Rundum glücklich: Wanderer W11 Pullman-Limousine

Zugegeben: Für die Freunde exotischer Vorkriegsautomobile habe ich in meinem Blog nur hin und wieder etwas zu bieten. Diese Fraktion wird am ehesten in der Rubrik „Fund des Monats“ glücklich.

Doch mir geht es um mehr als nur die Wagen, ihre Technik und Aufbauten. Mich fasziniert die Art und Weise, wie die Besitzer und Insassen einst ihre vierrädrigen Gefährten erlebten und diese (oft auch sich selbst) fotografisch festhielten.

Was dabei an wunderbaren Zeitdokumenten herauskommen kann, das lässt sich anhand eines Fahrzeugs zeigen, das zwar ein ausgezeichneter Vertreter des deutschen Automobilbaus der späten 1920er Jahre war, aber gewiss nicht spektakulär.

Mit dem Typ, um den es heute geht, haben wir schon mehrfach Bekanntschaft gemacht – es ist das erste Sechszylindermodell der sächsischen Marke Wanderer, der Typ W11 10/50 PS.

Hier ein Foto aus meiner Sammlung, das ich vor längerem vorgestellt habe und das perfekt zum heutigen Thema passt: „rundum glücklich“!

Wanderer W11 10/50 PS Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Mit dem 1928 vorgestellten Typ W11 10/50 PS ließ die bis dato konservative Marke Wanderer erstmals die Kleinwagentradition hinter sich, die vor dem 1. Weltkrieg mit dem „Puppchen“ begonnen hatte.

Dass man diesen Schritt von sich aus nicht gegangen wäre, merkt man der damaligen Verlautbarung von Wanderer an, wonach der Wunsch des Publikums nach mehr Komfort, schaltarmem Fahren und größerer Laufkultur „von Amerika diktiert“ worden sei.

Unglücklicher kann man sich kaum über die eigene Kundschaft äußern, die man hier als manipulierte Opfer von US-Reklame darstellt. Auf die Idee, dass die Hersteller aus den Staaten schlicht in der Lage waren, den hierzulande anspruchvoller werdenden Autofahrer zu bieten, was diese wollten, kam man nicht.

Ab Mitte der 1920er Jahre musste die deutsche Autoindustrie auf die harte Tour lernen, dass ihre oft kaum über den Stand der Vorkriegszeit hinausgekommenen Modelle von gestern waren – die Kunden verlangten immer selbstbewusster den Stand der Technik.

Und mit dem W11 10/50 PS bewies Wanderer, dass man durchaus liefern konnte, was verlangt wurde – sowohl technisch als auch in formaler Hinsicht. Dass die Käufer mit dem Ergebnis rundum glücklich waren, das beweist die Fotoserie, die ich heute vorstellen darf.

Sie ist Leser Uwe Sulger zu verdanken, der mir eine Reihe von Fotos zur Verfügung gestellt hat, die den Wanderer W11 10/50 PS seiner einst in Konstanz lebenden Großeltern zeigen.

Bei der Auswahl der schönsten Aufnahmen aus dieser Reihe stellte ich nicht nur fest, dass der Wagen eine spezielle Variante war, die ich bisher noch nicht dokumentiert hatte, sondern auch, dass sich das Modell quasi aus 360-Grad-Perspektive zeigen lässt.

Als Einstieg habe ich mich für dieses Foto entschieden, das die repräsentative Frontpartie des Wanderer W11 10/50 in ihrer ganzen Pracht zeigt:

Wanderer W11 10/50 PS; Originalfoto aus Familienbesitz (via Uwe Sulger)

In formaler Hinsicht hatte Wanderer hier alles richtig gemacht. Natürlich kam man am Vorbild der damals führenden „Amerikaner“-Wagen nicht vorbei – die Doppelstoßstange und die senkrechten Kühlerlamellen künden deutlich davon.

Doch mit dem neuen Flügelemblem auf dem Kühler und den einzigartigen elektrischen Fahrtrichtungsanzeigern setzte man durchaus eigene Akzente, die einen solchen Wanderer auf Anhieb erkennbar machten.

Wie so oft auf derartigen Fotos ist es hier die junge Dame, die das technische Objekt mit seiner strengen Symmetrie in Bezug zum Menschen setzt, dem es diente. In Gedanken versunken blickt sie in das Tal hinab, an dessen Rand entlang eine schmale Straße führt.

In solcher stillen Kontemplation wohnt das Glück des Augenblicks, für einen Moment in seinem Streben innezuhalten und sich ganz der Natur zuzuwenden, deren Teil wir bei allem Erfindungsgeist und aller Rastlosigkeit sind und bleiben.

Rundum glücklich scheinen aber auch die beiden Grazien gewesen zu sein, die bei einer anderen Gelegenheit denselben Wanderer zur bloßen Staffage machen:

Wanderer W11 10/50 PS; Originalfoto aus Familienbesitz (via Uwe Sulger)

Dokumente wie dieses sind für mich die reine Freude – sie machen die Faszination der völlig anderen Ästhetik von Vorkriegsautos anschaulich, mit keinem modernen Automobil ließe sich so etwas in Szene setzen.

Beinahe übersieht man hier zwei Details, die diesen Wanderer von allen anderen Exemplaren desselben Typs abheben, die ich bislang vorstellen konnte.

Das eine sind die Stahlspeichenräder, die es nur einige Monate lang gab – von der offiziellen Einführung des Typs im November 1928 bis zum Frühjahr 1929, als sie Scheibenräder wichen.

Das andere sind die seitlich hinter den Vorderkotflügeln montierten Ersatzräder. Laut Literatur (Erdmann/Westermann: Wanderer Automobile, Verlag Delius-Klasing, 2. Auflage 2011, S. 115) waren sie der Pullman-Limousine vorbehalten.

Diese auf verlängertem Chassis angebotene, geräumige Karosserie wurde eigentlich erst ab Mitte 1929 von der Firma Hornig in Meerane gefertigt. Hier haben wir entweder eine sehr frühe Version vor Wegfall der Speichenräder im Frühjahr 1929 vor uns oder einen Pullman-Aufbau eines anderen Herstellers (evtl. Ambi-Budd oder Reutter).

Wie dem auch sei, mit dem Aufbau scheint man einst rundum glücklich gewesen zu sein, wenngleich sich mitunter die Technik den Straßenverhältnissen geschlagen geben musste, wie auf diesem spätwinterlichen Foto desselben Wagens:

Wanderer W11 10/50 PS Pullman-Limousine; Originalfoto aus Familienbesitz (via Uwe Sulger)

Dieses reizvolle Dokument unterstreicht zum einen, wie austauschbar die Heckpartien der damaligen Aufbauten waren, zum anderen, wie wichtig die Kenntnis kleiner Details ist, wenn man in solchen Fällen dennoch zumindest die Marke identifizieren will.

So sind hier auf dem Vorderkotflügel die markanten Fahrtrichtungsanzeiger zu sehen, die es so nur bei Wanderer gab und die Pendants am Heck besaßen. Sie leuchteten beim Abbiegen auf der linken oder rechten Seite, blinkten aber noch nicht.

Dabei handeltes es sich um eine der wenigen Innovationen von Wanderer haben, leider blieb es dabei, sodass die unästhetischen Winker vorerst das Regiment übernahmen.

Der auf obiger Aufnahme leere Kofferträger am Heck begegnet uns auf der nächsten Aufnahme wieder, nun aber mit Kofferaufsatz für Fernreisen:

Wanderer W11 10/50 PS Pullman-Limousine; Originalfoto aus Familienbesitz (via Uwe Sulger)

Dieses Foto ist eindeutig im Süden entstanden – möglicherweise in Italien, wohin die Großeltern von Uwe Sulger mit ihrem Wanderer einst ebenfalls fuhren. Leider konnte ich den Ort bislang nicht identifizieren, obwohl der parkähnliche Platz mit der Viktoria-Statue recht markant ist. Erkennt jemand die Situation wieder?

Dass die Qualität dieser Aufnahme deutlich hinter den bisherigen Fotos zurückbleibt, könnte damit zusammenhängen, dass sich der Könner mit Kamera und Stativ gerade vom Wanderer entfernt…

Doch auf der nächsten und letzten Aufnahme dieser Pullman-Limousine des Typs W11 10/50 PS scheint er wieder tätig geworden zu sein – und so ein Foto zum Abschluss einer 360-Grad-Besichtigung des Autos macht wirklich rundum glücklich:

Wanderer W11 10/50 PS Pullman-Limousine; Originalfoto aus Familienbesitz (via Uwe Sulger)

Ich muss sagen, dass ich bislang wenige Fotos von Amateuren jener Zeit gesehen habe, die technisch so hervorragend und von der Wirkung so phänomenal sind.

Sicher, man registriert den schönen Wanderer, vergleicht vielleicht kurz das Nummernschild (identisch mit dem auf den bisherigen Fotos), doch dann zieht einen wieder das ungleiche Paar daneben in den Bann.

Sie in raffinierter Pose der Kamera zugewandt in einem figurbetonten Kleid, zu dem man heute schwerlich Vergleichbares finden wird. Er dagegen mit den Gedanken woanders im praktischen hellen Reisemantel, sichtlich zufrieden.

So darf man sich zwei in diesem Moment auf ihre Weise glückliche Menschen vorstellen. Die Tatsache, dass im 21. Jahrhundert niemand mehr mit aktuellem „Material“ solche Aufnahmen machen kann, ist ein Grund dafür, dass es diesen Blog gibt.

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Auch das ist ein „Mercedes“: Daimler 8/22 PS

Mein heutiger Blog-Eintrag mag für die Freunde der „Mercedes“-Wagen aus der Zeit vor dem Zusammenschluss von Daimler und Benz vielleicht enttäuschend ausfallen.

Das dürfte zumindest dann der Fall sein, wenn man den Typ 15/70/100 PS zugrundelegt, den ich als bislang letzten Vertreter der Marke hier vorgestellt habe. Vielleicht sorgt das Modell, um das es heute geht, dennoch für eine Überraschung.

Der Grund dafür ist mit Sicherheit weder ein majestätisches Erscheinungsbild noch eine mächtige Motorisierung – ganz im Gegenteil. Es ist die Tatsache, dass dieses unscheinbare Modell in der mir zugänglichen Literatur so jedenfalls kaum zu finden ist:

Daimler „Mercedes“ Typ 8/22 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das soll ein Mercedes sein? Wer sich spontan diese Frage stellt, ist nicht allein.

Auch ich hatte eine Weile meine Schwierigkeiten damit, den dreigezackten Stern auf beiden Seiten des Kühlers dieses schmalbrüstig daherkommenden Tourers für das zu nehmen, was er letztlich ist – Markenzeichen aller Daimler „Mercedes“ seit 1909.

Stets auf der Suche nach Abbildungen von Wagen vergessener Marken der Zwischenkriegszeit hatte ich zwischenzeitlich das Interesse an diesem Foto verloren. Entweder täuschte der Kühler und das Auto war etwas ganz anderes als ein Mercedes, ohne dass ein Hinweis auf die wahre Identität zu erkennen war.

Oder es handelte sich um einen Mercedes, doch dann wäre das eine belanglos wirkende Kompaktausführung gewesen, der sich wenig abgewinnen lässt. Genau das macht aber am Ende den Wert dieses Dokuments aus, meine ich.

Für dieses Gefährt kommt meines Erachtens nur ein „Mercedes“-Modell in Frage, nämlich der 1913/14 mit neuem Blockmotor eingeführte Typ 8/22 PS – der Nachfolger des 8/18 bzw. 8/20 PS-Typs (Gegenstück zum seit 1912 angeboten Benz 8/20 PS Typ).

Im Unterschied zum Benz mit seinen knapp 2 Litern Hubraum gönnte Daimler seinem Einstiegsmodell immerhin 2,1 Liter, was sich in zehn Prozent mehr Leistung bei identischer Drehzahl (1800 U/min) niederschlug.

Ansonsten nahmen sich die Konkurrenten nicht viel: 4-Gang-Getriebe, Bremse auf Getriebe und Hinterachse, identisches Reifenformat, fast gleicher Radstand. Allerdings scheint der Mercedes weit schwerer und langsamer gewesen zu sein als der Benz, sofern die Angaben in der Literatur (Schrader: Deutsche Autos 1885-1920) stimmen.

Sofern man überhaupt zeitgenössische Fotos des Daimler „Mercedes“ 8/22 PS findet, zeigen sie die frühe Ausführung mit Flachkühler. Ab Beginn des 1. Weltkriegs dürfte aber auch hier der typische Spitzkühler eingeführt worden sein:

Da der Kühler auf der heute vorgestellten Aufnahme nur sehr moderat gepfeilt ausfällt, könnte es sich um ein spätes Exemplar dieses bis 1921 gebauten Mercedes-Modells gehandelt haben.

Dass von einem gut acht Jahre lang produzierten Mercedes-Typ so gut wie keine vergleichbaren Aufnahmen zu finden sind, ist erstaunlich. Der Benz-Typ 8/20 PS ist auf historischen Fotos weit öfter vertreten. Woran mag das liegen?

Denkbar ist, dass das Basismodell von Daimler nicht das Prestige bot, das man von einem „Mercedes“ erwartete, der noch Anfang der 1920er Jahre im Angebot war. So könnten zeitgenössische Fotos des Typs 8/22 PS bei Sammlern auf nur geringes Interesse stoßen – sodass nach rund 100 Jahren kaum noch welche existieren.

Dafür würde sprechen, dass man selbst im für gewöhnlich gut sortierten Online-Archiv von Mercedes-Benz nur ein einziges Foto des Daimler „Mercedes“ 8/22 PS findet (hier). Allerdings sind dort vom Vorgängermodell 8/18 PS gleich 16 Aufnahmen einsehbar.

Vielleicht kann ein Markenkenner etwas zu der nach meinem Eindruck ungewöhnlich dürftigen Überlieferungssituation beim Daimler „Mercedes“ Typ 8/22 PS sagen.

Wie es scheint, ist die heute präsentierte Aufnahme eine Rarität, was man ihr auf den ersten Blick nun wirklich nicht ansieht.

Die vier Herren in dem Tourenwagen scheinen einst recht zufrieden mit ihrem Gefährt gewesen zu sein, denn natürlich war auch das ein Mercedes!

Selbst ein 8/22 PS-Typ war in den frühen 1920er Jahren besser als gar kein Auto, was damals der Normalzustand für die breite Bevölkerung hierzulande war und bis nach dem 2. Weltkrieg bleiben sollte.

Trotz der edlen Abkunft aus dem Hause Daimler hatte ein so braver „Mercedes“ freilich mit fortschreitenden 1920er Jahren kaum eine Überlebenschance – vor allem nicht mit einer solchen Karosserie, die an Beliebigkeit kaum zu überbieten war.

So dürfte es trotz recht langer Bauzeit auch kein überlebendes Fahrzeug dieses Typs mehr geben, wenn schon zeitgenössische Fotos so rar sind.

Ich lasse mich aber gern überraschen und eines Besseren belehren…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Urlaub in Deutschland vor 70 Jahren: Stoewer V5

Der Sommer des Jahres 2020 liegt vielleicht schon hinter uns – in meiner Region jedenfalls hat es stark abgekühlt, reichlich Regen hat die Wasserstände wieder normalisiert und das Licht wirkt beinahe herbstlich.

Sicher werden wir noch einige spätsommerliche Tage erleben, aber zumindest die Urlaubszeit ist für die meisten vorbei. Mehr Leute als sonst haben ihre Ferien dieses Jahr in Deutschland verbracht.

Wie es scheint, wollten sich viele Urlaubsreisende nicht dem Risiko aussetzen, von einer erratischen, europaweit völlig unkoordinierten Politik im Umgang mit Urlaubern auf dem falschen Fuß erwischt zu werden und blieben lieber daheim.

Recht gibt ihnen die Art und Weise, wie Rückkehrer aus dem Ausland in den Medien für steigende Zahlen von „Corona-Fällen“ verantwortlich gemacht werden – obwohl positiv Getestete fast nie krank sind und auf den Test schon vor Wochen angesprochen hätten, wenn sie ihn denn absolviert hätten. Diese Stimmungsmache lenkt von den tatsächlich sehr niedrigen und stagnierenden Zahlen der wirklich durch das Virus Gefährdeten ab.

Ein Grund mehr, den Alltag hinter sich zu lassen und noch rasch einen Kurzurlaub in Deutschland zu absolvieren. Dabei geht es 70 Jahre zurück, in den Sommer des Jahres 1950, als die Politik noch die Sorgen der breiten Masse im Blick hatte.

Bei einem solchen Ausflug in die frühe Nachkriegszeit kurz vor dem enormen Wirtschaftsaufschwung, der Deutschland endgültig in die Moderne katapultierte, dürfen zwei Dinge nicht fehlen: Ein Vorkriegsauto und eine sachkundig bediente Kamera.

Mit beidem haben wir hier übrigens vor längerer Zeit schon einmal Bekanntschaft gemacht, und zwar anhand dieser hübschen Aufnahme:

Stoewer V5, aufgenommen 1950 in Horn-Bad Meinberg; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier hat jemand mit Sinn für malerische Ansichten auf den Auslöser gedrückt – laut rückseitiger Beschriftung des Abzugs 1950 in „Horn-Bad Meinberg“ im Lippeschen Bergland.

Man könnte meinen, dass diese wohlkomponierte Aufnahme in den 1930er Jahren entstanden ist, doch ein winziges Detail verrät die spätere Datierung. Es befindet sich an dem kompakten Wagen, der vor einer BMW-Vertretung abgestellt ist.

