von Cyklon. Die Drahtspeichenräder sprechen bei einem deutschen Wagen unterhalb der Sportwagenklasse meist für ein Kleinauto mit geringem Gewicht, so auch hier.
Der Aufbau mit Flachkühler und vollkommen schmuckloser Gestaltung ist typisch für den sachlichen Stil, der sich in Deutschland nach dem 1. Weltkrieg neben bewusst traditionell gehaltenen Fahrzeugen älterer Hersteller etablierte.
Nur die Zahl und Höhe der Luftschlitze in der Motorhaube ist für einen Wagen dieser Leistungsklasse ungewöhnlich. Gilt hier „Mehr Schein als Sein“?
Auch auf dieses Element kommen wir zurück und blättern erst einmal um….
Schebera 5/18 PS Prospekt; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Typisch für das Selbstverständnis selbst kleinster deutscher Hersteller der 1920er Jahre ist die fast alleinige Betonung der Qualitätsmerkmale des Schebera-Wagens.
An Superlativen herrscht kein Mangel: „höchste Ansprüche“, „äußerste Präzision“, „besterprobtes Rohmaterial“, „erstklassige Arbeiter“, „beste Werkmannsarbeit“ usw.
Man fragt sich, wie bei einem solchen Feuerwerk an Spitzenattributen noch Raum für eine an den Realitäten des Kleinwagenmarkts orientierte Preiskalkulation sein konnte.
Entweder man macht Kompromisse beim Aufwand, was Konstruktion, Material und Verarbeitung betrifft, um einen breit erschwinglichen Wagen zu bauen, oder man erzielt Erschwinglichkeit bei hoher Qualität durch kostengünstige Massenproduktion wie bei Ford.
Mit den behaupteten (vielleicht auch umgesetzten) Qualitätsansprüchen UND gleichzeitig Manufakturfabrikation konnte das nicht gelingen. Es ist kennzeichnend für den „heroischen“ Ansatz all dieser Versuche deutscher Nischenhersteller, es dennoch zu wagen.
Wenn in diesem Prospekt bloß von „Preiswürdigkeit“ des Schebera-Wagens die Rede ist, verrät dies indirekt, dass eine breite Erschwinglichkeit nicht erreicht werden konnte. Man erteilte der Vorstellung von einem abolut gesehen „billigen“ Wagen sogar eine Absage, als ob das begrenzte Budget der Kleinwagenkäufer keine Rolle spielte.
Gleichzeitig erging man sich in Illusionen darüber, was man den Käufern mit dem Schebera-Wagen alles bieten konnte, beispielsweise auch noch teurere geschlossene Aufbauten…
Schebera 5/18 PS Prospekt; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Eine sechsfenstrige Karosserie mit (mutmaßlich) drei Sitzreihen auf einem Einheitschassis mit Radstand von nur 2,50 Meter anzubieten, erscheint einigermaßen kühn.
Doch auf solche Ideen kommt man wohl, wenn man als Konzernlenker neben mehreren Autoherstellern auch eine Karosseriefabrik auszulasten hat. Das kann betriebswirtschaftlich aufgehen, muss es aber nicht – andere Anbieter können immer noch die besser Wahl sein.
Wenden wir uns als nächstes dem Motor des Schebera-Wagens zu…
Schebera 5/18 PS Prospekt; Original aus Sammlung Michael Schlenger
An dem Vierzylindermotor mit 1,3 Liter Hubraum ist wenig auszusetzen, aber auch wenig zu erkennen, was ihn von einem beliebigen Einbaumotor jener Zeit unterscheidet.
Der Prospekt betont zurecht, dass die Konstruktion als Seitenventiler das Aggregat für einen sportlichen Fahrstil ungeeignet macht – aber sinnvolles Marketing besteht eigentlich darin, sich auf die Hervorhebung der Vorzüge zu beschränken.
Anzugskraft und Bergsteigefähigkeit waren damals gerade bei Autos mit niedriger Leistung wichtige Argumente und sicher auch beim Schebera-Wagen ausreichend gegeben, wenngleich hier schon etwas dick aufgetragen wird.
Auf jeden Fall eignete sich dieser von den Cyklon-Werken entwickelte Antrieb, der wohl nicht mehr in der Tradition der Cykonette-Motoren stand, durchaus für die moderate Inanspruchnahme in der Stadt und auf dem Land.
Dazu konnte auch der Einsatz in leichten Lieferwagen zählen, wie wir auf der folgenden Prospektseite sehen…
Schebera 5/18 PS Prospekt; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Auch einen solchen geschlossenen Aufbau mit Holzbeplankung für gewerbliche Zwecke bot man seitens Schebera an – ob wohl je so etwas realisiert wurde?
Immerhin gab es Anfang der 1920er Jahre in großer Zahl verfügbare ältere PKW-Modelle die gern zu Lieferwagen umgebaut wurden und deren Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit oft höher lag als dies bei einem solchen Leicht-LKW der Fall gewesen wäre.
Gleichwohl betont der Schebera-Prospekt nicht nur die Zuverlässigkeit des Antriebs sondern auch die Stärke des Chassis, wie wir nachfolgend erfahren, …
Schebera 5/18 PS Prospekt; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Kurios ist auf dieser Prospektseite die Belehrung des Kunden, die „natürlich abnormen Betriebskosten“ des Scheber-Wagens betreffend.
Grundsätzlich trifft es ja zu, dass geringe Betriebskosten und niedriger Verschleiß in die Kalkukation einfließen müssen – sie allein helfen freilich nicht, wenn der Kaufpreis von vornherein so hoch ist, das ihn der potentielle Nutzer nicht aufbringen kann (ein Kauf auf Kredit war noch die Ausnahme).
Man fragt sich auch, auf welche Konkurrenten in der Kleinwagenklasse dieser Hinweis eigentlich gemünzt gewesen sein soll. „Billige Wagen“ mit „nutzlos hohen Betriebskosten“ dürften beim damaligen Entwicklungsstand und der allgemein guten handwerklichen Fertigungsqualität die Ausnahme gewesen sein.
Nimmt man die Karosserie ab, findet sich am Schebera-Wagen zweifellos wenig Komplexität, die Ungemach bereiten könnte…
Schebera 5/18 PS Prospekt; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Ein solider Leiterrahmen mit blattgefederten Achsen, Tank im Heck und handgebremste Hinterräder, vorne der kleine Vierzylinder mit den Nebenaggregaten für Kühlung, Gemischaufbereitung, Zündung und Beleuchtung.
Wer selbst einen Vorkriegswagen solcher Machart besitzt weiß, dass hier nicht viel kaputtgehen kann und außer einer Menge Schmierstellen auch nicht viel zu warten ist. Einer solchen vollkommen konventionellen Konstruktion kann man unbedingt vertrauen, man muss ihr aber auch keine besonderen Qualitäten andichten.
Bemerkenswert ist hier nur eines – der leicht spitz zulaufende Kühler! Auf den übrigen Abbildungen im Schebera-Prospekt ist dagegen durchgängig ein Flachkühler zu sehen.
Somit waren wie bei anderen Herstellern der frühen 1920er Jahre auch beide Varianten parallel erhältlich. Wäre eine davon der anderen im Alltag wesentlich überlegen gewesen, hätte man sich für die bessere entschieden.
Doch bei einem Auto, das selten schneller als 60-70 km/h fuhr, spielte weder die Windschnittigkeit noch ein möglicherweise besser Luftdurchsatz des „Keilkühlers“ eine Rolle, auch wenn es damals Versuche gab, diesem solche Vorteile zuzusprechen.
Somit war beim kleinen Schebera wie beim großen Benz die Entscheidung zwischen dem traditionellen Spitzkühler und der moderneren flachen Ausführung letztlich Geschmackssache.
Damit sind wir wieder bei den Äußerlichkeiten, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheinen mag, wenn wir weiterblättern…
Schebera 5/18 PS Prospekt; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Ins Auge fällt hier zwar zunächst das Vierganggetriebe, an dem auch der elektrische Anlasser angesetzt zu sein scheint, wenn ich es richtig sehe, doch interessanter sind die Bemerkungen im Text, welche die Karosseriegestaltung betreffen.
„Schlichte Linienführung, gefällige Form, vornehmes, schnittiges Äußeres“ werden hier konstatiert, oder besser: behauptet.
Schlichtheit trifft zweifellos zu. Ansonsten macht man hier – siehe auch das „Ideal des Herrenfahrers“ – arg viel „Reklamegeschrei“, wo selbiges doch auf der nächsten Seite in Abrede gestellt wird…
Schebera 5/18 PS Prospekt; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Hier wird mit einer gewissen Berechtigung an die beachtliche Tradition der Cyklon-Werke angeknüpft, auch wenn der Schebera-Wagen eine komplette Neukonstruktion darstellte.
Den Eindruck einer Produktion in größerem Umfang versuchte man durch Abbildung einer dicht gedrängten Menge identischer Fahrzeuge zu erwecken.
Links steht ausdrücklich „Teillieferung“ auf dem Banner – es wurden also noch mehr Wagen produziert, die bloß nicht auf das Foto passten. Rechts hat man einige Passanten geschickt so verteilt, dass der Anschein eines großen Haufens entsteht.
Damit wären wir am Ende des Prospekts angelangt. Bevor wir der Frage nachgehen, wie es um den tatsächlichen Erfolg des Schebera-Wagens bestellt war, werfen wir noch einen Blick auf die Rückseite dieses seltenen Dokuments:
Schebera 5/18 PS Prospekt; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Ins Auge fällt hier die Angabe zur „Bremsleistung“ – also der Motorleistung unter Berücksichtigung aller mitangetriebene Aggregate – und zwar 20 PS.
Nun bezieht sich der Prospekt aber ausdrücklich auf den Schebera 5/18 PS. Was ist von der abweichenden Angabe zu halten?
Dafür kommen zwei mögliche Erklärungen in Betracht: Möglichkeit Nr.1 ist die, dass 18 PS die ohne übermäßige Belastung des Motors erzielbare Dauerhöchstleistung war und 20 PS die kurzzeitig abrufbare Spitzenleistung.
Entsprechend unterschiedliche Angaben finden sich vor allem in der Frühzeit des Automobils. Ich halte aber Möglichkeit Nr. 2 für wahrscheinlicher: Schebera 5/18 PS war die ursprüngliche Typbezeichnung, die auch beibehalten wurde, als man man durch Feinarbeit am Ansaugtrakt oder Aufbohren die tatsächliche Höchstleistung um 2 PS gesteigert hatte.
Solches „Feintuning“ am Antrieb war während der Produktionsdauer eines Wagentyps an der Tagesordnung. Nur um der Kontinuität willen hielt man der eigentlich nicht mehr aktuellen Leistungsangabe in der Typbezeichnung fest.
Der vorgestellte Prospekt ist demnach wahrscheinlich deutlich nach Einführung des Schebera-Wagens entstanden. Dafür würde die leichte Hubraumvergößerung gegenüber dem Ausgangstyp sprechen, die aus den Prospektangaben hervorgeht.
Wenn man der spärlichen Literatur trauen darf, betrug der Hubraum des Schebera 5/18 PS anfänglich nur etwas mehr als 1,2 Liter – aus dem Prospekt ergibt sich aber ein Hubraum von knapp 1,3 Litern, wie er ab 1923/24 üblich gewesen zu sein scheint.
Bleibt die Frage, wieviele Schebera-Wagen während der bis 1927 reichenden Produktionsdauer entstanden. Der Zeitraum umfasst übrigens auch die letzte Phase, in der die ebenfalls zum Schapiro-Imperium gehörende Firma NSU Chassis und Motor lieferte – direkt übernommen vom NSU 5/25 PS.
Wie bei praktisch allen deutschen Nischen-Kleinautos jener Zeit finden sich nur Schätzungen hinsichtlich des Produktionsumfangs. An einer Stelle ist von rund 1.000 Schebera-Wagen die Rede, von denen die meisten als Taxi im Berliner Betrieb Kandelhardt endeten, welcher zufällig ebenfalls von Schapiro kontrolliert wurde.
Solchen runden Zahlen ist selten zu trauen, vermutlich hat irgendein Experte sie einmal in die Welt gesetzt, weil man ja nicht zugeben kann, dass man keinen blassen Schimmer hat. Und weil nun einmal die Expertengläubigkeit sehr ausgeprägt ist, wird eine solche Zahl dann einfach weiter überliefert.
Aus meiner Sicht ist aber zumindest eine grobe Schätzung möglich, ohne dass man sich auf fragwürdige Quellen stützen muss. Findet sich nämlich in der über mehrere Jahrzehnte entstandenen Standardliteratur kein einziges Foto eines Autos und liefert auch die Bildersuche im Netz keinen Treffer, dann darf man nach meiner Erfahrung bestenfalls von wenigen hundert gebauten Exemplaren ausgehen.
Umso großartiger ist es dann natürlich, wenn es einem doch noch gelingt, zumindest ein Originalfoto aufzutreiben, weil man mit den richtigen Leuten verdrahtet ist.
Im vorliegenden Fall war es mein geschätzter Sammlerkollege Klaas Dierks, der tatsächlich mit einer Originalaufnahme eines Schebera-Wagens aufwarten konnte:
Schebera 5/18 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks
Die Identifikation gelang über das Markenemblem mit Hilfe von Spezialist Claus Wulff aus Berlin, dessen fabelhafte Sammlung von Kühleremblemen ihn in besonderer Weise befähigt, solchen Exoten auf die Spur zu kommen.
Nun wüsste man zu gerne, von wann genau dieser Schebera stammt, doch mangels Vergleichsmaterial müssen wir vorerst passen. Die Ausführung der Luftschlitze in der Motorhaube unterscheidet sich von den Varianten im oben vorgestellten Prospekt.
Das muss angesichts des Manufakturcharakters und der Dauer der Produktion des Schebera-Wagens aber nichts bedeuten.
Nach einem Vergleich mit Abbildungen des NSU 5/25 PS, dessen Chassis ja bei den späten Ausführungen des Schebera Verwendung fanden, würde ich nicht ausschließen, dass wir sogar einen Typ 5/25 PS und keinen Typ 5/18 PS mehr vor uns haben.
Um hier weiterzukommen, braucht es viel Geduld, klaren Blick, kühles Urteil und ein Quentchen Glück – nebenbei Dinge, die uns in allen Lebenslagen auch im Neuen Jahr beschieden sein mögen.
Machen Sie für sich und Ihre Lieben das Beste aus 2022, bleiben Sie mir gewogen und tragen weiterhin das Ihre dazu bei, dass die automobile Welt von gestern auch in einer ungewissen Zukunft lebendig bleibt!
Als Fund des Monats November kann ich eines der seltensten deutschen Vorkriegsautos überhaupt vorstellen – und das gleich anhand von drei andernorts bislang noch nicht veröffentlichten Originalaufnahmen.
Doch will ich nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen, sondern auf einem kleinen Umweg zu dem Prachtstück hinführen, von dem einst nur zehn(!) Exemplare entstanden.
Werfen wir zunächst einen Blick auf diese ausgesprochen hübsche Reklame der Firma Stoewer aus Stettin:
Stoewer Reklame von ca. 1920; Original aus Sammlung Michael Schlenger
„Das muss eine Werbungaus dem 1. Weltkrieg sein“, mag jetzt mancher spontan denken.
In der Tat: Der sich kühn in die Kurve legende Doppeldecker und der Hinweis auf die Produktion von Flugmotoren scheint in diese Richtung zu deuten. Der eine oder andere weiß sogar, dass Stoewer schon vor dem Krieg kurzzeitig mit Flugmotoren experimentierte.
Allerdings kann diese Reklame aus mehreren Gründen nicht aus dieser frühen Phase (1911/12) stammen.
Erstens wurde das Unternehmen der Gebrüder Stoewer erst 1916 in die erwähnte Stoewer-Werke AG umgewandelt. Zweitens gab es den oben abgerundeten Spitzkühler, wie er hier stilisiert wiedergegeben ist, erst bei den D-Typen der frühen Nachkriegszeit. Und drittens begannen die stets vorausschauend denkenden Gebrüder Stoewer erst 1917 mit der Entwicklung der ebenfalls genannten Motorpflüge.
Damit wollte man sich für die Zeit nach dem Krieg ein zusätzliches Standbein schaffen. Außerdem hatte man noch vor Kriegsende mit den D-Typen eine neue Automobilfamilie entwickelt – die absolute Ausnahme unter den bedeutenden deutschen Herstellern.
Hier als Beispiel ein Exemplar des am häufigsten verkauften kleinen Stoewer Typ D3:
Stoewer Typ D3; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Andererseits kann die obige Reklame nicht lange nach dem Ende des Ersten Weltkriegs entstanden sein – darauf deutet die Kleidung der adretten Dame hin, die sich hier an die Motorhaube eines großen Tourenwagens im Stil des D5 schmiegt.
Aus meiner Sicht dürfte man mit einer Datierung auf ca. 1920 nicht verkehrt liegen. Was aber hat es nun mit den erwähnten Flugmotoren auf sich? Nun, die baute Stoewer ab 1917 neben PKW und LKW im Heeresauftrag.
Nach Kriegsende durften in Deutschland keine Kampfflugzeuge mehr gebaut wurden und auch dafür vorgesehene Motoren sollten offiziell nicht mehr zum Einsatz kommen dürfen.
Zwar zeigen Beispiele wie die ab 1919 von der Firma Sablatnig in Berlin gebauten Verkehrsmaschinen, dass man nach wie vor auch mit militärischen Flugaggregaten in die Luft gehen konnte, doch in der Breite gab es nur wenig Verwendung dafür.
