Der Frühling kann kommen: Ansaldo 6B von 1927/28

Eigentlich wollte ich heute das Ende der Skisaison ausrufen – denn ich habe das passende Foto dazu! Doch dann werfe ich einen kurzen Blick nach draußen: Da tanzen doch tatsächlich ein paar Schneeflocken durch die Luft!

Verflixt, jetzt muss ich schnell das Motto wechseln. Denn die Erfahrung zeigt, dass in meiner Heimatregion – der hessischen Wetterau – die Winter zwar meist milde sind, doch kann es bis in den April hinein immer noch Rückschläge mit Frost und Schneefall geben.

Da mir eine Prognose vor dem Hintergrund riskant erscheint, ich aber den Frühling kaum erwarten kann, will ich ihm zumindest auf diesem Wege mitteilen, dass er von mir aus lieber früher als später kommen kann.

Und als passende Geste dazu packen wir nun die Skier wieder ein und machen den Wagen klar für die Heimfahrt in der Hoffnung, dass uns der Frühling mutig auf dem Fuße folgt.

Natürlich sind wir in einem Tourenwagen der Vorkriegszeit unterwegs, es gibt ja kaum eine stilvollere Form der Fortbewegung, und gleich steigen alle in das Auto. Aber wo tut man eigentlich die Skier hin, wenn dieses vollbesetzt und das Dach offen ist?

Nun, da wusste man sich zu helfen, denn statt eines Dachgepäckträgers hatte man einst wohlgeformte Kotflügel, welche geradezu ideal für die Aufgabe geeignet waren:

Ansaldo 6B Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Man sieht: für diese Herrschaften war der Winter definitiv vorbei – kalt war es wohl noch, aber Schnee ist nirgends mehr zu sehen.

Also kann es heimgehen, was in diesem Fall die Fahrt nach Bozen in Südtirol bedeutet, wenn ich das Nummernschild richtig interpretiere.

„Ein eleganter Amerikanerwagen ist das ja!“, mag man jetzt denken. Zugegeben: Auf den ersten Blick ähnelt das Auto einem US-Fabrikat von Mitte/Ende der 1920er Jahre. Vor allem die Gestaltung der Stoßstange würde dazu passen.

Doch dann bemerkt man, wie ungewöhnlich flach dieser Tourenwagen baut. Denkt man sich die aufgesteckten Seitenscheiben – eine leichte Konstruktion aus Zelluloid und Kunstleder auf Holzrahmen – ist die Seitenlinie nur etwa hüfthoch.

Dennoch handelt es sich nicht gerade um einen kleinen Wagen – wie ist das möglich? Tja, dazu bedarf es einer Sache, die man jenseits des Atlantiks, aber auch nördlich der Alpen oft schmerzlich vermisst – italienisches Stilempfinden.

Nicht nur Lancia bekam beim legendären Lambda das Kunststück hin, einen großzügig bemessenen und gut motorisierten Wagen unerhört niedrig zu bauen. Auch der Hersteller unseres heutigen Skitransporters beherrschte diese Kunst.

Dabei handelt es sich um eine Firma, die Automobile eher nebenher baute – den traditionsreichen Waffenhersteller Ansaldo aus Turin. Wagen der Marke werden Sie vereinzelt auch in meinem Blog finden, doch bislang kaum einen dieser Klasse:

Ansaldo 6B Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wenn ich richtig liege, haben wir hier ein Exemplar des Sechszylindertyps 6B in der Ausführung von 1927/28 vor uns, dessen 2,2 Liter Motor mit obenliegender Nockenwelle über 50 PS leistete, was locker für über 100 km/h Spitze reichte.

Die Italiener hatten im Norden die dafür geeigneten Schnellstraßen dafür, lange bevor in Deutschland großspurig Autobahnen für die Volksgenossen gebaut wurden, die sich in der weit überwiegenden Mehrheit überhaupt kein Auto leisten konnten…

Nun haben wir noch zwei, drei Tage, bevor der Urlaub zuende ist – was läge da näher, noch rasch einen Abstecher an den Comer See zu machen und bei der Gelegenheit besagte „Autostrada dei Laghi“ auszuprobieren, die seit 1925 von dort nach Mailand führt?

Die schnurgeraden Abschnitte nach Mailand nehmen wir mit Dauervollgas – darauf war der Ansaldo ausgelegt. Die Marke genoss auch deshalb einen hervorragenden Ruf.

Wir haben aber noch einen Grund zur Eile, denn abends haben wir Opernkarten für die Mailänder Scala! Vorher wirft man sich im Hotel in Schale, dann geht es im Ansaldo direkt vor’s Opernhaus:

Gerade will unsere Gesellschaft ein Erinnerungsfoto mit dem Wagen vor der prächtigen Fassade machen, da geschieht, was geschehen muss. Ein deutscher Tourist – nach Teutonenart nachlässig gekleidet – stellt sich frech ins Bild und lässt sich dort ablichten.

Dabei steht er so hölzern da, als habe er einen Karabiner geschultert, dabei hält er sich bloß an seinem Kameragurt fest, der Arme.

Man sieht, wie die Umstehenden – nach Mailänder Art stadtfein zurechtgemacht und durchweg „bella figura“ machend – erstaunt bis fassungslos der Szene beiwohnen. Der Herr neben der dunklen Limousine greift sich sogar an den Kopf:

Ansaldo 6B Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So ist leider Blick auf den Ansaldo ruiniert, dabei haben wir uns sogar die Mühe gemacht, die Skier abzumontieren, um ja nicht unangenehm aufzufallen.

Die ganz Schlauen unter Ihnen werden natürlich bemerkt haben, dass es sich nicht um exakt dasselbe Auto handelt und ich mir die kleine Story bloß ausgedacht habe. „Se non e vero e almeno ben trovato“, pflegt man in Italien dann zu sagen – wenn die Geschichte schon nicht wahr ist, ist sie doch wenigstens gut erfunden (hoffe ich).

Jetzt kann es sein, dass einer in Sachen Vorkriegsautos keinen Spaß versteht und darauf drängt, für diesen Verstoß gegen die historische Genauigkeit entschädigt zu werden.

Auch solche strengen Gemüter sind bestechlich, meine ich. Auch sie werden schwach, wenn man ihnen nur das richtige Material direkt vor die Nase hält. Und alle übrigen werden es ohnehin genießen, was ich zum Abschluss aus dem Hut zaubere.

Der elegante Stil des Ansaldo 6B der späten 1920er Jahre ließ sich nämlich in unwiderstehliche Weise noch auf die Spitze treiben.

Das unternahm die Karosseriebaufirma Bertone, wie folgendes Foto belegt, das ich auf der Facebook-Präsenz der italienischen Oldtimer-Zeitschrift „Ruote Classiche“ fand:

Ansaldo 6B Tourenwagen (Karosserie Bertone); Quelle: Ruote Classiche

Noch enger auf den Leib schneidern ließ sich das Blechkleid sicher nicht bei diesem Ansaldo 6B von 1928.

Dem stolz daneben posierenden Herrn – wohl der Besitzer – reicht das Auto gerade bis zur Hüfte wie bei dem eingangs präsentierten Exemplar. Doch hat es Bertone geschafft, hier auch den Vorderwagen genauso niedrig zu halten – ein Meisterstück!

Mit so einem Ansaldo jubelnd dem Frühling entgegenzufahren, der sich in den nächsten Wochen von Italien aus nach Norden vorarbeitet – davon wenigstens zu träumen, ist alles, was uns Nachgeborenen vergönnt ist.

Draußen wirbeln immer noch ein paar Flocken – vielleicht sollte ich demnächst auch wieder einen meiner therapeutischen Aufenthalte im gesegneten Land südlich der Berge antreten…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Australien-Deutschland und zurück: Rolls-Royce 20 HP

Wer einen Blick auf die Stichworte meines Blogs mit Markennamen im dreistelligen Bereich wirft, muss beeindruckt sein. Woher kennt der sich bloß mit so vielen Herstellern und Modellen der Vorkriegszeit aus?

Nun, mehr als oberflächliche Kenntnisse würde ich mir allenfalls bei einer handvoll deutscher Marken zugestehen – Adler, NAG, Presto, Protos und Stoewer – doch selbst dort ist mein Wissen sehr lückenhaft und ich lerne laufend dazu (wie im richtigen Leben).

Bei allen übrigen Fabrikaten beschränkt sich meine Weisheit auf den Inhalt einer eher moderat ausgestatteten Autobibliothek, die Gabe zur Kombination und den Mut zum eigenen Urteil (wer’s dann unter meinen Lesern besser weiß, wird’s schon korrigieren).

Zwar schrecke ich selten vor etwas zurück. Allerdings muss ich zugeben, dass ich einen Heidenrespekt speziell vor der umwerfenden Vielfalt an französischen Marken habe (von den in die Tausenden gehenden US-Herstellern ganz zu schweigen).

Und bei zwei Fabrikaten überlasse ich von vornherein den Kennern das Feld: Bugatti und Rolls-Royce. Dort haben Amateure wie ich nichts verloren, da bin ich realistisch.

Hier kommt ein Bugatti-Rennsportwagen herangestürmt – das erkenne auch ich – und die Anfang September 1928 aufgenommene Situation ist großartig. Das war’s aber auch schon.

Bugatti im Renneinsatz 1./2. September 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dokumente wie dieses verlangen echte Kennerschaft gestützt auf umfangreiche Archive, viel Erfahrung und beste Kontakte – nichts davon kann ich in Sachen Bugatti vorweisen.

Eines kann ich jedoch recht gut, meine ich, was sich auch bei den beiden genannten Marken als nützlich erweist: Regelmäßig die Angel mit wechselnden Ködern in Form historischer Autofotos in das endlose Meer hinauswerfen, das sich Internet nennt.

So habe ich 2022 parallel zu diesem Blog auf der Facebook-Plattform eine streng auf historische Fotos von Vorkriegsautos in Europa fokussierte Gruppe aufgebaut.

Wer beim Stichwort „Facebook“ die Augen verdreht, dem sei folgendes gesagt:

Erstens: Man kann sich dort zu jedem Thema mühelos, unterhaltsam und mit Gewinn mit Gleichgesinnten auf der ganzen Welt austauschen. Ein wenig Zeit und Intelligenz vorausgesetzt kann man das von Werbung und dergleichen weitgehend unbehelligt tun.

Zweitens: Wer dann noch immer an „German Angst“ leidet, ist herzlich eingeladen, es einfach besser zu machen – dummerweise ist Deutschland aber in der Hinsicht Dritte Welt.

So, und nun schauen wir doch einmal, was sich im Netz erreichen lässt, wenn man es richtig anstellt. Dazu nehmen wir dieses Foto her, das mir kürzlich in die Hände fiel:

Rolls-Royce 20HP von 1925, Karosserie Park Ward; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ein verwackelt aufgenommenes Vorkriegsauto im Deutschland der 1960er Jahre – das erkennt auch das ungeschulte Auge.

Wer ein bisschen mehr weiß, wird dieses urtümlich und doch respekteinflößende Fahrzeug als Rolls-Royce der Zwischenkriegszeit identifizieren.

Da hört es aber auch schon auf – jedenfalls bei mir. Immerhin hatte ich so etwas schon einmal gesehen, jedenfalls als Tourenwagen.

Beim alljährlichen Goodwood Revival Meeting in Sussex stehen solche Autos schließlich wie selbstverständlich auf dem Besucherparkplatz herum. Die Besitzer kommen oft über hunderte Kilometer auf eigener Achse angereist:

Rolls-Royce 20 HP beim Goodwood Revival 2017; Bildrechte Michael Schlenger

Natürlich hätte ich bemerken können, dass die horizontalen Kühlerlamellen ein Kennzeichen des „kleinen“ 20 HP-Modells von Rolls-Royce waren – habe ich aber nicht, weil ich zu sehr damit beschäftigt war, die unzähligen anwesenden Vorkriegswagen abzuschreiten.

So machte ich mir erst gar nicht die Mühe, auch nur einen Versuch der Einordnung des obigen im Nachkriegsdeutschland abgelichteten Rolls-Royce zu unternehmen.

Stattdessen lud ich das Foto in meiner Facebook-Gruppe hoch, verfasste eine deutsche und eine englische Beschreibung und wartete ab, was passieren würde. Man muss dazu wissen, dass die Gruppe über 1.000 Mitglieder aus aller Welt umfasst.

Die meisten Gruppenmitglieder stammen natürlich aus englischsprachigen Ländern und genau auf das dort versammelte Wissen hatte ich spekuliert.

5 Minuten nach dem Hochladen schickte mir David Smallacombe aus Australien die Nachricht, dass es sich um einen Rolls-Royce 20 HP mit Zulassung in New South Wales handeln dürfte.

Weniger als 12 Stunden später schrieb mir Mark Roberts, dass das Auto erst kürzlich wieder nach Australien zurückgekehrt sei, nachdem es einen Besitzer in Übersee gehabt hatte.

Einen Tag später gab Mark Roberts via Facebook die Details des Rolls bekannt: Baujahr 1925, Karosserie Park Ward, Chassis-Nr. GNK50.

Ab dem Punkt konnte ich selbst übernehmen, denn ich war sicher, dass die Geschichte dieses Autos in bester britischer Tradition erschöpfend dokumentiert ist. So war es auch. Hier ein Auszug (Quelle; deutsche Fassung von mir):

Das Rolls-Royce Twenty-Fahrgestell GNK50 wurde am 24. Januar 1925 von einer Mrs. Hill (London) bestellt. Am 16. April wurde es an den Karosseriebauer Park Ward geschickt. Nach Fertigstellung des Aufbaus erhielt der Wagen – noch ein frühes Modell mit Dreiganggetriebe und Zweiradbremsen – das Londoner Kennzeichen XY5030.

Die Besitzerin scheint dann nach Australien ausgewandert oder zurückgekehrt zu sein, denn der Wagen wurde am 6. Oktober 1925 in das Dampfschiff Demosthenes verladen, das nach Sydney fuhr. Dort blieb das Auto fast vier Jahrzehnte lang.

Im Dezember 1963 berichtete der Rolls-Royce Owners‘ Club of Australia, dass der nunmehrige Besitzer Tony Strachan damit zu einer Europareise aufgebrochen sei.

Der Wagen kam in Athen an Land und wurde quer durch Europa (einschließlich Deutschlands) gefahren. Er verblieb in England, wo er 1964 an einer Veranstaltung in Goodwood teilnahm. Neuer Besitzer wurde Constantine Savalas von der US-Botschaft in London.

Der war übrigens der Bruder des Schauspielers Aristotelis „Telly“ Savalas, der als „Kojak“ in der gleichnamigen Fernsehserie bekannt wurde. Constantine Savalas brachte den Rolls Twenty in den späten 1960er oder frühen 70er Jahren in die USA.

Nach mindestens zwei dokumentierten Besitzerwechseln kam „unser“ Rolls-Royce 20 mit seinem immer noch originalen Park Ward-Limousinenaufbau aus Neuengland zurück nach Australien und erfuhr dort eine behutsame Auffrischung:

Rolls-Royce 20 HP von 1925, Karosserie Park Ward; Originalfoto via Mark Roberts (Australien)

Ziemlich genau 60 Jahre nach seiner Zwischenstation in Deutschland (erkennt jemand den Aufnahmeort?) ist der Rolls-Royce somit wieder in Australien, wo er die ersten fast 40 Jahre seines Autolebens verbrachte.

Man muss sich das vorstellen: Nach knapp 100 Jahren ist dieses wunderbare Fahrzeug immer noch voll einsatzfähig – in unseren überwiegend belanglosen Zeiten müsste man das eigentlich als nachhaltig bezeichnen, wenn man es ernst damit meinte.

Nur eines hat die Gegenwart für sich, was diese automobilen Schöpfungen angeht: Nie war es leichter, alles zu erfahren, was darüber noch irgendwo auf der Welt bekannt ist. Deshalb, aber wirklich auch nur deshalb, leben wir Altautofreunde in der besten aller Zeiten.

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

In Würde gereift: Minerva 32 CV von 1929

Das kleine Belgien ist vermutlich das Land mit der höchsten Dichte an historischen Automobilmarken – gemessen an Fläche und Einwohnerzahl. Davon sind beim großen östlichen Nachbarn heute bestenfalls noch zwei bekannt: Metallurgique und Minerva.

Der 1878 von Sylvain de Jong in Anvers gegründeten Firma Minerva gelang ein kometenhafter Aufstieg wie kaum einem anderen belgischen Hersteller. Auf die Fabrikation von Fahrräder und Motorrädern folgte 1900 das erste Automobil.

Nur wenige Jahre später war Minerva in der europäischen Spitzenklasse angelangt, insbesondere mit leistungsfähigen und komfortablen Sechszylindermodellen.

Auch nach dem 1. Weltkrieg blieb man auf Erfolgskurs, das Werk hatte die jahrelange deutsche Besatzung recht intakt überstanden.

1920 stellte Minerva einen neuen Sechszylinderwagen vor, den Typ 30 CV mit 5,4 Litern Hubraum. 1923 wurde das Modell mit Vorderradbremsen ausgestattet und auch sonst laufend modernisiert.

Um 1925 stellte sich ein solcher Minerva 30 CV so imposant dar wie hier zu sehen:

Minerva 30 CV um 1925; Ansichtskarte von September 1926; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Selbst die nochmals wesentlich schwereren geschlossenen Versionen des Minerva 30 CV erreichten damals bei Versuchsfahrten bereits Höchstgeschwindigkeiten von 120 km/h.

Ausfahren ließ sich das zwar kaum, aber man ahnt die kolossale Leistungsfähigkeit der verbauten Motoren – Voraussetzung für eine vollkommen unangestrengte und leise Kraftentfaltung, die außer zum Anfahren selten einen Schaltvorgang erforderte.

1928 wurde das Aggregat auf fast 6 Liter aufgebohrt, was sich in der Modellbezeichnung widerspiegelte, welche den Steuer-PS entsprach, also nunmehr 32 CV. Die effektive Höchstleistung erreichte während der fast zehnjährigen Bauzeit zuletzt 150 PS.

Ein recht frühes Exemplar des Minerva 32CV findet sich auf diesem Foto, das mir Leser Matthias Schmidt in digitaler Form zur Verfügung gestellt hat:

Minerva 32 CV von 1928/29, aufgenommen im März 1929; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Zurecht werden Sie jetzt einiges an dieser Aufnahme auszusetzen haben: die geringe Auflösung etwa, aber auch die kunstlederne Manschette mit verstellbarem Rollo, welche in der kalten Jahreszeit eine Anpassung der Kühlerleistung ermöglichte.

