Winter adé!? Unterwegs im DKW F7 „Meisterklasse“

Nur noch wenige Tage bis zum Frühlingsbeginn: Nachts wird es zwar empfindlich kühl, doch tagsüber entwickelt die Sonne bereits Kraft und weckt die Lebensgeister. Stadtkinder kennen leider kaum die Freuden des Frühlingserwachens auf dem Lande, wo es nun allerorten sprießt, sich Knospen bilden und Frühblüher ungewohnte Farbakzente setzen.

Winter adé, heißt es da, so gnädig er auch hierzulande ausfiel. Das Motto passt gut zu den Bildern eines Vorkriegsmodells, das ich schon länger nicht mehr gewürdigt habe. Die Rede ist vom DKW F7, der von Ende 1936 bis Sommer 1939 in über 100.000 Exemplaren gebaut wurde.

Wer meinen Blog schon länger verfolgt, erinnert sich vielleicht an die folgende schöne Aufnahme, die einen DKW F7 in noch winterlicher Landschaft zeigt:

DKW F7 Limousine „Reichsklasse Spezial“; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Diese im März 1939 entstandene Aufnahme lässt gut die äußerlichen Hauptunterschiede gegenüber dem Vorgängermodell F5 erkennen:

  • die Entlüftungsschlitze sind nicht mehr in die Motorhaube eingestanzt, sondern sind Teil eines aufgeschweißten Blechs (die Haube war wie die Kotflügel aus Blech, während der übrige Aufbau aus kunstlederbespanntem Holz bestand)
  • die Tür verläuft vorne nicht mehr geschwungen, sondern annähernd senkrecht, damit verbunden war ein größerer Türausschnitt, der Ein- und Ausstieg erleichterte).

Ebenfalls im Winter, jedoch erst 1940, entstand diese Aufnahme, die ebenfalls einen DKW F7 zeigt, wie trotz der dunkelgrauen Heereslackierung zu erkennen ist.

DKW F7 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die vorn aufgezogenen Schneketten verweisen unübersehbar auf den typischen Frontantrieb, mit der DKW vor allem im Winter Vorteile bot.

Bisweilen liest man in der älteren Literatur, dass die Wehrmacht Fronttriebler „verschmäht“ habe, weil man dem Frontantrieb gegenüber voreingenommen war,

Tatsächlich „entlieh“ man bei Kriegsausbruch auch die bewährten Frontantriebswagen von Adler und DKW von ihren zivilen Besitzern und kassierte nach der Besetzung Frankreichs noch lieber die hervorragenden Citroen „Traction Avant“-Modelle.

Mein Onkel, der als Offizier des 51. Niederschlesischen Infanterieregiments in Polen und Russland im Einsatz war, fuhr noch nach dem Krieg aus Überzeugung DKW, nachdem er im Krieg die Vorteile von Fronttrieblern kennengelernt hatte.

Dass man DKWs im Militärdienst seltener auf zeitgenössischen Fotos abgelichtet findet, liegt schlicht daran, dass sie nicht so exotisch waren wie Horch- oder Mercedes-Modelle, die der fotografischen Evidenz nach zu urteilen den Großteil des Wehrmachts-Fuhrparks ausgemacht haben müssten, wenn man es nicht besser wüsste…

Dass der oben gezeigte DKW F7 tatsächlich ein Wehrmachtsfahrzeug war, lässt eine am selben Tag entstandene weitere Aufnahme desselben Autos erkennen:

DKW F7 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme zeigt im Hintergrund die Pfarrkirche der österreichischen Ortschaft Scheuchenstein. Abgesehen von dem Auto hat sich an der Ansicht fast nichts geändert.

Das Kürzel „WH“ auf dem rechten hinteren Kotflügel belegt die Zugehörigkeit zu einer Heereseinheit der deutschen Wehrmacht, links ist noch das zivile Nummernschild zu sehen.

Mit diesen Aufnahmen sei nun aber dem Winter endgültig „Adieu“ gesagt. Wenden wir uns stattdessen diesem schönen Dokument zu, das einen DKW F7 im März 1938 zeigt:

DKW F7 „Meisterklasse“ Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ein Stempel auf der Rückseite des Abzugs verweist auf ein Fotogeschäft im sächsischen Städtchen Wilsdruff westlich von Dresden.

Dem Nummernschild nach zu urteilen war der DKW jedoch einige Dutzend Kilometer südwestlich im Raum Flöha bei Chemnitz zugelassen.

Eindrucksvoll wirkt hier der vor dem Kühler montierte Nebelscheinwerfer, einst ein nicht gerade billiges Zubehör. Der klassischen Frontpartie tut dieses Accessoire jedoch keinen Abbruch.

Eher gestört wird die Linie durch ein serienmäßiges Detail – die am oberen Ende der Frontscheibe angesetzte Lufthutze zur Belüftung des Innenraums. Dabei handelt es sich wohl um eine einzigartige Lösung, die zugleich eine Datierung des Wagens auf 1937 erlaubt.

Im Folgejahr wanderte das den Blick störende Element an die Oberseite des Scheibenrahmens, wo es freilich noch deplatzierter wirkte. Für mich eines der wenigen Details an den DKW-Wagen jener Zeit, die in gestalterischer Hinsicht missglückt waren.

Die beiden jungen Damen, die sich hier noch in winterlich anmutender Bekleidung neben dem Wagen haben ablichten lassen, wird vielleicht eher interessiert haben, wann es wieder nach Hause geht.

Denn eine Heizung besaß auch die hier zu sehende Ausstattungsvariante „Meisterklasse“ nicht – sie sah bloß schicker aus als die schmucklose „Reichsklasse“.

DKW F7 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nicht nur der Temperatur wegen werden unsere beiden DKW-Insassinnen gern dem Winter adé gesagt und das Frühjahr begrüßt haben, das auf diesem Foto freilich noch im Rückstand zu sein scheint.

Wir können uns heute an beidem freuen – dem schicken DKW und frühlingshaften Temperaturen. Genießen wir beides, solange es geht – zumindest der Winter könnte nochmals zurückkehren…

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Ungewissen Zeiten entgegen: Fiat 508A

Wohl zum ersten Mal seit dem Scheitern der kommunistischen Staaten des Ostblocks 1989 sehen derzeit Millionen von Europäern einer ungewissen Zukunft entgegen.

Ob die von immer mehr Regierungen ergriffenen Maßnahmen zur Einhegung des Corona-Virus gerechtfertigt sind oder in erster Linie gigantische Freiheits- und Wohlstandseinbußen mit sich bringen, wird sich weisen. Ernst ist die Lage auf jeden Fall.

Auch wenn Teile der durch jahrzehntelangen Frieden und Wohlstand sedierten deutschen Bevölkerung bis vor kurzem Massenvergnügungen nachgehen zu müssen meinten, macht sich allmählich – viel später als bei unseren Nachbarn – ein Gefühl der Ungewissheit breit.

Vor diesem aktuellen Hintergrund erhalten Fotos der Vorkriegszeit nochmals eine andere Qualität. Man sieht dort Menschen in einem glücklichen Moment, während wir Nachgeborenen wissen, dass das Schicksal ihrem gewohnten Dasein kurze Zeit später den Boden unter den Füßen wegziehen würde.

Fiat 508A; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses hübsche Paar ließ sich im Februar 1939 auf der Fahrt nach Garmisch-Partenkirchen mit seinem Cabriolet ablichten. Das nationalsozialistische Regime war zu diesem Zeitpunkt seit sechs Jahren an der Macht und hatte die Deutschen bis in den letzten Winkel ihres Daseins seinem Zwang unterworfen.

Dem Großteil der Bevölkerung, der nicht unmittelbar wegen Herkunft, Glaube oder politischer Gesinnung verfolgt wurde, blieb nichts anderes übrig, als sein Glück im Privaten zu suchen – sofern nicht die Bewältigung des Alltags ohnehin alle Kräfte aufzehrte.

Von reinem privaten Glück erzählt das hier vorgestellte Foto, dem man nichts von den Zeitumständen anmerkt, in denen es entstand – vom Emblem des gleichgeschalteten DDAC auf der Windschutzscheibe abgesehen.

Mit so einem hübschen Cabriolet auf Basis des Erfolgsmodells 508A von Fiat konnte man sich zurecht glücklich schätzen, denn schon der Besitz dieses von 1934-37 gebauten Wägelchens mit 24 PS leistendem 1-Liter-Motor war in Deutschland ein Privileg.

Während hierzulande wenige tausend Exemplare davon abgesetzt werden konnten – hauptsächlich in Heilbronn montierte NSU-Fiats – war der Fiat 508A international ein Riesenerfolg: Über 70.000 Stück brachten die Turiner davon an den Mann, nachdem bereits vom 1932 eingeführten Vorgängertyp 508 in nur zwei Jahren mehr als 40.000 Exemplare abgesetzt werden konnten.

Doch woran erkennt man eigentlich so einen Fiat 508A? Schließlich ist auf dem eingangs gezeigten Foto nicht allzuviel davon zu sehen.

Zum Glück hat ein zweites Foto desselben Autos die Zeiten überdauert – ebenfalls aufgenommen im Februar 1939, nun aber auf dem Weg von Augsburg nach München, so ist es jedenfalls von alter Hand auf der Rückseite des Abzugs vermerkt:

Fiat 508A Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zwar ist hier die Kühlerpartie durch die bei Frost obligatorische Kunstledermandschette verdeckt, die den Kühleraussschnitt zu reduzieren oder ganz zu verschließen erlaubte, damit der Motor schneller warm wird.

Doch geben das stilisierte Emblem oben auf dem Kühlergehäuse, die markante Form der Radkappe sowie die Ausführung der schrägstehenden Luftschlitze ausreichend Aufsschluss – das ist ein Fiat 508 A bzw. nach deutscher Nomenklatur ein NSU-Fiat 1000.

Weitere Beispiele für das Modell finden sich in meiner Fiat-Galerie, darunter dieses bisher nicht vorgestellte Exemplar:

Fiat 508A; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir nun genau so ein Cabriolet auf Basis des Fiat 508A mit niedergelegtem Verdeck und unverdecktem Kühler.

Die Stoßstange mit ausgeprägter Mittelrippe, die profilierten Radkappen und die Form der Frontscheibe stimmen ebenfalls vollkommen überein. Außerdem ist nun der leicht schrägstehende herzförmige Kühlergrill zu sehen, der den Fiat 508A äußerlich vom Vorgängertyp 508 unterscheidet.

Auch für die Insassen dieses Wagens, die irgendwo in Süddeutschland Halt gemacht zu haben scheinen, bot die Zukunft nichts als Ungewissheit. Gewöhnen wir uns ebenfalls daran – und hoffen wir, dass die Sache einigermaßen glimpflich ausgeht.

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Hübsche Inszenierung: BMW 326 Cabriolet

Heute fand im Thüringer Landtag erneut die Wahl des Ministerpräsidenten statt – diesmal fiel das Ergebnis so aus, wie von Berlin erwartet. Nostalgische Erinnerungen an den Demokratischen Zentralismus wurden wach.

Beruhigt kann sich der Bürger wieder ins Private zurückziehen. Die Beschäftigung mit Vorkriegsautos eignet sich dazu hervorragend, so zerstreut man störende Gedanken.

Regional betrachtet bleibe ich in meinem heutigen Blogeintrag in Deutschlands Osten – zumindest nehme ich das an. Anknüpfen will ich dabei an diese Aufnahme eines BMW 326 Cabriolets, die ich vor einiger Zeit hier vorgestellt habe:

BMW 326 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses viertürige Cabriolet auf Basis des BMW 326 – gebaut ab 1936 – wurde einst bei Jena abgelichtet. Auch das Kennzeichen verweist auf Thüringen, stelle ich gerade mit Bestürzung fest – so wird das nichts mit der Flucht vor dem Tagesgeschehen.

Offenes Verdeck geht um diese Jahreszeit auch nicht, viel zu leichtsinnig, zumal die Partei des Thüringer Ministerpräsidenten es auf Reiche abgesehen hat – ist ja zum Schießen! Außerdem wird hier ein traditionelles Frauenbild beschworen. Unverzeihlich.

Also ein neuer Versuch, diesmal muss das Ergebnis stimmen. Gewünscht wird ein BMW 326 Cabriolet mit vier Türen und geschlossenem Verdeck, ohne Hinweis auf regionale Zugehörigkeit, gern vor romantischer Kulisse, damit es auch ein schönes Bild gibt.

Anweisung verstanden, lässt sich arrangieren. Im vorliegenden Fall liegt das Arrangement zwar schon eine Weile zurück, aber man darf auch hier sagen: geliefert wie bestellt.

BMW 326 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diesmal gibt es keinen Grund zur Beanstandung. Spätestens auf den dritten Blick bestätigt sich: Das ist das gewünschte viertürige BMW 326 Cabriolet, die einfache Mehrheit der Details spricht dafür – das muss an dieser Stelle genügen.

Das geschlossene Verdeck macht sich äußerlich viel besser als ein offenes – man muss nicht immer gleich alles preisgeben, das müssen auch Anhänger einer liberalen Auffassung zugeben. Was die Insassen vorhaben, ist zu diesem Zeitpunkt schwer zu erkennen. Der Fahrer scheint ein entferntes Ziel ins Visier genommen zu haben.

Immerhin wirkt die Geste der geöffneten Tür vertrauenerweckend, überhaupt mutet die ganze Situation bieder und freundlich an. Die Szenerie mit Burg im Hintergrund und einsamer Autobahn könnte kaum schöner sein, ganz nach deutschem Geschmack.

Viel mehr lässt sich diesem alten Stück kaum abgewinnen – man hat so etwas schließlich schon oft genug gesehen, auch wenn es eine Weile länger her sein mag.

Hübsch inszeniert wurde das Ganze aber – das muss man zugeben. Die friedlich anmutende Landschaft im Hintergrund gibt eine perfekte Kulisse ab. „Foto Hergl, Kirchberg in Sachsen“ so lautet der Stempel auf der Rückseite des Abzugs.

Kann man aus der Angabe auf den wahren Ort schließen und darauf, wohin die Reise ging? Ich habe meine Zweifel. Diese hübsche Inszenierung kann überall in deutschen Landen entstanden sein. Wer weiß, wohin die nächste Ausfahrt führt…

Weiß es jemand genau? Das hätte Charme, denn dann könnte man in dem Foto einfach ein historisches Reisefoto sehen, nicht eine Parabel auf eine Begebenheit der Gegenwart.

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Wiedersehen im Schnee: Audi „Front“ 225 Cabrio

„Man trifft sich stets zweimal“ – so lautet ein Bonmot, das sich nach meiner Erfahrung oft genug bestätigt. Eine Erklärung dafür ist die, dass Menschen aus demselben Milieu übereinstimmende Neigungen haben und ähnliche Verhaltensmuster an den Tag legen.

Kreuzen sich dann die Wege wieder einmal – vielleicht nach langer Zeit – stellt sich nicht immer Begeisterung ein. Mitunter hat man sich auseinandergelebt und flüchtet sich dann in Belanglosigkeiten.

Eine solche Situation wurde von einer hessischen Musikgruppe einst mit der legendären Titelzeile „Ei gude wie, wo machst’n hie?“ besungen. Eine mögliche Übersetzung ins Hochdeutsche lautet so: „Ach – guten Tag! Wie geht es Dir? Wohin bist Du unterwegs?“

Doch gibt es auch unerwartete Begegnungen, in denen es keiner Höflichkeitsfloskeln bedarf, die das Desinteresse kaschieren. Mitunter freut man sich schlicht, nach einiger Zeit einen alten Bekannten wiederzusehen – so ist das auch heute in meinem Blog.

