Ein schöner Rücken…Pontiac Roadster von 1928

Ein schöner Rücken kann auch entzücken – sagt der Volksmund. Auf die von uns so geliebten Vorkriegsautomobile trifft das allerdings nicht immer zu.

Noch in der ersten Hälfte der 1920er Jahre unternahm man kaum Anstrengungen, die Heckpartie eines Wagens attraktiv zu gestalten. Speziell bei Tourenwagen ging es da ziemlich prosaisch zu.

Deshalb sind Heckaufnahmen von Autos jener Zeit eher selten. Doch ab und zu hat man Glück und jemandem ist eine reizvolle Rückansicht gelungen.

Hier haben wir ein erstes – wenn auch etwas unscharfes – Beispiel dafür:

unbek_wohl_US-Marke_Baronin_Koks_Galerie

unbekannter US-Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Fotograf hat hier die Länge des Tourenwagens betont, die auf ein großzügiges rückwärtiges Passagierabteil mit Platz für an die fünf Personen schließen lässt.

Die Doppelstoßstangen, die Zweifarblackierung der Scheibenräder und die trommelförmigen Scheinwerfer sprechen stark für ein US-Fabrikat um 1925.

Entstanden ist diese Aufnahme aber im deutschsprachigen Raum. „Baronin Koks“ hat ein Spaßvogel auf der Rückseite des Abzugs vermerkt.

So bezeichnete man damals spöttisch vornehm tuende Vertreter des Geldadels – im Ruhrgebiet etwa sagte man „Graf Koks von der Halde“, wenn man auf die banale Basis des (Neu)Reichtums anspielen wollte.

Aus welchem US-Fabrikat genau unser Fotomodell gerade auszusteigen scheint, sei einer späteren Recherche anheimgestellt.

Wir wenden uns stattdessen einem anderen amerikanischen Wagen zu, der nur wenig später entstand und ebenfalls in deutschen Landen abgelichtet wurde:

Pontiac_1928_roadster_Galerie

Pontiac Rumbleseat Roadster von 1928; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses schöne Foto atmet noch ganz die Stimmung des Hochsommers. Die Felder sind frisch gemäht – im Deutschland jener Zeit weitgehend ohne Maschineneinsatz.

Ein Paar mit einem bullig wirkenden Zweisitzer hat irgendwo in der menschenleeren Landschaft gehalten und der Fahrer hat mit malerischem Blick seine Beifahrerin aus reizvoller Perspektive auf’s Negativ gebannt.

Rund 90 Jahre später erfreuen wir uns noch an diesem Dokument eines längst vergangenen glücklichen Moments. Vorkriegsautobilder wie dieses können ihre ganze eigene Magie entfalten, da ist der Wagen mitunter zweitrangig.

Im vorliegenden Fall wollen wir es aber doch genau wissen und können den Zweisitzer mit der wohlgestalteten Heckpartie auch präzise identifizieren. Dazu bedarf es einer Mischung aus Erfahrung, Kombinationsvermögen und Glück.

Die Erfahrung sagt uns, dass dieses stark gerundete Heck bei einem Zweisitzer eher typisch für US-Wagen der 1920er Jahre ist:

Pontiac_1928_roadster_HeckpartieDieser Aufbau wurde in Amerika als „Rumbleseat Roadster“ angesprochen, wobei der „Rumbleseat“ der im Heck ausklappbare Notsitz war, der im Volksmund der Schwiegermutter zugedacht war – vor allem bei Regen…

Die Bezeichnung Roadster folgte in den USA nicht den britischen Gepflogenheiten – tatsächlich gab es Roadster nach englischem Verständnis (also offene Zweisitzer mit tiefem Türausschnitt und dünnem Notverdeck) in den Vereinigten Staaten kaum.

Auf diesem Bildausschnitt zu erkennen ist des weiteren ein deutsches Nummernschild, vermutlich mit der Kennung „IA“ für Berlin beginnend. Die Hauptstadt wies Ende der 1920er Jahre eine enorme US-Fahrzeugdichte auf, was auch daran lag, dass etliche amerikanische Marken dort eigene Fertigungsstätten unterhielten.

Doppelstoßstangen und zweifarbig lackierte Scheibenräder unterstützen die Annahme, dass wir hier ein US-Modell vor uns haben. Endgültige Gewissheit liefert aber wie fast immer erst die Betrachtung der Frontpartie:

Pontiac_1928_roadster_Frontpartie

Auf folgende Details sei der Leser auf obigem Bildausschnitt hingewiesen:

  • die seitlichen Luftschlitze lassen das vordere Viertel der Motorhaube frei,
  • die trommelförmigen Scheinwerfer verfügen über einen verchromten Zierring und sind am hinteren Ende abgerundet,
  • die Kühlerfigur besitzt eine nach hinten reichende kammartige Verlängerung,
  • die Oberseite der Motorhaube ist mittig leicht erhöht,
  • die hell abgesetzte seitliche Zierleiste läuft vorn verspielt aus

Den Schlüssel zur Identifikation liefert ein Foto, das wir vor nicht allzu langer Zeit in diesem Blog gezeigt haben (Stichwort: Kombination):

Pontiac_New_Series_6-28_1928_Foto_1932_1_Frontpartie

Pontiac Six von 1928; Originalaufnahme von 1932 aus Sammlung Michael Schlenger

Hier erkennen wir als erstes die Kühlerfigur wieder, die den legendären Indianerhäuptling Pontiac im Profil zeigt, der namengebend für die erst 1926 geschaffene Marke war.

Anordnung der Luftschlitze und Gestaltung der Scheinwerfer sind ebenfalls identisch. Bei dem Wagen handelt es sich eindeutig um einen Pontiac New Series Six von 1928 (Porträt des Coupès).

Doch was ist mit den abweichenden (Speichen)Rädern? Nun, die waren zwar die Basisausstattung beim Pontiac Six des Modelljahrs 1928, doch gab es gegen Aufpreis auch Scheibenräder wie auf unserem Foto des Rumbleseat Roadster.

Wir haben außerdem noch Glück: Im „Standard Catalog of American Cars“ von Clark/Kimes (1996) findet sich eine Abbildung eines Pontiac Rumbleseat Roadsters des Baujahrs 1928 mit derselben hell abgesetzten Zierleiste.

Die Ansprache des Wagens auf dem Foto darf damit als gesichert gelten. Das Netz liefert nach Eingabe des Suchbegriffs „Pontiac Roadster 1928“ einige Vergleichsfotos.

Zwar war ein Pontiac von anno 1928 mit seinem knapp 50 PS leistenden Sechszylinder in den USA bloß einer von vielen braven Mittelklassewagen. Im Deutschland der späten 1920er Jahre machte man damit jedoch überall Eindruck.

So scheint sich die charmante Beifahrerin des Pontiac-Besitzers aus Berlin ihres Glücks bewusst gewesen zu sein:

Pontiac_1928_roadster_Beifahrerin

Ein scherzhafter Ehrentitel für sie wäre damals übrigens nicht „Baronin Koks von der Halde“ gewesen. In Berlin lautete die Entsprechung „Gräfin Rotz von der Backe“!

Für so einen Vermerk von alter Hand auf diesem Abzug hätte man etwas gegeben…

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Ein Urahn des Opel „Laubfrosch“: Typ 6/16 PS

Heute kommt es in diesem Blog für Vorkriegsautos zu einem ungewöhnlichen Familientreffen.

Auf den ersten Blick mag es sich um eine eher theoretische Begegnung handeln, denn die beiden Opel-Generationen, um die es geht, trennen fast 15 Jahre. In der Vorkriegszeit war das in automobiler Hinsicht eine Ewigkeit.

Unsere kleine Studie beginnt im Sommer vor 90 Jahren – also: 1928 – und führt uns zunächst nach Unterfranken in den Hammelburger Forst:

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Opel 4/16 PS von 1926/27; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Über den Hersteller dieses Tourenwagens müssen wir dank des Opel-„Auges“ auf der Kühlermaske nicht eigens nachdenken.

Aufgrund des kompakten Formats kommt nur Opels Basismodell mit 4 Steuer-PS in Frage, hier in der Ausführung ab Oktober 1926, was die Linkslenkung verrät.

Der ab 1924 in Fließbandfertigung gebaute 4 PS-Opel war ein großer Wurf – allerdings begann seine Karriere nicht erst in Rüsselsheim. Vielmehr wurde ab 1922 in Paris das Auto gebaut, welches das Vorbild des Opel 4 PS abgab: der Citroen 5 CV.

Der weitsichtige Firmengründer André Citroen hatte noch vor Ende des 1. Weltkriegs die Konstruktion eines großserientauglichen Kleinwagens angeordnet, um seine Munitionsfabrik auch im Frieden auslasten zu können.

Mit dem Citroen Typ A machten die Franzosen ab 1919 Furore, denn er war der erste in Großserie gebaute europäische Wagen.

Der vor dem Krieg so erfolgreiche Autobauer Opel verlegte sich stattdessen auf Oberklassewagen, für die der deutsche Markt trotz kurzer Scheinblüte viel zu klein war, um ausreichende Erträge für das Werk abzuwerfen.

Erst mit dem Plagiat des Citroen 5CV gelang Opel ab 1923 der Anschluss an die Entwicklung. Dieser dreiste Schritt, der prompt juristische Auseinandersetzungen nach sich zog, verwundert doch.

Denn längst hatte Opel eigene Erfahrung im Bau von Kleinwagen. So entstand 1909 das Modell 6/12 PS, das (hier) bereits vorgestellt wurde:

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Opel 6/12 PS; Originalfoto von 1910 aus Sammlung Michael Schlenger

Ab 1911 gab es dann ein weiteres Kompaktmodell, den Typ 5/12 PS bzw. 5/14 PS – im Volksmund als „Puppchen“ bezeichnet.

Im Unterschied zum 6/12 PS von 1909, der nur einen Zweizylindermotor (1,5 Liter) besaß, kam das „Puppchen“ mit einem modernen Vierzylinder (1,2 bis 1,4 Liter) daher. Ein besonders reizvolles Foto eines solchen frühen 5 PS-Opel folgt gelegentlich.

Ebenfalls 1911 stellte Opel den etwas stärkeren Kleinwagentyp 6/16 PS vor. Solch ein Fahrzeug  – wenn auch mit etwas späterem Baujahr – zeigt das folgende Foto, das einst in Jauer in Niederschlesien (heute Polen) entstand:

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Opel 6/16 PS von ca. 1913, aufgenommen in Jauer (Niederschlesien); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wer nun in den Standardwerken zu frühen deutschen Wagen von Schrader und seinem Vorläufer von Fersen nachschlägt, wird dort nahezu nichts zum Opel 6/16 PS-Modell finden – kein Bild, keine Prospektabbildung, keine technischen Daten.

Dieser Mangel ist nur eines von vielen Beispielen für den Bedarf nach Nachfolgern dieser stark veralteten und oft fehlerhaften Werke (die dennoch unverzichtbar sind).

Angesichts der Ausgangsituation mag man sich fragen, wie der Verfasser auf die Zuschreibung „Opel 6/16 PS“ gekommen ist. Dazu werfen wir erst einmal den üblichen Blick auf die Frontpartie:

Opel_6-16_PS_Tourer_Foto_Gorski_Jauer_Frontpartie

Auch wenn das ovale Emblem auf dem Kühler nicht lesbar ist, sprechen zwei Merkmale für ein kleines Modell von Opel aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg:

  • birnenförmiger Kühler mit markentypischem Verschlussdeckel
  • leicht angeschrägte Luftschlitze in der kurzen Motorhaube

Form der Nabenkappe, Zahl der Radbolzen und Trittbretthalterung am Rahmen entsprechen ebenfalls vollkommen den Verhältnissen bei Opel-Vorkriegsmodellen.

Irritierend sind auf den ersten Blick die vor 1918 unüblichen elektrischen Scheinwerfer. Sie sprechen wie die Gestaltung der Werbung für „Auto Nitsche“ im Hintergrund dafür, dass dieses Foto nach dem 1. Weltkrieg entstanden sein muss.

Das Auto selbst ist aber ganz klar ein Vorkriegsmodell. Zum einen begann Opel schon 1914, seine Wagen mit dem modischen Spitzkühler auszustatten, der nach Kriegsende einige Jahre Standard bleiben sollte.

Zum anderen verweisen die geschwungene seitliche Linienführung und das Fehlen eines Schwellerblechs ebenfalls auf die Zeit vor 1914:

Opel_6-16_PS_Tourer_Foto_Gorski_Jauer_Seitenpartie

Könnte das aber nicht eines der erwähnten „Puppchen“-Modelle 5/12 bzw. 5/14 PS sein, die von 1911 bis 1915 gebaut wurden?

Nun, die Ähnlichkeit ist vorhanden, aber einige Details passen nicht. Zu nennen ist vor allem die zweigeteilte Frontscheibe. Auf Abbildungen des Puppchens ist nach Kenntnis des Verfasser stets nur eine einteilige Scheibe zu sehen.

Des weiteren scheint der Opel auf dem Foto geräumiger und komfortabler ausgestattet zu sein. Nicht zuletzt wirken seine Vorderschutzbleche kräftiger.

Dumm nur, dass selbst die treffliche Opel-Fahrzeugchronik (Bartels/Manthey, Podszun-Verlag 2012) nur Bilder von 6/16-Modellen von 1911/12 zeigt, deren Aufbauten formal traditioneller waren als die Karosserie auf unserem Foto.

Zum Glück lieferte jedoch die Bildersuche im Netz auf der Website der Alt-Opel IG einen vollkommen entsprechenden Wagen des Typs Opel 6/16 PS.

Das ist ein schöner Erfolg und zeigt, wie sich Lücken in der Dokumentation bedeutender Automarken auch anhand historischer Fotos schließen lassen. Eines haben wir uns noch für den Schluss aufgehoben:

Betrachtet man das Erscheinungsbild des wohlgenährten Herrn am Lenkrad, denkt man an eine Entstehung des Fotos in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre. Damit wären wir in derselben Zeit wie auf dem Foto des eingangs gezeigten Opel 4/16 PS.

Die beiden 16 PS-Opels hätten sich einst also durchaus begegnen können, obwohl ihre Entstehungszeit rund 15 Jahre auseinanderlag. Vergleichen wir doch einmal die Modelle in der Papierform:

  • Beide haben auf den ersten Blick dieselbe Leistung, der Opel 6/16 PS leistet aber tatsächlich 18 PS bei lediglich 1.750 Umdrehungen gegenüber 16 PS beim späteren Typ mit 4 Steuer-PS, der dafür 2.800 Umdrehungen benötigt.
  • Der 6/16 PS verfügt über 1,5 Liter Hubraum, der jüngere 4/16 PS über lediglich 1 Liter, womit er steuerlich vorteilhafter war.
  • Beide Modelle besitzen seitlich stehende Ventile, was bis in die 1930er Jahre Standard bei Kleinwagen bleiben sollte.
  • Ob die Batteriezündung des späteren 4/16 PS-Modells einen Vorteil gegenüber der batterielos funktionierenden Magnetzündung des 6/16 PS-Typs darstellte, mögen Kenner der Materie entscheiden.
  • Erwachsener war sicher die 4-Gang-Schaltung des frühen 6/16 PS-Opels; der „Laubfrosch“ musste zeitlebens mit 3 Gängen auskommen.

Dass der Opel 4/16 PS letztlich doch das modernere Auto war, ist an den Vierradbremsen, der höheren Endgeschwindigkeit (70 km/h ggü. 60 km/h) und dem weit geringeren Benzinverbrauch festzumachen (6,5 ggü. 9,5 Liter/100 km).

Trotzdem musste sich Ende der 1920er Jahre der gemütliche Besitzer des „Veteranen“-Opel 6/16 PS von ca. 1913 nicht vor dem fast 15 Jahre jüngeren „Jungspund“ aus Rüsselsheim mit seinem französischem Einschlag verstecken.

Man fragt sich, weshalb Opel angesichts der Erfahrung und des Erfolgs mit Kleinwagen  – der 6/16 PS wurde nach dem 1. Weltkrieg bis 1920 weitergebaut – später nicht imstande war, auf dieser Basis selbst einen moderneren Wagen zu entwickeln.

