Vermutlich gehört der Fund des Monats zu den von vielen Leser besonders geschätzten Rubriken meines Blogs – für mich ist er beinahe eine Entspannungsübung.
Denn wenn ein Vorkriegsfahrzeug auf einem historischen Foto aufgrund seiner Seltenheit für sich spricht, muss ich mir keine Herleitung ausdenken, welche bisweilen ein Eigenleben entwickelt und an den Nerven einiger Konsumenten zu zehren scheint.
So dachte ich heute, dass ich – wieder einmal unter Zeitdruck stehend – ein paar Worte zum Fund des Monats August 2024 routiniert herunterschreiben kann und damit davonkomme.
Doch bei Sichtung des Materials geriet ich etwas ins Schwitzen – obwohl kühle Abendluft durchs Fenster hereinweht und lässige Vorkriegs-Rhythmen von Cab Calloway zusätzlich für eine „coole“ Atmosphäre sorgen.
Meine Arbeit würde sich darauf beschränken, dieses großartige Foto aus der Sammlung von Leser Klaas Dierks zu präsentieren, dachte ich – zumal er den Hersteller identifiziert hatte:

Na, woran denken Sie spontan, wenn Sie die schrägstehenden Luftauslässe in der Motorhaube sehen? Ein Opel, nicht wahr?
Knapp daneben ist auch vorbei – denn was hier im Dienst der Königlich-Bayrischen Armee im 1. Weltkrieg daherkommt wie ein Rüsselsheimer war in Wahrheit ein Dessauer.
Als solche wurden die ab 1911 von den Motoren-Werken Dessau gebauten Automobile vermarktet. Wie der an einen „Nassauer“ erinnernden Name auf die Zeitgenossen wirkte, ist nicht überliefert, aber bemerkenswert ist das Fabrikat allemal.
Klaas Dierks konnte die Marke „seines“ Wagens anhand des Kühleremblems mit einem zweizeiligen Schriftzug klar als einen Vertreter „Der Dessauer“ ansprechen. Dabei mag ihm ein Blick auf Claus Wulffs famose Website zu Kühleremblemen aus aller Welt die letztendliche Gewissheit gegeben haben.
Denn dort ist ein ultrarares Emblem der nur bis 1913 existierenden Marke abgebildet.
Sie müssen es mir nachsehen, dass ich nicht länger bei dem Foto des Dessauer verweile, das können Sie bei Bedarf eigenständig tun. Zudem bin ich sicher, dass Klaas Dierks selbst noch einiges zu dem Wagen und seinem Einsatz beim deutschen Militär zu ergänzen weiß.
Mit Blick auf die Uhr will ich stattdessen rasch noch einige Dokumente aus meinem eigenen Fundus präsentieren, anhand derer sich der Marke weitere Facetten abgewinnen lassen.
So verwendete man anfänglich ein anderes Kühleremblem, auf welchem das Akronym MWD zu sehen war, welches auf die ursprüngliche Firmenbezeichnung „Motoren-Werke Dessau“ Bezug nahm:
Kühleremblem-Spezialist Claus Wulff hat hier noch eine Leerstelle in seiner Sammlung, wenn ich das so sagen darf, aber das weiß er sicher selbst. Überhaupt möchte ich seine „Sorgen“ nicht haben, was hunderte andere noch unentdeckte Originale in dieser Hinsicht betrifft.
Interessanterweise trat man man mit dem „Dessauer“ unter anderem gegen das Opel-Modell 8/20 PS an und überbot dessen Spitzenleistung zunächst mit dem 8/22 PS-Typ, später mit dem 8/24 PS-Modell – und das zu einem niedrigeren Preis.
Auf dieses alleinige Modell konzentrierte man sich nach Gründung der „Anhaltische Automobil-Fabrik und Motoren-Fabrik AG“ anno 1912.
Die Bezeichnung findet sich auf folgender Reklame, die zwar grafisch gelungen ist (eine Arbeit von Ernst Neumann-Neander), aber mit dem Verweis auf die im Automobilbau übliche „Präzisionsarbeit“ die Chance verpasste, sich von der Konkurrenz abzugrenzen…
Wie es scheint, gelang es der Firma auch nicht, ausreichend Kapital für die notwendige Skalierung der Fertigung aufzubringen, denn schon 1913 geriet das Unternehmen in Zahlungsschwierigkeiten und ging pleite.
Eine reife Leistung in einer Zeit, in der in Deutschland die Nachfrage nach Automobilen richtig Fahrt aufnahm.
Immerhin verabschiedete man sich mit einer ästhetisch herausragenden Reklame (wieder von Neumann-Neander) im Sommer 1913 kurz vor dem Ende der Produktion:
So ging es stilvoll im Dessauer dem Ende entgegen – zugleich ein passendes Bild für die allgemeine Tendenz der Zeit in deutschen Landen.
Ob nach dem Ende des Herstellers ein anderer die Produktionsanlagen übernahm, ist mir ebenso unbekannt wie die Zahl der gefertigten Dessauer-Automobile.
So, gerade noch geschafft.
Morgen geht es zur „Classic Gala“ in Schwetzingen – Deutschlands hochkarätigster Klassikerveranstaltung nach dem Ende der legendären „Classic Days auf Schloss Dyck“.
Einen Dessauer werde ich dort gewiss nicht antreffen, aber Inspiration für den Blog sollte sich finden lassen…
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.