Fest in deutscher Hand: Ein Vauxhall D-Type

Zu den thematischen Dauerbrennern in meinem Blog für Vorkriegsautos auf alten Fotos gehören die zahlreich aufgenommenen „Beutewagen“ der beiden Weltkriege.

So bedrückend das Umfeld war, in dem diese Dokumente entstanden, sind diese eine wichtige Quelle – speziell, was Fahrzeuge der Zeit bis 1918 angeht.

Während Aufnahmen von PKW zuvor auf private Anlässe beschränkt blieben, entstanden sie ab 1914 mit einem Mal in großer Zahl. Während der gigantischen Schlachten in weiten Teilen West-und Osteuropas wurden erstmals Automobile in großem Stil als Truppentransporter, Aufklärer, Kommandeursfahrzeuge und Krankenwagen eingesetzt.

Eigens für militärische Verwendungen entwickelte Wagen gab es von wenigen Versuchsfahrzeugen abgesehen kaum. Da nahm man an der Front dankbar alles, was man bekommen konnte – im Zweifelsfall bediente man sich beim Gegner.

So kommt es, dass neben unzähligen Bildern deutscher und österreichischer Hersteller auch immer wieder Fotos erbeuteter ausländischer Fabrikate auftauchen, die ebensogern fotografiert wurden, wenn es die Gelegenheit zuließ.

Eine ganze Reihe solcher Aufnahmen von Beutewagen aus dem 1. Weltkrieg harren in meinem Fundus der Aufarbeitung, zum Beispiel diese hier:

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unidentifizierter Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Beispiel zeigt eine unbearbeitete Aufnahme eines noch unbestimmten Fahrzeugs im Dienst des deutschen Militärs – vermutlich in Frankreich oder Belgien.

Vermutlich handelt es sich auch um ein französisches oder belgisches Fabrikat, von denen es damals dutzende in dieser Größenordnung gab, weshalb die Identifikation einige Zeit in Anspruch nehmen wird.

Anschließend wird das Foto so weit bearbeitet, dass es wieder präsentabel ist, ohne seinen Reiz als historisches Dokument zu verlieren. Voraussichtlich sind für Identifikation und Aufbereitung einige Stunden zu veranschlagen.

Die Besprechung im Blog ist dann fast schon Routinesache, jedenfalls nicht annähernd so zeitintensiv. Dass es auch fixer gehen kann, zeigt die Aufnahme, die ich heute besprechen möchte:

Vauxhall D-Type Staff Car; Originalfoto aus Sammlung Peter Pochert

Diese im Original stark mitgenommene Aufnahme hat mir Leser Peter Pochert zugesandt, der dazu sagen konnte, dass sein Großvater in dem Wagen sitzt.

Er war im 1. Weltkrieg in unterschiedlichen Funktionen eingesetzt, meist mit Bezug zu Fahrzeugtechnik, was ihm das Elend des Kriegs in den Schützengräben ersparte.

Die Frage, was für ein Wagen das war, in dem Peter Pocherts Großvater einst posierte, war schnell beantwortet: Die Kühlerpartie mit den auffallenden seitlichen Einbuchtungen, die sich im Profil der Motorhaube fortsetzen, sind ein unverkennbares Merkmal von Wagen der britischen Oberklassemarke Vauxhall:

Während heute nur noch der Markenname auf banalen Opel-Modellen dazu missbraucht wird, britischen Käufern Tradition zu suggerieren, verbirgt sich hinter „Vauxhall“ eine großartige Geschichte, die ich hier ausführlich erzählt habe.

Nun muss ich gestehen, dass ich mit den Vauxhall-Modellen jener Zeit alles andere als vertraut bin – sie tauchten auf dem Kontinent kaum auf und sind daher auch in meiner Fotosammlung ausgesprochene Raritäten.

So war ich skeptisch, was die Möglichkeit der Identifikation des genauen Typs ohne fremde Hilfe angeht. Doch dachte ich mir, dass sich die Suche vielleicht über das Baujahr erleichtern lässt – so war es auch.