Bei Stoewer verfiel man 1921 auf die verwegene Idee, dass man mit den noch vorhandenen Flugmotoren doch auch Autos ausstatten konnte. Das Ergebnis sah dann so aus:
Stoewer D7 von 1921; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Im Original war der Abzug fast völlig verblasst, als ich ihn fand.
Doch ließ sich mit ein paar Anpassungen von Kontrast und Helligkeit ein brauchbares Abbild des mächtigen Tourers herstellen, dessen armdicke Auspuffrohre zunächst an Benz oder Mercedes denken lassen.
Die Ausführung des Kühlers brachte mich jedoch bald auf Stoewer, wenngleich es von Benz kurzzeitig neben Flach- und Spitzkühlermodellen auch solche mit einem Schnabelkühler gab, der von der Seite recht ähnlich aussah.
Die stilistische Ähnlichkeit mit den 1920 eingeführten großen D-Typen von Stoewer gab letztlich den Ausschlag. Auch ohne ein vergleichbares Foto vorliegen zu haben, vermutete ich anhand der schieren Größe, dass es sich um den raren Modell D7 mit Flugmotor handeln musste.
Zu dessen gigantischem 11,1 Liter-Sechszylinder würden auch die drei außenliegenden Auspuffrohre passen:
Stoewer D7 von 1921; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Die Leistung des Flugmotors, dessen Konstrukteur mir nicht bekannt ist, dürfte ursprünglich über 200 PS betragen haben, wie das bei zeitgenössischen Benz-Motoren vergleichbarer Bauart der Fall war.
Doch für den Straßenbetrieb wurde das Aggregat auf 120 PS gedrosselt – immer noch genug für eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h. Das war damals ein unerhörter Wert und verlieh dem Stoewer den Status des schnellsten deutschen Straßenautomobils.
Von Serienfertigung darf man hier freilich kaum sprechen – wie gesagt entstanden ganze 10 Exemplare dieses Ausnahmefahrzeugs.
Ich konnte mein Glück kaum fassen, als mir Stoewer-Spezialist Manfried Bauer bestätigte, dass ich tatsächlich ein Foto dieser Rarität geangelt hatte, das noch dazu vor der Stoewer-Fabrik aufgenommen worden war.
Zudem zauberte er eine weite Originalaufnahme aus seinem Archiv hervor, das in absehbarer Zeit seiner Fahrzeugsammlung folgen und den Weg in das Technische Museum Stettin im heutigen Polen antreten soll, wo der Firma Stoewer in allen ihren Facetten ein würdiges Denkmal gesetzt wird.
Das von Manfried Bauer bereitgestellte Foto zeigt sogar denselben Wagen wie meine Aufnahme – die übereinstimmenden Verschmutzungen an der Flanke des Hinterrads beweisen es:
Stoewer D7 von 1921; Originalfoto aus Sammlung Manfried Bauer
Dieses Foto ließe an sich wenig zu wünschen übrig – denn was auf meiner Aufnahme nur schemenhaft zu erahnen war, ist hier mit großer Deutlichkeit wiedergegeben.
Bloß ein Detail stimmt nicht überein – erkennen Sie es?
Nun, es ist der hinten angesetzte Koffer, der erst kurz vor Auslieferung angebracht wurde. Zuvor hatte man einigen wohl an der Herstellung beteiligten Stoewer-Männern Gelegenheit geben, sich mit ihrer grandiosen Kreation ablichten zu lassen.
Somit können wir die beiden Fotos sogar in eine zeitliche Reihenfolge bringen. Nicht schlecht nach genau 100 Jahren, meine ich.
Doch damit bin ich noch nicht am Ende. Eingangs hatte ich von einer dritten Aufnahme gesprochen – und auch diese verdanken wir Manfried Bauer vom Stoewer-Archiv:
Stoewer D7 von 1921; Originalfoto aus Sammlung Manfried Bauer
Hier haben wir die Frontpartie wieder desselben Stoewer D7 – mit der eindrucksvollen Kühlermaske, die bis Mitte der 1920er Jahre das Gesicht der Marke darstellen sollte.
Für mich zählt dieser Stoewer-Kühler im wahrsten Sinne zu den hervorragendsten Schöpfungen auf dem Gebiet – nur bei Voisin aus Frankreich findet sich eine ähnliche Formgebung.
Das Einzige, was man aus dieser Perspektive bemängeln könnte, wäre die hohe und fast senkrecht stehende Frontscheibe – hier hätte man sich eine niedriger und flachere Ausführung gewünscht.
Das hat es sogar gegeben – aber ein Foto davon fand sich bislang nur in der Literatur (Hans Mai, Stoewer Automobile 1896-1945, S. 61), auf die ich mich hier neben dem Wissensschatz von Manfried Bauer gestützt habe.
Vielleicht taucht aber irgendwann wieder aus dem Dunkel der Vergangenheit auch ein weiteres solches Relikt auf, das den Untergang der Firma im Frühjahr 1945 überlebt hat.
Bis dahin werden wir uns hier anderweitig mit automobilen Wundern die Zeit vertreiben müssen – angesichts zunehmend bedenklicher Zustände in unserer Republik aus meiner Sicht eine verlässliche Methode, sich die Seelenruhe nicht rauben zu lassen…
Der Fund des Monats Oktober fällt in mehrfacher Hinsicht aus dem Rahmen: So ist es nicht nur ein außergewöhnliches Auto, das ich ins Rampenlicht stelle, es sind gleich mehrere.
Diese wiederum repräsentieren grundsätzlich denselben Typ, unterscheiden sich aber in etlichen Details. Nicht zuletzt bleibt bei einem der Wagen die Identität unsicher, was einmal mehr sachkundige Leser auf den Plan rufen könnte.
Beginnen möchte ich mit einem Traumwagen, den langjährige Freunde meines Blogs sicher nicht vergessen haben – diesen offenen Hanomag des Sechszylindertyps „Sturm“:
Hanomag „Sturm“, offener Zweisitzer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Der hinreißend gezeichnete Wagen wurde im August 1936 an der Ostsee fotografiert. Unglaublich, dass sich bis heute nicht klären ließ, wer der Hersteller dieser rassigen Karosserie war – leider ist es um die Hanomag-Traditionspflege nicht gut bestellt.
Gewiss, man begegnet auf zeitgenössischen Aufnahmen bisweilen Sport-Zweisitzern, die auf den ersten Blick ähnlich erscheinen.
Die dünne Literatur zur PKW-Prroduktion von Hanomag nennt und zeigt immerhin einen Roadster auf Basis des Hanomag „Sturm“, der von Hebmüller gefertigt wurde, auch Gläser-Ausführungen sind bekannt.
Hier haben wir vermutlich ein solches Exemplar, aufgenommen beim Tankstellenhalt an der Autobahn im Alpenraum:
Hanomag „Sturm“ Sport-Zweisitzer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Doch dieser Wagen und auch weitere auf zeitgenössischen Abbildungen überlieferte Sport-Zweisitzer auf Basis des Hanomag „Sturm“ besitzen zwei Reihen schrägstehende Luftschlitze in der Haube – ganz anders als das an der Ostsee aufgenommene Exemplar.
Dort ist auch der eigentlich roadster-typische Türausschnitt nur angedeutet. Das unter einer Persenning untergebrachte dünne Notdach weist den Wagen dennoch der Gattung Roadster zu.
Vielleicht lässt sich ja irgendwann noch klären, wer den mysteriösen, aber wunderbaren Hanomag am Ostseestrand einst so vorteilhaft abgelichtet hat.
Wer mit meinem Tankstellenfoto nicht ganz zufrieden ist und genau wissen will, wie ein von Hebmüller in sinnlich fließendes Blech eingekleideter Hanomag „Sturm“ Roadster aussah, dem kann geholfen werden. So sandte mir Peter Steenbuck vor längerer Zeit das hier zu:
Hanomag „Sturm“ Roadster (Karosserie Hebmüller); Originalfoto aus Sammlung Peter Steenbuck
Man mag von der konservativen Technik der Hanomag-Personenwagen halten, was man will – stilistisch war das eines der attraktivsten deutschen Autos der 30er Jahre.
Gerade weil die Marke aus Hannover nicht annähernd das Prestige von Horch oder Mercedes-Benz besaß, ist es interessant zu sehen, dass man offenbar eine Marktnische für ein solchen „Feger“ sah – ich hätte ihn ebenfalls jedem etablierten Luxuswagen vorgezogen.
Doch wer meint, dass man damit nur auf den Boulevards einen glänzenden Auftritt hinlegen konnten, kennt dieses großartige Pressefoto noch nicht, das im Sommer 1938 bei der Ostpreußenfahrt entstand:
Hanomag Roadster (Karosserie Hebmüller); Fotograf: Schmeling, 15.8.38, Nr. AV 5752.11; originales Pressefoto aus Sammlung Michael Schlenger
„Nasse Herausforderung für den Sportwagen“ steht auf der Rückseite des Abzugs und das bringt es treffend auf den Punkt.
Bei der Durchfahrt dieser Fuhrt galt es schnell zu sein, bevor Wasser in den Motorraum eindringen konnte und in die Nähe von Zündverteiler oder Ansaugtrakt gelangen konnte.
Der Kommentar hebt eigens die „Fahrerin der NSKK-Motorgruppe Ostland“ hervor, welche die Ostpreußenfahrt 1938 ausrichtete. Dabei handelte es sich um eine der zahlreichen Langstrecken- und Geländeprüfungen, an denen damals alle wichtigen deutschen Hersteller teilnahmen.
Heroischer Einsatz von Mensch und Maschine kamen der Propaganda des nationalsozialistischen Regimes sehr entgegen, und so nahmen in der Regel auch Vertreter des Militärs daran teil.
Einen ernsthaften Beitrag zur Entwicklung kriegstauglicher PKW erwartete freilich niemand – dazu war das Reglement zu beliebig. Für den Bedarf der Armee arbeitete man längst an standardisierten Konzepten mit Allradantrieb, Vierradlenkung und großer Bodenfreiheit.
So stellte auch der Einsatz von seriennahen Wagen wie dem Hanomag-Roadster bei der Ostpreußenfahrt letztlich ein prestigeträchtiges Spektakel dar – vergleichbar etwa der traditionsreichen Rallye Monte Carlo mit einigen Anleihen beim britischen Trial-Sport.
Übrigens erlaubt die Pressaufnahme nur die Ansprache des Wagens als Hanomag. Der genaue Typ – „Sturm“ oder „Rekord“ – muss aus meiner Sicht offenbleiben, da der Typenschriftzug auf dem Kühler nicht sichtbar ist.
Zwar mag man argumentieren, dass Hanomag hier wohl eher mit dem 50 PS leistenden „Sturm“ antrat als mit dem weit schwächeren Vierzylindermodell „Rekord“. Doch ausweislich der Literatur gab es diesen zumindest 1934 ebenfalls als Sport-Zweisitzer.
Allerdings ist mir noch nie ein Foto davon begegnet. So darf man wohl als Arbeitshypothese den „Sturm“ als wahrscheinlichsten Kandidaten ansetzen, der sich äußerlich vor allem durch seine wesentlich längere Motorhaube vom „Rekord“ unterschied.
Das ist natürlich nur bei Aufnahmen nachvollziehbar, bei denen der Wagen von der Seite zu sehen ist.
Auch damit kann ich aufwarten, und zwar auf einem Foto, das seinesgleichen sucht. Denn hier sehen wir, was sich auf dem anlässlich der Ostpreußenfahrt aufgenommenen Hanomag unter der Wasserlinie verborgen haben könnte:
Hanomag „Sturm“ Roadster (Karosserie Hebmüller); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Die eleganten Linien dieses Hanomag „Sturm“-Roadsters mit endlos wirkender Motorhaube stehen in denkbar großem Gegensatz zu den wuchtigen Reifen mit (vor allem hinten) ausgeprägtem Stollenprofil.
Wer auch immer der Besitzer dieser Schöpfung war, meinte es offenbar ernst, was die Geländetauglichkeit angeht.
Ein Spritzlappen am Ende des Vorderkotflügels sollte verhindern, dass Schlamm oder Schotter den Innenraum erreichen (oder den glänzenden Lack ruinieren). Ein massives Blech an der Front sorgte für den Schutz von Kühler, Lenkgestänge und Vorderrädern.
Was so martialisch daherkommt, weist sich durch die Chromradkappen und sonstigen Zierrat als ansonsten unverändertes Zivilfahrzeug aus – man könnte sich vorstellen, dass der Besitzer den Hanomag für Sportveranstaltungen eigens so herrichtete und ansonsten den eleganten Auftritt pflegte.
Ob die beiden Buben im Auto zur Familie gehörten oder für einen Moment so tun durften, als gehörten sie dazu, wissen wir ebensowenig wie den Namen des Besitzers dieses Exemplars oder auch der übrigen heute präsentierten Wagen des Typs Hanomag „Sturm“ Roadster.
Dabei müssen doch speziell die sportlich eingesetzten Ausführungen mehr Spuren hinterlassen haben als diese paar Fotos.
Meines Wissens gibt es zu dem zeitgeschichtlichen Phänomen der Geländesport- und Langstreckenfahrten im Dritten Reich keine umfassende literarische Aufarbeitung, obwohl zeitgenössische Illustrierte vermutlich jede Menge Material dazu bieten.
Bald 100 Jahre später ist es vielleicht an der Zeit, die deutsche Vorkriegsgeschichte betreffenden Neurosen allmählich hinter sich zu lassen und Historie als solche zu behandeln. Ich sehe jedenfalls keinen Grund, weshalb man sich mit diesen populären und zugleich politisch unterstützten Materialschlachten nicht in allen Facetten nähern sollte.
Die Teilnehmer dürften ungeachtet der hinreichend bekannten Zeitumstände ihren Spaß daran gehabt haben, warum sollte das heute nicht heute auch erlaubt sein?
Wer mit von einem langen Arbeitstag geschwächten Augen im Titel meines heutigen Blog-Eintrags das ersehnte Wort „Freitag“ zu erkennen meint, irrt leider.
Die altskandinavische Göttin Freia war entgegen verbreiteter Meinung nicht einmal Namensgeberin dieses Wochentags; das war wohl eher ihre germanische Kollegin Frigga, mit der sie nur entfernt verwandt gewesen zu scheint.
Nachdem dieser wichtige Punkt geklärt ist, können wir uns dem eigentlichen Fund des Monats zuwenden. Warum der einst nach besagter Göttin benannt wurde, wird man wohl nicht mehr in Erfahrung bringen.
Vermutlich war es der positive Klang des Namens, der Freiheit verhieß zu einer Zeit, in der die Lebensverhältnisse für die allermeisten Deutschen denkbar beengt waren.
Trotz der allgemein desolaten Lage nach dem 1. Weltkrieg – erst Anfang September 1919 hatte Großbritannien die über das Kriegsende fortdauernde fatale Seeblockade aufgehoben – gab es nach wie vor einen kleinen Markt für den Luxusgegenstand Automobil.
Viele Begüterte, die Vermögen über den Krieg hatten retten können, oder von der umfassenden staatlichen Kriegswirtschaft profitiert hatten, ahnten das kommende Desaster in Form einer Aushöhlung der Währung angesichts astronomischer Staatsschulden.
Das erklärt den Autoboom in der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg, der nicht nur etablierten Herstellern zugutekam, die meist einfach bisherige Modelle weiterbauten. Aussicht auf gute Geschäfte sahen auch unzählige neue Firmen, die eine Manufakturproduktion speziell im Bereich leichter Kleinwagen sahen, die oft sportliche Attribute aufwiesen.
So war das auch im Fall des Herstellers dieses Viersitzers mit Spitzkühler, langer Motorhaube und filigranen Drahtspeichenrädern:
Freia 5 PS-Modell; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Nach einigen Recherchen gelangte ich zur Ansicht, dass diese 1931 entstandene Aufnahme aus meiner Sammlung einen Wagen der Marke „Freia“ aus Greiz in Thüringen zeigt.
Die Firma war von einem Investorenkonsortium 1920 gegründet wurde. Ab 1922 baute man den von Arthur Schuh aus Greiz entworfenen neuartigen „Freia“-Kleinwagen .
Doch lange Zeit war ich mir der Sache nicht ganz sicher, mir fehlten Vergleichsstücke und der Kühler ist leider nur unscharf abgebildet.
Dessen Form, das deutlich vorstehende Kühleremblem, die ungewöhnlichen Auslaßschlitze in der Haube und die Drahtspeichenräder waren zusammengenommen aber starke Indizien dafür, dass wir es hier mit einem der „Freia-Wagen zu tun haben.
Diese besaßen einen kompakten Vierzylinder mit 5 Steuer-PS, der anfänglich seitengesteuert war – die Ventile standen also neben den Zylindern und wurden direkt von der untenliegenden Nockenwelle angetrieben. Mit dieser zwar einfachen, aber ineffizienten Konstruktion warf das Aggregat nur rund 15 PS ab.
Immerhin zeichneten sich die Freia-Autos von Anfang durch einen ungewöhnlich tiefen Schwerpunkt und eine entsprechend gute Straßenlage aus. Das rief nach einer stärkeren Motorisierung, um das sportliche Potential des Chassis voll ausnutzen zu können.