Mangels Thermostat im Kühlkreislauf ließ sich nur durch teilweises Verdecken der Kühleroberfläche erreichen, dass der Motor auch bei kalten Außentemperaturen rasch warm werden konnte. Nebenbei weiß vielleicht ein Leser, bei welchem Serienauto zuerst ein Kühlerthermostat verbaut wurde, ich würde hier auf eine US-Marke tippen.

Zu beanstanden ist hier des weiteren, dass der Wagen ohne Vorderstoßstange merkwürdig unfertig wirkt. Mag sein, dass er gerade erst frisch ausgeliefert worden war und eine Stoßstange wie damals noch teilweise üblich erst nachträglich angebracht wurde.

Bei der Gelegenheit prägen wir uns auch das Kennzeichen (AXVI 18) und die „Scheibenräder“ ein. Aufgenommen wurde das Foto übrigens im März 1929.

Wir halten kurz inne: Gegenüber der Tourenwagenausführung von Mitte der 1920er Jahre ist der Sechszlinder-Minerva inzwischen deutlich gereift – nun strahlt er statt der Offenheit von einst eine auf Distanz bedachte Würde aus.

Die Insassen dieses Wagens wollten nicht mehr zwangsläufig für jedermann sichtbar im Straßenverkehr unterwegs sein, wenngleich die Möglichkeit bestand, das Cabrioletverdeck zu öffnen, und zwar unabhängig vom Fahrerabteil.

Ein Jahr und gut drei Monate später – im Juli 1930 begegnet uns derselbe Minerva 32 CV wieder – doch hier sieht er wie verwandelt aus:

Minerva 32 CV von 1928/29, aufgenommen im Juli 1930; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Das Kennzeichen ist dasselbe – übrigens eines aus Wien.

Neu hinzugekommen ist indessen ein Stoßfänger in einem damals eigentlich längst veralteten Stil, man hätte hier eine elegante Ausführung aus zwei durchgehend parallelen Stangen erwartet – etwas merkwürdig.

Verschwunden ist natürlich die erwähnte Kühlermanschette und nun ist der Minerva-typische Kühler zu erkennen, über dem die namengebende römische Göttin der Weisheit und der Wehrhaftigkeit thront.

Ebenfalls dem Frühjahrsputz zum Opfer gefallen sind die Abdeckscheiben auf den Drahtspeichenrädern. Seinem eigenen Freiheitsdrang hat auch der Fahrer nachgegeben. Er sitzt nun unter offenem Himmel, während die Herrschaften im Heck weiterhin die Privatheit eines Salons auf Rädern genießen können.

In Würde gereift steht der große Minerva-Sechszylinder da – es gab übrigens auch schon früh eine „kleinere“ Ausführung mit der Typbezeichnung 20 CV.

Als hinreißend schön würde man dieses mächtige Automobil zwar sicher nicht bezeichnen, aber in natura sind diese luxuriösen Minervas dennoch äußerst beeindruckend.

Bedrückend ist eher die kaum vorhandene Kenntnis von der einstigen Klasse und Bedeutung dieser Spitzenklasseautomobile – wie überhaupt der enorm reichen belgischen Fahrzeugtradition – in deutschen Landen.

Ja, liebe „Oldtimer“freunde im frühen 21. Jh, es gibt jenseits von Mercedes, Horch und Maybach oder auch Alfa, Bentley und Bugatti eine unermessliche Welt großartiger Vorkriegswagen da draußen, von der man hierzulande leider viel zu wenig sieht.

Der Besuch einer Klassikerveranstaltung bei unseren westlichen Nachbarn ist in der Hinsicht augenöffnend – in Würde gereiftes Vorkriegsblech gibt es dort in atemberaubender Form und Fülle zu entdecken…

Turcat-Méry, aufgenommen 2015 auf Schloss Chantilly bei Paris; Bildrechte: Michael Schlenger

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Jetzt auch als Aufsatz-Limousine: Faun 6/24 PS

Damit wir uns recht verstehen: In meinem automobilen Kosmos haben nicht nur Vorkriegsautos ihren Platz. Gerade für klassische Autos der 1960-80er Wagen konnte ich ich mich schon immer erwärmen, hauptsächlich für Engländer und Italiener. Ein paar Exoten in der Richtung besitze ich auch, wenn auch keine Preziosen.

Deutschen Nachkriegsfabrikaten konnte und kann ich weniger abgewinnen. Porsche-Konstruktionen interessieren mich gar nicht, von meinem einstigen Alltagskäfer abgesehen. Bei BMW lasse ich von jeher nur den 3.0 CS gelten, dem jede teutonische Schwere fehlt, in Sachen Daimler weckte schon zu Schulzeiten nur das W111 Coupé Leidenschaften.

Opel und Ford bauten in den 70ern ganz nette Coupés, aber nichts geht über deren bärenstarke US-Vorbilder, die es nur selten über den großen Teich schafften.

Bei deutschen Vorkriegsfabrikaten sieht die Sache schon anders aus. In meinem geistigen Museum würde es diesbezüglich rasch eng werden: Audi 225 Spezial-Cabrio, BMW 327 Cabriolet, Dürkopp P12 Tourer, Hanomag Sturm Roadster, Hansa 1700 Coupé, Horch 930V Roadster, NAG C4 Monza, Simson Supra, Steiger 12/70 PS, Stoewer D12 Sport-Tourer…

Eine eigene Halle wäre daneben für die echten Exoten vonnöten, die im Deutschland der frühen 1920er Jahre eine Sonderkonjunktur erlebten. Dutzende kurzlebige Fabrikate dürfte es im Kleinwagensektor gegeben haben.

Daneben gab es auch einige Versuche etablierter Maschinen- und Fahrzeugbauer, am Automarkt mitzumischen. Dazu zählten neben den interessanten bis aufregenden Sportwagen von Mannesmann insbesondere die PKWs der Nürnberger Marke Faun.

Ein Exemplar des von 1924-26 gebauten Typs 6/24 PS mit OHC-Ventilsteuerung habe ich hier vor einiger Zeit anhand eines raren Fotos vorgestellt. Dieses Modell hat ansonsten eher in Form von Prospektabbildungen überlebt wie der folgenden:

Faun 6/24 PS Tourenwagen, Prospektabbildung von 1925 (Sammlung Michael Schlenger)

In Sachen „Faun“-Automobile tat sich danach eine ganze Weile nichts in meinem Fundus. Von diesen Wagen sind vermutlich nur wenige hundert Exemplare entstanden, ansonsten hätte mir erfahrungsgemäß irgendwann wieder ein entsprechendes Foto begegnen müssen.

Das Einzige, was ich zwischenzeitlich auftreiben konnte, war die Abbildung des Motors des 6/24 PS Typs im „Handbuch vom Automobil“, verfasst von Joachim Fischer im Jahr 1927. Dort finden sich auffallend viele Abbildungen deutscher Nischenfabrikate, darunter Bilder vom legendären Sportwagen von Vorster & Stolle!

Jedenfalls sehen wir hier den im Faun 6/24 PS verbauten 1,4 Liter-Motor nebst Schaltgetriebe und sonstigen Aggregaten:

Faun 6/24 PS-Motor; Abbildung aus: Handbuch vom Automobil, Joachim Fischer, 1927; Original: Sammlung Michael Schlenger)

Als ich kürzlich darauf stieß, erinnerte ich mich an eine weitere zeitgenössische Prospektabbildung, die einen Faun dieses 6/24 PS-Typs mit sogenannter Aufsatz-Karosserie zeigt.

Dabei handelt es sich um eine Konstruktion, mit der sich aus einem Tourenwagen eine vollwertige Limousine machen ließ – ein Konzept, das Mitte der 1920er Jahre schon einigermaßen exotisch gewesen sein dürfte.

Jedenfalls tragen solche Sachen – neben der überwältigenden Markenvielfalt – für mich ganz wesentlich zum Reiz von Vorkriegsautos bei, denn so etwas gab es später nie wieder:

Faun 6/24 PS Aufsatz-Limousine, Prospektabbildung von 1925 (Sammlung Michael Schlenger)

Stünde es nicht ausdrücklich dabei, würde man hier kaum auf die Idee kommen, dass sich aus dieser Limousine durch Abheben des Oberteils ein offener Tourenwagen zaubern ließ.

Jaja, mag jetzt einer sagen, in Prospekten gab es alles Mögliche. Oft genug wurde dort abgedruckt, was man gern produziert hätte.

In der Tat weiß man von vielen Fabrikaten nur, weil eine Reklame oder eben eine Verkaufsbroschüre die Zeiten überdauert hat. Jedoch findet sich in der Neuauflage von Werner Oswalds Klassiker „Deutsche Autos 1920-1945“ auf S. 160 eine Ausführung des Faun 6/24 PS auch als Aufsatz-Limousine.

Mein Ehrgeiz ist es, solche raren Fahrzeuge anhand weiterer zeitgenössischer Fotografien zu dokumentieren. Dabei hat es sich bewährt, im Netz präsent und aktiv zu sein. So verwalte ich neben diesem Blog ein internationales Vorkriegsforum auf der „Facebook“-Plattform, die über 1.000 Mitglieder aus aller Welt umfasst.

Deutsche sind dort übrigens trotz des Schwerpunkts auf heimischen Fabrikaten bei weitem in der Minderzahl; „German Angst“ scheint auch hier ein Hemmnis zu sein, Technologie einfach intelligent zu nutzen, anstatt endlos über Risiken zu lamentieren.

Ich habe dort schon Problemfälle, die ich seit Jahren mit mir herumschleppe, binnen einer Stunde gelöst bekommen. Außerdem gelange ich über die von mir individuell freigeschalteten Mitglieder immer wieder an außergewöhnliche Dokumente.

IIlustrieren kann ich das heute anhand eines Fotos, das mir Jason Palmer aus Australien in digitaler Kopie zur Verfügung gestellt hat. Wie viele seiner Landsleute begeistert er sich für europäische Vorkriegswagen, fährt selbst welche und sammelt zugehörige Materialien.

Dem Kontakt mit ihm habe ich das hier zu verdanken:

Faun 6/24 PS Aufsatz-Limousine; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Die Übereinstimmung mit der Faun 6/24 PS Aufsatz-Limouisine auf der Prospektabbildung ist auf den ersten Blick fast vollkommen, nur die auf dem Foto abgedeckten Drahtspeichenräder weichen ab, oder?

Nun, bei aller Begeisterung setzt sich rasch wieder eine nüchterne Betrachtungsweise durch. Die Ansprache als Faun 6/24 PS mit Aufsatzkarosserie steht für mich außer Frage.

Doch fällt auf, dass der Wagen auf Jason Palmer Fotos eine deutlich größere Bodenfreiheit aufweist und zugleich der Abstand der Kotflügel zu den Reifen kleiner ist. Das könnte auf eine andere Refendimension hindeuten.

Möglich ist aber auch, dass man bei diesem Exemplar die Schwellerpartie zwischen Rahmen und Trittbrett nicht so hoch ausgeführt hat wie bei dem Wagen im Prospekt.

Dies hatte offenbar zur Folge, dass aus dieser Perspektive auch die rahmenartige Struktur zutagetritt, die sich am Unterboden mittig befand, deren Zweck mir nicht ganz klar ist. Ideen dazu sind willkommen (bitte die Kommentarfunktion nutzen).

Der eigentliche Aufbau stimmt hingegen vollkommen mit der Prospektabbildung überein. Besonders schön ist, dass wir hier die Frontpartie im Detail studieren können:

Dieser Ausschnitt eignet sich dazu, sich die Gestaltung des Kühlers einzuprägen, um eventuell weitere solcher Faun-Automobile identifizieren zu können.

Irgendwann während der kurzen Bauzeit scheint ein Flachkühler eingeführt worden zu sein, wobei der genaue Zeitpunkt noch offen ist. Vielleicht findet sich ja eine weitere Aufnahme, welche diesbezüglich Aufschluss gibt.

Ein solcher Flachkühler-Faun muss übrigens in der Nachkriegszeit noch existiert haben, jedenfalls findet sich im Netz diese Aufnahme:

Faun 6/24 PS (oder früher Typ K3 6/30 PS); Quelle: http://www.autopuzzles.com

Hier sehen wir zudem Stahlspeichenräder mit fünf statt vier Radbolzen, allerdings nach wie vor noch keine Vorderradbremsen, die wohl erst 1926 Standard wurden. Demnach hätte der Übergang zum Flachkühler wohl 1925 stattgefunden.

Wer etwas über dieses spezielle Fahrzeug weiß, dass in den 1960er Jahren aufgenommen wurde, möge das bitte über die Kommentarfunktion kundtun. Unterdessen will ich den bislang noch in der Exoten-Kategorie beheimateten Faun-Automobilen eine eigene Galerie gönnen, es scheint da doch noch einiges mehr zu geben…

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Mut zur eigenen Linie: Ego 4/14 PS Tourer

Was man so hört, stellen in Grundschulklassen heute die überdurchschnittlich Begabten die absolute Mehrheit. Das Ergebnis gescheiterter oder erst gar nicht versuchter Erziehung gilt sogleich als Ausweis von Genialität und Eignung für alles Mögliche.

So viele prachtvolle Individuen gab es nie, herrliche Zeiten! Untertanen, ängstliche Anpasser und Befehlsempfänger kennt man nicht mehr. Erfinder- und Unternehmertum stehen in voller Blüte, kein Mensch strebt mehr nach Sicherheit bei Vater Staat.

Dem Mut zur eigenen Linie, gesundem Erwerbsstreben und einer Prise Egoismus verdanken wir alle möglichen Verheißungen: Elektrische Flugtaxis beispielsweise!

Es sind ja nur bald 10 Jahre, dass uns smart auftretende Jungunternehmer alles (Un)Mögliche vom Himmel herunterversprechen, es fehlen bloß noch ein paar Millionen Kapital von gutgläubigen Investoren, dann klappt es – versprochen!

Ironie beiseite. In Wahrheit wird im Technologiesektor hierzulande außer heißer Luft kaum noch Nennenswertes produziert, jedenfalls nicht im Vergleich zu den USA, Fernost oder auch – inzwischen genauso fern – dem Deutschland der Vorkriegszeit.

Geradezu atemberaubend war nicht nur die Explosion an Erfindungsreichtum und Schaffenskraft um die Jahrhundertwende; auch nach dem 1. Weltkrieg schien es an Ideen und dem Willen, etwas Neues auf die Beine zu stellen, nicht zu fehlen.

Vermutlich hunderte Firmen standen plötzlich ohne Rüstungsaufträge da, mussten sich neu erfinden und zurechtkommen mit der Härte eines Marktes, an dem es keine Subventionen, verbilligte Kredite oder sonst etwas auf Steuerzahlerkosten gab.

Allein im Sektor Automobilbau versuchten zahllose Firmen ihr Glück, meist mit ähnlichen Konzepten und meist ohne ausreichendes Kapital zum Skalieren der Produktion. Die Geschichte der früher oder später gescheiterten Autobauer im Deutschland der frühen 1920er Jahre will noch geschrieben sein. Material dazu ist zuhauf vorhanden.

Auch wenn ich nicht gezielt danach suche, findet sich ständig Neues und Reizvolles auf diesem Sektor. Kürzlich schickte mir Steffen Rothe aus Berlin – damals das Epizentrum des Kleinwagenbaus in Deutschland – diese hübsche Reklamekarte in digitaler Kopie:

EGO-Reklamepostkarte; Original aus Sammlung Steffen Rothe (Berlin)

Trotz der naiven Darstellung der Landschaft ist der Wagen bis ins Detail präzise getroffen, wie wir gleich sehen werden.

Hersteller des hier beworbenen „Ego“-Wagens war die Mercur Flugzeugbau GmbH, die Anfang der 1920er Jahre einen angeblich komplett selbst entwickelten Vierzylinderwagen im Stil sportlicher Cyclecars auf den Markt brachte.

Wer angesichts der Leistungsangabe 4/14 PS mitleidig lächelt, übersieht dabei, dass auch die französischen Vorbilder in dieser Klasse ähnlich angefangen haben. 1924 wurde die Leistung auf 20 PS angehoben, jedoch wurde kurz zuvor noch diese Reklame publiziert:

EGO 4/14 PS Reklame von 1924; Original: Sammlung Michael Schlenger

Der Vergleich mit obiger Postkarte zeigt, dass der Zeichner dort bei aller kunsthandwerklichen Freiheit die Eigenheiten des Ego 4/14 PS genau wiedergegeben hat.

Dazu zählt die nach hinten abfallende Karosseriekante, die sich vom Kühler bis zum Verdeck hinzieht, außerdem der Schwung der Kotflügel und die Gestaltung des Kastens oberhalb des Trittbretts, unter dem sich die weit vorn angebrachte Auslegerfederung (Cantilever-Prinzip) der Hinterachse verbirgt.

Bei frühen Exemplaren des Ego 4/14 PS gab es diese Abdeckung noch nicht (vgl. W. Oswald, Deutsche Autos 1920-1945. S. 156), auch die Haubenschlitze waren anders gestaltet.

Dass Ego sich überhaupt einige Jahre am Markt halten konnte, ist bei deutschen Wagen dieser Kategorie eher die Ausnahme. Offenbar fand die eigene Linie der Konstruktion wie der Gestaltung ebenso Anklang wie die Qualität der Ausführung.

Neben dem Zweisitzeraufbau gab es übrigens auch eine Tourenwagenversion des Ego 4/14 PS; hier ein Foto, das mir ebenfalls Steffen Rothe (Berlin) zur Verfügung gestellt hat:

EGO 4/14 PS Tourer; Originalfoto: Sammlung Steffen Rothe (Berlin)

Die eigene Linie des Wagens wurde hier geschickt beibehalten. Statt die Karosserieoberkante hinter der Frontscheibe wie bei Tourern üblich höher anzusetzen, ließe man sie niedrig und zog sie einfach weiter nach hinten.

Dabei wurde zwar der Platz für das Reserverad geopfert, es ist aber denkbar, dass dieses auf die linke Fahrzeugseite wanderte, wo am hinteren Ende des Vorderkotflügels Platz genug war. Das Beweisfoto dafür steht allerdings noch aus.

Vielleicht eine Gelegenheit für die Sammler unter meinen Lesern, diesem eigenständig gestalteten Wagen der frühen 1920er Jahre in ihrem Fundus nachzuspüren.

Vielleicht lässt sich ja nun der eine oder andere bisher ungelöste Fall anhand der eigenen Linie des Ego klären. Von so gelungener Individualität kann es schließlich nie genug geben!