Es kostete mich seinerzeit einige Zeit, das Auto zu identifizieren, denn damals war ich zum einen noch nicht mit der Marke vertraut, zum anderen fehlte mir eine zweite, weit bessere Aufnahme desselben Fahrzeugs, die sich erst später fand – diese hier:

Stoewer V5, aufgenommen 1950 in Moosheim; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch hier weist fast nichts auf die Nachkriegszeit hin – bis auf das Kennzeichen, das im britisch besetzten Niedersachsen (daher die vertikale Kennung „BN“) ausgegeben worden war – im Raum Hannover, um genau zu sein.

Ich kann versichern, dass es sich um dasselbe Kennzeichen wie auf der ersten Aufnahme handelt. Wenn der Wagen hier anders wirkt, dann deshalb, weil hier das Verdeck der Cabriolimousine geöffnet ist, was das Auto auf einmal leicht und großzügig wirken lässt.

Entstanden ist dieses Bild laut Beschriftung in Moosheim (vermutlich im oberschwäbischen Bad Saulgau). Die mehrstöckigen alten Fachwerk-Bürgerhäuser sind hier vielleicht ein letztes Mal so zu sehen, wie sie sich mehrere Jahrhunderte über darboten.

Heute sind sie entweder überrestauriert, verschandelt oder abgerissen, fürchte ich. Vielleicht erkennt ein Leser die genaue Örtlichkeit und weiß, wie es dort 2020 aussieht.

Zu dem Auto kann ich selbst Näheres sagen: Es handelt sich um den ersten deutschen Serienwagen mit Frontantrieb – den Stoewer V5. Damit kam die Stettiner Manufaktur Ende 1930 dem weit größeren DKW-Konzern einige Wochen zuvor (siehe hier).

Mit seinem 25 PS starken V4-Aggregat war der Stoewer den schwachen Zweitaktern von DKW auf dem Papier haushoch überlegen. Allerdings machte der weit höhere Preis die Erfolgsaussichten wieder zunichte – ganze 2.000 Stück entstanden bis 1932.

Fast 20 Jahre später war einer davon immer noch auf Deutschlands Straßen unterwegs und durch Zufall konnte ich mehrere schöne Aufnahmen von dessen Reise im Jahr 1950 ergattern, die ein Verkäufer separat und über einen längeren Zeitraum gestreckt anbot, ohne dass klar war, dass sie ursprünglich zusammengehörten.

Erst das Kennzeichen und die Beschriftungen auf der Rückseite ließen mich erkennen, was da so nach und nach Eingang in meinen Fundus fand:

Stoewer V5, aufgenommen 1950 in Rothenburg ob der Tauber; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch bei diesem schönen Abzug, der eine beschauliche Szene am Klingentor in Rothenburg ob der Tauber zeigt, wurde mir erst nach Erwerb bewusst, dass er Teil derselben Serie war, die auseinandergerissen auf den Markt kam.

Ich möchte nicht wissen, wieviele weitere dieser wunderbaren Zeugnisse einer Deutschlandreise im Jahr 1950 durch die Lappen gegangen sind. Eines davon konnte ich erst ganz am Ende identifizieren, nachdem es schon länger in meinem Fundus geschlummert hatte.

Für mich ist das die schönste Aufnahme, weil sie den Stoewer „unterwegs“ zeigt – auf freier Strecke, nicht abgestellt vor einer Altstadtkulisse. Doch auch hier hat der unbekannte Fotograf ganze Arbeit geleistet und eine perfekt komponierte Szene abgeliefert:

Stoewer V5, aufgenommen 1950 bei Zwingenberg (Neckar); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Mit dieser bezaubernden Aufnahme, die vor der majestätischen Burg Zwingenberg im Nekartal entstand und nun auch zwei der Insassen zeigt, nehmen wir Abschied vom Stoewer V5, der die Urlauber einst sicher wieder wohlbehalten in die norddeutsche Heimat zurückgebracht hat.

Wenige Jahre später waren aus der Zeit gefallene Bilder wie diese vielerorts Geschichte und die Moderne brach sich hierzulande mit einer Wucht Bahn, deren ästhetische Ergebnisse man in vielen Fällen nur bedauern kann.

Auch den Stoewer dürfte es spätestens in den 60er Jahren „erwischt“ haben…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ein wahres Juwel: Brennabor 10/45 PS Typ B

Heute geht es um die kleinen Freuden, die man bei der Beschäftigung mit Vorkriegsautos immer wieder unverhofft erlebt.

Eine kleine Freude oder ein Späßchen, das bedeutete im Lateinischen das Wort „iocellus“ (abgeleitet von „iocus“ – Spaß, Freude, Vergnügen).

Im Italienischen wurde daraus „gioielli“ – und (richtig ausgesprochen: „dscho-jelli)“ klingt da bereits etwas an, was irgendwann zu unserem Wort „Juwelen“ wurde.

Aussprache und Bedeutung mögen sich über die Zeiten ein wenig geändert haben, doch immer noch ist ein Juwel etwas Kleines, das Freude bereitet.

Genau das können wir heute im besten Sinne des Worts erleben und schon der Einstieg ins Thema ist für mich ein Juwel:

Brennabor „Juwel 6“, 10/45 PS Typ B; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese charmante Aufnahme habe ich (hier) bereits präsentiert und damals wie heute bin ich sicher, dass nur versierte Automobilhistoriker auf Anhieb sagen können, was für ein Wagen darauf zu sehen ist – sofern sie sich darauf konzentrieren können…

Dabei soll das Fahrzeug zwischen 1929 und 1932 immerhin rund 3.000mal gebaut worden sein, wenn man der dünnen Literatur zu dem einstigen Hersteller trauen darf: Brennabor aus Brandenburg an der Havel.

Die Identifikation des Wagens als Brennabor „Juwel 6“ 10/45 PS Typ B stützte sich auf genau ein Foto in der Literatur, das ein weitgehend identisches Fahrzeug mit niedergelegtem Verdeck zeigt. Dort fanden sich dieselben Merkmale an der Frontpartie:

Drei Reihen horizontaler Luftschlitze sind hier in der Haube zu sehen, darunter eine Griffmulde zum Anheben derselben, außerdem Scheibenräder mit vier Radbolzen, konzentrischen Zierlinien und einer schlichten Radkappe.

Das alles passte perfekt zu dem Brennabor „Juwel 6“ 10/45 PS Typ B, der in der Ausgabe 2001 von Werner Oswalds Klassiker „Deutsche Autos 1920-45“ zu sehen ist.

Doch war das noch kein Beweis, denn es hätte sich auch um einen weiteren der zahlreichen gegen Ende der 1920er Jahre gebauten Brennabor-Typen – oder sogar etwas ganz anderes – handeln können. Zudem ist der „Oswald“ bei allen Verdiensten nicht frei von Fehlern.

Vor kurzem fand ich jedoch bei eBay wo ich nahezu alle meine Fotos erwerbe – genau das Dokument, das man sich in solchen Fällen wünscht – ein Beispiel dafür, wie etwas sehr Kleines in der richtigen Fassung viel Freude bereiten kann:

Ist das nicht ein Juwel? Natürlich, es steht sogar vorn auf dem Kühlergrill – und der Herstellername ist (weiter unten) ebenfalls zu lesen.

Vom Seitenteil der Motorhaube sieht man genug, um sagen zu können: „passt“. Die Ausführung der Räder ist ebenfalls vollkommen identisch wie auch der gesamte Aufbau als Cabrio-Limousine.

Man mag denken, dass dieser Fall fast ein bisschen zu einfach ist gemessen an dem, was alte Fotos sonst an Herausforderungen bergen. Doch für mich ist dieses Dokument ein wahres Juwel, weil es hier die Evidenz liefert, die ich andernorts bislang vermisst habe.

Wer nun die Neuauflage des „Oswald“ aus dem Jahr 2019 auf Seite 98 aufschlägt, kann also sicher sein, dass der dort abgebildete Brennabor „Juwel 6“ 10/45 PS Typ B tatsächlich ein solcher ist (das in der Neuauflage verwendete Foto ist übrigens eines von mehreren, die der verantwortliche Motorbuch-Verlag aus meinem Fundus erhalten hat).

An dieser Stelle einige Anmerkungen zu dem Wagentyp an sich:

Brennabor hatte bereits ab 1927 etliche tausend Wagen eines Sechzylindertyps A 10/45 PS verkauft, von den es Kurz- und Langversionen (AK und AL).

Diese waren technisch vollkommen konventionell (Seitenventiler, mechanische Vierradbremsen) und boten gegenüber der starken Konkurrenz aus Übersee eigentlich nichts, was ihnen einen Vorteil gegeben hätte.

So blieb der Absatzerfolg des einst so erfolgreichen Herstellers Brennabor überschaubar, wenngleich es an Erscheinungsbild, Qualität und Leistungsvermögen wohl nichts zu beanstanden gab.

1929 wurde mit dem „Juwel 6“ ein äußerlich überarbeiteter Nachfolger auf den Markt gebracht, der etwas kompakter ausfiel und bei gleichem Hubraum einen im Detail veränderten Motor besaß.

Damit war bei nominell gleicher Leistung eine geringfügig höhere Spitzengeschwindigkeit von 85 statt 80 km/h möglich.

Die Angabe erscheint im Vergleich zu zeitgenössischen Wagen mit vergleichbarer Leistung auffallend gering. So brachte es der Chevrolet 6 12/46 PS von 1929 auf 95 km/h Spitze, für den Ford A 13/40 PS werden sogar 100 km/h angegeben.

Vermutlich wollte man den hubraumschwächeren Brennabor nicht zu stark belasten, vielleicht sind die überlieferten Angaben aber auch wenig zuverlässig. Fest steht nur, dass der Brennabor für das Gebotene im Vergleich zur Importkonkurrenz zu teuer war.

Dennoch ließ sich mit so einem Brennabor „Juwel 6“ 10/45 PS Typ B aber durchaus kommod „Strecke“ machen.

Auch in dieser Hinsicht ist das heute vorgestellte Foto ein veritables Juwel, zeigt es den Wagen mit Berliner Zulassung doch offensichtlich irgendwo im Mittelgebirge, vielleicht sogar im Voralpenland, und zwar im Frühjahr 1930:

Brennabor „Juwel 6“ 10/45 PS Typ B; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Den Fotografen eingerechnet war man hier wohl mit fünf Personen unterwegs – eine Aufnahme mit Stativ und Selbstauslöser ist freilich ebenso denkbar wie die Möglichkeit, dass ein Insasse eines weiteren Fahrzeugs diese schöne Situation im Bild festhielt.

Im Angebot des Fotos war nur zu erahnen, dass es einen Brennabor zeigt, der Verkäufer hatte keine Angaben zu Marke und Typ gemacht. Was ich da an Land gezogen hatte, das erschloss sich mir erst, nachdem ich das neuerworbene Bild unter die Lupe nahm.

So entpuppte sich der auf den ersten Blick so unscheinbar daherkommende Wagen als Quelle der Freude – eben ein Juwel!

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Luxusproblem: Prominenter Protos C1 10/45 PS

Es gibt wenige Automobiltypen der 1920er Jahre, die sich so einfach identifizieren lassen wie das Modell, mit dem ich mich heute befasse. Regelmäßige Leser kennen den Wagen aus diversen Blog-Einträgen, die ich mit Fotos aus dem eigenen Fundus und von Lesern illustriert habe.

Bei der letzten Gelegenheit konnte ich gleich drei Aufnahmen ein und desselben Typs zeigen (hier), der einst alles andere als selten war – aber heute eine Rarität darstellt.

Beginnen möchte ich mit einem schönen Foto aus der Sammlung von Matthias Schmidt (Dresden), das 1927 am Wolfgangssee in Österreich entstand:

Protos Typ C1 10/45 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Trotz einiger technischer Unvollkommenheiten hat hier jemand mit malerischem Blick eine Szene komponiert, die durch den Blick auf das im Dunst liegende gegenüberliegende Ufer mit der Silhouette von St. Wolfgang bezaubert.

Die beiden großen Tourenwagen liegen zwar außerhalb des Schärfebereichs, sind aber klar als Protos des Typs C1 10 /45 PS (1924-27) anzusprechen. Die in zwei Gruppen angeordneten zehn Luftschlitze pro Haubenseite sprechen eine eindeutige Sprache.

Letzte Gewissheit gibt der markante Spitzkühler mit dem einzigartigen, noch aus der Jugendstilepoche stammenden Dekor am Oberteil:

Wir werden der unverwechselbaren Kühlerpartie gleich in wünschenswerter Deutlichkeit wiederbegegnen.

Das von Matthias Schmidt bereitgestellte Foto soll aber illustrieren, dass sich mit etwas Glück auch Vorkriegswagen identifizieren lassen, wenn die Bedingungen nicht ideal sind.

Nahe am Ideal ist dagegen die folgende Aufnahme, die auf einer Postkarte aus meiner Sammlung wiedergegeben ist.

Dabei wird sich zeigen, dass wir es nicht mit irgendeinem Protos C1 10/45 PS zu tun haben, sondern mit dem wohl prominentesten Exemplar dieses Typs:

Protos Typ C1 10/45 PS; originale Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Auf den ersten Blick wirft dieses Foto der Nachkriegszeit keine Probleme auf. Der expressiv gestaltete leicht gepfeilte Kühler und die zehn Luftschlitze sagen alles.

Das Kennzeichen „M-HR 135“ erinnert an die Schlichtheit der Nummernschilder der alten Bundesrepublik. Diese „mussten“ leider einem angeblichen Euro-Kennzeichen weichen, das ich in Nachbarländern wie Italien, Belgien und Frankreich so bisher vergeblich gesucht habe – denn natürlich kocht dort jeder weiter sein eigenes Süppchen…

Zurück zum Protos C1/10/45 PS. Dass wir es hier nicht mit irgendeinem Tourenwagen dieses Typs zu tun haben, verrät schon die hohe und senkrecht stehende Frontscheibe, die ich nur von geschlossenen Aufbauten kenne (siehe meine Protos-Galerie).

Dieses Detail dürfte mit der Historie des Wagens zusammenhängen, der die Zeiten überdauert hat. Erzählt wird sie hier vom Besitzer des ProtosRuprecht von Siemens.

Demnach wurde der Wagen bis in die 1950er Jahre in Hamburg von einem Gemüsehändler gefahren, bevor er in den Besitz Ruprecht von Siemens‘ gelangte. Der mochte den Lieferwagenaufbau nicht und ließ den Protos wieder in einen Tourenwagen zurückverwandeln.

Ich könnte mir vorstellen, dass dabei die Frontscheibe als Erinnerung an die Historie des Wagens beibehalten wurde – eine Einstellung, die ich sympathisch finde. Man darf einem so alten Auto ansehen, dass es während seines langen Lebens ganz unterschiedlichen Zwecken diente und so oder so seinen Besitzern treue Dienste leistete.

Damit könnte ich es bewenden lassen und meinen Lesern empfehlen, das oben verlinkte Video mit Ruprecht von Siemens zu genießen. Doch war da nicht die Rede von einem Luxusproblem?

Gewiss, und das findet sich auf der Rückseite der Postkarte aus meiner Sammlung, auf der der Protos C1 10/45 PS von Ruprecht von Siemens abgebildet ist:

Von Ruprecht v. Siemens verfasste Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Die Sütterlinschrift, in der der Text auf der Rückseite der Postkarte mit dem Protos von Ruprecht v. Siemens verfasst ist, habe ich zwar nie gelernt. Man kann sich aber mit etwas Geduld darin einlesen, sodass man das Wesentliche erfasst.

Im vorliegenden Fall konnte ich den Text fast vollständig entziffern, nur die ersten drei Wörter wollen keinen rechten Sinn ergeben (Ergänzungen von mir in Klammern):

(fuhr ein?)…nalwagen von Benz mit (,) der für diese Fahrt extra aus einem Museum in London nach München gebracht wurde.

Das Protosverdeck hat ein Original-Golde-Gestell, das mein Karosseriebauer zufällig noch hatte.

Mit besten Grüßen

Ihr Ruprecht v. Siemens

Ganz offenbar ist mir da eine von Ruprecht v. Siemens selbst verfasste Postkarte ins Netz gegangen, deren Adressat mir leider unbekannt ist. Wie es scheint, berichtete er darauf (und vermutlich auf einer zweiten Karte) von einer Oldtimer-Ausfahrt im München der Nachkriegszeit, als sein Protos bereits wieder als Tourenwagen hergerichtet war.

Und nun habe ich folgendes Luxusproblem: Wie könnte der erste Teil der Nachricht gelautet haben, an den die Karte aus meiner Sammlung anknüpft? Kann hier ein Leser weiterhelfen? Oder gar Ruprecht von Siemens selbst?

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Barbaren in Bozen: Wanderer W10-IV Limousine

Eines muss ich meinem heutigen Blog-Eintrag vorausschicken: Die „Barbaren“, um die es geht, waren einst Landsleute aus Chemnitz in Sachsen und es liegt mir fern, sie in ein negatives Licht zu rücken.

Im Gegenteil genießen sächsischer Erfindungsgeist und Selbstbehauptungswille meine Sympathie – von beidem würde ich mir in unserer Republik mehr wünschen. Insofern sind die barbarischen Invasoren aus dem Norden augenzwinkernd zu verstehen.

Wie ernst die Titulierung der nördlichen Nachbarn als Barbaren in der Zeit gemeint war, in der der heutige Fotofund auf italienischem Boden entstand, ist schwer zu sagen. Die Neigung der Italiener zu opernhafter Übertreibung ist dabei in Rechnung zu stellen.