Ausgehend von den elektrischen Scheinwerfern erschien mir ein Produktionsjahr vor 1914 eher unwahrscheinlich. Tatsächlich: Der Suchbegriff „Vauxhall 1914“ reichte im Netz aus, um auf Anhieb auf den Vauxhall D-Type zu stoßen, den wir hier vor uns sehen, bloß mit anderem Aufbau.

Der ab 1912 als Vauxhall 25 gebaute Wagen war aus dem Sportmodell „Prince Henry“ abgeleitet, besaß aber „nur“ einen 50 PS leistenden Vierzylindermotor mit 4 Liter Hubraum, der immer hin fast 100 km/h Spitze ermöglichte. Wichtiger war damals freilich die dem großen Hubraum zu verdankende Steigfähigkeit und Elastizität.

Neben einigen Werksaufbauten und Karosserien unabhängiger Hersteller wurden für das britische Militär im 1. Weltkrieg sogenannte „Staff Cars“ auf Basis des Vauxhall D-Types gefertigt. Vermutlich handelte es sich meist um offene Wagen.

Klar ist jedenfalls, dass Peter Pocherts Großvater und seine Kameraden einst einen Vauxhall D-Type mit Aufbau als Chauffeur-Limousine dingfest gemacht hatten.

Ihre zivile Aufmachung lässt darauf schließen, dass sie zum Aufnahmezeitpunkt dienstfrei hatten. Die Schirmmützen weisen zumindest zwei von ihnen als Fahrer aus:

Kopfzerbrechen bereitete mir anfänglich die Kennung auf der Motorhaube, die ich nicht mit der Logik bei Militär-PKW auf deutscher und österreichisch-ungarischer Seite zur Deckung bringen konnte.

So scheint auf den Buchstaben M ein pfeilartiges Symbol zu folgen und dann die Nummer 44421. Diese ist deutlich zu hoch, um die laufende Nummer eines Fahrzeugs einer speziellen Einheit oder selbst einer Armee darzustellen.

Doch bei der Recherche zum Vauxhall D-Type stieß ich auf folgende Aufnahme, die einen solchen Wagen mit praktisch identischem Aufbau zeigt:

Vauxhall D-Type der British Army an der Westfront, Bildquelle: Wikipedia

Auch hier ist auf der Haube eine solche Kennung bestehend aus einem „M“, einem Symbol und einer fünfstelligen Zahl zu sehen. Ich gehe davon aus, dass es sich dabei um die Kennungen auf britischer Seite handelte, bei der wohl alle im Militärdienst befindlichen Automobile schlicht durchnummeriert wurden.

Dann wäre auch die Kennung auf dem erbeuteten Vauxhall, in dem der Großvater von Peter Pochert mit seinen Kameraden vor über 100 Jahren abgelichtet wurde, noch die britische. Sicher wurde sie kurz danach durch eine neue Kennung ersetzt.

Jedenfalls befand sich der Vauxhall Type D zum Aufnahmezeitpunkt bereits fest in deutscher Hand, was wir möglicherweise nicht wüssten, wenn uns Peter Pochert nicht die Information mitgeliefert hätte, wer darauf zu sehen ist.

Denn in zivil sahen Fahrer auf deutscher und britischer Seite kaum unterschiedlich aus. Sicher hätten die Briten ihren deutschen Kollegen lieber die Vorzüge des Vauxhall D-Type auf friedliche Weise nahegebracht.

Doch ihre Regierung war wild entschlossen, in einem Großbritannien überhaupt nicht betreffenden Regionalkonflikt zwischen Österreich-Ungarn und Serbien Partei zu ergreifen. Das kostete fast eine Million britische Soldaten Leben oder Gesundheit. Dagegen war der Verlust des Vauxhall an die „Hunnen“ noch eine Bagatelle…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

Fund des Monats: Vauxhall „Hurlingham“ Roadster

Beim Markennamen „Vauxhall“ wird mancher sehr im Hier und Jetzt verhaftete Zeitgenosse vermutlich denken: „Ist das nicht bloß so eine Art Opel, wie kann so einer Fund des Monats werden?“

Nun, bekanntlich geht es hier ausschließlich um Vorkriegsautos, und wie im Fall von Opel war einst auch bei Vauxhall alles ganz anders, als es sich im 21. Jh. darstellt.