Ende 1923 machte man Nägeln mit Köpfen und bot das Freia 5-PS-Modell mit einem Motor an, der zwar nach wie vor nur 1,3 Liter Hubraum aufwies, dank eines hochmodernen Ventiltriebs nach Vorbildern aus dem Rennsport (Ventiltrieb durch obenliegende Nockenwelle und Königswelle) aber nun 20 PS (später 25 PS) Spitzenleistung abwarf.
Das klingt heute bescheiden, sorgte aber speziell bei der nur einige hundert Kilogramm Ausführung als Sportzweisitzer für eine Agilität, die für ein gewisses Aufsehen sorgte.
Dieser anspruchsvolle Antrieb war auch in Verbindung mit konventionellen Aufbauten erhältlich. Ob man es nun mit dem braven 5/15 PS-Typ oder dem „scharfen“ 5/20 PS-Modell zu tun hatte, sah man von außen wohl nicht – jedenfalls liefert die spärliche Literatur zu „Freia“-Automobilen keinen Hinweis darauf.
Erfreulich ist aber, dass mein Sammlerkollege Matthias Schmidt (Dresden) gleich zwei „neue“ Originalfotos eines weiteren Freia-Wagens auftreiben konnte, die bestätigen, dass die Zuschreibung des Wagens auf meiner eingangs gezeigten Aufnahme korrekt ist.
Hier zunächst eine ebenfalls etwas unscharfe, aber aussagefähige Ansicht von schräg vorne:
Freia 5 PS-Modell; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Die Kühlergestaltung ist vollkommen identisch, auch die Griffmulde der für einen Vierzylinder ungewöhnlich langen Motorhaube sitzt an der richtigen Stelle. Die markant geformten Lufschlitze ahnt man allerdings nur.
Ein Unterschied betrifft die Ausführung der Vorderkotflügel. Während sie am Wagen auf meinem Foto weit nach hinten geschwungen sind, fallen sie hier kurz aus und folgen der Radform – was angesichts des Manufakturcharakters der Produktion aber wenig besagt.
Passend zur Herkunft der Freia-Wagen ist ein Nummernschild aus Thüringen montiert, wenngleich es keinen Anlass zur Annahme gibt, diese Wagen seien nur lokal vertrieben worden – dafür wäre der Markt einfach zu klein gewesen.
Endgültige Gewissheit verschafft uns schließlich die zweite Aufnahme desselben Wagens:
Freia 5 PS-Modell; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Hier prangt der Name der altskandinavischen Göttin gut lesbar auf dem Kühler, die in der Mythologie übrigens mit einem von Wildkatzen gezogenen Wagen umherfuhr.
Dieser Aufwand war im Fall dieses „Freia“ freilich nicht nötig – bloß die genaue Motorisierung bleibt aus meiner Sicht vorerst unklar.
Weiß ein Leser vielleicht, ob sich die frühen Wagen der Marke mit dem konventionellen 5/15 PS-Motor äußerlich erkennen lassen? Der Spitzkühler ist zwar in den 1920er Jahren bei vielen Marken nur eine vorübergehende Erscheinung, doch bei anderen wurde er bis etwas 1925 beibehalten oder war sogar wahlweise neben einem Flachkühler verfügbar.
Letzteres scheint mir auch bei den flotten Freia-Wagen der Fall gewesen zu sein – jedenfalls finden sich in der Literatur auch auf 1924 bzw. 1926 datierte Wagen der Marke mit Spitzkühler, während andererseits schon ab 1923 Flachkühler-Versionen existierten.
So oder so war aber 1927 Schluss mit der Autoproduktion im übrigens sehr sehenswerten Städtchen Greiz. Trotz einiger sportlicher Erfolge – über die vielleicht ein Leser Genaueres weiß – blieben die Verkaufszahlen offenbar zu niedrig.
Firmengründer und Konstrukteur Arthur Schuh stellte immerhin noch die Ersatzteilversorgung der rund 800 gebauten Freia-Wagen sicher, bevor er ins Audi-Werk in Zwickau wechselte (vgl. Horst Ihling, Autoland Thüringen, 2002, S. 82).
Beim heutigen Fund des Monats kommt einiges zusammen, was auf den ersten Blick nicht so recht passen will: Ein Motorenbauer aus Sachsen, der Sprössling eines alten österreichischen Adelsgeschlechts und ein kurzlebiger Autohersteller aus München.
Aus dieser Mischung entstand Anfang der 1920er Jahre etwas, dem man gern mehr Erfolg gewünscht hätte – denn das Ergebnis sah einfach gut aus und hätte jedem Serienhersteller im damaligen Deutschland zur Ehre gereicht.
Doch wie im Fall zahlreicher ähnlicher – oft nur noch dem Namen nach bekannter – Autoentwürfe jener Zeit sollte dem Wagen, den ich heute als Fund des Monats August präsentiere, kein langes Leben beschieden sein.
Zeitgenössische Dokumente, die das Fahrzeug zeigen, sind kolossal selten, weshalb diese Aufnahme aus meiner Sammlung als veritable Rarität gelten darf:
LUWO-Zweisitzer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Schnittig sieht er aus, der Zweisitzer mit moderatem Spitzkühler, geteilter Windschutzscheibe und tropfenförmigen Heck. Windschlüpfig wäre er vermutlich eher gewesen, wenn man ihn rückwärts gefahren hätte.
Doch in der Leistungsklasse, in der sich dieses makellos gezeichnete und verarbeitete Auto bewegte, war der Luftwiderstand eher von nachrangiger Bedeutung.
Ganz genau kann ich es für dieses Exemplar nicht sagen, doch wenn man der Literatur trauen kann, werkelte unter der Motorhaube mit den charakteristisichen Luftschlitzen ein Motor mit 12 PS – eventuell gab es auch eine 15 PS-Version.
Das Vierzylinderaggregat stammte vom eingangs erwähnten sächsischen Motorenbauer – der in Kamenz ansässigen Firma Steudel. Diese hatte nach der Jahrhundertwende kurze Zeit selbst Automobile gebaut, bevor sie sich auf die Motorenproduktion beschränkte.
Von Steudel gelieferte Einbaumotoren fanden sich in der ersten Hälfte der 1920er Jahre bei längst vergessenen Kleinwagenmarken wie Hataz, Komet, Omikron und Schuricht.
Der letztgenannte Hersteller – Schuricht – liefert die perfekte Überleitung zu der Firma, die einst den heutigen Fund des Monats fertigte. Denn beide waren in München ansässig – was im Fall von Automobilproduzenten eher die Ausnahme war.
LUWO hieß die Münchener Marke, die den hübschen Zweisitzer auf meinem Foto baute. Auch sie verwendete für ihre ab 1922 gebauten Wagen von Steudel zugekaufte Motoren.
Wer von LUWO bis dato nichts wusste, ist nicht allein. Ich war ebenfalls ahnungslos, bis mir Thomas Ulrich (Berlin) auf meine Anfrage hin mitteilte, dass der Wagen auf dem Foto wahrscheinlich ein Wagen dieses Fabrikats war.
Übrigens gab es in Freiburg fast zeitgleich einen Hersteller mit ähnlichem Namen – LUWE. Dieser fertigte jedoch in Manufaktur einige mächtige Sechszylinderwagen mit Flugmotoren aus Restbeständen von Daimler – die spielten schon optisch in einer anderen Liga.
Sollte jemand zu LUWO weitere Abbildungen oder verlässliche Informationen haben, freue ich mich über eine Kontaktaufnahme zwecks Veröffentlichung hier im Blog (natürlich mit Quellenangabe, wie sich das gehört).
Viel mehr kann ich zu dem adretten LUWO-Zweisitzer nicht sagen. Den Aufnahmeort habe ich vergeblich herauszufinden versucht. Dabei sollte sich die klassizistische Vorhalle im Hintergrund mit den paarweise gesetzten Säulen doch identifizieren lassen.
Was hat es nun noch mit dem eingangs erwähnten Adelssprößling auf sich? Nun, der war der Namensgeber der Firma, die den LUWO produzierte – LUdwig von WOlzogen.
Auch wenn ich in den 1980er Jahren bloß den üblichen Schmalspurunterricht an einem hessischen Gymnasium genossen habe, sagte mir dieser Name etwas. Allerdings wollte die Epoche nicht so ganz passen.
Der preußische General Ludwig von Wolzogen (1733-1845) gilt nämlich als der Kopf hinter der Strategie Russlands, im Sommer 1812 den Vorstoß Napoleons nach Osten ins Leere laufen und an überdehnten Versorgungslinien scheitern zu lassen.
Man fragt sich, warum der deutsche Generalstab diese alte Erfahrung anno 1941 ignorierte und meinte, die unendlichen und unwirtlichen Weiten Russland bezwingen zu können. Aber dasselbe gilt in unseren Tagen ja auch für das Abenteurertum, mit dem Schreibtischtäter (auch hierzulande) meinten, ausgerechnet Afghanistan „befrieden“ zu können.
Während die Militärkarriere des „alten“ Ludwig von Wolzogen ausgezeichnet dokumentiert ist, konnte ich auf die schnelle über seinen gleichnamigen Nachfahren, der ja immerhin eine Autofirma gegründet hatte, nichts weiter in Erfahrung bringen.
Nur dass es mit LUWO 1924 wieder vorbei war, erscheint gesichert. Doch was trieb Ludwig von Wolzogen anschließend (und was hatte er eigentlich davor gemacht)? Vielleicht kann ja auch dazu ein sachkundiger Leser etwas beitragen (siehe Kommentarfunktion).
Heute habe ich das Vergnügen, einen der im wahrsten Sinne „großen“ Unbekannten der deutschen Vorkriegs-Automobilgeschichte präsentieren zu können.
Er stammt von einer Marke, die für sich bereits zu den Exoten zählen dürfte – Selve. Sie war gewissermaßen ein Nebenprodukt der Motorenfertigung des Maschinenbaukonzerns Basse & Selve aus Altena in Westfalen.
Hier eine Originalreklame von Anfang 1918, die das Können der Firma unterstreicht, denn Flugmotoren für militärische Zwecke erforderten höchste Standards, was Materialeinsatz und Fertigungstoleranzen anbelangt:
Selve-Reklame aus „Motor“, Anfang 1918; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Nach Ende des 1. Weltkriegs musste die Flugmotorenproduktion aufgegeben werden. Firmenchef Walther von Selve ergriff 1919 die Gelegenheit zum Kauf der Norddeutschen Automobilwerke (NAW) in Hameln, wo zuletzt das damals recht bekannte Modell „Sperber“ gefertigt worden war.
Die eigene Automobilproduktion bot für Basse & Selve die Möglichkeit, sich nun auf PKW-Motoren zu verlegen – den Anfang machten zwei Vierzylinder-Modelle mit 24 bzw. 32 PS. Das eine oder andere Exemplar davon ist in meiner Selve-Galerie zu sehen.
Damit trat Selve auch in der Werbung erstmals als Automarke in Erscheinung:
Selve-Reklame vom Anfang der 1920er Jahre; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Ab 1925 bot man unter der Marke Selve erstmals einen Sechszylinder an – den Typ 11/45 PS, welcher ein Spitzentempo von 100 km/h ermöglichte – damals ein beachtlicher Wert.
Dieses Modell wurde kontinuierlich weiterentwickelt. Aufbohren des Motorblocks von 2,9 auf 3,1 Liter und leichte Erhöhung der Verdichtung bewirkten ab 1927 eine Steigerung der Spitzenleistung auf 50 PS – beim Ventiltrieb hielt man an der Seitensteuerung fest.
Der Selve 12/50 PS scheint danach zwar motorenseitig unverändert geblieben zu sein, doch nach einigen Quellen erhielt er 1928 eine hydraulische Vierradbremse nach Lockheed-Patent – nur ein Jahr nach dem Adler Standard 6.
Jedenfalls findet sich diese Angabe im Standardwerk „Autos in Deutschland 1920-1939“ von Altmeister Heinrich von Fersen, welches zwar fehler- und lückenhaft ist, aber immer wieder auch Details offenbart, die sich andernorts nicht finden.
Dort ist auch das einzige mir bislang bekannte Foto des Selve mit hydraulischer Vierradbremse zu finden, der den Namenszusatz „Selecta“ trug. In der neueren Literatur (Werner Oswald, Deutsche Autos 1920-45, Ausgabe 2019) findet sich weder der Hinweis auf die Hydraulikbremse noch eine Abbildung des Selve „Selecta“.
Vermutlich gehören Originalaufnahmen dieses letzten (bis 1929) gebauten Selve-Automobils zu den ganz großen Raritäten – umso mehr dürfte die Freunde solcher Exoten diese exzellente Aufnahme (aus der Sammlung von Leser Klaas Dierks) elektrisieren:
Selve „Selecta“; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks
Eine hervorragendes Dokument wie dieses wünscht man sich von unzähligen anderen „Unbekannten“ jener Zeit – es gibt sie, sie schlummern bloß meist in ängstlich verborgenen Sammlungen, ohne dass jemand davon erfährt.
Hier haben wir die komfortable Situation, dass die Aufnahmeperspektive den Wagen das Kühleremblem und gleichzeitig die gesamte Gestaltung des Aufbaus erkennen lässt – mit Ausnahme der bei den damaligen Autos unerheblichen Heckpartie.
Die Krönung ist freilich der Schriftzug auf dem Kühlergrill: „Selve Selecta“ steht dort, mehr Klarheit kann man sich nicht wünschen.
Für die Freunde des Adler Standard 6 ist dieser großartige Fund ein schwerer Schlag, denn der praktisch zeitgleiche Selve Selecta illustriert, dass der Adler keineswegs so einzigartig in der deutschen Automobillandschaft war, wie das bisweilen dargestellt wird.
Die Frankfurter Adlerwerke hatten jedoch bei ihrem Versuch, den damals in Deutschland dominierenden US-Sechzylinderwagen eine formal ebenbürtige Konkurrenz entgegenzusetzen, in einer Hinsicht die Nase vorn: er war viel „billiger“ als der Selve.
Kolossale 11.500 Reichsmark wurden 1929 für den Selve Selecta verlangt. Das waren rund 5.000 Mark mehr als für den Adler Standard 6 zu berappen waren. Betriebswirtschaftlich war die Modellpolitik von Selve ebenso irrational wie die vieler anderer deutscher Hersteller.
Aber wie sagte einst Richard Wagner: „Deutschsein heißt, eine Sache um ihrer selbst zu tun“. Was aus Idealismus an Großartigem entstehen kann, aber auch an Verstiegenem bis Entsetzlichem, dafür finden sich in unserer Geschichte hinlänglich Beispiele.
Zu den für uns Nachgeborene erbaulichen Produkten dieser „Against all odds“-Mentalität gehört zweifellos dieses Prachtexemplar eines in Berlin zugelassenen Selva „Selecta“, das in fotografisch konservierter Form seinesgleichen suchen dürfte:
Meine Reise zum Fund des Monats führt mich genau 100 Jahre zurück in die Vergangenheit – ins Jahr 1921.
Zwar passt der überlieferte Aufnahmezeitpunkt – September – nicht ganz, aber in der hessischen Wetterau herrschen gerade ebenfalls herbstliche Temperaturen: 15 Grad bei leichtem Regen und das Ende Juni.
Klimawandel? Nein, ebenso wie die hochsommerliche Wärme vor kurzem schlicht im Rahmen üblicher Wetterkapriolen.
Wirklich außergewöhnlich ist dagegen der Wagen, der auf diesem Foto abgebildet ist, das sich schon seit einigen Jahren in meiner Sammlung befindet:
Dürkopp Typ P10 10/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Dieses Prachtstück von Tourenwagen könnte kaum wirkungsvoller aufgenommen sein:
Der schnittige Spitzkühler vor der langen Haube kommt voll zur Geltung, gleichzeitig ist die Seitenlinie nur leicht verkürzt wiedergegeben – ein geradezu perfekter Aufnahmewinkel. Gut gefällt mir auch, dass die Vorderräder leicht eingeschlagen sind, so wirkt der Wagen dynamisch, als ob er gerade eine Kurve nimmt.
Formal wie technisch kann es dieses großzügige Automobil ohne weiteres mit Modellen der frühen 1920er Jahren von etablierten Herstellern wie Benz, Opel oder Presto aufnehmen. Dabei handelte es sich jedoch lediglich um ein Nebenprodukt eines Konzerns, der sein Geld hauptsächlich mit Nähmaschinen und Zweirädern verdiente – Dürkopp aus Bielefeld.
Der einzig verlässliche Hinweis darauf ist das geschwungene „D“ auf dem Kühler (mehr zu den wechselnden Dürkopp-Emblemen hier):
Firmengründer Nikolaus Dürkopp hatte bereits Ende des 19. Jahrhunderts erste Versuche mit Automobilen unternommen. Daraus entstand eine Kleinserienproduktion, die Dürkopp quasi als Hobby betrieb – seine Autos mussten gut sein, aber kein Geld einbringen.
In dieser Nische des Dürkopp-Konzerns gediehen einige schöne Gewächse, die bereits vor dem 1. Weltkrieg von der Mittelklasse bis in die Oberklasse reichten. Anfang der 1920er Jahre gab es die breite Palette der P-Typen, die nach den Steuer-PS (grob am Hubraum orientiert) bezeichnet wurden und vom P6/24 PS bis zum P24/70 PS reichte.
Die technischen Daten dieser Typen sind in der Standardliteratur zu deutschen Vorkriegswagen umfassend dokumentiert (vgl. Werner Oswald: Deutsche Autos 1920-45).
Was Abbildungen angeht, sieht es jedoch dort wie auch andernorts dürftig aus. Wie es scheint, gibt es zur Automobilproduktion von Dürkopp weder in der Literatur noch im Netz eine spezielle Quelle, die über solche Standardangaben hinausgeht.