Beginnen wir mit der Örtlichkeit, an sich der italienische Faschismus – im Kern eine vom marxistisch geschulten Benito Mussolini erfundene nationale Spielart des Sozialismus – selbstbewusst in die Nachfolge des Römischen Reichs stellte:

Chrysler 65, Modelljahr 1929; Orignalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die lateinische Inschrift auf dem Triumphbogen, der 1928 im vormals österreichischen Bozen eingeweiht wurde, bringt zum Ausdruck, dass die Italiener die „übrigen Völker“ einst „gründlich kultiviert“ haben – im Hinblick auf „Sprache, Gesetze und Künste“.

Diese Aussage der zweiten Zeile ist bewusst doppeldeutig gehalten. Zum einen verweist sie auf die zivilisierende Wirkung der antiken römischen Kultur in Europa, die über Jahrhunderte Bestand hatte und bis heute fortwirkt.

Zum anderen ist ein direkter Gegenwartsbezug gegeben. Denn dieselbe zivilisierende „Leistung“ nahm Italien mit der Annexion alten österreichischen Region Südtirol nach dem 1. Weltkrieg für sich in Anspruch, also wenige Jahre vor Errichtung des Monuments.

Die deutschen Reisenden, die hier ihren schicken Roadster des Typs Chrysler 65 von 1929 ablichteten, wussten entweder nicht um die Botschaft auf dem Bogen oder sie nahmen sie nicht ernst (was Österreichern damals vermutlich schwergefallen wäre).

Jedenfalls scheint sich die Örtlichkeit mit dem im neoklassizistischen Stil der Zeit gehaltenen, durchaus gekonnten Bau bei Touristen aus dem Norden einer gewissen Beliebtheit als Fotomotiv erfreut zu haben.

So habe ich kürzlich ein Foto erworben, das ein weiteres Auto aus dem „unzivilisierten“ Germanien an fast derselben Stelle zeigt, nämlich dieses hier:

Wanderer W10-IV Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dem Foto fehlt zwar die Raffinesse der Aufnahme des Chrysler, dennoch ist sie ein schönes Zeugnis der Italienliebe der Deutschen, die ich nebenbei seit Jahrzehnten teile, und für die man manche Strapazen auf sich nahm.

Bereits die Besitzer des Chrysler hatten rund 850 Kilometer hinter sich, als sie ihren Roadster bei strahlendem Sonnenschein in Bozen aufnahmen. Kaum weniger fordernd dürfte die Anreise für die Insassen der Limousine gewesen sein, die wir hier sehen:

Dem Kennzeichen nach zu urteilen, stammte dieser Wagen aus dem Raum Chemnitz, was bedeutet, dass er rund 700 km absolviert hatte, um in die Hauptstadt der nunmehr italienischen Region Südtirol zu gelangen.

Auch wenn das Auto unscharf abgebildet ist, fällt die Identifikation von Marke und Typ nicht schwer. Schemenhaft erkennt man das geflügelte „W“ auf dem Kühler, seit 1928 das Markenzeichen der soliden Wanderer-Mittelklassewagen aus Chemnitz.

Die Gestaltung der Kühlerpartie mit senkrechten Lamellen und Doppelstoßstangen ist typisch für das relativ preisgünstige, dennoch luxuriös daherkommende Modell W10-IV mit 30 PS-Vierzylindermotor, das während der Wirtschaftskrise 1930-32 gebaut wurde – hier ein Vergleichsfoto aus meiner Sammlung:

Wanderer W10-IV 6-30 PS; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

So detailreich diese Aufnahme der Frontpartie hier auch ist (siehe zugehörigen Blog-Eintrag), so lässt sie ein Element vermissen, das die unschärfere Aufnahme aus Bozen zeigt und das eine präzise Datierung des dort fotografierten Wagens erlaubt.

Denn dort ist zu erkennen, dass der Wanderer große Chromradkappen besitzt – die wurden aber erst im letzten Produktionsjahr 1932 eingeführt. Demnach kann das Bild frühestens in jenem Jahr entstanden sein, wahrscheinlich aber erst etwas später.

Damit steht diese Aufnahme unfreiwillig für die Zeitenwende im deutsch-italienischen Verhältnis, die 1933 mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland unter einem aus Österreich stammenden Freund Mussolinis begann.

In vielem gab der Operettenstaat Mussolinis das Vorbild für die nationalsozialistische Ästhetik in Deutschland ab. Wer sich schon immer gefragt hat, woher die nicht gerade germanisch wirkenden NS-Adlerstandarten stammten, findet hier die Antwort…

Im Vergleich ist festzustellen, dass die italienische Spielart eines nationalen Sozialismus eher harmlos ausfiel – so wird Mussolini im heutigen Italien vorwiegend mit dem Ausbau der Infrastruktur assoziiert, auch der Bogen in Bozen steht noch.

Dagegen muss man leider den deutschen Nationalsozialismus als eine Barbarei qualifizieren, mit der sich Deutschland als einstiger Kulturträger aus der Geschichte verabschiedet hat. Dafür genügte die Zustimmung einer fanatischen Minderheit, das Mitläufertum vieler Mitbürger und die bis heute fortwirkende naive Verehrung von „Vater Staat.

Vielleicht liegt in dem chauvinistischen Spruch auf dem Triumphbogen in Bozen doch ein Körnchen Wahrheit: Die Wanderer aus dem Norden werden südlich der Alpen (wenn überhaupt) für ihr Geld geschätzt.

Wohl nur mit Rücksicht auf die Interessen der Tourismusbranche verzichtete man einst auf die ursprünglich geplante Bezeichnung der „übrigen Völkerschaften“ auf dem Triumphbogen als Barbaren

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Familiengeschichte (Teil 1): Hansa 1700

Kürzlich erhielt ich ein Schreiben, in dem jemand – inspiriert von Fotos aus meinem Blog – einige persönliche Erinnerungen an die frühe Nachkriegszeit festgehalten hatte. Natürlich ging es dabei um Vorkriegsautos – nur um was für eines, das war das Rätsel.

Der freundliche Verfasser – Peter Hüttenrauch aus Zühlsdorf (Brandenburg) – meinte sich erinnern zu können, dass er als Bub in den 1950er Jahren mit dem Hansa der Eltern Ausflüge gemacht habe. Lassen wir ihn einfach selbst zu Wort kommen:

Ich erinnere ich mich heute noch mit Freuden und Wehmut an den eleganten, windschnittigen und zuverlässigen zweitürigen Wagen meines Vaters, mit den seitlich ausstellbaren Lüftungsklappen, den großen Türen und dem cremefarbenen Verdeck. Damals ein Traumauto, und das in der DDR.

Mit der Familie fuhr mein Vater als leidenschaftlicher Autofahrer damit zur Ostsee nach Warnemünde, nach Altenbrak im Harz, auf den Inselsberg, nach Thüringen nach Friedrichroda, Finsterbergen und zur Wartburg. Für Winterfahrten heizte mein Vater den Wagen mit einem transportablen Glühofen vor. Der Wagen wurde 1958 nach Tangerhütte in der Altmark verkauft. Ich kleiner Junge, 10 Jahre alt, weinte damals bitterlich.

Diese anrührende Geschichte weckt Erinnerungen an ein Hansa-Cabriolet des Typs 1700, das ich hier vorgestellt habe:

Hansa 1700 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

So hätte das Cabriolet aussehen können, an das sich Peter Hüttenrauch mit Abstand von 64 Jahren erinnert. Seine Beschreibung würde perfekt zu dem attraktiv gezeichneten Sechszylinderwagen passen, mit dem Hansa damals eine Marktnische besetzte.

Doch auf Nachfrage stellte sich heraus, dass es doch ein anderes Auto gewesen sein müsse, wie sich beim nochmaligen Blick auf die Familienfotos von damals gezeigt hatte.

Was das tatsächlich für ein Wagen war, an den Peter Hüttenrauch sich so liebevolle Erinnerungen bewahrt hat, das ist dem Teil 2 der Familiengeschichte vorbehalten, die ich anhand von Kopien der Originalfotos erzählen darf.

Doch auf gewisse Weise hat die Erinnerung Peter Hüttenrauch nicht getäuscht. Unter den Fotos der Familie fand sich nämlich tatsächlich eines, das einen ähnlichen Wagen zeigt, wie er ihn beschrieben hat – und das ist nun tatsächlich ein Hansa:

Hansa 1700 Cabrio-Limousine; Originalfoto bereitgestellt von Peter Hüttenrauch (Zühlsdorf)

Trotz der Unschärfe erkennt man die schnittige Kühlerpartie mit dem mächtigen Chromscheinwerfern und die markanten fünf ausstellbaren Luftklappen, die es so nur beim Hansa 1700 gab, der wie die Vierzylindervariante 1100 von 1934 bis 1939 gebaut wurde.

Die kleinen glatten Radkappen deuten auf eine frühe Ausführung hin, da später größere profilierte verbaut wurden. Genaueres ließe sich sagen, wenn die Scheibenpartie nicht überbelichtet wäre. So geben die Form des unteren Scheibenabschlusses und die Anbringung der Scheibenwischer normalerweise nähere Datierungshinweise.

Doch immerhin ist das Foto selbst datiert – es entstand im August 1936. Übrigens erkennt man bei näherem Hinsehen, dass es sich bei dem Hansa um die beliebte Ausführung als Cabrio-Limousine gehandelt haben muss.

Man erkennt nämlich auf der Fahrerseite schemenhaft den gebogenen Abschluss des hinteren Seitenfensters, das es so beim Cabriolet nicht gab.

Zum Vergleich hier eine Aufnahme, die dieses Detail und den massiven oberen Abschluss der Seitenscheiben gut erkennen lässt, wie er typisch für Cabrio-Limousinen ist:

Hansa 1700 Cabrio-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Man sieht hier auch schön, wie wie sich die schrägstehende Kühlerpartie im gesamten Aufbau widerspiegelt, sogar im hinteren Abschluss der Türen – sehr raffiniert.

Doch zurück zum Foto aus dem Familienalbum von Peter Hüttenrauch. Nachdem wir geklärt haben, dass es einen Hansa 1700 zeigt – wenn auch nicht den Wagen, an den er sich aus der Kinderzeit erinnerte – wüsste man gern, wer darauf zu sehen ist.

Hier schließt sich auf einmal der (Familien)Kreis: Denn neben dem Hansa posieren dessen Besitzer Albert Kühne und seine Frau Else aus Rathenow/Havel – die Großeltern von Peter Hüttenrauch. Sie unternahmen damals mit den beiden Kindern Heinz (damals 19) und Ruth (damals 13) einen Ausflug, wie wir dank der Beschriftung des Fotos wissen.

Ruth Kühne, die hier noch ein Mädchen ist, werden wir in Teil 2 dieser hübschen kleinen Familiengeschichte wiederbegegnen – dann aber als erwachsene Frau und Mutter von Peter Hüttenrauch.

Ihn werden wir dann ebenfalls als Bub kennenlernen, außerdem natürlich das Auto, an das er völlig zu recht so schöne Erinnerungen hat. Das war ein Wagen, der auch mir ganz große Freude bereitet hat, denn ihm bin ich in meiner Blogger-Karriere überhaupt erst einmal begegnet.

Bis dahin – Geduld! Den Hersteller habe ich nämlich erst kürzlich behandelt und daher sollen vorher noch ein paar andere Modelle zu ihrem Recht kommen…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Sommer vor 85 Jahren: Ein FN 2200G Tourer

Mein heutiger Blog-Eintrag führt uns zurück in den Sommer 1935. Was sich damals in Deutschland politisch abspielte, ist bekannt:

Die Nationalsozialisten saßen zwei Jahre nach der Machtergreifung fest im Sattel – die Idee eines völkisch definierten Kollektivs verbunden mit zentraler Wirtschaftsplanung und staatlicher Kontrolle aller Lebensbereiche fanden bei einem erheblichen Teil der Deutschen Anklang.

Aus heutiger Sicht fällt es leicht, unsere Vorfahren pauschal zu verurteilen. Doch muss sich jeder die Frage gefallen lassen: Wie hätte man selbst sich damals verhalten? Nun, wie das tragische Beispiel vieler Deutscher jüdischer Abkunft zeigte, die die Bedrohung nicht wahrhaben wollten, hätte man wohl gehofft, dass der Spuk bald vorübergehen würde.

Und so ging auch für die meisten nun zu „Volksgenossen“ degradierten deutschen Bürger das Leben erst einmal im Rahmen des Möglichen weiter. Der tägliche Daseinskampf hatte für die meisten eine ganz andere, nämlich überragende Bedeutung.

Und für die dünne Schicht, die es zu materiellem Wohlstand gebracht hatte, stand wohl weiterhin im Vordergrund, diesen zu genießen, wenn es die knappe Freizeit erlaubte.

So wirken auch die Aufnahmen jener Zeit unbeschwert, auf denen Autobesitzer bei einem Fotohalt während einer Ausfahrt zu sehen sind, obwohl bei näherem Hinsehen auch bei diesem Dokument von 1935 das Hakenkreuz stetiger Begleiter war:

FN 2200G, aufgenommen 1935; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wenngleich es schwerfällt, die bedrückenden politischen Umstände jener Zeit auszublenden, will ich den Blick auf die idyllische Situation und den außergewöhnlichen Wagen lenken, der hier zu sehen ist.

Da steht ein klassischer Tourenwagen der späten 1920er Jahre irgendwo am Rand einer kaum befestigten Allee inmitten einer weiten Ebene, die von sanften Hügeln begrenzt wird.

Das Kennzeichen verrät, dass dieser Wagen im Raum Hannover zugelassen war. Der Aufnahmeort ist leider unbekannt. Nur dass es Sommer gewesen sein muss, als diese schöne Aufnahme entstand, das ist gewiss:

Die junge Dame, die hier in die Ferne schaut, ist braungebrannt – es muss ein Sommer mit reichlich Sonne gewesen sein. Sie hat am Wegesrand Feldblumen gepflückt und hält den Strauß in der Armbeuge – ein Motiv, das an Zeitlosigkeit schwer zu überbieten ist.

Wer bekommt da nicht Lust, den eigenen Klassiker aus der Garage zu holen und eine Tour über Land zu unternehmen, in charmanter Begleitung und mit einem Halt irgendwo im Grünen, wo man vollkommen bei sich ist?

Nur bei der Wahl des Fahrzeugs wird man Kompromisse machen müssen.

Denn genau dieses Auto wird man im heutigen „weltoffenen“ Deutschland kaum antreffen. Dass es dagegen 1935 möglich war, verrät einiges darüber, dass die Dinge nicht ganz so einfach waren, wie sie sich mit 85 Jahren Abstand vom Schreibtisch aus darstellen.

Das Auto war nämlich belgischer Herkunft, was heute völlig überraschend erscheinen mag, aber vor dem 1. Weltkrieg und noch eine Weile danach so ungewöhnlich nicht war.

Tatsächlich war die Welt der Vorkriegsautos in deutschen Landen weitaus vielfältiger, als es die heutige, weitgehend auf Prestigemarken fokussierte „Oldtimerszene“ erkennen lässt (speziell im Westen der Republik).

Belgien – einst einer der international bedeutendsten Industriestandorte – verfügte bis in die 1930er Jahre über eine kolossale Vielfalt an Automobilherstellern, von denen die meisten hierzulande fast völlig unbekannt sind.

Mir eröffnete sich diese Wunderwelt erst nach Erwerb des phänomenalen Werks „Le Grand Livre de l’Automobile Belge“ (Autoren: Kupélian/Sirtaine). Es ist umwerfend, was dort auf fast 300 Seiten in hervorragender Qualität geboten wird.

Dieser meisterhaften Publikation, die man als Standardwerk zur belgischen Automobilbauindustrie ansehen darf, verdanke ich es, dass ich in der Lage war, den eindrucksvollen Tourenwagen auf dem Foto von Sommer 1935 zu identifizieren.

Dabei liefert wie so oft die Kühlerpartie die entscheidenen Hinweise:

Die Kühlerform, die Gestaltung des Deckels des Kühlwassereinfüllstutzens und die 12 bis 13 Luftschlitze finden sich genau so am FN 2200G wieder.

Prosaischer könnte die Bezeichnung eines Automobils dieser Klasse kaum ausfallen. „FN“ steht für den belgischen Waffenhersteller Fabrique Nationale d’Armes de Guerre, der ab 1900 auch Automobile baute.

Das 2,2 Liter Modell FN 2200 wurde 1922 mit Motorisierung 15 CV vorgestellt und nach einigen Weiterentwicklungen Ende 1925 vom Typ 2200G 16CV abgelöst, der bei gleichem Hubraum nunmehr über im Zylinderkopf hängende Ventile verfügte.

Der Wagen – der erste FN mit Linkslenkung nebenbei – erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h, was gegen Ende der 1920er Jahre in Europa als ziemlich eindrucksvoll galt, wenn man sich die damaligen Straßen vergegenwärtigt.

Nur 250 Exemplare dieses Typs baute FN bis 1930 – Großserienproduktion fand sich bei den belgischen Herstellern kaum, was erklärt, dass sie heute kaum noch einer kennt.

So bleibt die reizvolle Frage: Wie gelangte der heute vorgestellte FN 2200G einst nach Deutschland – dem Nachbarn, mit dem man bereits 1914 schlechte Erfahrungen gemacht hatte (um es vorsichtig auszudrücken)?

Nun, die einfachste Erklärung dürften persönliche Neigungen gewesen sein.

So wie einige belgische Autohersteller vor dem 1. Weltkrieg deutsche Ingenieure beschäftigten, so könnte jemand in den 1920er Jahren jemand in Deutschland aufgrund persönlicher Beziehungen Gefallen an belgischen Automobilen gefunden haben und eines bis in die 1930er Jahre genutzt haben.