In der dem Verfasser zugänglichen Literatur findet sich dazu kein Wort. Hatte Opel kriegsbedingt fähige Konstrukteure verloren oder waren diese zu anderen Marken abgewandert?

Bemerkenswerterweise bemühte sich Opel beim 4 PS-Modell auch formal – von der etwas anderen Kühlermaske abgesehen – nicht um Eigenständigkeit. Oder entsprachen Fahrwerk und Antrieb im Detail vielleicht gar nicht so sehr dem Citroen, wie es heißt?

Wer hierzu Näheres beizusteuern weiß, kann dazu gern die Kommentarfunktion nutzen. Vielleicht erfahren wir ja so doch noch etwas mehr über die dunklen Seiten der  Familiengeschichte des Opel 4 PS-Modells…

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Ein Traum wird wahr: Im 3er BMW nach Italien

Bis Mitte der 1950er Jahre waren Vorkriegsautos in Deutschland allgegenwärtig.

Zwar hatte der Krieg den Fahrzeugbestand gewaltig dezimiert. Doch die wenigen Privatwagen und zahlreiche bei Kriegsende mit leerem Tank irgendwo gestrandeten Zivil-PKW der Wehrmacht liefen mangels Alternativen weiter.

Wer wenige Jahre nach der Kapitulation in einem von der Kriegsfurie weitgehend verheerten Land ein Automobil sein eigen nannte, konnte sich glücklich schätzen. Noch glücklicher, wer sich damals einen Urlaub im sonnigen Süden leisten konnte.

Hier haben wir ein Foto, das von einer Italienfahrt im Vorkriegs-BMW Anfang der 1950er Jahre erzählt, mit der sich wohl jemand einen alten Traum wahr machte:

BMW_Nachkrieg_Italien_Galerie

BMW der 3er Serie; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die an den markanten Doppelnieren als BMW erkennbare Limousine trägt noch ein Besatzungskennzeichen aus der amerikanischen Zone Bayern (AB). Die Kennung „68“ verrät, dass der Wagen einst im Städtchen Wolfratshausen zugelassen war.

Bevor uns mit der Identifikation des genauen Typs befassen: Woher wissen wir, dass diese Aufnahme in Italien entstand?

Nun, das verrät uns das Hinweisschild mit dem Kürzel A.C.I. hinter dem BMW:

BMW_Nachkrieg_Italien_ACI

Wer in der Schule Lateinunterricht genossen hat, mag mit A.C.I. zunächst den „Accusativus cum infinitivo“ verbinden – kurz Aci. Doch handelt es sich nicht um die von unaufmerksamen Schülern gefürchtete, sprachlich logische Konstruktion.

In entlegenen Regionen Italiens stößt man bisweilen noch auf das gleiche Schild mit dem verstellbaren Schraubenschlüssel, der hierzulande als „Engländer“ bekannt war, obwohl es ihn in gleicher Ausführung auch in Frankreich und Deutschland gab.

A.C.I. steht für „Automobile Club Italiano“ -im weitesten Sinne der italienische ADAC. Leider sind die näheren Angaben auf dem Schild nicht lesbar, sonst könnten wir den Aufnahmeort wohl recht genau bestimmen.

So wissen wir nur, dass dieser BMW einst auf einer der Nebenstraßen haltmachte, die ab den 1930er Jahren das bis dato kaum erschlossene ländliche Italien zugänglich machte.

Was lässt sich aber zu dem BMW auf diesem sommerlichen Foto sagen?

BMW_Nachkrieg_Italien_Detail

So detailreich die Aufnahme auf den ersten Blick auch erscheint, erweist sich der Fall als schwierig.

Halten wir fest: Kühlergrill mit Doppelniere wie an den Typen

  • 303 (Bj. 1933-34),
  • 309 (Bj. 1934-36),
  • 315 (Bj. 1934-37),
  • 319 (Bj. 1935-37).

Die unterschiedlich motorisierten BMWs waren äußerlich an Details auseinanderzuhalten, die aus dieser Perspektive nicht erkennbar sind.

Versuchen wir dennoch eine Annäherung. Beginnen wir mit der spätesten und stärksten in Frage kommenden Variante, dem Sechszylindertyp BMW 319:

BMW_319_Limousine_Galerie

Hier scheint alles übereinzustimmen – Kühler, Scheinwerfer, Stoßstange, Rahmen der unten ausstellbaren Frontscheibe. Nur die drei Chromleisten auf den horizontalen Luftschlitzen in der Motorhaube sind auf dem Ausgangsfoto nicht zu sehen.

Zudem verfügt der BMW 319 auf obigem Foto über zwei Scheibenwischer – nicht bloß einen wie der in Italien aufgenommene Wagen. Wie bei DKW dürfte dieses Detail jedoch nur ausstattungsabhängig gewesen zu sein.

Auf ein Detail macht jedoch Leser Andreas Moskart aufmerksam: die umlaufende Sicke an den Vorderschutzblechen – achten wir bei den nächsten Bildern darauf.

Werfen wir einen Blick auf den Vorgänger des BMW 319 – den ebenfalls mit 6-Zylinder-Motor ausgestatteten Typ 315:

BMW_315_Rallye_Galerie

Wesentliches Unterscheidungsmerkmal sind hier die auf mehrere Felder verteilten kleineren Luftschlitze mit jeweils einer waagerechten Zierleiste. Auf unserem Ausgangsfoto ist die entsprechende Partie leider verschattet.

Übrigens besitzt auch der BMW auf dem zuletzt gezeigten Foto einen verchromten Windschutzscheibenrahmen und zwei Scheibenwischer. Besagte Sicke an den Frontschutzblechen fehlt.

Dass es bei sonst identischer Karosserie auch anders ging, zeigt folgende Aufnahme:

BMW_309_Eschwege_Bengsch_Ausschnitt

BMW 309; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Hier ist nur ein Scheibenwischer auf der Fahrerseite und ein in Wagenfarbe lackierter Scheibenrahmen zu sehen.

Diesen BMW auf einem Foto von Leser Marcus Bengsch konnten wir (hier) als kleinen Vierzylindertyp 309 identifizieren, der ab 1934 gebaut wurde. Möglich war die Ansprache nur aufgrund der Anordnung der Luftschlitze in der Motorhaube. 

Auch hier ist die erwähnte umlaufende Sicke an den Vorderkotflügeln nicht zu sehen

Um die Verwirrung vollständig zu machen, zeigen wir noch eine Aufnahme des ersten BMWs, den die charakteristische Doppelniere zierte:

BMW_303_GalerieHier haben wir einen BMW des Sechszylindertyps 303 vor uns, der im Jahr 1933 vorgestellt wurde.

Er war der erste BMW, der die Doppelniere am Kühler trug und unterschied sich vom ein Jahr später eingeführten 309 äußerlich nur durch die direkt ins Blech eingestanzten und etwas weiter oben endenden Luftschlitze in der Haube.

Da wir auch hier den lackierten Frontscheibenrahmen und nur einen Scheibenwischer sehen, scheidet die Hypothese aus, dass diese Details Merkmale von Vierzylindertypen waren.

Leider ist dem Verfasser keine Literatur bekannt, die sich ähnlich akribisch mit den BMW-Vorkriegsmodellen beschäftigt, wie das beispielsweise bei den einstigen Marken des Auto-Union-Verbunds (Audi, DKW, Horch, Wanderer) der Fall ist.

Von daher muss bis auf weiteres offen bleiben, welcher BMW-Typ genau da in der frühen Nachkriegszeit irgendwo in Italien unterwegs war. Nur den Typ 319 können wir dank des Hinweises von Leser Andreas Moskart ausschließen.

Klar ist: Hier verwirklichte sich einst jemand einen Traum vom Süden, den der Verfasser sehr gut nachvollziehen kann. Im eigenen Wagen über die Alpen nach Italien zu fahren, das ist ein besonderes Erlebnis, ob mit 22, 30 oder 34 PS.

Das waren die Höchstleistungen, die die 3er BMWs in den frühen 1930er Jahren boten. So ändern sich die Zeiten – nur Italien bleibt, was es schon immer war: ein Traum…

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Taxifahrt nach Rapallo im Fiat 520 Tourenwagen

Heute konnte der Verfasser dieses Blogs für Vorkriegsautos auf alten Fotos mehrere unbekannte Fahrzeuge auf Bildern in seinem Fundus näher bestimmen.

In einigen Fällen ist der Erwerb ergänzender zeitgenössischer Reklamematerialien nötig, um ein umfassendes Bild der jeweiligen Autotypen zeichnen zu können.

Kostenlos ist so ein Hobby nicht zu betreiben. Doch konstant über 1.500 Besucher pro Monat, der Zuspruch, die Anmerkungen und Bilderbeiträge von Lesern sind Lohn genug. Zum Glück ist die Sache (noch) nicht vergnügungssteuerpflichtig…

Einen der neu identifizierten Wagen können wir schon heute zeigen. Der Typ ist an sich ein alter Bekannter, aber auch das will ja erst einmal ermittelt werden:

Fiat_520_Fahrt_nach_Rapallo_Galerie

Fiat 520 Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Anblick eines solchen klassischen Tourenwagens der 1920er Jahre ist immer wieder eine Freude, selbst wenn das Auto erst einmal ein Rätsel darstellt.

Dabei wissen Leser dieses Blogs, dass der Verfasser gar kein besonderer Anhänger dieses sachlichen Stils ist, den viele Großserienhersteller ab 1925 pflegten.

Die kastigen Türen und die statische waagerechte Linie der Gürtellinie des Wagens lassen die Spannung vermissen, die speziell deutsche Autos noch Anfang der 1920er Jahre auszeichnete.

Hier zum Vergleich ein Stoewer des Typs D3, aufgenommen im Jahr 1921:

Stoewer_D3_1921_Galerie

Stoewer D3; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser schon im Stand dynamisch wirkende Tourenwagen mit v-förmig geteilter Frontscheibe trifft eher den Geschmack des Verfassers dieses Blogs – aber solche Stilfragen sind immer subjektiv. 

Im 21. Jahrhundert, in dem (bislang) bei vielen Automobilen keine nachvollziehbare gestalterische Logik mehr obwaltet, sind die klaren Linien des Wagens auf dem eingangs gezeigten Foto jedenfalls eine Wohltat.

Dabei mag eine Rolle spielen, dass es sich um ein Auto aus Italien handelt, dem Mutterland fast aller Schönheit, die Europa einst auszeichnete.

Der handschriftliche Vermerk auf der Rückseite des Abzugs gibt einen Hinweis in dieser Richtung: „Fahrt nach Rapallo“ steht dort geschrieben. Also entstand das Foto unweit des traditionsreichen Badeorts im italienischen Ligurien.

Schauen wir genauer hin:

Fiat_520_Fahrt_nach_Rapallo_Frontpartie

Auf drei Elemente sei der Betrachter hingewiesen:

  • den markant profilierten Chromring am Frontscheinwerfer,
  • den oben spitz zulaufenden Ausschnitt des Armaturenbretts,
  • den Abstand des oberen Abschlusses der Luftschlitze von der Zierleiste auf der Motorhaube.

Das erscheint erst einmal wenig charakteristisch. Doch folgendes Vergleichsfoto macht deutlich, dass genau diese Details eine Identifikation erlauben:

Fiat_520_3_Frontpartie

Man muss hier nichts mehr eigens aufzählen. Praktisch alle Details stimmen überein, sogar die Gestaltung des Verschlusses am Batteriekasten!

Das Vergleichsfoto zeigt einen Fiat des 6-Zylindertyps 520, der ab 1927 gebaut wurde (Porträt). Es war übrigens der erste Serien-Fiat mit Linkslenkung, ein weiteres Indiz dafür, dass das Foto der Fahrt nach Rapallo ebenfalls so einen Wagen zeigt.

Mit dem Fiat 520 boten die Turiner eine kompaktere Alternative zu ihrem seit 1926 gebauten 3,5 Liter-Sechszylindertyp 512 an. Der Typ 520 leistete ebenfalls 46 PS, aber bei einem Hubraum von nur 2,2 Litern.

In einer noch kleineren Version mit 1,9 Litern war der Fiat 520 als Taxi verfügbar. So einen Wagen haben wir nach der Lage der Dinge vor uns:

Fiat_520_Fahrt_nach_Rapallo_Insassen

Gut zu erkennen ist hier die Linkslenkung. Der Fahrer dieses Taxis trägt die damals übliche Chauffeursmütze. Wenn es nach dem Verfasser ginge, könnte man bei heutigen Taxifahrern gern wieder dieses uniforme Outfit einführen…

Ein Wort aus heutiger Sicht sei noch zum Aufnahmeort nahe Rapallo erlaubt:

Im berühmten Vertrag von Rapallo vereinbarten die einstigen Kriegsgegner Deutschland und Russland 1921 den Verzicht auf Reparationszahlungen und die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen.

Den westlichen Alliierten gefiel dieser Schachzug nicht – dabei wäre ihnen (und uns) bei einer ähnlichen Annäherungspolitik das national-sozialistische Regime und der 2. Weltkrieg wohl erspart geblieben.

Übrigens: Dieser Fiat und alle ab Mitte der 1920er Jahre gebauten Wagen der Turiner Marke verfügten bereits über Vierradbremsen. Kein Grund also, im 21. Jahrhundert Angst vor Vorkriegsautos zu haben….

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Charakterkopf mit vielen Facetten: Wanderer W21/22

Heute treffen wir einen alten Bekannten mit viel Charakter, dem sich immer wieder neue Facetten abgewinnen lassen. Die Rede ist von den 6-Zylindertypen W21/22 der sächsischen Traditionsmarke Wanderer.

Die beiden 35 bzw. 40 PS leistenden Modelle wurden von 1933 bis 1935 gebaut – zu einer Zeit also, als die im Auto-Union-Verbund zusammengefassten Herstellern Audi, DKW, Horch und Wanderer nur noch bedingte Unabhängigkeit genossen.

Doch tatsächlich profitierte das Profil der Marken von dem Zusammenschluss. Unter der Federführung des Horch-Gestaltungsbüros bekamen die Fahrzeuge der vier Marken ein durchweg hochkarätiges Erscheinungsbild verpasst.

So erhielten die neuen Wanderer-Typen W21/21 eine Kühlerpartie, die eigentlich für einen Horch-Luxuswagen vorgesehen war. Kennzeichnend waren die V-förmig nach oben weisenden Doppelstreben in der dynamisch gezeichneten Kühlermaske sowie die zwei Reihen schräggestellter Luftschlitze:

Wanderer_W21_und W22_Reklame_Galerie

Reklame für die Wanderertypen W21/W22 von 1933; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Diese raffinierte Reklame ließ das neue Modell besonders sportlich und die Konkurrenz – speziell von Mercedes – alt aussehen.

Hier beginnt bereits unser Rundgang durch die facettenreiche Karosseriepalette, die die die beiden Typen W21/22 von Wanderer auszeichnete.

Die oben abgebildete vierfenstrige Limousine war dem schwächeren 35 PS-Modell W21 vorbehalten. Beim 40 PS leistenden W22 wurde die Limousinenausführung dagegen mit sechs Fenstern geliefert:

Wanderer_W22_Sammelbild_Galerie

Wanderer W22 Limousine; originales Zigarettenbild aus Sammlung Michael Schlenger

Das obige Zigarettensammelbild ist ein interessantes Beispiel dafür, dass man zeitgenössischen Zeichnungen von Vorkriegsautos nicht immer trauen kann. Hier ist nämlich nur eine Reihe durchgehender Luftschlitze in der Haube zu sehen.

Dass es das bei den Wanderer-Typen W 21/22 nicht gab, weiß man spätestens, wenn man das hervorragend bebilderte Standardwerk „Wanderer-Automobile“ von Erdmann/Westermann (Verlag Delius-Klasing, 2011) studiert hat.

Man ist deshalb gut beraten, sich an Originalfotos im Alltag betriebener Fahrzeuge zu orientieren. Selbst Werksfotos können Details zeigen, die es in der Serie nicht gab.