In älteren Ausgaben des „Oswald“ finden sich immerhin einige Prospektabbildungen, die darauf schließen lassen, dass sich die unterschiedlich motorisierten P-Typen der frühen 1920er Jahre tendenziell anhand der Zahl der Luftschlitze unterscheiden lassen.
Vier Luftschlitze fanden sich in der Motorhaube des Typs P8/24 PS, acht beim Spitzenmodell P24/70 PS und offenbar sechs beim Typ P10/30 PS.
Damit ließe sich der heute vorgestellte Dürkopp-Tourer an sich bereits als Typ P10 identifizieren. Doch so ganz trauen kann man den älteren Quellen nicht immer.
Glücklicherweise ist mir vor kurzem ein weiteres Foto desselben Typs „zugelaufen“, das auf der Rückseite von alter Hand mit „Dürkopp 10-30 HP“ beschriftet ist. Es stammt offenbar aus dem Besitz eines englischen Sammlers, der dort außerdem „German“ vermerkt hatte.
Dürkopp Typ P10 10/30 PS; Origiinalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Mit seiner Akribie hat er uns einen großen Gefallen getan, denn dieses Foto zeigt ganz offensichtlich denselben Typ – hier sogar mit „Dürkopp“-Schriftzug auf dem Kühler. Der Aufbau entspricht jedenfalls vollkommen demjenigen auf dem ersten Foto – einschließlich der sechs Luftschlitze in der hinteren Haubenhälfte.
Zwei kleine Unterschiede sind allerdings zu konstatieren: Das Dürkopp-„D“ ist nicht auf dem Kühler zu sehen, aber dafür in etwas anderer Form auf den Radnaben.
Außerdem besitzt dieses Exemplar noch gasbetriebene Beleuchtung – siehe den Karbidentwickler am vorderen Ende des Trittbretts:
Wahrscheinlich haben wir es hier mit der Erstausführung des Dürkopp Typ P10/30 PS zu tun, die bereits 1914 erschien, als bei vielen Herstellern Gasbeleuchtung noch Standard war und elektrische Scheinwerfer nur gegen Aufpreis erhältlich waren.
Gleichwohl können wir davon ausgehen, dass der im Herbst 1921 fotografierte Dürkopp trotz der modernen elektrischen Beleuchtung ansonsten ganz dem Vorkriegstyp entsprach. Jedenfalls liefert dieses zweite Foto ein starkes Indiz dafür, dass der Typ P10/30 PS tatsächlich an den sechs Haubenschlitzen zu erkennen war.
Damit sind in meiner allmählich wachsenden Dürkopp-Fotogalerie mittlerweile vier Wagen dieses eindrucksvollen Typs versammelt. Wieviele davon insgesamt entstanden, scheint nicht bekannt zu sein.
Ganz sicher war es ein exklusives Vergnügen, in einem solchen Fahrzeug unterwegs zu sein, und wir dürfen die kokett dreinschauende Dame darum beneiden, die einst das Privileg genoss:
Mehr als solche Bilder scheinen von den eindrucksvollen Dürkopp-Wagen nach 100 Jahren nicht mehr zu existieren – oder vielleicht doch?
Außerhalb Sachsens dürfte es vermutlich kaum Freunde von Vorkriegswagen geben, die je etwas von der Marke „Nacke“ gehört haben, die den Fund des Monats Mai 2021 stellt.
Dabei nimmt die einst hochbedeutende sächsische Automobilgeschichte ihren Anfang mit einem vom Maschinenbauunternehmer Emil Nacke 1901 in Coswig gebauten Motorwagen.
Nacke war im Unterschied zu einigen Zeitgenossen kein Hinterhoftüftler, sondern hatte nach seinem Studium zunächst Erfahrungen im Lokomobilbau gesammelt und auf Reisen den Stand des Maschinenbaus in Frankreich und England erkundet. Nach weiteren Stationen gründete er 1891 seine eigene Maschinenfabrik in Coswig.
Seinen ersten Motorwagen scheint er 10 Jahre später selbst konstruiert zu haben – während viele deutsche Hersteller im Rückstand waren und ihre ersten Autos nach französischen Lizenzen bauen mussten.
Nach seinem Erstling, der noch den Namen „Coswiga“ trug, baute Nacke unter eigenem Namen von Anfang an vollwertige Automobile mit Motorleistungen zwischen 30 und 55 PS. Diese Wagen besaßen noch den damals dominierenden Kettenantrieb.
Ab 1909 rundete Nacke sein Angebot nach unten mit den leichteren Typen 7/18 PS und 10/25 PS ab. Das 18 PS-Modell zeigt diese Reklame von 1910:
Nacke 7/18 PS; Originalreklame aus Braunbecks Sportlexikon 1910
Hier sieht man die ab 1909/1910 bei deutschen Serienwagen auftauchende Windkappe (auch als Windlauf oder Torpedo bezeichnet), die einen strömungsgünstigen Übergang zwischen der horizontalen Motorhaube und der vertikalen Schottwand dahinter bewirkte.
Dieses aus dem Rennsport entlehnte Detail leistet bei der Datierung von Autos der Frühzeit oft gute Dienste – jedenfalls bei Herstellern aus dem deutschsprachigen Raum. Halten wir also fest: Ab spätestens 1910 versah auch Nacke seine Wagen mit einer Windkappe.
Auch wenn dieses Element hier noch wie „aufgesetzt“ wirkt – was es ja faktisch auch war – verlieh es Automobilen auf einmal eine ganz andere Anmutung: Hier beginnt die Geburt der von vorne bis hinten durchgestalteten Karosserie.
Davor gab es kein optisch vermittelndes Element zwischen dem Motorabteil und dem dahinterliegenden Fahrer- und Passagierraum. Der Motor hatte bis dato lediglich die Funktion der Pferde übernommen, dahinter blieb wie bei der Kutsche alles beim alten.
Nicht umsonst prägte die englische Sprache damals für das Auto den Begriff „horseless carriage“, da der Antrieb noch nicht als Teil des Ganzen verstanden wurde. Eine solche „Kutsche ohne Pferde“ sah bis zur Einführung der Windkappe so aus:
vermutlich Nacke-Landaulet von 1909; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Der Fahrer hatte nun nicht mehr die Pferde vor sich, sondern er blickte über den davorgesetzten Motor hinweg auf die Straße vor ihm – immerhin bereits hinter einer großen Windschutzscheibe.
Für die Herrschaften im Passagierabteil – hier als Landaulet mit niederlegbarem Verdeck über der hinteren Sitzbank ausgeführt – hatte sich gegenüber der Kutsche eigentlich nichts geändert. Bloß die erreichbare Geschwindigkeit und die Reichweite waren drastisch gestiegen – das Prestige ebenso, denn ein solcher Wagen kostete soviel wie ein Haus!
Wieso aber könnten wir es bei diesem Prachtexemplar mit einem Nacke zu tun haben? Liefert die Frontpartie vielleicht einen Hinweis darauf?
Trotz des Detailreichtums der Aufnahme ist kein Hinweis auf den Hersteller zu sehen. Festhalten kann man immerhin zweierlei: Unter der langen Haube war ausreichend Platz für einen großvolumigen Motor, der bei frühen Nacke-Wagen um die 5 Liter messen konnte.
Interessant ist auch die Gestaltung der Kotflügel. Diese repräsentieren das Übergangsstadium zwischen den weit ausladenden flügelartigen Schutzblechen, die bis etwa 1906/07 dominierten und den weniger exaltierten, das Rad enger einfassenden Kotflügeln, die sich danach etablierten.
Dieses Detail ermöglicht zusammen mit dem Fehlen einer Windkappe eine Datierung auf ca 1908/09. Es geht aber vielleicht noch genauer, doch dazu müssen wir erst einmal herausfinden, wer dieses aristokratisch wirkende Automobil einst gebaut hatte.
Eine Laune des Schicksals hat dafür gesorgt, dass ein weiteres Foto die letzten 110 Jahre überstanden hat, das auf den ersten Blick dasselbe Auto zeigt:
Nacke um 1908/09; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Vor allem die Ausführung der Schutzbleche legt nahe, dass die beiden gemeinsam erhalten gebliebenen Fotos ein und dasselbe Auto oder zumindest denselben Typ zeigen.
Bei näherem Vergleich entdeckt man jedoch eine Reihe Unterschiede, beispielweise die abweichende Gestaltung des Kühlwassereinfüllstutzens. Nicht viel besagen müssen die unterschiedlchen Scheinwerfer, da es sich um austauschbare Zubehörteile handelte.
Die Dachpartie wiederum stimmt exakt überein. Was ist von diesem Befund zu halten? Nun, zunächst ist festzuhalten, dass im Fall des zweiten Fotos kein Zweifel daran besteht, was für ein Fabrikat darauf festgehalten ist:
„Automobil-Fabrik E. Nacke Coswig Sachsen“ ist dort zu lesen (im Original deutlich klarer).
Das allein genügt für die Klassfizierung als Fund des Monats, denn ein Foto aus dieser Perspektive, das die Herstellerplakette eines so frühen Nacke zeigt, ist mir noch nie begegnet. Besser kann man es sich bei Veteranenwagen kaum wünschen.
Welche Verbindung aber besteht nun zwischen den Wagen auf den beiden gemeinsam erworbene Fotos?
Nun, beide weisen nicht nur eine identische Kotflügelgestaltung und Kühlerform auf und sind demnach auch ähnlich zu datieren. Die Abzüge tragen auch beide auf der Rückseite den Vermerk „Wagenfabrik Trebst“.
Somit kamen einst beide Autos zumindest was den Aufbau angeht, aus demselben „Stall“. Zugelassen war der Wagen auf dem zweiten Foto in Leipzig, was dafür spricht, dass wir die Wagenfabrik Friedrich Trebst in der Leipziger Gustav-Mahler Straße als den Erbauer beider Karosserien annehmen dürfen.
Vorerst offen bleiben muss die Frage, ob nicht auch das erste Foto mit dem Landaulet in Seitenansicht einen Nacke zeigt. Zwar findet sich in der Literatur die Abbildung eines Nacke von 1906, der von den Kotflügeln abgesehen eine fast identische Vorderpartie aufweist, aber einen anderen Hersteller kann man dennoch nicht ausschließen.
Es ist gut möglich, dass bei der Wagenfabrik Trebst parallel zum Nacke einst auch ein anderes Fabrikat eingekleidet wurde, dem man die gleichen eigenwilligen Kotflügel verpasst hat. In Frage kommt beispielsweise ein Horch, der damals ganz ähnlich aussah.
Sollte es sich in beiden Fällen um einen Nacke handeln, dann können wir das Entstehungsjahr auf genau 1909 festnageln. Denn zuvor wurden Nacke-Wagen nur mit Kettenantrieb ausgeliefert, während dieses Exemplar eindeutig kardangetrieben war:
Möglicherweise erkennt ein Leser an der meist markenspezifischen Ausführung der Radnabe, ob wir hier eventuell doch ein anderes Fabrikat vor uns haben.
Es bleibt aber dabei, dass wir zumindest einen der hochkarätigen und unglaublich seltenen Nacke-Wagen fotografisch dingfest machen konnten. Dass heute kaum noch jemand etwas über diese Fahrzeug weiß, hängt wohl auch damit zusammen, dass Nacke die PKW-Produktion bereits 1913 zugunsten der wirtschaftlich aussichtsreicheren Herstellung von LKW und Omnibussen einstellte – was sich als richtig erweisen sollte.
Doch selbst die bis 1929 gebauten Nutzfahrzeuge, die sogar international einen guten Ruf besaßen, scheinen in Vergessenheit geraten zu sein. Umso mehr liegt es mir am Herzen, mit der Vorstellung solcher Originaldokumente zur Erinnerung an dieses interessante Kapitel sächsischer Automobilbautradition beizutragen…
Mein Fund des Monats April ist so facettenreich, dass er auch als Fund des Jahres durchgehen könnte. Doch das Jahr ist noch recht jung, und auch wenn ich eher zum Skeptizismus neige, kann es 2021 eigentlich nur besser werden – in mancher Hinsicht.
So setze ich einfach darauf, dass mir oder einem meiner Leser noch etwas zuläuft, was am Ende tatsächlich der Kategorie Fund des Jahres würdig sein wird.
Vor die Wahl gestellt, mit welcher der vielen Facetten des Dokuments ich beginne, um das es heute geht, entscheide ich mich kurzerhand für die auf den ersten Blick abwegigste.
So startet die heutige Entdeckungsreise in die Wunderwelt des Vorkriegsautomobils im 14. Jahrhundert – in Nürnberg, um genau zu sein. Damals wird dort erstmals ein Vertreter der Patrizierfamilie Praun erwähnt, Fritz war sein durch und durch bürgerlicher Name.
Die Prauns legten über die nächsten 500 Jahre eine erstaunliche Kontinuität als eine der führenden Geschlechter ihrer Heimat an den Tag. Die Grundlage dafür schuf der überregionale Handel, insbesondere mit Oberitalien.
Dass die Alpen kein Hindernis für die später mit Adelsprivilegien ausgestattete und bis heute im süddeutschen Raum ansässige Familie von Praun war, das sollte sich im 20. Jahrhundert nochmals eindrucksvoll bestätigen.
An dieser Stelle kommt ganz unerwartet ein Name aus dem hohen Norden ins Spiel – und zwar die traditionsreiche Automarke Hansa, die ebenfalls auf eine abwechslungsreiche, wenn auch weit kürzere Geschichte zurückschauen konnte.
Sie war der Erbauer des mächtigen Sportwagens, den wir hier den Berg emporstürmen sehen:
Hansa Typ A „Alpenwagen“ Spezialroadster; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Die im oldenburgischen Varel ansässigen Hansa Automobilwerke hatten bereits 1914 bewiesen, dass auch für sie die Alpen kein unbezwingbares Hindernis auf dem Weg zum Erfolg sind – sie absolvierten siegreich eine der härtesten Sportprüfungen der damaligen Zeit: die Alpenfahrt.
Ein original gerahmtes Foto des Siegerteams von 1914 hängt an der Wand meiner kleinen Automobilbibliothek und wird eines Tages noch angemessen gewürdigt.
Heute dagegen spielt die Alpenfahrt des Jahres 1929 eine wichtige Rolle, bei der gleich drei Hansa-Spezialroadster auf die fast 2.200 km lange Reise gingen. Hansa gelangte neben BMW als einziges von 12 gestarteten Teams ins Ziel!
Der oben gezeigte Wagen entsprach genau diesen siegreichen Typen (vgl. U. Kubisch, Hansa-Lloyd Automobilbau, Verlag Steintor, 1986, S. 89). Doch weist das Kennzeichen auf einen Besitzer aus München hin, der sich einen solchen Boliden im Anschluss an den spektakulären Sieg von Hansa bei der Alpenfahrt gekauft haben muss.
85 PS aus über 4 Liter Hubraum leistete der von Continental in den USA zugekaufte Achtyzlindermotor. Das Chassis hingegen war eine Eigenentwicklung von Hansa und war die Basis für die ab 1927 gebauten Typen A6 und A8 (mit sechs bzw. acht Zylindern).
Hansa hatte Wert darauf gelegt, bei der Alpenfahrt 1929 mit technisch serienmäßigen Fahrzeugen des großen Achtzylindertyps anzutreten.
Der anschließende Verkaufserfolg hielt sich zwar in Grenzen – das Geschäft mit großvolumigen und relativ günstigen Wagen beherrschten die Amis damals besser – doch zumindest dieser privat beschaffte Wagen war das genaue Abbild der Siegerfahrzeuge:
Schön und gut, mögen Sie jetzt denken, aber was hat das mit der eingangs erwähnten Familie von Praun zu tun – abgesehen von den transalpinen Ambitionen?
Die Antwort findet sich auf der Rückseite dieses Fotos, auf dem sich eine handschriftliche Nachricht an eine gewisse Hanna findet. Diese ist auf „München, 31.10.1929“ datiert, stammt also aus dem Jahr des neuerlichen Sieges von Hansa bei der Alpenfahrt.
Der Verfasser war ein gewisser Arnold, der in der Nachricht zunächst bedauert, dass man sich wider Erwarten nicht wird treffen können. Die entscheidende Information ist dann folgende: „Umstehend ein Bild von Wilhelm und mir vom Zirler Bergrennen in Österreich, wo wir mit unserem neuen Hansa 8-Zylinder den 2. Preis erhielten“:
Nach der Entzifferung ging alles ganz leicht so wie Abfahrt von einem Alpenpass. Denn der erwähnte Zweitplatzierte beim Zirler Bergrennen 1929 ließ sich als Arnold von Praun (geb. 1885) ermitteln (Quelle).
Er trat beim Zierler Bergrennen in der Tourenwagenklasse bis 5 Liter Hubraum an und benötigte 5 Minuten, 51 Sekunden für die Strecke. Zum Vergleich: Der Bugatti von Robert Richter, der bei derselben Gelegenheit in der Klasse bis 1,5 Liter den Sieg errang, brauchte 40 Sekunden weniger.
Das Überraschende ist für mich nicht nur, dass sich Ort und Anlass dieses Fotos sowie der Besitzer des Wagens so genau ermitteln ließen, sondern die Tatsache, dass die sportlichen Aufbauten der Werksautos von der Alpenfahrt auch für Privatleute erhätlich waren.
