2 Sta(h)linisten bei der Wehrmacht: ZIS-101

Heute habe ich zum einen das Vergnügen, die stetig wachsende Marken-Schlagwortwolke in meinem Blog um einen Neuzugang zu erweitern – und zwar ganz am Ende.

Zum anderen kann ich endlich der kalten Jahreszeit adieu sagen – nicht nur, weil es in der hessischen Wetterau heute frühlingshaft warm wurde, sondern weil ich endlich eine Gelegenheit gefunden habe, die folgende Winteraufnahme „abzuhaken“:

ZIS-101 in einer deutschen Kolonne an der Ostfront; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Foto machte einst ein deutscher „Landser“ während des Russlandfeldzugs. Wir sehen eine bunt zusammengewürfelte Kolonne, wie sie typisch für die Wehrmacht war, der es immer an Fahrzeugen mangelte, weshalb man nahm, was man kriegen konnte.

Militärischen Anforderungen genügte von den PKW an der Spitze bestenfalls der offene Adler 12N-Kübelwagen, der an dritter Stelle zu sehen ist.

Die Limousine ganz vorne bereitete mir lange Schwierigkeiten – sie sieht aus wie ein Wagen aus dem General-Motors-Konzern von 1934, doch entspricht das Erscheinungsbild keiner der zahlreichen Marken in dem Verbund ganz genau.

Tatsächlich ist der Wagen ein russischer ZIS-101, der ab 1936 nach US-Vorbildern von der Zavod imeni Stalina (ZIS) in Moskau gebaut wurde.

Was das konkrete Vorbild des ZIS-101 angeht, gehen die Angaben auseinander. Laut deutscher Wikipedia nahmen die russischen Konstrukteure Maß an Buick-Modellen, laut anderen Quellen erwarb man dazu eine Lizenz von Cadillac.

So oder so fragt man sich, wozu in der sozialistischen Sowjetunion ein Wagen dieses Kalibers gebaut werden musste, da doch die Vertreter der kommunistischen Führung sicher keine Privilegien gegenüber den übrigen „Genossen“ wünschten – oder doch?

Bemerkenswert, dass die deutsche „Wikipedia“ zum ZIS-101 die Propaganda wiederkäut, wonach „es weniger darum (ging), repräsentative Wagen für die Regierung zu bauen, als zu demonstrieren, dass die Sowjetunion in der Lage war, Oberklasselimousinen zu fertigen“.

Natürlich wurden diese ZIS-101 Wagen nicht lediglich zu „Show“-Zwecken gebaut, dafür hätte man nicht einige tausend anfertigen müssen. Vielmehr dienten sie dem exklusiven Transport bolschewistischer Bonzen in Politik, Wirtschaft und Militär.

Ihnen konnte es gleichgültig sein, dass der ZIS-101 noch schwerer und durstiger geraten war als die massigen US-Oberklassevorbilder – das Proletariat brachte auch diese Opfer.

Etliche dieser vierrädrigen „Sta(h)linisten“ fielen allerdings im Zuge des deutschen Russlandfeldzugs ab 1941 ungeplant der Wehrmacht in die Hände. Hier hat es gleich zwei erwischt, die hinter der Front von deutschen Soldaten untersucht werden:

ZIS-101, Beutewagen der Wehrmacht; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Viele private Aufnahmen vom deutschen Ostfeldzug wirken so harmlos wie dieses.

Doch wird der Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion auch dadurch nicht besser, dass er wahrscheinlich entsprechenden Plänen Stalins zuvorkam, der zuvor die zahlenmäßig stärkste (Panzer)Armee der Welt aufgebaut hatte.

An den zivilen und militärischen Opfer des Feldzugs gibt es ebenfalls nichts zu beschönigen, ganz gleich wie sehr der einzelne Soldat darauf bedacht gewesen sein mag, sich an die Regeln des Kriegshandwerks zu halten.

Die ultimative Verantwortung für das allzuoft verbrecherische Geschehen ist freilich in der damaligen Politik und der Wehrmachtsführung zu verorten. Dem Einzelnen ist zuzubilligen, dass er kaum eine andere Wahl hatte, als Anordnungen von höherer Stelle auszuführen.

Dass das abseits des Kampfgeschehens oft banale Tätigkeiten waren, belegen solche Bilder. So war die Prüfung und Ertüchtigung von Beutefahrzeugen eine wichtige Aufgabe, da die Wehrmacht wie gesagt an chronischer Fahrzeugknappheit litt:

Was genau hier vor sich geht, muss offen bleiben. Man mag sich vorstellen, dass die frisch erbeuteten ZIS-101-Wagen, die wohl russischen Offizierschargen als Fortbewegungsmittel dienten, erst einmal gründlich durchsucht wurden.

Doch sind hier bei beiden Autos auch die Motorhauben geöffnet. Entweder glaubte man, dass im Motorraum wichtige Dokumente verborgen sein könnten, oder man verschaffte sich bereits einen Überblick über den Allgemeinzustand der Wagen.

Im nächsten Schritt dürften sie jedenfalls eine Wehrmachtskennung und bald auch ein entsprechendes Kennzeichen erhalten haben, sodass sie in den Fuhrpark einer namenlosen Einheit eingereiht werden konnten.

Wann und wo das war, lässt sich nicht mehr ermitteln. Das Foto trägt auf der Rückseite lediglich den Stempel des Hamburger Fotohauses Weicht. Damit wissen wir immerhin, wo der Wehrmachtssoldat zuhause war, der diese Aufnahme gemacht hat.

Was aus ihm und den beiden „Sta(h)linisten“ mit US-Genen wurden, die unfreiwillig für den Dienst beim Gegner eingespannt wurden, wissen wir nicht. Gut möglich, dass die beiden ZIS-101-Wagen im weiteren Kriegsverlauf wieder den Besitzer wechselten.

Im Unterschied zu russischen Kollaborateuren oder auch Kriegsgefangenen wird man sie bei der Roten Armee gern wieder aufgenommen haben, denn dort waren hohe Chargen ungern wie der ordinäre Genosse zu Fuß unterwegs. Für diese Form der Fortbewegung nahm man auch formale wie technische Anleihen bei den US-Kapitalisten in Kauf…

© Michael Schlenger, 2021. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.