Glück des Augenblicks: Ein Donnet-Zedel von 1923/24

Die Mythologie der alten Griechen ist mir von jeher sympathisch. Schon als Jugendlicher bemerkte ich bei der Lektüre deutscher Adaptionen von Ilias und Odyssee, dass man die Götter keineswegs ernstnahm im Sinn wirklich existenter höherer Wesen.

Dafür ging man viel zu leichtfüßig mit ihnen um, schrieb ihnen neben Machtfülle und Weisheit alle möglichen Marotten und Schwächen zu, erfand immer neue Varianten.

Die „Götter“ der klassischen Antike waren letztlich Abstraktionen menschlicher Eigenschaften und Verkörperung grundlegender Daseinserfahrungen des Menschen – des Edlen und Genialen, Alltäglichen und Banalen, Niedrigen und Bösen.

So findet sich für alle Phänomene des Lebens eine griechische Gottheit – eine davon entdeckte ich aber erst recht spät, und zwar im Katalog einer Schweizer Uhrenmanufaktur.

Dort trug ein klassischer mechanischer Zeitmesser den geheimnisvollen Namen „Kairos“. Das ist die altgriechische Bezeichnung für das „richtige Timing“ – den rechten Moment, in dem sich alles entscheidet, in dem alles gelingt, sich alles auf’s Schönste zusammenfügt.

Solche Momente sind rar, daher stand auch die gleichnamige griechische Gottheit stets im Schatten und ist nur sehr dürftig dokumentiert.

Doch heute haben wir Glück und können einen „Kairos“ persönlich erleben, passenderweise anhand eines (ursprünglich) Schweizer Präzisionswagens – eines Donnet-Zedel.

Vielleicht erinnern Sie sich an das schöne Foto aus der Sammlung von Klaas Dierks, das ich vor gut einem Jahr hier vorgestellt habe:

Zedel um 1920; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Es mag zunächst nicht erkennbar sein, doch der Markenname erscheint gleich zweimal auf dem Kühler dieses von den Vorderkotflügeln abgesehen nüchtern gestalteten Tourenwagens.

Oben auf dem Kühlergehäuse und unten auf dem Kühlergitter findet man nämlich die Buchstabenkombination „ZL“ – im Französischen „Zedel“ ausgesprochen. Hinter dem Kürzel verbargen sich die Namen der Gründer der Firma Zürcher & Lüthi.

Schon bei dieser Aufnahme ahnt man die Anwesenheit von Gott Kairos – der Fotograf hat den günstigsten Blickwinkel erfasst und im rechten Moment auf den Auslöser gedrückt.

Doch der glückliche Augenblick wird uns gleich noch einmal zuteil und das in noch überzeugenderer Form. So haben wir das Vergnügen, fast den gleichen Wagen wiederzusehen, bloß einen entscheidenden Moment später.

Der an sich schweizerische Hersteller Zedel, der jedoch seit 1906 seine Wagen im französischen Pontarlier fertigte, wurde nämlich nach dem 1. Weltkrieg (die Angaben variieren: 1919, 1921 und 1923) vom Flugzeugfabrikanten Donnet übernommen.

Dieser führte zunächst die Produktion der Zedel-Wagen fort, entwickelte dann aber neue Modelle, darunter den erfolgreichen kleinen Typ G. Ab 1926 hießen die Autos nur noch Donnet.

Es gab also nur einen recht kurzen Zeitraum, in dem überhaupt Wagen dieses Formats unter der Bezeichnung Donnet-Zedel gebaut wurden. Noch kürzer dürfte die Phase gewesen sein, in der man die bisherigen Zedel-Modelle unter dem neuem Markennamen weiterbaute.

Die Götter sind uns heute hold, speziell der sich sonst so rar machende Kairos ist uns wohlgesonnen – und wir sind Zeuge, wie sich alles zum Glück des Augenblicks fügt:

Donnet-Zedel von 1923; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Es fällt schwer, bei dem hier abgebildeten Automobil Unterschiede zu dem oben gezeigten Zedel zu finden – sieht man einmal vom niedergelegten Verdeck ab.