Zum Glück können wir mit einer Vorkriegsaufnahme der 6-Fenster-Limousine des Typs W22 aufwarten:

Wanderer_W22_Tankstelle_Sachsen_Galerie

Wanderer W22 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wir hatten diese reizvolle, an einer DEROP-Tankstelle in Sachsen entstandene Aufnahme hier bereits besprochen.

Selbst auf einem technisch schlechten Foto wie dem folgenden erlaubt die Zahl der Seitenfenster (bzw. der Mittelsäulen auf der Fahrerseite) die Identifikation als Wanderer des Typs W22 8/40 PS:

Wanderer_W21_oder_22_Galerie

Übrigens wurde der Wanderer einst vor dem Schiffshebewerk Niederfinow abgelichtet, das 1934 in Betrieb genommen wurde und noch heute (2018) seinen Dienst verrichtet (danke an Leser Klaas Dierks für diese Detailinformation).

Ebenfalls nur beim stärkeren Wanderer W22 gab es ein zweitüriges Cabriolet, dessen Aufbau bei Gläser in Dresden entstand. Leider konnten wir davon bislang nur ein Exemplar auf folgender Ausschnittsvergrößerung ausfindig machen:

Wanderer_W22_DKW_Hohewacht_Ausschnitt1

Das reizvolle, weit größere Originalfoto und die Besprechung sind hier zu finden.

Eine weitere offene Version war der Tourenwagen, der ebenfalls nur beim Wanderer W22 verfügbar war. Den Aufbau dieses in den 1930er Jahren meist nur noch von Behörden bestellten Karosserietyps lieferte Buhne aus Berlin.

Wanderer_W22_Phaeton_Plymouth_1937_Peugeot_402_Ausschnitt2

Wanderer W22 Phaeton in Paris; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Mehr zu diesem bemerkenswerten 1940/41 in Paris entstandenen Foto findet sich hier.

Aufmerksame Leser werden bemerkt haben, dass bislang nur alte Bekannte besprochen wurden, wenn auch in einer Zusammenstellung, deren Leitmotiv die unterschiedlichen verfügbaren Karosserievarianten sind.

Alle davon können wir noch nicht anhand zeitgenössischer Originalfotos dokumentieren. Zum einen fehlt die Cabrio-Limousine des W21, zum anderen die bei W21 und 22 verfügbare (sehr seltene) Kombi-Version mit großer Heckklappe.

Wer bisher Kombis für eine Nachkriegserfindung hielt, wird erkennen: alles schon früher dagewesen.

Kommen wir nun zum eigentlichen Höhepunkt des heutigen Blog-Eintrags. Denn es gibt eine weitere Karosserievariante des Wanderer W21/22, die wir noch nicht anhand eines historischen Originalfotos dokumentiert haben.

Die Rede ist von der 4-Fenster-Limousine des W21, die auf der eingangs gezeigten Wanderer-Reklame zu sehen ist. Da haben wir etwas Feines im Angebot

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Wanderer W21 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Mal ehrlich: Besser hätte auch eine Werksfotografie die Schokoladenseite des Wanderer W21 kaum einfangen können. Hier glaubt man gern, dass diese majestätische Frontpartie einst einem Horch-Luxusmodell zugedacht war.

Sehr wirkungsvoll die Positionierung des prachtvollen Wanderer am Rand einer einsamen Landstraße mit karger Herbst- oder Winterlandschaft als Hintergrund.

Kontrast und Tiefenschärfe sind perfekt, dabei ist das bloß eine Privataufnahme, die auf einem winzigen Abzug erhalten geblieben ist. Doch wie soll man hier erkennen, dass das eine 4-Fenster-Limousine des Wanderer W21 ist?

Nun, zusammen mit dieser schönen Aufnahme wurde ein weiteres Foto mitgeliefert, das bei derselben Gelegenheit entstand:

Wanderer_W21_2_Galerie

Wanderer W21 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier ist deutlich zu erkennen, dass wir es mit einer Vierfenster-Limousine zu tun haben, die es nur in der schwächeren Version als Wanderer W21 7/35 PS gab.

Da dem Wagen die ab Mitte 1934 auf der Mittelstrebe der Kühlermaske montierten Auto-Union-Ringe fehlen, lässt sich dieser Wagen als frühes Exemplar des Wanderer W21 ansprechen.

Nur wenige tausend Stück davon entstanden in Manufaktur – übrigens im Zwickauer Horch-Werk. Selbst auf historischen Fotos findet man das Modell daher eher selten.

Doch wenn nicht alles täuscht, ist auf folgender Postkarte aus Hamburg in der Mitte ein Exemplar davon zu sehen:

Wanderer_W22_Bahnhof_Hamburg_Galerie

Wanderer W22 Cabriolet vor dem Hamburger Hauptbahnhof; Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Da es sich um ein Cabriolet handelt, muss es ein Wanderer des Typs W22 8/40 PS mit Karosserie von Gläser sein. Die einstige sächsische Autobaukunst wurde demnach auch von den sonst so nüchternen Hanseaten geschätzt…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ganz schön eingesaut: Austro-Daimler ADM Limousine

Zufälle gibt’s! Fast auf den Tag genau vor einem Jahr wurde in diesem Blog für Vorkriegsautos hier ein wunderbares Originalfoto desselben Wagentyps besprochen, mit dem wir uns heute – wieder einmal – befassen.

Die beiden Fahrzeuge und auch die Aufnahmesituation könnten aber kaum unterschiedlicher sein.

Damals hatten wir es mit einem Foto zu tun, auf dem jemand die Atmosphäre eines Sommerabends festgehalten hatte – mit einem Austro-Daimler ADM in der Ausführung als offener Tourenwagen:

Austro-Daimler_ADM_Tourer_Galerie

Austro-Daimler Typ ADM Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der selbstbewusste Herr im ländlichen Outfit täuscht nicht darüber hinweg, dass wir hier einen veritablen Luxuswagen vor uns haben, von dem nur einige hundert Exemplare in Manufaktur entstanden.

Der Typ ADM war das letzte Modell von Austro-Daimler, das auf eine Konstruktion von Ferdinand Porsche zurückging, der die Firma 1923 wieder verließ.

Motorisiert war der Wagen mit einem kopfgesteuerten 6-Zylinder mit Aluminiumblock, der 45 PS Höchstleistung aus 2,6 Liter Hubraum schöpfte. Das wahre Potential dieses hochkarätigen Aggregats zeigte sich freilich erst in den weit stärkeren Sportversionen.

Für die damaligen Käufer der Serienausführung zählten dagegen die anstrengungslose Kraftentfaltung des elastischen Antriebs und das für damalige Verhältnisse ausgezeichnete Fahrwerk mit den zupackenden Vierradbremsen.

Hier ein zeitgenössischer Bericht aus der Allgemeinen Automobil Zeitung von 1923, frei wiedergegeben nach „Austro Daimler“ von Franz Pinczolits, Weilburg Verlag, 1986:

„Mit der Lautlosigkeit eines Elektromobils setzte sich der Wagen in Bewegung…Je weiter wir aus der Stadt kamen, desto deutlicher ließ er die Vorzüge seiner Federung erkennen, denn die Güte der Fahrbahn nahm immer weiter ab…Reichlicher Regen hatte aus den Straßen einen Superlativ an Miserabilität gemacht… Dennoch ging es im Sturm die steile und enge Straße bergauf, durch Pfützen und über bloßgelegten Schotter. Die leere Straße gestattete ein beherztes Loslegen, die Räder jagten ganze Sturzseen von Pfützwasser in die Hecken…“

Auch wenn der Bericht ganz schön dick aufträgt, verrät er die Begeisterung, die der neue Sechszylindertyp ADM bei den Zeitgenossen weckte. Er lässt auch die Unbekümmertheit erkennen, mit denen ein solches Luxusautomobil über die damals kaum befestigten Pisten gescheucht wurde.

Die Beschreibung dieser Testfahrt über aufgeweichte Landstraßen hinauf auf den Kahlenberg bei Wien ist die ideale Überleitung zu dem Foto, das wir heute präsentieren wollen:

Austro-Daimler_ADM_Limousine_Galerie

Austro-Daimler Typ ADM Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Obwohl dieser hochwertige Wagen ebenfalls von einer Fahrt durch Pfützen und Schlamm ganz schön eingesaut ist, macht man wie selbstverständlich eine Aufnahme des Prachtstücks und das auch noch mit Blick auf den verdreckten Innenkotflügel.

Dabei machte der Austro-Daimler vom Schmutz abgesehen einen fast neuwertigen Eindruck und befand sich noch nicht bei irgendwelchen Zweit- oder Drittbesitzern mit wenig Sinn für Fahrzeugpflege.

Wir können daraus schließen, dass es für die Eigner dieser Luxuslimousine keinen Makel darstellte, wenn das teure Gefährt so daherkam. Kein Wunder – bei den damaligen Straßen sahen die Autos in der regenreichen Jahreszeit eigentlich ständig so aus.

Versehentlich hatte der Fotograf die Zone der größten Schärfe auf den verdrecktesten Teil des Wagens gelegt. Dennoch erkennen wir auf den übrigen Partien genug, um den Typ genau identifizieren zu können:

Austro-Daimler_ADM_Limousine_Frontpartie Oben auf der Kühlermaske lässt sich das typische verschlungene Markenemblem von Austro-Daimler erkennen. Die Position der runden Reibungsstoßdämpfer spricht ebenso für das Modell ADM wie die Ausführung der Vorderschutzbleche.

Auf den mächtigen Trommeln der Vorderradbremsen zeichnet sich deutlich die der besseren Wärmeabfuhr dienende Verrippung ab. Die Drahtspeichenräder waren wie bei anderen österreichischen Herstellern jener Zeit serienmäßig.

Insgesamt ein Automobil der obersten Klasse, mit dem man in allen Belangen glücklich sein konnte. Dennoch scheint die Dame daneben alles andere als begeistert:

Austro-Daimler_ADM_Limousine_Personen

Warum sie wohl so ernst und abwesend schaut? Was sie bedrückt oder beschäftigt hat, werden wir nicht mehr erfahren. Auch gut betuchte Menschen können bekanntlich mit ihrem Schicksal hadern oder Sorgen haben.

Der großgewachsene Mann neben ihr dürfte der Ähnlichkeit nach zu urteilen der Sohn sein. Auch ihn scheint gerade anderes zu beschäftigen, er schaut jedoch in die Ferne.

Leider ist der Abzug umseitig nicht beschriftet, sodass wir weder Näheres zu den abgebildeten Personen noch zu Aufnahmeort oder -anlass wissen. Das Kennzeichen gibt immerhin etwas preis: Dieser Austro-Daimler Typ ADM war einst in Wien zugelassen.

Da es nicht viele von diesen teuren Wagen gegeben hat, lässt sich vielleicht durch Zufall doch mehr darüber in Erfahrung bringen. Am Ende existiert er sogar noch…

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Abschied vom Sommer: Audi Typ 225 Cabriolet

Pünktlich zum kalendarischen Herbstanfang am 21. September verabschiedete sich hierzulande der grandiose Sommer des Jahres 2018. Von nun an werden die Nächte wieder länger als die Tage – günstige Voraussetzungen für diesen Oldtimerblog…

Bevor es herbstlich wird – auch auf den hier gezeigten Fotos von Vorkriegsautos – darf sich die Leserschaft an einem letzten Gruß des scheidenden Sommers erfreuen:

Audi_225_Luxus_2-Fenster-Cabrio_Bengsch_Galerie

Audi Typ 225 Luxus, 2-Fenster-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Ignorieren wir für einen Moment den Drang, das prächtige Cabriolet zu identifizieren. Ist dies nicht ein traumhaftes Automobil, wie es typisch für die 1930er Jahre war?

Sparen wir uns den Vergleich mit dem, was heutzutage an offenen Wagen produziert wird. Die Ära solcher Manufakturwagen ist lange vorbei und Fotografien wie diese entstanden zuletzt vor 80 Jahren.

Dann kam die Katastrophe des 2. Weltkriegs und danach sollte nichts mehr so sein wie zuvor. Zu dokumentieren, was dabei verlorenging, das ist eine der vielen Motivationen dieses Blogs für Vorkriegsautos auf alten Fotos.

Blenden wir zurück ins Frühjahr 1936: Die zum Auto-Union-Verbund gehörende Marke Audi stellte damals eine technisch wie formal überarbeitete Version ihres seit 1933 gebauten Frontantriebsmodells vor.

Wer Frontantrieb für eine Errungenschaft der Nachkriegszeit hält, hält wohl auch Elektroautos eine Innovation des 21. Jahrhunderts. Fronttriebler bauten damals neben Audi erfolgreich unter anderem Adler, Citroen und DKW.

Die Audi Front-Modelle waren allerdings stückzahlenmäßig ein Misserfolg. Doch sie gehörten zum Elegantesten, was die deutsche Automobilindustrie in den 1930er Jahren zustandebrachte. Nur einige tausend Stück davon entstanden in Manufaktur.

Die am häufigsten gebaute Version war das Vierfenster-Cabriolet, das wir hier vorgestellt haben:

Audi_225_Luxus_Cabrio_4-sitzig_Galerie

Hier sieht man deutlich die auf der Kühlermaske thronende „1“, ab 1923 das Markenzeichen von Audi – die heute verwendeten vier Ringe waren dagegen das Emblem der Auto-Union, zu der Audi ab den 1930er Jahren gehört.

Die „1“ findet sich ebenso auf dem ersten Foto wieder wie die zwei Reihen Luftschlitze in der Haube, die tropfenförmigen Frontscheinwerfer und die elegant geformten Positionsleuchten auf den Schutzblechen – das sind die Hauptunterschiede des Audi 225 Luxus gegenüber dem Vorgänger:

Audi_225_Luxus_2-Fenster-Cabrio_Bengsch_FrontpartieIm Unterschied zu ersten Aufnahme haben wir hier jedoch das seltenere Zweifenster-Cabriolet des Audi 225 Luxus.

Die genauen Stückzahlen dieses ebenfalls von Gläser/Dresden gefertigten Aufbaus scheinen nicht bekannt zu sein. Mehr als einige hundert werden es nicht gewesen sein.

Das hochelegante Fahrzeug verfügte über einen kultivierten Sechszylindermotor mit 2,3 Liter Hubraum, der ab 1936 für deutsche Verhältnisse beachtliche 55 PS abwarf.

An die 110 km/h Spitzengeschwindigkeit waren damit drin – genug für die Autobahn – allerdings wurden nur seilzugbetriebene Bremsen geboten, damals schon veraltet.

Von höherer Leistung nahm man wohl auch aus Rücksicht auf die noch recht verschleißanfälligen Gelenke des Frontantriebs Abstand. Wer wollte außerdem mit einem derartigen Prachtexemplar auch rasen?

Wer sich so etwas leisten wollte, musste gut betucht sein – 6.675 Reichsmark waren für das 2-fenstrige Cabriolet hinzulegen. Die Positionsleuchten kosteten 22,50 Mark extra.

Die jungen Damen in dem Audi werden sich ihres privilegierten Status bewusst gewesen sein:

Audi_225_Luxus_2-Fenster-Cabrio_Bengsch_Insassen

Doch dann kam der Zweite Weltkrieg, der am Ende (fast) alle gleich machte. So wissen wir wie so oft nicht, was aus den einst so glücklichen Autobesitzern auf diesen alten Fotos in den stürmischen folgenden Jahren geworden ist.

Von dem prachtvollen Zweifenster-Cabriolet, das wir heute bewundern durften, hat offenbar nur ein einziges Exemplar überlebt

Literatur: Peter Kirchberg/Ralf Hornung: Audi-Automobile 1909-1940, Verlag Delius Klasing, 2015

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Unterwegs in Sachsen: Chevrolet „Six“ von 1931

Erst kürzlich war in diesem Blog wieder von der großen Beliebtheit amerikanischer Automodelle der späten 1920er und frühen 1930er Jahre in Deutschland die Rede.

Die Überlegenheit der US-Industrie war damals so offensichtlich, dass sich viele deutsche Autokäufer für einen „Amerikanerwagen“ entschieden – was den Misserfolg selbst schöner Modelle inländischer Nischenhersteller wie Hansa erklärt.

