Exoten aus Bremen: 2 Lloyd-Wagen um 1913

Heute habe ich das Vergnügen, mich mit gleich zwei Vertretern einer „neuen“ Marke zu befassen, die viele dem Namen nach aus der Nachkriegszeit kennen, die tatsächlich aber schon vor dem 1. Weltkrieg kurzzeitig existierte.

Die Rede ist von Lloyd aus Bremen, einer Marke, deren kurze und wenig erfolgreiche Existenz dem Ehrgeiz des Generaldirektors der berühmten Reederei Norddeutscher Lloyd zu verdanken war – Heinrich Wiegand.

Wiegand fühlte sich mit der Führung des Norddeutschen Lloyd offenbar nicht ausgelastet und wähnte sich zu Höherem berufen. Leider wollte ihm außerhalb seines Metiers nichts so recht gelingen, woran die Umstände oder andere Leute schuld waren…

Seine Ambitionen reichten vom Ausbau der Zuckerindustrie in Bremen über die Einführung von Straßenbahnen in der Stadt bis hin zum Bau eines Werks für Elektrotechnik. Nichts davon erwies sich als wirtschaftlich realisierbar.

Immerhin gelang es ihm 1906, Finanziers für die Gründung eines Automobilwerks in Bremen zu finden, in dem neben Elektroautos nach französischem Kriéger-Patent auch benzingetriebene Wagen entstehen sollten (Quelle: Ulrich Kubisch, „Hansa-Lloyd Automobilbau“, 1986).

Diese neu geschaffene Norddeutsche Autombil- und Motoren AG (NAMAG) begegnet uns auf der folgenden Reklame von 1910:

Lloyd-Reklame von 1910; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Bei dem abgebildeten repräsentativen Wagen könnte es sich um ein Modell mit 25, 35 oder 50 PS gehandelt haben – dies waren die laut Literatur 1910 verfügbaren Motorisierungen.

Daneben gab es kurzzeitig einen Kompakttyp mit 18 PS, doch scheint man sich bei Lloyd ab 1910 auf leistungsfähigere Wagen beschränkt zu haben.

Der Absatzerfolg blieb jedoch überschaubar. Trotz erfolgreicher Teilnahme eines Lloyd 35 PS-Wagens an der Prinz-Heinrich-Fahrt 1908 konnte die NAMAG 1909 nur 60 Autos mit Benzinantrieb vekaufen. Immerhin brachte man 130 Elektromobile an den Mann…

Da Autohersteller am Rande des Ruins nichts zu verlieren haben, verlegen sie sich gern auf eine kühne Selbstdarstellung, um so Erfolg beim Publikum vorzugaukeln. Ein schönes Beispiel dafür ist die folgende Lloyd-Reklame von ca. 1912:

Lloyd-Reklame von ca. 1912; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Das Beste an dieser Anzeige ist die reizvolle grafische Umsetzung, die dem vielseitig begabten Ernst Neumann-Neander zu verdanken ist (man sieht sein typisches Eulen-Signet rechts neben dem Heck des Wagens).

Ziemlich dick aufgetragen ist der Slogan „Zierde der Riviera“. Man fragt sich, ob jemals einer der wenigen Lloyd-Wagen zu den Ghettos der Schönen und Reichen am Mittelmeer gelangt ist.

Immerhin ist überliefert, dass ein Lloyd 1914 bis nach Indien und zurückfuhr. Leistungsfähig und zuverlässig müssen die Wagen also gewesen sein. Bezeichnend für die Foto-Dokumentation der Marke ist, dass in der Literatur zu dem Foto mit dem Lloyd in Indien ganz unterschiedliche Angaben gemacht werden:

In Halwart Schraders Standardwerk „Deutsche Autos 1885-1920“ wird der Wagen als Lloyd Typ 10/25 PS von 1914 bezeichnet. Dagegen datiert Johann Kleine Vennekate in „Borgward Fotoalbum“ (2008) denselben Wagen auf 1909, was vollkommen ausgeschlossen ist.

Ein dritte Variante liefert schließlich Ulrich Kubisch im erwähnten Werk „Hansa LLoyd Automobilbau“ (1986). Demnach handelte es sich um einen 9/20 PS-Typ. Das müsste dann eine leistungsgesteigerte Version des Typs 9/18 PS (1908-10) gewesen sein.

Wie dem auch sei – heute kann ich zwei Fotos von Lloyd-Wagen aus meinem Fundus beisteuern, bei denen ich zwar Motorisierung und Baujahr nicht genau angeben kann, die aber dennoch wichtige Puzzlestücke in der Dokumentation der Marke sein könnten.

Hier haben wir das erste Exemplar:

Lloyd um 1913; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme ist in vielerlei Hinsicht interessant. So zeigt sie das vor dem 1. Weltkrieg noch selbstverständliche Nebeneinander von Automobilen und Kutschen vor einer Firma für Wagenbau.

Das Unternehmen mit dem norddeutschen Namen Roost muss in einem Grenzgebiet mit deutsch-dänischer Mischbevölkerung ansässig gewesen sein, vermutlich in Nordschleswig.