In der mir zugänglichen Literatur finden sich neben den drei Spezialroadstern, die bei der Alpenfahrt siegreich waren, ansonsten nur konventionelle Aufbauten auf Basis des Hansa Typ A8 – sie wurden meist von Karmann in Osnabrück geliefert.
Insofern könnte diese Aufnahme, die man sich besser dokumentiert nicht wünschen kann, ein bisher unbekanntes Puzzlestück in der Historie von Hansa darstellen. Vielleicht kann ein Leser noch mehr über diesen Spezialroadster in Händen des Privatfahrers Arnold von Praun sagen, der jenseits der Alpen Furore machte wie einst seine Vorfahren…
Wenn ein braver Kleinwagen mit zugekauftem Motor und ohne jedes Renommee es dennoch zum Fund des Monats bringen kann, muss es sich um eine veritable Rarität handeln. Genau das ist heute der Fall.
Das Foto, das ich heute präsentieren darf, sucht in der mir bekannten Literatur zu frühen deutschen Automobilen seinesgleichen – und zwar vergeblich, denn es gibt dort nur Prospektabbildungen davon, soviel ich weiß.
Bei der Gelegenheit stelle ich außerdem wieder eine „neue“ Marke vor, mit der wohl kaum jemand spontan viel verbindet – „Falke“ aus der gleichnamigen Fahrzeugfabrik in Mönchengladbach.
Erstmals begegnet ist mir der Hersteller auf zwei Originalreklamen, die ich irgendwann meiner Sammlung einverleiben konnte. Die erste zeigt einen beachtlichen Tourenwagen – damals auch als Doppel-Phaeton bezeichnet:
„Falke“-Reklame um 1907; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Der Wagen wurde offenbar mit einem 12-14 PS starken Vierzylindermotor ausgeliefert, wobei wir es hier noch nicht mit der Angabe von Steuer-PS und Motorleistung zu tun haben. Vielmehr bezeichnen die 12 PS die erzielbare Dauerleistung und die 14 PS die kurzzeitig verfügbare Spitzenleistung.
Wenn Sie nun in einem Standardwerk zu deutschen Automobilen der Frühzeit wie Halwart Schraders „Deutsche Autos 1885-1920“ unter Falke nachschauen, werden Sie diesen Typ dort (vermutlich) unter der Bezeichnung 6/12 PS finden.
Er wurde 1907 eingeführt und 1908 wieder eingestellt, da Falke dann die Produktion von Automobilen wieder beendete. In diesem kurzen Zeitraum war der Wagen mit hochwertigen Einbaumotoren von Fafnir bzw. Breuer verfügbar.
Bloß scheint sich die Produktion wirtschaftlich nicht gelohnt zu haben, da half auch der moderne Kardanantrieb nicht viel. Wieviele dieser Wagen überhaupt entstanden, ist unbekannt. Ungewiss ist auch, welche der beworbenen Karosserien gebaut wurden.
So zeigt eine zweite Reklame denselben Falke-Typ mit einem Landaulet-Aufbau, der in der äußerst dürftigen Literatur bislang nicht vertreten ist:
„Falke“-Reklame um 1907; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Man beachte den Preisaufschlag, der für das Landaulet (9.000 Mark) gegenüber dem Tourer (7.500 Mark) zu berappen war.
Auch diese Preisangaben fehlen in der Standard-Literatur. Das macht die beiden Reklamen bereits zu sehr interessanten Quellen, aber die eigentliche Überraschung kommt noch.
Lange fehlte mir der Anlass, die beiden obigen Zeitungsreklamen der 1889 von Albert Falke gegründeten Firma zu präsentieren. Wie so viele deutsche Hersteller kurz vor der Jahrhundertwende baute Falke anfänglich nur Lizenznachbauten oder Kopien moderner französischer Wagen von Marken wie Darracq, Decauville oder DeDion-Bouton.
Eine nähere Beschäftigung verdienen die einheimischen Hersteller aus meiner Sicht erst wieder, als sie zu eigenständigen Konstruktionen in der Lage waren.
Bei Falke war dies bereits 1899/1900 der Fall, als man den Typ B vorstellte, der den Motor vorne hatte und dessen Hinterachse bereits kardangetrieben war. Interessanterweise kehrte man später teilweise wieder zum Kettenantrieb zurück, und zwar bei diesem Fahrzeug:
Falke Kleinwagen 6/8 PS; Originalfoto aus Sammlung Uwe Harnack (Uelzen)
Dieses Foto sandte mir Uwe Harnack aus Uelzen zur Bestimmung zu. Nach seinen Angaben handelte es sich um den Wagen eines Dr. Wedemeyer, der eines der ersten Automobile in der niedersächsischen Stadt besaß.
Der Wagen gab mir anfänglich Rätsel auf, weshalb ich auf eine Methode verfiel, die mir schon des öfteren bei der Identifikation solcher unbekannten Fahrzeuge geholfen hat: Ich blätterte einfach alle Marken im altehrwürdigen „von Fersen“ durch („Autos in Deutschland 1885-1920“, Hans-Heinrich von Fersen, Motorbuch-Verlag Stuttgart, 1965).
Zwar basiert der fast gleichnamige Klassiker von Halwart Schrader darauf, aber in vielen Fällen ist die Darstellung von Nischenmarken bei von Fersen ausführlicher und auch die Bebilderung ist mitunter reichhaltiger.
Fündig wurde ich tatsächlich im Kapitel zu Falke, das bei von Fersen erstaunlich umfangreich ist – er muss noch auf Quellen Zugriff gehabt haben, die Schrader nicht mehr zugänglich waren, vielleicht haben ihn aber manche Marken auch nicht so interessiert.
Jedenfalls fand sich im „von Fersen“ die folgende Zeichnung, die mit sehr großer Wahrscheinlichkeit genau den Wagen zeigt, in dem einst Dr. Wedemeyer mit Fahrer in Uelzen unterwegs war:
Falke Kleinwagen 6/8 PS; Abbildung aus: „Autos in Deutschland 1885-1920“, von Hans-Heinrich v. Fersen, Motorbuch-Verlag Stuttgart, 1965
Hier stimmen nicht nur Größe und Proportionen vollkommen überein, sondern auch Details wie der Griff auf der Oberseite der Motorhaube, die Ausführung der Motorstirnwand und die Position des Kettenantriebs.
Auf dieser Zeichnung nicht zu sehen sind die ungewöhnlich weit auseinanderliegenden Luftschlitze in der Motorhaube, aber die findet man dafür bei den Falke-Wagen auf den beiden eingangs gezeigten Reklamen.
Man soll sich seiner Sache in solchen Fällen nie zu sicher sein – die Euphorie angesichts eines solchen Funds kann das Urteilsvermögen trüben – doch sehe ich hier wenig Anlass, an der Identifikation des Wagens auf dem Foto aus der Sammlung von Uwe Harnack als „Falke Kleinwagen 6/8 PS“ von ca. 1906 zu zweifeln.
Wie immer bin ich dankbar für Anmerkungen oder Korrekturen seitens sachkundiger Leser – natürlich auch für ergänzendes Bildmaterial, das ich in meine Markengalerien aufnehmen kann.
Zwar ist „Falke“ bislang noch nicht über den „Exoten“-Status hinausgekommen, doch auch andere deutsche Hersteller der zweiten und dritten Reihe fristeten dort anfänglich ihr Dasein, bis ich genügend Material für eigene Markengalerien zusammenhatte…
Ein Nachkriegsmodell in einem Blog für Vorkriegsautos – wie geht das zusammen?
Nun, vergessen wir nicht, dass vor 100 Jahren schon einmal Nachkriegszeit war. Auf jedem Dorffriedhof erinnert noch ein Denkmal daran – wenn Sie eines sehen, halten Sie doch einmal für einen Moment dort und gedenken der Schicksale, die dort festgehalten sind.
Der Fund des Monats Februar ist ganz nach meinem Geschmack, denn er hat viele Facetten – eine davon wird regelmäßigen Lesern meines Blogs bekannt vorkommen. Alles andere aber ist so frisch und neu wie ein Vorfrühlingstag.
An einem solchen entstand 1925 dieses Foto, das seinen Reiz auf den ersten Blick vor allem aus der malerischen Situation bezieht:
Apollo 4/14 oder 4/16 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Hier haben Automobilisten mit ihrem Wagen an einem fröhlich die Felsen herunterplätschernden Wasserfall haltgemacht – vermutlich irgendwo in Thüringen oder Sachsen, sicher weiß es ein Leser genauer.
Nachtrag: Leser Peter Oesterreich tippt hier auf den Trusetaler Wasserfall in Thüringen und nach einem Vergleich der Gesteinsformationen meine ich, dass er damit richtig liegt.
Das Auto mag hier wenig spektakulär erscheinen, dabei handelt es sich um den gleichen Typ wie der Fund des Monats. Mit etwas Mühe erkennt man einen spitz zulaufenden Kühler, der auffallend nach unten gezogen ist.
Die filigranen Drahtspeichenräder verweisen auf ein leichtgewichtiges Modell. Bremstrommeln sind nicht zu erkennen – ein Modell der frühen 1920er Jahre, als Bremsen an der Hinterachse und eine Getriebebremse genügen mussten.
Die Mechanik am Rad in Fahrtrichtung links wirkt irritierend – ich komme darauf zurück. Doch zunächst drehen wir das Rad einige Jahre zurück, in die Zeit vor dem 1. Weltkrieg.
Damals entstand diese Aufnahme, die ich vor bald zwei Jahren hier besprochen habe:
Apollo 4/10 bzw. 4/12 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Auf den ersten – und den zweiten – Blick hat dieser Sport-Zweisitzer wenig gemeinsam mit dem nur schemenhaft erkennbaren Auto auf dem eingangs gezeigten Wagen. Dabei handelt es sich um den unmittelbaren Vorgänger!
Die Verwandschaft würde sich erst beim Blick unter die Motorhaube zeigen. Dort residierte in beiden Fällen ein wassergekühlter Vierzylinder mit 960ccm, vor dem 1. Weltkrieg waren so kompakte Aggregate die Ausnahme.
Doch hierbei handelt es sich um ein feines Motörchen mit sportlicher Charakteristik. Festzumachen ist das an den im Zylinderkopf mit halbkugeligem Brennraum und den hängenden Ventilen – eine für den Gaswechsel besonders günstige, aber auch baulich aufwendige Lösung, die man damals nur bei Sportwagen fand.
Verantwortlich dafür war der Konstrukteur Karl Slevogt, der den bis dato luftgekühlten Automobilen der thüringischen Marke Apollo ab 1910 Beine machte. Auf folgender Reklame von 1913 finden wir den Apollo Sport-Zweisitzer mit der Bezeichnung Typ B 4/12 PS in der Mitte auf der linken Seite:
Apollo Reklame von 1913; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Die Abmessungen dieses agilen Aggregats sollten bis Mitte der 1920er Jahre unverändert bleiben: 60mm Bohrung, 92mm Hub – macht 960ccm Hubraum. Damit fiel der Apollo in die Klasse mit 4 Steuer-PS.
Seine Karriere begann er als 4/10 PS Typ, doch noch vor Beginn des 1. Weltkriegs konnte die Spitzenleistung des Motörchens so gesteigert werden, dass man ab 1913 die Bezeichnung 4/12 PS findet. Spezielle Rennversionen entwickelten sogar 20 PS.
Nach dem 1. Weltkrieg begegnet einem der Sport-Zweisitzer von Apollo als 4/14 PS-Modell, später als 4/16 PS-Typ. Äußerlich unterschied er sich vom Vorläufer durch den im deutschsprachigen Raum modischen Spitzkühler sowie die Aufhängung der Vorderräder:
Werfen wir nochmals einen genaueren Blick auf den eingangs gezeigten Wagen:
Apollo 4/14 oder 4/16 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Neben dem Spitzkühler präge man sich hier zum einen das vertikale Bauteil oberhalb des Achsschenkels des Vorderrads ein, zum anderen das waagerechte Element, welches hinter dem Nummernschild entlangführt und unterhalb der Achsschenkel befestigt ist.
Diese Details werden am Ende die Übereinstimmung dieses Wagens mit dem „Fund des Monats“ belegen. Zum Verständnis dieser nicht ganz einfachen Materie werfen wir einen Blick auf eines meiner eigenen Fahrzeuge.
Hier sehen wir die Frontpartie meiner EHP Voiturette, die 2021 genau 100 Jahre alt wird:
EHP Voiturette von 1921; Bildrechte: Michael Schlenger
Der Wagen verfügt ebenfalls über einen Vierzylinder mit weniger als 1 Liter Hubraum und leistet vergleichbare 12-14 PS – ganz genau lässt sich das nicht sagen.
Ein besonderes Merkmal dieses nur technisch überholten Wagens, der bis in die 1960er Jahre von einer Dame auf Mallorca gefahren wurde, ist die quer angebrachte Blattfeder, an der die schöngeschwungene Achse angebracht ist.
Man blende nun im Geiste die Achse aus und stelle sich vor, die Räder seien am Ende der Blattfeder frei schwingend aufgehängt. Dann würde aber eine vertikale Stabilisierung der Räder fehlen, nicht wahr?
Genau, wenn man keine Achse hat, dann muss man die an der Querblattfeder auf und ab schwingenden Räder anders zur Disziplin bringen, zum Beispiel so:
Auf den ersten Blick sieht das reichlich unübersichtlich aus – doch alles halb so wild.
Links und rechts des Nummernschilds erkennt man die Lagen der querliegenden Blattfeder. Im Unterschied zu meinem EHP ist sie unterhalb der Radmitte beweglich an zwei nach unten ragenden Armen montiert.
Lässt man das Auge nun von dort nach oben wandern, erkennt man ein senkrecht verlaufendes zylinderfömiges Gebilde, das hinter dem Kotflügel verschwindet. Ein Teil davon ist mit einer Ledermanschette umhüllt, die eine vertikale Bewegung aufnimmt.
Dabei handelt es sich um eine Art Teleskop, das für die vertikale Führung des achslosen Rads sorgt. Über den Aufbau konnte ich nichts Genaues bringen. In Teilen der Literatur ist hier von einem „Luftpuffer“ die Rede, was eine stoßdämpferartige Funktion nahelegt.
Weiß ein Leser mehr über die faszinierenden Details dieser vorderen Radaufhängung? Dieses ist nämlich neben dem Spitzkühler das wichtigste Erkennungsmerkmal der Nachkriegsversion des sportlichen 4 PS-Modells von Apollo.
Leser und Sammlerkollege Matthias Schmidt aus Dresden ist es zu verdanken, dass wir diese in der mir vorliegenden Literatur nur beschriebene, aber nicht abgebildete Nachkriegsversion des 4 PS-Modells von Apollo heute vollständig studieren können:
Apollo 4/14 oder 4/16 PS; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Wie wenig Gesichertes über dieses kleine Kraftpaket bekannt ist, zeigen allein die unterschiedlichen Literaturangaben zur Bauzeit: 1918-26, 1920-25 und 1921-25.
Immerhin besteht Einigkeit hinsichtlich des Hubraums von 960 ccm und des Leergewichts von gut 500 kg. Die Angaben für die Höchstgeschwindigkeit variieren naturgemäß im Zeitverlauf: 70 km/h beim Vorkriegsmodell 4/10 bzw. 4/12 PS und 80-90 km/h bei den Nachkriegsversionen 4/14 bzw. 4/16 PS (evtl. auch 4/20 PS).
Interessanterweise waren die leichten aber auch empfindlichen (wohl serienmäßigen) Drahtspeichenräder nicht jedermanns Sache. Hier hat jemand vermutlich Holzspeichenräder montiert, die bei schlechter Straße die bessere Wahl waren.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass dieser Apollo-Zweisitzer auch die in der Literatur erwähnten hinteren Cantilever-Federn besitzt, die typisch für das 4 PS-Modell der Nachkriegszeit waren. Die hat mein EHP von 1921 auch, offenbar bei sportlich angehauchten Voiturette-Wagen jener Zeit nicht ungewöhnlich.
Nebenbei konnte ich bei der Beschäftigung mit diesem hübschen kleinen Apollo-Sportler dank der markanten Gestaltung des Kühlers ein weiteres Fotorätsel lösen – aber dazu muss die Marke erst einmal wieder an Reihe sein – und das kann ein wenig dauern…
Unter Horch-Kennern weckt der ab 1937 gebaute Typ 930V mit seinem „kurzen“ Radstand von 3,10 Meter und Leistung von „nur“ 80-90 PS nicht gerade die größte Leidenschaft.
Mit etwas mehr als 2.000 Exemplare gehörte der Horch 930V zu den meistgebauten Typen der sächsischen Manufaktur überhaupt. Man erkennt ihn von vorn anhand der beiden ovalen Zierblenden an der Frontpartie:
Horch 930 V Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Diese schöne Aufnahme, die einst bei einer Automobilausstellung entstand, ist eines der ältesten Vorkriegsautofotos in meiner Sammlung – sie hing schon in meiner Studienzeit am Schwarzen Brett in der Küche meiner WG und war Zeuge vieler unterhaltsamer Abende…
Heute dient sie mir als Ausgangspunkt einer nicht minder abwechslungsreichen Reise durch die Geschichte des Horch 930V, an deren Ende ein spektakuläres Exemplar auf uns wartet.
Ein Detail auf obigem Foto sei noch erwähnt – die geteilte und leicht v-förmige Windschutzscheibe, ein weiteres typisches Element jedes Horch 930V. Doch das „V“ in der Bezeichnung hatte nicht unmittelbar damit zu tun.