Ein sehr frühes Beispiel für die ungezwungene Offenheit, mit der man hierzulande amerikanischen Wagen begegnete, ist hier zu sehen:

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Chevrolet von 1923/24; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der sehr schlecht erhaltene Abzug zeigt nach einigen Retuschen einen Chevrolet von 1923/24 mit Zulassung im badischen Landkreis Villingen.

Die Identifikation des Herstellers war ausnahmsweise sehr einfach – das Emblem von Chevrolet hat es mit geringen Änderungen bis in die Gegenwart geschafft, wenngleich über die Fahrzeuge, die es heute tragen, eher der Mantel des Schweigens gedeckt sei…

Kurz vor und nach dem 1. Weltkrieg war Chevrolet neben Ford eine der Hauptstützen der Volksmotorisierung in den Vereinigten Staaten.

Da es in Deutschland seinerzeit keine ernstzunehmenden Initiativen in Richtung Demokratisierung der Mobilität gab, stimmten die widerspenstigen Autokäufer kurzerhand mit dem „Gasfuß“ ab und kauften zunehmend amerikanische Wagen.

Ihren Höhepunkt erreichte diese Bewegung wie gesagt Ende der 1920er/Anfang der 1930er Jahre. Nach wie vor wurde hierzulande der wachsende Bedarf in der Bevölkerung ignoriert oder allenfalls mit Geringschätzung zur Kenntnis genommen.

Das Ergebnis: Man wandte sich massenhaft anderen Anbietern zu, die nach offizieller Lesart für den anständigen Deutschen nicht in Betracht kamen. 

Verzweifelte Aufrufe der Verantwortlichen, sich konform zu verhalten und sich mit dem etablierten Angebot abzufinden, liefen beim automobilen Untertan ins Leere.

So entschieden sich vor rund 90 Jahren rund 40 % der deutschen Autokäufer für ein ausländisches Modell (einschließlich im Inland gebauter Fremdfabrikate).

Auch in Sachsen, damals Zentrum des deutschen Automobilbaus, sorgte das mangelnde Gehör der etablierten Anbieter dafür, dass man sich für die naheliegende Alternative entschied – amerikanische Wagen.

Hier haben wir ein schönes Beispiel dafür:

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Chevrolet „Six“ von 1931; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Bei dieser eindrucksvollen Sechsfenster-Limousine mit feinen Drahtspeichenfelgen handelt es sich um einen Chevrolet „Six“ des Modelljahrs 1931.

Nur acht Jahre trennen dieses großzügige Fahrzeug mit 50 PS von dem bescheidenen Vorgänger mit 22 PS auf der ersten Aufnahme.

So sah einst der Fortschritt in einer von heftigem Wettbewerb geprägten Industrie aus, während man sich in unseren Tagen hierzulande vermehrt anmaßt, die technologische Entwicklung nach sozialistischer Manier lenken zu müssen.

Übrigens war der Chevrolet in Sachsen zugelassen, im Raum Magdeburg genau gesagt (damals zu Sachsen gehörig). Ein schönes Beispiel dafür, dass man dort echte Qualität unabhängig von ihrer Herkunft als Bereicherung zu empfinden vermochte…

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Adieu, schöne Urlaubszeit: Citroen B14 Cabriolet

Eben hatten wir noch einen strahlenden Sommer, der kein Ende nehmen wollte, nun haben wir Anfang September und das Wetter mutet mit einem Mal fast herbstlich an – zumindest in der hessischen Wetterau, der Heimat des Verfassers.

Vielleicht bekommt der Sommer noch ein paar Tage lang eine Chance – doch eines ist klar: Die Urlaubszeit ist nun für die meisten von uns vorbei. Die Pflicht ruft – die einen an den Schreibtisch, die anderen in die Fabrikhalle, wiederum andere ins Freie.

Das war in der Vorkriegszeit vom Grundsatz her nicht anders, aber:

  • Schreibtischarbeit war ein Privileg weniger – heute beklagen ausgerechnet aus dieser Gruppe die meisten eine angeblich mangelnde „Work-Life-Balance“.
  • In den Fabriken gab es handfeste Arbeit – gefährlich, laut und anstrengend – heute grassiert die Angst vor dem Kollegen Roboter, der diese Arbeiten übernimmt.
  • Im Freien arbeiteten die meisten Leute, bei Wind und Wetter – heute wird die moderne Nahrungsmittelproduktion vor allem von Zeitgenossen angeprangert, die die Härten traditioneller Herstellung selbst keine Woche aushalten würden.

Die Beschäftigung mit Vorkriegsautos auf alten Fotos konfrontiert uns mit der Lebenswirklichkeit jener Zeit und rückt nebenbei einiges ins rechte Licht, was heute oft als Zumutung gilt – was nicht heißen soll, dass es heute keine Zumutungen gibt…

So sehr die Automobile und das Stilempfinden der 1920er und 30er Jahren faszinieren, so deutlich wird, wie exklusiv es war, wenn man sich eine Urlaubsaufnahme wie diese leisten konnte:

Citroen_B14_Cabrio_evtl_Schweiz_Galerie

Citroen B14 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

So inszeniert diese herrliche Aufnahme auch wirkt, handelt es sich „bloß“ um ein sehr gekonntes Privatfoto.

Möglicherweise waren diese Automobilisten gerade auf dem Rückweg aus dem Urlaub in der Schweiz oder Österreich – erkennt jemand die Landschaft wieder?

Ein befreundetes Paar – ebenfalls unterwegs im Automobil – wird diese schöne Situation verewigt haben und nach der Heimkehr Abzüge für alle Beteiligten versandt haben.

Ein Exemplar davon hat irgendwo die letzten rund 90 Jahre in einem Fotoalbum geschlummert und ist in unseren Tagen wieder zum Vorschein gekommen.

Während sich die Seeansicht heute wohl noch genauso darbietet, wird man dort einen so schönen Wagen wohl vergebens suchen:

Citroen_B14_Cabrio_evtl_Schweiz_Ausschnitt

Wie es scheint, handelt es sich um ein zweisitziges Cabriolet – möglich, dass es im Heck noch einen Notsitz gab.

Klar ist, dass dies ein Wagen der späten 1920er Jahre sein muss. Er vereint traditionelle Elemente wie den ausgeprägten Windlauf und die massive, nach vorn geschwungene A-Säule mit einigen eleganten Elementen.

Ins Auge fällt zum einen die verchromte Nabenkappe auf dem Scheibenrad mit filigraner Linierung. Zum anderen ist die Zweifarblackierung mit der breiten Zierleiste entlang der Seitenpartie ausgesprochen geschmackvoll.

Man vergleiche dieses Erscheinungsbild mit dieser schlicht anmutenden Limousine:

Citroen_B14_Limousine_Klausenpass_1928

Citroen B14; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auf den ersten Blick scheinen die beiden Wagen wenig gemeinsam zu haben, abgesehen davon, dass auch diese Citroen-Limousine des Typs B14 in einer Urlaubssituation aufgenommen wurde – nämlich 1928 am Klausenpass.

Doch vergleicht man die Schwellerpartie, fällt auf, dass beide Wagen an derselben Stelle eine Klappe oder ein Schubfach mit zwei Knöpfen besitzen – das kann kein Zufall sein.

Tatsächlich handelt es sich auch bei dem Cabriolet auf der ersten Aufnahme um einen Citroen B14, von dem zwischen 1926 und 1929 fast 140.000 Exemplare entstanden.

Nicht nur die Amerikaner, sondern auch die Franzosen hatten frühzeitig verstanden, dass das Geheimnis bezahlbarer Automobile in einer auf Massenproduktion getrimmten Konstruktion lag.

In Deutschland hatten nur Brennabor und Opel das halbwegs begriffen, wenngleich ihnen die Konsequenz fehlte. So kam es, dass auch Citroen in Deutschland durchaus Chancen sah, seine robusten und leistungsfähigen Wagen an den Mann zu bringen.

Der Typ B14 mit seinem 25 PS leistenden 1,5 Liter-Vierzylinder wurde sogar in Deutschland montiert, und zwar in Köln. Wir dürfen daher davon ausgehen, dass die Citroen-Wagen dieses Typs auf den beiden Fotos aus hiesiger Produktion stammten.

Während an der Ansprache des Citroen auf der ersten Aufnahme als Typ B14 Cabriolet kein Zweifel besteht, sind aus Sicht des Verfassers zwei Dinge unklar:

  • Man findet im Netz Fotos des Typs B14 mit durchlaufender Reihe von Luftschlitzen in der Haube ebenso wie mit auf die hintere Hälfte beschränkten Luftschlitzen. Was bedeutet dieser Unterschied?
  • Offene Versionen des Citroen B14 sind auf vielen Fotos dokumentiert, doch keines davon zeigt einen Aufbau wie diesen mit breiter Zierleiste an der Seitenpartie:

Citroen_B14_Cabrio_evtl_Schweiz_Ausschnitt2

Sicher können Citroen-Spezialisten diese Detailfragen beantworten. Der Blog-Eintrag zu dem Foto wird dann entsprechend angepasst, damit der Erkenntnisgewinn auch für künftige Leser festgehalten wird.

Willkommen sind auch Ideen, was die Personen angeht, die mit dem Cabriolet abgelichtet wurden. Die Menschen, aus deren Nachlass diese Fotos stammen, werden in diesem Blog ebenfalls gewürdigt, sie tragen oft zum Reiz der Aufnahmen bei.

Besonders ins Auge fällt das Paar, das vor der Kühlerpartie des Citroen posiert.

Citroen_B14_Cabrio_evtl_Schweiz_Ausschnitt3

Die Kombination aus kurzer Lederhose, langärmligem Oberhemd mit Krawatte und militärischem Haarschnitt wirkt auf den heutigen Betrachter verwirrend. Der besitzergreifende Gestus scheint seine Partnerin nicht im geringsten zu stören.

Was sind das für Landsleute – Österreicher vielleicht? Leider ist das Nummernschild verdeckt.

Möglich auch, dass wir hier Reisende aus Süddeutschland vor uns haben, die mit ihrem Citroen auf dem Heimweg waren und sich noch einmal in Urlaubsstimmung ablichten ließen, bevor sie wieder in ein prosaischeres Alltagsdasein zurückkehrten…

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1911-24: Das Hansa 8 PS-Modell im Wandel der Zeiten

Zu den bedeutenden deutschen Vorkriegsautomarken, deren Geschichte kaum überzeugend dokumentiert ist, gehört neben Brennabor, NAG, Presto und Protos auch Hansa.

Die Ursprünge der Marke lassen sich bis 1905 zurückverfolgen. Damals wurde im oldenburgischen Varel die Hansa Automobil-Gesellschaft gegründet, die einige Zeit Wagen unter der Marke HAG mit Motoren nach DeDion-Bauart fertigte.

Schon 1907 stellte man einen selbstkonstruierten Vierzylindermotor vor:

Hansa_Typ_A12_6-12_PS_1908_Galerie

HAG Typ A 12, zeitgenössische Prospektabbildung von 1908

Markentypische Elemente sind bei diesem 6/12 PS-Modell noch nicht zu erkennen. Zeitgenössisch ist die rechtwinklig auf die hintere Schottwand treffende Motorhaube – meist ein guter Datierungshinweis bei deutschen Autos aus der Zeit vor 1910.

Ab 1911 entstand dann ein Modell der Steuerklasse 8 PS mit 20 PS aus 2,1 Liter Hubraum, das den Anfang unserer Zeitreise markiert.

Der Wagen war mit dem strömungsgünstigen Übergang zwischen Haube und Frontscheibe – als Windlauf oder Torpedo bezeichnet – auch formal auf der Höhe:

Hansa_Typ_C_8-24_PS_Galerie

Hansa Typ C 8/24 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese schöne Aufnahme zeigt sehr wahrscheinlich das ab 1913 gebaute, etwas stärkere 8/24 Modell, das sich äußerlich nur geringfügig vom 8/20 PS-Typ unterscheidet.

Auf S. 211 im älteren Standardwerk „Autos in Deutschland 1885-1920“ von Hans-Heinrich von Fersen findet sich das frühe 8/20 PS Modell (dort irrtümlich als 8/24 PS bezeichnet).

Das darauf aufbauende Nachfolgewerk „Deutsche Autos 1885-1920“ von Halwart Schrader zeigt dann ein korrekt beschriftetes Foto des Hansa 8/24 PS-Typs, das vollkommen mit unserer Aufnahme übereinstimmt.

Wir haben dieses nach dem 1. Weltkrieg entstandene Foto hier besprochen, daher nehmen wir uns nun die nächste Entwicklungsstufe des Hansa 8 PS-Modells vor.

Dabei handelt es sich um ein Übergangsmodell, dessen Motor bei unveränderten 2,1 Liter Hubraum offiziell 26, laut Literatur aber sogar 30 PS leistete. Möglich, dass dabei zwischen Dauer- und kurzfristiger Spitzenleistung unterschieden wurde.

Hier haben wir das gute Stück, das an die 80 km/h schnell war:

Hansa_Typ_P_8-26_PS_Galerie

Hansa Typ P 8/24 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei diesem fast sportlich anmutenden Tourenwagen erinnert der Schnabelkühler noch an die Entstehung des 8 PS-Modells in der Vorkriegszeit. Das abgebildete Fahrzeug haben wir hier bereits gezeigt.

Von nun an firmierte es als Typ P (nicht mehr Typ C), was bis Produktionsende 1928 beibehalten wurde. Zu den Erkennungsmerkmalen des Typs P 8 PS gehörten die nach innen gestanzten Luftschlitze – formal eine saubere und markante Lösung.

Während die Frontpartie des Wagens auf dem Foto bereits etwas lädiert ist, erscheint der hintere Aufbau noch sehr ansehnlich:

Hansa_Typ_P_8-26 PS_Seitentpartie2

Wer einen Sinn dafür hat, erkennt hier die spannungsreiche und körperhafte Gestaltung des konventionellen Tourenwagenaufbaus, wie sie Anfang der 1920er Jahre noch gängig war, die jedoch später einer streng sachlichen Auffassung wich.

Abgesehen von der farblich abgesetzten, raffiniert getreppten Schwellerpartie dominieren in der Seitenansicht leichte Schwünge und Bögen die Gerade wird vermieden.

Auch die Taillierung des Wagenkörpers zum Schweller hin ist eine Tradition der Vorkriegszeit, die sich im Lauf der 1920er Jahre ebenso verlor wie die ausdrucksstarken Kühlerformen (vgl. den vorherigen Blogeintrag).

Doch bevor wir dazu kommen, wollen wir der Leserschaft eine weitere Aufnahme des Übergangsmodells Hansa Typ P 8/26 PS nicht vorenthalten.

Es bezieht seinen Reiz unter anderem aus dem selten zu sehenden geschlossenen Verdeck und der Aufnahmesituation:

Hansa_Typ_P_8-26 PS_Dierks_Galerie

Hansa Typ P 8/26 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese exzellente Aufnahme verdanken wir Leser Klaas Dierks, der mit seinem sicheren Blick für fotografische Qualität und Gespür für außergewöhnliche Automobile diesem Blog schon einige Sternstunden bereitet hat.

Der Wagen auf diesem Foto stimmt in allen wesentlichen Details mit dem zuvor gezeigten Hansa Typ P 8/26 PS überein.

Allerdings ist hier der Schnabelkühler noch heile und man sieht die hansatypischen oberhalb der Luftschlitze angebrachten Griffmulden in der Motorhaube (vgl. auch die Aufnahme des Hansa Typ C 8/24 PS.)

Hansa_Typ_P_8-26 PS_Dierks_Frontpartie

Auf beiden Aufnahmen des Hansa Typs P 8/26 PS sind die Ausführung der Vorderschutzbleche, der Ersatzradmulde, des Halters für das Reserverad und der Haubenschlitze vollkommen identisch.

Weshalb auf dem ersten Foto besagte Griffmulden nicht zu sehen sind, muss offenbleiben. Die Identfikation der beiden Hansa-Wagen kann aber als gesichert gelten.

Auch kleine Unterschiede wie die abweichende Frontscheibenausführung können angesichts der Fertigung dieser Wagen in Manufaktur als unwesentlich gelten.