Auch die rare Zwischenscheibe, welche auch die Passagier auf dem Rücksitz vor Fahrtwind schützte, ändert nichts an der fast vollkommenen Übereinstimmung der Karosseriegestaltung.

Man beachte auch, wie der Scheinwerferträger aus dem Unterteil des Kotflügels emporragt, schon bei Fahrzeugen ab 1924 findet man dies nicht mehr (siehe hier).

Dafür liest man jetzt aber Donnet-Zedel auf dem Kühlergrill:

Mangels Quellen will ich mich nicht in Spekulationen ergehen, was die Motorisierung dieses wohl kurz nach der Übernahme von Zedel durch Donnet um 1923 entstandenen Wagen betrifft.

Jedenfalls haben wir den rechten Moment getroffen, in dem wir Zeuge der Markenumbenennung werden und zugleich mit Zeitgenossen des Fahrzeugs konfrontiert werden, die im Augenblick der Aufnahme mit sich selbst ganz im Reinen sind.

Dieses Glück des Augenblicks macht für mich ein perfektes Foto eines Vorkriegsautos aus.

Der Wagen muss vorteilhaft und in allen wesentlichen Aspekten seiner Gestaltung wiedergegeben sein. Und die Insassen sollten entspannt und gut gelaunt posieren – etwas, was mir bei Aufnahmen aus Deutschland häufig fehlt, dort wirken die Protagonisten auffallend oft griesgrämig, ernst oder unsicher.

Ganz anders hier, von dem Hund auf der Rückbank abgesehen, der sich unzugänglich gibt:

Das war schon alles, was mir zu diesem Tourenwagen aus dem Hause Donnet-Zedel einfällt.

Auch wenn ich diesmal nichts zu den technischen Spezifikationen des Wagens sagen kann – vielleicht weiß ja ein Leser eine geeignete Quelle in der Literatur oder im Netz – hoffe ich, mit diesem Foto die Gunst des Augenblicks genutzt zu haben.

Denn eigentlich war ich heute auf der Suche nach einem ganz anderen Foto, als mich der „Kairos“ mit diesem Dokument inspirierte. Mal sehen, was mir die Launen der Götter beim nächsten Mal eingeben – schon eine Weile sitzt mir beispielsweise Minerva im Nacken…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Franzose mit Schweizer Genen: Donnet-Zedel Type G

Sieht man von den Massenherstellern Citroen, Peugeot und Renault ab, haben französische Vorkriegsautos hierzulande den Ruf exotischer Luxusfahrzeuge.

Den meisten Oldtimerfreunden im deutschsprachigen Raum werden eher Raritäten von Bugatti, Delage und Delahaye geläufig sein als Wagen anderer weit verbreiteter Marken links des Rheins.

Das liegt nicht nur an der uninspirierten Berichterstattung der deutschen Klassikerpresse, wenn es um französische Marken geht. Nebenbei: Beim führenden britischen Veteranenmagazin „The Automobile“ sieht das ganz anders aus.

Zu einem verzerrten Bild führt auch die starke Präsenz hochkarätiger Vertreter der französischen Luxusmanufakturen auf Spitzenveranstaltungen in Deutschland wie den Classic Days auf Schloss Dyck.

Dagegen ist natürlich nichts zu sagen – oft genug hat die automobile Haute Cuisine aus dem Frankreich der Vorkriegszeit wahre Kunstwerke geschaffen – mit einer Schönheit und Magie, die man sich in der Moderne vergeblich wünscht.

Dann gibt es natürlich noch die Fraktion der Cyclecar-Freunde, die auch auf deutschem Boden immer mehr Zulauf findet. Für diese frankophilen Sportskameraden sind Namen wie Amilcar, BNC, Rallye und Salmson Standard.

Dann wird die Luft aber auch schon recht dünn, allenfalls Mathis mag dem einen oder noch etwas sagen. Fehlanzeige dürfte wohl beim Hersteller des folgenden Wagens herrschen, der einst immerhin rund 100.000 Autos fertigte:

Donnet-Zedel, Type G; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zugegeben, der Verfasser wäre auch nicht darauf gekommen, dass das ein Donnet-Zedel Type G aus der Mitte der 1920er Jahre ist.