Die v-förmige Frontscheibe hatte es bei Horch ja bereits ab 1935 gegeben, zumindest beim exklusiven Modell 853 mit mächtigem 5-Liter-Reihenachtzylinder. Hier haben wir zum Vergleich ein überlebendes Exemplar dieses Typs:
Horch 853 Cabriolet; aufgenommen 2017 bei den Classic Days auf Schloss Dyck; Bildrechte: Michael Schlenger
Tatsächlich verwies das „V“ in der Bezeichnung des 930V auf den kompakteren V8-Motor, der in dem zwei Jahre nach dem Horch 853 vorgestellten, weit kleineren Wagen zum Einsatz kam.
Das Aggregat war bereits 1932 entwickelt worden. Ab 1933 wurde es beim Horch 830 verbaut, mit anfangs nur 60 PS aus 3 Litern. Für den 1937 eingeführten Typ 930V hatte man Hubraum und Leistung jedoch deutlich gesteigert, zuletzt auf 3,8 Liter und 92 PS.
Soviel an dieser Stelle zu Technik – viel interessanter sind die Aufbauten. Hier haben wir eine frühe Limousine, erkennbar am vorderen Ausstellfenster:
Horch 930V Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Das Ausstellfenster besaßen auch die frühen Cabrioausführungen wie die auf dem ersten Foto. Dort war zudem zu sehen, dass sich die Luftschlitze in der Motorhaube auf zwei übereinanderliegende Reihen verteilten, eingerahmt von einer Chromleiste.
Auf der Abbildung der Limousine sehen wir zwar nur eine Reihe davon, aber dafür lässt sich hier besagte Chromleiste besser erkennen. Aus stilistischer Sicht sei angemerkt, dass die ineinanderfließenden Elemente des Hecks die Formen der späten 1940er und frühen 1950er Jahre vorwegnehmen.
Selbst beim winzigen, mit Heckmotor ausgestattenen Renault 4V der Nachkriegszeit lebte genau diese Gestaltung fort:
Renault 4CV, aufgenommen 2012 bei Butzbach (Hessen): Bildrechte: Michael Schlenger
Nach diesem für Horch-Freunde vermutlich verstörenden Vergleich geht es nun weiter mit dem Typ 930V und zwar wiederum in der Ausführung als Limousine.
Diesmal haben wir es mit der späteren Version zu tun, die ohne vordere Ausstellfenster auskommen musste – ob schon 1938 oder erst 1939, das kann vielleicht ein sachkundiger Leser sagen (bitte dazu Kommentarfunktion nutzen).
Im Gegenzug bekam die spätere Variante der Limousine Stoßstangenhörner spendiert, die dem dichter werdenden Straßenverkehr in den Städten mit immer mehr Wagengrößen Rechnung trugen.
Einen solchen Horch 930V sehen wir – passend zur aktuellen Jahreszeit – hier:
Horch 930V Limousine; Originalfoto aus Sammlung Frank-Alexander Krämer
Diese Aufnahme aus der Zeit des 2. Weltkriegs zeigt einen Horch 930V als Kommandeurswagen der Wehrmacht, der noch das Kennzeichen des zivilen Vorbesitzers aus dem Nürnberger Raum trägt.
Wann und wo das Foto entstanden ist, konnte mir der Besitzer des Fotos – Frank Alexander Krämer aus Landau – leider nicht sagen. Nur, dass darauf ein Unteroffizier namens Foesel posiert, ist überliefert.
Hier haben wir ein Beispiel dafür, dass es oft kleine Details sind, die auf alten Autofotos die Identifikation des Wagens erlauben. Im vorliegenden Fall verraten uns die überlackierten ovalen Chromblenden an der Front, dass wir einen Horch 930V vor uns haben.
Die an diesem Wagen montierten Positionsleuchten sind übrigens nicht serienmäßig bei dem Modell – sie wurden nachgerüstet.
Wir setzen unsere Reise fort, kommen aber an der Tatsache nicht vorbei, dass viele Fotos solcher Horch-Wagen im Zweiten Weltkrieg entstanden, als sie als Offizierswagen beschlagnahmt wurden. Hier haben wir ein von der Wehrmacht eingesetztes Horch 930V-Cabriolet, das bei einer Marschpause in einem Waldstück abgestellt wurde:
Horch 930V Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Trotz der Vegetation im Vordergrund hat der Fotograf das Kunststück vollbracht, alle wesentlichen Details auf das Negativ zu bannen: die ovalen Ziergitter an der Front, die Radkappen mit gekröntem „H“, die geflügelte Weltkugel auf dem Kühler, die geknickte Frontscheibe und das vordere Ausstellfenster, das auf ein frühes Modell hindeutet.
Was verrät uns aber, dass dies ein Militärfahrzeug war? Der Notek-Tarnscheinwerfer am in Fahrtrichtung links befindlichen vorderen Kotflügel war im Krieg ja bisweilen auch an PKW zu finden, die weiterhin privat genutzt werden durften. Zudem wirkt der Lack nicht wie der eines Armeefahrzeugs und die Chromteile besitzen noch Glanz.
Nun, letzteres kann täuschen, doch der entscheidende Hinweis auf die militärische Nutzung ist der helle Streifen, der entlang des vorderen unteren Endes des Kotflügels aufgemalt worden ist. Dieser diente bei nächtlicher Kolonnenfahrt hinter einem fahrenden oder entgegenkommenden Fahrzeugen als Orientierung bei eingeschaltetem Tarnlicht.
Ich habe dies bisher nur bei Wehrmachts-PKW auf Fotos der ersten beiden Kriegsjahre gesehen, sodass Polen- oder Frankreichfeldzug als Situation in Frage kommen. Bei nicht an der Front eingesetzten Wagen scheint man damals oft noch auf Militärlackierung und Umkennzeichnung verzichtet zu haben (dieser Horch trägt noch sein Zivilkennzeichen).
Das nächste Exemplar des Horch 930V ist wieder ein Cabriolet, doch der Krieg ist nun zuende, und noch (oder wieder) in privater Hand befindliche Fahrzeuge des Typs wurden am Laufe gehalten – wie dieses hier:
Horch 930V Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Wer nach dem Krieg in Deutschland so einen Wagen bewegen konnte, durfte sich glücklich schätzen. Der enorme Benzinverbrauch von fast 20 Litern auf 100 km/h machte den Unterhalt zu einem ziemlich luxuriösen Vergnügen.
Doch hier konnte sich das offenbar jemand leisten und der Besitzer des Horch schaut versonnen lächelnd in die Kamera. Sein Haarschnitt ist ein Indiz für die frühe Nachkriegszeit, während der breit gestreifte Anzug und das geschlossene Hemd mit spitzem Kragen noch wie der Horch aus Vorkriegsproduktion stammen könnten.
Gewissheit verschafft uns der ramponierte Vorderkotflügel mit dem herabhängenden Keder zwischen vorderem Trittbrettende und Kotflügel. Ein solcher Horch, der erst ab 1937 gebaut wurde, wäre vor dem Krieg auf keinen Fall in diesem Zustand gewesen.
Ein weiteres Detail unterstützt die Einordnung in die frühe Nachkriegszeit: Die Sturmstange am Verdeck war stets vollverchromt, während sie hier von den Gelenken abgesehen in Wagenfarbe lackiert ist. Hier hat man sich also später ein paar Freiheiten genommen.
Das Baumaterial im Hintergrund spricht für die Wiederaufbauphase, wobei für meinen Geschmack das traditionelle schnörkellose, aber wohlproportionierte Haus mit Sprossenfenstern ein Ideal darstellt, auf das fast nur Minderwertiges folgte.
Vielleicht zur gleichen Zeit – wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs – entstand im Osten Deutschlands eine Bilderreihe, in der für einen Moment noch einmal die mondäne Welt aufscheint, in der Horch-Automobile vor dem Krieg zuhause waren.
Jetzt mag einer die Nase rümpfen und denken: „Was war am 930V denn mondän? Das war doch bloß das kleine Einstiegsmodell von Horch, zudem in großer Zahl produziert.“ Und hatte ich nicht selbst gesagt, dass sich am Heck der Limousine schon die biederen Formen der Nachkriegszeit abzeichnen?
Alles richtig. Doch gab es auf Basis des Horch 930V noch etwas, was zu den elegantesten und zugleich seltensten deutschen Autos der unmittelbaren Vorkriegszeit zählte – und das war der Roadster mit Karosserie von Gläser (Dresden).
Angeblich sollen nur 30 Stück davon gebaut worden sein, nach manchen Quellen noch weniger. Mir war noch nie ein originales Foto dieser Rarität begegnet, als ich wieder einmal elektronische Post von Leser Matthias Schmidt erhielt, zufällig ebenfalls aus Dresden.
Auf dem ersten Bild, das er mir übersandte, ahnte ich noch nicht, was ich da vor mir hatte:
Natürlich ist schon das begeisternd: Ein Horch-Cabriolet mit perfekten Proportionen und mit genau der richtigen Menge an Zierrat, direkt von vorn aufgenommen. Eine im Auto tänzerisch posierende junge Frau mit einem Lächeln, in das man gern alles Mögliche hineininterpretieren möchte. Der Hund daneben weiß um die Exklusivität seiner Situation.
Aber basiert dieses im Raum Annaberg (Sachsen) zugelassene Schmuckstück von Automobil tatsächlich auf dem Horch 930V? Wo sind denn die ovalen Zierbleche abgeblieben, die oben als typisch für das Modell hervorgehoben wurden? Immerhin: vermissen tut man sie hier nicht.
Tatsächlich kam der von Gläser auf dem Chassis des Horch 930V gebaute Roadster ohne dieses Detail aus. Er hatte andere Reize zu bieten:
Hier können wir nun die Flanke dieses Wagens genießen, die auf willkommene Weise von einem Paar schlanker Frauenbeine unterbrochen wird, das jedem Fotomodell Ehre machen würde.
Für mich ein Beispiel für die These, dass das klassische Automobil daran zu erkennen ist, dass es zu allen Zeiten vollkommen mit weiblicher Schönheit harmoniert. Kein Wunder, dass in einer Zeit, in der fanatische Ideologen die natürlichen Geschlechter verschwinden lassen wollen, auch keine vergleichbaren automobilen Schöpfungen mehr entstehen.
Wer die Linien dieses Roadsters dennoch „ungestört“ studieren möchte, hat auf der nächsten Aufnahme Gelegenheit dazu – unser schönes Fräulein hat Verständnis für das Ansinnen und gibt sich hier vergleichsweise zurückhaltend:
Man mag beanstanden, dass der Bildausschnitt nicht ideal ist, auch dass die Schwellerpartie mit der „Gläser“-Plakette am Ende lädiert erscheint und schon einmal (nicht perfekt) überarbeitet wurde.
Doch ändert das nichts an dem bei deutschen Autos der direkten Vorkriegszeit seltenen, beinahe sinnlichen Schwung der Gürtellinie – ich wüsste auf Anhieb wenig Vergleichbares.
Raffiniert auch, dass die Gläser-Leute die Ausführung der Luftschlitze beim Horch 930V ebenso verworfen haben wie die Zierblenden an der Front. Die hier gewählte Ausführung vermeidet parallele Linien in der Horizontalen und unterstreicht das Dynamische an der Karosserie – man sieht förmlich die Luftströmung daran entlangstreichen.
Genug dieser Karosserie-Poesie, denn auch der Innenraum will gewürdigt werden – dort werden wir bereits erwartet:
Was soll man sagen? Diesem vorbildlich posierenden Hund ist anzusehen, dass auch er es gewohnt war, in einer Welt „bella figura“ zu machen, die damals von der Lebenswirklichkeit fast aller Deutschen so weit entfernt war wie die Rückseite des Mondes.
Dass es das dennoch gab, auch das macht diese Fotos der Nachkriegszeit so berührend – ganz abgesehen von der Seltenheit des herrlichen Horch 930V Roadsters. Offenbar hatten es damals die in Berlin von Moskaus Gnaden regierenden Kommunisten noch nicht geschafft, im Osten unseres Landes die Reste großbürgerlicher Tradition auszurotten.
Dies gelang erst ab den 1970er Jahren mit der weitgehenden Beseitigung des verbliebenen Unternehmertums und dem Ausplündern derer, die über Krieg und sowjetische Besatzung Kunstgegenstände und Luxusobjekte wie diesen Horch hatten retten können.
Möglicherweise ist auch dieser wundervolle Wagen im Zuge der verbrecherischen Umtriebe des SED-Regimes zur Devisenbeschaffung im Westen gelandet. Es würde mich jedenfalls sehr wundern, wenn dieses Traumstück nicht noch irgendwo existiert.
Etwas fehlt aber noch. Zwar verdanke ich es der Findigkeit und Großzügigkeit von Matthias Schmidt, dass ich diese Bilderreihe des Horch 930V Roadster zeigen darf. Doch eine Heckansicht war nicht dabei.
Hier konnte ich selbst Abhilfe schaffen, indem ich einen neuzeitlichen Abzug vom originalen Negativ des einstigen Auto Union-Werksfotografen Friedrich Meiche erworben habe:
Horch 930V Roadster (Gläser); Abzug vom Originalnegativ des Auto Union-Werksfotografen Friedrich Meiche
Auf diesem Foto lassen sich die makellosen Linien des Horch 930V Roadsters mit Gläser-Karosserie studieren – sie passen perfekt zu den Proportionen dieses „kompakten“ Modells.
Was mich an dem Blechkleid aus dieser Perspektive besonders begeistert: Man sieht keine einzige gerade Linie, keinen rechten Winkel – genau wie in der Natur, aus der wir stammen. Hier fehlt nur noch: eine charmante Beifahrerin, leichtes Reisegepäck und Futter für den Hund, ein voller Tank, freie Fahrt für freie Bürger und das Glück wäre vollkommen…
Am letzten Tag des Jahres 2020 nehme ich meine Leser mit auf eine Reise in den Süden, die eine Zeitspanne von rund 2.500 Jahren umfasst. Was das Ganze mit Vorkriegsautomobilen zu tun hat? Nun, das wird sich am Ende zeigen.
Beginnen wir mit einem der Hauptdarsteller – der antiken Via Appia in Italien. Der Bau der berühmtesten aller Römerstraßen begann ab Ende des 4. Jh. v. Chr.
Zunächst als Militärstraße zur Sicherung der frühen Eroberungen Roms in Italien konzipiert, wurde die Via Appia später zu einer bedeutenden Handelsroute, die bis ins 540 km entfernte Brindisi an der Adria reichte:
Verlauf der Via Appia (weiß) und der späteren Variante (grau); Quelle
Weite Teile der Via Appia existieren noch, entweder unter der modernen Strada Statale 7 (SS7) oder in konservierter Form wie auf den ersten Kilometern außerhalb der römischen Stadtmauer im Parco Regionale dell’Appia Antica (Video).
Wir verlassen Rom und folgen der Via Appia nach Südosten auf ihren ersten 130 Kilometern bis an unser Ziel – die Küstenstadt Terracina. Die letzten 45 Kilometer von Cisterna di Latina bis Terracina sind bis heute eine ununterbrochene Gerade.
In der altehrwürdigen Stadt Terracina, die schon in etruskischer Zeit vor 500 v. Chr. gegründet worden war, schauen wir uns ein wenig um. Am markantesten ist das hoch über der Stadt auf dem Monte S. Angelo gelegene Bauwerk:
Ansichtskarte des Tempio di Giove Anxur in Terracina; Original der 1950er Jahre aus Sammlung Michael Schlenger
Die von der Stadt aus sichtbaren Arkaden sind nur der Unterbau einer bedeutenderen Anlage, die verschwunden ist – des römischen Tempels des Jupiter Anxur.
Das Heiligtum wurde um 100 v. Chr. errichtet, besaß aber weit ältere Vorläufer. Dort befand sich eine Orakelstätte, die seit Urzeiten von den Menschen aufgesucht wurde.
Die religiöse Bedeutung der Anlage erklärt, weshalb die Via Appia in Terracina ursprünglich auch auf den Monte S. Angelo hinaufführte. Nach dem beschwerlichen Aufstieg wurde der Reisende mit dem Anblick des Jupitertempels belohnt, der sich einst weithin sichtbar auf dem Unterbau erhob:
Ansichtskarte mit eine Rekonstruktion des Tempio di Giove Anxur in Terracina; Original der 1950er Jahre aus Sammlung Michael Schlenger
Leider fiel die prächtige Anlage mit Marmorfassade und Skulpturenschmuck dem Wüten christlicher Fanatiker in der Spätphase des weströmischen Reichs zum Opfer.
Die Reste des Tempels sind in späterer Zeit als Baumaterial „verwertet“ worden, sodass heute nur noch wenige Grundmauern des Heiligtums zu sehen sind (hier).
Das erklärt, weshalb Johann Wolfgang Goethe – obwohl Verehrer der klassischen Antike – auf der Durchreise durch Terracina 1787 den Tempelberg links liegen ließ.
Habe ich eben „links liegen“ geschrieben? Ja, denn zu Goethes Zeiten führte rechts um den Tempelberg von Terracina eine Straße herum, obwohl die alte Via Appia noch über den Monte S. Angelo hinwegzog.
Schauen wir uns dazu den Monte S. Angelo von der stadtabgewandten Seite an:
Postkarte aus Terracina; Original der 1950er Jahre aus Sammlung Michael Schlenger
Oben auf dem Berg ahnt man das Plateau, auf dem in römischer Zeit der Jupitertempel stand.