Einen näheren Blick ist das montierte Verdeck wert, das dem Hansa eine ganz andere Anmutung verleiht:

Hansa_Typ_P_8-26 PS_Dierks_Seitentpartie

Man sieht hier deutlich, dass ein ungefüttertes Tourenwagenverdeck nur notdürftigen Schutz bot, selbst bei Montage der seitlichen Steckscheiben blieb ein solches Auto eine zugige Angelegenheit.

Vergessen wir aber nicht: Fast die gesamte Bevölkerung Deutschlands war damals den Unbilden des Wetters völlig ungeschützt ausgesetzt – auf dem Weg zur Arbeit, bei der Feldarbeit oder auf dem Bau, beim Verwandtenbesuch mit dem Pferdegespann usw.

Unser ernst schauender Hansa-Fahrer wird gewusst haben, in welch‘ privilegierter Position er sich befand, und wenn er ein angestellter Chauffeur war. Möglicherweise wurde er anlässlich einer Ausflugstour von den Besitzern des Wagens fotografiert.

Nach Ansicht des Verfassers wurde das Foto im Rheintal in Fließrichtung links aufgenommen – eventuell auf der wildromantischen Strecke zwischen Bingen und Loreley. Wer’s genauer oder besser weiß, möge die Kommentarfunktion nutzen.

Kommen wir zum Abschluss unserer Reise durch die Zeit von 1911 bis 1924. In etwas mehr als zehn Jahren kam es – beschleunigt durch den 1. Weltkrieg – auf fast allen Ebenen zu ungeheuren Umwälzungen.

Dass eine neue Zeit angebrochen war – die, wie sich erwies, nicht unbedingt besser war als die des untergegangenen Kaiserreichs – zeichnete sich gegen Mitte der 1920er Jahre auch bei den bis dato meist konservativen deutschen Autoherstellern ab.

Der Tendenz zu einer sachlichen, mitunter arg schlichten und ans Belanglose grenzenden Linienführung ging auch an Hansa nicht vorbei.

Ab 1924 erhielt der Typ P eine erneute Leistungsspritze36 PS leistete der nach wie vor 2,1 Liter messende Seitenventiler nun – außerdem eine neue Kühlerpartie:

Hansa_Typ_P_Limousine_Stoßstange_Galerie

Hansa Typ P 8/36 PS; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Was hier durch eine Kühlermanschette für den Betrieb in der kalten Jahreszeit verdeckt ist, ist ein Flachkühler, wie ihn unzählige Wagen jener Zeit erhielten.

Gleichzeitig dominieren schlichte, kastenartige Aufbauten, die bei Serienmodellen nur selten Raffinesse entfalten. Daher sind viele Autos um die Mitte der 1920er Jahre schwer auseinanderzuhalten.

Umso wichtiger werden Details wie die unveränderte Gestaltung der Luftschlitze und der Griffmulden in der Motorhaube sowie die Form des Reserveradhalters – alles übrige könnte zu irgendeiner Limousine jener Zeit gehören.

Damit wären wir am Ende unserer Reise durch die Geschichte des Hansa 8 PS-Modells angelangt.

Möglich ist solch eine Exkursion nur auf Grundlage geduldigen Sammelns von Originalaufnahmen, akribischem und kritischem Studium der – oft spärlichen – Literatur und nicht zuletzt dank des Wissens und der Dokumente sachkundiger Leser…

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Letzter großer Auftritt: Benz 16/50 PS Tourenwagen

Nachdem wir im letzten Blogeintrag mit dem Mercedes-Benz 8/38 PS eine der ersten Neukonstruktionen nach der Fusion der beiden Marken (1926) vorgestellt haben, wollen wir heute ein Modell würdigen, das direkt zuvor von Benz gefertigt wurde.

Der Typ, um den es geht, stellt den Schlußstein in der Geschichte der großen Benz-Modelle dar, die in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg wurzelt. Eines dieser mächtigen Automobile haben wir vor längerer Zeit näher vorgestellt:

Benz_Landaulet_Galerie

Benz Landaulet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ganz genau ließ sich der Typ bislang nicht identifizieren, doch spricht einiges für ein großes Benz-Modell der Zeit zwischen 1910 und 1912, eventuell mit 6,3 Liter großem Vierzylinder und 45 PS.

Indizien für großvolumigen Benz-Modelle jener Zeit sind die Fläche des Kühlers und die Zahl der Speichen an den Rädern. Leider gibt es bis heute keine wirklich umfassende Darstellung der Benz-Typen, die auf solche Details eingeht.

Ebenfalls bereits gezeigt haben wir ein Benz-Modell der gleichen Größenklasse, das ein paar Jahre später entstand, nämlich ab 1914 – das verrät der Spitzkühler:

Benz_evtl_25-55_PS

Benz Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vermutlich haben wir hier den auf 55 PS erstarkten großen Vierzylindertyp der Zeit vor dem 1. Weltkrieg vor uns.

Benz führte die Tradition der Hubraumriesen mit Vierzylinder nach dem 1. Weltkrieg nicht weiter, bot aber ähnlich leistungsfähige Wagen in etwas modernisiertem Erscheinungsbild an – weiterhin mit dem typischen Spitzkühler.

Einen prächtigen Vertreter dieses sachlichen, doch überzeugenden Stils der frühen 1920er Jahre haben wir ebenfalls schon einmal vorgestellt:

Benz_16-50_PS_Luxemburg_Galerie

Benz Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei diesem beeindruckenden Benz, der in den 1930er Jahren in Luxemburg aufgenommen wurde, handelte es sich wohl um den 6-Zylindertyp 16/50 PS.

Dieser war das letzte große Modell der Mannheimer Traditionsmarke, das bis zum Ende der Eigenständigkeit gebaut wurde. Die Zahl der Luftschlitze in der Haube (20) und deren schiere Länge erlaubt die Abgrenzung von den 30 PS- und 40 PS-Typen.

Heute können wir nun ein weiteres Originalfoto dieses fast 5 Meter langen Benz-Modells zeigen. Es entstand vor genau 90 Jahren – im Juli 1928:

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Benz Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Umseitig ist auf dem Abzug vermerkt „Ausflug im Chefwagen in der Sächsischen Schweiz“.

Möglicherweise spendierte ein wohlmeinender Unternehmer einst einem verdienten Mitarbeiter diese Spritztour und nahm selbst mit Gattin auf der Rückbank Platz.

Eventuell sollte aber auch ein aufstrebender junger Angestellter einer der beiden Damen auf der mittleren Sitzbank „nahegebracht“ werden – eventuell den Töchtern?

Benz_16-50_PS_Chefwagen_Tour_Sächsische_Schweiz_07-1928_Insassen

Vielleicht hat ja ein Leser eine Idee, was die Beziehung zwischen den Insassen angeht. Wir befassen uns unterdessen ein wenig mit der Technik des letzten großen Benz:

Der Seitenventiler war zwar konventionell, aber dafür unbedingt zuverlässig. Bei immerhin 4,2 Liter Hubraum wurde das Aggregat auch kaum belastet, obwohl schon der offene Tourenwagen fast 1,8 Tonnen auf die Waage brachte.

Das Spitzentempo von 90 km/h war ein theoretischer Wert – auf den damaligen Straßen war das kaum auszufahren, schon gar nicht mit sechs Insassen. Wichtiger war die souveräne Kraftentfaltung, die den Schaltaufwand in Grenzen hielt, speziell am Berg.

Kurz vor Toresschluss bekam der Benz 16/50 PS noch Vierradbremsen verpasst. Dennoch zog sich der Abverkauf des Modells über die Fusion mit Daimler hinaus bis 1927 hin.

Dabei half auch die schnittige Frontpartie nicht mehr, denn sie wurde zuletzt durch einen braven Flachkühler ersetzt. Dabei gab doch der Spitzkühler dem Wagen seine sportliche Anmutung:

Benz_16-50_PS_Chefwagen_Tour_Sächsische_Schweiz_07-1928_Frontpartie

Wenn man sich vom Anblick dieser schier endlosen Motorhaube mit ihrer blitzsauberen Gestaltung losreißen kann, mögen einem drei Kuriosa auffallen:

  • Ganz vorn sieht man eine nachgerüstete Stoßstange – diese Urform lässt erkennen, woher die Bezeichnung rührt, ähnlich wie im Fall des „Kotflügels“.
  • Auf dem Kühler thront ein Männchen, das die eine Hand hinter dem Rücken verschränkt, die andere gen Himmel reckt – eventuell eine Anspielung auf den Untertan, der Politikern hierzulande so oft leichtes Spiel gemacht hat – und macht.
  • Im Hintergrund erkennt man zwei retuschierte Partien, unter denen sich die Aufschriften „Damen“ und „Herren“ verbergen. Vermutlich hat der Fotograf die Toilettentüren bei der Aufnahme nicht bemerkt und versuchte sie später zu tilgen.

Verständlich zwar, aber nach 90 Jahren treten die profanen Tatsachen wieder zutage. Das ändert freilich nichts an dem mächtigen Eindruck, den der letzte große Benz auch heute noch macht. Ein Original in 3D ist übrigens heute eine ganz große Rarität…

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Eine nicht ganz einfache Geschichte: Mercedes 8/38 PS

Heute nähern wir uns dem ersten Mittelklassemodell von Mercedes nach dem Zusammenschluss von Daimler und Benz im Jahr 1926. 

Der Weg bis zum Erfolg dieses Modells – von dem bis 1929 über 10.000 Stück entstehen sollten – war nicht ganz einfach. Dasselbe gilt für die Identifikation des Wagens, den wir heute anhand von gleich drei historischen Originalaufnahmen zeigen werden.

Der eine oder andere Leser erinnert sich vielleicht an folgendes Foto, das in diesem Blog einst den Auftakt zu einer besonderen Zeitreise darstellte, die den optimierten Nachfolger Mercedes „Stuttgart“ zum Gegenstand hatte:

Mercedes-Benz_8-38_PS_Frontpartie

Dieses Fahrzeug, dessen hauptsächliche Zier die uns freundlich anlächelnde Dame war, die auf dem Scheinwerfer (!) Platz genommen hat, vereint Elemente des 1926 vorgestellten Mercedes 8/38 PS und des ab 1929 gebauten Nachfolgers „Stuttgart“.

An den Typ 8/38 PS mit 2-Liter-Sechszylinder, der eher widerwillig vom damaligen Konstruktionsleiter bei Daimler-Benz – Ferdinand Porsche – entwickelt worden war, erinnert die Frontpartie, die noch ohne Stoßstangen auskommen musste.

Auch die archaische Form der Vorderschutzbleche ist eher typisch für das 8/38 PS-Modell, wenngleich es sie bei der Basisauführung des „Stuttgart“ ebenfalls noch gab – charakteristisch für den Konservatismus der Marke.

Immerhin besaß schon der Mercedes 8/38 PS wie der Wagen auf dem Foto von Anfang auch Vorderradbremsen, deren Wirkung in der zeitgenössischen Presse gelobt wurde. Nur ein Detail spricht dafür, dass wir es schon mit einem „Stuttgart“ zu tun haben:

Die Frontscheibe besteht aus einem Stück und ist nicht mehr im oberen Teil ausstellbar. Dieses Detail behalten wir im Hinterkopf.

Wenden wir uns nun dem ersten der drei Fotos zu, um die es sich heute dreht:

Mercedes_8-38_PS_2_Lüneburger_Heide_Galerie

Mercedes-Benz 8/38 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dies ist bereits eine Ausschnittsvergrößerung des Originalabzugs, auf dem noch mehr Landschaft und weniger Auto zu sehen ist. Entstanden ist die Aufnahme laut umseitigem Vermerk in der Lüneburger Heide.

Ob wir hier einen Mercedes des Typs 8/38 PS oder die Basisversion seines Nachfolgers „Stuttgart“ vor uns haben, ist nicht eindeutig zu sagen. Die Frontscheibe liegt im Schatten und die für die Identifikation ebenfalls wichtige A-Säule ist nicht sichtbar.

Dafür lässt sich immerhin das Nummernschild entziffern:

Mercedes_8-38_PS_2_Lüneburger_Heide_Ausschnitt

Hinter der Kennung „IS“, die für die preußische Provinz Hannover stand, ist die Ziffernfolge „98084“ zu erkennen. Sie lässt sich dem Nummernkreis des Landkreises Zellerfeld am Harz zuordnen.

Nachschlagen lässt sich dies übrigens im höchst verdienstvollen Standardwerk „Handbuch Deutsche Kfz-Kennzeichen, Band I“, von Andreas Herzfeld auf S. 84.

Das Auto wurde außer bei besagtem Ausflug in die Lüneburger Heide noch an einem anderen Ort aufgenommen – leider ist dieser Abzug von sehr schlechter Qualität und musste umfangreich retuschiert werden, um einigermaßen vorzeigbar zu sein:

Mercedes_8-38_PS_1_Lüneburger_Heide_Galerie

Hier verfügt der Mercedes über eine nicht erkennbare Plakette auf der Stange, die die Frontscheinwerfer trägt. Doch besitzt er weiterhin in Fahrtrichtung links einen Wimpel und einen Suchscheinwerfer wie das Auto auf dem vorherigen Bild.

Ob die Frontscheibe unterteilt ist oder nicht, lässt sich nicht eindeutig sagen. Doch erkennt man nun den im unteren Teil nach vorn schwingenden Teil der A-Säule.

Dies ist neben der Ausführung der Schutzbleche ein weiteres archaisches Element, das gegen Ende der 1920er Jahre „von gestern“ war. Wir sind dennoch dankbar dafür, denn das gab es nur beim Mercedes 8/38 PS, nicht aber seinem Nachfolger „Stuttgart“.

Hier haben wir eine zeitgenössische Reklame, die den Mercedes-Benz 8/38 PS in wünschenswerter Klarheit zeigt:

Mercedes-Benz_Werbung_1927

Mercedes-Benz-Reklame aus dem Reichsverkehrsführer des ADAC von 1927 (Original aus Sammlung Michael Schlenger)

Das ist ja eine schwere Geburt, mag man nun denken – und genauso verhielt es sich vor über 90 Jahren mit dem Mercedes 8/38 PS.

Denn der dank siebenfach gelagerter Kurbelwelle sehr kultivierte Motor sorgte anfänglich für Ungemach bei den Käufern, ebenso wie das Getriebe und die Qualität des Aufbaus – nicht gerade das, was die Werbung suggerierte…

Daimler-Benz bemühte sich mit Blick auf den Ruf der Marke um größtmögliche Kulanz, was freilich Millionen kostete. Erst beim Nachfolgetyp „Stuttgart“, entwickelt vom Porsche-Nachfolger Hans Nibel, hatte man alle Kinderkrankheiten ausgemerzt.

Doch wer sich seinen Mercedes 8/38 PS vom Werk hatte nachbessern lassen, konnte ebenfalls höchst zufrieden sein und sich ohne Weiteres auf Fernreise begeben.

Das dachten sich vermutlich auch die einstigen Besitzer des Mercedes, von dem wir ein drittes Dokument besitzen, das den Liebhaber von Vorkriegswagen auf alten Fotos nun wirklich rundum glücklich macht:

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Mercedes 8/38 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese schöne Urlaubsaufnahme entstand einst bei Überlingen am Ufer des Bodensees. Hier können wir nun endlich die Ausführung der Frontscheibe erkennen – sie ist im oberen Teil nach vorne ausstellbar, typisch für den Mercedes 8/38 PS!

Auch die Plakette an der Scheinwerferstrebe vor dem Kühler offenbart nun ihre Identität – es ist ein emailliertes ADAC-Emblem.

Eine weitere Kleinigkeit ist hier aber zu sehen, die uns bislang verborgen blieb:

Mercedes_8-38_PS_3_Überlingen_Ausschnitt

Die vergnügte Dame im ziemlich „schräg“ gestalteten Badeanzug hält nämlich ein Kätzchen auf dem Arm.

Hat das Paar etwa sein Haustier im Mercedes mit in den Urlaub genommen? Das ist doch recht unwahrscheinlich, obwohl es Hauskatzen gibt, die sich wie Hunde klaglos an der Leine führen lassen.

Wohl eher scheint das noch junge Tier sich gerade die Herzen unserer Urlauber erobert zu haben, die mit ihrem Wagen vielleicht auf einem Landgasthof logierten.