Wie immer in solchen Fällen, wüsste man gern, was aus dem Auto und seinen Besitzern in den nächsten zehn Jahren wurde, die auf diese schöne Aufnahme folgten. Das aber überlasse ich ganz dem „Kopfkino“ der Leser…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

6 Zylinder, 13 Linden: Ein Adler in Corvey

Leser meines Blogs sind ihm schon oft begegnet – dem Adler „Standard 6“ der späten 1920er Jahre, der mit 6-Zylindermotor, Hydraulikbremsen und Karosserie nach US-Vorbild den damals in Deutschland dominanten Amerikanerwagen Paroli bieten sollte.

Sein Erfolg blieb zwar begrenzt, die Mehrzahl potentieller Käufer bevorzugte nach wie vor US-Fabrikate, doch hat er zumindest in Form alter Fotos reichlich Spuren hinterlassen.

Mehr als zwei Dutzend Exemplare davon sind in meiner Adler-Galerie versammelt, und es finden sich immer noch neue – auch dank Lesern und Sammlerkollegen. Da kann man schon ein wenig verschwenderisch vorgehen und ein Spitzenfoto des Standard 6 quasi als Einleitung für die Geschichte nehmen, die ich heute erzählen will:

Adler „Standard 6“ Limousine, aufgenommen 1928; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese sicher von Profihand angefertigte Aufnahme entstand im April 1928 und zeigt einen Adler „Standard 6“ in der frühen Ausführung aus idealer Perspektive.

Hauptmerkmal der ab 1927 gebauten Erstversion des Modells war die Kühlereinfassung mit weit in das Kühlernetz hineinragendem Adler-Emblem. Dieses wanderte bei späteren Ausführungen (ab etwa 1930) ganz nach oben. Daneben vollzogen sich weitere Änderungen (aber nicht alle zeitgleich), die hier nicht thematisiert werden sollen.

Vergleiche mit Abbbildungen in der Literatur (vor allem: W. Oswald; Adler Automobile 1900-1945, S. 47) sprechen dafür, dass dieser Aufbau als Sechsfenster-Limousine vom Berliner Presswerk Ambi-Budd in Ganzstahlausführung zugeliefert wurde.

Das Kennzeichen verweist auf eine Zulassung im Raum Plauen (Vogtland, Sachsen), Näheres zum Aufnahmeort ist nicht bekannt und lässt sich wohl auch nicht mehr ermitteln.

Ganz anders sieht das aus bei dem Foto, das heute eigentlich im Mittelpunkt steht, obwohl es von weit schlechterer Qualität ist. Doch ist es nicht das erste Mal, dass sich ein auf den ersten Blick unscheinbareres Bild am Ende als das interessantere herausstellt:

Adler „Standard 6“ vor dem Hotel Dreizehnlinden in Corvey; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Dieses Foto stammt aus dem Fundus von Matthias Schmidt (Dresden) und zeigt offenbar einen nahezu identischen Adler Standard 6 in der frühen Ausführung mit Ambi-Budd-Aufbau; nur ist hier ein seitliches Ersatzrad montiert.

Das Nummernschild verrät, dass diese Limousine einst im westfälischen Landkreis Soest zugelassen war. Wie sich zeigen wird, befand sich der Ort der Aufnahme gut 100 km weiter östlich von Soest.

Wo dieser Adler geparkt worden war, das lässt sich anhand der Aufschrift auf dem dreistöckigen Gebäude genau ermitteln: „Dreizehnlinden“. So lässt sich der Schriftzug ergänzen, außerdem ist er nochmals auf dem Türsturz über dem Eingang eingemeißelt.

Dort erfährt man auch, dass man es mit einem Hotel zu tun hat, was einen nach kurzer Recherche zum „Hotel Dreizehnlinden“ beim einst hochbedeutenden Kloster Corvey führt.

Das 1794 erbaute Hotel befindet sich westlich des Tors zu Kloster- und Schlossanlage. Auf der folgenden historischen Ansichtskarte sehen wir es aus ähnlicher Perspektive, aber aus größerer Entfernung als auf dem Foto mit dem Adler:

Hotel Dreizehnlinden beim Kloster Corvey, Ansichtskarte um 1910; Quelle: https://picclick.de

Der Ruf des Hotels Dreizehnlinden scheint ausgezeichnet gewesen zu sein, wenn man den Quellen im Netz glauben darf. Dazu würde es gut passen, dass eine Gesellschaft mit nicht ganz billigem Adler „Standard 6“ einst dort haltmachte.

Übrigens hatte das Hotel seinen eigentümlichen Namen erst 1907 in Anlehnung an ein fiktives Kloster „Dreizehnlinden“ erhalten, das im gleichnamigen Epos von Friedrich Wilhelm Weber eine zentrale Rolle spielt.

Der Verfasser des Werks, den man nicht zu den großen seiner Zeit zählen muss, hatte darin einige Bezüge aus seiner Heimatregion einbezogen – auch der Name „Dreizehnlinden“ ist in der Gegend um Corvey belegt.

So kommt man anhand einer auf den ersten Blick mittelprächtigen Aufnahme eines Adler mit 6 Zylindern auf einen idyllischen Ort namens Dreizehnlinden (das sehr original erhaltene, aber baufällige Hotel steht übrigens seit Jahrzehnten leer) und könnte sich nun im Studium der Geschichte von Corvey beispielsweise verlieren.

Doch trotz solcher reizvoller Ausflüge in die Regionalgeschichte sind es aber letztlich die alten Automobile, die uns in ihren Bann ziehen. Und so steht am Ende des heutigen Blogeintrags nochmals ein Adler Standard 6, diesmal aus ungewöhnlicher Perspektive und in offener Ausführung:

Adler „Standard 6“ und Opel 4/20 PS; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Bei den großen Adler-Wagen der späten 1920er und frühen 1930er Jahre findet sich immer wieder reizvolles Bildmaterial. Hinter dem mächtigen Adler hat übrigens ein braver Opel 4/20PS haltgemacht.

Doch nicht nur unterschiedliche Orte und Gelegenheiten machen den Charme dieser amerikanisch inspirierten Adler-Modelle aus. Auch unter der Haube ist noch einiges Potential vorhanden – denn eine Variante habe ich bislang ausgeblendet – den Standard 8!

Auf das rare Prachtstück freut sich bestimmt nicht nur dieser einzelne Herr…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Graue Eminenz: Peugeot Tourer der 1920er Jahre

Verband man mit den „20er Jahren“ stets die erste Dekade nach dem 1. Weltkrieg, muss man inzwischen von „1920er“ Jahren sprechen, um nicht unbeabsichtigt in der Gegenwart zu landen, die nur eines mit den „Roaring Twenties“ gemeinsam hat – das Gefühl, in einer Zeit großer Umbrüche mit ungewissem Ausgang zu leben.

Dass sich ansonsten fast alles geändert hat, lässt sich auch am gegenwärtigen Erscheinungsbild der meisten damaligen Automarken ablesen, die aus meiner Sicht heute nur noch ein Schatten ihrer selbst sind.

Das gilt nicht nur für einstige Ikonen wie Alfa-Romeo oder Lancia, die im Fiat-Konzern ein würdeloses Dasein führen, sondern auch für einen der ältesten Autobauer überhaupt: Peugeot aus Frankreich.

Als Besitzer eines Peugeot-Motorrads des Typs P-109 und eines PKW des Typs 202 bin ich der Marke durchaus zugetan. Was allerdings seit den 1980er Jahren mit dem Peugeot-Emblem die Straßen bevölkert, interessiert mich nicht im Geringsten. Der Niedergang Frankreichs als eine einst führende Industrienation ist auch hier unübersehbar.

Befasst man sich dagegen mit den Vorkriegsmodellen von Peugeot, tut sich eine Wunderwelt auf. Das stetig wachsende deutsche Peugeot-Vorkriegsregister von Michael Kreuz kündet eindrucksvoll von der unverminderten Anziehungskraft der frühen Modelle dieser einst so glanzvollen Marke.

Für viele sind die „Stromlinien“-Peugeots der Typen 302 und 402 aus den 1930er Jahren Höhepunkte einer faszinierenden Markengeschichte. Doch auch die weit weniger bekannten Typen der 1920er Jahre sind von großem Reiz.

Hier haben wir einen davon, auch wenn die Ansprache als Peugeot nicht gerade naheliegt:

Peugeot (vermutlich Typ 174 oder 176); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Tourenwagen ist von beeindruckender Präsenz, verbirgt auf dieser Aufnahme aber geschickt seine Identität – der Titel meines heutigen Blog-Eintrags spielt darauf an.

Graue Eminenz – damit meint man in der Welt der Politik traditionell eine Person, die hinter der offiziellen Staatsfassade unbemerkt die Fäden zieht.

Die Theorien, wer in unserer Zeit – und speziell hierzulande – eine solche Rolle als graue Eminenz im Netz der großen Politik einnehmen dürfte, sollen hier nicht das Thema sein. Nur auf den Aspekt des geräuschlosen Wirkens will ich noch zurückkommen.

Wie es sich für eine graue Eminenz gehört, tat ich mich mit der Identifikation des Wagens lange Zeit schwer. An diesem Auto ist kaum etwas zu sehen, was man nicht an anderen Tourenwagen der frühen 1920er Jahre ebenfalls besichtigen könnte.

Doch dann erhielt ich den Hinweis von einem anderen Enthusiasten im Netz, dass es sich sehr wahrscheinlich um einen Peugeot der Typen 174 oder 176 handeln müsse.

Tatsächlich besitzt beispielsweise der ab 1923 gebaute Peugeot 176 genau diese markant gestalteten Rädern mit massiven Speichen und Zentralverschluss:

Wenn die Zuschreibung stimmt, hätten wir es mit einem Wagen mit 2,5 Liter-Motor und 55 PS zu tun.

Klingt beachtlich für jene Zeit – doch der eigentliche Clou war der fast geräuschlose Motorlauf, da das Aggregat über keine klappernden Ventile zur Steuerung des Gaswechsels verfügte, sondern über auf- und ablaufende Hülsenschieber.

Dieses Patent des US-Amerikaners Charles Knight erfreute sich vor allem in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg einiger Beliebtheit bei Automobilen der Oberklasse.

Mir ist nicht bekannt, wann die letzten Wagen mit Knight-Schiebermotoren entstanden, doch Peugeot scheint einer der Hersteller gewesen zu sein, bei denen sie am längsten genutzt wurden. Noch beim Peugeot Typ 184 von 1928 mit 80 PS starkem 6-Zylinder verfolgte man diese brilliante technologische Sackgasse.

Übrigens bot Peugeot in der ersten Hälfte der 1920er Jahre parallel zum bereits in Erwägung gezogenen Typ 176 einen weit stärkeren Motor mit 75 PS an, der im 1922 eingeführten Typ 174 verbaut wurde.

Beide Modelle wurden bis 1928 gebaut, aber vermutlich in eher überschaubaren Stückzahlen. Ich muss gestehen, dass ich der mir vorliegenden Literatur zu diesen Peugeot-Typen der 1920er Jahre nicht so recht traue.

So findet sich in Wolfgang Schmarbecks Buch „Alle Peugeot Automobile – 1889 bis 1980“ die Aussage, dass der 55-PS leistende Typ 176 bereits 1923 über Vierradbremse verfügt und bis zu 110 km/h schnell war, der 75 PS-Typ 174 aber bis 1926 nur eine Hinterradbremse besaß und bloß Tempo 100 erreichte – das ist wenig plausibel.

Ganz ähnlich ist der Befund in weiten Teilen der deutschsprachigen Automobilliteratur der 1970/80er Jahre – obwohl die Autoren seinerzeit noch auf Zeitzeugen zugreifen konnten. Im Fall von Peugeot fehlt mir noch ein aktuelles Standardwerk zu den frühen Modellen bis 1930 und freue mich über entsprechende Hinweise.

Werfen wir noch einen letzten Blick auf die heute vorgestellte „graue Eminenz“ – hier mit Fokus auf die Insassen des äußerst schlicht gezeichneten Peugeot-Tourers:

Das waren zweifellos Leute von Welt, die sich einen solchen Peugeot mit (vermutlich) Knight-Schiebermotor leisten konnten. Ich gehe davon aus, dass die Besitzer Deutsche waren, da ich das Foto hierzulande von privat erworben habe.

Peugeot war mit seinen damals hervorragenden Wagen auch in Deutschland vertreten, vor allem am Hauptabsatzmarkt Berlin. So mag diese nicht perfekte, aber aus meiner Sicht stimmungsvolle Aufnahme irgendwo im Berliner Raum entstanden sein.

Wie immer bin ich dankbar für Kommentare und Korrekturen gerade bei solchen Fahrzeugen, bei denen ich auf Mutmaßungen angewiesen bin – vielleicht lässt sich der Peugeot ja doch noch genauer ansprechen – ansonsten bleibt er eine graue Eminenz

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ziemlich „Rekord“verdächtig: Hanomag „Kurier“

„Rekord“verdacht besteht im Fall des heutigen Gegenstands meines Vorkriegsauto-Blogs gleich in zweifacher Hinsicht.

Nicht nur sieht der Wagen, um den es geht, dem recht bekannten Hanomag „Rekord“ der 1930er Jahre verflixt ähnlich, auch die Zahl der Bilder davon, die ich hier zeige, ist ziemlich rekordverdächtig.

Tatsächlich handelt es sich um ein (auch in der Literatur) eher seltenes Modell des Hannoveraner Maschinenbauers, der PKWs nur nebenbei produzierte. Beginnen wir zur Einordnung gleich mit dem ersten Rekord:

Hanomag „Rekord“; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Dass dieses schöne Foto aus der Sammlung von Leser Klaas Dierks einen Rekord darstellt, verrät schon der Schriftzug auf dem Kühlergrill. Auf den Hersteller Hanomag verweist das auffallende Markenemblem – ein geflügeltes „H“ – weiter oben.

Keine Frage: Hier haben wir einen von rund 18.000 Wagen des Typs Hanomag „Rekord“ vor uns, ein technisch unauffälliges, aber sehr robustes Fahrzeug mit 1,5 Liter-Vierzylinder (32 PS), hydraulischen Bremsen und Einzelradaufhängung vorn.

Passend zur Örtlichkeit der Aufnahme verfügt der Hanomag über einen Aufbau als Cabriolet – sehr wahrscheinlich auf Basis der Standardkarosserie „Jupiter“ von Ambi-Budd.

Denn dieses Foto wurde einst am Gardasee in Oberitalien aufgenommen – für viele ein Sehnsuchtsort bis heute und angesichts der mit dem Coronavirus begründeten Reiseverbote aktuell mehr denn je.

Rekordverdächtig zumindest unter den zahlreichen Fotos dieses Typs (siehe Hanomag-Galerie) ist die Strecke, die dieser Hanomag zurückgelegt haben muss. Rund 1.200 km sind es nämlich vom Zulassungsort in Oldenburg in Niedersachsen an den schönen Gardasee in Oberitalien.

Wohl mancher würde etwas darum geben, jetzt mit Spitzentempo 100 km/h auf staubigen Landstraßen gen Süden reisen zu dürfen – so schnell relativieren sich die Dinge.

Kaum weniger „rekord“verdächtig wirkt jedoch das folgende Fahrzeug, das in der niedersächsischen Heimat des weitgereisten Hanomag aufgenommen wurde:

Hanomag „Kurier“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Sieht man von dem hier geschlossenen Aufbau ab, weist der Wagen eine auffallende Ähnlichkeit mit dem „Rekord“-Cabriolet am Gardasee auf.

Das liegt nicht nur daran, dass es sich ebenfalls um einen Hanomag handelt (auch wenn hier das Flügelemblem weiter oben sitzt). Das Auto basiert auch auf besagter „Jupiter“-Karosserie, die das Berliner Presswerk von Ambi-Budd an diverse Hersteller lieferte.

Für hinreichende Unterscheidbarkeit sorgten dabei marken- und typspezifische Feinheiten wie die Kühlermaske, Schriftzüge oder die Gestaltung der Motorhaube.

Im vorliegenden Fall ist zwar der Schriftzug auf dem Kühlergrill schwer lesbar, doch im Original kann man „Kurier“ statt „Rekord“ entziffern. Entkräftet wird der „Rekord“verdacht außerdem durch das Vorhandensein von Haubenschlitzen anstelle von seitlichen Luftklappen.

Auch wenn die mir zugängliche Literatur kein Wort darüber verliert, bin ich nach dem Studium von Originalaufnahmen zu dem Schluss gekommen, dass ein solcher Hanomag-Wagen mit vier Luftklappen immer ein „Rekord“ sein muss.

Mit den billiger herzustellenden Luftschlitzen war dagegen bei sonst identischem Blechkleid das parallel erhältliche Modell „Kurier“ versehen. Dabei handelte es sich um eine modernisierte Version des 1,1 Liter-Vorgängertyps „Garant“ mit 23 PS.

Hier haben wir eine zeitgenössische Prospektabbildung der Maschine, die deshalb sehenswert ist, weil dort auf dem Kurbelgehäuse noch das frühere Markenemblem – die stilisierte Silhoutte des PKW-Erstlings 2/10 PS „Kommissbrot“ – zu sehen ist:

Von dem kleineren Aggregat abgesehen, war der Hanomag „Kurier“ technisch weitgehend mit dem stärkeren „Rekord“ identisch.