Die Freunde von Vorkriegs-Audis und wohl alle Liebhaber alter Autofotos, die hier mitlesen, erinnern sich vermutlich an die folgende Aufnahme, die ich im letzten Sommer zusammen mit einigen weiteren gezeigt habe:

Audi „Front“ 225 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Seinerzeit hatte ich dieses zauberhafte Dokument zusammen mit weiteren unter dem Titel „Ein Traum in 3D“ vorgestellt, weil die Aufnahmen eine Rundumsicht eines Audi „Front“ 225 Cabriolet von 1935/36 mit Karosserie von Gläser aus Dresden boten.

Damals hatte ich bereits angemerkt, dass das Besitzerpaar ein Faible für die „Farbe Weiß“ gehabt haben muss. Dies bestätigt sich heute anhand von zwei weiteren Aufnahmen desselben Autos:

Audi „Front“ 225 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir nicht nur exakt denselben Audi mit Zulassung im Raum Annaberg/Erzgebirge – nunmehr in winterlicher Landschaft – sondern auch den mutmaßlichen Fotografen der im Sommer entstandenen Aufnahmen.

Jedenfalls gehe ich davon aus, dass nunmehr die fesche Dame im damals zum Auto passenden weißen Kleid die Kamera bediente – und das mit einem Blick für’s Malerische. Der dünne Verkehr im ländlichen Deutschland der späten 1930er Jahre erlaubte einen solchen Fotohalt an einer Kehre der Landstraße, die sich irgendwo nach oben schraubt.

Der frontgetriebene Audi mit 50 PS-Sechszylinder dürfte hier gezeigt haben, was er kann. Ein solches Foto macht man nicht, wenn man keine Freude daran hat, durch eine Winterlandschaft und über verschneite Straßen zu fahren.

Wie es scheint, hatten die Besitzer keine Schneeketten aufgezogen. Offenbar hatte bereits Tauwetter eingesetzt und man konnte darauf vertrauen, dass der Frontantrieb den 1,5 Tonnen schweren Audi wieder zuverlässig aus dem Schneematsch ziehen würde.

Dass unser Audi-Paar an jenem Tag eine vergnügliche Fahrt unternahm und sich mit dem Wagen offensichtlich wohl auf winterlichen Straßen fühlte, verrät vielleicht noch mehr das zweite damals entstandene Foto:

Audi „Front“ 225 Cabriolet“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch hier scheint „sie“ wieder die Kamera bedient zu haben – und nun mit noch schönerem Ergebnis, wohlkomponiert und ausgezeichnet belichtet, was damals bei Schnee gar nicht so einfach war.

Auch hier scheint Tauwetter eingesetzt zu haben und man mag sich gar nicht vorstellen, welche Unmengen Schneematsch sich der Audi auf dieser Ausfahrt in jeden Winkel des Chassis schaufelt.

Sicher: Rahmen und Bleche waren damals von beeindruckender Stärke und rosteten nicht nach wenigen Wintern durch, wie das am qualitativen Tiefpunkt des europäischen Automobilbaus in den 1970er Jahren der Fall war.

Dennoch interessiert es einen, ob Besitzer solcher teuren Prestigewagen einst ein Mindestmaß an Vorkehrungen trafen, um ihre vierrädrigen Schätze möglichst lange vor dem Zugriff des Rosts zu schützen.

Interessehalber habe ich in einem umfangreichen Zubehörkatalog der frühen 1930er Jahre nachgeschlagen, der mir im Original vorliegt – dem Katalog Nr. 125 der Firma Bernhard Wedler, ansässig in Breslau (Schlesien) und Stettin (Pommern).

Dort findet sich auf S. 203 ein Produkt, das zumindest eine nachträgliche Behandlung angegriffener Chassisteile ermöglichte.

Es trug den schlichten Namen „4610“ und wurde als Isolier- und Rostschutzlack angepriesen, der der frühzeitigen Zerstörung von Fahrwerksteilen einschließlich des Rahmens und der Unterseite der Koflügel entgegenwirken sollte.

Es scheint sich dabei nicht um einen Unterbodenschutz auf Bitumen- oder Wachsbasis gehandelt zu haben, wie er nach dem Krieg gängig wurde. Mit Pinsel oder Spritzpistole in zwei Schichten aufgetragen ergab besagter „4610“-Schutzlack eine geschlossene und hochglänzende Oberfläche, wie in der Beschreibung betont wird.

Ob unsere Audi-Besitzer wohl auch für solche verborgenen Finessen einen Sinn hatten?

Möglicherweise konnten sie es sich leisten, dem dauerhaften Erhalt ihres Wagens keine Bedeutung beizumessen. Wichtig war es ihnen aber, ihn als geschätzten Gefährten in einer Zeit festzuhalten, in der in vielerlei Hinsicht Gewohntes ins Rutschen geriet:

Über das Schicksal dieses Audi „Front“ 225 Cabriolets und seiner einstigen Besitzer ist mir sonst nichts bekannt.

Dennoch hege ich bei solchen Fotos mit Nummernschild stets die Hoffnung, dass sich doch mehr davon erhalten hat – seien es weitere Dokumente oder gar der Wagen selbst.

Unabhängig davon bleibt uns wie schon bei den ersten Fotos dieses Audi die Freude an dem schönen Wagen und seiner gekonnten Inszenierung – erhalten auf alten Abzügen, die nach jahrzehntelangem Schlummer ein unverhofftes und willkommenes Wiedersehen ermöglichen…

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1938: Unterwegs auf Probefahrt im Packard „6“

Bei meiner Beschäftigung mit Vorkriegsautos lerne ich immer noch „Neues“ hinzu. Das betrifft nicht nur obskure Marken und rare Karosserien, sondern auch das weite Feld der Kennzeichenkunde, das zum Glück von Spezialisten wie Andreas Herzfeld beackert wird.

Welche Bedeutung ein scheinbar schnödes Nummernschild bekommen kann, das soll meine heutige Reise in die Vergangenheit zeigen, als die von uns bewunderten „Oldtimer“ noch Neuwagen oder gute Gebrauchte waren.

Eine weitere Einleitung kann ich mir diesmal sparen. Denn das Foto, um das es geht, lässt eigentlich alles in wünschenswerter Klarheit erkennen – oder vielleicht doch nicht?

Packard „Six“, Modelljahr 1936; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier scheint der Fall eindeutig: Ein Vorkriegs-Packard in einer Aufnahme der späten 1940er oder frühen 50er Jahre, möchte man meinen.

Auf jeden Fall nach dem 2. Weltkrieg, denn vorher hätte in deutschen Landen (wo dieses Foto im weitesten Sinne einst entstand) eine anständige Maid doch gewiss Tracht oder zumindest ein Kostüm oder Kleid getragen.

So kann man sich täuschen. Die Welt der 1930er Jahre war vielschichtiger – soll ich sagen: bunter? – als sie damals von der Staatspropaganda dargestellt wurde. Vieles davon wirkt in den Köpfen fort – man glaubt hierzulande immer noch treu, was von oben kommt.

Was das Auto angeht, ist die Sache eindeutig: Der markant geformte Spitzkühler – seinerzeit längst von gestern – verweist auf die amerikanische Oberklassemarke Packard.

Details wie die geteilte Frontscheibe verraten, dass wir einen Packard von 1938/39 vor uns haben. Optisch gibt es kaum Unterschiede zwischen den beiden Modelljahren.

Packard deckte damals das gesamte Spektrum vom Sechszylinder über Achtzylinder bis hin zu Zwölfzylindern ab.

Wer hier Vierzylinder vermisst, muss verstehen, dass so etwas in den USA der 1930er kaum verkäuflich war. Eine der wenigen Ausnahmen war die amerikanische Lizenzfertigung des Austin Seven – damals als Zweitauto ähnlich populär wie heute das Elektromobil für die Einkaufstour der Arztgattin – nur ohne Subvention aus den Steuern der Arzthelferin…

Der Packard auf obigem Foto dürfte – der Ausführung der seitlichen Haubenschlitze nach zu urteilen – die Basismotorisierung als 6-Zylinder mit 4 Litern Hubraum besessen haben. Man kann sich vorstellen, dass dieser seine 100 PS anstrengungslos hergab.

Zwar hatten amerikanische Wagen Ende der 1930er Jahre nicht mehr den Marktanteil hierzulande wie 10 Jahre zuvor, doch fanden immer noch Liebhaber des Besonderen Gefallen an US-Automobilen – so national war man gar nicht gesinnt in dieser Hinsicht.

Kommen wir aber nun zur entscheidenden Frage: Wann entstand diese Aufnahme?

Nun, den objektiven Hinweis liefert das Nummernschild mit der Kennung „A“ und den arabischen Ziffern „49027“ in weiß auf schwarzem Grund – der ab 1930 in Österreich geltenden Konvention entsprechend.

Laut Literatur wurde dieses Kennzeichen über die Angliederung Österreichs ans Deutsche Reich im März 1938 hinaus im Zulassungsbezirk Wien ausgegeben. Erst im Frühjahr 1939 erhielten Autos in der nunmehrigen „Ostmark“ neue Kennzeichen nach deutschem Vorbild.

Das spricht stark für einen Packard des Modelljahrs 1938, meine ich. Da Kennzeichen mit Ziffernfolge 49000 bis 49999 im Raum Wien für Probefahrten vorgesehen waren, dürfen wir schließen, dass unser Foto anlässlich einer solchen Fahrt entstand.

Nach dieser nüchternen Analyse werfen wir abschließend noch einen Blick auf die junge Dame neben dem Packard, die einen dazu verleiten könnte … nun, das Foto auf die Nachkriegszeit zu datieren:

Der Kontrast könnte kaum größer sein zwischen ihr mit ziemlich kurzem Hosenrock und geometrisch bedrucktem Oberteil sowie dem traditionell gekleideten Fahrer, der in die Ferne schaut, als würde er überlegen, ob er den Packard nun kaufen soll oder nicht.

Das Einzige, was mich bei dieser Aufnahme nachdenklich stimmt, ist der viele Staub auf dem Wagen. Ein neuer Packard des Modelljahrs 1938 hätte bei einer Probefahrt doch nicht so ausgesehen, oder?

Kann es sein, dass Österreich nach Ende der sowjetischen Besatzung der Wiener Region wieder zu den alten Nummernschildkonventionen der Vorkriegszeit zurückkehrte? Dann wäre diese Aufnahme eventuell doch erst nach 1947 entstanden.

Sicher kann ein Leser diesen Punkt klären – auch wenn dann unter Umständen meine Geschichte in Teilen hinfällig wäre…

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Ein Belgier aus Berlin: Metallurgique von 1914

Belgien und Berlin – nicht gerade die naheliegendste Verbindung. Fast sieben Stunden ist man heute mit der Bahn zwischen Bruxelles Central und Berlin Hbf unterwegs.

Kein Wunder, dass die moderne Politikerkaste, die den lästigen Untertan am liebsten in öffentlichen Verkehrsmitteln eingepfercht sieht, auf der Achse Brüssel-Berlin selbst das Flugzeug bevorzugt…

Dabei gab es schon vor über 100 Jahren eine ausgezeichnete Verbindung zwischen den beiden Städten – und zwar in automobiler Hinsicht.

So baute der Berliner Elektrokonzern Bergmann, der damals unter anderem ganz ohne Subventionen Batterieautos in Serie fertigte, ab 1909 in Lizenz Wagen des renommierten belgischen Herstellers Metallurgique.

Zwei Metallurgique-Wagen habe ich bisher anhand historischer Fotos vorgestellt, zuletzt war der Tourenwagen auf folgender Aufnahme an der Reihe (Porträt hier):

Bergmann-Metallurgique um 1912; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ich hatte diesen adretten Tourer mit dem markentypisch vorn abfallenden Spitzkühler seinerzeit als um 1912 gefertigten Bergmann-Metallurgique identifiziert.

Dafür sprach die Ausführung des Vorderwagens mit fließend an die Motorhaube anschließendem Windlauf – was zum Zeitpunkt der Aufnahme im Jahr 1913 bei in Belgien gefertigten Metallurgique-Wagen noch nicht üblich gewesen zu sein scheint.

Diese formale Abweichung vom belgischen Original ist keineswegs verwunderlich. Bergmann-Metallurgique bezog nur in der Anfangsphase der Lizenzfertigung Vorprodukte aus Belgien. Ab etwa 1912 baute man die Wagen in Berlin ganz in Eigenregie.

Daher folgte auch der nächste Bergmann-Metallurgique, den ich vorstellen möchte, formal vollkommen den gestalterischen Tendenzen im deutschen Automobilbau. So fand 1914 bei etlichen im Deutschen Reich gefertigten Automobilen ein weiterer Entwicklungsschritt in formaler Hinsicht statt.

Der bis dato von der Motorhaube mehr oder weniger steil aufsteigende und so optisch von dieser separierte Windlauf, verlief nun bei vielen Modellen in einer Ebene mit der Haube. Genau das ist bei dem Bergmann-Metallurgique auf folgendem Foto der Fall:

Bergmann-Metallurgique; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Was verrät aber, dass wir es hier noch mit einem späten Vorkriegsmodell zu tun haben? Schließlich wirken die Insassen nicht unbedingt wie typische Vertreter der 1918 untergegangenen Epoche.

Tatsächlich ist als Aufnahmedatum „Juli 1921“ auf der Rückseite des Abzugs überliefert. Könnte es sich nicht um einen Bergmann-Metallurgique der frühen Nachkriegszeit handeln? Immerhin hatte man den Lizenzvertrag 1920 erneuert (er lief bis 1922).

Nun, dagegen spricht ganz klar das Erscheinungsbild der Frontpartie:

Der Wagen besitzt eindeutig noch gasbetriebene Scheinwerfer, die bei Neuwagen noch während des 1. Weltkriegs von elektrischen Leuchten abgelöst wurden.

Wer die Form der Scheinwerfer für keinen zwingenden Beweis ansieht, sei auf den typischen Gasgenerator auf dem Trittbrett verwiesen. In dieser kompakten Chemiefabrik wurde durch Reaktion von Calciumcarbid und Wasser das Acetylengas erzeugt, das in den Gaslampen verbrannt wurde.

Nach dem 1. Weltkrieg wurden solche Anlagen nicht mehr an neuen Fahrzeugen montiert, blieben aber an älteren Wagen noch für eine Weile im Einsatz. Genau das scheint hier der Fall gewesen zu sein.

Mit welcher Motorisierung wir es bei diesem Exemplar zu tun haben, lässt sich nur grob eingrenzen. Metallurgique bot seine Wagen ab 1912 in fünf Leistungsklassen an, wobei durchweg Vierzylinder verbaut wurden.

Die Bandbreite reichte von einem kompakten 10CV-Modell mit nur 1,7 Litern Hubraum über die mittleren 12CV- und 16CV-Typen bis hin zu Hubraumriesen der Klassen 26CV und 40CV.

Anhand der Proportionen würde ich hier die ganz großen Modelle ebenso ausschließen wie den Einstiegstyp 10CV. Die genaue Motorisierung lässt sich kaum klären, aber das tut dem Reiz der Aufnahme keinen Abbruch. Dazu tragen wie so oft die Insassen bei:

Drei Generationen einer Familie sehen wir hier. Ganz links und rechts außen haben wir die Großeltern, die modisch am Stil der Vorkriegszeit festgehalten haben.

Am Steuer befindet sich Sohn oder Schwiegersohn, der mit einer beiden jüngeren Damen mit weißer Bluse verheiratet sein dürfte – ich tippe auf die uns freundlich anlächelnde hinter ihm. Einer der beiden Klappsitze zwischen vorderer und hinterer Sitzreihe hat das Töchterchen eingenommen, das etwas schüchtern in die Kamera schaut.