Darauf brachte mich die Bezeichnung „Udlejes“ auf der Firmenwerbung ganz oben an der Gebäudeseite. Das klang für mich wie eine Variante des deutschen „Ausleihens“ und tatsächlich steht der Begriff im Dänischen für „Miete“ – hier von Automobilen.

Weiter unten findet sich außerdem neben „Wagenfabrik“ das dänische Synonym „Vognfabrik“, das unsere nördlichen Nachbarn verwenden. Vielleicht kann ein sachkundiger Leser Näheres zum mutmaßlichen Aufnahmeort sagen.

Wir werfen unterdessen einen genaueren Blick auf den Wagen mit der markanten Kühlerpartie ganz vorn:

Ein sehr ähnlicher Wagen aus beinahe identischer Perspektive findet sich in Halwart Schraders Werk „Deutsche Autos 1885-1920“ im Kapitel „Hansa / HAG“ auf Seite 190.

Dort wird das Auto trotz klar lesbaren Schriftzugs „Lloyd“ auf dem Kühler als „Hansa (Lloyd) 6/18 PS von 1914 bezeichnet.

Nun ist ein Wagen mit Lloyd-Logo wahrscheinlich auch ein Auto genau dieser Marke und nicht des in Varel beheimateten Herstellers Hansa. Dieser sollte zwar im Frühjahr 1914 die nach acht Jahren immer noch defizitäre NAMAG und deren Lloyd-Modelle übernehmen.

Doch spricht nichts an dem Wagen dafür, dass er nicht noch aus der Zeit vor der Übernahme der chronisch erfolglosen NAMAG durch Hansa stammt. So gehe ich auch davon aus, dass der von der Frontpartie her nahezu identische Wagen vor der Wagenfabrik Roost ein solcher Lloyd vor 1914 ist.

Dabei sprechen die elektrischen Positionsleuchten nach meiner Erfahrung gegen eine Entstehung vor 1912. Dieselbe Kühlerpartie begegnet uns auf diesem Foto aus der Frühphase des 1. Weltkriegs:

Lloyd-Tourenwagen, dahinter Presto-Tourer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Im Vordergrund sehen wir einen Tourenwagen von Lloyd, der in fast allen Details einem Auto der Marke entspricht, das in Halwart Schraders Buch als Hansa 15/50 PS bezeichnet wird – selbst der hinten über dem Kotflügel angebrachte Gepäckkasten ist identisch!

Nun, Hansa baute selbst zu keinem Zeitpunkt dermaßen leistungsfähige Wagen, weshalb ich vermute, dass statt Hansa 15/50 PS eher Lloyd 15/35 PS oder 22/50 PS gemeint ist. Die Kühlerpartie stimmt jedenfalls vollkommen mit Lloyd-Wagen kurz vor der Übernahme durch Hansa 1914 überein.

Mein Eindruck ist der, dass es in der älteren Literatur nicht zuletzt aufgrund von redaktionellen Fehlern bei den Typangaben zu Fotos bisweilen bunt durcheinandergeht – prinzipiell ist bei allen entsprechenden Angaben Vorsicht angebracht.

Wie würde ich nun selbst diesen eindrucksvollen Tourenwagen ansprechen?

Nach der Lage der Dinge haben wir es hier mit einem Lloyd um 1913 zu tun, der noch über keine elektrischen Positionsleuchten verfügt, sondern Petroleumlampen an ihrer Stelle.

Die Kühlermasken von Hans- und Lloyd-Wagen ähnelten sich damals zwar. Der charakteristische mittige „Knick“ am Unterteil war meines Erachtens aber ein Kennzeichen von Lloyd-Wagen.

Wenn wir der Literatur trauen können, waren von Lloyd kurz vor dem 1. Weltkrieg nur Wagen zwischen 25 und 50 (später 60) PS erhältlich – aufgrund der Proportionen vermute ich hier eine der stärkeren Motorisierungen .

Ich lasse mich aber gern von sachkundiger Seite eines Besseren belehren – vielleicht gibt es ja auch für die frühen Lloyd-Wagen Spezialisten, die über ausreichendes Foto- und Prospektmaterial verfügen.

Wie ist nun der Ausflug von Lloyd-Generaldirektor Wiegand in die Welt des Automobilbaus ausgegangen? Nun, er erlebte das glücklose Ende auch dieser hochfliegende Pläne nicht mehr.

Er starb im Frühjahr 1914, noch bevor die wirtschaftlich erfolglose Lloyd-Autoproduktion von den besser geführten Hansa-Werken aus Varel übernommen wurde, die eine Erweiterung der Produktionskapazitäten planten.

Leider erwies sich die Übernahme der überdimensionierten NAMAG-Produktionskapazitäten eher als Mühlstein um den Hals der bis dato profitablen Hansa-Werke.

Bezeichnenderweise findet man in den Folgejahren auf zeitgenössischen Fotos jedenfalls fast nur noch die bewährten C- und D-Typen von Hansa mit 20 bis 30 PS Leistung, die offenbar auch als Hansa-Lloyd verkauft wurden.

Mein Fotofundus enthält eine ganze Reihe solcher Hansa-Wagen ab 1914, die zwar keine Exoten wie die Lloyd-Wagen waren, aber dennoch ihren eigenen Reiz haben…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.