Das mag erklären, warum man die beiden Typen nicht nur durch die abweichenden Haubenschlitze bzw. -klappen voneinander unterschied, sondern ihnen offenbar serienmäßig auch einen entsprechenden Schriftzug auf dem Kühler spendierte:

Hanomag „Kurier“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser Hanomag „Kurier“ war offenbar im Landkreis Schleswig zugelassen – leider ist über die Örtlichkeit nichts bekannt, außer dass auf dem (größeren) Original im Hintergrund ein Schild mit der Aufschrift „Bäckerei und Conditorei Heinr. Fick“ zu sehen ist.

Dass der Wagen nur einen Scheibenwischer hat, ist keineswegs ungewöhnlich – das findet sich auch auf Fotos des teureren Typs „Rekord“. Offenbar war der zweite Wischer generell aufpreispflichtig.

Dafür wurde am teuren Chromschmuck nicht gespart, der sich bei den Modellen „Rekord“ und „Kurier“ nach meinem Eindruck nicht unterschied.

In beiden Fällen verweist die Montage von Scheibenrädern auf eine Bauzeit von 1934-36, ab 1937 gab es gelochte Räder:

Hanomag „Kurier“ ab 1937; originales Pressefoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wie hier zu sehen ist, wich bei der Modellpflege des „Kurier“ (wie auch beim „Rekord“) zudem die bislang profilierte Stoßstange einer glattflächigeren Ausführung.

In dieser Form wurde der Hanomag „Kurier“ nur noch bis 1938 hergestellt – dann war der schwachbrüstige und gleichzeitig ziemlich teure Wagen wohl kaum noch verkäuflich. Etwas mehr als 10.000 Exemplare davon wurden gebaut.

Das klingt viel, doch würde es mich wundern, wenn davon noch mehr als ein paar Dutzend erhalten geblieben sind. Der „Rekord“ mit fast doppelt so hoher Stückzahl und angemessenerer Motorisierung hatte da besser Überlebenschancen.

So ist wohl eher die Zahl der noch existierenden Fotos von Hanomag-Wagen des Typs „Kurier“ rekordverdächtig – man findet immer noch auffallend viele davon.

Hier für heute eine letzte Aufnahme des Modells, die an Pfingsten 1935 irgendwo im Berliner Raum entstand, also ziemlich genau vor 85 Jahren:

Hanomag „Kurier“ Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Von Bildaufbau und technischer Qualität her ist das – gemessen an vielen anderen Fotos dieses Typs – eine „rekordverdächtige“ Aufnahme, auch wenn die abgebildeten Personen nicht gerade mit Schönheit geschlagen sind.

Doch relativiert sich der Eindruck vermutlich, wenn man sich ein solches Familienfoto mit bravem Mittelklassewagen im Berlin des 21. Jahrhunderts vorstellt…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ein dringender Fall für den Friseur: DKW F8

Seit Beginn dieser Woche darf sich der gemeine Deutsche wieder frisieren lassen – offenbar ein Privileg, das während der Ausgangsbeschränkungen der letzten Wochen Politikern und Talkshow-Insassen vorbehalten war, an deren äußerem Erscheinungsbild es nicht mehr auszusetzen gab als sonst – wie war das nur möglich?

Egal, für den Untertan galten schon immer besondere Verhaltensregeln, und so dürften aktuell wieder einige Landsleute dringende Fälle für den Friseur sein wie der junge Mann auf dem folgenden Foto:

DKW F8 Front-Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese hübsche Aufnahme aus Chemnitz entstand zu einer Zeit, in der auch sonst der Gürtel enger zu schnallen war, nämlich kurz nach dem 2. Weltkrieg.

Während der Hunger ungestillt bleiben musste, ließ sich für einen kurzen Moment immerhin ein gewisser Appetit nach Luxus befriedigen – und sei es nur, indem man so tat, als gehöre einem das Auto mit der opulent verchromten Kühlermaske.

Vielsagend finde ich übrigens, dass „er“ mit der Hand den Wagen berührt, während „sie“ mit besitzergreifender Geste die Hand auf seine Schulter legt. „Das ist meiner!“, ist ihrem selbstbewussten Gesichtsausdruck zu entnehmen, während er mehr schlecht als recht versucht, den stolzen Autobesitzer zu geben.

Ob ihre perfekte Frisur ebenfalls auf Nähe zu politischen „Größen“ mit Sonderrechten schließen lässt, sei einmal dahingestellt – für mich ist sie jedenfalls ein Beispiel dafür, wie man auch unter materiell ärmlichen Umständen seine Würde bewahren kann.

Was das für ein schickes Auto ist, neben dem die beiden posieren, bewegt den Leser sicher ebenso wie einst mich. Möglicherweise kommen Markenkenner auf Anhieb darauf – mich hat es jedenfalls einige Zeit gekostet herauszufinden, dass es ein DKW ist.

Man möchte das erst nicht glauben, denn der Wagen wirkt nicht gerade wie ein schmalbrüstiger Zweitakter mit Holzkarosserie. Das Fehlen des Markenemblems und der vier Ringe, die auf die Zugehörigkeit von DKW zum Auto Union verwiesen, hat mich jedenfalls zunächst etwas anderes vermuten lassen.

Allerdings handelt es sich auch nicht um irgendeinen der so populären Frontantriebswagen der sächsischen Marke, sondern um die Sonderausführung „Front Luxus-Cabriolet“ mit Stahlkarosserie von Baur.

Dies zu beweisen, bedarf es einiger Schritte, bei denen das titelgebende Motto „Ein dringender Fall für den Friseur“ eine ganz eigene Bedeutung erlangt. Beginnen wir mit einem kleinen Detail, das mich letztlich auf die Spur des Herstellers DKW gebracht hat:

Bei genauem Hinsehen erkennt man, dass die seitlichen Luftschlitze in der Motorhaube links vom Scheinwerfer unterbrochen wirken. Das ist auch tatsächlich der Fall, wir haben es bei diesem Modell mit zwei übereinanderliegenden Reihen von Schlitzen zu tun.

Wer Zweifel hegt, kann sich gleich davon überzeugen, dass die Beobachtung zutrifft.

Vorher möchte ich aber noch auf ein anderes Detail hinweisen, das es im Hinterkopf zu behalten gilt – und zwar die unten durch die Frontscheibe geführten Achsen der Scheibenwischer. Wir werden ihnen später wiederbegegnen.

Nun aber zum angekündigten Vergleichsfoto, das ebenfalls nach dem Krieg in Ostdeutschland entstand:

DKW IFA F8 der frühen Nachkriegszeit; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Trotz der Unschärfe kann man die erwähnten beiden Reihen Haubenschlitze erkennen – ansonsten findet sich dieselbe Kühlermaske mit senkrechten Stäben, die Kennzeichen des DKW F8 von 1939 war.

Das rautenförmige Emblem in der Mitte der Scheinwerferstange und die profilierten Stoßecken sind jedoch Kennzeichen des ab 1949 in Zwickau weitergebauten F8. Motorenseitig war die Vorkriegskonstruktion übernommen worden.

Dabei hätte gerade diese Anlass zum „Frisieren“ gegeben, denn schon vor dem Krieg waren die 20 PS des DKW F8 arg knapp bemessen.

Dessen war man sich bei DKW durchaus bewusst war. Angesichts der drohenden Konkurrenz des von Ferdinand Porsche neuentwickelten Volkswagens entstand 1938 der erste Prototyp eines nunmehr dreizylindrigen Typs (F9).

Da mit dem Beginn der Serienfertigung des DKW F9 nicht vor 1940 gerechnet wurde, entwickelte man mit dem F8 ein Übergangsmodell, das 1939 den bisherigen Typ F7 ablöste. Zwar verzichtete man dabei auf ein „Frisieren“ des faktisch unveränderten Motors, doch bei beim Fahrwerk entschied man sich für einen grundlegend anderen „Zuschnitt“.

Das neue Chassis (mit Anleihen bei der Konzernschwester Wanderer) bedeutet nicht zuletzt dank verbesserter Bremsen einen deutlichen Fortschritt gegenüber dem F7. Auch die Geräuschdämmung wurde verbessert.

Bei unveränderter Karosserieform wurde der neue DKW F8 vom Markt gut aufgenommen, wie mehrmonatige Wartefristen nach Vorstellung Anfang 1939 bewiesen. Kriegsbedingt sollten aber nicht viele Käufer in den Genuss eines DKW F8 kommen.

Lediglich beim Militär erhielt man gegebenfalls Gelegenheit dazu, wie folgendes Foto illustriert:

DKW F8 (Luftwaffenfahrzeug); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wie das Kürzel „WL“ auf Kotflügel und Nummernschild verrät, gehörte dieser Wagen zu einer Einheit der deutschen Luftwaffe – über Ort und Entstehungszeitpunkt der Aufnahme ist mir nichts bekannt.

Sämtliche Chromteile sind matt überlackiert – im typischen Blaugrau von Luftwaffenfahrzeugen. Einer der beiden mit den typischen Tarnkappen versehenen Scheinwerfern ist hier merkwürdig verdreht. Evtl. sollte er auf schlechten Wegen den rechten Fahrbahnrand beleuchten.

Auf dieser Aufnahme sieht man außerdem die im Normalfall oben am Scheibenholm angebrachten Scheibenwischer. Dies war so bei allen gängigen Versionen des DKW F8 zu finden, je nach Ausstattung war mitunter nur ein Wischer serienmäßig.

Erinnern Sie sich an die unten an der Windschutzscheibe angebrachten Scheibenwischer des eingangs gezeigten DKW F8? Nun, diese sind der entscheidende Hinweis auf eine Sonderausführung mit der Bezeichnung „Front Luxus-Cabriolet“.

DKW F8 Front Luxus-Cabriolet; zeitgenössische Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Der Aufbau dieser äußerlich geschickt „frisierten“ Version wurde im Fall des DKW F8 vom Karosserielieferanten Baur gefertigt – und zwar im Unterschied zu den übrigen Ausführungen komplett mit Stahlblech statt Kunstleder beplankt.

Üppiger Chromschmuck und Ledersitze setzten luxuriöse Akzente, während unter der Haube weiterhin der vertraute 20-PS-Zweizylinder-Zweitakter werkelte. Wie opulent das Front Luxus-Cabriolet dabei wirkte, lässt sich hier bewundern:

DKW F8 Front-Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Diese reizvolle Aufnahme, die ich Leser Marcus Bengsch verdanke, zeigt das Spitzenmodell des DKW F8 aus ungewöhnlicher Perspektive, aber durchaus gekonnt.

An der Vorderpartie fallen die beiden Reihen Haubenschlitze ins Auge, außerdem kann man nun die untenliegenden Scheibenwischer von innen besichtigen. Der Scheibenwischermotor ist hinter dem linken Wischer montiert, der rechte wird über eine damit verbundene Stange betätigt.

Dieses Detail wurde noch vor Kriegsbeginn geändert – die Wischer wanderten wie bei den Normalausführungen nach oben, sodass diese Ausführung nur selten zu sehen ist.

Bekommen wir am Ende noch einmal die Kurve zurück zum Thema „Ein dringender Fall für den Friseur?“ Ja, nicht ohne dabei ein weiteres Detail ins Visier zu nehmen, das typisch für die bewunderten Front Luxus-Cabriolets von DKW war:

Hier haben wir zum einen die mächtige Sturmstange vor uns, die bei geschlossenem Verdeck einen eleganten Akzent setzte, zum anderen die wie ein Komentenschweif breit auslaufende seitliche Zierleiste, die das dunkel lackierte Oberteil von der hell gehaltenen und leicht wirkenden Flanke trennt.

Ob die Dame auf dem Beifahrersitz bereits ahnte, dass sie bei Fortsetzung der Fahrt bald ein dringender Fall für den Friseur sein würde? Ohne eine schützende Kappe, wie sie die vergnügte Nachbarin trug, oder ein Kopftuch, richtet der Fahrtwind bei damaligen Cabriolets früher oder später die robusteste Haarpracht zugrunde.

Die Frage, ob es das alles wert war, wird man zumindest im Fall des DKW F8 Front Luxus-Cabriolet – vom Volksmund nicht ohne Grund als „kleiner Horch“ bezeichnet – gewiss bejahen können…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

In den 30ern schon eine Rarität: Adler „Favorit“ Tourer

In den 1920er Jahren waren Tourenwagen gewissermaßen ein Branchenstandard im deutschsprachigen Raum. Die offenen Versionen mit Platz für bis zu sieben Personen wurden jedoch nicht wegen ihrer Freiluftqualitäten bevorzugt, sondern weil sie die günstigste Möglichkeit darstellten, überhaupt ein Auto zu fahren.

Das begann sich ab Mitte der 1920er Jahre zu ändern, als zunehmend Limousinen gefragt waren. Das erklärt, weshalb beispielsweise Adler aus Frankfurt das 1928 eingeführte Vierzylindermodell „Favorit“ meist mit geschlossenem Aufbau lieferte.

Hier ein typisches Beispiel mit Ganzstahl-Standardkarosserie von Ambi-Budd:

Adler „Favorit“ Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser 1930 fotografierte Wagen entspricht vollkommen vergleichbaren Exemplaren in der Literatur. Das Adler-Emblem ragt noch in das Kühlernetz hinein, was in Verbindung mit den fünf Radmuttern ein klarer Hinweis auf einen „Favorit“ von 1928-30 ist.

Der parallel erhältliche Sechszylindertyp „Standard“ 6 wäre davon nur durch die größere Reifendimension und sechs Radmuttern zu unterscheiden gewesen.

Bereits bei diesen ersten Ausführungen des Adler „Favorit“ und des „Standard 6″ waren klassische Tourenwagenaufbauten selten. Meine Adler-Fotogalerie enthält zwar mittlerweile Dutzende Fotos dieser Typen – doch Tourenwagen sind die Ausnahme.

Hier haben wir ein rares Beispiel für den Tourer in der Ausführung bis 1930:

Adler „Favorit“ Tourenwagen, Bauzeit: 1928-30; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Langjährige Leser meines Blogs werden diese schöne Aufnahme bereits kennen, die auch insoweit außergewöhnlich ist, als sie die seitlichen Steckscheiben zeigt, die normalerweise nur bei geschlossenem Verdeck angebracht wurden.

Das Oberteil der Windschutzscheibe ist hier waagerecht ausgestellt und gibt den Blick frei nicht nur auf den jungen Mann am Lenkrad, sondern auch auf ein Schild im Hintergrund mit der Aufschrift „SHELL AUTOOELE“, das heute Sammlerwert hätte.

Zur Jahreswende 1930/31 wurden Adler „Favorit“ und „Standard 6“ optisch modernisiert. Das dreieckige Adler-Emblem wanderte nach oben und war nun ganz in die Kühlermaske integriert. Gleichzeitig wurden die in zwei Gruppen angeordneten horizontalen Luftschlitze in der Motorhaube durch senkrechte abgelöst.

Das sah bei der Limousine dann so aus wie auf dieser Aufnahme:

Adler „Favorit“ ab 1930, aufgenommen in der „DDR“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dass wir keinen „Standard 6“ vor uns haben, sagt uns das Fehlen des entsprechenden Hinweises auf der Scheinwerferstange. Nach der Modellpflege Ende 1930 besaßen nämlich „Standard 6“ und der Vierzylindertyp „Favorit“ nur noch fünf Radmuttern.

Nebenbei ist dieses Foto ein schönes Beispiel für das Überleben von Vorkriegswagen als Alltagsauto in der einstigen „Deutschen Demokratischen Republik“, die ich wie die „Demokratische Volksrepublik Nordkorea“ bewusst in Anführungszeichen schreibe.

Ab 1930 wurden Tourenwagen außer für staatliche Abnehmer wie Polizei und Militär kaum noch gebaut. Wer als Privatmann eine offene Ausführung wünschte, kaufte meist ein Cabriolet, das mit Kurbelscheiben und gefüttertem Verdeck weit komfortabler war.

Umso spannender ist es, auch bei den späten Adler-Wagen der Typen „Favorit“ bzw. „Standard 6“ doch noch vereinzelt auf Tourenwagenversionen zu stoßen:

Adler „Favorit“ Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Dieses aus vorteilhafter Perspektive geschossene Privatfoto verdanke ich einmal der Großzügigkeit von Matthias Schmidt aus Dresden, der ein bemerkenswertes Archiv an Autofotos aus dem Deutschland der Vorkriegszeit besitzt.

Auch hier vermute ich aufgrund des Fehlens der Ziffer „6“ auf der Scheinwerferstange, dass es sich um den Vierzylindertyp „Favorit“ und nicht einen „Standard 6“ handelt. Bemerkenswert ist, dass sich der Käufer für einen Tourenwagenaufbau entschied, der inzwischen so selten war, dass er in der heutigen Literatur nicht mehr abgebildet ist.

Wer Zweifel an dem Befund hat, da das Verdeck des oben abgebildeten Wagens durch den stolz posierenden Besitzer abgedeckt ist, sei auf eine zweite Aufnahme desselben Autos verwiesen, die jeden Zweifel zerstreut:

Adler „Favorit“ Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Diese Seitenansicht mit geschlossenem Verdeck ist nach meiner Einschätzung eine Rarität – mir ist jedenfalls bislang keine vergleichbare Abbildung begegnet, die einen Adler „Favorit/Standard 6“ ab 1930/31 in solcher Tourenwagenausführung zeigt.

Überraschenderweise wirkt der Adler mit geschlossenem Verdeck und die Länge betonender hell abgesetzter Seitenleiste geradezu sportlich. Das waren zwar weder „Favorit“ noch „Standard 6“ tatsächlich, doch der Stil ist absolut überzeugend.