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Herr Doktor hat heut‘ Zeit! DKW F8 Luxus Cabriolet

Besuch beim Arzt oder Besuch vom Arzt – beides gehört normalerweise zu den Dingen, auf die man gern verzichtete. Wobei man heilfroh ist, dass es ihn gibt…

Ich kenne aus der Kinderzeit noch den Landarzt des alten Schlags. Dr. Gundermann war ein freundlicher älterer Herr, der seine Praxis in einer Jugendstilvilla am Ortseingang hatte.

Das war für mich als Kind aus einem der Neubaugebiete der 1960er Jahre (immerhin hatten wir einen großzügigen Bungalow) der früheste Kontakt mit Qualitätsarchitektur. Vertieft wurde der später durch die phänomenale Bausubstanz in meiner Geburtsstadt Bad Nauheim und in Friedberg/Hessen, wo ich das Augustiner-Gymnasium besuchte.

Das mag erklären, weshalb ich für die seit 100 Jahren immergleichen Schuhkasterlbauten der „Moderne“ nur Mitleid übrighabe. Zum Glück hat in Europa trotz der Verheerungen der Weltkriege genügend unseres baulichen Erbes überdauert, dass man dieses aufsuchen und darin eintauchen kann.

Dabei ist es keineswegs nur elegante, opulente oder repräsentative Architektur, die mich anzieht. Auch durchschnittliche Bauten auf dem Lande hatten in der Historie eine Qualität, die mich immer wieder fragen lässt: was ist bei uns eigentlich schiefgelaufen?

Ich meine, dass es nicht allein die Katastrophe des 2. Weltkriegs war, welche die Traditionslinien hierzulande unwiderbringlich gekappt war. Dass man sich speziell in Deutschland entschlossen hat, nur noch progressiv zu sein, das kam erst später.

Folgendes Foto aus meiner Sammlung illustriert, dass auf dem Lande eine zumindest äußerlich heile Welt überdauert hatte, auch wenn in jedem Dorf die Gefallenenmahnmale des 1. Weltkriegs eine traurige „Ergänzung“ erhielten.

Egal, wie Ihnen gerade zumute ist, ganz gleich was sie belastet, deprimiert oder erzürnt – versetzen Sie sich in die frühe Nachkriegszeit, nehmen Sie Platz und genießen diese Szene:

DKW F8 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ist das nicht wunderbar? Jetzt stellen Sie sich im Hintergrund einen Sichtbeton-Bau der Gegenwart vor und direkt neben Ihrem Tisch ein Nissan Micra Cabriolet…

Sehen Sie, was ich meine? Die Situation auf diesem Foto ließe sich mit modernem Material nicht wiederholen, stattdessen würde man sich hier sofort „sauwohl“ fühlen, nicht wahr?

Dabei ist diese Aufnahme in einer Zeit großer Not entstanden, und es stellte ein außerordentliches Privileg dar, einen solchen Moment „heile Welt“ genießen zu können.

„Herr Doktor hat heut‘ Zeit“ – so lautet das Motto, also nehmen wir uns ebenfalls Zeit und schauen, was dieses Dokument hergibt. Beginnen wir links mit dem offenen Wagen, der auf den ersten Blick kostspielig wirkt. Der zweite Blick offenbart, worum es sich handelt:

Gewiss, das war einmal ein ziemlich luxuriöses Fahrzeug. Der Kühlergrill erinnert tatsächlich stark an die sächsische Premiummarke Horch.

Dabei haben wir es mit einem 20 PS-Auto zu tun. Das verrät die Form des Kühleremblems, welche typisch für eine andere Marke aus dem Auto Union-Verbund war – DKW!

Die frontgetriebenen DKWs mit ihren sparsamen und zuverlässigen Zweitaktmotoren wurden nach ihrer Einführung anno 1931 im Lauf der Zeit äußerlich immer raffinierter.

Speziell das ab 1935 verfügbare Luxus-Cabriolet besaß eine Qualität, welche den Standardausführungen abging: Stahlkarosserie, reichlich Chrom und Ledersitze. Die Motorleistung blieb zwar dieselbe, aber das tat dem Prestige keinen Abbruch.

Unser Foto zeigt die letzte Variante des Front Luxus Cabriolets auf Basis des 1939 eingeführten DKW F8 – hier erkennbar an den senkrechten Streben im Kühlergrill.

Dieses Detail erlaubt die Ansprache sogar bei einem des Zierrahmens und Markenemblems auf dem Kühler beraubten Wagens wie diesem, der kurz nach dem 2. Weltkrieg in Chemnitz fotografiert wurde:

DKW F8 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Wagen auf dieser Aufnahme hat untenliegende Scheibenwischer, während an dem oben gezeigten Fahrzeug die spätere Anordnung am oberen Scheibenrahmen zu sehen ist.

Die Karosserien dieser DKW F8 Front Luxus Cabriolets sollen erst im Horch-Werk entstehen, wurden aber aus Kapazitätsgründen von Baur in Stuttgart gebaut. Es handelte sich letztlich um teure Manufakturfahrzeuge, die alles andere als volkstümlich waren.

Aufgrund ihrer geringen Leistung wurden die DKW-Zweitakter im Krieg vom Militär nur fern der Front eingesetzt. Eingezogen wurden sie aber durchaus, sofern der zivile Besitzer keine Gründe dafür vorbringen konnte, dass er darauf angewiesen ist.

Hier haben wir einen F8 mit geschlossenem Aufbau, das bei einer Luftwaffenheit zum Einsatz kam – wie üblich mattgrau bzw. mattblau lackiert:

DKW F8 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nach einigen Jahren Militäreinsatz blätterte die Lackierung der Chromteile ab und schon ist man bei der Optik des oben gezeigten F8 Luxus Cabriolets.

Dieses Auto muss also im Krieg bei einer Militäreinheit unterwegs gewesen sein. Nach der Kapitulation der Wehrmacht im Mai 1945 gab es noch zahlreiche solcher PKW, die über Nacht herrenlos wurden.

Was die Sieger übrigließen, fand bald wieder neue Besitzer, denn neue Autos gab es erst einmal so gut wie keine. Dass ehemalige Wehrmachtsfahrzeuge auf neue Privatbesitzer zugelassen wurden, war an der Tagesordnung – das wurde pragmatisch gehandhabt.

Speziell Ärzte und Veterinäre auf dem Land gehörten zu den ersten, die wieder motorsiert waren – sofern sie nicht ohnehin den Krieg über ihre Autos behalten konnten.

Sie haben sicher das Schild mit dem Roten Kreuz und der Aufschrift „Arzt“ hinter der Windschutzscheibe des eingangs gezeigten DKW gesehen. Demnach gehörte dieser F8 in der Cabriolet-Ausführung nach dem Krieg einem Doktor – wobei ich das Nummernschild noch nicht einordnen konnte (Lösungsvorschläge willkommen!).

„Herr Doktor hat heut‘ Zeit!“ so mag einst die junge Dame gejubelt haben, die hier zusammen mit der Mutter(?) bei einem Arztbesuch der vergnüglichen Art abgelichtet wurde:

Die beiden gut gebräunten Herren scheinen das Wochenende zu einem Ausflug auf’s Land irgendwo im Mittelgebirge oder Alpenraum (vermute ich) genutzt zu haben.

Hier haben gerade vier Menschen viel Freude miteinander und aneinander, ganz wunderbar. Dabei liegt das Grauen des Kriegs noch nicht weit zurück. Ein Zeuge davon ist nicht nur der ziemlich mitgenommene ehemalige Wehrmachts-DKW.

Haben Sie das zweite Auto im Hintergrund bemerkt? Man darf sich nicht von den großen Scheinwerfern täuschen lassen: Das ist ein VW-Kübelwagen, der wie der DKW nach der Kapitulation auf verschlungenen Pfaden einen neuen Besitzer gefunden hat.

Was mögen die zwei Autos und die vier Menschen auf dieser Momentaufnahme in den Jahren davor erlebt haben? Wir wissen nichts davon, aber eines sagt uns dieses Foto: Der Mensch ist ein Überlebenskünstler.

Zum Überleben braucht es freilich im Zweifelsfall nicht nur einen guten Arzt, sondern auch die schönen Dinge im Leben, an denen man sich erfreuen oder auf die man sein Streben ausrichten kann.

„Herr Doktor hat heut‘ Zeit – vielleicht unternehmen wir ja eine Fahrt im Cabriolet!“. Das ist ein Arztbesuch der schönsten Art und mein Wort zum Sonntag: Lassen Sie sich vom Gang der Dinge nicht betrüben, machen auch Sie etwas draus!

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Austro-Daimler-Revue: vom AD 25 PS zum ADV

Eigentlich wollte ich es mir heute leicht machen und wieder einmal Bilder des Austro-Daimler AD6-17 PS vorstellen, die sich zwischenzeitlich eingefunden haben.

Bei der Sichtung der Aufnahmen begann ich jedoch über die Bedeutung kleiner Unterschiede im Erscheinungsbild zu grübeln, woraufhin ich die Literatur konsultierte (Franz Pinczolits; Austro-Daimler, 1986; Martin Pfundner: Austro-Daimler und Steyr, 2007).

Diese half mir aber nur bedingt weiter, da die dort gezeigten Aufnahmen teils mäßiger Qualität sind und äußere Details kaum beschrieben werden. Also versuche ich es einmal selbst, wobei einiges Mutmaßung ist.

Klar ist meines Erachtens, dass alle Typen von Austro-Daimler ab spätestens 1920 bis zum Erscheinen des Typs ADM anno 1923 einen Spitzkühler mit dekorativem Markenemblem wie hier zu sehen besaßen:

Austro-Daimler der frühen 1920er Jahre; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wie es scheint, nahm Austro-Daimler 1919 zunächst die Produktion der beiden Vorkriegsmodelle 9/20 PS und 14/32 PS mit Vierzylindermotoren wieder auf.

Die Leistung der Aggregate wurde etwas angehoben und die Frontpartie mit einem Spitzkühler nach obigem Muster versehen. Der kleinere Typ wurde nunmehr als AD 25 PS angeboten und wie üblich mit verschiedenen Aufbauten angeboten.

Ein besonders attraktives Exemplar davon ist mir vor längerer Zeit in Form dieses feschen Sport-Zweisitzers ins Netz gegangen:

Austro-Daimler AD 25 Sport-Zweisitzer um 1920; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Neben dem AD 25 PS wurde der deutlich größere AD 35 PS angeboten. Sein Radstand von 3,10 Metern erlaubte nun auch großzügige Tourenwagenaufbauten, die Platz für drei Sitzreihen und damit sechs bis sieben Insassen ermöglichten.

Wie bei allen bisherigen Austro-Daimlern befanden sich die Hebel für Handbremse und Gangschaltung auch beim aufgewärmten 35 PS-Modell noch rechts außen an der Karosserie – jedenfalls bei offenen Ausführungen. Das entnehme ich der Aufnahme eines Austro-Daimler auf Seite 127 des Standardwerks von Pinczolits.

Demnach müsste der Wagen auf folgendem Foto ebenfalls ein Austro-Daimler des mittelgroßen Vierzylindertyps AD 35 PS sein, wie er nach dem 1. Weltkrieg noch eine Weile gebaut wurde:

Austro-Daimler AD 35 Tourenwagen um 1920; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich hatte dieses eindrucksvolle Fahrzeug bisher als den Nachfolgetyp AD6-17 identifiziert. Diese Neukonstruktion, die ab 1921 gebaut wurde, besaß ausweislich der Zeichnung, die auf S. 129 des Buchs von Pinczolits zu sehen ist, jedoch bereits Mittelschaltung.

Doch was macht man, wenn so ein Austro-Daimler von der „falschen“ Seite aufgenommen wurde wie folgendes Exemplar, das 1929 am Werbellinsee im nördlichen Brandenburg abgelichtet wurde?

Austro-Daimler AD6-17 Tourenwagen ab 1921; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Lediglich die deutlich schlichtere Gestaltung der Seitenlinie ohne die nach innen geneigte „Schulter“ ist hier ein Indiz für eine jüngere Entstehung.

Bestätigt wird der Eindruck, dass wir es hier bereits mit dem neuen Sechszylindertyp AD6-17 zu tun haben, durch ein zweites Foto desselben Wagens, was nebenbei den Wert auch technisch mäßiger Aufnahmen unterstreicht:

Austro-Daimler AD6-17 Tourenwagen ab 1921; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das Fehlen außenliegender Hebel für Handbremse und Schaltung sagt uns, dass dies höchstwahrscheinlich ein AD6-17 war. Da an den Vorderrädern keine Trommelbremsen zu sehen sind, ist das äußerlich sonst identische Nachfolgemodell ADV auszuschließen.

Kein verlässliches Indiz für Typ oder Entstehungszeitpunkt scheint dagegen die Gestaltung der Schwellerpartie zwischen Trittbrette und Aufbau zu sein. Dort findet man bei Austro-Daimlern der frühen 1920er Jahre nämlich zum einen glatte Flächen wie oben und hier:

Austro-Daimler AD6-17 Tourenwagen ab 1921; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Zum anderen begegnet man einer bewussten Hervorhebung der Wartungspunkte für die hintere Blattfeder, die bei den damaligen Austro-Daimler-Wagen in Cantilever-Form ausgeführt war (dabei hing die Achse am hinteren Ausleger der Feder).

Diese Lösung erforderte zwei Wartungsdeckel (statt sonst einem), nämlich am vorderen Ende und in der Mitte (vor dem hinteren Kotflügel).

Es finden sich einige Fotos solcher Austro-Daimler-Wagen, bei denen diese Deckel sehr auffällig gestaltet waren wie hier – und zwar rund:

Austro-Daimler ADV ab 1922; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Übrigens hatte ich diesen Austro-Daimler bislang ebenfalls als AD6-17 angesprochen inzwischen meine ich aber, dass es sich um dessen Nachfolgetyp ADV handelt.

Dieser wurde 1922/23 eingeführt (die Angaben variieren) und besaß laut Literatur nunmehr Vorderradbremsen. Ob das von Anfang an der Fall war? Nun, angeblich ist das „V“ in der Modellbezeichnung ADV ein Hinweis darauf.

Dann wäre dieser Austro-Daimler eines der ersten Serienautos im deutschsprachigen Raum gewesen, der Vierradbremsen besessen hätte.

Für ein so starkes (60 PS) und schweres Reiseauto wäre das naheliegend gewesen. Gerade bei längerer Abwärtsfahrt sind gebremste Vorderräder ein Vorteil, weil dann dort die Hauptlast aufliegt und der Fahrer im Unterschied zur Kombination von Hand- und Getriebebremse beide Hände am Lenkrad halten kann.

Nach diesem etwas langatmigen Versuch, eine gewisse Systematik in die Spitzkühlermodelle von Austro-Daimler aus den 1920er Jahren zu bringen, will ich die verbleibenden Leser mit einem Schmankerl belohnen, an dem wir uns erfreuen und zugleich – wenn gewollt – unser vorläufiges Wissen erproben können:

Austro-Daimler AD6-17 Tourenwagen ab 1921; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Diese schöne Aufnahme, die mir Leser Jason Palmer aus Australien in digitaler Form zur Verfügung gestellt hat, zeigt einen Austro-Daimler Tourer der frühen 1920er Jahre.

Zwar sehen wir hier nicht, ob Handbrems- und Schalthebel außen- oder innenliegend sind. Ich würde aber die sehr schlichte Gestaltung der Seitenlinie als Indiz dafür nehmen, dass wir es hier nicht mehr mit einem Vierzylindertyp AD 35 PS um 1920 zu tun haben.

Auch die Länge der Motorhaube scheint aus dieser Perspektive eher für den späteren Sechszylindertyp AD6-17 zu sprechen. Dessen Nachfolger ADV können wir aufgrund des Fehlens von Vorderradbremsen ausschließen.

Wie immer bei solchen nur oberflächlich dokumentierten Manufakturwagen ist zu bedenken, dass die Realität vielschichtiger war, als es die Literatur ahnen lässt. Es gab verschiedene Optionen beim Kauf sowie die Möglichkeit der späteren Nachrüstung bzw. des Umbaus einzelner Elemente – von daher ist mein heutiger Essay mit Vorsicht zu genießen.

Umso mehr bin ich an Ihrer Meinung und den Ihnen vorliegenden Dokumenten zu den Austro-Daimler-Typen mit Spitzkühler interessiert. Möglicherweise gab es schon beim Kühler selbst Varianten, die mir entgangen sind, vielleicht gab es Übergangsmodelle, bei denen schon Elemente des Nachfolgers wie die Mittelschaltung einflossen usw.

Jedenfalls finde ich die Premiumautomobile österreichischer Provenienz sehr spannend, zumal sie in Deutschland heute völlig unterbelichtet sind. Ach, eine Sache fällt mir noch ein:

Könnte das runde Objekt am Frontscheibenrahmen des Austro-Daimler auf dem Foto von Jason Palmer eine „Tax Disc“ sein, mit welcher britische Autobesitzer die gezahlte KfZ-Steuer nachwiesen?

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Neu entdeckt: DeSoto „Series SC Six“ von 1932

Zur Beschäftigung mit Vorkriegsautos gehört die Entdeckerfreude, zu der es bei jüngeren Fahrzeugen nur noch selten Anlass gibt.

Das liegt schon an der ungeheuren Anzahl der Hersteller und Modelle, um die es geht: Allein in den USA zählt man über 5.000 Fabrikate – wobei die meisten rasch eingegangen sind, teilweise nur einen Prototypen gebaut oder nur einen Prospekt gedruckt haben.

Dennoch geht selbst die Zahl der Autobauer, die einst zumindest eine Weile am Markt aktiv waren, weltweit in die Tausende.

Die Größenordnung der beteiligten Erfinder und Unternehmer ist ein wesentlicher Faktor bei dem rasanten Entwicklungstempo in der automobilen Frühzeit. Fünf Jahre entsprachen bis in die 1930er Jahre einer ganzen Autogeneration.

Vorzüglich illustrieren lässt sich dies anhand eines Beispielfotos, das mir Leser Klaas Dierks schon vor längerem zugesandt hat, das ich aber erst kürzlich neu entdeckt habe. Es zeigt einen Wagen, der vor gut 90 Jahren entstand – anno 1932.

Was sehen Sie vor dem geistigen Auge, wenn Sie sich ein Automobil jener Zeit vorstellen? Ich meine damit keine bestimmte Marke oder ein spezielles Modell, sondern allgemein das Erscheinungsbild. Vielleicht etwas in dieser Art?