Zum Glück hat der frühere Besitzer diese Information für uns auf der Rückseite hinterlassen. Bevor wir uns den kompakten Tourenwagen ein wenig genauer ansehen, ein Schnelldurchgang durch die Geschichte der Marke:

Donnet-Zedel geht auf die 1898 in der Schweiz gegründete Motorenfabrik Zürcher & Luthi zurück. Die Anfangsbuchstaben sprechen sich im Französischen „Zedel“, womit wir den ersten Baustein der späteren Marke hätten.

Zedel begann kurz nach der Jahrhundertwende mit einer Produktion in Frankreich, um die hohen Einfuhrzölle zu umgehen. Die Firma wuchs rasch, übernahm sich aber bei ihren Investitionen und wechselte 1907 den Besitzer.

Die neuen Herren bei Zedel zogen umgehend eine Automobilproduktion auf, wobei sie anfänglich noch auf eine Motorenkonstruktion des Gründers Ernest Zürcher zurückgriffen.

Der 1. Weltkrieg setzte der raschen Abfolge neuer Typen, die international Absatz fanden, ein jähes Ende.

1923 kam Zedel wieder in schweizerische Hände: der Flugzeugbauer Donnet übernahm das Unternehmen und stellte nach kurzer Übergangszeit ein neukonstruiertes Modell der gehobenen Mittelklasse vor.

Außerdem folgten kleine 4-Zylindertypen nach Vorbild von Citroen, die sich erstmals in größeren Stückzahlen verkaufen ließen. In diese Traditionslinie gehört auch der Donnet-Zedel Type G auf unserem Foto:

Zu den wenigen charakteristischen Elementen des ab 1924 gebauten Type G gehören die sieben im hinteren Drittel der Motorhaube liegenden Luftschlitze.

Unter der Haube werkelte ein konventioneller Vierzylindermotor mit 1.100 ccm und einer Höchstleistung von 20 PS. Das genügte für eine Reisegeschwindigkeit von 60-80 km/h.

Mehr war auf den französischen Landstraßen – wie auch in den Nachbarländern – ohnehin nicht drin. Wichtiger war individuelle Mobilität bei geringem Kraftstoffverbrauch – 8 Liter/100 km werden für den Type G angegeben.

Immerhin gab es ab 1926 Vierradbremsen und schon vorher war die Elektrik auf 12 Volt umgestellt worden.

Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die Franzosen in dieser Hinsicht weiter waren als deutsche Hersteller, die ihren Käufern teilweise bis in die 1960er Jahre eine funzlige 6-Volt-Beleuchtung zumuteten.

Etwa 18.000 Exemplare des Donnet-Zedel Type G entstanden bis 1928.

Bei Produktionsende war Donnet nach Mathis die fünftgrößte französische Automobilmarke, war aber bereits 1927 aus wirtschaftlichen Gründen unter ein gemeinsames Dach mit Delahaye, Unic und Chenard & Walker geschlüpft.

Die letzten Wagen unter der Marke Donnet entstanden 1934. Danach diente die Fabrik wechselnden Herstellern als Produktionsstandort.

Vom Donnet-Zedel Type G auf unserem Foto soll es noch rund 200 Exemplare geben. Ob der Wagen auf dem Abzug dazu gehört, wissen wir nicht. Auch der einstige Aufnahmeort ist unbekannt.

Doch immerhin hält dieses Bild einen glücklichen Moment vor über 90 Jahren fest:

Der junge Fahrer mit dem kräftigen Haarschopf schaut gedankenverloren irgendwo in die Ferne. Sein Hund dagegen hat die Situation erfasst und blickt direkt in die Kamera. An der Windschutzscheibe sieht man etwas Blumenschmuck.

All‘ das ist längst den Weg des Vergänglichen gegangen, doch diese schöne Aufnahme erinnert daran, dass auch ein kleiner unbekannter Tourenwagen der Vorkriegszeit und ein treuer Begleiter glücklich machen können…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.