Der spezielle Geschmack dieses Adler-Besitzers, der sich hier lässig mit Zigarre und in die Ferne gehendem Blick inszeniert, gefällt mir ausgesprochen gut, nicht zuletzt weil er offenbar auf modische Strömungen nichts gab.

Seine Partnerin mit Hund scheint mit der Situation eines stilistisch aus der Zeit gefallenen Automobils durchaus glücklich gewesen zu sein – war sie am Ende eine frühe Nostalgikerin?

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Himmlische Längen: Ein Brennabor Typ ASL Tourer

Himmlische Längen – das ist heute in mehrfacher Hinsicht das Thema meines Blogs für Vorkriegsautos auf alten Fotos.

Dabei kommen am Ende auch die Freunde klassischer Musik auf ihre Kosten – denn von „himmlischen Längen“ schwärmte schon vor rund 180 Jahren der Komponist Robert Schumann, der 1839 bei einem Besuch in Wien die bis dato unbekannte 8. Symphonie von Franz Schubert bei dessen Bruder entdeckte.

Himmlische Länge – das gilt schon einmal für das Fahrzeug, das ich anhand eines absoluten Spitzenfotos vorstellen möchte. Bei dem Wagen handelt sich um die Langversion des Brennabor-Sechszylindermodells 12/55 PS von 1928/29.

In einem früheren Blog-Eintrag (hier) habe ich mich mit dem Typ 12/55 PS anhand eines „Faux Cabriolets“ auf kurzem Chassis befasst, das einen Radstand von 3 Metern aufwies. Außer dem kürzeren Chassis war offenbar ein weiteres Detail kennzeichnend dafür – die schüsselförmig ausgeführten Scheibenräder:

Brennabor 12/55 PS Typ ASK; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Modellbezeichnung dieses attraktiv gezeichneten Wagens lautete „ASK“, wobei der Buchstabe „K“ auf das kurze Chassis verwies.

Von der anderen Gestaltung und Dimension der Räder abgesehen scheint es keine technischen Unterschiede gegenüber der Langversion gegeben zu haben, die die Modellbezeichnung „ASL“ trug.

Insbesondere die Frontpartie mit dem 3,1 Liter großen Sechszylinder – ein technisch konventioneller Seitenventiler – entsprach weitgehend derjenigen der langen Ausführung, die wir auf folgender Aufnahme sehen:

Brennabor Typ 12/55 PS ASL Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Trotz fast identischer Frontpartie wirkt dieses Auto vollkommen anders. Dazu tragen etliche Details bei:

– die Holzspeichenräder, die den Blick auf die mächtigen Bremstrommeln freigeben,

– das Ersatzrad und die elegante Zweifarblackierung,

– der offene Tourenwagenaufbau und natürlich:

– die schiere Länge des Wagens.

Fast 30 cm mehr misst der Radstand bei diesem Brennabor 12/55 PS ASL, weshalb trotz des platzraubenden Reserverads die Flanke des Wagens immer noch beeindruckender dimensioniert wirkt als beim geschlossenen Modell „ASK“.

Auch im Detail offenbart die Langversion des Brennabor 12/55 PS-Typs Reizvolles:

An der Oberseite der chromglänzenden Kühlermaske erkennt man gerade noch einen Teil des Buchstabens „B“ auf der Verdickung in der Mitte, welche auf dem Foto des „ASK“ trotz verwacklungsbedingter Unschärfe besser zu sehen ist.

Ein kleiner Unterschied zeigt sich beim Vergleich von Kurz- und Langversion in der Ausführung der Scheinwerfer: Diese sind zwar in beiden Fällen trommelförmig ausgeführt, doch beim „ASL“ ist der vordere Lampenring lackiert statt verchromt wie beim „ASK“. Ob der Käufer hier mehrere Optionen zur Auswahl hatte?

Bei der Stoßstange jedenfalls hatte er die Möglichkeit, sich für ein solches Zubehör zu entscheiden, wie man beim „ASL“ in der offenen Tourenwagenversion sieht – der weiter oben gezeigte „ASK“ musste ohne eine solche auskommen.

Im vorliegenden Fall hatte die Stoßstange offenbar ihren Zweck schon erfüllt – mitsamt dem montierten Nummernschild ist sie mittig ordentlich eingedrückt. Ob das fehlendem Geschick des Fahrers beim Einparken daheim oder einer unfreiwilligen Kollision im Stadtverkehr geschuldet war, sei dahingestellt.

Aufmerksame Beobachter werden außerdem registrieren, dass sich die Hersteller von Reserverad (Continental) und Vorderrad (Peters Union) unterschieden.

Historischen Fotos nach zu urteilen war das einst an der Tagesordnung – bei restaurierten Fahrzeugen wird man solche authentischen Details dagegen schwerlich finden, obwohl gerade das Reserverad dazu einlädt, hier zur Abwechslung einen originalen historischen Reifen statt moderner Nachfertigungen zu montieren.

Kommen wir zu den Insassen dieses schönen Brennabor Typ 12/55 PS „ASL“ – für mich oft das Sahnehäubchen bei alten Autofotos:

Fünf gut aufgelegte Insassen in ganz unterschiedlichen Posen haben wir vor uns.

Der Fahrer könnte hier seiner besseren Hälfte direkt ins Gesicht – oder besser ins Objektiv – sehen, wenn man annimmt, dass drei Paare einen Ausflug unternommen haben.

Die Sonne stand zum Aufnahmezeitpunkt schon tief und blendete – vielleicht ein Grund, weshalb die beiden Insassen hinter dem Fahrer in eine andere Richtung schauen. Oder haben sie gar nicht bemerkt, dass sie im Fokus stehen und genießen einfach die Situation?

Aufmerksamer sind jedenfalls die „Hinterbänkler“, wobei mir die junge Dame wegen ihres bezaubernden Lächelns und ihr etwas zurückhaltenderer Nachbar wegen seiner perfekt sitzenden „Schieberkappe“ gefallen.

Überhaupt finde ich es wieder einmal ganz wunderbar, hier ganz unterschiedlich Typen studieren zu können, die alle für sich authentisch wirken, nicht wie ängstlich um Stromlinienförmigkeit bemühte „Fashion Victims“.

Diese Betrachtung ließe sich noch um einiges in die Länge ziehen, doch müssen wir uns noch mit einem ganz anderen Aspekt auf diesem schönen Foto befassen, das ebenfalls den Titel „himmlische Länge“ rechtfertigt:

Unser prächtiger Brennabor 12/55 PS „ASL“ hielt offenbar einst an der 1929 neu errichteten Echelsbacherbrücke, die über die Schlucht der Ammer in Oberbayern führt.

Die meisterlich ausgeführte Stahlbetonbrücke, die in nur wenig mehr als einem Jahr entstand, war mit 130 Meter Länge des Bogens einst die weltweit größte ihrer Art und erfüllt ihren Zweck nach über 90 Jahren immer noch.

Unfreiwilig zum Thema „himmlische Längen“ passt die Dauer der 2014 beschlossenen Brückensanierung: Die Bauarbeiten begannen Anfang 2017 und sollen bis 2021 abgeschlossen sein. 1929 hätte man in der Zeit die ganze Brücke dreimal neu gebaut…

Mich bestätigen solche sich häufenden Dokumente der Unfähigkeit hierzulande im 21. Jahrhundert in meiner seit langem gepflegten Haltung als Kulturpessimist. Doch bin ich nicht unglücklich damit…

Denn einer der Vorteile unserer Zeit besteht darin, frühere Hervorbringungen unserer einst phänomenal kreativen Zivilisation umfassend genießen zu können.

Dazu gehören die „himmlischen Längen“ eines Sechszylinder-Brennabor auf langem Fahrgestell, eine technisch wie ästhetisch vollkommene historische Spannbrücke in Bayern – und die von Robert Schumann wiederentdeckten titelgebenden „himmlischen Längen“ der unvollendeten 8. Symphonie des gerade einmal 25-jährigen Franz Schubert.

Für die Freunde dieser Tonkunst, zu der sich in unserer Zeit nichts Vergleichbares findet, nachfolgend in Ausschnitt aus einer längst historischen Aufführung der Wiener Philharmoniker unter Leitung von Großmeister Carlos Kleiber (1930-2004):

Hochgeladen von: Barbebleuei; Videoquelle: Youtube.com

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Pilgerfahrt nach Spanien: Ein Panhard von 1914

Die Coronavirus-Krise macht deutlich, was einem schon der nüchterne Verstand sagt: Das vielzitierte „Europa“ gibt es nur als geografische oder historische Region, nicht als handlungsfähiges politisches Gebilde.

Da von Brüsseler Bürokraten nur weltfremde Komplikationen, aber keine handfesten Lösungen zu erwarten sind, haben aktuell die Nationalstaaten die Verantwortung übernommen – was nicht heißt, dass die Ergebnisse deshalb überall ideal sind.

Dass es entgegen wohlfeiler Bekundungen auch kein Europa als gemeinsame Heimat gibt, wird an den absehbaren Verboten grenzüberschreitender Urlaubsreisen deutlich. Hätte man sich auf EU-weite Sicherheitsstandards geeinigt, wäre es dagegen egal, ob man für zwei Wochen in die Pfalz reist oder in das benachbarte Elsass.

Die Pfälzer, die wie die linksrheinischen Nachbarn dem guten Leben nicht abgeneigt sind, werden es gewiss begrüßen, wenn nun statt des Elsass ihre schöne Region bereist und genossen wird. Was aber machen die Italien- und Spanienliebhaber?

Sie werden hierzulande schwerlich Vergleichbares finden wie im Süden. Da bleibt nur der virtuelle Besuch – aber auch der hat seinen Reiz, wenn man ihn mit einer Zeitreise im Vorkriegsautomobil verknüpft:

Panhard um 1914 und diverse jüngere Automobile; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese schöne Aufnahme wurde einst von einem Fotoatelier „Leoncio“ in Limpias angefertigt. Der Ortsname sagte mir zunächst nichts, wenngleich die Dachziegel des Hotel-Restaurants Royal auf Südeuropa verweisen.

Die Bildungslücke ist wohl verzeihlich: Limpias ist ein winziger Ort in der nordspanischen Region Kantabrien, die am ehesten für die großartigen steinzeitlichen Malereien in der Höhle von Altamira bekannt ist.

Was könnte einst Anlass einer solchen Autokolonne in einem spanischen Bergdorf gewesen sein? Ich nehme an, dass es sich um eine moderne Form der Pilgerfahrt an einen Ort handelte, an dem es nach der Überlieferung zu „Wundern“ gekommen war.

Im vorliegenden Fall lagen diese Wunder nicht lange zurück. Erstmals 1914 wurde davon berichtet, dass das Christusbild in der Iglesia de San Pedro de Limpias die Lebenszeichen eines gerade Gekreuzigten erkennen ließ.

Wie in solchen makabren Fällen üblich, etablierte sich in Windeseile ein lokaler Kult um die angeblichen Phänomene (mehr dazu aus „verlässlicher Quelle“ hier). So dürfte zu erklären sein, weshalb Limpias nach Bekanntwerden weiterer angeblicher Wunder nach dem 1. Weltkrieg ein gern besuchter Ort wurde.

Unter den Automobilisten, die wohl eher der Rationalität zugetan waren, dürften die wenigsten den Wundergeschichten Glauben geschenkt haben, die schon manches arme Dorf zum Touristenmagnet gemacht hat.

Vermutlich hat hier eine Gruppe früher Autobesitzer anlässlich einer Ausfahrt in der landschaftlich reizvollen Region einen Zwischenhalt an dem bekannten Ort eingelegt.

Das links im Vordergrund stehende Fahrzeug ist aus heutiger Sicht besonders spektakulär:

Auf dem Kühlergrill sind in dem runden Emblem die Buchstaben P und L zu erahnen – sie stehen für „Panhard & Levassor“ – eine der ehrwürdigsten französischen Automarken überhaupt.

Die Modelle dieses seit 1890 tätigen Herstellers sind von besonderem Reiz – wie überhaupt viele französische Fabrikate jener Zeit. Die Panhard-Wagen gehörten vor dem 1. Weltkrieg nicht nur zu den besten Autos der Welt, sondern waren auch in stilistischer Hinsicht eine Klasse für sich.

Bei der Datierung sind ganz andere Maßstäbe anzulegen als bei Fahrzeugen aus dem deutschen Sprachraum. So gibt es bei Panhard (wie auch bei anderen französischen Wagen) kein eindeutiges Datum, ab dem sich der „Windlauf“ zwischen Motohaube und Windschutzscheibe durchsetzte.

Stattdessen finden sich bis 1914 sowohl Modelle ohne Windlauf als auch solche mit diesem strömungsgünstigen Element – dann teils nur erkennbar aufgesetzt, teils schon vollkommen in die Karosserielinie integriert.

Man muss bei Panhard daher einem weiteren Detail Aufmerksamkeit schenken – der Gestaltung der Kühlermaske. So findet sich der leicht spitz zulaufende Kühler wie auf dem heute vorgestellten Foto bei Panhard erst ab 1914, wenn ich mich nicht täusche.

Den Aufbau mit geschlossenem Passagierabteil und außenliegendem Fahrersitz findet man in der Literatur unter der schönen Bezeichnung „Coupé avant torpédo“. Apropos Literatur: Meine Empfehlung lautet im Fall von Panhard wie folgt:

Bernhard Vermeylen: Panhard & Levassor – entre tradition et modernité, Verlag ETAI, 2005

Selbst wenn man keine französischen Texte lesen kann, lohnt sich die Anschaffung: Die Vielzahl an Bildern bester Qualität auf über 250 Seiten ist schlicht überwältigend.

Erschlagend ist freilich auch das Angebot an Motorisierungen, die Panhard um 1914 im Angebot hatte: Gut ein halbes Dutzend Vierzylinder mit Hubräumen von 2,2 bis 7,4 Litern sowie drei Sechszylinder mit 5 bis 6,6 Litern.

Welches dieser Aggregate nun den Panhard von ca. 1914 antrieb, der auf dem Foto aus Limpias verewigt wurde, wird sich nicht mehr klären lassen. Ob es wohl der elegant gekleidete Herr hätte sagen können, der hier selbstbewusst in die Kamera schaut?

Ich bin sicher, dass dies kein Schnappschuss ist, die Pose ist zu perfekt, um zufällig zu sein. Handelt es sich vielleicht um den Besitzer des großartigen Panhard, der als einziges Auto vollständig auf dieser Aufnahme abgelichtet ist?

Ich halte das für möglich, wenngleich der Kontrast zwischen dem Vorkriegs-Panhard mit Gasscheinwerfern und dem im 20er-Jahre-Stil gekleideten Herrn denkbar groß ist.

Doch je nach dem, was bei dem Panhard unter der Haube schlummerte, war er ein nach wie vor vollkommen souveränes Automobil – mit reichlich Drehmoment ausgestattet, was solche Ausfahrten in bergigen Regionen zu einem schaltarmen Vergnügen machte.

Als Fazit bleibt anlässlich dieses Dokuments festzuhalten, dass es die landestypischen Eigenheiten sind – die einst auch die Gestaltung von Automobilen betrafen – die den Reiz Europas ausmachen. Es ist das in Vergessenheit geratene Europa der Vaterländer (Charles de Gaulle) , das in diesen Tagen eine unfreiwillige Wiederauferstehung feiert…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Flop statt „Volkswagen“: Mercedes-Benz 130

Das von VW nach dem Krieg zu einem Welterfolg perfektionierte Konzept des Heckmotorwagens mit Stromlinienkarosserie lässt sich bis in die 1920er Jahre zurückverfolgen, obwohl mitunter behauptet wird, der VW sei lediglich dem Tatra V570 der frühen 1930er Jahre nachempfunden.

Dass das Konzept damals längst in der Luft lag, hören manche Tatra-Freunde nicht gern. Man muss nicht einmal auf wenig bekannte Beispiele wie diesen Entwurf von John Tjarda aus dem Jahr 1931 verweisen, der den späteren Tatra 77/78 vorwegnahm.

Entwurf eines hecktriebenen Stromlinienwagens von John Tjaarda; © Bildquelle: http://blog.modernmechanix.com; Urheberrecht: „Modern Mechanics and Inventions“

Auch Mercedes-Benz arbeitete zeitgleich an ähnlichen Fahrzeugen. So wurde ab 1930 von Hans Nibel und Max Wagner ein Kleinwagen (W17) entwickelt, dessen 1,2 Liter Motor (25 PS) im Heck untergebracht war und dessen gerundete Frontpartie den Luftwiderstand gegenüber konventionellen Wagen mit Frontmotor reduzieren sollte.

Die beiden Mercedes-Mannen unternahmen übrigens auch Versuche mit luftgekühltem Boxermotor, wie er bei Tatra und VW Verwendung werden sollte. Doch entschied man sich für die Realisierung des Konzepts mit geräuschärmerem wassergekühlten Antrieb.

Vermutlich hätte Tatra nach dem Krieg sonst auch Mercedes mit dem Vorwurf des Diebstahl geistigen Eigentums konfrontiert, wie man das bei VW tat. Zu verlockend war offenbar für das kommunistische Regime der Tschechoslowakei die Aussicht, auf diese Weise am Erfolg des Konzepts beim „Klassenfeind“ mitzuverdienen…

Bei Mercedes wäre freilich nichts zu holen gewesen, da der 1934 vorgestellte 130er mit Heckmotor und gerundeter Frontpartie letztlich ein Flop war. Dabei hatte man das Fahrzeug anfänglich noch kühn als „volkstümlich“ bezeichnet:

Reklame für den Mercedes-Benz 130; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Selbst für die günstigste Ausführung war 1934 mehr als Doppelte des Jahreseinkommens eines sozialversicherungspflichtigen Durchschnittsverdieners (damals 1.605 Reichsmark) im Deutschen Reich zu berappen.