Im Vordergrund sehen wir eine Küstenstraße, die den knappen Raum neben dem Steilhang nutzt und der Uferlinie in Richtung des Hafens von Terracina folgt, dessen Einfahrt links am Rand zu sehen ist.
Auch diese Straße ist Teil der Via Appia – jedoch einer erst unter Kaiser Traian um 100 n. Chr. gebauten Route, die den Anstieg über den Monte S. Angelo meidet. Die Belange des Fernhandels in jener Blütezeit des römischen Reichs hatten Vorrang vor der Erschließung des alten Jupitertempels.
Der Bau der neuen Küstenroute stieß allerdings in römischer Zeit auf ein Hindernis, wie auf diesem Ausschnitt aus einer weiteren Postkarte der 1950er Jahre zu sehen ist:
Man erkennt hier, dass ein beträchtlicher Teil des Felsvorsprungs abgetragen werden musste, um die Via Appia um das Kap herum nach Terracina führen zu können.
Ansatzweise lässt sich das Ausmaß des Felseinschnitts erahnen, der dazu erforderlich war. Wir schauen uns die Örtlichkeit gleich noch genauer an, doch zuvor präge man sich die Formation links der Straße ein, die an das Meer angrenzt und ahnen lässt, wie weit dort der Felsvorsprung vor Bau der Via Appia reichte.
Folgen wir nun der Straße bis zum Felseinschnitt anhand einer Ansichtskarte um 1900:
Ansichtskarte mit der Via Appia bei Terracina; Original um 1900 aus Sammlung Michael Schlenger
Hier wird dieselbe Örtlichkeit als „Taglio della via Traiana“ bezeichnet, gemeint ist der Felseinschnitt (ital. „taglio“) der unter Traian angelegten Küstenroute der Via Appia.
Gut zu erkennen ist die senkrechte Felswand, die das Werk der römischen Straßenbauer ist und sich heute noch so darstellt. Was sich allerdings offensichtlich geändert hat, ist das Erscheinungsbild der Partie links der Straße.
Während auf der Postkarte der 1950er Jahre an dieser Stelle nur ein unförmiger Haufen zu sehen ist, haben wir hier einen der typischen Türme vor uns, wie sie die Küste in regelmäßigen Abständen säumen – nicht nur in Italien, sondern auch in anderen Teilen des Mittelmeeraums. Vielerorts werden sie als Sarazenentürme bezeichnet, was sich auf arabische Piraten bezieht, die über Jahrhunderte die Küsten terrorisierten.
Zum Zeitpunkt der Entstehung dieser Postkarte hatte der Turm seine einstige Funktion verloren, er gehörte zu einem privaten Anwesen und war von Anbauten umgeben. Hier sehen wir das Ganze von der anderen Seite her betrachtet:
Torre Gregoriana bei Terracina; undatiertes Foto um 1910; Originalabbildung aus „Terracina“ von Giovanni Spezzaferro, 1985
Überfällig ist an dieser Stelle der Name dieses Küstenturms: „Torre Gregoriana“ hieß er, benannt nach Papst Gregor XIII. In Reaktion auf die Attacken arabischer Piraten ließ er an der Küste der Region, die damals zum Kirchenstaat gehörte, ein Verteidigungssystem errichten, zu dem auch der Torre Gregoriana gehörte.
Der Bau begann 1583, wobei die anfängliche Bezeichnung Torre Nova verrät, dass dieser strategisch wichtige Punkt schon vorher befestigt war. Der Turm besaß ganz oben eine Geschützplattform, er diente also nicht nur Beobachtungs- und Signalzwecken, sondern unmittelbar der Verteidigung des östlichen Zugangs zu Terracina (Quelle).
Wie aber kam es nun dazu, dass vom Torre Gregoriana auf der oben gezeigten Postkarte der 1950er Jahre so gut wie nichts mehr zu sehen ist?
Es ist gar nicht so einfach, etwas darüber herauszufinden. Im heutigen Stadtplan von Terracina gibt es an dieser Stelle noch die Ortsbezeichnung „Torre Gregoriana“, doch auf den Bau selbst deutet scheinbar nichts mehr hin.
Das merkwürdige Verschwinden des Turms lässt sich zeitlich genauer einengen. Den ersten Hinweis darauf gibt das folgende Foto aus meiner Sammlung:
NAG C4 „Monza“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Endlich ein Vorkriegswagen, wird jetzt mancher denken! Tatsächlich war ich ähnlich entzückt, als ich dieses im Original deutlich schlechtere Foto fand. Was mich elektrisierte, war der exotische Wagentyp in Verbindung mit einem zweifellos mediterranen Umfeld.
Das ist doch ein NAG C4 der frühen 1920er Jahre, dachte ich, und das auch noch in der Sportausführung „Monza“, die 45 statt lediglich 30 PS in der Standardversion leistete.
Das Fehlen von Vorderradbremsen verrät, dass es sich noch nicht um die 1925/26 gebaute Ausführung NAG C4m mit nunmehr 50 PS handeln konnte:
Selbst wenn der NAG zum Aufnahmezeitpunkt schon einige Jahre alt war, ist dieses Foto wohl noch in den 1920er Jahren entstanden. Autos waren damals in Italien äußerst rar – von Eseln oder Maultieren gezogene Karren wie im Hintergrund waren der Alltag.
Wenn nicht alles täuscht, trug der NAG ein Kennzeichen aus Thüringen. Demnach hatte der Wagen rund 1.500 km absolviert, um hierher zu gelangen. Berücksichtigt man, dass der Wagen die Via Appia von Osten her kommend befuhr und damit auf dem Weg nach Rom war, kann man sich vorstellen, dass er zuvor noch weiter im Süden gewesen war.
Vielleicht hatte der NAG seine Insassen bis hinunter nach Neapel getragen, wohin es 1787 schon Goethe gezogen hatte, als er durch Terracina reiste. Nun ging es im NAG offenbar wieder heimwärts, und man kann sich kaum vorstellen, was dies für ein Abenteuer für die damaligen Automobilisten gewesen sein muss.
Für mich war dieser Fund spektakulär genug, um mich näher mit der Örtlichkeit zu beschäftigen, die sich als schwer zu fassen erwies. Erst in langwierigen Recherchen offenbarte sich das, was ich hier heute vor meinen Lesern ausbreite.
Auf dieser 1938 gelaufenen Postkarte ist der Turm (von der Westseite) noch zu sehen, lediglich die Straße ist nun besser befestigt:
Postkarte aus Terracina, gelaufen nach Rom im August 1938; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Ein weiteres Belegfoto der 1930er Jahre zeigt die folgende Ansichtskarte, die im November 1940 nach Bari geschickt wurde. Darauf sehen wir den Torre Gregoriana nun wieder von der Ostseite und mit ungewöhnlich vielen Details der Anbauten.
Gut zu erkennen ist das an den Turm angebaute Wohnhaus mit zwei hohen Fenstern beiderseits der Eingangstür, in der jemand zu stehen scheint:
Ansichtskarte des Torre Gregoriana bei Terracina, späte 1930er Jahre; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Aus den vorliegenden Bildern ergibt sich, dass das „Verschwinden“ des Torre Gregoriana zwischen den späten 1930er und den 1950er Jahren anzusetzen ist. Den entscheidenden Hinweis lieferte ein Satz in einer italienischen Quelle:
„Durante la seconda guerra mondiale è stata ridotta a rudere.“ Somit ist der Turm im Zweiten Weltkrieg zur Ruine geworden. Wann genau das war und unter welchen Umständen, das konnte ich mit einiger Mühe herausfinden.
Begeben wir uns ins Frühjahr 1944, als in Italien die alliierten Truppen gen Norden vorrückten und die deutschen Kräfte nur hinhaltenden Widerstand leisten konnten. Italien selbst hatte schon 1943 die Seiten gewechselt.
Anfang Mai 1944 stellte sich die militärische Lage in der Provinz Latium wie folgt dar:
Lagekarte der Wehrmacht von Anfang Mai 1944 (Quelle)
Weiß umkringelt ist hier Terracina. Wie man sieht, stehen die gegnerischen Verbände (rot markiert) nur noch einige Dutzend Kilometer entfernt im Osten.
Die Bezeichnungen der deutschen Einheiten (dunkelblau) lassen eine Mischung aus Infanterie, Panzergrenadieren und Gebirgsjägern erkennen – Kampfpanzer waren nur wenige vorhanden.
Im Raum Terracina selbst befanden sich im Mai 1944 deutsche Panzergrenadiere (Quelle). Ihnen blieb angesichts der Lage nicht viel Zeit zum Rückzug nach Norden.
Am 22. Mai 1944 erreichten amerikanische Truppen Fondi – nur 20 Kilometer nordöstlich von Terracina. Dort, genau am Abzweig der Via Appia (SS 7) Richtung Terracina (und Rom) entstand an jenem Tag diese Aufnahme einer US-Marschkolonne:
US-Truppen am Ortsausgang von Fondi am 22. Mai 1944 (Quelle)
Am 25. Mai wurde die Einnahme Terracinas durch US-Militär bekanntgegeben. Einen Tag zuvor, am 24. Mai morgens hatte die deutsche Nachhut Terracina geräumt (Quelle: „Parole, Simboli e Segni della Memoria“, Domenico Tebaldi, 2014, S. 79).
Wahrscheinlich erfolgte die Zerstörung des Torre Gregoriana unmittelbar vor Eintreffen der amerikanischen Spitzen oder in Zusammenhang damit. Die US-Truppen müssen mangels Alternativen über die Via Appia von Osten vorgestoßen sein.
Vermutlich befand sich im Torre Gregoriana mit seiner hervorragenden strategischen Lage eine deutsche Geschützstellung nebst Munitionsvorrat. Diese wurde entweder von den US-Truppen vernichtet oder von den Deutschen beim Rückzug gesprengt.
Jedenfalls blieb vom Torre Gregoriana nur ein großer Trümmerhaufen übrig. Hier sehen wir die Stelle auf einem Foto des US-Militärs, das auf den 26. Mai 1944 datiert ist:
Jeeps der US-Armee auf der Via Appia am Torre Gregoriana östlich von Terracina (Quelle)
Der Vergleich mit den Postkarten von 1900 bis 1940 räumt jeden Zweifel aus: Links neben der Straße sieht man im Hintergrund den Unterbau des Anwesens zu dem der Torre Gregoriana gehörte. Der Rest ist völlig zerstört.
Das ist ein wenig erbauliches Ende. Doch fand ich, dass diese neuzeitliche Episode zu meinem Foto mit dem NAG ebenso gehört wie die weit in die Vergangenheit zurückreichende Vorgeschichte. Die außergewöhnliche Aufnahme gab Anlass, sich intensiv mit dem historischen Ort zu beschäftigen, an dem sie entstand.
Wer heute dort vorbeikommt, wo sich einst der Torre Gregoriana befand, sieht diese unscheinbare Stelle mit dem hier zusammengetragenen Wissen mit anderen Augen:
Torre Gregoriana im Jahr 2017; Bildquelle: Google-Streetview
Vorhanden ist nur noch der Stumpf des Turms, der wieder zu einem Privatanwesen gehört, das mit einer neuen Mauer mit vorgeblendeten Bruchsteinen umgeben wurde.
Ein tristes Bild bietet sich einem hier dar – wo einst römische Händler, mittelalterliche Pilger, Johann-Wolfgang Goethe, ein NAG aus Thüringen und zuletzt Soldatender Wehrmacht im Schatten des Torre Gregoriana vorbeikamen.
Erschöpft von dieser langen Zeitreise, die von menschlicher Schaffenskraft wie Zerstörungswut zeugt, schaut man zur Jahreswendeder Zukunft entgegen.
Was uns im Jahr 2021 blüht, weiß niemand. Eines aber ist gewiss: es wird wieder jede Menge Ablenkung in Form von Vorkriegsautomobilen in meinem Blog geben. Für alle die, denen heute die Autos zu kurz kamen und für die der Geschichte zuviel erzählt wurde, zum Abschluss noch ein spezielles Neujahrsgeschenk:
NAG C4 „Monza“; Originalfoto aus Sammlung Jason Palmer (Australien)
Diese schöne Aufnahme hat mir Jason Palmer – ein Vorkriegsenthusiast aus dem fernen Australien – zur Verfügung gestellt. Das Foto zeigt genau einen solchen NAG C4 „Monza“, wie er einst bei Terracina am Torre Gregoriana Halt machte.
Von dieser Sportversion gab es wohl nur wenige hundert Exemplare, genau weiß man das nicht. Wer würde nicht manchen Zumutungen der Gegenwart entfliehen und damit am liebsten auf Italienreise gehen wollen?
Damit wünsche ich allen Freunden historischer Mobilität „buona fortuna“ für 2021!
Gemessen am Umfang der Literatur über die Automobilproduktion von Dürkopp aus Bielefeld vor dem 1. Weltkrieg mag die Kür eines solchen Wagens für die Rubrik „Fund des Monats“ überraschen.
Altmeister Hans-Heinrich von Fersen widmete in seinem trotz Fehlern und Lücken unverzichtbaren Standardwerk „Autos in Deutschland 1885-1920“ von 1965 den frühen Dürkopp-PKWs beeindruckende neun eng beschriebene und reich bebilderte Seiten.
Er scheint dabei aus Quellen geschöpft zu haben, die möglicherweise in dem halben Jahrhundert, das seither vergangen ist, weitgehend versiegt sind. Womöglich bezog er seine detaillierten Informationen noch von alten Dürkopp-Mitarbeitern.
Allerdings fällt auf, dass er ausschließlich mit historischen Prospektabbildungen aufwarten kann, was die Dokumentation der Autoproduktion von Dürkopp angeht, die kurz vor der Jahrhundertwende ihren Anfang nahm.
Fotos von Dürkoppwagen müssen bereits zu seiner Zeit ebensolche Raritäten gewesen sein wie die Fahrzeuge selbst. Auch Halwart Schrader, der später an von Fersen anknüpfte und Teile seiner Texte und Abbildungen übernahm(„Deutsche Autos 1885-1920“), konnte nur zwei Fotografien ergänzen, die Dürkopp-Wagen zeigen.
Da wundert es nicht, dass in meinem Fundus folgende Reklame lange das einzige Dokument blieb, das von der automobilen Vielfalt von Dürkopp vor dem 1. Weltkrieg kündete:
Dürkopp-Reklame von ca. 1903/04; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Hier sehen wir einen der frühen kettengetriebenen Dürkopp-Wagen, die bis 1905 entstanden. Damals bot die Marke 4- und 6-Zylindertypen mitLeistungen ab 30 PS an.
Daneben engagierte man sich ab 1908 auch im Kleinwagensegment mit Typen in den Steuerklassen 6 bis 8 PS (ca. 1,6 bis 2 Liter Hubraum). Von allen diesen vor 1910 entstandenen Dürkopp-Wagen finden sich so gut wie keine Fotos.
Die Erklärung dafür dürfte darin liegen, dass Firmengründer Nikolaus Dürkopp – ein „Selfmademan“, der sich vom Schlosser zum Lenker eines bedeutenden Konzerns hochgearbeitet hatte – den Automobilbau eher als private Leidenschaft verfolgte.
Der Schwerpunkt des 1867 in einem Schuppen gegründeten Unternehmens – und damit auch der Gewinne – lag in der Herstellung von Nähmaschinen und Fahrrädern. Mit Autos scheint Dürkopp nie Geld verdient zu haben, die Stückzahlen blieben entsprechend klein.
Es mag der Nimbus des einst so bedeutenden Dürkopp-Werke gewesen sein, der dazu geführt hat, dass auch viele Dokumente des Autoangebots die Zeiten überdauert haben – nur Fotos tatsächlich gebauter Fahrzeuge sind unglaublich selten.
Umso größer war meine Begeisterung, als ich von Leser Hein Brand dieses Foto zugesandt bekam, bei dem man nicht lange sinnieren muss, was es zeigt:
Dürkopp-Tourenwagen um 1912; Originalfoto bereitgestellt von Hein Brand
Gleich zweimal ist der Markenschriftzug auf dem Kühler zu lesen, der ansonsten stark dem zeitgenössischer Opel-Modelle ähnelt.
Allein diese Beobachtung ist bereits Gold wert, denn damit wird man künftig Aufnahmen solcher Wagen nicht ohne genaueres Studium in die Rüsselsheimer Schublade einordnen.
Wie aber lässt sich so ein Dürkopp einordnen, wenn es zwar zahlreiche historische Prospektabbildungen von Wagen der Marke aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg gibt, aber keine davon eine solche Perspektive bietet?
Hier geht man am besten nach Archäologenmanier vor und schaut nach Merkmalen, die eine Einordnung in die Reihe datierter Fahrzeuge aus derselben Epoche erlauben.
Die Karbidgasscheinwerfer sind ein starkes Indiz für eine Entstehung vor dem 1. Weltkrieg, denn nur noch sehr vereinzelt wurde später gasbetriebene Lampen verwendet. Die ansteigende Linie der Motorhaube stößt auf einen etwas steiler verlaufenden Windlauf – das Blech, das zur Frontscheibe überleitet:
Das spricht für eine Datierung auf ca. 1912, denn der Windlauf verschmolz 1913/14 bei vielen deutschen Herstellern optisch mit der Haube, während er 1910/11 noch deutlicher davon abgesetzt war – oft sogar mit einer Kante abgegrenzt.
Nehmen wir 1912 als wahrscheinliches Entstehungsdatum dieses Dürkoppwagens und berücksichtigen seine moderate Größe, so spricht einiges dafür, dass wir hier einen der im selben Jahr neu eingeführten Vierzylindertypen der Baureihe NG vor uns haben.
