Enigma enträtselt! Hupmobile „Century 8“ von 1929

Wer sich für die Geschichte des 2. Weltkriegs interessiert – weil man dabei (auf allen Seiten) das Schlechteste und Beste im Menschen komprimiert studieren kann – der wird beim Stichwort „Enigma“ nicht an irgendein Rätsel denken, erst recht kein automobiles.

Die Enigma war eine deutsche Maschine zur Verschlüsselung und Entschlüsselung militärischer Funkbotschaften, die der Gegner zwar mithören, aber nicht verstehen und lange Zeit auch nicht dekodieren konnte.

Man war in Deutschland sehr zufrieden mit diesem genialen Gerät und wie immer, wenn man sich aus Hybris für überlegen hält, läuft man Gefahr, über kurz oder lang von anderen genialen Geistern überflügelt zu werden – so auch im Fall der Enigma.

Die Briten setzten erhebliche Ressourcen ein, um den Enigma-Code zu knacken und kamen der Auflösung auch schon recht nahe, doch dauerte die meist nur teilweise mögliche Entschlüsselung zu lange, um militärischen Nutzen darauf zu ziehen.

Wie so oft bewirken kleine Vorkommnisse in der Geschichte Großes – eine Erfahrung, die auch angesichts gegenwärtiger Verhältnisse vielleicht etwas hoffnungsfroh stimmt.

So gelang es, aus einem deutschen U-Boot, das bei einem britischen Luftangriff beschädigt und von der Besatzung bereits aufgegeben worden war, ein Exemplar der Enigma mit den Kodierrollen unversehrt zu bergen.

Damit waren die Alliierten nun in der Lage, die Funksprüche der deutschen Kriegsmarine in Echtzeit mitzulesen und wussten speziell über die Standorte der U-Boote genau Bescheid.

Die Folge waren sich massiv steigernde, oft erfolgreiche Angriffe aus dem Nichts heraus. Diese ließen zwar an der Front Zweifel an der Sicherheit der Enigma aufkommen, aber für die Schreibtisch-Herrenmenschen in Berlin war es undenkbar, dass die „Tommies“ den verschlüsselten deutschen Funkverkehr abhören konnten.

Daraus lernt man zweierlei: Zum einen hüte man sich vor Selbstüberschätzung – bei den „Eliten“ im längst zum Zwergenstatus geschrumpften Deutschland immer noch virulent – zum anderen unterschätze man die Macht des Zufalls nicht.

Damit wären wir endlich beim Enigma, um das es heute eigentlich geht – dieses hier:

Hupmobile „Century Eight“ von 1929; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Eine schöne Aufnahme wie diese weckt stets mein Interesse – nicht nur, weil ich gelungene Beispiele für das alte Thema „Paar posiert vor dem PKW“ mehr mag als meist seelenlose Aufnahmen von Automobilen allein.

Nein, hier hatte ich auch gleich erkannt, dass dieser Wagen kein leichter Fall sein würde, was die Identifizierung von Hersteller und Typ angeht. Solche Exemplare erwerbe ich besonders gern, wenn der Preis niedrig angesetzt ist (d.h. um die 5 EUR).

Vom Stil des Aufbaus lag ein Fahrzeug der späten 1920er Jahre nahe. Nun kenne ich mich mit den gängigen Wagen aus dem deutschsprachigen Raum einigermaßen aus und konnte keinen passenden Kandidaten finden, obwohl einige Marken wie Horch oder Adler stilistisch vergleichbare Automobile fertigten.

Französische oder englische Wagen wiesen damals meist deutliche Eigenheiten auf. Auch belgische Fabrikate wie Minerva ließen sich ausschließen, obwohl sie Ende der Zwanziger ebenfalls eher dem US-Stil folgten.

Damit blieb nur ein US-Fahrzeug als wahrscheinlichster Kandidat – da die amerikanischen Hersteller damals genau diese Ästhetik pflegten, die von den bis dato meist rückständigen deutschen Marken eifrig kopiert wurde.