DeSoto Series CF Eight von 1930/31; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Klar, so sieht ein typischer „Oldtimer“ aus, würden die meisten Zeitgenossen wohl sagen. Vielleicht würden sie dabei auf die späten 1920er Jahre tippen, was stilistisch auch passt.

Tatsächlich war diese repräsentative Limousine mit sechs Seitenfenstern erst 1929 entwickelt worden – für eine im selben Jahr neu geschaffene Marke des amerikanischen Chrysler-Konzerns.

Für deren Namen hatte man in den Marketing-Etagen in Detroit einen spanischen Eroberer neu entdeckt: „Hernan DeSoto“, mit dem man in den Staaten vermutlich nicht mehr verband als die Entdeckung des Mississippi.

In den politisch hyperkorrekten Zeiten von heute wäre das ein absolutes Unding – das wäre so, als ob man ein Lastenrad nach Francisco Pizarro benamte, weil es halt exotisch klingt.

Der „DeSoto“ dagegen schlug ein am Markt wie – ja wie ein Eroberer! Bis dato war es keiner neuen Automarke in den USA gelungen, im ersten Jahr über 80.000 Autos abzusetzen. Soviel zum Thema Dynamik in der damaligen Autoindustrie.

Allerdings muss ich zugeben, dass ich DeSoto nach Vorstellung des einst in Hessen zugelassenen Achtzylinder-Wagens der Marke ein wenig aus den Augen verloren habe. Nur sporadisch werden Sie in meinem Blog Spuren davon finden.

Dieser Tage jedoch habe ich DeSoto neu entdeckt – kurioserweise bei der Recherche nach einem mutmaßlich belgischen Automobil aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg.

Beim Durchblättern des Standardwerks „Le Grand Livre de l’Automobile Belge“ von Kupélian/Sirtaine begegnete mir ein Fahrzeug, das mich spontan an dasjenige auf diesem Foto von Leser Klaas Dierks erinnerte:

DeSoto Series SC Six; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Was meinen Sie, von wann dieses Auto stammt? Mitte bis Ende der 1930er Jahre?

Leider daneben. Dieser DeSoto entstand praktisch direkt nach dem konservativ daherkommenden Achtzylinder-Wagen auf dem eingangs gezeigten Foto.

1932 brachte man ein neues Modell heraus, das zwar „nur“ einen Sechszylinder besaß, der aber mit nunmehr 75 PS stärker war als der Achtzylinder. Äußerlich das hervorstechendste Merkmal war freilich der Rundkühler, der bis Ende der 1930er Jahre modern bleiben sollte.

Diesen hatte man sich laut Literatur beim legendären Miller-Rennwagen der 1920er Jahre abgeschaut – einem in den USA enorm erfolgreichen Monoposto. Im alten Europa findet sich eine sehr ähnliche Kühlergestaltung bei der belgischen Marke PM im Jahr 1925.

Das erklärt, weshalb ich bei meiner Recherche nach einem belgischen Fabrikat nebenbei den DeSoto neu entdeckt hatte – die Abbildung des PM erinnerte mich daran.

Zu dem DeSoto auf dem Foto von Klaas Dierks ist noch zu sagen, dass dieser das Modelljahr 1932 repräsentiert:

Schon im Jahr darauf gab es nicht nur äußerlich Änderungen gegenüber dem 1932 eingeführten Modell , auch unter der Haube sollte sich noch einiges tun: Der Motor leistete nun über 90 PS aus 3,6 Litern Hubraum. Der Achtzylinder war zwischenzeitlich eingestellt worden.

Erwähnenswert sind des weiteren das vollsynchronisierte Getriebe mit geräuscharmen schrägverzahnten Zahnrädern, die Startautomatik sowie optionale Heizung und Radio.

Hydraulische Bremsen und ebensolche Stoßdämpfer, gummigelagerter Motor und Ganzstahlkarosserie rundeten das Bild eines zeitgemäßen US-Wagens ab. Leider liegt mir bislang noch kein Foto der Version von 1933 vor.

Vielleicht geht ja nochmals jemand seinen Fotofundus durch, sodass auch die überarbeitete Fassung dieses bemerkenswerte Fahrzeug hier „neu entdeckt“ werden kann!

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Doch auch mit Dach: Wartburg anno 1904

Um gleich Protesten von Lokalpatrioten vorzubeugen: Natürlich verfügte die berühmte, bald 1000-jährige Wartburg in Thüringen anno 1904 über ein Dach.

Daran kann es keinen Zweifel geben, schließlich waren die Bauarbeiten zur Wiederherstellung der Ruine nach sechsjähriger Bauzeit schon 1859 abgeschlossen. Seither bietet sich die Anlage so dar, wie sie der Besucher des 21. Jh. zu sehen bekommt.

Die These „Wartburg ohne Dach“ ist mir in einem anderen Zusammenhang untergekommen, der nur indirekt mit der Festungsanlage zu tun hat, dieser aber keineswegs fernliegt.

Kenner der frühen deutschen Automobilgeschichte wissen jetzt natürlich, was kommt. Denn unweit der Wartburg wurden von der Fahrzeugfabrik Eisenach ab 1899 ein Automobil gebaut, das als „Wartburg-Wagen“ verkauft wurde.

Dabei handelte es sich um ein noch sehr einfaches Gefährt nach Lizenz des französischen Herstellers Decauville, dessen Konstruktion damals in Frankreich bereits veraltet war. So war hier der Motor noch im Heck verbaut und gelenkt wurde über einen Hebel:

Wartburg-Wagen von 1899/1900; Postkarte des Verkehrsmuseums Dresden; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Viele deutsche Hersteller wählten damals diesen Weg des Lizenznachbaus französischer Fabrikate wie Darracq, De Dion, Decauville oder Panhard, um überhaupt erst einmal in die Autoherstellung einsteigen zu können. Eigenentwicklungen in Deutschland waren um 1900 noch die Ausnahme und führten meist in Sackgassen.

Nachdem man in Eisenach mit diesen Vehikeln, die luft- bzw- wassergekühlte Zweizylindermotoren mit 3 bzw. 5 PS Leistung besaßen, erste Erfahrungen gesammelt hatte, folgten 1902 erstmals Modelle mit Frontmotor und Motorhaube. Diese Bauweise wurde damals von Panhard in Frankreich bereits seit über 10 Jahren praktiziert…

Immerhin gaben die Fahrzeugwerke Eisenach jetzt ordentlich Gas und bauten nun auch Vierzylindermodelle mit rund 15 bis 30 PS. Hier ein Exemplar von 1905, das bereits unter dem neuen Markennamen „Dixi“ firmierte:

Dixi Typ S12 oder S13 (1904-07); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieses Auto sieht mit einem Mal richtig erwachsen aus – das Einzige, was noch wie ein Fremdkörper wirkt, ist die Dachkonstruktion.

Wie es scheint, ist diese lediglich mit sechs vertikalen Rohren an der eigentlichen Karosserie befestigt. Gut möglich, dass sie sich einfach demontieren ließ bzw. erst nachträglich angebracht wurde.

Jedenfalls wird hier deutlich, dass ein festes Dach auf relativ simple Weise ergänzt werden konnte, wenn man das wollte. Damit sind nun endlich beim eigentlichen Thema.

Denn heute darf ich einen weiteren Wartburg aus der frühen Automobilproduktion der Fahrzeugwerke Eisenach präsentieren, den es so eigentlich gar nicht geben dürfte, wie er sich hier darbietet:

Wartburg 5,5 PS (1902-03); Originalfoto: Sammlung Andreas K. Vetter (Detmold)

Diese stimmungsvolle und gut erhaltene Aufnahme stammt aus dem Familienalbum von Andreas K. Vetter aus Detmold. Nach seinen Angaben entstand das Foto 1904 in Langensalza, wo der Wagen einem Veterinär als Alltagsfahrzeug diente.

Ich muss gestehen, dass ich zunächst eine Weile ergebnislos herumgerätselt habe, was für ein Fahrzeug hier abgebildet ist.

Zwischenzeitlich befasste ich mich mit einem anderen Rätselfoto, das eventuell einen Dixi zeigen sollte. Beim Durchblättern von Halwart Schraders immer noch unübertroffenem (wenn auch nicht perfekten) Standardwerk zu BMW-Automobilen von 1978, das auch Dixi bzw. die Vorgängermarke Wartburg abdeckt, stieß ich dann auf die zuvor gesuchte Lösung.

Diese Technik hat mich übrigens schon einige Male zum Ziel gebracht: Wenn eine intensive erste Recherche ohne Erfolg bleibt, ist es Zeitverschwendung, angestrengt weiterzubohren oder sich den Kopf zu zerbrechen.

Befasst man sich dann mit etwas anderem, bleibt das ungelöste Problem nämlich im Hinterkopf auf Wiedervorlage und oft genug läutet es dann unvermittelt, wenn sich in einem anderen Kontext die gesuchte Lösung offenbart.

So hielt ich auf S. 104 des Schraderschen Werks inne, denn dort (und m.W. nur dort) ist das gesuchte Automobil mit der eigenwillig gestalteten Motorhaube abgebildet – ein Wartburg 5,5 PS. Das Modell war zwischen dem ersten Wartburg und den ersten Dixis angesiedelt.

Zwar verfügte der Motor nach wie vor nur über 2 Zylinder, er befand sich nun aber vorn und war auf 1,1 Liter Hubraum gewachsen. Der Aufbau hatte an Substanz gewonnen, obwohl es sich nach wie vor um einen Zweisitzer handelte. Immerhin wurde das Auto jetzt mit einem Lenkrad gesteuert.

Nach Angabe von Halwart Schrader verfügte der Wartburg 5,5 PS über einen Röhrenkühler, der um die Motorhaube herumgelegt war. Damit meinte er vermutlich die pfeifenartigen Elemente auf der Haube.

Ganz sicher bin ich mir nicht, welche Funktion diese tatsächlich hatten. Waren es in Wirklichkeit nach außen gewölbte Luftschlitze oder röhrenartige Ausbuchtungen, die einen zusätzliche Oberflächenkühlung bewirken sollten – oder waren sie rein dekorativ?

Ich meine nämlich, hinter der Motorhaube die eigentlichen Kühlschlangen zu erkennen:

Was sagen die technisch versierteren Leser dazu? Kennt vielleicht jemand noch eine weitere Quelle, die sich mit diesem speziellen Wartburg 5,5 PS befasst und die mehr Informationen liefert?

In einer Hinsicht kann ich selbst eine neu hinzugewonnene Erkenntnis konstatieren. So heißt es bei Schrader, dass es zu diesem Wagen kein Verdeck gab. Strenggenommen hat er damit auch recht. Doch im nächsten Satz verweist er darauf, dass man einen Gummimantel tragen müsse, wenn man bei Regen fahren wollte.

Genau das musste aber nicht sein – denn den Wartburg 5,5 PS gab es ganz offensichtlich doch auch mit Dach! Und dafür dürften die damaligen Insassen dankbar gewesen sein…

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Exklusives Polizeiauto: Ein Wanderer-Tourer von 1928

Wer kennt noch die legendäre „Grüne Minna“? Ich kann mich dunkel erinnern, dass man damit früher die Polizeiautos zum Transport von Strafgefangenen bezeichnete.

Gesehen habe ich so etwas schon lange nicht mehr, aber ich meide die Brennpunkte der Kriminalität ja auch seit vielen Jahren, nachdem ich Berufsausbildung, Studium und weite Teile des Arbeitslebens in Frankfurt/Main zugebracht hatte.

Mag sein, dass man heute die meisten Delinquenten ohnehin laufen lässt, wenn man die Personalien aufgenommen hat, da ja „keine Fluchtgefahr“ bestehe. Im Knast scheint es auch keine freien Zimmer mehr zu geben, was man so hört und liest.

Jedenfalls war der Aufenthalt in der „Grünen Minna“ einst im wahrsten Sinne des Wortes eine inklusive Angelegenheit – exklusiv war daran nichts, schon gar nicht die Ausstattung.

Dafür kommen Sie, liebe Leser und unbescholtene Bürger, heute in den Genuss, enge Bekanntschaft mit einem exklusiven Polizeiauto der Vorkriegszeit zu machen. So unwahrscheinlich das klingt – speziell beim Stichwort „Wanderer“ – so zutreffend ist es doch.

Dieses exklusive und für Sie völlig risikofreie Vergnügen will freilich gut vorbereitet sein. Dazu machen wir uns erst einmal mit einem ganz normalen Wanderer-Tourenwagen der zweiten Hälfte der 1920er Jahre vertraut:

Wanderer W10-I 6/30 PS; Originalfoto: Sammlung Marcus Bengsch

Wer nun der Ansicht ist, dass so ein großzügiges Cabriolet doch eine ziemlich exklusive Angelegenheit gewesen sein muss, liegt falsch. Denn erstens handelt es sich nicht um ein Cabriolet, sondern einen Tourenwagen und das war ein enormer Unterschied.

Worin genau der bestand, das wird heute nebenher anschaulich. Hier sei nur so viel gesagt: Ein solches Auto mit ungefüttertem Klappverdeck und ohne Kurbelfenster war lange Zeit mit die billigste Karosserievariante überhaupt, nur ein offener Zweisitzer war günstiger.

Im Unterschied zu heute war ein geschlossener Aufbau wegen des enormen Mehraufwands an Handarbeit die exklusivere Ausführung. Davon abgesehen war natürlich überhaupt jedes Automobil im damaligen Deutschland für sich bereits absolut exklusiv.

Nur eine dünne Schicht an weit überdurchschnittlich Gutsituierten konnte sich hierzulande ein Kraftfahrzeug leisten – eine echte Volksmotorisierung wie in den USA sollte es erst ab den 1960er Jahren geben.

Auch leistungsmäßig war man noch weit von „amerikanischen Verhältnissen“ entfernt. So begnügte sich dieser Wanderer mit 30 PS Höchstleistung aus 1,6 Litern Hubraum.

Ford’s Model A – das Einstiegsauto für wirklich jedermann in den USA – kam da bereits mit 40 PS daher. Ein solcher Wanderer dagegen war klar in der Mitteklasse angesiedelt. Dennoch wirkt er zumindest auf obigem Foto statt exklusiv eindeutig „inklusiv“ – denn mit niedergelegtem Verdeck lädt er doch geradezu zum Einsteigen ein.

Im Unterschied zu größeren Tourern bot der Wanderer allerdings im Regelfall nur vier Personen Platz, wie hier gut zu erkennen ist:

Wanderer W10-I 6/30 PS (frühe Ausführung mit schüsselfömigen Scheinwerfern); Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Übrigens ist dieser Wanderer 6/30 PS – intern als Typ W10-I bezeichnet – auch in anderer Hinsicht repräsentativ für den damaligen Stand des deutschen Automobilbaus in der Breite.

Bei seiner Markteinführung im Herbst 1926 verfügte er nämlich als erster Wanderer über Linkslenkung und Vierradbremsen, dem allgemeinen Trend folgend, der 1924 begann und kurz danach (von wenigen Ausnahmen abgesehen) abgeschlossen war.

Kommen wir nun zum versprochenen exklusiven Genuss eines Wanderer-Polizeiautos. Dazu machen wir einen kleinen Zeitsprung ins Jahr 1928. Technisch hatte sich bei den Wanderer-Vierzylinderwagen wenig getan – die Marke war stets konservativ.

Immerhin hatte Wanderer inzwischen auf den Trend zu stärkeren Motoren reagiert und aus dem 6/30 PS-Modell zusätzlich den stärkeren Typ 8/40 PS abgeleitet, der nun in die Nähe der Marke von 100 km/h kam.

Äußerlich behielt man die Linie weitgehend bei. Nur die Gestaltung der Luftschlitze änderte sich ab Ende 1927 – nunmehr finden sich zwei Gruppen davon symmetrisch verteilt:

Wanderer W10-II 8/40 PS; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Wenn dieser Wanderer-Tourenwagen dennoch völlig anders wirkt, hat dies nicht nur mit den neu gestalteten Luftschlitzen in der Motorhaube zu tun. Auch der davor posierende Polizist macht das Auto per se noch nicht ungewöhnlich.

Doch die einladende Anmutung ist dahin, und das ist einer ziemlich exklusiven Situation geschuldet. Nur selten sieht man nämlich einen solchen Tourer mit aufgespanntem Verdeck und vor allem mit den seitlich aufgesteckten „Scheiben“, die aus einem frühen Kunststoff bestanden, den ich als Zelluloid ansprechen würde.

Diese Lösung hatte den Vorteil niedrigeren Gewichts und geringerer Bruchgefährdung gegenüber Glasscheiben, doch natürlich neigten diese Steckscheiben zum Zerkratzen und zudem wurden sie im Lauf der Zeit blind.

Daher ist erst recht heute ein überlebender Tourenwagen, der noch seine originalen Steckscheiben besitzt, nach meinem Eindruck eine hochexklusive Angelegenheit.

Daneben gibt es aber noch ein weiteres Merkmal, welches diesem Auto und damit auch dem Foto eine beträchtliche Exklusivität verleiht – die Scheibenräder!

Sie lösten laut Literatur (Erdmann/Westermann, Wanderer-Automobile, Verlag Delius-Klasing, 2. Auflage 2011) erst im Sommer 1928 die bisherigen Stahlspeichenräder ab. Da der Wanderer 8/40 PS bereits im Oktober desselben Jahres auslief, haben wir den raren Fall, dass sich ein solcher Tourenwagen auf wenige Monate genau datieren lässt.

In der Gesamtheit betrachtet eine ziemlich exklusive Angelegenheit, finde ich.

Man könnte nunn einwenden, dass Wanderer nach dem Produktionsende des Typs 8/40 PS den kleinen Typ 6/30 PS mit exakt dessen Optik noch ein Dreivierteljahr lang weiterbaute. Dann wäre aber das Polizeiauto etwas schwach auf der Brust und nicht mehr ganz so exklusiv, also lassen wir das…

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Betrübte Schatten, weichet! Brennabor Typ AK/ASK

Der für mich trübste Monat ist vorüber – der Januar! Zwar ist der Februar auch noch ein klassischer Wintermonat und vielleicht kehrt der Frost abermals zurück. Doch das Tageslicht währt länger, und die ersten Frühblüher wagen sich hervor.

So will ich auch mit meinem heutigen Blog-Eintrag der Finsternis und Trübsal adieu sagen, mich stattdessen dem Hellen und Freundlichen zuwenden.

„Betrübte Schatten, weichet“, ist mein Motto, das ich im Folgenden mit geeignetem Bildmaterial illustrieren will und am Ende wieder aufnehme.