Tatsächlich gehört Vauxhall zu den altehrwürdigen britischen Automarken von hervorragendem Ruf – der sogar die Übernahme durch General Motors 1925 noch um einige Jahre überleben sollte.

Die Geschichte des Vauxhall, um den es in meinem heutigen Blog-Eintrag geht, ist es wert, ausführlich erzählt zu werden – anhand zweier unabhängiger Erzählstränge, die sich am Ende auf wundersame Weise vereinen.

Der eine Erzählstrang beginnt im Mai 2013 auf einem Treffen klassischer britischer Automobile in Südhessen. Dort zog mich die Frontpartie dieses Fahrzeugs in Bann:

Vauxhall 12/60 h.p. „Hurlingham“; Bildrechte: Michael Schlenger

Die Aufnahme ist bewusst in Schwarzweiß gehalten, das tatsächliche (nicht originale) Farbschema würde die Ästhetik dieses Blogs eher stören.

Um was für ein Modell es sich handelte, war seinerzeit nicht unmittelbar ersichtlich. Klar war mir nur, dass es sich bei dem Fahrzeug mit Roadsteraufbau und Bootsheck um etwas Besonderes handeln müsse.

Dass der Wagen von Vauxhall aus England stammte, war ebenfalls offensichtlich. Das ließen schon die Einbuchtungen in der Motorhaube erkennen, die die markante Silhouette des Kühlergehäuses nach hinten fortführen.

In dieser scharf konturierten Form gab es einen solchen „fluted bonnet“ meines Wissens nach bei keinem anderen Hersteller. Bei näherem Hinsehen erkennt man dann auch das kaum weniger charakteristische Markenemblem von Vauxhall:

„Vauxhall Motors Ltd. – Luton England“ lässt sich dort im umlaufenden Schriftzug entziffern. Er fasst ein hell abgesetztes Feld ein, in dem ein geflügeltes Fabelwesen zu sehen ist. Dabei handelt es sich um einen Greif, ein seit Jahrtausenden in der Kunst dargestelltes Mischgeschöpf aus Raubkatze und Raubvogel.

Damit wechseln wir nun in den zweiten Erzählstrang, der uns 800 Jahre zurück ins mittelalterliche England führt. Dort begegnet uns ab 1206 in Diensten des englischen Königs John ein Ritter namens Falkes de Breauté.

Er war Angehöriger der aus der französischen Normandie stammenden Oberschicht, die in England seit der Eroberung der Insel im Jahr 1066 das Sagen hatte. Seine Karriere würde Stoff für einen prächtigen Mittelalterroman abgeben.

Uns soll an dieser Stelle jedoch weder seine geheimnisumwitterte Herkunft noch seine militärische und politische Laufbahn in königlichem Auftrag interessieren.

Wichtig ist nur, dass Falkes de Breauté im heutigen Stadtteil Londoner Lambeth nahe der Themse ein Anwesen namens Faulke’s Hall besaß. Daraus wurde später Foxhall und ab dem 17. Jh. befand sich dort ein Park mit der Bezeichnung Vauxhall.

Im Zuge der Industrialisierung siedelten sich im Distrikt Vauxhall zahlreiche Betriebe an. Einer davon war ein kurz nach Mitte des 19. Jh gegründeter Hersteller von Pumpen und Schiffsantrieben – der von da an unter dem Namen Vauxhall firmierte.

Im Firmenemblem lebte der Greif weiter, der einst das Familienwappen des Ritters Falkes de Breauté zierte. Damit weckte die neu entstandene Marke Vauxhall auf raffinierte Weise die Assoziation an eine ins Mittelalter zurückreichende Geschichte.

Tatsächlich darf man Vauxhall mit seinen ab 1903 gebauten, sehr leistungsfähigen Wagen der automobilen Aristokratie zuordnen. Der A-Type mit 3-Liter-Motor erreichte als Werkssportwagen bereits 1910 eine Höchstgeschwindigkeit von über 160 km/h.

Nach dem 1. Weltkrieg blieb Vauxhall im Sportwagensegment aktiv. Das noch 1913 vorgestellte Vierzylindermodell 30/98 h.p. wurde in den 1920er Jahren zu einer Ikone britischen Automobilbaus, auch wenn nur noch Privatfahrer es einsetzten.