Dieses Mädchen mit der Schleife im Haar mag im Sommer 1921 im Vorschulalter gewesen sein. Es kann sein, dass dieses 2019 von mir erworbene Foto noch aus ihrem Fotoalbum stammt, wenn sie vor kurzem hochbetagt von uns gegangen ist.

Was mögen die Insassen noch alles erlebt und erlitten haben, nachdem diese Aufnahme vor bald 99 Jahren entstand? Und was wurde aus dem schönen Bergmann-Metallurgique, der sich hier noch eindrucksvoll und durchaus gepflegt präsentiert?

Das werden wir nicht mehr erfahren. Solche Fotos sind leider oft alles, was von der automobilen Welt von damals erhalten geblieben ist. Irgendwo mag es noch den einen oder anderen Bergmann-Metallurgique geben – mir ist aber noch keiner begegnet…

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Rätselhaft und reizvoll: Renault Viva/Nerva von 1935/36

Mit über 120 Jahren Geschichte gehört die französische Marke Renault zu den ältesten noch existierenden Automobilproduzenten. Zwar fällt mir zu den neuzeitlichen Modellen nach dem minimalistischen R4 nichts mehr ein, doch zum Glück gibt es ja die mal majestätischen, mal skurrilen Vorkriegstypen, an denen man sich abarbeiten kann.

Dabei stößt man auf eine sinneverwirrende Vielfalt an Typen und Bezeichnungen, die sich nur schwer erschließen. Dazu trägt das Fehlen überzeugender Literatur zu den Vorkriegsmodellen bei – auch das Netz hilft hier nur bedingt weiter.

Das ist schwer verständlich, denn Renault hat bis zum 2. Weltkrieg eindrucksvolle und sehr leistungsfähige Wagen entwickelt (siehe meinen Bericht zum Modell Grand Sport).

So ist eine genaue Ansprache mancher Renaults auf historischen Fotos oft kaum möglich – allenfalls das Baujahr lässt sich recht gut eingrenzen. Dies gilt auch im Fall der Aufnahme, die ich heute vorstelle, die zudem ein weiteres Rätsel aufgibt:

Renault Viva oder Nerva von 1935/36; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei diesem voluminösen Wagen ohne Trittbretter und mit halb im Karosseriekörper versenkten Schweinwerfern fühlte ich mich zunächst an die eigenwilligen Modelle eines anderen Urgesteins der französischen Automobilgeschichte erinnert: Panhard.

Doch Panhard konnte ich anhand des Standardwerks Panhard & Levassor: Entre tradition et modernité rasch ausschließen.

So blieb als zweiter Kandidat Renault, obwohl ich mich bislang nur mit den kompakten Limousinen der Marke einigermaßen vertraut gemacht hatte.

Der dicke Brocken auf obigem Foto dagegen musste in der gleichen Leistungsliga angesiedelt sein wie das erwähnte Modell „Grand Sport“. Zur Erinnerung das seinerzeit besprochene, in Salzburg aufgenommene Foto eines offenen Modells (rechts):

Renault Viva oder Nerva Grand Sport; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Ähnlichkeit der Frontpartie erlaubt allerdings nur eine zeitliche Einordnung.

So verweisen die mittig nach unten weisende Stoßstange und der annähernd ovale Kühler zusammen mit den fünf waagerechten Luftschlitzen auf eine Entstehung zwischen Herbst 1935 und Herbst 1936.

Für Motorisierung und Typenbezeichnung kommen dagegen etliche unterschiedliche Varianten in Betracht. Die Details der Frontpartie finden sich in praktisch identischer Form beim Sechszylindermodell „Viva“ und beim Achtzylindertyp „Nerva“.

Je nach Radstand und Aufbau kommen dann Varianten wie „Vivastella“, „Vivasport“ und „Viva Grand Sport“ sowie „Nervastella“, „Nervasport“ und „Nerva Grand Sport“ in Betracht.

Wenn ich es richtig sehe, besaßen die Sportversionen von Sechs- und Achtzylinder einen kürzeren Radstand als die Normalausführungen. Zudem unterschieden sich Sechs- und Achtzylinder in der Gesamtlänge – was ohne Vergleichsmaßstab nicht hilft.

Daher muss ich es bei der heutigen Aufnahme offenlassen, welche Variante des Renault „Viva“ oder „Stella“ von 1935/36 wir hier genau vor uns haben. Vielleicht hat ein Leser Zugang zu einer (ggf. auch französischen) Quelle, die weiteren Aufschluss liefert.

Fesselnd ist das Foto dennoch – und das aus gleich zwei Gründen. So ist aus meiner Sicht rätselhaft, wo es entstanden ist. Dabei sollte man sich nicht von dem Herrn mit Baskenmütze neben dem Renault in die Irre führen lassen.

Auf dem Originalabzug sind nämlich noch einige andere Herrschaften zu sehen:

Die seitlich im Hintergrund stehenden Männer tragen Pelzkappen, wie sie für osteuropäische Länder üblich waren, auch ihre rundlichen Gesichter wollen mir wenig französisch erscheinen, wenn eine solche Einordnung erlaubt ist.

Denkbar wäre eine Aufnahme in den Karpaten beispielsweise – leider gibt das Nummernschild des Renault in punkto Zulassung wenig her. Nicht auszuschließen ist, dass der Wagen und sein Besitzer Gäste aus Frankreich waren.

Vorschläge zur Erläuterung dieser für mich rätselhaften Situation sind willkommen, am besten über die Kommentarfunktion, dann haben auch andere Leser etwas davon.

Zum Abschluss möchte ich aber noch auf ein weiteres Detail eingehen, das vielleicht dem einen oder anderen Betrachter aufgefallen ist:

Weist die Heckpartie mit der Radverkleidung nicht eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit derjenigen der späteren „Ente“ von Citroen auf?

Tatsächlich wurzelt die Gestaltung des legendären „2CV“ in der Vorkriegszeit und ist so französisch wie das Erscheinungsbild der Renaults und Panhards der 1930er Jahre.

Vermutlich hat der brilliante Schöpfer der Linien der „Ente“ – Flaminio Bertoni – bewusst an solche Traditionen angeknüpft, wie es auch die freistehenden Vorderkotflügel zeigen, die bei Erscheinen des 2CV schon von gestern waren.

Ich habe lange gebraucht, um die wahren Qualitäten der „Ente“ zu begreifen, was mit dem ungepflegten Erscheinungsbild vieler Insassen zu tun hatte. So war das jedenfalls Ende der 1980er Jahre, als die „Grünen“ das Auto noch nicht ganz für tabu erklärt hatten und gern den Citroen „2CV“ fuhren, meist mit „Atomkraft? – nein danke“-Aufkleber.

Doch bei der Betrachtung dieses Renault, der einer ganz anderen Leistungsklasse entstammt, wird meines Erachtens deutlich, dass Citroens „2CV“ gestalterisch konservativ war und ich muss sagen, dass mir das nicht nur an der Ente gefällt…

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Ein Luxusauto aus Schottland: Albion 24-30 hp

Luxus und Schottland – das mag auf den ersten Blick nicht zusammengehen. Jedem Klischee liegt ein wahrer Kern zugrunde, sonst würde es sich nicht halten – so stehen die Schotten nicht grundlos im Ruf, besonders knauserig zu sein.

Schottland fehlte es historisch an den Ressourcen, die das Leben im südlich davon gelegenen England so viel angenehmer machten.

Die Römer wussten, warum sie ihre Provinz Britannia an der Grenze zum wilden Schottland – damals Caledonia genannt – enden ließen. Diesseits des Hadrianswalls stieß die römische Landwirtschaft auf günstigere klimatische Bedingungen.

Man hätte die keltischstämmigen Schotten auch später in Ruhe lassen können, doch wie wir aus der Geschichte wissen, wollten die Engländer aus der Insel partout ein „Großbritannien“ machen, das die Schotten einbezog, ob sie wollten oder nicht.

Vielleicht hatte man sich davon inspirieren lassen, dass schon antike griechische Schriftsteller das spätere England und Schottland unter einer Bezeichnung zusammenfassten: Albion.

Ursprung und Bedeutung der wohl von frühen Seefahrern mitgebrachten oder erfundenen Bezeichnung „Albion“ sind ungeklärt. Jedenfalls hielt sie sich bis in die Neuzeit als Synonym für die Gesamtheit von England und Schottland.

Aus welchen Gründen auch immer wählten 1899 zwei Schotten namens Murray und Fulton „Albion“ zum Namen einer Automobilmarke mit Sitz in Glasgow.

Nach bescheidenen Anfängen mit Zweizylinderwagen baute man ab 1906 „richtige“ Autos – hier haben wir eines davon auf einer einsamen Landstraße:

Albion 24/30 hp; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese mit Sicherheit gut 110 Jahre alte Aufnahme wirkt auf den ersten Blick unspektakulär – nicht zuletzt aufgrund der kargen Landschaft.

Doch lässt sie erahnen, wie früh das Automobil seine privilegierten Besitzer dazu inspirierte, sich die Welt nach eigenem Gusto und Tempo zu erschließen. Damit war das Auto das perfekte Vehikel für betuchte Individualisten.

Auch wenn die heutige Fahrzeugdichte – unter anderem Ergebnis einer seither stark gestiegenen Bevölkerungsdichte – diese Freiheit nur noch selten erlebbar macht, ist die Faszination des eigenen Wagens allen Unkenrufen zum Trotz ungebrochen.

Noch faszinierender ist freilich die ungeheure Vielfalt von Konzepten, Marken und Typen, die einst völlig ohne staatliche Intervention eine anfangs unvollkommene Erfindung binnen weniger Jahre zu einer verlässlichen Angelegenheit machte.

Dieser luxuriöse Tourenwagen ist perfekter Ausdruck dieser phänomenalen Entwicklung:

Worum es sich hier handelt, fand ich nur durch Zufall heraus. Den Originalabzug aus meiner Sammlung hatte ich wiederholt unter die Lupe genommen, doch fehlte es mir an Hinweisen, in welche Richtung ich forschen sollte, um den Hersteller herauszufinden.

An dieser Stelle zeigte das gute alte Autobuch mal wieder, wozu es gut ist.

Denn beim ziellosen Durchblättern meiner schon reichlich zerfledderten Ausgabe von Nick Georganos „Complete Encyclopedia of Motorcars“ von 1973 stieß ich auf Seite 81 auf eine Aufnahme genau dieses Fahrzeugs.

Es handelt sich um einen Albion 24/30 hp Tourer, wie er ab 1906 als erstes Vierzylindermodell der gerade einmal sieben Jahre alten Marke aus Glasgow gebaut wurde. Der Motor übertrug seine Kraft über eine Kette vom Getriebe auf die Hinterachse.

Wer auf folgender Ausschnittsvergrößerung genau hinsieht, kann nach vollziehen, dass dieser Wagen mit dem markanten Kühlerausschnitt tatsächlich kettengetrieben war:

Im Netz finden sich zwar etliche zeitgenössische Fotografien dieses Typs, die die Ansprache als Albion 24/30 hp unterstützen, doch Informationen zu weiteren technischen Details und Stückzahlen konnte ich nicht finden.

Schon 1913 endete die Geschichte der PKW-Produktion unter der Marke Albion. Man verlegte sich auf Nutzfahrzeuge, die man noch über Jahrzehnte unter eigenem Namen weiter produzieren sollte, von 1951 bis 1972 im Leyland-Konzern.

1980 endete die Fahrzeugproduktion im Albion-Werk im Glasgower Stadtteil Scotstoun. Doch Liebhaber von Nutzfahrzeugen der ehrwürdigen Marke kennen bis heute Albions Motto „Sure As The Sunrise“, einst das Versprechen verlässlicher Mobilität.

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Start in die 20er Jahre: Adler-Spitzkühlertypen

Anfang Januar 2020 – nun beginnen die 20er Jahre, „unsere“ 20er Jahre.

Was mögen sie bringen? Golden werden sie vielleicht ebensowenig sein wie es die 1920er – der Nostalgie zum Trotz – im Alltag für die meisten unserer Vorfahren waren.

Leider scheinen unsere 20er Jahre erneut vom Kampf zwischen bürgerlichem Individualismus und dem Kollektivwahn der Sozialisten beherrscht zu sein. Der Konflikt erlebte 1989 nur einen Waffenstillstand – gerade beginnt eine neue Runde, fürchte ich.

Blenden wir 100 Jahre zurück – unter welchen Vorzeichen stand damals der Auftakt der 20er Jahre? Nun, zumindest in punkto Automobil entsprachen die Verhältnisse im wesentlichen denen von 1914.

Das will ich heute anhand von Dokumenten und Fotos der Frankfurter Marke Adler zeigen. Den Beginn macht die folgende Reklame von 1914:

Adler-Reklame von 1914; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Auf dieser Annonce sehen wir einen Adler mit dem gerade neu eingeführten Spitzkühler – der Zahl der Luftschlitze nach zu urteilen hat man sich an einem großen Modell orientiert.

In Frage kommen die Typen 28/55, 30/70 und 35/80 PS. Während des Ersten Weltkriegs wurden diese Giganten mit 6,5 bis 9 Liter Hubraum weiterproduziert, wenn man der folgenden Reklame von 1917 glauben darf:

Adler Reklame von 1917; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Vermutlich hat der Grafiker der Adlerwerke einfach die Verhältnisse von 1914 fortgeschrieben.

Doch das Erscheinungsbild der Adler-Wagen sollte noch nach Kriegsende bis in die 1920er Jahre so bleiben, wie diese ab 1920 entstandene Aufnahme illustriert:

Adler-Tourenwagen um 1920: Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ob es nun ein Fahrzeug aus der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg oder aus der Zeit danach ist, lässt sich kaum feststellen. Elektrisch betriebene Scheinwerfer wurden schon 1914 angeboten und nach 1918 baute Adler eine ganze Weile alte Modelle weiter.

Mittlerweile konnte ich etliche Fotos solcher Wagen dingfest machen – bloß lassen sie sich mangels aussagefähiger Literatur zu den Adler-Modellen um 1920 keinem bestimmten Typ zuordnen – eigentlich unglaublich, bedenkt man die einstige Bedeutung der Marke.

Hier haben wir gleich den nächsten Kandidaten, wiederum einen mächtigen Tourenwagen, vermutlich mit einer Motorisierung zwischen 40 und 60 PS:

Adler Tourenwagen um 1920; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Normalerweise wäre jedes dieser Prachtexemplare, die nach dem 1. Weltkrieg unvorstellbare Luxusobjekte darstellten, eine ausführliche Besprechung wert, doch – wie gesagt – gibt es praktisch keine publizierten Dokumente dazu.

Allerdings glaube ich, dass sich in Sammlerhand genügend Prospekte, Zeitungsberichte und Reklamen befinden, die näheren Aufschluss über diese Typen geben könnten. Wer etwas in dieser Richtung beisteuern kann, würde damit zum Schließen eaklatanter Lücken in der Adler-Automobilhistorie beitragen.

Neben obigen Aufnahmen desselben Typs hat Leser Matthias Schmidt aus Dresden ein weiteres Spitzenfoto beigesteuert. Es zeigt wohl keinen Vorkriegswagen mehr , sondern eine darauf basierende, äußerlich modernisierte Version:

Adler Tourenwagen, frühe 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt

An diesem Exemplar, das mit seiner schrägstehenden und mittig unterteilten Frontscheibe eine beinahe sportliche Anmutung hat, ist das typische Adler-Emblem weit besser zu erkennen als an den bisherigen Fotos.