Dazu kehren wir zunächst noch einmal in die Welt der Düsternis zurück, wie sie sich auf alten Schwarz-Weiß-Aufnahmen auch bei den schönsten Motiven bisweilen darbietet:

Brennabor AK 10/45 PS oder ASK 12/55 PS „Faux Cabriolet“; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Trotz der repräsentativen Anmutung dieses Wagens will sich hier noch keine rechte Begeisterung einstellen – kein Wunder, denn dieses Foto entstand an einem trüben Januartag anno 1930. Schnee scheint damals ebenfalls Mangelware gewesen zu sein.

Was ist das überhaupt für ein Wagen? Die Auflösung folgt sogleich, vorher prägen Sie sich bitte noch die Gestaltung der Scheibenräder, die Form und Position der Haubenschlitze sowie den hinteren Dachabschluss ein, wo gerade noch das Ende einer „Sturmstange“ zu sehen ist, die auf ein Cabriolet-Verdeck hinweist.

Sie sehen jetzt denselben Wagentyp, hier bloß aus günstigerer Perspektive und immerhin schon mit einem etwas freundlicher wirkenden Erscheinungsbild, was dem nunmehr hellen Dach geschuldet ist:

Brennabor AK 10/45 PS oder ASK 12/55 PS „Faux Cabriolet“; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn die Kühlerpartie im Unschärfebereich liegt, lässt sich dort ein „B“ als Emblem erkennen, das hierzulande typisch für die Wagen der Marken Brennabor aus Brandenburg/Havel war.

Leicht verwackelt sieht man auf dem Kühlergrill den schwungvoll gestalteten Schriftzug „6 Cylinder“. Dies bringt uns zwangsläufig zu den entsprechend motorisierten Brennabor-Typen AK 10/45 PS bzw. ASK 12/55 PS von 1928/29.

Äußerlich sind diese nach meiner Einschätzung nicht sicher zu unterscheiden – wer es besser weiß, möge uns über die Kommentarfunktion erleuchten. Dieses Fahrzeug gab es serienmäßig als Limousine und als sogenanntes „Faux-Cabriolet“.

Ein solches „Fake-Cabrio“, dessen Dach zwar fest war, aber mit einer funktionslosen Sturmstange einen anderen Eindruck erwecken sollte, sehen wir auf den beiden obigen Fotos. Speziell die Variante mit kontrastierender Farbgebung hat ihren Reiz.

Es geht aber noch besser und vor allem freundlicher – wieder gilt: „Betrübte Schatten weichet!“ Wie verwandelt stellt sich derselbe Typ dar, wenn man dem großen Wagenkörper eine helle Farbe gibt und nur die Kotflügel und das Dach dunkel davon absetzt:

Brennabor AK 10/45 PS oder ASK 12/55 PS „Faux Cabriolet“; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Da kommen doch beinahe schon frühlingshafte Gefühle auf, oder?

Mich jedenfalls stimmt dieses makellos proportionierte Auto – für mich der schönste Brennabor überhaupt – spontan heiter und weckt Vorfreude auf den Frühling.

Betrübte Schatten, weichet!“. Das mag Anfang Februar noch ein wenig wie das Pfeifen im Walde klingen, aber: Es ist auch eine Frage der Einstellung, ob man sich dem Trübsinn hingibt oder sich den schönen Dingen zuwendet, die es doch unzweifelhaft gibt.

In meinem Fall hilft neben der Beschäftigung mit der Traumwelt der Vorkriegsautos zuverlässig eine Musiktherapie. Zu meinen Favoriten gehören dabei die Kantaten von Johann Sebastian Bach.

Wer dabei nur an vermeintlich schwere Kost mit geistlichen Texten denkt und abwinkt, kann heute etwas dazulernen. Denn Meister Bach neigte keineswegs zur Schwerblütigkeit, und mit einem Beispiel, das zum heutigen Thema passt, möchte ich schließen.

Unter der Bach-Werkverzeichnis-Nr. 202 findet sich nämlich die weltliche Kantate „Weichet nur, betrübte Schatten“. Sie ist merkwürdigerweise wenig bekannt, vielleicht ist sie für viele verbiesterte deutsche Protestanten einfach zu schön.

Wie heilsam diese Musik ist, das führt uns hier die englische Sopranistin Emma Kirkby zusammen mit der Academy of Ancient Music unter Leitung von Christoph Hogwood vor (Aufnahme von 1999).

Wer sich speziell von der tänzerischen Leichtigkeit der Arie „Sich üben im Lieben, in Scherzen sich herzen“ (ab 13:30 min) nicht die Schatten über dem Gemüt vertreiben lässt, dem ist wirklich nicht zu helfen…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Tradition, Technik & Trend: Benz-Trio um 1920

Den „Benz Trio“ kannte ich noch nicht gar nicht – das mögen jetzt Leser denken, die meinen Blog vielleicht mit ernsthafter Automobil-Archäologie verwechseln.

Dabei soll die Beschäftigung mit den Vorkriegswagen ja vor allem Spaß machen – mir und Ihnen. Das erklärt manchen Kalauer, manchen erfundenen Dialog, manche spöttische Bemerkung (die nicht jedem gefällt, aber so ist das mit der Toleranz, nicht wahr?).

Manchmal wird schon die Überschrift Opfer meines Übermuts. Dabei trifft sie diesmal recht gut, worum es geht – wenngleich Sie keinen „Benz Trio“ erwarten dürfen. Ein Benz-Trio dagegen schon – dergleichen Unterscheidungen machen die deutsche Sprache aus.

Das Benz-Trio hat ganz von selbst zueinander gefunden, keine Casting-Show und kein Manager war dazu erforderlich. Wenn sich die Dinge beim abendlichen Sichten des Fotofundus plötzlich von alleine ordnen, dann weiß ich: Das ist ’ne Story, los geht’s!

Zur Marke Benz – vor dem Zusammenschluss mit Daimler – liegen mir Dutzende interessante noch unpublizierte Aufnahmen vor, teils aus meiner eigenen Sammlung, teils aus dem Fundus von Sammlerkollegen.

Das Material ist so umfangreich, dass ich meist davor zurückschrecke, eine Auswahl zu treffen. Doch heute war ich wild entschlossen, dass wieder einmal Benz an der Reihe ist. Da über diese Marke alles gesagt und alles publiziert ist (kleiner Scherz), ist es nicht einfach, den über etliche Motorisierungen hinweg sehr ähnlichen Autos etwas Neues abzugewinnen.

Doch heute will ich’s wagen! Also: Bekanntlich taucht bei Benz (wie bei Daimler und anderen deutschen Automarken) ab 1913/14 der modische Spitzkühler auf, den wir auf dieser Reklame aus dem 1. Weltkrieg besichtigen können:

Benz-Reklame aus: Der Motorfahrer, Dezember 1917; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Der Spitzkühler blieb bis in die frühen 1920er Jahren typisch für Benz, wenngleich konservative Kunden weiterhin auch den weniger auffälligen Flachkühler ordern konnten.

Wie vielschichtig sich der Stil dieser Benz-Wagen kurz nach dem 1. Weltkrieg unter dem Einfluss von Tradition, Technik und Trend darstellen konnte, das will ich heute anhand eines entsprechenden Trios illustrieren.

Dabei bleibt ausnahmsweise außen vor, um welche Typen es sich jeweils handelt – das zu sagen ist oft auch nur näherungsweise möglich (Ausnahmen bestätigen die Regel). Vor allem bieten die Mitglieder meines heute präsentierten Benz-Trios weit Interessanteres.

Beginnen wir mit Nr. 1 – was nicht als Rang zu verstehen ist:

Benz Tourenwagen, aufgenommen 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Fahrer dieses Tourenwagen mag vielleicht tief im Sitz versunken oder schlicht sehr klein gewesen sein – so oder so war das ein ziemlich imposantes Auto.

Die Länge der Frontpartie, die fast die Hälfte des Wagens auszumachen scheint, wird durch die durchgehend gerade Linie von Motorhaube und Windlauf akzentuiert. Das findet man nach meinem Eindruck so konsequent bei Benz-Wagen erst ab 1918.

Die nach innen abgeschrägte Oberkante des übrigen Aufbaus – die sogenannte Schulter – ist ebenfalls ein typisches Merkmal deutscher Automobile jener Zeit.

Erst etwas später setzt ein radikaler Wandel ein – die „Schulter“ verschwindet völlig und weicht einer radikal reduzierten Kante. Bevor wir uns gleich ein Beispiel dafür anschauen, sei auf die vorne nachträglich angebrachte Stoßstange verwiesen.

Während der Spitzkühler nach dem 1. Weltkrieg die Tradition verkörpert und die „Schulter“ einen kurzlebigen Trend, ist die Stoßstange das Einzige, was den Fortschritt in der Technik repräsentiert, denn Benz-Wagen boten nach dem 1. Weltkrieg sonst kaum Neues.

So, jetzt aber zum nächsten Mitglied unseres Benz-Trios, welches nicht nur auf den ersten Blick kaum etwas mit dem eingangs gezeigten Wagen gemein hat:

Benz Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Ist doch irre, dieses Auto, oder? Hier kommt alles in einer wiederum völlig anderen Mischung zusammen: Tradition, Technik, Trend.

Beginnen wir mit letzterem: Der wannenformig gestaltete Passagierraum ist aufs Äußerste reduziert, jedenfalls was die reine Architektur betrifft. So extrem simpel kamen viele deutsche Tourenwagen ab Mitte der 1920er daher.

Der Besitzer bzw. Auftraggeber wollte der vollkommenen Beliebigkeit dieser Blechpartie jedoch offenbar dadurch entrinnen, indem er ein traditionelles Korbflechtmuster aufbringen ließ – eigentlich ein Gestaltungskonzept aus der Zeit weit vor dem 1. Weltkrieg.

Die sich daraus ergebende lebendig wirkende Fläche macht diese Partie nicht nur erträglich, sie lässt den Wagen geradezu exzentrisch erscheinen.

Dass hier jemand etwas ganz Eigenes haben wollte, ist auch daran ersichtlich, dass der als Basis dienende Benz höchstwahrscheinlich noch aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg bzw. dessen Ende stammte. Dafür spricht die Gestaltung der Luftschlitze.

Solche Neuaufbauten auf hochkarätigen Automobilen waren weder selten noch ein aus Kostengründen eingegangener fauler Kompromiss. Ein derartiger Manufakturaufbau war enorm zeitaufwendig und entsprechend kostspielig.

Gleichzeitig legte der Besitzer Wert auf technische Innovation im Detail. Denn hier sehen wir nun die modernste damals verfügbare Stoßstange überhaupt:

Ganz offensichtlich gab diese Stoßstange bei „Feindberührung“ etliche Zentimeter nach und absorbierte über einen Federmechanismus einen Teil der Aufprallenergie, den Rest verkraftete im Regelfall der in Längsrichtung hochfeste Rahmen.

Genial, nicht wahr? Darauf war aber keiner der nach dem 1. Weltkrieg überwiegend im Tiefschlaf verharrenden etablierten deutschen Autobauer gekommen, sondern irgendein findiger Entwickler von intelligentem Zubehör.

Wenn ich mich recht entsinne, wurden ohne Verformung stoßabsorbierende Stoßstangen in den USA irgendwann in den 1980er Jahren Standard, was hektische und hässliche Umbauten bei deutschen Exportmodellen nach sich zog (dabei gab es das doch längst).

Nun mag manchem die Nr. 2 in unserem Benz-Trio zu exaltiert erscheinen und die Nr. 1 zu bieder. Daher kommt jetzt Nr. 3 ins Spiel, und zumindest für mich ist hier eine besondere Harmonie aus Tradition, Technik und Trend realisiert worden:

Benz Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Ein geräumiger Tourenwagen mit trendiger Bootsheckkarosserie, die „Schulter“ nach hinten ansteigend und breiter werdend, am Vorderwagen noch viel Tradition mit den alten Luftschlitzen und dem Spitzkühler der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg, und nicht zuletzt wiederum neue Technik in Form der Stoßstange – hier findet das Benz-Trio für mich seinen harmonischsten Ausdruck.

Was meinen Sie? Welcher Benz aus diesem Trio wäre Ihr Favorit? Und was fehlt Ihnen oder stört Sie daran? Vielleicht findet sich ja etwas im Fundus für das nächste Mal – denn Benz-Automobilen lässt sich auch nach 100 Jahren noch manche Facette abgewinnen…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Nicht ganz „Standard“: Ein Packard Cabriolet von 1929

Wieso sollte ein 1929er Packard in Cabriolet-Ausführung nicht „Standard“ sein? Solche Ausführungen waren doch vollkommen gängig – sogar am deutschen Markt, oder?

Liefert nicht dieser Blog gleich mehrere Beweise dafür? Wie sieht es etwa mit diesem Exemplar aus, das einst in Berlin unterwegs war?

Packard „Roadster“, Modelljahr 1927/28; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Immer wieder eindrucksvoll, diese Aufnahme. Leider zeigt sie aber nur auf den ersten Blick ein (zweitüriges) Packard-Cabriolet.

Solche offenen Zweisitzer mit leichtem Verdeck firmierten nämlich in den Staaten meist als „Roadster“, auch wenn die Bezeichnung nicht ganz der europäischen Konvention entsprach. Auch „Convertible Coupe“ war in den USA eine weitere Bezeichnung – aber Cabriolet?

Hinzu kommt etwas anderes: Dieser Packard sieht zwar dem Modell des Jahres 1929 sehr ähnlich, aber er stammt eindeutig von 1927/28. Das ist an den trommelförmigen Scheinwerfern und Parklichtern zu erkennen.

Erst 1929 wichen sie schüsselförmigen Lampen wie an folgendem Packard, den ich ebenfalls schon einmal präsentiert habe:

Packard „Tourer“, Modelljahr 1929; Originalfoto: Sammlung Marcus Bengsch

Na wunderbar, dann wird wohl das ein 1929 Packard Cabriolet sein, nicht wahr?

Wieder daneben – auch wenn vermutlich die meisten Zeitgenossen heute einen solchen offenen Viertürer als Cabrio ansprechen würden, denn eine Limousine oder ein Kombi ist es ja nicht. Bleibt doch kaum noch etwas übrig.

Nun, das war in der Vorkriegszeit anders. Damals gab es zahlreiche Karosserieausführungen mit speziellen Bezeichnungen, die längst nicht mehr gebaut werden – ein solcher Fall war der Tourenwagen.

Als solchen bezeichnete man offene Automobile mit zwei oder drei Sitzreihen, die nur über ein ungefüttertes Verdeck verfügten und keine festen Seitenscheiben besaßen. Genau so ein Tourer ist auf dem obigen Foto zu sehen.

Richtige (Kurbel)Scheiben an der Seite gab es natürlich bei geschlossenen Ausführungen wie dieser – hier hat man uns sogar freundlich die Tür zum Beweis geöffnet:

Packard „Landaulet“, Modelljahr 1928/29; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Ha, dieser Wagen hat aber noch trommelförmige Parkleuchten ruft jetzt mancher triumphierend aus! Stimmt, die schüsselförmigen Hauptscheinwerfer könnten nachgerüstet sein (oder umgekehrt).

Nebenbei sieht man an dem Beispiel, dass die Realität von einst nicht immer der reinen Lehre folgte, zumal auch die Karosserie kein Standard von Packard war, jedenfalls nicht der Part ab der Windschutzscheibe.

So ist das auch mit dem Packard „Cabriolet“ des Modelljahrs 1929 – so etwas wurde werksseitig ebenfalls nicht angeboten, wenn auch sonst (fast) alles „Standard“ an diesem Exemplar war:

Packard „Cabriolet“, Modelljahr 1929; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Nach dem Studium der zuvor gezeigten Fotos erkennen Sie gewiss auf Anhieb, dass auch dies ein 1929er Packard sein muss, daher will ich die für Marke und Baujahr typischen Merkmale wohl nicht eigens aufzählen.

Wenn dieses Auto ganz anders wirkt als die bisher präsentiertenm Schwestermodelle, dann liegt das schlicht daran, das es mit diesen nur den Vorderwagen gemeinsam hat.

Der übrige Aufbau als viertüriges Cabriolet mit versenbaren Kurbelscheiben und gefüttertem Verdeck mit Sturmstange stammt unverkennbar von einer deutschen Manufaktur.

Amerikanische Vorkriegsenthusiasten erkennen solche „fremden“ Aufbauten auf Anhieb – das gilt nicht nur für den wuchtigen teutonischen Stil wie hier, sondern auch für britische Aufbauten.

Aber werfen wir erst noch einen routinemäßigen Blick auf die Vorderpartie:

Alles „Standard“? Nein, auch hier nicht – jedenfalls scheint dieser Wagen mit einer Kühlerfigur versehen worden zu sein, die einen Vogel mit ausgebreiteten Schwingen zeigt.

Ein Wort noch zur seitlichen Haubenpartie: Hier findet man im Modelljahr 1929 statt der schmalen Luftschlitze bisweilen auch einige breite und verstellbare Entlüftungsklappen.

Diese scheinen jedoch den stärkeren Motorisierungen „Custom Eight“ und „DeLuxe Eight“ vorbehalten gewesen zu sein, für die über 100 PS Spitzenleistung angegeben wurden.

Dagegen musste sich der kleinere „Standard Eight“ mit 90 PS bescheiden – bei Packard war das nach Entfall der Sechszylinder die Basismotorisierung. Damit konnten damals selbst die legendären Horch-Achtyzlinder (1929: 80 PS) nicht ganz mithalten, jedenfalls von der reinen Papierform.

Nun aber zum Aufbau dieses speziellen Exemplars, der nicht gerade „Standard“ war:

Wie gesagt, einen solchen Cabriolet-Aufbau bot Packard nicht serienmäßig an. Da die Aufnahme in Deutschland entstand (von Hand datiert auf Sommer 1933), wird es sich um eine Manufakturkarosserie deutscher Provenienz gehandelt haben.

Leider ist keine Karosserieplakette zu erkennen, aber davon unabhängig würde ich eine der Spitzenadressen wie Gläser hier ausschließen. Der Ausführung mangelt es aus meiner Sicht an der Eleganz in der Gestaltung des oberen Türabschlusses, die man von den besten Herstellern erwarten durfte.

Vielleicht erkennt jemand Ähnlichkeiten zu anderen Cabriolet-Ausführungen bekannter deutscher Karosseriefirmen – dann bitte die Kommentarfunktion nutzen.