Dabei handelte es sich um Wagen der Steuerklasse 10 bzw. 13 PS (ca. 2,6 bzw. 3,3 Liter Hubraum) mit äußerlich identischen Abmessungen. Sie boten als Novum im Zylinderkopf hängende Einlassventile, was eine bessere Leistungsausbeute ermöglichte.
Bemerkenswert ist, dass Dürkopp bei den beiden neuen Typen selbstentwickelte Vergaser verbaute – Zeugnis eines außergewöhnlichen Anspruchs bei Kleinserienwagen. Vielleicht hatte man auch eine Produktion in größerem Stil im Sinn.
Die gelang aber nicht einmal mit den kompakte Typen der 6 und 8 PS-Klasse, sonst würde man ihnen öfter begegnen – wie Opel- und Adler-Wagen dieser Größenordnung.
So bleibt es beim Eindruck, dass den vielen Abbildungen von Dürkopp-PKW in Prospekten aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg nur eine sehr geringe Anzahl tatsächlich gebauter Fahrzeuge gegenüberstand.
Einige wenige davon haben überlebt, darunter ein Dürkopp der 10-PS-Klasse mit Karmann-Karosserie, der zwar von 1909 stammen soll, aber mit Sicherheit einige Jahre jünger ist, denn so wie hier sah 1909 garantiert kein deutsches Serienfahrzeug aus.
Wie fast immer in solchen Fällen werden es die Insassen dieses Dürkopp-Tourenwagen genau gewusst haben, doch um sie noch zu befragen, kommen wir zu spät…
Zusammen mit dem Fund des Monats September 2020 kann ich heute eine ganze Reihe Dokumente präsentieren, die zwar schon eine Weile in meiner Hansa-Lloyd-Galerie schlummern, aber über 100 Jahre nach ihrer Entstehung eine gesonderte Darstellung verdienen.
Wie es der Zufall will, führen sie in dichter Abfolge auf das Fahrzeug zu, das den eigentlichen Fund des Monats repräsentiert.
Zum Einstieg muss ich allerdings auf ein Dokument zurückgreifen, das ich im Netz in der Flickr-Präsenz eines Oldtimer-Enthusiasten fand:
Deckblatt einer Broschüre von Hansa-Lloyd von 1914; Quelle: Flickr
Hierbei handelt es sich um das Deckblatt einer Broschüre der Marke Hansa-Lloyd aus dem Jahr 1914. Damals hatten die seit 1905 bzw. 1906 existierenden Marken Hansa aus Varel und Lloyd aus Bremen sich gerade zusammengeschlossen.
Nachdem beide Hersteller bis dato nur Flachkühlermodelle gebaut hatten, tauchte demnach im Programm noch 1914 erstmals ein Typ mit dem modischen Spitzkühler auf.
Die Broschüre zeigt das Spitzenmodell 22/50 PS, das noch aus der alten Lloyd-Palette stammte. Ebenfalls 1914 entstand folgende hübsche Reklame, die einen Spitzkühlertyp von Hansa-Lloyd in der Frontansicht zeigt – hier mit senkrechten Streben und oval eingefasstem Markenschriftzug auf dem Kühler:
Hansa-Lloyd: Originalreklame von 1914 aus Sammlung Michael Schlenger
Ein Jahr später – im Kriegsjahr 1915 – ist der Zierrat auf dem Kühler verschwunden, nur ein Abwärtsschwung des Oberteils der Kühlermaske sorgt für etwas Abwechslung.
Raffiniert ist dagegen die Darstellung des durch den Schriftzug stürmenden Wagens – in dieser Ästhetik kommt ein dem Heroischen zugewandter Zeitgeist zum Ausdruck:
Hansa-Lloyd: Originalreklame von 1915 aus Sammlung Michael Schlenger
Ein weiteres Jahr später – 1916 – findet man eine vollkommen auf die Grundform reduzierte Gestaltung des Spitzkühlers. In der Grafik lebt zwar noch der Schwung des Jugendstil – der letzte aus der ganzen europäischen Tradition schöpfende und sich der Formen der Natur bedienende Kunststil – doch das immer totalere Kriegsgeschehen führt nun überall zu einer Reduzierung auf das Notwendige.
Man beachte auch die allmählich strenger werdenden Schrifttypen in diesen Reklamen:
Hansa-Lloyd: Originalreklame von 1916 aus Sammlung Michael Schlenger
Ebenfalls aus dem Jahr 1916 stammt eine weitere Reklame von Hansa-Lloyd, die nun eine seitliche Ansicht eines Tourenwagens im typischen teutonischen Stil zeigt – mit Spitzkühler, tulpenartig nach unten schmaler werdendem Aufbau und im Karosseriekörper integrierten Verdeckkasten:
Hansa-Lloyd: Originalreklame von 1914 aus Sammlung Michael Schlenger
Damit sind wir schon nahe an der Ästhetik des Wagens, der heute im Mittelpunkt steht.
Weitere solche Reklamen von Hansa-Lloyd aus der Spätphase des 1. Weltkriegs liegen mir leider nicht vor. Es wird sie wohl gegeben haben, so wie man noch 1917/18 derartige Dokumente von Benz und Mercedes in Zeitschriften findet.
Tatsächlich wurden ja auch noch immer solche Wagen gebaut, wenngleich fast nur noch für den Bedarf des Militärs. Die Hersteller verdienten gut daran (was ihnen nicht vorzuwerfen ist) und konnten sich daher Anzeigen leisten, die eher die Hoffnung auf einen baldigen Frieden als ein tatsächliches Angebot für zivile Käufer widerspiegelten.
Das eingangs erwähnte Spitzenmodel Hansa-Lloyd 22/50 PS scheint nach Kriegsende nicht weitergebaut worden zu sein. Generell verlegte man sich im Bremer Werk ab 1918 auf Nutzfahrzeuge und eine breite Palette an Elektromobilen.
Unterdessen ging im Werk in Varel die PKW-Fertigung weiter und nach der Trennung von Hansa-Lloyd1921 zog man dort unter dem alten Markennamen Hansa wieder eine eigenständige Automobilproduktion auf.
Ganz löste sich Hansa-Lloyd in Bremen damals aber nicht vom PKW-Bau. Auf Basis eines älteren Typs baute man ab 1920 in geringen Stückzahlen einen von den Dimensionen her sehr eindrucksvollen Vierzlinderwagen – das Modell 18/60 PS.
Dieser mächtige Wagen mit einem zwar konventionellen, aber bärenstarken 4,1 Liter-Aggregat begegnet einem nicht zufällig auch in Form von Nutzfahrzeugumbauten. Ein Hansa-Lloyd 18/60 PS lieferte sehr wahrscheinlich die Basis für diesen eigenwilligen „Minibus“, der einst in der Stadt Achim unweit von Bremen unterwegs war:.
Hansa-Lloyd 18/60 PS; Originalfoto zur Verfügung gestellt über einen Leser aus Achim
Man lasse sich von dem nachträglich konstruierten Aufbau hinter dem Fahrersitz nicht ablenken. Ursprünglich war dies ein typischer Tourenwagen der frühen 1920erJahre.
Die Details des Vorderwagens – Spitzkühler mit recht weitmaschigem Kühlergrill, vorn weit nach unten gezogenen Kotflügel und Gestaltung der Radnaben – finden sich identisch auf einem weiteren Foto, das mir ein Leser vor längerer Zeit zur Verfügung gestellt hat:
Hansa-Lloyd 18/60 PS; Originalfoto zur Verfügung gestellt von Vincent Birkenhagen
Dieser Wagen wurde einst von einem Handwerksbetrieb (Erich Schwiemann) in Guben an der Neiße genutzt. Das Verlegen von Fußbodenbeläge und Anbringen von Tapeten war die Spezialität der Firma, die sich dieses großzügigen Wagens bediente.
Auf dem Originalfoto erkennt man bei genauem Hinsehen einen Teil des typischen dreieckigen Markenemblems von Hansa-Lloyd, das auf der sehr empfehlenswerten Website von Claus-Wulff (Berlin) im Original zu studieren ist.
Damit kann auch die Identität des umgebauten, vorn praktisch identischen Wagens aus Achim als gesichert gelten. Offen bleiben muss vorerst, ob Hansa-Lloyd in Bremen selbst solche Aufbauten anbot – immerhin waren Nutzfahrzeuge ja das Kerngeschäft – oder ob es sich um ältere Wagen handelte, die nochmals einer neuen Nutzung zugeführt wurden.
Wie auch immer sich das im Fall der beiden bisher gezeigten Wagen des Typs Hansa 18/60 PS verhalten haben mag, werden sie bei weitem durch das in den Schatten gestellt, was mir Leser Jason Palmer aus Australien vor längerer Zeit zusandte.
Er besitzt selbst mehrere Vorkriegswagen unterschiedlicher Marken und kennt sich auch gut bei deutschen Fabrikaten aus, die einst im fernen Australien nicht selten waren.
Bei dem Foto, das er mir zusandte, musste er zwar selbst passen, aber ich fand nach nicht allzulanger Recherche heraus, was es für ein Prachtautomobil zeigt:
Hansa-Lloyd 18/60 PS; Originalfoto aus Sammlung von Jason Palmer (Australien)
Dieser unerhört elegante Wagen muss ebenfalls ein Hansa Typ 18/60 PS sein, der den eigenwilligen Namenszusatz „Treff Aß“ trug – nebenbei ein Begriff aus der Welt der Spielkarten („Treff“ von französisch „trèfle“ steht für das dreiblättrige Kleeblatt).
Darauf brachte mich eine sehr ähnliche Abbildung in der Erstausgabe von Werner Oswalds Klassiker „Deutsche Autos 1920-45“ von 2001 (S. 144). Gestaltung und Proportionen der Frontpartie weichen nur geringfügig voneinander ab.
Speziell die enorm lange Motorhaube findet sich in Verbindung mit einem solchen Spitzkühler und dieser Gestaltung der Radnaben meines Wissens nirgendwo sonst. Man kann sogar – auf Höhe des rechten Scheinwerfers – eine Ecke des dreieckigen Kühleremblems erahnen:
Der Aufbau als Sechsfenster-Limousine wurde durch den kolossalen Radstand von 3,70 Meter begünstigt. Die schiere Länge des Wagens lässt den großzügigen Passagierraum mit Platz für sieben (!) Insassen beinahe leicht erscheinen.
Der Eindruck von Leichtigkeit wird durch den ausgeprägten Schwung der Dachpartie unterstützt – dieser filigrane Aufbau sorgte auch damals für heitere Stimmung:
Die beiden Herren sind zwar für die kühle Jahreszeit gekleidet, aber dennoch guter Dinge. Sie wussten schon damals, wie exklusiv dieses Gefährt war, für das vor der Inflationszeit bereits fast 20.000 Goldmark auf den Tisch zu legen waren – seinerzeit der Gegenwert eines sehr anständigen Hauses.
Die Karosserie wurde wahrscheinlich von einer Bremer Manufaktur mit dem schönen Namen „Rembrandt“ gefertigt. Und in der Tat ist mir bislang wenig aus der Zeit der frühen 1920er Jahre begegnet, was Größe und Eleganz so meisterhaft vereint…
Der Wagen, den ich heute anhand eines „neuen“ Fotos zeigen kann, ist von derart schillernder Herkunft, dass es schwerfiele, ihn mit einem passenden und hinreichend prägnanten Titel zu präsentieren.
Weder lässt sich der tatsächliche Hersteller ohne weiteres genau benennen noch der Ort seiner Entstehung – so kann ich von Glück reden, dass sich das Modell mühelos für die Rubrik „Fund des Monats“ qualifiziert. Das erspart mir einiges Kopfzerbrechen gut eine Stunde vor Mitternacht…
Zum Einstieg ins Thema eignet sich eine historische Abbildung, die einen auf den ersten Blick vertraut wirkenden Wagen der späten 1920er Jahre zeigt. Wäre da nicht die abweichende Bildunterschrift, könnte man hier an einen Adler „Favorit“ oder „Standard 6“ denken – beides ausgesprochen häufige Gäste in meinem Blog:
Cyklon 9/40 PS; zeitgenössische Abbildung aus Sammlung Michael Schlenger
Tatsächlich entspricht der Limousinenaufbau den Karosserien, die Adler von Ambi-Budd aus Berlin für seine Modelle Favorit und Standard 6 bezog.
Doch dort enden schon die Gemeinsamkeiten. Denn dieser Wagen entstand nicht in Frankfurt am Main, sondern bei den Cyklon Automobilwerken. Mit dem Namen „Cyklon“ verbindet man heute allenfalls noch die dreirädige „Cyklonette“.
Nachdem deren Hersteller – die Berliner Cyklon Maschinenfabrik GmbH – 1922 Teil des Schapiro-Konzerns geworden war, baute man zunächst einen 5/18 PS Kleinwagen, der unter der Marke des ebenfalls von Schapiro kontrollierten Karosserielieferanten „Schebera“ vermarktet wurde.
Einen raren Originalprospekt dieses Wagens konnte ich vor einiger Zeit erwerben – er wird Gegenstand eines weiteren Fundes des Monats sein – hier als Vorgeschmack das Deckblatt:
Prospektdeckblatt zum Schebera 5/18 PS; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Hier werden neben Schebera aus Berlin die Cyklon Automobilwerke als Hersteller genannt, nun aber auf einmal mit Standort Mylau im sächsischen Vogtland.
Bereits bei diesem Wagen deutet sich an, was erst recht für den ab 1927 als Cyklon 9/40 PS gebauten Wagen galt – die genaue Herkunft lässt sich schwer greifen. Das neue 9/40 PS-Modell war als Antwort auf die Flut preisgünstiger US-Sechszylinderwagen gedacht, die in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre den deutschen Markt überschwemmten.
Die Tatsache, dass man massenhaft Fotos solcher „Amerikaner“-Wagen in deutschen Landen findet, aber ein Cyklon 9/40 PS eine Rarität darstellt, ist ein Indiz dafür, dass Deutschlands (laut Literatur) billigster Sechszylinder am Markt nicht zündete.
So fristete die eingangs gezeigte Abbildung eines Cyklon 9/40 PS lange Zeit ein einsames Dasein in meinem Fundus – trotz fast dreijähriger Bauzeit. Doch nun kann ich endlich ein Originalfoto eines solchen Fahrzeugs zeigen:
Dixi-Cyklon 9/40 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Auf den ersten Blick scheint diese Limousine mit Berliner Zulassung vollkommen der auf der vorherigen Abbildung zu entsprechen.
Neben der Ambi-Budd-Karosserie finden sich hier Details wie die Scheibenräder mit sechs Radbolzen ebenso wieder wie die an den Enden kastenartig gebogene Doppelstoßstange.
Doch bei näherem Hinsehen scheint es, dass wir es hier eher ein „Cy-Klon“ vor uns haben, dessen mutmaßlicher Hersteller andernorts beheimatet war:
Auch wenn es auf diesem Ausschnitt nur schwer zu erkennen ist, zeigt sich auf dem Originalabzug auf dem Kühler das Markenemblem von „Dixi“ aus Eisenach – ein Kentaur.
Tatsächlich wurde der Cyklon 9/40 PS ab 1927 auch als Dixi 9/40 PS vermarktet – was wenig überrascht, gehörte die altehrwürdige Marke seit den frühen 1920er Jahren ebenfalls zum Schapiro-Konglomerat.
Spätestens hier beginnt die Geschichte unübersichtlich zu werden. So suggeriert ein Teil der Literatur, dass Dixi das 9/40 PS-Model von Cyklon ins eigene Programm aufnahm und auch in Eisenach fertigte.
Eine zweite Produktionslinie ein und desselben Modells wäre aber betriebswirtschaftlich noch größerer Unfug gewesen als der, der bei Cyklon ohnehin bereits üblich war. Denn der Cyklon-Wagen entstand aus Baugruppen, die von mehreren Standorten zugeliefert wurden, was einer rationellen Produktion nicht gerade förderlich ist.
Die schon ältere, aber in vielen Details nach meinem Eindruck immer noch wertvolle Publikation „Ahnen unserer Autos von Gränz/Kirchberg (Ostberlin 1975) stellt lapidar fest, dass der Cyklon 9/40 PS auch als 9/40 PS Dixi verkauft wurde, „aber während der Herstellung Eisenach nie gesehen“ habe.
So stammte der Limousinenaufbau aus Berlin, der Motor aus Mylau, und das Fahrgestell aus Gotha, wo dann auch die Fertigstellung erfolgte. Vermutlich wurde die Dixi-Kühlerplakette dann eigens per Paketpost aus Eisenach angeliefert…
Leider schweigt sich die Literatur ebenso darüber aus, wer den Sechszylindermotor entwickelt hatte, wie auch darüber, in welchen Stückzahlen das 9/40 PS-Modell überhaupt entstand – sei es als Cyklon, als Dixi oder Dixi-Cyklon.
Gemessen an der Fülle von Fotos der äußerlich sehr ähnlichen Adler-Limousinen „Favorit“ und „Standard 6“ sind Bilder dieses 9/40 PS-Modells so selten, dass es wohl kaum in mehr als einigen hundert Exemplaren entstanden sein dürfte.
Am Preis kann das laut Literatur nicht gelegen haben – aber woran dann? Fehlte es am Ende an einer schlagkräftigen Vertriebsstruktur? Hinweise über die Kommentarfunktion sind wie stets in solchen Fällen willkommen!