Vauxhall wusste sein Prestige auch bei moderater motorisierten Serienfahrzeugen geschickt auszunutzen und weiter zu schärfen. Damit wären wir nun endlich beim Fund des Monats, nämlich diesem Prachtstück von Roadster:

Vauxhall „Hurlingham“ Roadster; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Identifikation dieses aus ungewöhnlicher, doch höchst wirkungsvoller Perspektive aufgenommenen Sportwagens war nicht ganz einfach.

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so wirkt, lässt die Auflösung des Abzugs zu wünschen übrig, sodass markentypische Elemente recht schwer zu erkennen bzw. zu interpretieren sind.

Doch letztlich gaben der Buchstabe „V“ auf der Nabenkappe und das Emblem auf der Doppelsstoßstange Anlass zur Vermutung, dass es sich um eine Sonderkarosserie auf Basis eines Vauxhall handeln könnte:

Auf diesem Ausschnitt treten nun auch schemenhaft die erwähnten seitlichen Ausbuchtungen in der Oberseite der Motorhaube zutage.

Von da war es nicht mehr weit bis zur Ansprache des Wagens als Vauxhall „Hurlingham“ Roadster.

Dabei handelte es sich um eine in Kleinstserie gebaute Spezialversion des seit 1927 verfügbaren Vauxhall 12/60 h.p. mit 2,9 Liter Sechszylinder bzw. des Modells T80, das mit einem auf 3,3 Liter vergrößerten Motor von 1929-31 gebaut wurde.

Beide Motorisierungen waren mit dem hier gezeigten Aluminiumaufbau als „Hurlingham“ Roadster verfügbar:

Vauxhall „Hurlingham“ Roadster; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser Abzug zeigt dasselbe Fahrzeug, das wir zuvor von vorne bewundern durften.

Hier sieht man nun deutlich den Aufbau mit Notsitz im Bootsheck und der davor angebrachten zweiten, ebenfalls gepfeilt ausgeführten Windschutzscheibe.

Schaut man genau hin, lässt sich der Rand der hinteren Scheibe auch auf dem ersten Foto des Wagens erahnen:

Nun wird der Leser vielleicht wissen wollen, wieviele dieser sportlichen Spezialaufbauten einst entstanden.

Nun, genau bekannt ist das nicht. Die im Netz verfügbaren Quellen sprechen von lediglich 20 Exemplaren mit dem 20/60 PS-Motor und unwesentlich mehr auf Basis des stärkeren Modells T80.

Insgesamt soll es nur 50 Stück dieses rassigen Roadsters gegeben haben. Davon haben nach derzeitigem Stand mindestens 20 überlebt (Quelle).

Mir erscheint diese Überlebensrate recht hoch, insbesondere wenn man hier erfährt, dass Exemplare dieses Typs in den USA einfach als Schrott irgendwo abgestellt wurden.

Wie immer bei runden Zahlenangaben zu Produktionsziffern darf man davon ausgehen, dass man es mit reinen Schätzungen zu tun hat. Diese wurden irgendwann in die Welt gesetzt und mangels besserer Erkenntnisse einfach übernommen.

Wie dem auch sei – eine Rarität war der „Hurlingham“ Roadster allemal, der auf den beiden hier gezeigten Originalfotos zu sehen ist. Wenn jetzt nur noch jemand sagen kann, aus welchem Land das Kennzeichen stammt, wäre das Glück vollkommen.

Nachtrag: Ein Leser aus Dänemark wies mich inzwischen darauf hin, dass es sich um ein dänisches Nummernschild handele.

Wer übrigens den eingangs gezeigten Vauxhall in Farbe sehen will, kann das hier tun. Es handelt sich um einen der überlebenden „Hurlingham“ Roadster und mit etwas Glück begegnet man ihm und seinem Besitzer irgendwo im Rhein-Main Gebiet wie einst ich.

Und wenn Sie nun bei der nächsten Gelegenheit einen Opel aus britischer Produktion zu Gesicht bekommen, wird Ihnen daran das Vauxhall-Emblem ins Auge springen, in dem in stilisierter Form immer noch das Wappen von Falkes de Breauté fortlebt…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.