Nach heutigen Verhältnissen (Durchschnittsentgelt p.a. 40.551 EUR) gerechnet würde das einem Preis von über 80.000 Euro für einen Kleinwagen entsprechen. Angesichts solcher Relationen half auch die sprichwörtliche Mercedes-Qualität nicht – sie trug im Gegenteil dazu bei, dass dieses Auto für die breite Masse unerreichbar blieb.

Hinzu kam die freudlose Optik, die von der Ratlosigkeit der verantwortlichen Gestalter bei Mercedes zeugt. Als Beispiel dafür mag diese Limousine des Mercedes-Benz 130 dienen, die ich im ersten Jahr meines Blogs – 2015hier präsentiert habe:

Mercedes-Benz 130; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das Foto hatte mich seinerzeit angesprochen, da es das Tor der Burg in Friedberg/Hessen zeigt, wo ich bis 1988 zur Schule ging.

Die Ansicht bietet sich erfreulicherweise heute noch genauso dar. Verschwunden sind nur das Kopfsteinpflaster und das schöne Hinweisschild auf das benachbarte Bad Nauheim, wo ich geboren wurde und heute wieder wohne:

Dieser Mercedes-Benz 130 war im Jagstkreis (Württemberg) zugelassen. Er hatte also noch eine hübsche Wegstrecke vor sich – in Richtung Süden über die alte Römerstraße, die bis heute in Form der Friedberger Kaiserstraße auf die Burg (über einem Römerkastell errichtet) zuläuft.

Die dunkle Einfarblackierung verstärkt hier noch den Eindruck eines uninspirierten Blechkastens – da half auch der verloren wirkende Mercedes-Stern wenig. Das Bild ändert sich auch nicht, wenn man in südlichere Gefilde wechselt.

So zeigt die folgende, bisher noch nicht gezeigte Aufnahme eine (vom Kennzeichen abgesehen) identische Limousine des Mercedes-Benz 130 unterhalb des über 2.100 Meter hohen Splügenpasses in der Schweiz:

Mercedes-Benz 130; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Von der italienische Seite her kommend, machte hier einst eine deutsche Familie nach Überwindung des Passes Halt für dieses schöne Foto.

Bei der Abfahrt wusste man vermutlich die hydraulischen Bremsen des Mercedes zu schätzen, während der Motor beim Anstieg möglicherweise an den Rand der Überhitzung gelangte. Das wassergekühlte Aggregat im Heck erwies sich bei längerer Inanspruchnahme am Berg bisweilen als nicht ausreichend gekühlt.

Die Luft wurde über Schlitze vor dem hinteren Radhaus angesaugt und dem vor dem Motor liegenden Kühler zugeführt. Nicht umsonst entschied man sich beim späteren Volkswagen für Luftkühlung, die bei solchen Touren vor Überhitzung und im Winter vor Frostschäden schützte.

Werfen wir einen letzten Blick auf den braven Mercedes, bevor es nach Norden geht:

Das Kennzeichen „IY 92280“ verrät, dass der Wagen aus dem einstigen Landkreis Opladen (heute zu Leverkusen gehörig) stammte. Man hatte also noch an die 900 Kilometer Wegstrecke vor sich und wird dafür wohl zwei bis drei Tage eingeplant haben.

Etwas mehr als 90 km/h konnte der kleine Mercedes auf ebener Strecke erreichen, doch eine zur Ausnutzung der Höchstgeschwindigkeit geeignete Autobahnstrecke von der Schweiz bis ins Ruhrgebiet gab es noch nicht.

In anderen Gebieten des Reichs entstanden in den 1930er Jahren Autobahnabschnitte, mit denen bis in die 1920er Jahre zurückreichende Ideen verwirklicht wurden.

Vor dem Krieg und einige Zeit danach war die Verkehrsdichte auf den Autobahnen so gering, wie man das heute nur noch auf wenig befahrenen Routen zeitweilig genießen kann.

So konnte es sich dieser Herr leisten, einfach auf der rechten Spur für ein Foto zu halten – das trauen sich heute nur noch selbstbewusst auftretende „Hochzeitsgesellschaften“:

Mercedes-Benz 130; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Dieses Dokument verdanke ich Leser Marcus Bengsch – neben Klaas Dierks und Matthias Schmidt – eine der tragenden Säulen meines Blogs für Vorkriegsfotos auf alten Fotos.

Das ist nicht nur ein schönes Dokument aus dem frühen Nachkriegsdeutschland – dieser Mercedes 130 besitzt eine Leipziger Zulassung ab 1948 – es zeigt auch die geschicktere Farbgebung, die man dem Wagen im zweiten Produktionsjahr (1935) verpasste.

Der Grundton der Flächen ist hier freundlich hell und nur die Kotflügel, die Seitenleiste und der „Mittelstreifen“ der vorderen Haube sind etwas dunkler abgesetzt. Dadurch wirkt der Aufbau leichter und gewinnt an Struktur.

Solche Kunstgriffe kannte man schon in den 1920er Jahren und den Absatzerfolg des teuren Kleinwagens von Mercedes sollte diese Modellpflege nicht mehr beflügeln. Nach knapp 4.300 Exemplaren wurde die Produktion im Frühjahr 1936 eingestellt.

Die Zukunft sollte bei Mercedes bis in die 1950er Jahre einem technisch wie formal konservativen, doch leistungsfähigeren Modell gehören, das kaum teurer war – dem Typ 170V.

Er sollte die Landstraßen und Autobahnen Deutschlands noch zu einer Zeit bevölkern, als der heckgetriebene Mercedes 130 eine weitgehend vergessene Rarität war.

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ein Brennabor aus Besigheim: Typ P8 /24 PS

Ein Brennabor aus Besigheim – was soll das sein? Die Freunde der einst hochbedeutenden Marke werden vermutlich ebenso wenig mit dieser Herkunftsbezeichnung anfangen können wie ich – bis vor kurzem.

Ein Brennabor kam doch aus Brandenburg an der Havel, wo sich Anfang der 1920er Jahre für kurze Zeit Deutschlands größte Autofabrik befand.

Bedenkt man die beachtlichen Stückzahlen, die man dort noch vor Opel zustandebrachte – ist es schon weniger verwunderlich, dass einer der vieltausendfach gebauten Brennabor-Wagen im beschaulichen Besigheim bei Ludwigsburg landete.

Das Örtchen mit seinem reizvollen spätmittelalterlichen Ortskern, der den 30-jährigen Krieg und diverse Besetzungen durch französische Truppen überstanden hat, ist eine Perle der Württembergischen Weinstraße und als solche unbedingt sehenswert.

Wo Wein wächst, gedeiht auch Wohlstand, und so konnte sich in den frühen 1920er Jahren ein zu Geld gekommener Bürger aus der Gegend von Besigheim offenbar diesen schnittigen Brennabor-Tourenwagen leisten:

Brennabor Typ P 8/24 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme gefiel mir trotz technischer Mängel, weil darauf der Typus des Spitzkühler-Tourenwagens besonders gut zur Geltung kommt, der im deutschsprachigen Raum nach dem 1. Weltkrieg große Konjunktur hatte.

Dieser Wagen wirkt schon im Stand dynamisch wie ein Schnellboot, das die Wellen durchpflügt. Genau mit dieser Assoziation spielt folgende zeitgenössische Werbung des Berliner Automobilherstellers Dinos, der auch in Rostock-Warnemünde ein Werk besaß, das später von den Arado-Flugzeugwerken genutzt wurde:

Dinos-Reklame aus der Zeitschrift „Motor“ von 1924; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Wenn solche Spitzkühlermodelle im Deutschland (und Österreich) der frühen 1920er Jahre so verbreitet waren, wie lässt sich dann der Wagen auf dem eingangs gezeigten Foto als Brennabor identifizieren?

Das Auto weist doch praktisch keinerlei Besonderheiten auf, oder? Nun, genau das ist kurioserweise ein Indiz für einen Brennabor Typ P 8/24 PS, wie ich in einem älteren Blog-Eintrag anhand einer ganzen Reihe von Fotos dieses Typs zeigen konnte.

Das wohl nur 1919 und 1920 mit Spitzkühler gebaute Modell fällt gerade dadurch auf, dass es auf den ersten Blick sonst keine eigentümlichen Details aufweist. Zwar ändert sich das bei näherer Betrachtung, im vorliegenden Fall sind aber diese Details verborgen.

Nur ein winziges Element liefert den Schlüssel für die (wahrscheinliche) Identifikation als Brennabor Typ P 8/24:

Vorn am Spitzkühler ist eine Plakette angebracht – deren erhabene Ausführung schon einmal übliche Verdächtige wie Benz und Elite ausschließt, deren Markenembleme sich flach an den Kühler anschmiegten.

Schemenhaft zeichnet sich auf dem Emblem ein geschwungen ausgeführtes „B“ ab, das von manchen Anbietern solcher Fotos als Hinweis auf Bentley oder Bugatti interpretiert wird.

Diese Ausführung des Brennabor-Emblems begegnet einem auch später, als die expressiven Spitzkühler schlichten Flachkühlern gewichen waren:

Brennabor Typ R 6/25 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses reizvolle Foto eines Brennabor (wohl ein früher Typ R 6/25 PS) lässt das Kühleremblem recht gut erkennen – speziell die Kehlung des linken vertikalen Strichs des „B“ (in der Typografie spricht man hier vom „Stamm“ des Buchstabens).

Das Element findet sich auf dem Emblem des Wagens aus Besigheim wieder, dessen Nummerschild deutlich wiedergegeben ist: „IIIC-120“.

Die Kennung ist bereits 1912 dem Oberamt Besigheim zugewiesen, dasselbe gilt noch 1936. Somit können wir davon ausgehen, dass dieser Brennabor dort zugelassen war (Quelle: A. Herzfeld, Handbuch Deutsche Kfz-Kennzeichen Band 1).

Merkwürdigerweise ist die Mittelpartie des Wagens deutlich unschärfer als die Frontpartie wiedergegeben, aber auch als die Heckpartie. Das spricht gegen einen Fokussierfehler oder eine unzureichende Schärfentiefe bei der Aufnahme.

Vermutlich hatte sich der Abzug bei der Belichtung in der Mitte gewölbt, sodass diese Partie unscharf geriet. Da ist bedauerlich, den die zweifellos adrette junge Dame am mächtigen Lenkrad hätte ich gern noch etwas vorteilhafter als hier gezeigt:

So bleibt es nur dem freundlichen Herrn mit lederner Kappe und Fahrerbrille auf dem Rücksitz vergönnt, einigermaßen unbeschadet ins 21. Jahrhundert zu gelangen.

Dass dieses unvollkommene Dokument eines Ausflugs in einem Brennabor Typ P 8/24 PS fast 100 Jahre nach Entstehung des Autos noch die Nachwelt beschäftigen könnte, hätte man damals vermutlich mit „Bei Dir piept’s wohl“ quittiert.

So verhält es sich aber und ich freue mich, dass ich einen weiteren Brennabor des einst so verbreiteten Typs P 8/24 PS dem Vergessen entreißen konnte. Wer übrigens noch Zweifel hegt, möge die Seitenpartie des Wagens auf dem heute präsentierten Foto mit der des bereits vorgestellten Brennabor auf dieser Aufnahme vergleichen:

Gewiss, es gibt Unterschiede beim Zubehör (Suchscheinwerfer an der Frontscheibe und Werkzeugkasten auf dem Trittbrett), doch Neigung der Scheibe, Anbringung und Ausführung der beiden Reserveräder sowie Anordnung von Schalt- und Bremshebel stimmen überein.

Dies sind zwar nur notwendige, keine hinreichenden Indizien, aber in Verbindung mit der Kühlerpartie und dem Markenemblem spricht alles stark für einen Brennabor des Typs P 8/24 PS in der frühen Ausführung mit Spitzkühler.

Wer anderer Meinung ist, ist eingeladen, diese über die Kommentarfunktion kundzutun – ich lasse mich gern von guten Argumenten überzeugen.

Zumindest was das Fachwerkstädtchen Besigheim angeht, bin ich aber sicher, eine ausgesprochen hübsche Entdeckung gemacht zu haben…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Frühlingserwachen vor 90 Jahren: Austro-Daimler ADR

„Österreich, Du hast es besser“ mag mancher gegenwärtig – im April 2020 – sagen. Auch wenn man im Einzelnen unterschiedlicher Meinung sein kann – eines hat uns die Alpenrepublik in diesen Tagen der Coronavirus-Krise aus meiner Sicht voraus:

Eine frühzeitig und energisch handelnde politische Führung, mit laufender klarer Kommunikation gegenüber der Öffentlichkeit und einem Konzept für die Rückkehr in die Normalität – für Bürger und Unternehmen die Grundlage für Vertrauen und Zuversicht.

Vergleichbares ist mir in den letzten Wochen in Deutschland nicht begegnet. Stattdessen: Erst Verächtlichungmachung früher Warnungen angesichts der Entwicklungen in Asien, dann wochenlanges Nichtstun unter Behauptung des Vorbereitetseins, schließlich ein Chaos aus Empfehlungen und Anordnungen nach Gusto der Bundesländer – und bislang kein Plan zum Ausstieg aus einem immer teurer werdenden Ausnahmezustand.

Zum Glück lässt sich diesem Versagen beim derzeit vorgeschriebenen Ausweichen ins Private trefflich entgehen. So basteln die einen in der heimischen Garage emsig an vernachlässigten Projekten, andere nutzen das Frühlingswetter zu einer Ausfahrt mit einem historischen fahrbaren Untersatz über verwaiste Landstraßen.

In meinem Blog geht es derweil um ein gekonnt aufgeführtes Stück aus Österreich, mit dem vor 90 Jahren – im Jahr 1930 – der Frühling und ein neues Leben zelebriert wurde:

Austro-Daimler Typ ADR; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wir sehen ein kleines Mädchen versonnen auf dem Kühler einer großzügigen Limousine sitzen. Im Moment der Aufnahme hat das Kind die Augen geschlossen, der Mund zeigt einen Ansatz von Lächeln – hier ist jemand gerade ganz bei sich, wunschlos glücklich.

Wunschlos glücklich – zumindest in automobiler Hinsicht – würde auch der fahrbare Untersatz machen, der hier als Staffage dient.

Hand auf’s Herz: Wer, außer Kennern österreichischer Luxusautomobile der Vorkriegszeit, wäre imstande, auch nur den Hersteller dieses Wagens zu benennen?

Eine zeitliche Einordnung erlauben zwar formale Details wie die Gestaltung der Vorderkotflügel aus (optisch) zwei Teilen sowie die vorderen Bremstrommeln. Beides zusammen spricht für eine Entstehung in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre.

Wirklich individuell sind aber auf dieser Aufnahme nur die jeweils neben den Positionsleuchten auf den Schutzblechen angebrachten Richtungsanzeiger. Außer bei Wanderer ist mir Vergleichbares bei Wagen jener Zeit noch nirgends begegnet.

Zum Glück gibt es zwei weitere Aufnahmen, die am selben Tag mit diesem Auto entstanden, wenn auch mit wechselnder „Besetzung“. Hier haben wir Nr. 2 aus dieser hübschen kleinen Serie:

Austro-Daimler Typ ADR; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zugegeben: Von dem Wagen ist auch hier nicht viel mehr zu erkennen. Immerhin sieht man nun Details wie den in Fahrtrichtung links angebrachten Scheibenwischermotor und das horizontale Gestänge, das die Wischer zu gemeinsamer Aktivität motivierte.

Bei genauem Hinsehen erkennt man ganz hinten außerdem ein Rückfenster, das für eine Limousine ungewöhnlich klein ist – sollte es sich vielleicht doch um ein Cabriolet oder eine Cabriolet-Limousine handeln? Wir werden sehen…

Vorher möchte ich das Augenmerk auf die abgebildeten Personen lenken: Das uns schon bekannte „Kühlermaskottchen“ steht nun wieder auf sicherem Boden, festgehalten von einem uns ernst fixierenden Herrn.

Ich würde ihn als Großvater der Kleinen ansprechen, auch wenn das vielleicht nicht gleich plausibel erscheint. Doch in der Vorkriegszeit bekamen die Leute Kinder normalerweise, wenn sie selbst noch in den 20ern waren.

So konnte ein Mann in den 40ern und erst recht in den 50ern ohne weiteres Großvater sein. Die Großmutter wäre dann nach meiner These die uns freundlich, aber selbstbewusst fixierende Dame vor dem (in Fahrtrichtung) linken Kotflügel.

Als Mutter des Mädchens würde ich die hübsche junge Dame auf der anderen Seite ansprechen, die uns so intensiv anschaut, das man ihr schwer widerstehen kann:

Wir dürfen freilich nicht vergessen, dass dieser Blick nicht uns gilt, sondern einer weiteren Person, die bisher noch nicht zu sehen war und das Foto aufgenommen hat. Zwei kommen dafür prinzipiell in Frage, die auf der dritten und letzten Aufnahme zu sehen sind.

Der Hauptkandidat sitzt dort auf dem Trittbrett und hält das Mädchen fest. Ich nehme stark an, dass es sich bei dem gutaussehenden und nach neuster Mode gekleideten jungen Mann um ihren Vater handelt:

Austro-Daimler Typ ADR; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bevor ich mich dieser kleinen Gruppe zuwende, will ich noch auf den Wagen eingehen:

Die Kühlerfigur – ein in einem Kreis angebrachter Bogen mit gerade abgeschossenem Pfeil – ist typisch für die Wagen von Austro-Daimler ab dem Typ ADM der frühen 1920er Jahre.