Kurios mutet hier der verloren auf dem Trittbrett stehende Reservekanister an, dessen Inhalt im Ernstfall die Reichweite des durstigen Wagens nur unwesentlich erhöhte. Vielleicht enthielt er aber auch Kühlerwasser für alle Fälle.

Ob er tatsächlich hier befestigt war oder bloß vorübergehend dort abgestellt worden war, muss ebenso offenbleiben.

Ein letztes Wort zum Verdeck: Hier sieht man zur Abwechslung einmal, wie das auszusehen hatte, wenn es niedergelegt war. Auffallend oft findet man nämlich Abbildungen, auf denen das Verdeck so hoch aufgetürmt ist, dass man sich den Rückspiegel hätte sparen können.

Das war es zu diesem nicht ganz „standard“mäßigen Packard. Weitere Bilder aus deutschen Landen, die Wagen dieses Oberklasseherstellers zeigen, harren der Präsentation, darunter sogar ein Zwölfzylinder!

Langweilig wird es also auch dieses Jahr nicht, selbst wenn man kein spezieller Freund amerikanischer Vorkriegsautos ist – diese waren aber einst so alltäglich in Deutschland, dass man an diesem Standard nicht vorbeikommt…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Wir kriegen Dich irgendwann! NAG D6 12/60 PS

Wenig ist für den Vorkriegsauto-Enthusiasten aufregender, als einem bisher unbekannten Modell auf die Spur zu kommen. Das Dumme daran ist, dass man sich letztlich nicht sicher sein kann, was man da entdeckt hat, denn definitionsgemäß weiß keiner etwas darüber.

Am Ende hat man es „nur“ mit einem Einzelstück zu tun, das andernorts nirgends Spuren hinterlassen hat – das folgende Foto könnte einen solchen Kandidaten zeigen:

unbekanntes Automobil vor der Berliner Siegessäule um 1920; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Eine ziemlich spannende Kreation ist das. Die Frontpartie mit dem Spitzkühler scheint auf den ersten Blick gut zum Entstehungszeitpunkt dieser Aufnahme zu passen – um 1920, das verrät uns das Erscheinungsbild der Insassen.

Die Scheinwerfer könnten aber noch gasbetrieben sein, dann würde sich in dem Kasten auf dem Trittbrett keine Batterie, sondern ein Karbidentwickler verbergen. Sicher elektrisch betrieben sind nur die Standlichter vor der Windschutzscheibe.

Die Frontpartie wäre demnach typisch für deutsche Fabrikate von 1913/1914. Dazu will jedoch etwas ganz anderes nicht passen: Der Kettenantrieb an den Hinterrädern!

Zwar findet man das kurz vor dem 1. Weltkrieg vereinzelt noch bei Daimler-Wagen mit starker Motorisierung (22/50, 28/60 bzw. 38/80 PS), aber der Kasten mit dem vorderen Kettenritzel sah dort nicht so kolossal aus.

Der Wagen bleibt somit rätselhaft, es sei denn, einer meiner Leser hat eine Idee.

Unterdessen wenden wir uns der zweitinteressanteste Kategorie zu: Vorkriegswagen, deren Existenz in der Literatur belegt ist, von denen aber bisher keine Abbildung zu finden war. Einem solchen Fall kommen wir heute zumindest ein ganzes Stück näher.

Zunächst möchte ich an meinen Blog-Eintrag mit dem Motto „So ziemlich das Letzte“ erinnern, der dem Typ D 10/45 PS der Berliner Marke gewidmet NAG war.

Ich hatte den Titel seinerzeit mit Bedacht gewählt, denn ich wusste: dieses ab 1924/25 gebaute Modell war einer der letzten NAG mit dem typischen Ovalkühler, aber noch nicht der allerletzte.

Zur Erinnerung darf ich ein zwischenzeitlich neu aufgetauchtes Foto dieses Typs vorstellen, das mir Leser René Liebers in digitaler Kopie zur Verfügung gestellt hat:

NAG Typ D4 10/45 PS; Originalfoto: Sammlung René Liebers

Von seinem 1920 eingeführten Vorgänger Typ C 10/30 PS unterscheidet sich der NAG D4 10/45 PS vor allem durch die Vorderradbremsen.

Zudem scheinen die sonst sehr ähnlichen C-Typen häufiger einen lackierten Kühler besessen zu haben; vereinzelt findet sich das aber auch beim Modell D 10/45 PS. Vielleicht konnten Käufer zwischen den beiden Varianten wählen.

Jedenfalls fand ich kürzlich in einem 1927 erschienen Buch (Joachim Fischer, Handbuch vom Auto) die folgende Abbildung eines NAG Typ D 10/45 PS:

NAG-Typentafel aus: Joachim Fischer, Handbuch vom Auto, 1927; Original: Sammlung Michael Schlenger

Neben der geschmackvollen Zweifarblackierung fiel mir auf, dass auch dieses Exemplar noch über Rechtslenkung verfügt – ungewöhnlich im Jahr 1927.

Natürlich könnte die Abbildung selbst noch von 1925/26 stammen und einen späten NAG D 10/45 PS zeigen. Interessanter ist aber etwas anderes: Obige Typentafel ist unten mit dem in Klammern gefassten Zusatz „NAG 12 PS Typ 1927“ versehen.

Das würde bedeuten, dass der gezeigte Aufbau grundsätzlich auch mit der Motorisierung 12/60 PS verfügbar war, die 1926 neu eingeführt wurde. Bei diesem Antrieb handelte es sich um einem Sechszylinder, weshalb das Modell als Typ D6 firmierte.

Nach den Daten in der Literatur war der Radstand nur geringfügig länger als beim D4, sodass man die beiden Modelle anfänglich äußerlich kaum unterscheiden konnte.

Kurz danach wurde jedoch das Erscheinungsbild des D6 modernisiert und der nunmehr als NAG-Protos 12/60 PS firmierende Wagen nerhielt einen Flachkühler, womit die traditionelle Markenoptik endgültig passé war.

Beim überarbeiteten NAG 12/60 PS findet sich dann auch der Hinweis auf Linkslenkung. Ich kann mir aber vorstellen, dass der noch traditionell mit ovalem Spitzkühler ausgestattete NAG D6 12/60 PS ebenfalls bereits linksgelenkt war.

Ein solches Exemplar, das ich bislang als D4 10/45 PS angesprochen hatte, könnten wir dann auf meiner folgenden Aufnahme sehen:

NAG D4 10/45 PS oder D6 12/60 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Bis hierher bin ich auf plausible Annahmen angewiesen – bewiesen ist noch nichts.

Aber in meinem Fundus gibt es ein Dokument, mit dem wir dem NAG D6 12/60 PS noch ein ganz erhebliches Stück näherkommen. Es handelt sich um eines von zwei Glasnegativen des Instituts für Kraftfahrwesen in Dresden, die ich vor Jahren erstand.

Ich nehme an, dass es sich um Ausschussexemplare handelt, denn sie zeigen zwar zwei Karosserievarianten eines NAG D6, enthalten aber einen Fehler bei der PS-Angabe (20/60 PS statt 12/60 PS) – hier das Positiv des zweiten (besser erhaltenen) Dias:

NAG D6 als Pullman-Limousine; Abbildung von originalem Glasnegativ aus Sammung Michael Schlenger

So faszinierend dieser Fund auch ist – so ganz sind wir noch nicht am Ziel. Der Zeichner hat sich bei der Arbeit für einen Prospekt (vermute ich) hier einige Freiheiten genommen.

Sehr wahrscheinlich besaß der 1926 parallel zum D4 eingeführte NAG D6 serienmäßig Vorderradbremsen – anderes ist nach 1925 und bei dieser Motorisierung kaum vorstellbar.

Zudem dürften die sechs kleinen Luftschlitze in der Haube kaum zur Ableitung der Wärme im Motorraum ausgereicht haben – wahrscheinlicher ist eine lange Reihe hoher Schlitze wie beim D4.

Bei allen Vorbehalten lässt sich heute als vorläufiges Fazit festhalten: NAG D6 – wir kriegen Dich, irgendwann!

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Entdeckung eines Meisterwerks: Lancia Dilambda

Fotos von Vorkriegswagen bergen immer wieder Überraschungen, unabhängig von ihrer technischen Qualität. Daher greife ich gern zu, wenn für kleines Geld Aufnahmen zu haben sind, die zunächst wenig bis nichts erkennen lassen.

Hat man Glück, findet sich nach einigen „Restaurierungsarbeiten“ eine Perle wie diese – ein Adler „Trumpf“ Roadster, von dem bis heute kein zweites Stück aufgetaucht ist:

Adler „Trumpf“ Roadster; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Bei einer anderen Gelegenheit tritt nach endlosen Retuschen und Anpassungen an einem völlig verblichenen und zerkratzten Abzug unerwartet deutlich ein herrschaftliches Automobil mit enormer Manufakturkarosserie aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg hervor.

Um was es sich genau handelt, konnte ich noch nicht herausfinden, jedenfalls handelt es sich hierbei um originales Werksfoto der Firma „Lohner – Wiener Aeroplan und Carosserie Werke“:

unidentifizierte Chauffeur-Limousine von 1913/14; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Vorschläge hinsichtlich des Fabrikats werden übrigens gern angenommen (bitte Kommentarfunktion nutzen).

Es kann aber auch anders kommen: Da müht man sich mit einem stark mitgenommenen und schon bei Entstehung wohl nicht besonders hochwertigen Abzug ab in der Hoffnung auf eine hübsche Entdeckung – und was bekommt man?

Einen ordinären Cadillac von 1926, an dem das Ungewöhnlichste das gemusterte Kleid der neben dem Wagen posierenden Dame ist:

Cadillac Series 314, Modelljahr: 1926; Originalfoto: Michael Schlenger

Hatte ich den Cadillac gerade als „ordinär“ abqualifiziert? Dabei genießen doch speziell die ausgezeichneten US-Wagen der späten 1920er Jahre in meinem Blog die ihnen zukommende Wertschätzung.

Nun, diese Hochnäsigkeit erlaube ich mir heute mit gutem Grund.

Denn wie im Titel angekündigt, kann ich mit einem Fahrzeug aus derselben Epoche aufwarten, das im Vergleich zu den damals auch hierzulande gängigen Oberklasseautomobilen eine Klasse für sich darstellte.

Die Rede ist von dem Cabriolet auf der folgenden Aufnahme:

Lancia Dilambda Sport-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Toll, nicht wahr? Ein Meisterwerk – ohne Zweifel.

Es bedarf tatsächlich besonderer Könnerschaft, ein elegantes Sport-Cabriolet und seine Insassen dermaßen unglücklich abzulichten. Dabei haben Sie das Original noch nicht gesehen: Schief und verwackelt, ziemlich vergilbt – trotzdem hat es jemand aufgehoben.

Zum Glück wurde dieser Abzug zusammen mit einem weiteren angeboten, der allerdings zunächst auch nicht ahnen ließ, was darauf zu sehen ist.

Erst dieser Bildausschnitt lässt nach Bereinigung der schlimmsten Schäden erkennen, dass wir es mit einem besonderen Auto zu tun haben, wie ich es in meinem Blog noch nicht vorgestellt habe:

Lancia Dilambda Sport-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Gedrungen und nah am Boden kauernd, mit Drahtspeichenrädern und kräftig wirkender Bereifung steht der Wagen mit klassischer Kühlerform da.

Wer unter Ihnen, verehrte Leser, erkennt auf Anhieb, um was für ein meisterliches Automobil es sich handelt?

Sicher tippt der eine oder andere auf Lancia, denn das Kühleremblem erinnert trotz des vorgeblendeten Steinschlagschutzes an die Marke, die ab Anfang der 1920er Jahre legendären Ruf erlangte – mit dem wohl innovativsten Auto überhaupt: dem Lambda!

Vincenzo Lancias grandioser Wurf ist in meinem Blog bereits ausgiebig gefeiert worden, daher ist heute ein anderes seiner Meisterwerke an der Reihe.

Bei aller Genialität des Lambda erkannte man bei Lancia nämlich, dass man für den anvisierten Sprung in die Oberklasse zweierlei bieten musste:

Das eine war ein konventionelles Chassis, das gegenüber der selbstragenden Konstruktion des Lambda mehr Freiheiten für individuelle Aufbauten bot Das andere war ein Achtzylindermotor mit Leistung satt nach US-Vorbild.

Lancia ließ sich nicht lumpen und konstruierte für den ab 1928 gebauten Dilambda ein kompaktes V8-Aggregat, das die damals gängigen Reihenachtzylinder alt aussehen ließ.

Nehmen wir zum Vergleich den ikonischen Achtzylinder des Horch 350 vom Ende der 20er: Aus 3.950 ccm schöpfte der hochfeine, kultivierte Motor 80 PS – genug für Tempo 100 km/h.

Lancias Dilambda leistete bei gleichem Hubraum enorme 100 PS und der Wagen lief zwischen 120 und 130 km/h Spitze. Immerhin gab es damals in Italien auch schon die erste Autobahn der Welt, wo man das ausfahren konnte – wenn man wollte.

Wie auch die Alfas jener Zeit war ein solcher Lancia Dilambda ein Fahrzeug für Gourmets, denen deutsche Wagen oft zu wuchtig und schwerfällig waren. Die auch optisch sportlich wirkenden Fahrzeuge fanden in England guten Absatz, wo man diesen Stil schätzte.

So verwundert es nicht, dass das aus meiner Sicht beste Buch über klassische Lancias von einem Engländer verfasst und mit vielen Bildern englischer Exemplare illustriert wurde: Michael Frostick, Lancia, Verlag: Dalton Watson, 1976.

Für Hinweise auf hochwertige Lancia-Bücher aus jüngerer Zeit bin ich dankbar – mir scheint aber die deutsche Automobilschreiberzunft auch hier eher gehemmt zu sein.

Knapp 1.700 Lancias des Typs Dilambda wurden bis Anfang der 1930er Jahre gebaut und erfreuen sich bei Kennern international großer Wertschätzung.

Was aus dem heute gezeigten Sport-Cabriolet wurde, das einst in Mecklenburg zugelassen war? Vielleicht hat es den Krieg überstanden und wurde dann von den Besatzern einkassiert oder später ins Ausland verkauft.

Es würde mich wundern, wenn es noch hierzulande existierte – dabei wäre es großartig, ein solches Meisterwerk auf einer der raren deutschen Vorkriegsveranstaltungen zu entdecken.

Übrigens: Das abgebildete Auto ähnelt stark einem Sport-Cabriolet von Pinin Farina, welches im erwähnten Lancia-Opus auf Seite 49 abgebildet ist. Das Karosseriemblem entspricht aber nicht dem damals üblichen der Manufaktur. Was sagen die Experten?

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Zurück zur Kutsche!? Ein Daimler-Taxi um 1897

„Zurück zur Kutsche? Bloß nicht!“, ruft der passionierte Verbrenner-Fahrer. Jetzt haben wir doch endlich Autos, deren Abgase im Idealfall sauberer sind als die Stadtluft in der Heizsaison, zudem flüsterleise, preisgünstig und nahezu wartungsfrei.

Diese Pferdekutschen dagegen – ein irrer Aufwand für den meist untätigen vierbeinigen Antrieb und dessen Betreuer, zwangsläufig nur etwas für Bessergestellte, dann die Straßen voller Dreck und: ständiger Lärm von Hufgetrappel und Peitschenknallen!

Man sieht: Zurück zum friedlichen Idyll führt die Abkehr vom Verbrenner-Automobil keineswegs, jede Zeit hat ihre Plagen. Auch die sich sündenfrei dünkende Elektrofraktion ist ruhiger geworden, seitdem sie weiß, dass sie ihre Gefährte nicht nur bei Flaute und bei Dunkelheit mit fossil erzeugter Elektrizität lädt – oder gar mit „Atomstrom“!

Wie immer ist es ratsam, die ideologische Brille abzusetzen und eine pragmatische Sicht einnehmen. Was wirklich überlegen ist, wird sich schon von selbst durchsetzen – wie alle Annehmlichkeiten unseres Daseins, von denen keine einzige ein Politiker erfunden hat.

Alles hat seine Vor- und Nachteile – diese vernünftig abzuwägen, darf man ruhig dem sonst in Sonntagsreden gern beschworenen mündigen Bürger anvertrauen.

Bei gutem Wetter mit dem klassischen Stahlrahmenrad zum Einkaufen, ein andermal mit der Elektro-Vespa (China-Plagiat…) zur Post, dann mit einem alten Vergaser-Auto der Wahl eine Feierabendrunde durch’s Wettertal und nach Italien bequem im modernen SUV.

So sieht mein für Ideologen wohl verwirrendes Mobilitätsprofil aus. Nur zwei Fortbewegungsmittel kommen nicht darin vor: die Staatsbahn und die Kutsche.

Was die Kutsche angeht, will ich heute aber eine Ausnahme machen und stelle diesen Blog-Eintrag unter das Motto „Zurück zur Kutsche!?“

Mein stärkstes Argument dafür ist auf folgender Ansichtskarte zur bewundern, die anno 1909 ein gewisser Hermann aus Gelsenkirchen nach Herborn sandte:

Postkarte von 1909; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Der gute Hermann outet sich auf dieser Aufnahme als Kutscher, seine überaus charmante Passagierin ist mit „Mimmi“ bezeichnet. Ob das den Tatsachen entsprach oder ob es sich um einen Spaß handelt, sei dahingestellt.

Auch habe ich keine große Zeit auf die Entzifferung der Handschrift verwendet – leicht zu lesen ist für mich nur am Ende „Es grüßt Dich herzlich Dein Bruder Hermann“ sowie der anschließende Gruß an die übrige Familienbande inkl. des unvermeidlichen Fritz.

Nachtrag: Die Auflösung findet sich in den Leserkommentaren:

Spannender finde ich den Aufbau – offenbar ein Coupé mit hinten zu öffnendem Dach, also eher noch ein Landaulet. Alles schönste Kutschbautradition.

Aber was ist von dem „Kutscher“ zu halten? Können wir sicher sein, dass er Zügel in den Händen hält und ein oder zwei Pferde vor sich lenkt? Nun, das können wir bei genauer Betrachtung ausschließen, denn die Gestaltung des ausschnitthaft zu erkennenden Vorderkotflügels passt nur zu einem frühen Automobil.

Tatsächlich lebte die jahrhundertealte Kutschbautradition nach 1900 nur noch in der äußerlichen Gestaltung der Aufbauten für die Passagiere fort – immerhin bemerkenswert, wie lange sich solche Elemente hielten.