So finden sich die nach hinten versetzten Luftschlitze in der Motorhaube nicht nur beim sächsischen Horch 8 Typ 375 von 1929, sondern schon ab 1926 beim amerikanischen Cadillac.

In Verbindung mit den Initialen „VW“ oder „MW“ auf den Radkappen sollte sich doch das mutmaßliche US-Fabrikat ermitteln lassen, so dachte ich:

Doch weit gefehlt. Auch die über 1.600 Seiten starke „Bibel“ mit den wichtigsten der einst abertausenden US-Vorkriegsautomarken („Standard Catalog of American Cars“ von Kimes/Clark) lieferte keinen passenden Herstellernamen.

An dieser Stelle kommt eine Institution ins Spiel, die ich lange belächelt oder gar verachtet hatte (da ist sie wieder, die deutsche Arroganz….) – Facebook nämlich.

Niemand „braucht“ natürlich dieses für die Aktionäre der Firma (bin selbst im kleinen Stil einer) hochprofitable Online-Medium zur Selbstdarstellung. Man kann aber damit ziemlich geniale Sachen machen – was einem leider kein deutsches Unternehmen ermöglicht.

So kann man zu praktisch jedem noch so exotischen Sammlerthema eine Facebook-Gruppe aufmachen, der sich Gleichgesinnte auf der ganzen Welt unkompliziert anschließen können und in der man sich – ganz privat und ungestört – über alle Aspekte des Hobbys austauschen kann, mit Tipps und Bildern, Videos und Angeboten.

Für Freunde von Vorkriegsautos gibt es vor allem die – natürlich in den USA gegründete enorm mitgliederstarke Gruppe „Cars of the 1900s to the 1930s“ und die von mir selbst ins Leben gerufene deutlich kleinere Gruppe „Vintage Photos of Prewar Cars in Europe„.

Die internationalen Mitglieder beider Gruppen haben in etlichen Fällen binnen kürzester Zeit Fahrzeuge identifiziert, an den ich mir die Zähne ausgebissen hatte. So dauerte es im vorliegenden Fall nur einen Tag, bis ein Kenner aus den USA das Enigma geknackt hatte.

Er verwies darauf, dass die Radkappen wahrscheinlich Zubehörteile waren, auf denen der Besitzer seine eigenen Initialen oder die seiner Firma hatte gravieren lassen. Davon abgesehen entspreche der Wagen zu 100 % dem 1929er Modell „Century Eight“ des unabhängigen amerikanischen Herstellers Hupmobile.

Tatsächlich finden sich alle Details exakt auf zeitgenössischen Aufnahmen dieses 80 PS leistenden Wagens der gehobenen Mittelklasse (nach US-Maßstäben) wieder. Das 1929er Modell markierte freilich auch das Ende des rapiden Wachstums, das die seit 1909 existierende Nischenmarke aus eigenen Kräften hingelegt hatte.

Bis 1941 sollte die Agonie der Marke noch anhalten – im selben Jahr gelang es übrigens , eine Enigma aus dem deutschen Unterseeboot U-110 zu bergen.

Wer sich nun nicht in die überaus spannende Geschichte der Enigma des 2. Weltkriegs vertiefen will, dem bleibt vielleicht noch Zeit für ein ausführliches Videoporträt eines erhaltenen Hupmobile des Typs „Century 8“ von 1929:

Videoquelle: Youtube; hochgeladen von Robert Hill

Nachtrag: Das Rätsel der Radkappen ist ebenfalls gelöst worden: Dabei handelt es sich tatsächlich um Zubehörteile, die von Kelsey-Hays gefertigt und unter dem Markennamen „Motor Wheel“ vertrieben wurden – daher das „MW“-Akronym.

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Typ aus der Neuen Welt: Hupmobile „R“ von 1924

Meine letzten Blog-Einträge waren einigen Spitzkühlermodellen gewidmet, wie sie typisch für Automobile aus dem deutschen Sprachraum waren, die von 1914 bis in die frühen 1920er Jahre gebaut wurden.

Regelmäßige Leser wissen, dass ich diese noch in die Zeit des Jugendstils zurückreichende expressive Ästhetik sehr schätze und der schlichten „modernen“ Linie vorziehe, wie sie sich nach dem 1. Weltkrieg in den meisten Ländern durchsetzte.