Wie man sieht, war das dreieckige Emblem im Lauf der Zeit an unterschiedlichen Stellen angebracht. Hier ist es in der Mitte des Kühlergrills montiert; bei den vorherigen Aufnahmen war es ansatzweise am oberen Ende des Kühlernetzes zu erkennen.

Weitere Unterschiede, die auf ein gehobenes Modell schließen lassen, sind die größere Zahl an Radspeichen (ein Hinweis auf ein schwereres Chassis) und die Blechverkleidung an den vorderen Rahmenauslegern.

Den Adler-Freunden sollte bei solchen Zeitzeugen eigentlich das Herz aufgehen – gleiches hoffe ich von den sicher existierenden privaten Archiven.

Zufällig bin ich zum 1. Januar 2020 Mitglied des Adler Motor Veteranen Clubs (AMVC) geworden, sodass ich zuversichtlich bin, in Zukunft endlich auch sachkundig über die großartigen Adler-Spitzkühlermodelle der frühen 1920er berichten zu können.

Zumindest insofern hoffe ich auf ein goldenes Jahrzehnt, das vor mir und meinen geschätzten Lesern liegt, denen ich Anregungen und Bildmaterial, Ergänzungen und Korrekturen sowie nicht zuletzt Zuspruch für dieses Blog-Projekt verdanke!

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Unterwegs durch die deutsche Geschichte im DKW „Front“

Heute befasse ich mich nicht mit eigenwilligen Konstruktionen, in Vergessenheit geratenen Nischenherstellern oder Luxusautomobilen für die oberen zehntausend.

Nein, heute geht es anhand von Fotos eines durch und durch bodenständigen Fahrzeugs durch einige Episoden der deutschen Geschichte – begleitet vom unverkennbaren Sound und „Duft“ eines Zweitaktmotors.

Die Reise beginnt in einem Ort, von dem ich nie zuvor gehört hatte – Tangermünde.

Kein Wunder: als Schüler an einem hessischen Gymnasium der 1970/80er Jahre erfuhr man so gut wie nichts von der reichen Geschichte des östlichen Teils Deutschlands. Dieser sollte einem nach den Wünschen der roten Ideologen in der damaligen Schulbürokratie Hessens möglichst fremd bleiben.

So wäre ich von mir aus unmöglich darauf gekommen, dass die folgende Aufnahme einst vor dem spätmittelalterlichen Rathaus der einstigen Hansestadt und zeitweiligen Kaiserresidenz Tangermünde entstand:

DKW_F4_Meisterklasse_Tangermünde_Ostern_1937_Galerie

DKW F5 in Tangermünde; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der großartige Bau kann heute noch in voller Schönheit bewundert werden, wie auch das gesamte Städtchen fast unbeschadet durch den 2. Weltkrieg gekommen ist und von den Verheerungen der sog. Moderne verschont geblieben ist.

Das Kleinod, das im Nordosten Sachsen-Anhalts an der Mündung des Tangers in die Elbe liegt, lebt vor allem von ihrer über Jahrhunderte gewachsenen Schönheit, die auch durch Autoverkehr kaum beeinträchtigt wird.

An Ostern 1937, als diese Aufnahme entstand, waren Automobile noch weit seltener als heute – der einzige Wagen auf dem ansonsten leeren Platz vor dem Rathaus war dieser DKW-Frontantriebswagen:

DKW_F4_Meisterklasse_Tangermünde_Ostern_1937_Ausschnitt

Auch wenn die Aufahme etwas verwackelt und die Ausschnittsvergößerung heftig ist, sieht man genug, um den DKW als Typ F5 „Meisterklasse“ ansprechen zu können.

Die ab 1931 gebauten DKW-Fronttriebler mit ihrem einfachen, aber zuverlässigen und anspruchslosen Zweizylinder-Zweitaktmotor wurden äußerlich stetig weiterentwickelt und lassen sich daher anhand kleiner Details recht gut datieren.

Die breiten schrägstehenden Luftschlitze in der Motorhaube und die seitlichen „Schürzen“ an den vorderen Schutzblechen finden sich zwar bereits beim 1934 eingeführten Typ F4 „Meisterklasse“.

Doch zwei Elemente verweisen hier auf den Nachfolger F5 „Meisterklasse“, dessen Produktion noch Ende 1934 anlief: Der F5 besaß eine bis über den Schweller nach unten reichende Tür und verfügte über größere Radkappen als der F4.

Hier zum Vergleich das Foto eines sonst fast identischen DKW F4 in der Standardausführung als Cabrio-Limousine:

DKW_F4_Fernpass_Ostern_1938_1_Galerie

DKW F4 am Fernpass; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Man erkennt hier, dass die Tür vorne abgerundet war und oberhalb des Schwellerabschlusses endete. Im direkten Vergleich wirken zudem die Radkappen kleiner als beim DKW F5 aus Tangermünde.

Diese schöne Winteraufnahme ist ebenfalls datiert – sie entstand an Ostern 1938 am rund 1.200 Meter hoch gelegenen Fernpass in den österreichischen Alpen, über den bereits die Römer eine erste befestigte Straße bauten.

Vom selben Fahrzeug entstand bei dieser Gelegenheit eine weitere Aufnahme, diesmal im Schneetreiben:

DKW_F4_Fernpass_Ostern_1938_2_Galerie

DKW F4 am Fernpass; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Gut gefällt mir die lässige Eleganz, mit der die wackere DKW-Passagierin das wenig erbauliche Wetter ignoriert.

Auch darin wird deutlich, wieviel sich seit jener Zeit gewandelt hat – und das nicht nur zum Guten. Erst kürzlich sah ich einheimische Männer mit Handschuhen bei acht Grad Plus den Weg vom Parkplatz zum Eingang des Supermarkts absolvieren…

Auch was die Klarheit des Schriftbilds auf dem Nummernschild angeht, sehe ich die heutigen Verhältnisse nicht als Fortschritt an. Irgendwo las ich, dass die verunglückt wirkende Schrift auf den deutschen „Euro“-Kennzeichen (und nur dort) maschinenlesbar sein solle.

Abgesehen davon, dass auf deutschen Straßen zahllose ausländische Fahrzeuge mit allen möglichen anderen Schriften unterwegs sind, die problemlos erfassbar sind, zeigt gerade diese Ausschnittsvergrößerung aus einem rund achtmal so großen Foto wie gut die hierzulande früher gebräuchliche Schrift selbst auf große Distanzen unter ungünstigen Bedingungen zu lesen ist.

Der Wimpel am in Fahrtrichtung rechten Kotflügel verweist auf die deutsche Nationalität des DKW – sie ist nicht zwangsläufig als Bekenntnis zur national-sozialistischen Ideologie zu interpretieren.

Natürlich kommen wir an der ab 1933 von Berlin aus ausgeübten Diktatur nicht vorbei – wenn wir uns mit deutschen Wagen jener Zeit beschäftigen. Da das NS-Regime in freien Wahlen nie eine Mehrheit der Wähler gewinnen konnte, liegt es mir jedoch fern, alle Menschen auf solchen Zeitdokumenten reflexartig damit zu identifizieren.

So können wir nicht wissen,wie beispielsweise diese Bewohner der Reichshauptstadt bei der letzten freien Reichstagswahl Anfang 1933 votierten, bei der die NSDAP dort lediglich 31,2 % der Stimmen erhielt:

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DKW F4 aus Berlin; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Interessant an diesem DKW – zweifellos wieder ein Typ F4 von 1934 – ist das ungewöhnliche Farbschema mit hellem Karosseriekörper und dunkel abgesetzten Partien (Schutzbleche, Motorhaube, Dach).

Das war offenbar eine privat in Auftrag gegebene, durchaus gelungene Lackierung, die an die „Front Luxus“-Ausführungen erinnert, die bei DKW für einen Aufpreis in Ganzstahlausführung mit Drahtspeichenrädern und Ledersitzen erhältlich war.

Offenbar müssen diese hocheleganten Luxusversionen auch manche Besitzer standardmäßiger DKW inspiriert haben.

Ein trauriges Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte scheint dagegen in der folgenden Aufnahme auf, auch wenn man es ihr auf den ersten Blick nicht ansieht.

DKW_F4_Meisterklasse_Mädchen_Galerie

Dieser hervorragend getroffene serienmäßige DKW F4 „Meisterklasse“ war dem Nummernschild nach zu urteilen im einstigen Landkreis Glatz in Schlesien zugelassen.

Das Auto hinterlässt zwar noch einen glänzenden Eindruck, dem Reifenprofil und dem Lack der Frontpartie nach zu urteilen, war der DKW zum Zeitpunkt der Aufnahme aber gewiss nicht mehr neu.   

Setzt man als spätestes Datum dieses Fotos 1939 an – danach mussten privat weitergenutzte PKW Tarnscheinwerfer besitzen – sollte das kleine Mädchen, das uns hier so freundlich anschaut, wenige Jahre später sein Zuhause verlieren.

Vermutlich floh es wie meine ebenfalls schlesische Mutter im Februar 1945 mit Ihrer Familie in einem der letzten Züge vor der näherrückenden Sowjetarmee gen Westen und absolvierte einen Großteil des Wegs durch Böhmen nach Bayern zu Fuß.

Mehr als einen kleinen Koffer wird es dabei nicht bei sich gehabt haben. Der enthielt neben etwas Kleidung und Waschzeug die wichtigsten Urkunden und Zeugnisse, das Sparbuch und auf jeden Fall den kostbarsten Besitz: das Fotoalbum.

So muss uns dieses schöne und zugleich bedrückende Dokument erhalten geblieben sein. Es erzählt davon, dass nicht nur in den von Deutschen verheerten Nachbarländern sondern auch bei uns einer unschuldigen Generation alles genommen wurde.

Übrig blieb ein geschlagenes und aus meiner Sicht bis heute traumatisiertes Volk, dem auch rund 75 Jahre nach Ende der national-sozialistischen Herrschaft ein gesundes Verhältnis zu sich selbst unmöglich erscheint.

Sinnbildlich dafür steht aus meiner Sicht diese letzte Aufnahme eines DKW F4 „Meisterklasse“, die kurz nach dem Krieg entstanden ist:

DKW_F4_Cabriolet_Nachkrieg_Galerie

DKW F4 nach dem 2. Weltkrieg; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Gesichter sind ernst, der Kamera abgewandt. Die Kleidung ist stark getragen und nachlässig. Vom ausgeprägten Stilbewusstsein breiter Schichten der 1930er Jahre ist fast nichts übriggeblieben.

Der DKW sieht ebenfalls ziemlich mitgenommen aus. Auch er weist eine nicht standardmäßige Zweifarblackierung auf wie bereits der Wagen aus dem Berlin der Vorkriegszeit. Allerdings sind hier zusätzlich die Kotflügel hell lackiert und nur die Partie oberhalb der Gürtellinie ist dunkel gehalten.

Sonderlich überzeugend finde ich das Ergebnis nicht, aber soviel ist klar:

Aus historischer Perspektive sind alle hier gezeigten Fahrzeuge auf ihre Weise authentisch. Sie stehen jeweils für unterschiedliche Epochen und Ereignisse der Geschichte unseres Landes, die allesamt eine Beschäftigung verdienen, ob es einem im Einzelnen gefällt oder nicht…

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Erbstück von Porsche: Mercedes-Benz 12/55 PS

Es ist schon eine Weile her, dass sich Porsche-Fahrer mit bloßen 55 PS in Wallung versetzen ließen: Mit dieser überschaubaren Leistung lief der 356 der frühen 1950er Jahre über 150 km/h und ließ damit alles in seiner Hubraumklasse hinter sich.

Geht man zurück in die 1920er Jahre, gab es schon einmal einen „Porsche“ mit 55 PS. Die wurden zwar aus dem doppelten Hubraum gewonnen – 3 Liter – hatten aber auch mit weit mehr als dem doppelten Gewicht zu kämpfen.

Die Rede ist vom Mercedes-Benz 12/55 PS, der im Wesentlichen eine Konstruktion von Ferdinand Porsche war, der in den 1920er Jahren zeitweilig in Stuttgart wirkte.

Eher untypisch für Porsches Schaffen war die konventionelle Konstruktion des Sechszylinders, dem mit seitlich stehenden Ventilen jede Agilität abging. Das Aggregat erwies sich vor allem bei den fast zwei Tonnen schweren Limousinen als heillos überfordert – beim Tourer mit seinen 1800 kg sah es kaum besser aus.

Nun rechne man noch das Gewicht einer siebenköpfigen Besatzung wie hier dazu :

Mercedes_Tourer_Galerie

Mercedes Tourenwagen der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das Foto ist nicht das allerbeste, doch zeigt es eindeutig einen Mercedes-Tourenwagen ähnlich dem, den ich heute anhand drei sehr schöner Aufnahmen vorstellen darf.

Ich habe die Aufnahme bewusst gewählt, da sie genügend zeigt, um eine grobe Einordnung des Wagens zu erlauben, gleichzeitig aber alles verbirgt, was eine genaue Identifikation erlaubt:

  • Besitzt der Wagen noch einen Spitzkühler wie praktisch alle Mercedes-Wagen vor dem Zusammenschluss mit Benz 1926? Oder trägt er schon einen Flachkühler?
  • Sind die Luftschlitz in der Motorhaube in diese eingeprägt oder Teil eines separaten Blechs, das in die Haube eingesetzt wurde?
  • Befindet sich das Lenkrad noch auf der rechten oder schon auf der linken Seite?

Ohne eindeutige Antwort auf diese Fragen muss die genaue Typbezeichnung dieses Wagens aus meiner Sicht offen bleiben.

Das wenige, das man sieht, findet sich an so unterschiedlichen Typen wie dem Kompressormodell 15/70/100 PS, dem 50-PS-Typ „Stuttgart“ 260 und dem eingangs erwähnten Mercedes 12/55 PS.

Dank Leser Klaas Dierks habe ich das Vergnügen, heute gleich drei Aufnahmen der letztgenannten Porsche-Entwicklung 12/55 PS zeigen zu können – hier Nr. 1:

Mercedes_12-55_ PS_Tourer_Dierks_1_Galerie

Mercedes-Benz 12/55 PS Tourer; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Dieser Wagen kommt auf dieser Aufnahme schon ziemlich eindrucksvoll und zugleich sieht man hier alles, was die Identifikation erlaubt. Typisch für das ab 1926 gebaute Sechszylindermodell 12/55 PS sind zusammengenommen folgende Details:

  • in die Motorhaube eingeprägte, recht breite Luftschlitze, die deutlich unterhalb des oberen Endes des Seitenteils enden
  • vom Aufbau optisch separierte Schwellerpartie mit oben abgerundeten Trittschutzblechen unterhalb der Türen
  • deutlich hinter dem Ende der hinteren Tür ansetzendes Verdeckgestänge
  • Stahlspeichenräder mit vernickelter Nabenkappe (noch keine Radkappe)
  • Flachkühler mit Mercedes-Benz Emblem statt nur Mercedes-Dreizack
  • Lenkrad in Fahrtrichtung links

Kombiniert miteinander finden sich diese Elemente nur beim Mercedes-Benz 12/55 PS.

Übrigens war auch dieser mächtig eindrucksvolle Tourenwagen einst mit mindesten sieben Insassen unterwegs. Eine zweite Aufnahme des Mercedes bei derselben Gelegenheit zeigt nämlich zwei zuvor unsichtbar Herren:

Mercedes_12-55_PS_Tourer_Dierks_2_Galerie

Mercedes-Benz 12/55 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Ob die beiden dienstbaren Geister am Heck – einer davon eventuell ein Polizist  – darauf anspielen wollten, dass der prächtige Mercedes ein wenig untermotorisiert war?