Im Hinblick auf die Konstruktion der technischen Komponenten dagegen hatte man früh die Lösungen aus dem Kutschbau als untauglich erkannt und sich in anderen Feldern bedient.

In vier Bereichen fanden sich Konstruktionsdetails, Bearbeitungstechniken und Materialien, die sich für’s Automobil nutzen ließen: Eisenbahn, Fahrrad, Feuerwaffen und Feinmechanik.

So ist es kein Zufall, dass es nicht selten Unternehmen mit entsprechender Kompetenz waren, die nach der Erfindung des Autos in großem Stil in die Produktion einstiegen. Die Pionierarbeit wurde aber interessanterweise durchweg von Einzelerfindern geleistet.

Karl Benz etwa kommt nicht nur das Verdienst zu, das erste wirklich einsatzfähige Automobil gebaut zu haben – was ihm allerdings erst seine resolute Frau Bertha mit der legendären Fernfahrt beweisen musste, die sie 1888 mit ihren Söhnen absolvierte.

Benz ignorierte auch richtigerweise die technischen Lösungen aus dem Kutschbau und nutzte vor allem im Fahrradbau bewährte Details wie Rohrrahmen, Drahtspeichenräder, Kugellager und Kettenantrieb. Konkurrent Daimler beschritt 1889 mit dem von Wilhelm Maybach konstruierten Quadricycle denselben Weg.

Wenn man nun aber meint, dass von dort ein gerader Weg unter Umgehung der Kutschentradition in die Zukunft wies, irrt.

Zwar ergriffen französische Firmen sofort die Gelegenheit, um auf Basis der Vorarbeit von Benz und Daimler das Automobil weiterzuentwickeln. Panhard baute schon 1891 den ersten Wagen fortschrittlicher Konzeption mit vornliegendem, blechverkleidetem Motor.

Doch bei Benz und Daimler gab es nochmals ein erstaunliches „Zurück zur Kutsche!“ Illustrieren lässt sich das kaum besser als mit diesem Foto, das mir Leser und Veteranen-Enthusiast Gottfried Müller zur Verfügung gestellt hat:

Daimler Riemenwagen um 1897; Originalfoto: Sammlung Gottfried Müller

Da ich von den Automobilen vor 1900 nur eine begrenzte Vorstellung habe, hat es eine Weile gedauert, bis ich herausfand, was dieses Foto zeigt.

Nach meinen Recherchen handelt sich um einen Daimler mit Riemenantrieb, wie er um 1897 gebaut wurde – hier offenbar genutzt als Taxi. Wer es genauer oder besser weiß, möge das bitte über die Kommentarfunktion mitteilen.

Jedenfalls ist mir noch kein Auto begegnet, was besser dem Bild der „Horseless Carriage“ entspricht, das die Engländer für die Kutsche ohne davorgespanntes Pferd geprägt haben.

Wenn ich es richtig sehe, besitzt dieses Gefährt nur eine Schwenkachslenkung, wie man sie seit Urzeiten an Pferdewagen findet. Auch die übrige Konstruktion mit großen Rädern und hoch angebrachtem Aufbau, in den man im Wortsinn noch ein“steigen“ musste, entspricht sehr weitgehend der Kutschentradition.

Fast zeitgleich boten andere Hersteller bereits niedrige und mit minimalistischem Aufbau versehene Fahrzeuge an wie etwa 1899 die Firma Cudell aus Aaachen:

Cudell-Reklame von 1899; Original: Sammlung Michael Schlenger

Gewiss erwies sich auch diese Konstruktion letztlich als Sackgasse, da der Motor hier noch im Heck lag (was neben den in der Reklame genannen Vorteilen auch Nachteile hat).

Aber immerhin wird doch deutlich, dass man auf dem Weg zu einer vom Kutschbau völlig unabhängigen Chassiskonstruktion war.

Wenn Daimler mit dem Riemenwagen – und auch Benz mit dem Typ „Viktoria“ kurz vor 1900 – noch einmal die Devise „Zurück zur Kutsche!“ ausgaben, dann ist das wohl damit zu erklären, dass eine gewisse sehr wohlhabende Käuferschicht weiterhin auf das gewohnte Erscheinungsbild herrschaftlich wirkender Kutschen nicht verzichten wollte.

So erklärt das jedenfalls für mich überzeugend Erik Eckermann in seinem über 800 Seiten starken und anschaulich bebilderten Opus „Auto und Karosserie“ (Verlag Springer Vieweg, 2. Auflage 2015), auch sonst eine großartige Quelle wertvoller Informationen und Gedanken zur Genese des Automobils.

Natürlich wissen wir, dass auch Benz und Daimler später noch die Kurve gekriegt haben, nachdem zwischenzeitlich die Konkurrenz aus Frankreich und Belgien an die Spitze der Autoentwicklung gerückt war.

Daimlers 35 PS-„Mercedes“ von 1901 gilt mit seinen innovativen Lösungen in konstruktiver wie gestalterischer Hinsicht zurecht als der Urahn des modernen Autos.

Doch viele Elemente und ganze Karosserievarianten aus der Kutschbautradition sollten sich noch über Jahrzehnte halten. „Zurück zur Kutsche“, das dachte sich Anfang der 1920er Jahre offenbar auch der Hersteller dieses US-Fabrikats mit „Victoria“-Aufbau:

unidentifizierter US-Wagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Unter der Haube dieses großzügigen, aber bis unidentifizierten Automobils verbarg sich ein hubraumstarker Motor (einen „Daniels V8“ würde ich trotz gewisser Ähnlichkeit ausschließen), doch am Heck entschied man sich für eine Reminiszenz an die Zeit, in der man auch in den Staaten noch mit dem flotten Einspänner unterwegs war.

Gestern und heute vertragen sich durchaus – Kutsche und Automobil haben beide ihren Reiz, wie übrigens auch das Spazierengehen. Für letzteres Thema dürfte mir aber auf Dauer das zum Blog passende Bildmaterial fehlen – das müssen Sie also schon selbst tun.

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Einer für alle: Zwei „Metallurgique“ um 1911

Die ab 1900 gebauten Automobile der belgischen Firma „Metallurgique“ scheinen in Deutschland heute nur noch Spezialisten zu kennen, obwohl sie bis Anfang der 1920er Jahre hierzulande ähnliche Verbreitung fanden wie in anderen europäischen Ländern.

Es fand ab 1909 sogar eine Lizenzfertigung bei Bergmann in Berlin statt.

Dabei nahm man nicht nur in technischer Hinsicht Maß an den belgischen Wagen – es gab auch einen Berliner Ableger der Karosseriefabrik Van den Plas, welcher ein wichtiger Lieferant von Aufbauten für Metallurgique war.

Mit solch‘ einem in Berlin mit Van den Plas-Karosserie gebauten Bergmann-Metallurgique haben wir es mit dem Wagen auf folgendem Foto sehr wahrscheinlich zu tun:

Bergmann-Metallurgique Tourer um 1911; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Jedenfalls ist diese Aufnahme einst als Postkarte innerhalb Deutschlands gelaufen, nach Vienenburg im Harz, und auf dem Original ist „Van den Plas“ auf der Plakette zu lesen.

Der Aufbau ist ein bemerkenswertes Beispiel für den gestalterischen Umbruch ab 1910, der in Deutschland binnen kürzester Zeit erfolgte, sich in anderen Ländern aber teils bis zum 1. Weltkrieg hinzog.

Das erschwert die genaue Datierung in solchen Fällen ausländischer Aufbauten. So sind hier noch einige recht archaische Elemente zu sehen wie die Unterteilung des Aufbaus in einzelne Bausteine, die noch kein harmonisches Ganzes ergeben.

Man erkennt ansatzweise zwei „Sitzwannen“, die jeweils optisch von der zugehörigen Türpartie abgesetzt sind. Die „Sprünge“ des oberen Karosserieabschlusses weisen Entsprechungen an der Unterseite zum Rahmen hin auf.

Eher an frühen Fahrzeugen findet man außerdem die nur notdürftig kaschierte Lücke zwischen Rahmen und Trittbrett – sie wurde später mit einem durchgehenden Blech verschlossen, hinter dem dann auch die senkrechten Trittbretthalter verschwanden.

In Kombination mit der Gestaltung der Kotflügel würde man einen solchen Aufbau auf etwa 1908 datieren. Ein formales Detail spricht jedoch dagegen:

Auch wenn es nicht ganz leicht zu erkennen ist, besitzt dieser Metallurgique – übrigens am markanten Kühlergehäuse als solcher zu erkennen – bereits eine strömungsgünstige gestaltete Blechpartie vor der Frontscheibe – den sogenannten Windlauf.

Dieses Element findet sich erstmals ab 1910 im Serienbau bei deutschen Fabrikaten – ausländische Hersteller hatten es mit der Modernisierung dagegen nicht so eilig.

Bei Metallugique-Wagen findet sich genau diese Ausführung nach meinem Eindruck erst ab 1911 – wobei ich mir bewusst bin, dass die Datierung vieler Aufnahmen in der Literatur und im Netz oft auch nur geschätzt ist.

Bei der Gelegenheit möchte ich Sie noch bitten, sich die Proportionen der Motorhaube einzuprägen, insbesondere deren Höhe im Vergleich zu Kotflügeln und Windlauf.

Wir sind heute nämlich in der komfortablen Lage, einen zweiten Metallurgique studieren zu können, der einen nahezu identischen Aufbau besaß, sich aber als stärkeres Modell erweist.

Zudem ist diese Aufnahme aus dem Archiv von Klaas Dierks von weit besserer Qualität:

Metallurgique Tourer um 1911; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Ist das nicht ein prächtiges, geradezu herrschaftlich anmutendes Automobil?

In der Tat mischten einige der damals sehr zahlreichen belgischen Autohersteller in der europäischen Oberklasse mit. Dieses Exemplar wurde der Überlieferung nach in London aufgenommen, wo wahrlich kein Mangel an Repräsentationsautomobilen herrschten.

Hier können SIe nun besser erkennen, wie das erwähnte ansteigende Blech vor der Winschutzscheibe den Luftstrom auf diese lenkte und wie man sich die Verstellmechanik der auf meinem eingangs gezeigten Foto nach vorne umgeklappten Scheibe vorstellen muss.

Ich bin sicher, Sie werden beim Aufbau ab der Frontscheibe keine wesentlichen Unterschiede zu dem obigen Wagen feststellen – dennoch wirkt dieser Metallurgique deutlich harmonischer und „erwachsener“. Den Grund dafür sehen wir hier:

Die Motorhaube erscheint nicht nur länger, sie ist vor allem deutlich höher und schließt auf einer Ebene an den Windlauf an – so wirkt die Frontpartie aus einem Guss, obwohl die Gestaltungslemente als solche weitgehend dieselben sind.

Den etwas moderneren Eindruck macht dieses Fahrzeug aber auch aufgrund des gerundeten Querschnitts der Vorderkotflügel – diese weisen bei meinem „Metallurgique noch das kantige Profil auf, das man von früheren Fahrzeugen kennt.

Überbewerten darf man das aber nicht, denn auch hier existierten beide Formen speziell bei ausländischen Fabrikaten noch einige Jahre parallel zueinander.

Von der Motorhaube abgesehen deutet ansonsten nichts darauf hin, dass es sich bei diesem Metallurgique um ein stärkeres Modell gehandelt haben muss.

Wie gesagt, ist der übrige Aufbau vollkommen identisch. Es galt also „Einer für alle“ – vor dem 1. Weltkrieg war die Verwendung gleich gestalteter Karosserien bei unterschiedlicher Motorisierung nämlich eher die Regel statt die Ausnahme.

Nur ein technisches Detail erinnert an der Heckpartie daran, dass der in London beheimatete Metallurgique ein wesentlich leistungsfähigeres Modell gewesen sei muss:

Vergleichen Sie einmal den Durchmesser dieser Bremstrommel mit dem am eingangs gezeigten Wagen – der Unterschied ist ziemlich groß!

Das bringt uns zur letzten Frage, ob sich denn die Motorisierung dieser sonst so gleichgekleideten Schwestermodelle ungefähr angeben lässt.

Ausgangspunkt ist dabei meine These, dass wir es in beiden Fällen mit Metallurgique-Wagen um 1911 zu tun haben – mit maximal einjähriger Abweichung nach oben und unten.

Dann kommen zwei Motorenklassen in Betracht – einmal die kleineren Monoblock-Aggregate mit 12 bzw. 16 französischen Steuer-PS – und einmal die weit größeren Zweiblockmotoren der Kategorien 26 bzw. 40 CV.

Je ein Exemplar aus diesen beiden Leistungsklassen haben wir heute kennengelernt, das ist mein Fazit, welches bei so frühen Automobilen wie immer vorläufig ist.

Bei Van den Plas hatte man anno 1911 einen solchermaßen gestalteten Aufbau für alle diese Typen im Programm – daneben natürlich auch andere Varianten, die aber ebenfalls wieder weitgehend identisch ausgeführt wurden, unabhängig von der Stärke des Wagens.

An sich eine Selbstverständlichkeit zu jener Zeit. Ich meine aber, dass man selten einen so direkten Vergleich zwischen zwei Fahrzeugen mit so eindeutig unterschiedlicher Leistung anstellen kann – noch dazu mit identischer Farbgebung und spiegelbildlicher Perspektive.

Die alten Hasen und die Experten unter den Vorkriegsauto-Enthusiasten wissen das zwar alles schon.

Aber ich muss mir die Dinge quasi einmal selbst erklären – außerdem soll mein Blog eher die ansprechen, die vielleicht erst damit begonnen haben, sich diese geheimnisvoll anmutende Wunderwelt zu erschließen.

„Einer für alle“, das ist letztlich auch das Motto meines Blogs im Sinne einer eher populären und lässigen Aufarbeitung des Themas, auch wenn die Spezialisten sicher das eine oder andere Mal die Stirn runzeln oder heftig den Kopf schütteln.

Aber bitte, meine Damen und Herren: Auch für die mir stets willkommenen Kommentare gilt: „Einer für alle (Leser)“! Diesen Spleen sollte man nicht für sich reservieren, sondern ihn großherzig mit allen teilen, die sich gerne davon anstecken lassen…

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Seiner Linie treu: MAF Zweisitzer 1908-1914

Nach (zu) langer Pause ist heute wieder einmal die Marke MAF aus Markranstädt bei Leipzig an der Reihe.

Sie entstand nach dem Ausscheiden von Hugo Ruppe aus dem väterlichen Betrieb Ruppe & Sohn in Apolda, wo er das Modell „Piccolo“ mit luftgekühltem Motor konstruiert hatte und wo später die bekannten „Apollo“-Wagen nach Entwurf von Karl Slevogt entstanden.

Hugo Ruppe blieb seiner Linie treu und entwarf 1908 für seine neue Automobilfabrik eine Reihe von Kleinwagen mit luftgekühlten Vierzylindermotoren, hauptsächlich in der Hubraumklasse zwischen 1,2 und 1,8 Litern.

Auf die Vielfalt der Motorisierungen, die laufende Leistungssteigungen bei ähnlicher Grundkonstruktion widerspiegelt, will ich mich nicht einlassen. Man sah einem MAF wohl kaum an, was genau sich unter seiner Motorhaube und hinter der Kühlerattrappe verbarg.

Mich interessiert bei diesen frühen MAF-Wagen vor dem 1. Weltkrieg (die Marke existierte bis 1921, als sie von Apollo übernommen wurde) etwas ganz anderes.

Hugo Ruppe blieb nämlich zumindest bei der Zweisitzerversion seiner Automobile auch äußerlich seiner Linie erstaunlich treu, wenngleich das Erscheinungsbild der allgemeinen Tendenz am deutschen Markt folgend behutsam modernisiert wurde.

Dies lässt sich sehr schön anhand der Fotos dokumentieren, die ich nachfolgend zusammengestellt habe. Den Anfang macht dieser ganz frühe Zweisitzer:

MAF Zweisitzer von 1908/09; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieses Fahrzeug habe ich schon einmal ausführlich besprochen, es handelt sich sehr wahrscheinlich um eines der von Hugo Ruppe neu konstruierten Modelle aus dem ersten Jahr 1908, spätestens aber 1909.

Die Grundform dieses Zweisitzers sollte in den folgenden Jahren bis 1914 im wesentlichen die gleiche bleiben.

Wir halten fest: nach hinten ansteigender Karosseriekörper, vor der Hinterachse endender Innenraum, schwingenartige Vorderkotflügel und damit korrespondierender Aufschwung des Hinterkotflügels, entsprechend kurzes Trittbrett, insgesamt sehr reduzierter Aufbau.

Dieses sportliche Erscheinungsbild findet man ab 1910 wieder, auch wenn nun die damals obligatorisch werdende „Windkappe“ zu sehen ist, welche die Luft ab der Motorhaube nach oben lenkt:

MAF Zweisitzer von 1910; Originalfoto: Sammlung Stefan Rothe (Berlin)

Denkt man sich den noch wie aufgesetzt wirkenden „Windlauf“ weg, hat man es praktisch mit derselben Konstruktion zu tun, nur dass man jetzt auch die damals runde MAF-Kühlerattrappe erkennen kann.

Dieses Foto veranschaulicht wieder einmal die gestalterische Zäsur, welche mit der Übernahme des Windlaufs aus dem Sport (dort ab 1907/08 gebräuchlich) bei Automobilen aus dem deutschen Sprachraum einherging.

Im nächsten Schritt wurde der Windlauf harmonisch an die Haube angepasst – damit war ein großer Schritt weg von der Kutsche mit davorgesetztem Motor hin zum Auto mit eigenständig gestalteter Frontpartie getan.

Mit einem Mal erkennt man etwas, was bis heute prinzipiell unverändert geblieben ist. Schauen Sie einfach einmal bei Ihrem Wagen nach, auch er sollte vor der Frontscheibe noch einen Windlauf haben, wenngleich viel kürzer als hier:

MAF Zweisitzer um 1912; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Erstaunlich, was die überarbeitete Frontpartie ausmacht, nicht wahr? Aber davon abgesehen ist auch dieser MAF-Zweisitzer von ca. 1912 ganz seiner Linie treu geblieben.

Aufmerksame Betrachter werden dennoch einige weitere Nuancen bemerken:

Die Kotflügel sind zwar nach wie vor so elegant geschwungen wie zuvor, doch der vordere schließt jetzt direkt ans das Trittbrett an. Zudem ist der Aufbau jetzt aus einem Guss geformt und die zuvor gerundete Motorhaube ist stärker konturiert.