Wie groß der Kontrast zwischen der „alten“ und der „neuen“ Welt der Karosseriegestaltung war, lässt sich ausgezeichnet anhand eines Wagens nachvollziehen kann, dessen Konterfei ich Leser Klaas Dierks verdanke.

Zu sehen ist hier ein Typ R des US-Herstellers Hupmobile, der zwar nicht zu den ganz großen Produzenten gehörte, aber stückzahlenmäßig in der Lage war, auch die unterversorgten Länder des europäischen Kontinents mitzubedienen, darunter Deutschland:

Hupmobile Typ R von 1924; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Dieser fast filigran erscheinende Tourenwagen wurde parallel zu den verbreiteten Spitzkühlertypen von Benz, NAG, Opel, Presto und Protos gebaut, die dagegen wirken wie Relikte aus einer anderen Zeit.

Das moderne Erscheinungsbild ist zum einen dem vernickelten Flachkühler geschuldet, zum anderen den sehr schmalen schräggestellten Luftschlitzen in der Motorhaube. Beides findet man bei Fabrikaten aus dem deutschen Sprachraum nach dem 1. Weltkrieg lange Zeit so gut wie gar nicht.

So ist dieser Hupmobile nicht nur von der geografischen Herkunft ein „Typ aus der Neuen Welt“, sondern zugleich ein früher Vertreter einer Linie, die bis 1930 modern bleiben sollte – und ab Mitte der 1920er Jahre auch von den Herstellern hierzulande aufgenommen wurde.

In technischer Hinsicht haben wir es mit einem unspektakulären Wagen mit einem knapp 40 PS leistenden Vierzylindermotor zu tun. Dieser Typ „R“ sollte bis zum Erscheinen eines Achtzylinders das einzige Modell von Hupmobile bleiben.

Änderungen an dem 1917 eingeführten und bestens bewährten Wagen sollte es nur im Detail geben, was die Datierung des Exemplars nicht ganz einfach macht. Bereits Anfang der 1920er Jahre finden sich alle wesentlichen formalen Eigenheiten wie auf dem Foto.

Doch Elemente wie die kleinen elektrischen Positions-/Standlichter vor der Windschutzscheibe sprechen meines Erachtens dafür, dass dieses Fahrzeug erst 1924 entstand. Dazu würde auch passen, dass Kühler und Motorhaube einen angedeuteten Knick nach Vorbild von Packard aufweisen:

Interessanterweise ist es gar nicht leicht, diesen „Knick“ auf Fotos erhaltener Fahrzeuge des Typs nachzuvollziehen. Bei Hupmobiles von Anfang der 1920er Jahre ist er definitiv nicht zu sehen, erst 1924/25 scheint er aufzutauchen, aber nur in sehr dezenter Form.

Mag sein, dass die harten Kontraste der Schwarzweiß-Aufnahme dieses Detail betonen, welches auf modernen Bildern so schwer zu fassen ist. Da der Wagen noch keine Vorderradbremsen besitzt, dürfte eine spätere Datierung als 1924 nicht in Frage kommen.

Das Kennzeichen ist eindeutig ein deutsches. Vor der fünfstelligen Zahl ist nur der Buchstabe „A“ zu sehen, doch dürfte davor noch eine römische „I“ gestanden haben. Dann wäre der Wagen im Großraum Berlin zugelassen gewesen.

US-Automobile waren in der Hauptstadt alles andere als selten, etliche Hersteller hatten dort sogar Montagestätten. Ob das bei Hupmobile auch so war, bezweifle ich. Dieses Fahrzeug ist das erste in Deutschland zugelassene seines Typs, das mir auf einem alten Foto begegnet ist – ich lasse mich aber gern eines Besseren belehren (Kommentarfunktion).

Mit der Entscheidung für einen solchen modernen US-Wagen zeigte der Fahrer auf jeden Fall, dass er sich ebenfalls der „Neuen Welt“ zugehörig fühlte, zumindest im Hinblick auf die Gestaltung von Automobilen:

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