Wie auch immer – in Details wie denen auf den hier gezeigten Aufnahmen liegt der besondere Zauber von Vorkriegswagen auf alten Fotos

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Ausflug mit den Schwiegereltern – im NSU 5/15 PS

Ein Auto mit nur 15 PS Höchstleistung – konnte man damit jemals die Schwiegereltern beeindrucken? Dieser Frage wollen wir heute anhand eines prachtvollen Originalfotos aus der Sammlung des Verfassers nachgehen.

Den Typ 5/15 PS des Neckarsulmer Fahrzeugherstellers, der 1906 mit der Autoproduktion begonnen hatte, haben wir vor längerer Zeit bereits hier vorgestellt. Doch dabei handelte es sich um einen viersitzigen Tourenwagen.

Nunmehr können wir den raren Sport-Zweisitzer zeigen, der zwar ebensowenig sportlich war wie der Tourer oder die Limousine, aber zumindest rasant aussah:

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NSU 5/15 PS Sport-Zweisitzer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

In dem hinter den Vordersitzen steil abfallenden Heck war – wie hier zu besichtigen – noch eine ausklappbare Notsitzbank untergebracht.

Bei voller Besetzung mit Gattin und Schwiegermutter in der zweiten Reihe war es natürlich mit der sportlichen Optik vorbei und die 15 PS hatten ihre liebe Not.

Doch bevor wir über den technischen Stand des Wagens lächeln, wollen wir ihn in den richtigen Kontext stellen. Dazu geht es über 100 Jahre zurück – vielleicht die erste Überraschung.

Denn auch wenn diese schöne Aufnahme auf einer Ende der 1920er versandten Postkarte erhalten geblieben ist, zeigt sie eindeutig ein Modell aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg – das verraten vor allem die gasbetriebenen Scheinwerfer:

NSU_5-15_PS_Sport-Zweisitzer_Pk_08-1929_Frontpartie

Elektrische Beleuchtung gab es zwar auch schon 1914 gegen Aufpreis – so auch bei diesem Wagen, der sich anhand der Kühlerplakette als NSU offenbart – doch auf zeitgenössischen Fotos sieht man so etwas nur ganz selten.

Ein weiterer Datierungshinweis ist die 1913 eingeführte birnenförmige Kühlermaske, die bei NSU erst nach dem 1. Weltkrieg einem schnittigen Spitzkühler wich wie bei so vielen Herstellern im deutschsprachigen Raum.

Anhand der Größe des Wagens können wir diesen als Basismodell 5/15 PS von NSU identifizieren. Es wurde ab 1914 gebaut, womit man auf die Konkurrenz der 1913 vorgestellten 5/12 PS Modelle von Wanderer und Opel reagierte.

Nachdem sich NSU zunächst mit Mittelklassewagen einen Namen gemacht hatte, konkurrierte man frühzeitig auch im Kleinwagensektor mit den etablierten deutschen Herstellern.

NSU-Reklame_Braunbeck_1910_Galerie2

NSU-Originalreklame aus Braunbecks Sportlexikon 1910

Dabei setzte NSU bereits ab 1909 auf kleine Hubräume von etwas mehr als 1 Liter – bemerkenswert, da viele Autos jener Zeit großvolumig angelegt waren. Selbst das legendäre Volksauto Model T von Ford mit 20 PS besaß fast 3 Liter Hubraum.

Der NSU Typ 5/15 PS, den wir auf dem Foto sehen, kam mit lediglich 1,2 Litern Hubraum aus und war mit Spitze 60 km/h kaum langsamer als das US-Pendant.

Der entscheidende Unterschied war der Preis: 1914 begann die Fließbandfertigung des Ford T-Modells und damit wurde es auf einmal für die Arbeiter erschwinglich, die es fertigten – genau das wollte der kühle Rechner Henry Ford erreichen.

Damit konnte keiner der deutschen Hersteller mithalten, von denen die meisten bis Ende der 1920er Jahre nicht begriffen, dass der Schlüssel zum Volksautomobil in einer streng rationellen Produktionsweise lag.

So blieb ein Automobil in Deutschland 1914 (und selbst noch 25 Jahre später) eine exklusive Angelegenheit, ganz gleich wie bescheiden die Leistung war. Entsprechend zufrieden schaut der Schwiegersohn hier drein:

NSU_5-15_PS_Sport-Zweisitzer_Pk_08-1929_Insassen

Der Ausschnitt lässt übrigens klar erkennen, dass das Verdeck bei einem Schauer die rückwärtigen Insassen buchstäblich im Regen hätte sitzen lassen.

Zudem hätten die Damen – eindeutig Mutter und Tochter – dann die Rückseite des Verdecks vor der Nase gehabt. Die beiden Herren waren also hier in privilegierter Position, ganz gleich wie das Kräfteverhältnis auch sonst ausgesehen haben mag.

Eine Sache mag noch erwähnenswert sein: Der adrette NSU Sport-Zweisitzer des Typs 5/15 PS scheint über eine Luxemburger Zulassung verfügt zu haben.

Bei einer Bevölkerung von etwas mehr als 250.000 vor 100 Jahren (Quelle) genügte in dem Zwergstaat damals offenbar ein vierstelliger Nummernkreis ohne ergänzende Buchstaben für alle dort zugelassenen Autos.

Über den Aufnahmeort wissen wir leider nichts. Das Foto mag irgendwann in den 1920er Jahren auf luxemburgischen Territorium entstanden sein, wo es durchaus mittelgebirgsartige Landschaften gibt.

Vom Leistungsvermögen her ist auch anderes denkbar: 1914 wurde ein serienmäßiger NSU 5/15 PS auf die 2.500 km lange Strecke von Neckarsulm ins spanische Barcelona geschickt, wo der Wagen nach Überwindung der Pyrenäen auch ankam…

Literatur: NSU Automobile, von: Klaus Arth, Verlag Delius-Klasing, 2. Auflage 2015

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Am Deutschen Eck: Austro-Daimler „ADR“ Cabriolet

Liebhaber der wenigen, aber feinen ehemaligen Automobilmarken aus Österreich kommen auf diesem Vorkriegs-Oldtimerblog immer wieder auf ihre Kosten.

Neben Wagen von Gräf & Stift, Puch und Steyr werden hier auch die auf Ferdinand Porsche zurückgehenden Schöpfungen von Austro-Daimler aus Wien in historischen Originalaufnahmen vorgestellt.

Speziell die Exemplare der 1920er Jahre stechen nicht nur durch hochkarätige Technik hervor, sie heben sich auch durch markante Gestaltungsmerkmale ab.

Das ermöglicht im Unterschied zu einigen deutschen Wagen jener Zeit eine rasche Identifikation, selbst wenn nur wenige Partien des Fahrzeugs sichtbar sind. Ein schönes Beispiel dafür haben wir hier:

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Austro-Daimler Typ ADM; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nicht schwer zu erraten, dass die freundliche junge Dame hier auf dem Vorderschutzblech eines Austro-Daimler sitzt – allein die Kühlerfigur verrät dies.

Doch selbst ohne den geflügelten Pfeil – für tüchtige deutsche TÜVler ein Alptraum wie Zentralverschlussmuttern und andere Undinge – wäre die Kühlerpartie eigenständig genug, um die Ansprache als Austro-Daimler zu ermöglichen.

Unterhalb des Einfüllstutzens für das Kühlwasser befindet sich nämlich eine reich verzierte, erhaben geprägte Plakette mit dem Markenschriftzug. Sie ist so typisch, dass man sie auch aus dieser Perspektive erkennen kann.

Außerdem besitzt die Kühlermaske eine einzigartige Form. So war der innere Ausschnitt für das Kühlernetz bei Austro-Daimler eckig wie bei Modellen der Zeit vor 1914, während das Kühlergehäuse außen abgerundet war.

Dies sorgt für eine formale Spannung mit hohem Wiedererkennungswert, wie folgende Aufnahme trotz Verwacklung erkennen lässt:

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Austro-Daimler Type ADM; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der gutgelaunte Herr, der hier auf seinem Austro-Daimler reitet und seinen Gruß entbietet, hatte den Wagen im westfälischen Iserlohn zugelassen, wie die Nummernschildkennung verrät.

Er und die junge Dame auf dem ersten Foto sind gute Beispiele dafür, wie unbeschwert die einstigen Besitzer mit diesen enorm teuren Fahrzeugen umgingen.

Manch‘ moderner Besitzer überlebender, oft überrestaurierter Fahrzeuge macht dagegen durch Schilder wie „Berühren verboten“ oder gar „Fotografieren verboten“ deutlich, dass er nicht verstanden hat, dass diese Wagen bloß schöne Maschinen sind und nicht die von spontanem Zerfall bedrohte Mumie eines altägyptischen Pharaos…

Während die heute existierenden Vorkriegsautos gute Chancen haben, uns zu überleben und noch in 100 Jahren Freude zu bereiten, sieht das bei manchen historischen Originalfotos solcher Wagen anders aus.

Für den Verfasser Grund genug, die Dokumente in seinem Fundus zu digitalisieren und im Netz zur Verfügung zu stellen.

Zudem lebt dieser Oldtimerblog auch von Sammlerfreunden, die im Internet ebenfalls die Chance sehen, ihre Schätze zur Freude Gleichgesinnter in aller Welt und zum Erkenntnisgewinn der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Ein Beispiel dafür ist folgende Aufnahme von Leser Klaas Dierks, der zum Thema Austro-Daimler der 1920er Jahre ein besonderes Schmankerl beisteuern kann:

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Austro-Daimler Typ ADR; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Trotz militärischer Anmutung haben wir es hier mit Polizisten zu tun – wobei man davon ausgehen kann, dass diese Recht und Gesetz einst energischer durchzusetzen wussten, als es den bundesdeutschen Kollegen unserer Tage gestattet ist…

Der Anlass der Aufnahme ist nicht bekannt. Es stand wohl die Anfertigung eines Teamfotos an und man nutzte die Gelegenheit für einen speziellen Hintergrund.

Dass einer der abgebildeten Herren in der Lage gewesen wäre, sich einen Austro-Daimler des 1927 vorgestellten Typs ADR mit 70 PS starkem Sechszylindermotor zu leisten, können wir ausschließen.

Entweder hatten die Ordnungshüter gerade Besuch eines ganz hohen Vorgesetzten, der so ein feines Automobil besaß, oder – was wahrscheinlicher ist – man hatte kürzlich das Fahrzeug eines straffälligen Vertreters der Halbwelt beschlagnahmt.

Damit soll dem Spitzenmodell ADR von Austro-Daimler kein fragwürdiges Image angedichtet werden. Man musste allerdings ziemlich viel Geld besitzen, um ein solches Prachtexemplar fahren zu können.

Dass so ein Automobil einst bei der Polizei im Hof stand, muss jedenfalls spezielle Gründe gehabt haben. Man bedauert nur, dass man nicht viel mehr davon sieht als die Kühlerfigur und den am Heck angesetzten Gepäckkoffer.

Zum Glück können wir eine weitere Aufnahme eines Austro-Daimler des Typs ADR präsentieren. Sie hat zwar technische Mängel und der Abzug ist von einsetzendem Verfall beeinträchtigt.

Dennoch handelt es sich um ein sehenswertes Dokument:

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Austro-Daimler Typ ADR Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Foto voller Leben ist einst an einem bis heute wirksamen Touristenmagneten entstanden – dem Deutschen Eck in Koblenz.

Dort, wo die Mosel in den Rhein fließt, entstand Ende des 19. Jahrhunderts ein kolossales Denkmal für Kaiser Wilhelm I., der zu den prägenden Gestalten deutscher Geschichte des 19. Jahrhunderts gehört.

Wie man die Lebensleistung von Kaiser Wilhelm I. auch beurteilen mag, besaß sein Wirken in seinem über 90 Jahre währenden Leben erhebliche Strahlkraft.

Das zu seinen Ehren errichtete Denkmal in Koblenz wurde übrigens nicht aus dem Volk abgenötigten Steuergeldern finanziert, sondern aus Spenden – der preußische Fiskus war seinerzeit nicht annähernd so unersättlich wie der heutige.

Hier haben wir nun das Auto, das vor rund 90 Jahren an dem mächtigen Bauwerk geparkt wurde, in der Nahaufnahme:

Austro-Daimler_ADR_Cabrio_Koblenz_Ausschnitt1

Die überbelichtete Partie ändert nichts daran, dass hier eindeutig ein viersitziges Cabriolet vom Typ Austro-Daimler ADR zu sehen ist. Im Original bestätigt neben der Kühlerfigur auch die Beschriftung der Ersatzradhülle die Marke.

Das gewaltige Format des Wagens wird mangels Insassen kaum deutlich – der Aufbau kaschiert geschickt die tatsächlichen Dimensionen. Die Zweifarblackierung betont die Struktur der ansonsten schlicht gehaltenen Karosserie.

Die filigranen Drahtspeichenräder waren übrigens wie bei anderen österreichischen Herstellern die Standardausrüstung, während in Deutschland wuchtige Holzspeichen- oder Scheibenräder dominierten.

Wer von den neben dem Wagen stehenden Personen zu den Insassen zählte, lässt sich nicht eindeutig sagen. Lediglich der dunkel gekleidete Herr mit Schirmmütze, der etwas im Hintergrund steht, ließe sich als Chauffeur ansprechen.

Austro-Daimler_ADR_Cabrio_Koblenz_Ausschnitt2

Zu dem Motorradgespann dürften der Herr ganz rechts mit geschlossenem Gummimantel und Regenschutz an den Beinen gehören. Sein Beifahrer könnte die Person mit Kappe und Schutzbrille gewesen sein.

Vielleicht haben wir es ansonsten mit Flaneuren zu tun, die mit den Insassen des Austro-Daimler ins Gespräch gekommen sind. Einer von ihnen hält eine Hundeleine in den Händen – doch vom Vierbeiner ist nichts zu sehen.

Vielleicht ist er im Auto geblieben. Dass die Insassen des Austro-Daimler Hundeliebhaber waren, darauf deutet ein kurioses Detail an der Stoßstange hin:

Austro-Daimler_ADR_Cabrio_Koblenz_Ausschnitt3

Auf der oberen Schiene der Doppelstoßstange sind links und rechts die Silhouetten zweier Terrier zu erkennen – wenn nicht alles täuscht.

Was auf solchen alten Autofotos neben den Wagen selbst sonst noch alles zu sehen ist, das gehört zu den faszinierenden Seiten der Beschäftigung damit. Auch hier sind es kleine Details, die etwas von den Menschen erzählen, die einst im repräsentativen Austro-Daimler einen Ausflug ans Deutsche Eck in Koblenz machten.

Wo wohl die beiden Maskottchen auf der Stoßstange geblieben sind? Zieren sie vielleicht noch heute irgendeine alte Holztür wie das im Fall des Kühleremblems eines längst den Weg allen Blechs gegangenen Overland Whippet der Fall ist?

Whippet-Emblem_05-2018_Galerie

Aber vielleicht existiert ja sogar der Wagen selbst noch – auszuschließen ist das nicht…

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Eleganz mit dem gewissen Extra: Ein Hansa 1100

An die 150 internationale Automarken der Vorkriegszeit sind im Lauf der Zeit auf diesen Oldtimerblog in historischen Originalfotos aus der Sammlung des Verfassers und aus dem Fundus von Lesern vorgestellt worden.

Luft nach oben ist beim Thema Vorkriegsautos immer – allein aus den USA sind über 5.000 Hersteller bekannt und in Europa kommen nochmals weit über tausend dazu, vor allem solche aus Frankreich und England.

Doch auch die Markenwelt im deutschsprachigen Raum bietet jede Menge Abwechslung – man denke nur an die faszinierenden Hersteller aus Böhmen und Österreich, über die hierzulande kaum berichtet wird.

Selbst wenn man sich auf das Gebiet des heutigen Deutschlands beschränkt, hat man es mit einer tropischen Fülle an Marken zu tun, die heute kaum noch einer kennt. Eine davon sagt immerhin den Borgward-Freunden noch etwas: Hansa!