Der sportlich-leichte Stil als solcher ist aber erhalten geblieben, wenngleich der Rahmen hinten nun etwas massiver ausgeführt zu sein scheint – das mag der gestiegenen Leistung geschuldet sein.

Übrigens ließ sich so ein MAF-Zweisitzer durchaus flott bewegen – je nach Motor waren 70m/h Spitze erreichbar – das machen Sie einmal mit so einem filigranen Auto und dieser hohen Sitzposition, das dürfte Ihnen halsbrecherisch vorkommen!

Der Motorenklang dürfte sein übriges dazu getan haben, dass man sich in solch einem MAF beinahe wie ein Rennfahrer vorkam. Möglicherweise war es die Geräuschentwicklung, welche der adretten Dame im nachfolgend abgebildeten Zweisitzer MISSfiel:

MAF-Zweisitzer von 1913/14; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Man meint zu wissen, was die junge Dame mit der feschen Lederkappe gerade dachte: „Eine gute Partie ist er schon, mein August, und liebt mich von Herzen, was will man mehr. Dass er meine Mitgift in ein Automobil investiert hat, war auch ausgemacht – er braucht den Wagen ja als Landarzt. Aber musste es denn so ein lärmiger MAF sein? Ich hätte ihm ja zum Opel-Doktorwagen geraten, aber so sind die Männer…“

Nun, unser Mitleid hält sich mit der Dame aus gutem Hause in Grenzen, denn als Automobilistin gehörte sie auf jeden Fall zu den oberen Zehntausend im Deutschen Reich.

1913 oder 1914 dürfte dieses schöne Dokument entstanden sein, und es ist damit das letzte in der heutigen Reihe.

Erkennen Sie in dieser letzten Variante noch den MAF-Zweisitzer von 1908/09 wieder? Ich meine schon, dass es sich im Kern um dieselbe Konstruktion handelt. Bloß die andersartige Kühlerattrappe irritiert auf den ersten Blick.

Mir scheint es eine Version zu sein, die sich an den kurz vor dem 1. Weltkrieg aufkommenden Spitz- oder Schnabelkühlern orientierte. Ob dies eine von MAF selbst angebotene Variante oder ein Teil aus dem damals bereits blühenden Zubehörhandel war, sei dahingestellt.

Eine Modifikation dürfte auch das am Heck angebrachte Gepäckabteil darstellen. Eine genaue Entsprechung habe ich zwar noch nicht gefunden, dennoch bin ich sicher, dass wir es auch hier mit einem der leichten MAF-Zweisitzer zu tun haben, die etliche Jahre ihrer Linie treu blieben und damit offenbar Erfolg beim Kunden hatten.

Auch ich will im Neuen Jahr meiner Linie im Blog treu bleiben, und bisweilen solche rein formalen Betrachtungen anstellen, wenn es das Material hergibt – gern garniert mit einigen erdachten „Originalzitaten“, sofern mich die Situation dazu inspiriert.

Und wie immer freue ich mich über sachkundige, auch kritische Kommentare, gern gewürzt mit etwas Witz und die eine oder andere Abschweifung enthaltend. Wenn auch sonst alles in Bewegung kommt, wollen wir hier doch unserer Linie treu bleiben…

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Geheimnis gelüftet!? Ein Opel 21/50 PS Tourenwagen

Wer sich mit Automobilen der Vorkriegszeit beschäftigt – speziell solchen, die heute praktisch ausgestorben sind – muss mitunter einen langen Atem haben, bis sich eine Vermutung bestätigt oder auch nicht.

Heute kann ich solch‘ einen Fall präsentieren. So stellte ich vor bald sieben Jahren hier den folgenden Opel vor, welcher 1921 bei Reutter in Stuttgart eine Landaulet-Karosserie erhielt:

Opel 21/50 PS Landaulet (Karosserie Reutter); Originalabzug: Sammlung Michael Schlenger

Ich hatte den Wagen seinerseit als Exemplar des ab 1919 gebauten großen Sechszylindertyps 21/55 PS (später 21/50 PS) identifiziert, das war aber nur eine auf Indizien basierende Einschätzung.

Es gibt kaum Bilder dieses großen Opel-Modells (und des noch eindrucksvolleren Schwestertyps 30/75 PS), das bis 1924 im Programm blieb, aber nur in geringen Stückzahlen gebaut wurde.

Klar war, dass das Fahrzeug zu lang war, um den weit häufiger anzutreffenden Vierzylindertyp 8/25 PS zu repräsentieren. Das Fehlen von Vorderradbremsen und der ausgeprägte Spitzkühler ließen letzlich nur die beiden Sechszylinder in Frage kommen.

Auch die sechs Radbolzen und die zwölf Radspeichen sprachen für ein besonders leistungsfähiges Opel-Modell. Die weit schwächeren Vierzylindertypen (Ausnahme: 14/38 PS) besaßen nach meiner Wahrnehmung stets vier Radbolzen und zehn Radspeichen.

Was mir der damaligen Betrachtung verborgen bleiben musste, war ein weiteres Detail, das eine entscheidende Rolle bei der Identifikation spielt, aber quasi „under cover“ blieb. Das ist sogar im Wortsinn der Fall – Sie sehen das am Ende, wenn ich das Geheimnis lüfte.

Ermöglicht hat mir meine heutige Enthüllungsgeschichte Leser Matthias Schmidt aus Dresden, der mir kürzlich diese Aufnahme aus seinem Fotofundus digital übermittelte:

Opel 21/50 PS; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Für die Freunde von Opel-Veteranen zählen die schnittigen Spitzkühlermodelle vor Mitte der 1920er Jahre ganz klar zu den Favoriten.

Diese Wagen sahen nicht nur sportlich aus, sie waren auch gemessen an den gängigen Mittelklasseautos von Brennabor, NAG, Presto und Protos überdurchschnittlich motorisiert. Nur Stoewer spielte mit dem Typ D6 19/55 PS Anfang der 20er Jahre in derselben Liga.

Mit diesen souveränen Sechszylinderwagen ließen sich bei guten Straßenverhältnissen durchaus über 100 km/h erreichen. Zeitgenössische Reiseberichte verraten, dass man davon auch schon einmal Gebrauch machte, wenngleich die eigentliche Stärke in der Laufkultur und der enormen Elastizität der großvolumigen Aggregate lag.

Unterstrichen wurde die sportliche Note im Fall des Opel 21/50 PS durch die schrägstehende und mittig gepfeilte Windschutzscheibe:

Die serienmäßige Ausstattung mit zwei Ersatzrädern findet man indessen durchweg auch bei den damaligen Vierzylinder-Opels des Typs 8/25 PS – sie spiegelten damalige Erfahrungswerte schon bei normalem Alltagseinsatz ohne Fernreisen wider.

Sicher ist Ihnen die dünne Stoßstange aufgefallen, die etwas unterdimensioniert wirkt. Sie war ein Nachrüstteil und repräsentiert eine noch ganz frühe Erscheinungsform dieses erst später unter dem Einfluss der US-Konkurrenz auch dekorativ gestalteten Bauteils.

Eine letzte Sache fällt (mir) hier noch auf: die trotz zwölf Radspeichen überraschenderweise nur fünf Radbolzen; ich hätte wie beim eingangs gezeigten Opel 21/50 PS sechs erwartet.

Was ist davon zu halten? Sollte es sich doch um eines der schwächeren Vierzylindermodelle – vor allem den verbreiteten Typ 8/25 PS- handeln? Dagegen spricht ganz klar ein weiteres Detail, das sich nun in aller Deutlichkeit darbietet.

So hat bei diesem Wagen nämlich die Blattfeder der Hinterachse ihr bisheriges „under cover“-Dasein aufgegeben und erweist sich als sogenannte Cantilever-Ausführung, die es wohl nur bei den beiden Opel-Sechsylindertypen gab:

Bei einer solchen Cantilever-Ausführung ist die Hinterachse am hinteren Ende des halbelliptischen Blattfederpakets schwingend aufgehängt.

Man findet diese spezielle Variante meist nur bei Wagen mit einer gewissen sportlichen Charakteristik, weshalb manche Besitzer bei der Karosseriegestaltung Wert darauf legten, dass man die Federn sah (analog zu den rot lackierten Bremssätteln unserer Tage).

Laut Literatur (Werner Oswald: Deutsche Autos 1920-1945, Motorbuch-Verlag, Neuauflage 2019) besaßen die Opel-Typen 21/50 PS und 30/75 PS seinerzeit eine solche besondere Hinterradfederung, bei anderen Modellen wird sie zumindest nicht erwähnt.

Daraus ziehe ich folgenden Schluss: Auch der Opel-Tourer auf dem Foto von Matthias-Schmidt war ein Sechszylindertyp, und zwar einer der Kategorie 21/50 PS. Das Landaulet mit sechs statt fünf Radbolzen könnte dann sogar ein 30/75 PS-Modell gewesen sein, dessen Besitzer nicht mit den frei sichtbaren Cantilever-Federn angeben wollte.

Damit könnte man das Geheimnis dieses Wagens als gelüftet betrachten, wäre nicht trotzdem ein Rest an Vorsicht geboten, solange es nicht mehr Evidenz in dieser Richtung gibt. Aber wie gesagt: Wir Vorkriegsautofreunde haben von Haus aus Geduld…

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Das fängt ja gut an: Ein Renault Landaulet um 1912

Dass das Jahr 2023 gut angefangen hat – und bei allen Höhen und Tiefen des Daseins ein ebensolches Ende nehmen wird, wünsche ich allen Lesern!

Für einen guten Anfang kann ich heute zumindest in meinem Blog sorgen. Denn wir steigen gleich auf hohem Niveau ein und betreiben Automobil-Archäologie an einem besonders lohnenden Exemplar.

Dabei kann auch der gerade erst zu uns gestoßene Hobbyforscher seinen Scharfsinn beweisen, denn den Veteranen unserer Profession hilft das über Jahre angesammelte Wissen in Sachen altem Blech beim heutigen Fundgegenstand wenig.

Das hat mit der Marke zu tun, um die es geht: Renault. Französische Hersteller schlugen ohnehin in vielen Fällen andere Wege ein als die Konkurrenten auf der anderen Rheinseite, doch Renault fiel in dieser Hinsicht besonders aus dem Rahmen.

Ein erstes Mal herausgearbeitet habe ich die Schwierigkeiten einer genauen zeitlichen Einordnung seinerzeit hier bei der Besprechung dieses prachtvollen Coupés:

Renault Coupé von ca. 1912; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nicht nur hielt man bei Renault an der Position des Kühlers hinter dem Motor bis in die 1920er Jahre fest; man schien auch sonst nicht am allgemeinen Trend in der Automobilgestaltung interessiert zu sein.

Während es bei Fabrikaten aus dem deutschsprachigen Raum bestimmte Karosseriedetails gibt, die zu einem bestimmten Zeitpunkt bei fast allen Herstellern auftauchen und ebenso abrupt wieder verschwinden, findet man bei frühen Renaults ein schwer zu entwirrendes Nebeneinander archaischer und moderner Elemente.

Viel hing vom Geschmack des Käufers und vom Stil des Karosserielieferanten ab, wobei weniger nach der Mode geschielt, denn auf ein eigenständiges Ergebnis abgezielt wurde.

Das hat die reizvolle Folge, dass – noch weniger als bei anderen Fabrikaten – kaum ein Renault aus der Zeit vor 1920 dem anderen glich. Daher muss man lernen, den Blick auf die Elemente zu konzentrieren, die wirklich typisch waren.

Der erste Schritt besteht darin, radikal alles zu ignorieren, was sich hinter der Windschutzscheibe, zumindest aber hinter dem Fahrerabteil abspielte. Wir setzen dazu kühn das Messer an und können nun ungestört die Frontpartie sezieren:

Wenn das Auge noch etwas verwirrt von der – für mich faszinierenden – Andersartigkeit der Linienführung ist, hilft zunächst der Fokus auf die Haubenpartie.

Die Motorhaube liegt vorn plan auf dem Rahmen auf und besitzt dort einen kleinen Griff zum Anheben nach hinten – wie bei heutigen Autos und ganz anders als damals üblich.

Nach hinten steigt die Haube zunächst steil und dann flach an, was ihr die Form einer umgekehrten Kohleschaufel gibt. Sie weist an den Kanten ein komplexes Profil an, die Herstellung darf man sich einigermaßen anspruchsvoll vorstellen.

Am hinteren Ende ist sie waagerecht mit einem Scharnier am Kühlergehäuse befestigt, dessen Oberteil schön nach oben geschwungen ist, dort füllte man das Wasser auf. Die Kühlerfläche ging über die ganze Breite und schaut beiderseitig der Haube hervor.

Das gewölbte Lochblech an der äußeren Kühlerkante scheint erst ab 1910 aufzutauchen, vorher war diese Partie rechtwinklig ausgeführt.

Ein Wort zu den Kotflügeln. Diese sind hier zweiteilig ausgeführt; an die das Rad umschließende Partie ist ein Blech angesetzt, das die Frontpartie vor Verschmutzung schützte. Dieser Innenkotflügel bestand anfänglich oft aus Leder, später verschmolz er mit dem Oberteil zu einem harmonischen Ganzen aus Blech.

Einprägen sollte man sich zuletzt noch die gebogenen Halter der beiden Scheinwerfer, die einfach von oben auf diese aufgesteckt wurden.

Haben Sie sich das alles gut gemerkt? Oje, das fängt ja gut an mit der Schulmeisterei, mögen Sie vielleicht denken, aber glauben Sie mir: Das alles muss man parat haben, wenn man ein echter Veteranenkenner sein oder werden will.

Bereit zum Test des Erlernten? Dann kann es ja losgehen, und ich bin sicher, diese Prüfung wird das reine Vergnügen!

Renault Coupé von ca. 1912; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Habe ich zuviel versprochen? Das fängt doch gut an, unser bunter Bilderreigen in Schwarz-Weiß im Neuen Jahr!

In dieser Aufnahme ist alles drin, was sich der Liebhaber des wirklich alten Blechs wünscht: Ein prachtvolles Automobil, technisch perfekt wiedergegeben, echte Persönlichkeiten, die auch nach über 100 Jahren lebendig auf uns wirken, und ein aufmerksamer Vierbeiner.

Ja, alles wunderbar, denken sie jetzt vielleicht, aber der Wagen sieht irgendwie verwirrend aus, ganz anders als der zuvor gezeigte, nicht wahr?

Bevor die Prüfungsangst sich durchsetzen kann, atmen wir durch und erinnern uns an Veteranenauto-Regel Nr. 1: Sich nicht ablenkenlassen und den Blick ganz auf den Vorderwagen konzentrieren:

Am besten, man fängt wieder von vorne an: Die Scheinwerfer sind nicht montiert, dafür sieht man jetzt die gabelfömigen Halter besser und kann sich vorstellen, wie die Montage funktionierte.

Fuhr man nur bei Tag, ließ man die empfindlichen und teuren Bauteile gern zuhause, eine Alternative waren Überzüge aus Segeltuch, auch das sieht man bisweilen.

Von der Motorhaube sieht man nicht viel, aber genug, um sie als einem Renault zugehörig zu erkennen. Auch die Kühlerpartie entspricht ganz derjenigen des eingangs gezeigten Wagens und ist hier sogar noch besser zu studieren.

Man sieht die Konstruktion aus vernieteten und verlöteten Elementen, auch das oben erwähnte gewölbte Lochblech entlang der Kühlerkante findet sich wieder.

Wer bisher alles wiedererkannt hat, hat bestanden und könnte diesen Wagen ebenfalls als Renault aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg einordnen. Es geht auf diesem Foto aber noch weiter:

Zwar sitzt der Fahrer hier nicht mehr im Freien wie im Fall des edlen Coupés ganz oben, aber sein Arbeitsplatz hat sich ansonsten nicht geändert.

Zu seiner Rechten in Griffweite befindet sich vorn die Handbremse – hier in gelöster Position (oben: angezogen), übrigens mit vollkommen identischem Griff. Dahinter befindet sich vertikal stehend der Hebel für die Gangschaltung.

Zum Schluss folgt der Ballen der Hupe. Hier ist ein anderes Exemplar verbaut – es gab unzählige Varianten davon. Nennenswert ist noch die lederne Abdeckung der Einstiegsöffnung, die sich auf der ersten Aufnahme nicht findet – sie ließ sich bei Bedarf einfach abknöpfen.

Wenn Sie sich nach dem Sinn der beiden Halter am Trittbrett bzw. neben dem Kühler fragen, dann finden Sie die Antwort auf dem Dach liegend in Form eines Ersatzreifens bzw. -schlauchs. Der aufmerksame Betrachter wird dort noch bemerken, dass das vordere Ende der Dachreling in einem klassischen Mäander ausläuft, sehr hübsch.

War doch gar nicht so schlimm, dieser kleine Test zum Jahresauftakt, oder? Die Frage, wann genau dieser Renault gebaut wurde, erspare ich Ihnen, ich kenne die Antwort selbst nicht.

Während sich der eingangs gezeigte Renault auf wahrscheinlich 1912 datieren ließ, fehlen hier einige kleine Details, die eine engere Einordnung erlauben.

So ist hier leider das Datum der Postkarte nicht entzifferbar, auf der dieses Foto einst von Frankreich nach München gesandt hatte. Zudem ist die Schwellerpartie hier noch unverkleidet, was bei Renault erst ab 1912 der Fall gewesen zu sein scheint.

So bleibt aus meiner Sicht als Lösung nur: ca. 1910-14. Wer das unbefriedrigend findet, kann sich selbst an dem Fall versuchen oder es sein lassen und sich durch die menschliche Komponente auf diesem Foto kompensieren:

So fremdartig dieser Wagen mit seinem Landaulet-Aufbau – also mit nur über den Passagieren zu öffnendem Dach – auf uns Menschen des 21. Jh. wirkt, so nahe ist uns dieser freundliche junge Mann, der in diesem Moment ganz mit sich im Reinen war.

Er hatte nicht nur seinen kleinen vierbeinigen Freund auf dem Arm, er war auch von Kopf bis Fuß für die anstehende Ausfahrt gewappnet. Das kann man von seinem Gegenüber nicht ganz behaupten, der daher auch ein wenig kariert dreinschaut.

Haben Sie bemerkt, warum? Er trägt zwar ebenfalls Reisemantel und sportliche Mütze, aber er steht noch in Hausschuhen dar, als sei er zu spät zu dem Foto gekommen.

Das fängt ja gut an – da hat man seinen Silvester-Kater noch nicht ganz ausgeschlafen, schon rufen gesellschaftliche Pflichten und Bruderherz ist wie immer früher fertig als ich…“

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.