Wie dem auch sei: zumindest beim Hersteller war man sich bewusst, dass es der Porsche-Konstruktion, wenn schon nicht an Spitzenleistung, so doch an Elastizität mangelte.

Daher verbaute man ab 1927 – also ein Jahr nach Produktionsbeginn – ein überarbeitetes Aggregat, dass dieselbe Leistung aus 3.030 statt zuvor 2.968 cccm Hubraum schöpfte und zudem schon bei 3.200 statt 3.500 Umdrehungen pro Minute erreichte.

Wiederum ein Jahr später – 1928 – vergrößerte man den Hubraum nochmals etwas auf nunmehr 3.131 ccm. Kurioserweise wurde dabei meist von einem 3,2 Liter Modell gesprochen, die Spitzenleistung aber weiterhin mit nur 55 PS angegeben.

Etwas merkwürdig muten diese Angaben schon an.

Entweder leistete der Mercedes 12/55 PS anfänglich weniger als behauptet oder man hielt trotz Hubraumvergrößerung um insgesamt mehr als 150 ccm wider besseres Wissen an der gewohnten PS-Angabe fest, weil man den Kunden nicht mit so kurzfristigen Änderungen der Modellbezeichnung behelligen wollte.

Da alle Varianten so oder so gut für Tempo 100 km/h gut waren – auf den damaligen Landstraßen mehr als ausreichend – mögen sich viele Kunden auch wenig um solche Details geschert haben.

Einen Mercedes dieses Kalibers  – bei dem bereits das motorisierte Chassis ohne Karosserie fast 10.000 Reichsmark kostete – kaufte man, weil man es sich leisten konnte, nicht wegen der Leistung.

Tatsächlich gewinnt man auch auf der dritten Aufnahme dieses Mercedes-Tourenwagens des Typs 12/55 PS den Eindruck, dass die Damen und Herren es nicht sonderlich eilig hatten und den exklusiven Wagen auch so genossen:

Mercedes_12-55_ PS_Tourer_Dierks_3_Galerie

Mercedes-Benz 12/55 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Unter normalen Umständen wäre es praktisch unmöglich, diese Heckansicht auch nur einer bestimmten Marke zuzordnen.

Doch da hier drei zusammengehörige Aufnahmen vorliegen, kann ich zum einen die selten abgebildete Heckpartie eines Mercedes-Benz 12/55 PS zeigen.

Zum anderen lässt sich anhand des Nummernschilds sagen, dass dieser Wagen wohl im Regierungsbezirk Düsseldorf zugelassen war (vgl. A. Herzfeld, Handbuch Deutsche Kfz-Kennzeichen, Band 1, S. 59).

Was mag nun aus diesem großen und einst enorm teuren Wagen geworden sein?

Im 2. Weltkrieg wurden solche Fahrzeuge ja kaum eingezogen. Zwar war dieser Mercedes 12/55 PS bei Kriegsausbruch 1939 je nach Baujahr nur gut zehn Jahre alt, aber er war wohl schlicht zu schwer und zu leistungsschwach.

Man darf nicht vergessen, dass zehn Jahre damals einer ganzen Fahrzeuggeneration entsprachen, also einen Entwicklungssprung repräsentierten wie heute etwa 25 Jahre.

Da zumindest bei Kriegsbeginn massenweise PKW mit besserem Leistungsgewicht in dieser Klasse verfügbar waren, wird dieser Mercedes wohl den Krieg über in irgendeiner Garage vor sich hingeschlummert haben.

Dann mag er entweder einem der über 240 Bombenangriffe auf Düsseldorf zum Opfer gefallen sein, die über 90 % der historischen Kernstadt vernichteten. Oder er mag in der frühen Nachkriegszeit zum Schrott gewandert sein, weil sich ein dermaßen schweres und durstiges Gefährt wohl nicht einmal als Behelfsfahrzeug eignete.

Wir können nach Lage der Dinge davon ausgehen, dass diese drei Fotos, die Leser Klaas Dierks aus dem Netz gefischt hat, alles sind, was von dem schönen Mercedes-Tourenwagen und einem vergnüglichen Ausflug damit vor 90 Jahren geblieben ist…

Nachtrag: Je nach Baujahr könnte der Mercedes-Benz 12/55 auf den hier gezeigten Fotos auch im Bereich des Polizeipräsidiums Köln zugelassen gewesen sein (den Hinweis verdanke ich Helmut Kasimoriwicz). Ab 1928 scheint der zuvor Düsseldorf zugeschlagene Nummernkreis an Köln übertragen worden zu sein. Das Schicksal des Mercedes dürfte dort aber kaum ein anderes gewesen sein.

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1925: Ein früher Chrysler „Six“ in Deutschland

Chrysler – wer denkt da nicht mit Grausen an die gescheiterte Fusion mit Daimler-Benz vor über 20 Jahren? Kaum weniger gruselig, was heute unter dem gemeinsamen Dach von Fiat-Chrysler auf den Markt kommt.

Dass ehedem große Namen der Automobilindustrie ihre besten Tage hinter sich haben, wird noch deutlicher, vergegenwärtigt man sich deren Rang in der Vorkriegszeit .

Vermutlich ist kaum jemandem heute bewusst, was Walter Chrysler mit seiner 1924 aus dem Nichts geschaffenen Marke für ein unternehmerisches Husarenstück gelang.

Nach diversen Stationen in der US-Automobilindustrie ließ Chrysler von ehemaligen Willys-Ingenieuren einen 6-Zylindertyp entwickeln, der am damaligen Markt seinesgleichen suchte.

Aus 3,3 Liter Hubraum gewann der Chrysler Six eine für amerikanische Verhältnisse sehr hohe Leistung von fast 70 PS. Zum Vergleich: Das erst ab 1927 gebaute Model A von Ford bot bei identischem Hubraum lediglich 40 PS.

Auch die hydraulischen Vierradbremsen am Chrysler waren 1924 bei einem Serienwagen außergewöhnlich – damals besaßen viele deutsche Autos noch nicht einmal mechanische Vorderradbremsen.

Kein Wunder, dass Chrysler von dem nur 1.500 Dollar kostenden Wagen noch im ersten Modelljahr über 30.000 Stück absetzte. Mit amerikanischer Geschäftstüchtigkeit erschloss Chrysler in Windeseile auch den internationalen Markt.

So fand schon 1925 – ein Jahr nach Firmengründung – sogar am darniederliegenden deutschen Automarkt ein Chrysler „Six“ einen Käufer, und zwar dieser:

Chrysler_Six_1925_Galerie

Chrysler „Six“ von 1925; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme ist ein gutes Beispiel dafür, welche Aussagekraft eine auf den ersten Blick belanglose Privataufnahme haben kann.

Wer sich fragt, weshalb im Wachstumsmarkt des 21. Jahrhunderts – der Informations- und Kommunikationstechnik – amerikanische Anbieter die Nase vorn haben, obwohl es auch vielversprechende Ansätze hierzulande gab, findet hier einen Vorläufer.

Die US-Firmen fackelten schon in den 1920er Jahren nicht lange und gingen sofort zum Angriff auf ungesättigte Märkte über, an denen einheimische Hersteller die inländische Nachfrage nicht stillen konnten.

Die Geschwindigkeit, mit der eine neugeschaffene Automarke wie Chrysler vor fast 100 Jahren ausgerechnet auf dem entlegenen deutschen Markt Fuß fasste, nötigt dem heutigen Betrachter Respekt ab.

Zugleich wirft es ein bezeichnendes Licht auf den Zustand der einheimischen Autobauer, wenn Kunden auf Tradition und „deutsche Wertarbeit“ pfiffen und stattdessen das Produkt eines amerikanischen Newcomers bevorzugten.

Dabei reden wir nicht von einem banalen Konsumgegenstand, bei dem man sich auch einmal einen Fehlgriff leisten kann, sondern von einem damals hochexklusiven Fortbewegungsmittel, das für die meisten einen unerreichbaren Luxus darstellte.

Woran erkennt man aber nun so einen frühen Chrysler? Nun, das verrät das heute vorgestellte Foto trotz einiger technischer Mängel:

Chrysler_Six_1925_Galerie2

Dass wir es mit einem Chrysler der 1920er Jahre zu tun haben, verrät schon einmal die Kühlerfigur – ein geflügelter Helm.

Die Trommelscheinwerfer, die Positionsleuchten vor der Frontscheibe, die Trittschutzbleche am Schweller unterhalb der Türen und die Ausführung der seitlichen Zierleisten und Türgriffe finden sich präzise so wieder auf dem Foto einer 1925er Chrysler „Six“ Limousine im Standard Catalog of American Cars von Kimes/Clark (Ausgabe von 1985, S. 307).

Die Holzspeichenräder mit abnehmbaren Felgen passen ebenfalls (nur der Tourer besaß Scheibenräder).

Aufpreispflichtiges Zubehör wie Doppelstoßstangen, Weißwandreifen und seitlich montiertes Ersatzrad sparte sich der Besitzer dieser Chrysler Limousine des Typs B-70 offenbar, abgesehen von den erwähnten „Step Plates“.

Angesichts des technischen Befunds lässt dieser Chrysler „Six“ von 1925 wenig zu wünschen übrig. Der damalige Käufer wusste, dass er damit ein auf dem deutschen Markt in dieser Klasse konkurrenzloses Auto erhielt.

Nur eine Sache würde ich gern noch wissen: Wo ist die Aufnahme mit der Chrysler-Limousine von 1925 einst entstanden?

Der Gebäudekomplex mit mittelalterlicher Befestigung im Vordergrund und hochaufragendem gotischem Kirchturm dahinter müsste doch identifizierbar sein:

Chrysler_Six_1925_Galerie3

Nachtrag: Dank eines Leserhinweises ließ sich die anlage als Kloster Bebenhausen in Bade-Württemberg identifizieren – heute sieht es dort noch genauso aus: https://www.luftbildsuche.de/info/luftbilder/das-kloster-bebenhausen-thuebingen-baden-wuerttemberg-163697.html?fbclid=IwAR2kzM_ZAqiW4JtCjzrxXHZzF4lv4KnrEaFYVBmLcl385h_SWNZnWy58hNk

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Kommt eigentlich immer gut an: Ein Horch 8 Typ 375

Nach einigen Jahren nicht sonderlich zielgerichteten Sammelns – und auch dank etlicher Leser  -kann ich aus einem fast schon beängstigenden Fundus an bislang unpublizierten historischen Fotos von Vorkriegsautos schöpfen.

Da ist die Versuchung groß, ständig etwas „Neues“ zu bringen, um die Leserschaft bei Laune zu halten.  Das vorhandene Material würde das mühelos hergeben.

Doch kehre ich auch gern zu alten Bekannten zurück, von denen ich glaube, dass sie bei Freunden europäischer Vorkriegsautos im wahrsten Sinne des Wortes immer gut ankommen, beispielsweise dieses Exemplar:

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Horch 375; originale Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Natürlich kommt einem das „Gesicht“ dieser prachtvollen Limousine mit Zulassung im Raum Berlin irgendwie bekannt vor, aber etwas hält einen davon ab, spontan den richtigen Typ zu benennen.

Man könnte auf den ersten Blick geneigt sein, hier einen Luxuswagen US-amerikanischer Provenienz zu vermuten – der opulent verchromte Kühler und die dreiteilige Stoßstange würde gut dazu passen.

Doch zumindest ein deutscher Hersteller stattete einst seine Wagen ebenfalls mit entsprechend aufwendigem Zierrat aus – Horch aus Zwickau. Das würde auch zur Präsenz von Horch-Autos im Berlin der späten 1920er Jahre passen.

Für 1928 verzeichnet die Statistik 1.234 PKW der sächsischen Marke im Raum Groß-Berlin. Damit lag Horch knapp hinter Adler und Brennabor an sechster Stelle bei den Marken aus deutschsprachigen Ländern.

Welches Modell kommt nun aber als wahrscheinlichster Kandidat in Betracht? Um das Ergebnis vowegzunehmen: der Horch 8 Typ 375, der von 1929-31 gebaut wurde.

Auf den ersten Blick erscheint das unplausibel, betrachtet man die Kühlerpartie dieses bereits früher von mir als Horch Typ 375 identifizierten Wagens:

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Horch 8 Typ 375; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die erste Gemeinsamkeit ist die dreiteilige Stoßstange. Es gab sie meines Wissens nach bei keinem anderem deutschen Hersteller, jedenfalls nicht serienmäßig.

Allerdings genügt dieses Element noch nicht zur sicheren Ansprache des Typs. Denn wie ich einst von einem Horch-Kenner lernte, wurde eine dreiteilige Stoßstange an zwei unterschiedlichen Achtzylindertypen verbaut.

Einer davon war der Horch 8 Typ 500, der ab 1930 produziert wurde und einen neukonstruierten 100 PS starken Motor erhielt. Hier haben wir eines dieser Prachtstücke:

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Horch Typ 8 500; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Im Vergleich zum vorherigen Horch fällt ein Unterschied ins Auge: Beim Horch 8 des Typs 500 erstrecken sich die Luftschlitze über die gesamte Länge der Motorhaube.

Der zuvor gezeigte Horch hebt sich dadurch ab, dass die Luftschlitze nur etwa zwei Drittel der Haube belegen. Der Cadillac von 1928/29 wies dasselbe Detail auf und könnte das Vorbild dafür abgegeben haben.

Nachfolgend ein Belegfoto aus meiner Sammlung, das ich hier besprochen habe:

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Cadillac von 1928, aufgenommen in Wien; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die auffallende, wohl bei Cadillac abgeschaute Gestaltung der Luftschlitze findet sich beim Horch 8 Typ 375, der ab 1929 gebaut wurde.

Nachfolgend eine weitere Aufnahme eines solchen Horch 375, auf der man mit Ausnahme der dreiteiligen Stoßstange alle typischen Elemente wiederfindet:

  • Luftschlitze auf zwei Drittel der Haube beschränkt,
  • Positionsleuchten auf den Vorderschutzblechen,
  • glattflächige Kotflügel mit breiter umlaufender Sicke,
  • großformatige Scheinwerfer,
  • Winker vorne am Dachholm montiert.

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Horch 375; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nicht unerwähnt bleiben darf die Kühlerfigur – eine geflügelte Weltkugel. Sie taucht erstmals beim Horch 375 auf und löste den zuvor verbauten geflügelten Pfeil ab.

Nach diesem Exkurs, den hoffentlich die reizvollen Fotos aus dem einstigen Alltag dieser mächtigen Wagen erträglich gestaltet haben, sind wir nun „munitioniert“, um uns an die Bestimmung des Wagens auf der Postkarte zu machen.

Zur Auffrischung des Gedächtnisses hier eine Ausschnittsvergrößerung:

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Wir finden alle erwähnten Details wieder, die dreiteilige Stoßstange, die Verteilung der Luftschlitze, die Positionsleuchten auf den abgerundeten Kotflügeln mit umlaufender Sicke, die vorn an den Dachholmen montierten Winker.

Trotz des groben Druckrasters dieser Postkarte ist zumindest schemenhaft auch die geflügelte Weltkugel auf dem Kühlerverschluss zu erahnen.

Es bleibt als einzige Irritation das abweichende Raster des Kühlergrills. Hier würde man eigentlich die typischen senkrechten Lamellen erwarten, die den Horch 375, aber auch bereits den Vorgängertyp 350 auszeichnete.

Erklären ließe sich das abweichende Erscheinungsbild mit einem nachträglich montierten oder ab Werk als Extra verfügbaren Steinschlaggitter.