Gern gesteht der Verfasser, dass er eine Schwäche für die eleganten Typen 1100 und 1700 hat, die ab 1934 unter dem traditionsreichen Namen Hansa im Borgward-Konzern gebaut wurden. Hier haben wir einen davon:

Hansa_1100_Riesengebirge_Ausschnitt

Keine Sorge, vom eigentlichen Gegenstand des heutigen Blogeintrags bringen wir noch ein technisch überzeugenderes Foto. Doch schon auf diesem Ausschnitt aus einer unscharfen Aufnahme erkennt man die Charakteristika des Typs.

  • Alle vertikalen Linien vom Kühler über Frontscheibe und A-Säule bis hin zum hinteren Türabschluss weisen dieselbe Neigung auf.
  • Besonders markant und bei deutschen Autos wohl einzigartig ist die Schrägstellung der B-Säule, die man bei britischen Wagen der 1930er Jahre findet.
  • Typisch sind auch die vier hochliegenden, angeschrägten Luftklappen in der Motorhaube, die durch Chromleisten akzentuiert sind. Das gab es beim Hanomag Rekord ebenfalls, doch aber dort reichen die Klappen weiter hinunter.

Gerade der Vergleich mit dem Hanomag Rekord, der bei allen sonstigen Qualitäten bieder wirkt, vedeutlicht die formale Klasse des Vierzylinder-Hansa 1100 und des parallel angebotenen Hansa 1700 mit Sechszylinder.

Nicht zuletzt die weit hinuntergezogenen seitlichen „Schürzen“ an den Schutzblechen lassen den technisch ebenfalls unspektakulären Hansa moderner erscheinen als den etwas stärkeren Hanomag Rekord – beide besaßen übrigens Hydraulikbremsen.

Bevor wir zum heutigen Stargast kommen, werfen wir noch einen Blick auf die Originalaufnahme, zu der obiger Bildausschnitt gehört:

Hansa_1100_Riesengebirge_Galerie

Hansa 1100 im Riesengebirge; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Laut Beschriftung des Abzugs entstand das Foto einst im Riesengebirge im Grenzland zwischen Schlesien und der Tschechei. Mit der über 1.600 m hohen Schneekoppe war das Riesengebirge bis 1945 Deutschlands höchstgelegenes Mittelgebirge.

Der Verfasser hat einige Zeit damit verbracht, den Gasthof im Hintergrund zu identifizieren – solche komfortablen Unterkünfte waren in der Region einst als „Bauden“ bekannt – leider vergeblich. Vielleicht kann ein Leser weiterhelfen.

Nach diesem Einstieg wechseln wir nach Westfalen, in die Industrie- und Garnisonsstadt Iserlohn. Dort entstand 1937 folgende Aufnahme eines Hansa 1100:

Hansa_1100_Iserlohn_1937_2_Galerie

Hansa 1100; Originalfoto von 1937 aus Sammlung Michael Schlenger

Zur Identifikation des Wagens müssen wir wohl nichts mehr sagen – alle oben erwähnten Charakeristika sind auf Anhieb zu erkennen.

Schön nachvollziehen lassen sich hier die harmonisch fließenden Linien der Heckpartie, die bis heute oft gestalterisch vernachlässigt wird oder von bizarren Ideen geprägt ist, die keiner Logik folgen.

So weit, so gut. Die formalen Qualitäten des Hansa 1100 und seines großen Bruders Hansa 1700 haben wir hier ja schon des öfteren gewürdigt.

Doch abgesehen von der schönen Aufnahmesituation – kein Auto wirkt für sich allein so lebendig wie mit den einstigen Besitzern – findet sich neben der bekannten Eleganz der Linienführung ein Extra, das das Foto außergewöhnlich macht:

Hansa_1100_Iserlohn_1937_2_Ausschnitt Der Aufsatz am oberen Ende der Seitenscheibe scheint – wenn nicht alles täuscht – der besseren Entlüftung des Innenraums zu dienen.

Kann jemand Näheres zu diesem Zubehör sagen, das offenbar passgenau für den Fensterausschnitt des Hansa 1100 bzw. 1700 verfügbar war? Wer war der Hersteller und gibt es zeitgenössische Reklamen, die die Vorteile des Teils benennen?

Mit diesem Aufruf könnten wir den heutigen Blogeintrag beenden, wäre da nicht eine offene Frage: Woher wissen wir, dass dieses Foto einst in Iserlohn entstand?

Nun, es gibt einen zweiten Abzug, der denselben Wagen aus anderer Perspektive und nun mit dem mutmaßlichen Fotografen der ersten Aufnahme zeigt:

Hansa_1100_1937_Iserlohn_1_Galerie

Hansa 1100; Originalfoto von 1937 aus Sammlung Michael Schlenger

Hier erkennt man schemenhaft den ominösen Aufsatz auf der Fahrertür, von dem eben die Rede war. Zudem stammen die beiden Abzüge aus derselben Quelle.

Dieser Hansa besaß eine Zulassung in Westfalen (Kennung „IX“) und eine Ziffernfolge, die zum Nummernkreis für die Stadt Iserlohn passt (Quelle: Andreas Herzfeld: Handbuch Deutsche Kfz-Kennzeichen Band 1 Deutschland bis 1945).

Auch aus dieser Perspektive wirkt der Hansa makellos proportioniert und sauber gezeichnet. Die wappenartig geformte Kühlerumrandung ist eigenständig, auf unnötigen Zierrat wird hier weitgehend verzichtet.

Lediglich die verchromte Abdeckung der Öffnung für die Anlasserkurbel (die nur selten zum Einsatz kam) setzt einen Akzent am unteren Kühlerende, das spitz und ganz leicht nach vorn geschwungen ausläuft.

Die feine Spannung der Kühlerpartie, an der kaum eine gerade Linie zu sehen ist, lässt sich auf folgender Aufnahme eines Hansa 1700 nachvollziehen:

Hansa_1700_Wimpel_Galerie

Hansa 1700; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme hat trotz schlechter Erhaltung einigen Reiz. So lässt sich auch an diesem 6-Zylindertyp die dynamische Gestaltung des Kühlers nachvollziehen, die den weiteren Aufbau bis hin zum hinteren Türabschluss bestimmt.

Zudem wird ein ortskundiger Leser sagen können, wo das Foto des Hansa 1700 einst entstand – der Verfasser tippt auf eine norddeutsche Hafenstadt. Nicht zuletzt lässt sich aus dem Wimpel am Vorderschutzblech etwas zum Besitzer ableiten.

Man sieht: Die eleganten Hansa-Wagen der Typen 1100 und 1700 sind auch nach über 80 Jahren noch für die eine oder andere Extra-Überraschung gut.

Möglich machen das historische Originalfotos und ihre Aufarbeitung auf diesem Oldtimer-Blog unter Mitwirkung sachkundiger Leser…

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Ein Flensburger DeSoto von 1929/30 am Ostseestrand

Was haben der spanische Eroberer Hernando de Soto und die Verkehrssünderdatei des deutschen Kraftfahrtbundesamts gemeinsam?

Zwar liegen über 400 Jahre und tausende Kilometer zwischen den beiden. Doch auf einem über 80 Jahre alten Foto finden beide zusammen. Das ist das Thema des heutigen Eintrags in diesem Blog für Vorkriegsautos.

Spektakuläre Fahrzeuge wird es dabei nicht zu sehen geben, aber überraschende Einblicke in die vielfältige Autolandschaft im Deutschland der 1930er Jahre.

Dabei werden speziell die Freunde historischer Automobilfotos im hohen Norden unseres Landes auf ihre Kosten kommen. Am Ende ist für sie vielleicht der Aufnahmeort reizvoller als der Wagen, der dort einst unterwegs war.

Fangen wir ganz klein an – mit einer Ausschnittsvergrößerung aus einer großzügig bemessenen Panoramaaufnahme:

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DeSoto Six von 1929/30; Ausschnitt eines Originalfotos aus Sammlung Michael Schlenger

Näher rangehen können wir leider nicht – mehr gibt die Auflösung des alten Abzugs nicht her. Wir werden noch sehen warum – an der Aufnahmetechnik lag es nicht.

Der Vorkriegsautokenner wird hier auf ein US-Modell der späten 1920er Jahre tippen – die breite Spur und die Doppelstoßstange sprechen dafür.

Der wenig eigenständig wirkende Wagen wäre ein schwieriger bis unlösbarer Fall, würde man nicht einen geschwungenen Schriftzug auf dem Kühlergrill erkennen. Ein großes „D“ und ein großes „S“ sind dort zu sehen, gefolgt von nur wenigen Buchstaben.

Damit wären wir beim Nachnamen des eingangs erwähnten Konquistadoren – De Soto – der zu den übelsten Protagonisten der spanischen Kolonialgeschichte gehört.

Weil er bei einem Feldzug 1541 durch die späteren Südstaaten der USA nebenbei den Mississippi entdeckte, war sein Name dort einst positiv behaftet. Jedenfalls schuf der Chrysler-Konzern 1929 die nach ihm benannte neue Marke DeSoto.

Während Hernando De Sotos Expeditionen katastrophal endeten, gelang Chrysler mit den nach ihm benannten Wagen ein Coup: Bis dato konnte keine neue Marke im ersten Jahr mehr Fahrzeuge absetzen – über 81.000 DeSotos wurden 1929 verkauft.   

Chrysler hatte bei der neuen Konzernmarke alles richtig gemacht: Ein gummigelagerter 6-Zylinder mit 55 PS und hydraulische Vierradbremsen, robuste Verarbeitung und ein günstiger Preis – das überzeugte die Käufer auf Anhieb.

Auch in Deutschland fanden sich seinerzeit offenbar Käufer für diesen US-Wagen. Ein solcher DeSoto Six von 1929/30 (die Wagen der beiden Modelljahre glichen sich äußerlich weitgehend) hielt nämlich einst spätnachmittags am Ostseestrand:

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Den langen Schatten nach zu urteilen, wird dieses malerische Foto am späten Nachmittag oder Abend (je nach Jahreszeit) entstanden sein. Auf der Rückseite des Abzugs findet sich eine Beschriftung von alter Hand: „bei Flensburg“.

Dazu passt das Kennzeichen „IP 35692“ des Wagens perfekt. Der genaue Aufnahmeort ist zwar nicht auf dem Abzug vermerkt, lässt sich aber mit einiger Wahrscheinlichkeit eingrenzen:

  • Den Schatten nach ist die Wasserseite dem Osten oder Nordosten zugewandt.
  • Die Küstenlinie vollzieht einen weiten Bogen gen Norden.
  • Bewaldete Partien und Felder oder Wiesen wechseln sich ab.
  • Nur abschnittsweise ist Sandstrand vorhanden.

Genau diese Situation findet sich an der Flensburger Förde in der Nähe des Ortes Steinberghaff. Von dort geht derselbe Blick in Richtung Geltinger Birk.

Vielleicht kann ein ortskundiger Leser diese Lokalisierung bestätigen oder auch korrigieren. Schön, wenn sich dann noch jemand fände, der das Foto mit einem Vorkriegsauto wiederholt – es muss ja kein De Soto Six sein.

Ob sich der Herr, der hier auf einem Kahn am Strand sitzend in die Ferne schaut, das einst hat träumen lassen, dass er nach 80 Jahren soviel Aufmerksamkeit erfährt?

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Wir wissen nicht, ob es sich um einen der Insassen des Wagens handelt, wahrscheinlich ist es aber schon.

Diese Aufnahme ist jedenfalls einst sorgfältig komponiert worden und bezieht einen alten Baum, das Auto und den einsam am Strand Sitzenden bewusst ein. Möglich, dass ein Spaziergänger mit Kamera die Situation malerisch fand und sie für uns festhielt

Hier haben wir zum Abschluss die Orignalaufnahme in voller Pracht:

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De Soto Six; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

„Kennst Du das Land?“ Über die Alpen im Fiat 514…

Wer die letzten Einträge in diesem Blog für Vorkriegsautos auf alten Fotos verfolgt hat, wird vielleicht feststellen: „Ziemlich viele Ami-Wagen werden hier besprochen – und immer wieder Fiats – vielleicht nicht ganz ideal für deutsche Leser“.

Tja, meine Damen und Herren, so sahen aber die Verhältnisse im deutschsprachigen Raum vor allem in der Zwischenkriegszeit aus: Jede Menge importierte oder hierzulande fabrizierte US-Wagen und auch Fiats allerorten.

Folgende Postkarte aus Berlin, die im März 1941 Matrose Josef Beyreder versandte, kündet bei genauem Hinsehen davon:

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Postkarte aus Berlin, Feldpostnr. 35628, März 1941; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Wer sich der Mühe unterzieht, wird neben einem Fiat 1100 und einigen US-Wagen auch die Vertretung der amerikanischen Reederei United States Lines erkennen, was einiges über die damalige Präsenz von US-Unternehmen in Europa verrät.

Im Unterschied zu vielen deutschen Herstellern hatten die Turiner bereits nach dem 1. Weltkrieg ihre Lehren aus der überlegenen Industrieproduktion in den Vereinigten Staaten gezogen und ihre Wagen von vornherein auf Großserie getrimmt.

Da im damals bitterarmen Italien nur begrenzte Absatzmöglichkeiten bestanden, zielte man auf den internationalen Markt ab und war mit sorgfältig konstruierten und enorm robusten Wagen weltweit erfolgreich.

Geholfen hat dabei, dass Fiat-Wagen auf die Bewältigung extremer Anforderungen ausgelegt waren, wie man sie im topographisch vielfältigen Italien antrifft.

Ob bei extremer Hitze im tiefen Süden, auf kaum befestigten Pisten des Appenin, endlosen Geraden in der Po-Ebene oder unter schwierigsten Verhältnissen in der Alpenregion – ein Fiat hatte sich zuallererst in der Heimat zu bewähren.

Dann war natürlich auch eine Alpenüberquerung im Rahmen des Möglichen:

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Fiat 514 auf einem Alpenpass; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Verfasser verfügt über keine sonderliche Kenntnis der zahlreichen Alpenpässe. Lediglich den Gotthard hat er vor rund 20 Jahren mit einem 34 PS-Volkswagen auf der Paßstraße überquert, um die öde Tunneldurchfahrt zu vermeiden.

Sicher kann ein Leser sagen, welchen Alpenpass wir auf dieser schönen Aufnahme sehen – die parallele Eisenbahnlinie und die ältere Trasse im Talgrund könnten Aufschluss geben.

Unterdessen konzentrieren wir uns auf den unscheinbar wirkenden Wagen, der auf einer ansteigenden Straßenpartie gehalten hat:

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Aus dieser Perspektive scheint es kaum möglich, den Wagen zu identifizieren. Dennoch ist es gelungen, nachdem sich die Hypothese „US-Fabrikat“ nicht bestätigt hatte.

Hier sehen wir einen Fiat des von 1929-32 gebauten Vierzylindertyps 514. Der nur 1,4 Liter „große“ Motor leistete knapp 30 PS – für damalige Verhältnisse beachtlich.

Aus geringen Hubräumen maximale standfeste Leistung herauszuquetschen, war seit den frühen 1920er Jahren eine Spezialität von Fiat. 

Fast 37.000 Stück dieses Typs baute Fiat von diesem bodenständigen Mittelklassewagen. Doch wie erkennt man eigentlich das Modell auf der Aufnahme?

Nun, dazu muss man wie so oft ganz genau hinschauen. Die Haubenpartie gibt dabei die entscheidenden Hinweise. Sie ist seitlich und mittig abgetreppt gestaltet, was sich im Verlauf der Chromleiste am hinterem Haubenende widerspiegelt.

Das klingt zugegebenermaßen abstrakt, daher hier ein Anschauungsobjekt aus entgegengesetzter doch kaum minder ungewöhnlicher Perspektive:

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Fiat 514 Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir sowohl den ausgeprägten Mittelsteg in der Motorhaube als auch den stufenartigen Übergang zur Haubenseite – besagte Chromleiste folgt dieser Linie präzise und ist auch auf der ersten Aufnahme nachzuvollziehen.

Zusammen mit den – bei der zweiten Aufnahme nicht zu sehenden – nach innen geschüsselten Scheibenrädern mit verchromter Nabenkappe spricht alles für einen Fiat 514 als zweitürige Limousine.