Dabei handelt es sich um einen feinen Sechszylindertyp, der auf Entwürfen von Ferdinand Porsche basierte, welcher zuvor lange Jahre das technische Profil der Marke geprägt hatte.

Diese Frontpartie könnte aus meiner Sicht auch zum erwähnten Modell ADM gehören, das bis 1927 gefertigt wurde. Bloß die eigentümlichen Fahrtrichtungsanzeiger sprechen meines Erachtens für den Nachfolgetyp ADR.

Dieser wies von der Motorenkonstruktion abgesehen kaum noch technische Gemeinsamkeiten mit dem Vorgänger ADM auf – das Chassis war komplett neu entwickelt worden (siehe meinen Blog-Eintrag zu dem Modell).

Die Leistung war von 45 auf 70 PS gestiegen, wobei man im wesentlichen auf die aufgebohrte Sportversion des Austro-Daimler ADM zurückgriff, die 3 Liter statt 2,6 Liter Hubraum aufwies.

Etwas über 100 km/h Spitzengeschwindigkeit waren damit prinzipiell erreichbar, wobei dies angesichts der damaligen Straßen eher ein theoretischer Wert blieb. Was zählte, war souveräne Kraftentfaltung aus niedrigen Drehzahlen, die auch bei Steigungen ein möglichst schaltarmes Fahren erlaubte.

Kommen wir abschließend zu der reizenden Personengruppe, die neben dem Austro-Daimler – aus dieser Perspektive offenbar doch eine Limousine – posiert:

Die mutmaßliche Mutter schaut uns hier ganz anders – ein wenig überrascht – an. Praktisch genauso wie auf der vorherigen Aufnahme fixiert uns die von mir als Großmutter identifizierte Dame.

Man vergleiche ihr Gesicht mit dem des kleinen Mädchens – ich sehe hier eine erhebliche Ähnlichkeit. Bekanntlich findet sich in der Enkelgeneration oft überraschend viel von einem Teil der Großeltern wider, oft auch in punkto Persönlichkeit.

Das scheint insbesondere dann zu passieren, wenn der andere Elternteil weniger ausgeprägte Charakterzüge aufzuweisen scheint. Das könnte bei dem Vater im vorliegenden Fall so gewesen sein, weshalb sich aus seiner Linie weniger durchsetzte.

Rätselhaft und ein wenig unheimlich erscheint die Person ganz rechts – wohl eine Krankenschwester in der damals üblichen Tracht, für eine Angehörige eines geistlichen Ordens wäre ihr Kleid entschieden zu kurz, meine ich.

Sie schaut als einzige etwas verbissen drein – und nimmt man die Spiegelung ihres Gesichts im Seitenfenster der Wagens hinzu, könnte man sich ein wenig vor ihr fürchten:

War sie vielleicht eine Schwester, Cousine oder Freundin, die der jungen Mutter die gute Partie und den Nachwuchs neidete? Oder tun wir ihr schlicht unrecht, wie das bei Fotos leicht geschehen kann?

Das sei der Fantasie der Leser überlassen, die sich dazu ihre ganz eigenen Gedanken machen sollen. Meine Sicht der Dinge ist nur eine von mehreren möglichen, aber in einem subjektiven Format, wie es ein Blog nun einmal ist, teile ich sie gerne mit.

Nachtrag: Leser Martin Möbus vermutet, dass es sich um ein Kindermädchen handelt – die Besitzer des teuren Austro-Daimler konnten sich das gewiss leisten.

Eine letzte Sache noch: Vielleicht kann jemand auf Anhieb sagen, was es mit dem Kennzeichen des Austro-Daimler ADR auf sich hatte, der hier auf einer Fahrt dem Frühling entgegen vor 90 Jahren so voller Leben festgehalten wurde…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

So muss das aussehen: Steyr 530 Cabriolet

„So muss das aussehen“ – dieses Motto trifft gleich in mehrfacher Hinsicht auf den Gegenstand meines heutigen Blog-Eintrags zu.

Es geht um

– ein Automobil, das perfekt die Ästhetik der 1930er Jahre verkörpert,

– den Zustand, in dem sich ein Auto damals weit öfters befunden hat als in dem kurzen Moment, in dem es die Fabrikhalle verließ,

– eine Situation, die die einstigen Besitzer und Passagiere spontan und ungekünstelt zeigt.

Zu beanstanden gibt es allenfalls, dass aus Sicht mancher Vorkriegsenthusiasten hier der „falsche“ Wagen im Vordergrund steht:

Steyr 530 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ich weiß genau, wie gierig mancher Leser darauf ist, mehr von dem prächtigen Horch auf dem rechten Bildrand zu sehen, der hier nur die Statistenrolle einnimmt.

Keine Sorge, von diesem Prachtstück gibt es zwei weitere Aufnahmen, die noch zu ihrem Recht kommen werden. Die Horch-Typen versuche ich möglichst chronologisch „abzuarbeiten“ und weiter als bis zum Modell 400 bin ich bisher nicht gekommen…

Wir haben es also mit einem klassischen Luxusproblem zu tun. Doch meine ich, dass das elegante Cabriolet, das hier im Vordergrund steht, durchaus gehobenen Ansprüchen gerecht wird, auch wenn statt acht „nur“ sechs Zylinder unter der Haube zugangewaren.

Ich finde, wenn man an ein Cabriolet der 1930er Jahre denkt, dann muss das so aussehen:

Schrägstehender Kühler und damit korrespondierende Windschutzscheibe, weit ausschwingende Kotflügel und eine die Achitektur des Wagens betonende Zweifarblackierung.

„So muss das aussehen“ – gilt außerdem für die deutlichen Gebrauchsspuren an der Frontpartie – so ein Auto war einst kein ängstlich in der Garage aufbewahrtes Schaustück, sondern wurde ganzjährig bewegt – und das meist auf Straßen, die heute kaum diese Bezeichnung verdienen würden.

Die einstigen Besitzer betrachteten nicht nur den Schmutz mit Gelassenheit, sondern auch Dellen, Kratzer und Steinschlagschäden, die sich im Einsatz über kurz oder lang ergaben.

Was aber ist das für ein Wagen, der hier so vorteilhaft und reizvoll abgelichtet wurde?

Das Kühleremblem lässt schemenhaft das typische Logo der österreichischen Marke Steyr erkennen, das mit einer Kombination aus Fadenkreuz und Zielscheibe an die Tradition als Waffenhersteller erinnerte.

Die Gestaltung des Kühlers und die weit nach unten gezogenen Vorderkotflügel verweisen auf den Typ 530, der ab 1935 als stärkere Version des 1933 vorgestellten Steyr 430 gebaut wurde, den ich hier vorgestellt habe.

Das 2,3 Liter-Aggregat leistete 55 PS und ermöglichte eine Höchstgeschwindigkeit von 110 km/h. Nicht mehr ganz zeitgemäß war vielleicht die vordere Starrachse.

Für den deutschen Markt fertigte Gläser aus Dresden wie schon für den Vorgängertyp 430 ein attraktiv gezeichnetes Vierfenster-Cabriolet. Allerdings bin ich nicht sicher, ob der Aufbau auf dem Foto tatsächlich von Gläser stammt.

Bislang konnte ich nur ein Foto eines Steyr 430 oder 530 mit Cabriolet-Aufbau von Gläser finden, das vier horizontale Luftschlitze in der Motorhaube besitzt wie der abgebildete Wagen (hier).

Kann ein sachkundiger Leser etwas zum Hersteller dieser eleganten Karosserie sagen?

Die junge Dame im hellen Reisemantel könnte es uns gewiss verraten, doch ist sie vermutlich mehr darum besorgt, ob sie mit den vom Wind zerzausten Haaren ein passables Bild abgibt.

Der Fotograf scheint sie überrascht zu haben, und sie scheint gerade nicht so recht zu wissen, was sie davon halten soll:

Eine hübsche Momentaufnahme ist das, nicht inszeniert, und der Fotograf hat hier alles richtig gemacht – was mit den damaligen Mitteln keineswegs einfach war.

„So muss das aussehen“, gilt hier auch aus der Perspektive des Freundes historischer Fotografien, auf denen die Autos von damals oft nur eine schöne Nebensache sind.

Übrigens hält „sie“ selbst einen Fotoapparat in der Hand – eine einfache Boxkamera für jedermann, an der es nicht viel einzustellen gab und deren mittelprächtige Objektive ein Foto in der Qualität wie hier kaum ermöglicht hätten.

Doch auch damit ließen sich ausdrucksstarke Aufnahmen auf Ausflügen und Reisen für’s Fotoalbum anfertigen. So passt auch dieses Detail perfekt zur Situation einer sommerlichen Ausfahrt mit zwei hochkarätigen Automobilen.

Sicher ging es gleich nach diesem Foto weiter – eine zweite Dame scheint etwas gelangweilt auf dem Beifahrersitz des Steyr darauf zu warten. Sie hat bereits (oder noch) das Kopftuch auf, das die Frisur im Fahrtwind schützte und auch sie trägt einen hellen Reisemantel, auf dem man den Staub der Straße nicht sah.

„So muss das aussehen“ – bleibt als Fazit eines zauberhaften Dokuments einer Tour über Land vor über 80 Jahren. Den Freunden der Marke Horch sei nochmals versichert – auch das hier „unterbelichtete“ Objekt ihrer Leidenschaft kommt noch zu seinem Recht!

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Gab’s als Vier- und Sechssitzer: Opel 10/40 PS Tourer

Zugegeben: Der Titel meines heutigen Blog-Eintrags mag nicht zu Begeisterungsstürmen hinreißen. In der Tat ist der vierzylindrige Opel 10/40 PS der späten 1920er Jahre nicht gerade das, was die Gourmets hinter dem Ofen hervorlockt.

Entsprechend zurückhaltend habe ich den großen Bruder des volkstümlichen Opel 4 PS-Typs „Laubfrosch“ bei der letzten Gelegenheit hier präsentiert. Ein Erfolgsmodell sah anders aus, zumindest im Hinblick auf die Stückzahlen, die überschaubar blieben.

Allerdings liegt der Reiz der Vorkriegsautos, die ich anhand historischer Fotos präsentiere, oft gar nicht so sehr in raffinierter Technik oder spektakulär schönen Formen, sondern in der Situation, in der sie einst aufgenommen wurden.

Folgendes Beispiel illustriert das aus meiner Sicht ganz vorzüglich und es zeigt – eher zufällig – genau das Modell, um das es heute geht: den Opel 10/40 PS als Tourenwagen!

Opel 10/40 PS Tourenwagen; zeitgenössische Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Für mich ist diese Aufnahme aus Garmisch-Partenkirchen mit dem Zugspitzmassiv im Hintergrund ein ideales Beispiel, um meine Ablehnung des „modernen“ Bauens zu begründen – das nebenbei ein 100 Jahre alter Hut ist.

Bis zum 1. Weltkrieg verfügte die Architektur über eine enorm vielfältige Formensprache, die noch im Bauboom der Gründerzeit einen Bezug zu regionalen Traditionen ermöglichte – sei es in formaler Hinsicht oder auch, was die Wahl der Materialien für die Fassade anging.

Selbst in den frühen 1920er Jahren vermochten Bauherrn und Architekten vereinzelt noch Bezüge zur Umgebung herzustellen, wie auf diesem Ausschnitt zu sehen ist:

Der fast schmucklose Bau ganz links fügt sich harmonisch in die umgebende Landschaft ein.

Interessanterweise gilt ähnliches für Vorkriegsautomobile. Sie wirken selbst in über Jahrhunderte gewachsenen Altstädten nicht wie Fremdkörper, was freilich auch mit ihrer in Deutschland damals noch überschaubaren Zahl zu tun hatte.

Übrigens entspricht der Opel auf obiger Aufnahme der späteren Ausführung des 10/40 PS-Modells, um das es heute geht – bei Einführung 1925 besaß der Wagen dagegen noch eine eher nichtssagende Kühlerpartie:

Opel 10/40 PS Tourenwagen (viersitzig); Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Auf diesem Foto aus dem Fundus von Leser Klaas Dierks kann man gut nachvollziehen, dass Opel mit dem Typ 10/40 PS im wesentlichen eine vergrößerte Ausführung des Brot- und Butter-Modells 4/20 PS „Laubfrosch“ produzierte.

Das galt nicht nur für die simple Technik, sondern offensichtlich auch für das äußere Erscheinungsbild. Die Übertragung eines erfolgreichen Automobilentwurfs in eine andere Größenklasse gelingt jedoch selten – das gilt übrigens in beide Richtungen.

Jedenfalls wirkt die Tourenwagenversion des kleineren Opel 4/16 PS weit stimmiger, obwohl beim 10/40 PS-Typ dieselben stilistischen Elemente verwendet wurden:

Opel 4/16 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Beim kompakten Opel 4PS-Typ überzeugen die Proportionen, während das daraus abgeleitete größere 10 PS-Modell doch reichlich massig wirkt.

Hinzu kommt der wesentlich längere Radstand, der die Karosserie in der Seitenansicht eher dröge erscheinen lässt. Und dabei haben wir es hier noch mit dem kürzeren, viersitzigen Tourenwagenaufbau zu tun, mit dem der Opel 10/40 PS erhältlich war:

Hier endet die hintere Tür praktisch auf Höhe des Heckschutzblechs. Das Fehlen von Türgriffen (zum Öffnen diente ein innen angebrachter Hebel) trägt zusätzlich zum prosaischen Erscheinungsbild des Aufbaus bei.

Einziger Schmuck sind die typischen Trittbleche am Schweller, auf denen das Markenemblem zu erkennen ist – ein augenförmig gestalteter Opel-Schriftzug. Dieses Relikt verweist auf die Zeit vor dem 1. Weltkrieg und sorgt für willkommene Abwechslung.

Prinzipiell denselben schmucklosen Aufbau, nun allerdings auf dem längeren Chassis, zeigt eine weitere Aufnahme aus dem Fundus von Klaas Dierks:

Opel 10/40 PS Tourenwagen (sechssitzig); Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Wären da nicht die aus dem Jugendstil herübergeretteten geschwungenen Bleche mit Opel-Schriftzug (und die Scheibenräder mit sechs Radbolzen), würde dieser Wagen völlig beliebig aussehen und ließe sich kaum identifizieren.

Unter dem Druck der Wettbewerber – oder besser: Trendsetter – aus Übersee besann sich Opel dann ab Herbst 1927 und verpasste dem Typ 10/40 PS eine markantere Frontpartie, die übrigens auch das kleinere 4 PS-Modell erhielt.

Auch dazu konnte Klaas Dierks ein passendes Foto beisteuern:

Opel 10/40 PS Tourenwagen (viersitzig) aber Herbst 1927; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Dass Opel nichts Besseres einfiel, als die Kühlerform der US-Marke Packard zu kopieren, ist ein Indiz für den Zustand, in dem sich die einst so angesehene Marke damals war. Die Übernahme durch General Motors kurze Zeit später war die Quittung dafür.

Das an der See aufgenommene Foto zeigt übrigens wieder einen viersitzigen Tourer mit kurzem Radstand, wie die Position der hinteren Tür erkennbar ist.

Im Vergleich zum Vorgänger mit abgerundetem Kühler fällt auf, dass dieses Fahrzeug nun eine unterhalb der „Gürtellinie“ umlaufende Zierleiste besitzt. Diese verleiht der Seitenansicht Struktur und lässt sie zugleich niedriger erscheinen.

Sollte diese Zierleiste zusammen mit dem „Packard“-Kühler eingeführt worden sein, würde sie einen Datierungshinweis zu dem Opel 10/40 PS Tourer auf einer weiteren Aufnahme liefern, die diesmal aus meinem eigenen Bestand stammt:

Opel 10/40 PS Tourenwagen (sechssitzig); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses charmante Foto zeigt wieder einen sechssitzigen Tourer, wie gut zu erkennen ist. Von besonderem Reiz ist die geöffnete Tür, die sonst fast nie zu sehende Details preisgibt.

Zum einen sieht man hier die durchgehende Trennwand zwischen Passagierabteil und Vordersitzen. Zum anderen kann man die Gestaltung der Türverkleidung studieren, die hier eine verschließbare Tasche mit aufgeprägtem Opel-Emblem aufweist:

Außerdem sieht man nun die innenliegenden Hebel zum Öffnen bzw. Versperren der Tür, außerdem eine horizontale Haltestange an der Trennwand zum Fahrerabteil.

Ebenfalls zu erkennen ist besagte Zierleiste – zumindest der hintere Abschnitt, der in Richtung Verdeckgestänge läuft. Erwähnenswert sind zudem die seitlichen Steckscheiben, die man anlässlich des Fotos auf der rechten Seite entfernt hat.

Ansonsten bleibt zu sagen, dass auch ein solches Dokument, das wenig vom Wagen erkennen lässt, dennoch von großem Reiz sein kann – vor allem dann, wenn die Menschen darauf echte Individuen sind.

Noch besser als die beiden Damen gefallen mir im vorliegenden Fall die Herren, die für mich beweisen, dass formelle Kleidung keine Uniform sein muss, wenn sie typgerecht ist. Von diesen beiden völlig unterschiedlichen Charakteren kann man sich jedenfalls einiges abschauen, wenn man ein Vorkriegsauto in der Öffentlichkeit bewegt.

So liegt für mich am Ende der eigentliche Reiz dieser Autofotos wieder einmal in der menschlichen Komponente. Die Opel-Freunde mögen mir verzeihen, wenn ihre Lieblinge dabei nicht ganz so vorteilhaft weggekommen sind…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.