Zu denken gibt mir aber noch etwas anderes: Die Stange zwischen den Scheinwerfern sollte eigentlich eine „8“ in einem Kreis zeigen wie auf diesem Bildausschnitt:

Horch_375_Frontpartie

Könnte das spezielle Erscheinungsbild der Kühlerpartie des Horch 8 Typ 375 auf der eingangs gezeigten Postkarte Ergebnis einer Retusche sein?

Hatte dies damit zu tun, dass Horch aus Gründen des Markenschutzes eine so prominente Abbildung des Typs 375 nicht geduldet hätte? Oder wollte man beim Verlag, der die Postkarte druckte, keine Reklame für ein bestimmtes Modell machen?

Vielleicht kann ein sachkundiger Leser etwas dazu sagen.

Unabhängig von der Fragestellung hoffe ich, dass so eine Besprechung von Horch 8 Typen immer „gut ankommt“, auch wenn es sich um keine ganz große Rarität handelt.

Sonderlich selten waren diese Glanzstücke sächsischer Autombilbaukunst ja nicht. Doch finde ich, dass man ihnen immer wieder reizvolle neue Facetten abgewinnen kann. Der nächste Horch, dem ich mich widme, wird dagegen schon deutlich rarer sein…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Zweitakter mit Charakter: DKW F7 Reichsklasse Spezial

Nach längerer Abstinenz kehre ich heute wieder einmal zu den charmanten Frontantriebswagen von DKW zurück, die in den 1930er Jahren zu den meistverkauften Wagen in Deutschland zählten.

Mancher mag die Nase rümpfen, wenn er an die unkultivierten Zweitaktmotoren mit 18 bis 20 PS denkt, die in denkbar großem Kontrast zu der schönen Form der Wagen standen.

Doch das war damals der Preis, der für ein halbwegs erschwingliches Automobil hierzulande zu zahlen war. Für DKW-Kunden war wichtiger, überhaupt einen eigenen Wagen zu besitzen – wir können heute kaum ermessen, was das damals bedeutete.

Wie stolz DKW-Fahrer auf ihren (meist ersten) fahrbaren Untersatz mit vier Rädern waren, davon erzählen unzählige Fotos der Vorkriegszeit. Ein Beispiel dafür ist diese herrliche DKW-Parade:

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DKW F7 an der Reichsautobahn; Originalfoto aus Sammlung Volker Wissemann

Diese außergewöhnliche Aufnahme verdanken wir DKW-Sammler Volker Wissemann, der schon etliche Dokumente zu meinem Blog beigesteuert hat.

Hier haben sich vier DKW des ab Ende 1936 gebauten Typs F7 an einem Autobahnparkplatz zum Fototermin versammelt – herrlich übrigens die Leere auf den zum Horizont reichenden Betonbändern im Hintergrund…

Auf den ersten Blick sehen die Wagen fast identisch aus, doch wie das bei solchen Gruppenaufnahmen meist ist – einer muss aus der Reihe tanzen. Und genau mit diesem speziellen Charakter befasse ich mich heute.

Zur Identifikation der DKWs als Typ F7 genügt ein Blick auf die Partie oberhalb der Frontscheibe:

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Die Lufteinlasshutze oberhalb der Windschutzscheibe tauchte in dieser Form erstmals beim DKW F7 ab 1938 auf. Sie war wie die doppelten Scheibenwischer auf die etwas stärkere und besser ausgestattete Version „Meisterklasse“ beschränkt.

Bei näherem Hinsehen erkennt man hier, dass der Wagen mit Zweifarblackierung eine Cabrio-Limousine war, während der dunkel lackierte Nachbar einen geschlossenen Aufbau besaß.

Was aber hat es mit dem von links gezählt dritten DKW auf sich? Nun, hier fällt nicht nur der Besitzer aus dem Rahmen, der es sich im Unterschied zur übrigen DKW-Gesellschaft auf der Stoßstange gemütlich gemacht hat:

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Auch dieser Wagen ist ein DKW F7 – doch ein ganz spezieller Charakter, der nähere Betrachtung verdient.

Im Vergleich zu den anderen Wagen fällt auf, dass die Kühlermaske hier in Wagenfarbe lackiert ist, die Lufthutze an der Frontscheibe fehlt und nur ein Scheibenwischer montiert ist.

Das wäre an sich ein Hinweis auf die DKW-Basisvariante „Reichsklasse“, die nicht nur die schwächere Motorisierung aufwies, sondern auch mit weniger Zierrat auskommen musste.

DKW war allerdings stets kreativ, was die Möglichkeit der Aufwertung und Differenzierung der Basisvarianten seiner Frontantriebsmodelle anging. So bot man beim F7 gegen 100 Reichsmark Aufpreis erstmals eine Variante an, die zwischen Reichsklasse und Meisterklasse angesiedelt war – das Modell Reichsklasse „Spezial“.

Wir erkennen es auf obigem Foto an der feinen Chromleiste, die die beiden Hälfte des Kühlergrills einrahmt. Für die weiteren Unterscheidungsmerkmale können wir wiederum auf ein reizvolles Foto von Volker Wissemann zurückgreifen:

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DKW F7 Reichsklasse „Spezial“; Originalfoto aus Sammlung Volker Wissemann

Auch an dieser Limousine mit Zulassung im Raum Berlin sehen wir die feine Akzentuierung der Kühlereinfassung, die auf mich sogar raffinierter wirkt als die glänzende Chromausführung der „Meisterklasse“.

Nimmt man die Motorhaube unter die Lupe, bemerkt man nicht nur die gegenüber dem Vorgänger F5 geänderte Ausführung der Luftschlitze. Da ist auch eine entlang des Haubenscharniers verlaufende Chromleiste zu sehen, die es bei der Basisausführung „Reichsklasse“ nicht gab. Dasselbe gilt für die verchromten Haubenhalter.

Auch die verchromten Stoßstangen gehörten zur Ausstattung des DKW F7 Reichsklasse „Spezial“. Weitere Unterschiede zum spartanischen Basismodell „Reichsklasse“ fanden sich im Innenraum.

Darüber könnte die Dame mit dem gestreiften Kleid vielleicht etwas sagen, möglicherweise posiert sie hier aber auch bloß als Automobilistin.

So müssen wir uns weiterhin auf’s Äußere des DKW F7 Reichsklasse „Spezial“ beschränken, doch das muss kein Nachteil sein. Wie gekonnt DKW diese Version gegenüber der simplen Basisausführung aufgewertet hatte, sieht man auch hier:

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DKW F7 Reichsklasse „Spezial“; Originalfoto aus Privatbesitz (via Wolf-Dieter Ternedde)

Das ist eine ganz außergewöhnliche Aufnahme, noch dazu von hervorragender technischer Qualität.

Angefertigt wurde das Foto 1937 von einem Unternehmer aus Seesen (Harz), der damals mit seinem Wanderer W51/52 die Elbfähre Glückstadt-Wischhafen benutzte. Von seinem eigenen Auto sind ebenfalls Fotos erhalten, die ich gelegentlich zeige.

Dieses Dokument verdanke ich Wolf-Dieter Ternedde aus Seesen, der sich um die Geschichte seines Heimatorts einige Verdienste erworben hat. Von ihm stammt nebenbei das wunderbare Buch „Seifenkistenrennen in Seesen 1951 bis 1955“.

Besonderes Interesse an diesem DKW F7 Reichsklasse „Spezial“ verdient die Frontpartie:

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Bemerkenswert sind hier die beiden Wimpel mit den Landesflaggen des Deutschen Reichs (zu beachten: kein politisches Parteiabzeichen!) und des Königreichs Schweden in Verbindung mit dem ausländischen Nummernschild.

Der Besitzer dieses DKW, der 1937 die Elbfähre nutzte, befand sich offenbar auf einer größeren Reise – doch woher kam er? Handelt es sich um ein Kennzeichen aus Schweden oder einem anderen skandinavischen Land?

Das wird sicher ein Leser beantworten können, der sich in diesen Dingen auskennt.

Unterdessen lasse ich es bei dem Urteil bewenden, dass der DKW F7 in der Ausstattungsvariante Reichsklasse „Spezial“ ein besonderer Charakter war, der heutzutage sehr selten sein dürfte.

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„Unterwegs“! Reiselust pur mit BMW DA2 3/15 PS…

Heute kommen wieder die Freunde der ganz frühen BMW-Automobile auf ihre Kosten.  Doch es lohnt sich auch für sonstige Liebhaber historischer Mobilität bis zum Schluss dranzubleiben – denn dort lockt ein Buchtipp der besonderen Art.

BMW-Kenner werden mit der Typbezeichnung DA2 3/15 PS nicht unbedingt als erstes die pure Reiselust verbinden.

Vielmehr werden die meisten daran denken, dass der automobile Erstling mit BMW-Propelleremblem fast noch ein – nach Lizenz von Austin – gebauter braver Dixi war. Die verschuldeten Eisenacher Dixi-Werke hatte BMW 1928 übernommen.

So kam es, dass die ersten von BMW verkauften Autos im Volksmund Dixis blieben, auch wenn die Münchener Zentrale die Bezeichnung vermied.

Hier zum Vergleich ein originaler Dixi aus der Zeit vor der BMW-Übernahme:

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Dixi Typ DA1 3/15 PS; Bildrechte: Michael Schlenger

Nachdem BMW den Dixi DA1 3/15 PS noch kurze Zeit unverändert weitergefertigt hatte, bot man ab 1929 einen vor allem äußerlich leicht überarbeiteten Typ DA2 an.

Das markanteste Merkmal waren sicher die horizontalen Luftschlitze in der Haube. Doch auch an anderer Stelle hatte sich einiges getan. So war das Trittbrett zugunsten eines breiteren Innenraums weggefallen.

Für die Limousine ließ BMW einen etwas moderner wirkenden Ganzstahlaufbau vom Ambi-Budd-Presswerk in Berlin fertigen, den wir hier sehen:

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BMW Typ DA2 3/15  PS Limousine; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Verbreiteter – weil billiger – blieben jedoch die offenen Versionen, von denen schon zu Dixi-Zeiten verschiedene angeboten wurden.

Neben einer Tourenwagenausführung, von der mir bislang leider noch keine vor die Flinte gekommen ist, leistete sich BMW nun den Luxus von drei Cabriolet-Aufbauten.

Die großzügigste – mit drei bis vier Sitzen – ist hier zu sehen:

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BMW Typ DA2 3/15 PS, 3/4-sitziges Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese hübsche Foto erzählt von einem zweifellos angenehmen Wochenendausflug, doch von regelrechter Reiselust ist hier wenig zu verspüren.

Dasselbe gilt für die nächste Aufnahme, die das zweisitzige Cabriolet des BMW DA2 3/15 PS zeigt – aufgenommen auf der Kaiserstraße im hessischen Friedberg, wo ich einst zur Schule gegangen bin:

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BMA Typ DA2 3/15 PS- 2-sitziges Cabriolet; Originalfoto aus Besitz von Trude Bucher

Im feschen Dress neben dem BMW posieren, stand hier im Vordergrund. Auch dieser Wagen wurde nur lokal ausgefahren, möchte man angesichts des Formats meinen.

Nun, wir werden sehen, wie anders die Wahrnehmung der Besitzer dieser Autos war, die dadurch eine fast unbegrenzte Erweiterung ihres Horizonts erfuhren – im wahrsten Sinne des Wortes!

Eine erste Annäherung stellt folgende Aufnahme dar; auch sie habe ich wie alle bisher gezeigten schon einmal besprochen.

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BMW Typ DA2 5/13 PS; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Hier befinden wir uns auf einsamer Landstraße und der BMW – wiederum eine offene Version – scheint Anlass für einen unfreiwilligen Halt gegeben zu haben:

Immerhin verweist das Berliner Kennzeichen nun auf die Möglichkeit, dass sich jemand mit dem 15 PS-Wagen durchaus weiter von der „Zivilisation“ entfernt hat.

Warum auch nicht? Schließlich gehörte der BMW DA2 5/13 PS dank der bis ins Jahr 1922 zurückreichenden Austin Seven-Gene zu den ausgereiftesten Autos seiner Klasse. Und die unerschrockenen Briten gingen damit traditionell ja auch auf Reisen.

Weshalb also nicht auf große Tour gehen mit so einem Wagen und dabei noch gute Figur machen? Das mögen sich schließlich die Besitzer eines besonders hübschen BMW DA2 3/15 PS gedacht haben, den die nächste Aufnahme zeigt:

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BMW Typ DA2 3/15 PS, 2-sitziges Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch das ist „nur“ ein BMW DA2 3/15 PS in der Ausführung als zweisitziges Cabriolet.

Doch hier wird nicht nur Reiselust spürbar, sondern beinahe ein Hauch von Luxus. Neben der adretten Dame, die vielleicht von Vorfreude erfüllt vor sich hinzuträumen scheint, hinterlässt der feine Hutkoffer einen fast mondänen Eindruck.

Dazu passend sind hier als Extra große Chromradkappen auf den Radnaben montiert, die genau die Größe der Bremstrommeln haben und diese so kaschieren.

Abgesehen davon, dass dies ein mit sehr viel Liebe festgehaltener Moment ist, der an Ausdruck manches Werksfoto in den Schatten stellt, wird spätestens hier deutlich:

Die Besitzer eines BMW DA2 5/13 PS waren keine armen Schlucker, tatsächlich wies sie im damaligen Deutschland schon der Besitz selbst des kleinsten Automobils als privilegiert aus.

Im vorliegenden Fall scheinen wir es zudem mit Zeitgenossen zu tun haben, die besonderen Sinn für schöne Nebensächlichkeiten besitzen, oder? Nein, denn so machte man sich einst selbstverständlich zurecht, wenn es auf Reisen ging.

Wohin mag es das Paar einst getrieben haben, nachdem diese Aufnahme gemacht war? Das wissen wir leider nicht. Doch im Fall anderer reiselustiger Landsleute mit BMW DA2 3/15 PS lässt sich das recht genau sagen:

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Auf den ersten Blick lässt dieses Foto sehr zu wünschen übrig, auch wenn sich Freunde des BMW „Dixi“ sicher über jede „neue“ Aufnahme freuen.

Leser und Dixi-Enthusiast René Förschner weist übrigens mit Recht darauf hin, dass wir auch einen Typ DA4 vor uns haben könnten. Er besaß eine neuentwickelte Vorderachse, die im Unterschied zum DA2 den hier erkennbaren leichten Sturz der Räder bewirkte.

Keine Sorge, es kommt noch deutlich besser, auch wenn der BMW dann nur mehr eine Randerscheinung sein wird.

Kurios ist, dass im Moment der Aufnahme ein junger Mann auf dem Fahrrad durch’s Bild und zwischen den Besitzern des Wagens hindurch fährt. Er scheint die Situation gar nicht bemerkt zu haben, kommt nun aber ebenfalls zu spätem Ruhm…

Dem Kennzeichen nach zu urteilen, waren hier Automobilisten aus dem Raum München unterwegs. Doch woher wissen wir, dass sie nicht bloß einen Ausflug ins Umland unternahmen, sondern sich der puren Lust am Reisen im eigenen Automobil hingegeben hatten?

Die Antwort liefert das eigentliche Foto, aus dem obiger Ausschnitt stammt:

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BMW Typ DA2 3/15 PS Cabriolet an der Axenstrasse (Schweiz); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei wievielen Betrachtern mag dieses gekonnt aufgebaute Bild spontan die richtigen Assoziationen auslösen?

Ich selbst rätselte jedenfalls eine ganze Weile vergebens, bis mir ein Sammlerfreund – Raoul Rainer aus Stuttgart – den Hinweis gab, dass das Foto einst an der Axenstrasse in der Schweiz entstand.

Dabei handelt es sich um einen entlang der Ostseite des Urnersees führenden wichtigen Abschnitt der zum Gotthardpass führenden Fernverbindung.