Wohin genau einst Anfang der 1930er Jahre die Reise im Fiat ging, dazu hätten wir gern die fesche Dame befragt, die hier kühn die Richtung vorzugeben scheint:

Fiat_514_Alpenpass_Ausschnitt2

Vielleicht hätte sie frei nach Altmeister Goethe geantwortet:

Du kennst das Land, wo die Zitronen blühn,

im dunkeln Laub die Goldorangen glühn,

Ein sanfter Wind vom Himmel weht,

Die Myrte hoch und still der Lorbeer steht,

Du kennst es wohl.

Dahin! Dahin

Möcht‘ ich mit meinem Fiat ziehn.

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Vor 95 Jahren: Pfingstausflug im Fiat 505 Tourer

Wie haben die Leser dieses Blogs das Pfingstwochenende 2018 verbracht? Hoffentlich in angenehmer Gesellschaft, vielleicht mit einer Ausfahrt im klassischen Automobil.

Dabei dürfte den wenigsten die ursprüngliche Bedeutung des Pfingstfestes noch bewusst sein. Man muss kein gläubiger Christ sein, um die Bedeutung dieser Tradition für unsere europäische Kultur zu schätzen oder zumindest zu respektieren.

So wird an Pfingsten die enge Verbundenheit von jüdischer und christlicher Tradition besonders deutlich.

  • Die Spanne von 50 Tagen zwischen dem Osterfest – der Auferstehung von Jesus Christus  – und dem Pfingstfest, an dem den Gläubigen der Heilige Geist zuteil wird – war gewissermaßen die christliche Neuinterpretation einer jüdischen Tradition.
  • Dem Osterfest entspricht das jüdische Pessah-Fest, das die Befreiung der Juden aus der ägyptischen Knechtschaft feiert. 50 Tage danach folgte das Schawout-Fest, mit dem die Offenbarung der Tora an das Volk Israel begangen wird.

Aufgeklärte Menschen des 21. Jahrhunderts nehmen solche religiösen Überlieferungen nicht mehr wörtlich, eine eminent wichtige Errungenschaft unserer Zivilisation.

Das Pfingstfest dennoch zur inneren Einkehr zu nutzen und würdevoll zu begehen, ohne seine Mitmenschen zur Nachahmung zu nötigen, das ist eine ebenso schöne Tradition wie den Feiertag schlicht zum bewussten Genuss des Daseins zu nutzen:

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Fiat 505, Pfingsten 1923; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese fein herausgeputzte Gesellschaft hat jedenfalls an Pfingsten 1923 – also vor 95 Jahren – den Feiertag auf besondere Weise begangen.

Gläubige Leser werden die Analogie verzeihen, doch diese Autoinsassen empfanden an Pfingsten möglicherweise die Befreiung aus Kutsch- und Eisenbahnabteilen und den Empfang des Heiligen Geistes der Neuzeit – der technischen Anwendung nüchterner Wissenschaft.

Wem das zu hochgegriffen erscheint, hat nicht bedacht, welche befreiende Wirkung die Anwendung menschlichen Forschergeistes in den letzten 120 Jahren hatte.

Man denke sich banale Alltagshelfer wie Waschmaschine, Gefrierschrank, Geschirrspüler und Staubsauger weg – schon landet man unweigerlich in den Verhältnissen des 19. Jahrhunderts, die speziell für die Frauen bedrückend waren.

Die Erfindung des Automobils muss auf unsere Vorfahren ganz ähnlichen Eindruck gemacht haben – auf einmal standen dem Individuum regelrechte Zauberkräfte zu Gebote, die die selbstbestimmte Überwindung von Raum und Zeit ermöglichten.

Genug davon, bestimmt will mancher Leser an dieser Stelle bloß erfahren, wie man den sechssitzigen Tourenwagen identifiziert, der an Pfingsten 1923 irgendwo in Deutschland zum Einsatz kam. Dabei hilft ein Blick auf die Frontpartie:

Fiat_505_Tourer_Pfingsten_1923_Frontpartie

Die birnenförmige, in Wagenfarbe lackierte Kühlermaske war ein Erkennungszeichen der Fiats in der Zeit direkt nach dem 1. Weltkrieg. Auch die Form des hier nicht lesbaren Markenemblems passt zu der Turiner Marke.

Man denkt spontan an das Modell 501, mit dem Fiat ab 1919 einen internationalen Erfolg landete wie kaum ein anderer europäischer Hersteller. Das über 80.000mal gebaute Modell fand auch in Deutschland viele Käufer (Bildbericht).

Der fast horizontale Verlauf der Vorderschutzbleche verweist jedoch auf das parallel verfügbare Schwestermodell Fiat 505, das einen größeren Radstand aufwies und dessen 2,3 Liter messender Vierzylinder 33 statt 23 PS leistete.

Fast 18.000 Stück wurden bis 1925 von diesem Modell gefertigt, das wie der kleine Bruder im Ruf stand, praktisch unzerstörbar zu sein. Ab 1924 waren sogar Vorderradbremsen verfügbar, damals noch eine Seltenheit.

Dem Foto zufolge erlebten die älteren Insassen auf der Rückbank des Fiat damals ihr persönliches Pfingstwunder:

Fiat_505_Tourer_Pfingsten_1923_Insassen

Sie waren noch tief im 19. Jahrhundert geboren und waren in einer Zeit großgeworden, in der Pferdekutschen wie seit Jahrtausenden dominierten.

Und an Pfingsten 1923 saßen sie auf ihre alten Tage auf einmal in einer dieser wunderbaren pferdelosen Kutschen, die sich bis dato nur ganz wenige Leute überhaupt leisten konnten.

Mit an Bord die jüngere Generation, für die Automobile zumindest keine Neuigkeit mehr darstellten, aber alles andere als alltäglich waren.

Der Herr am Steuer mit dem flotten Hut und sein vierbeiniger Beifahrer werden bloß gedacht haben: „Gottseidank ist heut‘ ein freier Tag, da gönnen wir uns etwas. Gerade überkommt’s mich mächtig und ich möchte einfach lossausen mit meinem Fiat und den himmlischen Fahrtwind genießen…“.

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Was für ein Schiff! Austro-Daimler ADR in Hessen

Länge läuft – so lautet eine alte Seemanns-Weisheit, die bis in die große Zeit der rasanten Teeklipper und Windjammer des 19. Jahrhunderts zurückreicht.

In gewisser Weise gilt das auch für Automobile – ein langer Radstand führt zu stabilerem Fahrverhalten – Besitzer klassischer Landrover kennen den drastischen Unterschied im Fahrkomfort von 88 und 109 Zoll-Versionen.

Doch solche „Youngtimer“ sind hier nicht das Thema – dieser Blog lässt stattdessen die automobile Welt der Vorkriegszeit wiederaufleben, anhand zeitgenössischer Originalfotos aus der Sammlung des Verfassers.

Anlässlich des Pfingstwochenendes gönnen wir uns heute etwas besonders Feines:

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Austro-Daimler ADR Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses „Schiff“ mit seiner Gesamtlänge von 5,40 Metern lässt sich anhand der Kühlerform auf Anhieb als Austro-Daimler identifizieren.

Bereits vor dem 1. Weltkrieg hatte sich der Wiener Hersteller vom einstigen Mutterhaus in Cannstadt abgenabelt und beschritt unter technischer Leitung von Ferdinand Porsche eigene Wege.

Porsche verließ zwar 1923 das Unternehmen wieder, doch seine rechte Hand Karl Rabe blieb Austro-Daimler treu und entwickelte die Porsche-Konstruktionen weiter.

Ihm war das hochmoderne Konzept des 1927 vorgestellten Typs ADR zu verdanken, den wir auf dem Foto sehen.

Er besaß keinen Leiterrahmen mehr sondern ein massives Zentralrohr, was der Gewichtsersparnis diente. Die Hinteräder waren unabhängig voneinander aufgehängt und ermöglichten so bessere Traktion und höheren Federkomfort.

Der Motor war ein Prachtexemplar: Das Sechszylinder-Aggregat verfügte über die anspruchsvollste Steuerung von Ein-und Auslassventilen, die damals möglich war. So war die Nockenwelle im Zylinderkopf angebracht und wurde praktisch spielfrei über eine Königswelle von der Kurbelwelle aus angetrieben.

Damit ausgestattet leistete der 3 Liter messende Motor 70 PS – außerdem war eine Sportversion mit 100 PS verfügbar, was das Potential der Konstruktion unterstreicht.

Unser Foto zeigt allerdings „nur“ die Basisversion als Limousine, die sechs bis sieben Personen Platz bot:

Austro-Daimler_ADM_Limousine_FrontpartieZugelassen war dieser mächtige Wagen übrigens im Regierungsbezirk Wiesbaden, was die Kennung „IT“ in Verbindung mit der Nummer 15.456 verrät.

Demnach hatte einer dieser raren Austro-Daimler des Typs ADR, der bis 1931 gebaut wurde, einst den Weg nach Hessen gefunden. 15.700 Mark sind als Preis für die eindrucksvolle Limousine überliefert.

Der Ausführung der Vorderschutzbleche nach zu urteilen, dürfte es sich um ein frühes Exemplar gehandelt haben, da die später gebauten Ausführungen über vorn stärker abgerundete Kotflügel verfügten.

Auf dem linken Vorderschutzblech thront übrigens ein Fahrtrichtungsanzeiger, der mittels eines beleuchten Pfeils angab, wohin es als nächstes ging.

Wo diese schöne Aufnahme einst entstand, können uns das vergnügte Mädchen auf dem Trittbrett und der freundliche Chauffeur neben ihr nicht mehr sagen. Jeweils auf ihre Weise befanden sich beide in einer außerordentlich privilegierten Situation.

Einen Austro-Daimler der 1920er Jahre im damals bitterarmen Hessen fahren zu dürfen, war im wahrsten Sinne des Wortes ein ganz großer Luxus.

Bedenkt man aber, was der damaligen Generation noch blühte und was von der Pracht der Vorkriegszeit übrigblieb, wird deutlich, wie vergänglich alles Glück sein kann…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

 

Bodenseetour mit 6 Zylindern: Chevrolet von 1933

US-Vorkriegswagen hatten in Europa ihre große Zeit in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre. Speziell am deutschen Markt waren die gut motorisierten und großzügig ausgestatteten „Amerikanerwagen“ ungeheuer erfolgreich.

Die einheimischen Hersteller verstanden lange nicht, dass sie nur mit Massenproduktion eine Chance gegen die Konkurrenz aus Übersee hatten – selbst im rückständigen Italien setzte Fiat längst erfolgreich auf Großserie.

Mit der Weltwirtschaftskrise gingen die Marktanteile der US-Wagen rasch zurück – die bisherige Klientel, die sich trotz der rigiden deutschen Hubraumbesteuerung großvolumige amerikanische Autos leisten konnte, musste kleinere Brötchen backen.

Gleichzeitig begannen die einheimischen Hersteller aufzuholen und setzten vor allem fahrwerksseitig auf moderne Konzepte, die zunehmend gut ankamen.

Wirklich souverän motorisierte und einigermaßen erschwingliche Autos aus deutscher Produktion blieben aber Mangelware. Das sagte sich offenbar auch der Besitzer dieses Wagens:

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Chevrolet „Six“ von 1933; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser Abzug wirkt wegen des strukturierten Papiers in digitalisierter Form deutlich körniger, als er es tatsächlich ist. Dieses Problem taucht auf auf Ansichtskarten der Vorkriegszeiten bisweilen auf.

Gut erkennbar ist aber die Hafeneinfahrt der bis heute weitgehend erhaltenen historischen Stadt Lindau am Bodensee mit dem Leuchtturm von 1856 und dem monumentalen Bayrischen Löwen.

Auf der gegenüberliegenden Kaimauer steht eine große Sechsfenster-Limousine, bei der man wegen der massiven Fenstersäulen gleich auf ein US-Fabrikat der frühen 1930er Jahre tippen würde – aber welches?

Das Foto war lange eines von Dutzenden in der Sammlung des Verfassers, die noch der Identifikation harren. Doch kann man sich mit etwas Geduld auch solch einem Fahrzeug auf systematische Weise nähern und es schließlich klar ansprechen.

Basierend auf der Ausgangsthese, dass es sich um ein US-Auto handelt, das in Deutschland verkauft worden war, reduziert sich die kolossale Zahl an einstigen amerikanischen Automarken auf rund ein Dutzend „Verdächtige“. 

Bevor man also den „Standard Catalog“ of American Cars von Clark/Kimes bemüht, der eine vierstellige (!) Zahl von US-Marken abdeckt, ist man gut beraten, erst einmal einen „Europa-Filter“ vorzuschalten.

Dazu eignet sich hervorragend ein Buch, wie es wohl nur in England entstehen konnte: „American Cars in Europe 1900-1940 – A Pictorial Survey“ von Bryan Goodman (2006).

Darin werden anhand zeitgenössischer Originalaufnahmen und Reklame US-Automobile vorgestellt, die einst in Europa verkauft wurden. Mit rund 200 Seiten ist das Werk auch rascher durchgearbeitet als die 1.600 Seiten starke US-Auto“bibel“.

Schon auf Seite 25 wurde der Verfasser fündig, zumindest beinahe. Dort fand sich die Abbildung eines Wagens, dessen Frontpartie in wesentlichen Teilen mit diesem Ausschnitt übereinstimmte:

Buick_Series_57_1933_Lindau_Bodensee_Frontpartie Einteilige Stoßstange, Chromradkappen an Speichenfelgen, schwungvoll ausgeführte Schutzbleche mit Seitenschürzen, leicht schrägstehende Frontscheibe und – hier kaum erkennbar – seitliche Luftklappen mit jeweils einer waagerechten Chromleiste.

Von der Kühlerpartie ist zwar nur wenig zu sehen, doch auch sie passt auf den ersten Blick zum genannten Foto. Dieses zeigt einen Buick „Eight“ Series 50 von 1933 mit Cabrioletaufbau von Langenthal in Bern, also eine offene Version.

Mit dieser Information kann man nun gezielt den „Buick“-Eintrag im „Standard Catalog of American Cars und dort speziell das Modelljahr 1933 durchgehen.

Darin findet sich derselbe Aufbau als 6-Fenster-Limousine wie auf unserem Foto unter der Bezeichnung „Series 57“. Selbst Details wie das aufschiebbare hintere Seitenfenster finden sich in beiden Fällen:

Buick_Series_57_1933_Lindau_Bodensee_SeitenpartieDabei hat die Aufnahme aus Lindau am Bodensee den Vorzug, dass wir zwei junge Damen im langen Wollmantel als „Extra“ geboten bekommen.

Es muss ein kalter Tag gewesen sein, als das Foto entstand: Die eine der Damen hat ihre Handtasche unter den Arm geklemmt und die Hände in den Manteltaschen versenkt.

Die andere hält die Handtasche am linken Arm, scheint aber mit der Temperatur ebenfalls nicht ganz zufrieden zu sein.  Ihr Blick dürfte auf die Fassade des Bahnhofs gegangen sein, der sich direkt an der Lindauer Hafenpromenade befindet.

„Man könnte sich doch im Bahnhofsrestaurant aufwärmen“, mag sie gedacht haben. Ja, das hätte man tun können, denn in der Vorkriegszeit waren Bahnhöfe noch gepflegte Orte, an denen man respektabel speisen konnte.

Der Fotograf mag anderes im Sinn gehabt haben. Ihm kam es vor allem darauf an, seinen Wagen und die beiden Begleiterinnen möglichst ansprechend auf Zelluloid zu bannen.

Dass sich der Wagen bei näherer Betrachtung doch nicht als Buick „Eight“, sondern als günstigerer Chevrolet „Six“ aus demselben Modelljahr 1933 erwies, tut der eindrucksvollen Erscheinung keinen Abbruch.

Die beiden Marken aus dem General Motors-Konzern wurden bei stark unterschiedlicher Motorisierung und Ausstattung letztlich mit sehr ähnlichen Karosserien versehen.

Unsere Buick-Besatzung wird ihre Tour am Bodensee unter denkbar angenehmen Umständen absolviert haben – zumindest, was den automobilen Untersatz angeht. Das gesellschaftliche Umfeld dagegen sollte sich ab 1933 dagegen rapide eintrüben…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.