Heute werden auf den ersten Blick Frauenwünsche wahr – denn wer von den Damen suchte nicht (meist vergebens) nach einem „Typ mit dem gewissen Etwas“?
Was genau das ist, weiß von jeher niemand genau zu sagen. Die unzureichende Definition, was das gewisse Etwas ausmacht, könnte dazu beitragen, warum so viele Ladies in Beziehungen verharren, die ihnen schaden. So jedenfalls meine Wahrnehmung.
Mag sein, dass sich das in der Menschheitsgeschichte überwiegend als vorteilhaft erwiesen hat, da es in der Natur nicht darum geht, dass die aktuelle Generation glücklich ist, sondern dass sie sich idealerweise für die nächste aufopfert.
So bleibt der Wunsch nach dem Typ mit dem gewissen Etwas meist auf der Strecke. Besser haben es die Buben – jedenfalls gilt das heute für die männlichen Leser meines Blogs, die ich ohne besondere Kühnheit zu beanspruchen, in der Überzahl wähne.
Denn den Herren mit Vorliebe für gediegene Vorkriegs-Limousinen mit reichlich Platz für Kind und Kegel kann ich heute ein Beispiel dafür präsentieren, was einen Typ mit dem gewissen Etwas ganz konkret auszeichnet.
Um die Sache anschaulich zu machen, beginnen wir mit einem Typ, dem das gewisse Etwas ohne Zweifel abgeht, so solide und freundlich er auch zu wirken sich bemüht:

Diesen etwas kastig-unbeholfen wirkenden Typ habe ich bereits vor Jahren identifiziert – jedenfalls was das Auto betrifft.
Die Gestaltung der Hauben und Kühlerpartie findet sich so beim 1929er Modell der erst 1928 gegründeten US-Marke Graham-Paige.
Der Hersteller war, wie das bei den meisterhaft organisierten Ami-Fabrikaten die Regel war, sofort auch in Europa präsent, insbesondere in Deutschland, wo Ende der 1920er Jahre ausländische Fabrikate ein Viertel des Gesamtmarkts abdeckten.
Erst recht in der deutschen Hauptstadt Berlin war ein Graham-Paige kein Exot – dort entfiel damals sogar ein Drittel der Neuzulassungen auf nicht-deutsche Hersteller.
Der Hintergrund der obigen Aufnahme passt perfekt dazu – als einstmals Berlin-Begeisterter erkannte ich auf Anhieb das Universitätsgebäude „Unter den Linden“ lange bevor ich herausfand, was für ein Wagen dort abgelichtet wurde.
Für das Folgende prägen Sie sich bitte die schroff wirkende Frontscheibe und die banalen Scheibenräder ein – und die Haubengestaltung natürlich.
Schon etwas besser als das wuchtige Sedan-Cabrio aus Berlin wirkt der folgende Graham-Paige mit nur zweitürigem Cabrio-Aufbau, den Holszpeichenrädern und dem deutlich geschmeidiger wirkenden Typen davor:
Was auch immer der ein wenig zu charmant dreinblickende Herr vor dem Auto in seiner Hosentasche zu suchen hatte – er hatte sich die Unsitte wohl einem Filmstar abgeschaut – es war noch nicht das gewisse Etwas, das ich in Aussicht gestellt habe.
Nein, das gewisse Extra, das einen sonst eher konventionellen Typ in einen faszinierenden Charakter verwandelt, das war nicht auf so billige Weise zu bekommen.
Zwar musste man dafür ebenfalls tief in die Tasche greifen, aber nun bekam man eine wahrlich stattliche Erscheinung präsentiert, welche das vollendete Auftreten des Gentleman mit den verführerischen Accessoires des Lebemanns verband.
Genug der zweifelhaften Andeutungen – hier ist er dank Leser Matthias Schmidt (Dresden) – der Typ aus dem Hause Graham-Paige mit dem gewissen Etwas:
Wer die Qualitäten dieses Typs nicht auf Anhieb erkennt, dem empfehle ich, noch einmal kurz zum ersten Foto zurückzukehren.
Na, sehen Sie jetzt, was ich meine?
Trotz des massigen Aufbaus als 6-Fenster-Limousine, lassen die Drahtspeichenräder den Wagen, der standesgemäß mit potenten 6- und 8-Zylindermotoren verkauft wurde, dennoch leichter erscheinen als die eingangs gezeigte viertürige Cabrioletversion.
Für mich ist das gewisse Etwas an diesem Typ aber etwas anderes. Fällt Ihnen auf, wie spannungsreich die Dachpartie gestaltet ist? Nichts wäre öder gewesen als eine Dachlinie, die parallel der Gürtellinie folgt.
Verfechter des Funktionalismus – in meinen Augen bedauernswerte Zeitgenossen ohne Sinn für unser an der Natur geschultes Formverständnis – mögen jetzt als „Erklärung“ anbringen, dass bei so einer Pullman-Limousine hinten ja die feinen Herrschaften mit hoch aufragenden Zylinderhüten und aufwendigem Kopfputz saßen, während vorne der Chauffeur mit Schirmmütze platziert war – ergo konnte die Dachlinie nach vorn abfallen.
Das ist natürlich Unsinn, man hätte die Dachlinie ja trotzdem waagerecht verlaufen lassen können – Maß nehmend an den „großkopfeten“ rückwärtigen Passagieren.
Nein, hier waren allein ästhetische Prinzipien ausschlaggebend – eine spannende Spiegelung waren nebenbei die späteren Dachlinien von Pinin-Farina, die allein um der Wirkung willen nach hinten abfielen. Noch mein 1974er MGB GT profitierte davon…
Ohnehin ist beim heutigen Typ mit dem gewissen Etwas ein weiteres Element weit wichtiger für den Effekt dieser so auffallend gefällig daherkommenden Limousine:
Sehen Sie hier, was ich meine?
Ist das nicht genial, wie die Halterung der nachgerüsteten Sonnnenblende Bezug nimmt auf die nach oben schießende Zierlinie vor dem vorderen Fensterpfosten?
Selbige Linie endet bei den anderen gezeigten Versionen im Nichts. Hier aber wird sie wie ein Staffelstab aufgenommen und sie führt den Schwung übermütig nach oben wie ein Flugzeug, das zum Looping ansetzt.
Auch die Sonnenblende selbst, welche die nach vorne abfallende Dachlinie fortsetzt und sich mit feinen Zierlinien der übrigen Gestaltung der Karosserie anpasst, ist ein kleines Meisterwerk.
Ob nun Werksextra oder ein außergewöhnlich stimmiges Zubehör – es ist dieses Teil, welches die oben erwähnte schroffe Scheibenpartie förmlich verwandelt.
Ganz genau kann ich es nicht beschreiben – es grenzt an Magie, was hier einst jemand vollbrachte, um diesem Typ das gewisse Etwas hinzuzuzaubern, was eine Standard-Limousine aus Großserienproduktion in einen attraktiven Charakter verwandelte…
Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.