An einer der Galerien der 1865 fertiggestellten Axenstrasse hatte von 1911 bis 1939 der Fotograf Michael Aschwanden sein Freiluftatelier.

In diesem Zeitraum fertigte er dort tausende Aufnahmen von Reisenden aller Schichten an – Ortsansässige zu Fuß und auf dem Rad, Ausflügler auf dem Motorrad oder im Bus und nicht zuletzt: Urlauber im Automobil!

Viele Aufnahmen entstanden, ohne dass die Porträtierten dafür zur Kasse gebeten wurden. Ansonsten verdiente Aschwanden sein Geld mit Touristenfotos wie obigem.

Ort und Bildaufbau sprechen dafür, dass mein Foto den Abzug eines solchen von Aschwanden für Durchreisende erstellten Originals darstellt. Eine Situation wie diese ist absolut typisch für sein Schaffen:

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Wer nun auch ohne BMW DA2 3/15 PS Lust auf eine Zeitreise bekommen hat, kann die anhand eines Buches stillen, das im deutschen Sprachraum unter den Bildbänden zur Mobilität der Vorkriegszeit wohl einzigartig ist.

So wurde 2003 ein großformatiger Fotoband mit über 250 Seiten publiziert, der rund 300 der über 7.000 Aufnahmen aus dem Werk von Michael Aschwanden zeigt:

Unterwegs auf der Axenstrasse 1911-1939, Fotografien von Michael Aschwanden, hrsg. von Melk Imboden, Benteli Verlag Bern, 2003 (antiquarisch z.B. bei http://www.zvab.com)

Aschwanden_Axenstrasse

Was einen beim Blättern durch dieses Werk so begeistert, sind nicht nur die zahllosen automobilen Schätze – darunter etliche absolute Raritäten.

Es sind vielmehr die Menschen, die einst auf dieser Route per pedes oder mit fahrbarem Untersatz unterwegs waren, und von deren Dasein Aschwanden einen winzigen Moment festgehalten hat.

Die Gesichter, in die wir schauen, sind oft von einem Ernst und einer Würde, die einen tief berühren. Man sieht gerade den Passanten an, dass ihr Leben nicht einfach war, aber sie wirken dennoch selbstbewusst und völlig in sich ruhend.

Dann wiederum gibt es Bilder, die vor Heiterkeit und Eleganz sprühen – meist sind dann eine schöne Frau und ein Herrenfahrer mit sportlichem Automobil im Spiel. Sie genießen es, einfach mit dem eigenen Tempo unterwegs zu sein – Reiselust pur.

In diese Kategorie scheinen einst auch unsere Münchener BMW-Fahrer gehört zu haben, die entlang der Axenstrasse nach Norden fuhren – vielleicht vom Gotthard kommend, der sich auf dem Foto hinter den wolkenverhangenen Bergen verbirgt…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Aus der verbotenen Stadt hinaus auf’s Land: Ford Model Y

Regelmäßige Leser meines Blogs wissen: Die Überschrift eines neuen Eintrags ist nicht immer ernst gemeint, aber sie trifft in jedem Fall zu.

Wer kein Rheinländer ist, könnte mit der „Verbotenen Stadt“ die kaiserliche Palastanlage in Peking assoziieren, die lange für den ordinären Untertan unzugänglich war. Wer jetzt an den geplanten Absperrgraben um den Reichstag in Berlin denken muss, übersieht, dass die Monarchie in Deutschland abgeschafft ist – eigentlich…

Dabei gibt es hierzulande schon lange eine verbotene Stadt – oder genaugenommen zwei – im Westen der Republik, nämlich dort wo die jahrhundertealte Rivalität zwischen Düsseldorf und Köln dazu geführt hat, dass man den Konkurrenten auf der jeweils anderen Rheinseite als „unaussprechlich“ ansieht.

Heute nehme ich Partei für die Düsseldorfer Fraktion, die aus subjektiver Sicht einen leichten Vorteil in Form des Hotels Achenbach besitzt, meiner bevorzugten Residenz während der Classic Days auf dem unweit gelegenen Schloss Dyck.

So verstehe ich hier unter der Verbotenen Stadt die Domstadt Köln mit den römischen Wurzeln, die Düsseldorf nebenbei nicht zu bieten hat. Doch weiter will ich die Rivalität besser nicht erörtern…

Jetzt geht es heute von Köln auf’s Land und dann in die weite Welt hinaus:

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Ford „Köln“, Ostern 1935; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Was hier auf einer einsamen Landstraße – offenbar mit nur einseitig asphaltierter Fahrbahn – auf uns zukommt, stammt jedenfalls eindeutig aus Köln, auch wenn das Kennzeichen auf eine Zulassung in der Hansestadt Hamburg verweist.

Die mittig nach unten geschwungene Stoßstange verrät, dass wir es hier mit keinem deutschen Entwurf zu tun haben. Man denkt spontan an französische Wagen und vor allem an amerikanische aus den 1930er Jahren.

Wie bekommen wir nun die Kurve zurück nach Köln? Ganz einfach so:

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Ford „Köln“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses schöne Foto ist im November 1935 entstanden. Es zeigt eine Limousine wie auf dem ersten Foto, doch hier mit Zulassung im Raum Hildesheim.

Auf dem nach hinten geneigten Kühlergrill mit angedeuteter Herzform ist der Schriftzug „Köln“ angebracht. Das war aber kein Bekenntnis irgendeines im protestantischen Niedersachsen gelandeten Katholiken zur Bischofsstadt am Rhein.

Nein, das war die offizielle Typbezeichnung des in England entwickelten Ford „Model Y“, das von 1933 bis 1935 auch im Kölner Ford-Werk gebaut wurde.

Es fällt schwer, diesem technisch primitiven Wagen mit 21 PS etwas Positives abzugewinnen. Immerhin war er günstiger als die gleichstarken DKW Fronttriebler mit Zweitaktmotor in der Ausführung „Meisterklasse“.

Dennoch hielt sich der Verkaufserfolg hierzulande in Grenzen; etwas mehr als 11.000 Exemplare des bieder wirkenden Ford „Köln“ entstanden bis 1936.

Freilich: Wer sich im Deutschland der 1930er Jahre überhaupt ein Auto leisten konnte  und das waren nur wenige Prozent der Bürger – hatte allen Grund, stolz auf die damit verbundene individuelle Mobilität zu sein.

Von solchem Besitzerstolz kündet die folgende Aufnahme:

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Ford „Köln“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Im Juni 1936 ist dieses hübsche Zeitdokument entstanden – wiederum im Raum Hildesheim, eventuell sogar mit demselben Wagen wie oben (ich habe die beiden Fotos allerdings unabhängig voneinander erstanden).

Sehr schön ist hier die Kombination mit einem DKW-Motorrad der späten 1920er Jahre, vermutlich einer E-206 (bestimmt weiß es jemand genau).

Die neckisch in die Kamera lächelnde Dame auf dem Vorderschutzblech des Ford mit zünftiger Lederjacke und Fahrerbrille dürfte wohl eher zur der DKW-Maschine als zu dem Wagen gehört haben, der weit behäbigere Zeitgenossen zu transportieren hatte.

So viel für heute zum einst in der „verbotenen Stadt“ produzierten Ford „Köln“. Doch hatte ich eingangs nicht das als Vorbild dienende englische Vorbild „Model Y“ erwähnt? Und war nicht außerdem die Rede von der großen weiten Welt?

Gewiss, und genau damit will ich den heutigen Blog-Eintrag schließen:

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Ford „Model Y“; Ausschnitt aus Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir nun das britische Vorbild des Ford „Köln“ in einer Aufnahme, die definitiv außerhalb der Verbotenen Stadt und auch nicht in sonstigen deutschen Gefilden entstanden sein kann.

Es handelt sich hier möglicherweise um einen Ausschnitt aus einer Werksaufnahme (der Originalabzug im Vollformat trägt leider keineBeschriftung auf der Rückseite).

Die Palmen im Hintergrund verweisen auf den ersten Blick auf ein Land in den Tropen. Doch gibt es solche Gärten und Parkanlagen auch in Südwestengland, etwa in Cornwall, wo der Golfstrom für ganzjährig warmes Klima sorgt.

Eine andere Möglichkeit wäre Australien oder Neuseeland, wo der Ford „Y-Type“ ebenfalls produziert bzw. verkauft wurde. Erkennt vielleicht jemand den Aufnahmeort?

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Ford „Model Y“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

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Kennzeichen ROMA: Der „O.M.“ von der Oma…

Der Spender des Fotos, das ich heute besprechen darf, verzeiht mir hoffentlich den Kalauer, den ich mir mit dem Titel meines Blog-Eintrags erlaubt habe.

Aber genau so verhält es sich nun einmal: Das Auto, um das es geht, gehörte einst den Großeltern von Klaus Twedell, die in der Zwischenkriegszeit in Rom lebten und deren „O.M.“ auf dem Nummernschild eine grandiose Kennung trug: „ROMA“.

Wenn ich es richtig sehe, ist es mittlerweile Geschichte, dass der Name der stolzen italienischen Hauptstadt auf Autokennzeichen voll ausgeschrieben wird.

Während meiner ersten Italienaufenthalte zu einer Zeit, als südlich der Alpen noch einheimische Marken dominierten und engagiert gefahren wurde, gab es schwarze Blechnummernschilder, die die Herkunft eines Wagens erkennen ließen.

Bei der Hauptstadt „ROMA“ erlaubte man sich den Luxus, den Namen ganz auszuschreiben – das hatte Stil und nötigte einem Respekt ab. Mit „BONN“ wäre das hierzulande auch möglich gewesen – immerhin eine römische Gründung – aber das hätte einem wohlein Lachen abgenötigt wie das heute bei „BERlin“ der Fall wäre…

Bevor ich das schöne Dokument aus Klaus Twedells Familienalbum zeige, will ich kurz die Geschichte der „Officine Mecchaniche“ – kurz „O.M.“ – aus dem oberitalienischen Brescia Revue passieren lassen.

O.M. ist hierzulande vor allem in Zusammenhang mit der legendären Mille-Miglia-bekannt. Beim Auftaktrennen 1927 belegten Wagen des Typs O.M. 665 „Superba“ die ersten drei Plätze.  Ein hübscher Zufall, dass ein in Brescia gebautes Automobil das dort beginnende Rennen so glanzvoll gewinnen sollte.

Der „O.M.“-Konzern hatte Ursprung und Sitz aber in Mailand. Dort wurde 1849 ein Kutschbaubetrieb gegründet, der sich später auf den Bau von Eisenbahnwaggons verlegte. Daraus entstand 1899 eine Aktiengesellschaft, die in ihrem Firmennamen den Zusatz „Officine Mecchaniche“ – zu deutsch „Mechanische Werkstätten“ – trug.

Das Mailänder Unternehmen erwarb 1917 die Automobilfertigung des Herstellers Brixia-Züst mit Sitz in Brescia. Die Autosparte blieb selbständig und firmierte unter „O.M. Fabbrica Bresciana di Automobili.“

Die PKW-Produktion konzentrierte sich auf die 1920er Jahre, später beschränkte man sich – nunmehr als Teil des Fiat-Konzerns – auf den Nutzfahrzeugbau.

Wie es der Zufall will, zeigte bereits das erste Foto eines OM, das ich erwerben konnte, eine Lieferwagen auf Basis des PKW-Modells 469:

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OM Typ 469 Lieferwagen; Originalfoto aus  Sammlung Michael Schlenger

Der Typ 469 war der am längsten gebaute OM. Er löste 1922 den Typ 467 ab, der wiederum Nachfolger des Erstlings 465 von 1919 war.

Die Typbezeichnungen von OM waren denkbar einfach aufgebaut: Die erste Ziffer bezeichnete die Zylinderzahl  – hier also vier  – und die folgende Zahl den Hub des Zylinders in Zentimetern.

Vom OM Typ 465 mit 1,3 Litern stieg demnach der Hubraum bis zum Typ 469 auf 1,5 Liter. Diese kompakten Motoren entwickelten für die damalige Zeit beachtliche Spitzenleistungen.

Der bis zum Ende der PKW-Produktion bei OM im Jahr 1934 gefertigte Typ 469 mit gerade einmal 1,5 Litern leistete standfeste 30 PS. Deutsche und erst recht amerikanische Hersteller boten in dieser Hubraumklasse nichts Vergleichbares.

Das mag erklären, weshalb auch der eine oder andere OM einst in Deutschland landete – dieser schöne Tourenwagen zum Beispiel:

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OM, vermutlich Typ 469; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei der genauen Ansprache der PKW-Typen von OM ergibt sich das Problem, dass es keine Literatur gibt, die die einzelnen Modelle so minutiös beschreibt, wie das beispielsweise bei den Standardwerken zu den Auto-Union-Marken der Fall ist.

Zwar liegt mir das großartige Werk über die gesamte Geschichte von OM vor  – „OM: Una Storia nella Storia“, Edizione Negri, 1. Ausgabe 1991 – doch spielen die OM-PKWs dort eine Nebenrolle, was aus historischer Perspektive auch gerechtfertigt ist.

So bleibt offen, ob die Vierzylindertypen vom 465 über den 467 bis hin zum 469 äußerlich unterscheidbar sind – speziell in der Frontansicht. Wie es scheint, änderte  sich das Erscheinungsbild mit klassischem Flachkühler über die Jahre praktisch nicht.

An dieser Stelle kommt das Foto aus dem Familienalbum von Klaus Twedell ins Spiel:

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OM Tourenwagen Typ 469 oder 665; mit freundlicher Genehmigung von Klaus Twedell

Auch wenn es schwer zu erkennen sein mag, haben wir hier den nach unten leicht breiter werdenden Kühler eines OM mit dem typischen Markenemblem vor uns.

Der irgendwo auf einer der typischen italienischen Schotterpisten inszenierte Wagen macht mächtig Eindruck – doch muss leider offen bleiben, ob es sich um ein Exemplar des meistverkauften Vierzylindertyps 469 oder um das ab 1923 parallel gebaute Sechszylindermodell 665 mit 40 PS aus 2 Litern (später 55 PS aus 2,2 l) handelt.

Der Reiz der Aufnahme wird dadurch jedoch in keiner Weise gemindert. Man erkennt die typischen zwei Ausstellfenster in der Frontscheibe und die kantig auslaufenden Vorderschutzbleche, die nach Mitte der 1920er Jahre aus der Mode kamen.

Die Doppelstoßstange nach Vorbild amerikanischer Großserienwagen wird ein nachträglich montiertes Zubehör gewesen sein, das den OM moderner wirken ließ.

Auf dem Nummernschild ist „15943 ROMA“ entzifferbar, wenn nicht alles täuscht. Das passt perfekt zur besonderen Familienhistorie von Klaus Twedell, dessen Großeltern vor dem 2. Weltkrieg eine Weile in der italienischen Haupstadt lebten.

Wer von den beiden neben dem OM posierenden Damen nun die Oma war, das weiß nur Klaus Twedell und es soll sein Geheimnis bleiben. An dieser Stelle sei ihm herzlich gedankt für dieses außergewöhnliche Dokument aus der Vorkriegszeit…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

 

 

 

 

 

Sommer adé: Nochmal auf’s Land mit dem Mercedes…

Anfang September 2019 – kalendarisch ist noch Spätsommer, doch wie fast immer um diese Zeit kündigt sich mit deutlich kühleren Nächten der bevorstehende Herbst an.

Höchste Zeit für die Großstädter, einen letzten Sommerausflug mit dem Wagen auf’s Land zu unternehmen – hier im Mercedes-Benz, zugelassen in Berlin:

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Mercedes-Benz 170 oder 200; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir vier unternehmungslustige Automobilisten aus der Zeit, als Berlin in wirtschaftlicher Hinsicht das Kraftzentrum Deutschlands war und kein Kostgänger, der von der übrigen Republik mit x-Milliarden jährlich am Leben erhalten wird.

Diese Leute aus der Reichshauptstadt hatten einst vielleicht ebenfalls den ersten kühlen Hauch des Herbstes verspürt und sich am Wochenende zu einem Ausflug ins Umland zusammengetan, um noch einmal etwas Sonne zu tanken.

Erkennt jemand, wo dieses schöne Foto eines kleinen, aber feinen Mercedes der 1930er Jahre entstand? Es muss jedenfalls eine Gegend gewesen sein, in der Salzgewinnung und Solebäder von einiger Bedeutung waren.

Meine Heimatregion – die Wetterau zwischen Taunus und Vogelsberg – kann es jedenfalls nicht gewesen sein, auch wenn hier Bad Nauheim und Bad Salzhausen prinzipiell ins Schema passen würden. Jedenfalls kann ich die markante Architektur im Hintergrund nicht in einen mir bekannten lokalen Kontext einordnen.

Übrigens diente auch folgende Cabrio-Limousine desselben Typs einst Berliner Besitzern für einen Ausflug auf’s Land:

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Mercedes-Benz 170 oder 200; Originalfoto aus  Sammlung Marcus Bengsch

Neben der kompakten Form ist die geschwungene Stange zwischen den Scheinwerfern typisch für den ab 1931 gebauten Mercedes 170 mit Sechszylinder – nicht zu verwechseln mit dem vierzylindrigen Mercedes 170 V, der ab 1936 angeboten wurde.

So bieder der Wagen auch daherkam, so zeitgemäß war seine Konstruktion mit unabhängiger Radaufhängung – also achslosem Fahrwerk – sowie erstmals bei Mercedes-Benz hydraulischen Vierradbremsen.

Mit diesem Einstiegsmodell erschloss sich die Stuttgarter Oberklassemarke neue Käuferkreise, wie dies Jahrzehnte später mit dem anfänglich belächelten 190er Mercedes erneut gelingen sollte.

Da der über 1 Tonne schwere Wagen mit gerade einmal 32 PS etwas zu behäbig wirkte, wurde 1933 – also schon zwei Jahre nach dem Debüt – der äußerlich fast identische 200er Mercedes angeboten, für den mit nunmehr 40 PS die 100km-Marke in greifbare Nähe rückte.

Ob wir hier nun einen 170er oder einen 200er vor uns haben, die parallel bis 1936 mit nur geringen Modifikationen gebaut wurden, lässt sich kaum sagen.

Auch die einstigen Insassen dürfte dies im Moment der Aufnahme kaum gekümmert zu haben. Sie waren nämlich mit dem Kopf erkennbar ganz woanders:

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Mercedes-Benz 170 oder 200;  Originalfoto  aus Sammlung Marcus Bengsch

Das Paar, das im Vordergrund selig im Gras schlummert, dürfte sich kaum haben träumen lassen, dass es nach über 80 Jahren den modernen Betrachter mit Neid erfüllt.

Denn so neben einem Vorkriegs-Mercedes nach einem Picknick die letzten Tage des Sommers genießen, wer würde es ihnen nicht gleichtun wollen?

Doch heute wie damals gibt nicht jeder dem Verlangen nach wohlverdientem Schlummer und süßem Nichtstun nach. Auch auf diesem Foto von Leser Marcus Bengsch ist noch jemand aktiv und scheint  – mit der Schreibmaschine vor sich – an etwas zu arbeiten.

Was die junge Dame wohl beschäftigt gehalten haben mag? Musste sie noch für ein Modejournal eine Reportage fertigschreiben? Oder ist sie gar eine ernsthafte Literatin und hält prüfend die Druckfahnen eines Buches in Händen?

So oder so ist sie aus Sicht des zeitgenössischen Schreibtischarbeiters zu später Stunde wohlwollend zu beneiden. Denn statt bei Lampenlicht um Mitternacht mit dem Laptop im Freien bei vollem Sonnenschein an einem Blog über Vorkriegsautos arbeiten zu können, das wäre es!

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Abkühlung gefällig? DKW F5 Front Luxus Roadster

Wem steht derzeit – Ende Juli 2019 – nicht der Sinn nach Abkühlung? Und sei es nur von der medial hysterisch begleiteten dreitägigen „Hitzewelle“ hierzulande, um die man in – sagen wir – Irland, Italien oder Israel kein Aufhebens gemacht hat.

Die deutsche Mentalität neigt dem historischen Befund nach zu leichter Erregbarkeit gekoppelt mit mangelnder Skepsis gegenüber „Autoritäten“ mit eigener Agenda. Und dort stehen aktuell  – neben einem bizarren Graben um den Reichstag – weitere Abgabenerhöhungen unter dem Deckmantel des „Klimaschutzes“ ganz oben.

Im Vergleich zu unseren Nachbarn fällt es den Deutschen wohl wieder einmal schwer, angesichts der von regierungsnahen Medien erzeugten hitzigen Stimmung kühlen Kopf zu bewahren.

Mein heutiger Blog-Eintrag mag vor diesem Hintergrund willkommene Abwechslung bringen, oder vielleicht am Ende doch nicht?

Jedenfalls geht es zurück in die 1930er Jahre, als Deutschland begünstigt durch die Untertanenmentalität vieler Landsleute in eine Katastrophe abzugleiten begann, gegen die die Aussicht auf – vielleicht – wärmere und trockenere Sommer nichts ist.

Man sieht es vielen Fotodokumenten jener Zeit oft gar nicht oder erst auf den zweiten Blick an, was sich da im Hintergrund für ein tödlicher Mix aus Staatsgläubigkeit und Effizienzbesessenheit zusammenbraute.

Harmlos und friedlich wirkt hier die Stimmung irgendwo im süddeutschen Raum, wo jemand einen raren DKW F5 Front Luxus Roadster (links) neben einer braven DKW F2 Cabriolimousine (rechts) ablichtete:

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DKW F5 Front Luxus Roadster und DKW F2; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vor ziemlich genau zwei Jahren – im Juli 2017 – habe ich dieses wohl begehrteste Modell auf Basis des populären Fronttrieblers DKW F5 ausführlich vorgestellt (hier).

Daher will ich heute auf die Details gar nicht eingehen – nur eines sei festgehalten: Die Roadster-Ausführung auf Basis des bloß 20 PS leistenden Zweitakters war so ziemlich das Unvernünftigste, was man in dieser Klasse damals kaufen konnte.

Hier ging es nicht um Sportlichkeit in objektiver Hinsicht, sondern um die schöne Form – und die lieferten mit gewohnter Zuverlässigkeit die Gestalter von Horch in Zwickau, wo dieser DKW-Roadster im Rahmen des damaligen Auto-Union-Verbunds entstand.

Doch bei aller Sehnsucht nach vollendeten Linien wollte zumindest ein heroisch veranlagter Roadster-Käufer auch wissen, wie weit man mit so einem Gefährt kommt, wenn man es darauf anlegt.

Das Ergebnis zeigt dieses schöne Foto, das ich heute vorstellen möchte:

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DKW F5 Front Luxus Roadster; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wo genau dieses prachtvolle Privatfoto entstand, ist mir nicht bekannt. Ich gehe aber davon aus, dass es irgendwo in den Alpen im Sommer knapp unterhalb der Baumgrenze aufgenommen wurde.

Auf jeden Fall hat der nur 0,7 Liter messende Zweizylinder des Wagens hier sein Durchhaltevermögen unter Beweis gestellt. Mit 20 PS würde sich heute kaum ein Motorradfahrer auf die Paßstraßen im Alpenraum trauen.

Doch wenn die 2-zylindrigen Zweitakter von DKW etwas waren, dann gnadenlos robust und zuverlässig. Und so konnte man sich einst – ausgestattet mit Geduld und Zuversicht – auch mit Minimalmotorisierung auf den Gipfel hocharbeiten.

Oben angekommen machte man stolz das Foto, mit dem sich Freunde und Verwandte beeindrucken ließen – zwar nicht in Echtzeit wie heute – aber vielleicht schon ein paar Tage später mittels Fotopostkarte an die Daheimgebliebenen.

Und sieht er hier nicht hinreißend aus, der DKW F5 Front Luxus Roadster?

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Sicher, nur einen Makel trägt er aus heutiger Sicht deutlich auf dem rechten Vorderkotflügel.

Das ist weder die damalige deutsche Landesfahne, die viele Autos ganz selbstverständlich trugen, auch kein Wimpel des staatlich erzwungenen Einheits-Automobilclubs DDAC, sondern wahrscheinlich ein Stander des paramilitärischen Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps (NSKK).

So wohltuend zunächst die Abkühlung ist, die sich bei Betrachtung dieses Fotos auf alpiner Höhe einstellt, so sehr wird einem die Stimmung durch dieses Detail vergällt.

Die Besitzer dieses Wagens mögen sogar honorig gewesen sein – auch viele deutsche Rennfahrer waren mehr oder minder freiwillig NSKK-Mitglieder – doch unter dem Hakenkreuzadler ist den Deutschen und ihren Nachbarvölkern zuviel Leid geschehen, als dass man darüber hinweggehen könnte.

Und so bleibt bei aller willkommenen Abkühlung, die diese Aufnahme mit sich bringt, ein ungutes Gefühl, wenn man neuerdings immer öfter davon hört, dass Regierungspolitiker und ihnen nahestehende Medien immer öfter verlangen „Flagge und Haltung“ zu zeigen…

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Großes Kino: Mercedes 320 Cabrio F in Berchtesgaden

Die Vorkriegsmodelle von Mercedes-Benz gehören zu den eher seltenen Gästen in meinem Blog. Das hat nichts mit einer spezifischen Abneigung zu tun.

Tatsächlich meine ich, dass es keine andere deutsche Marke vermocht hat, in jeder Modellgeneration bis heute mindestens einen Typ mit klassischer Eleganz auszustatten.  Den Tiefpunkt markierten zwar die Wagen der 1970er und frühen 1980er Jahre, doch selbst damals rettete wenigstens ein Coupé für mich das Markenimage.

Was jedoch auch bei Mercedes-Benz längst passé ist, das ist die Epoche der großen Cabriolets. Dabei waren sie es, die in den 1930er Jahren der mitunter behäbig daherkommenden schwäbischen Marke einen mondänen Anstrich verliehen.

Natürlich sind die Vertreter dieser Blütezeit bestens dokumentiert. Das ist der eigentliche Grund, weshalb sich mein Ehrgeiz auf diesem Sektor in Grenzen hält.

Den Freunden von Vorkriegs-Mercedes kann man kaum etwas bieten, was nicht längst x-fach als historische Aufnahme veröffentlicht wäre oder sogar als überlebendes Fahrzeug zu bewundern ist.

Ein schönes Beispiel dafür ist dieses herrliche Cabriolet A auf Basis des feinen Sechszylindermodells 320, das in dieser Form nur 1937/38 gebaut wurde:

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Mercedes 320 Cabriolet A; Bildrechte: Michael Schlenger

Dieses Prachtexemplar war live und in Farbe im Jahr 2016 auf dem Besucherparkplatz der Classic Days auf Schloss Dyck zu bewundern.

Der 320er Mercedes mit seinem 78 PS starken Sechszylinder und dem auch bei hohen Geschwindigkeiten ausgezeichnet reagierenden Fahrwerk verwies in dieser Ausführung in einigen Details auf die Spitzenmodelle der Firma, namentlich den legendären 540 K Roadster.

Die nach hinten abfallende Seitenlinie ist das genaue Gegenteil der Formensprache heutiger Cabriolets – das gibt es einfach nicht mehr, auch wenn die Formel „lange Haube, kurzes Heck“ immer noch zu ansprechenden Ergebnissen führen kann.

Wo es ein Cabriolet A gab, musste es in der Mercedes-Palette auch ein Cabriolet B geben. Das war aber keineswegs zweite Wahl, sondern bot ebenfalls ein attraktives Äußeres in Kombination mit einem größeren Platzangebot.

Die folgende Aufnahme aus meiner Sammlung dürfte ein solches Exemplar zeigen (ausführliches Porträt hier):

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Mercedes-Benz 320 Cabriolet B; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Neben diesen hinreißend gestalteten „kleinen“ Cabriolets bot Mercedes einer konservativen Klientel auch weiterhin größere offene Wagen, die an die Tradition der sechs- bis siebensitzigen Tourenwagen anknüpften.

Im Unterschied zu diesen traditionellen Modellen mit ihrem dünnen Verdeck und seitlichen Steckscheiben bot Mercedes beim 320er eine ähnlich großzügige Ausführung in Kombination mit Kurbelfenstern und einem gefütterten Verdeck.

In der Mercedes-Nomenklatur wurde ein solcher Aufbau als „Cabriolet F“ bezeichnet, wenn ich das richtig sehe. Während klassische Tourenwagen in den 1930er Jahren nur noch ein Nischendasein bei Polizei und Militär führten, scheint auch das große Cabriolet „F“ nur selten gewählt worden zu sein.

So kommt es, dass das folgende Foto eines solchen Exemplars beinahe eine kleine Rarität darstellt:

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Mercedes-Benz 320 Cabriolet F; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Während der Vorderwagen identisch mit dem der raffinierten „kleinen“ Cabriolets auf Basis des Mercedes 320 ist, ist es ab der schrägstehenden Frontscheibe mit der Eleganz weitgehend vorbei.

Vier Türen und – vermutlich – drei Sitzreihen fordern erkennbar ihren Tribut. Zum einen ist hier der Radstand deutlich länger (3,30 m statt 2,88 m). Zum anderen verläuft die Seitenlinie bis über die Hinterachse hinaus annähernd waagerecht.

Langeweile kommt dennoch nicht auf, denn auch hier ist in der Horizontalen kaum eine Linie ganz gerade. Wie in der klassischen Baukunst beherrschten die Gestalter und Handwerker damals die Kunst der kalkulierten Abweichung von der öden Geraden.

Das erklärt, weshalb selbst dieser kolossale Wagen mit einer Gesamtlänge von über fünf Metern immer noch Spannung im Karosseriekörper aufweist.

Gern wüsste man, wer die Insassen dieses eindrucksvollen Mercedes-Benz 320 Cabriolet F waren:

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Sie verkörpern für mich allesamt prächtige Individuen – leider wissen wir nicht mehr über sie, als dass sie mit dem Mercedes einst in Berchtesgaden unterwegs waren. Der Abzug stammt vom Fotohaus Rudert in Solingen.

Im übrigen sprechen solche Bilder für sich, wenn man die Gesichter und den Habitus der Menschen studiert, die darauf in einem Moment ihres Daseins festgehalten sind.

Von dem, was wir auf dem Foto sehen, ist jedoch außer den uralten Felsen im Hintergrund bestenfalls noch der Mercedes existent – oder es schmücken zumindest der Kühlergrill oder eine Radkappe die Sammlung eines Enthusiasten, ohne dass er weiß, woher die Teile stammen.

Dank des Internet gibt es einen Weg, zumindest teilweise die Welt von damals wieder auferstehen zu lassen, in der der Mercedes-Benz 320 einst Furore machte.

Treue Leser meines Blogs wissen vermutlich, was nun kommt und werden es wie ich auch beim x-ten Mal genießen – gleich zwei Mercedes 320 Cabrios (und der eine oder andere Wagen) beschwingt unterwegs auf Deutschlandreise:

© Videoquelle YouTube; Urheberrecht des Zusammenschnitts: Deutschlandsender

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